"Was auf dem Spiel steht" - Jean-Claude Kardinal Hollerich - E-Book

"Was auf dem Spiel steht" E-Book

Jean-Claude Kardinal Hollerich

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Beschreibung

Er ist einer der ungewöhnlichsten Kardinäle der Katholischen Weltkirche. Jean-Claude Hollerich stammt aus einem kleinen Ort in Luxemburg, studiert hat er in Deutschland und Rom, doch zu Hause ist er zugleich in Japan und in Europa. 2011 wurde der Jesuit Erzbischof von Luxemburg und 2019 der erste Kardinal des Landes. Hollerich wirbt für eine Missionierung Europas und zugleich mahnt er gravierende Veränderungen in der Kirche an. Eine der wichtigen Fragen für die Zukunft sei es, Frauen in allen Bereichen der Kirche gleichberechtigt zu beteiligen. In dem vorliegenden Buch spricht der enge Vertraute von Papst Franziskus erstmals ausführlich über seine Liebe zu Asien, seinen Einsatz für ein starkes Europa  seine Engagement für Gerechtigkeit und Frieden und seine Hoffnung auf eine vitales und engagiertes Christentum. 

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Jean-Claude Kardinal Hollerich

Was auf dem Spiel steht

Ein Gespräch mit Alberto Ambrosio und Volker Resing

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Archevêché de Luxembourg,

Service Communication et Presse, Luxembourg

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-82473-9

ISBN Print: 978-3-451-27449-7

Inhalt

Vorwort

1. Der Novize lernt putzen

Kindheit und Jugend im fast noch katholischen Milieu

2. Das Lächeln des Buddha

Japan und die weite Welt der Religionen

3. Der erzählte Christus und der Wandel der Welt

Studium in München und Demos in Bonn

4. Leere Kirchen und die Normalität der Krise

Erzbischof in Luxemburg und Europa

5. Religion ist kein Leistungssport

Für eine neue Inkulturation des Christlichen

Lebenslauf von Kardinal Jean-Claude Hollerich

Die Gesprächspartner

Vorwort

Die Echternacher Springprozession kennt jeder. Drei Schritte vor, zwei zurück, so geht sprichwörtlich der Pilgerschritt im Osten Luxemburgs. Aber nur wenige wissen, dass das eine Legende ist. Tatsächlich geht es ganz anders zu bei der Prozession in Echternach. Man geht nicht, man tanzt, von einem Fuß auf den anderen, kommt voran, nicht so schnell, als wenn man gehen oder gar laufen würde, aber dafür zusammen, fröhlich und in Gemeinschaft. Und manchmal springt die Pilgerschar auch auf der Stelle … Aber die Bewegung bleibt, und wenn der Weg frei ist, geht es weiter – zum Grab des Heiligen Willibrord, durch die Stadt mit ihren Wohnungen, Geschäften, Kneipen …

Seit 2010 ist die Prozession zur Basilika in Echternach immaterielles Weltkulturerbe. Seit 2011 ist Jean-Claude Hollerich, der Jesuit und Hochschullehrer, Erzbischof von Luxemburg. Er ist ein Bewunderer des frühmittelalterlichen Reformers Willibrord. »Die Kirche braucht auch heute Bewegung und Veränderung«, sagt Hollerich, aber Innehalten gehöre auch zum Weg der Kirche. »Es ist ein gemeinsamer Weg, den alle zusammen gehen müssen.« Der Weg der Kirche also ein gemeinsamer Tanz, keine Springprozession? Der Erzbischof hat es vorgemacht. In seinem ersten Jahr zog er nicht nur am Ende der Prozession in goldenen Paramenten segnend durch die Stadt, sondern machte auch in einer Reihe mit anderen Pilgern den ganzen Weg den tanzenden Pilgerschritt mit. Er sei dabei schon mächtig ins Schwitzen gekommen, wird berichtet, denn das Tempo des Gottesvolkes auf dem Weg hing nicht allein vom Bischof ab.

2019 machte Papst Franziskus Jean-Claude Hollerich zum Kardinal. Zuvor war er zum Vorsitzenden der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft gewählt worden. In den künftigen Beratungen der Bischofssynode über die Synodalität als Zukunftsmodell der katholischen Kirche kommt Hollerich die möglicherweise entscheidende Schlüsselposition zu. Der Papst ernannte ihn zum Generalrelator: das bedeutet, Hollerich wird 2023 zum Abschluss der Bischofssynode den zusammenfassenden Bericht mit Empfehlungen schreiben. Wie wird sich die katholische Weltkirche verändern? Was muss die Kirche bewahren? Wie wird sich das Christentum in einem entkirchlichten Europa entwickeln? Auch auf diese Fragen muss die Bischofssynode der Weltkirche Antworten suchen. Und darauf muss auch Hollerich antworten. Vielleicht gibt der Pilgertanz auf den Straßen von Echternach auch der Weltkirche auf ihrem Weg einen guten Takt vor.

Wer aber ist dieser Mann, der für die Zukunft der Kirche an einer so entscheidenden Stelle seinen Dienst ausübt? Wer ist Jean-Claude Hollerich, wie denkt er, wie glaubt er, welche Menschen sind ihm wichtig? Darüber haben wir in mehrstündigen Begegnungen mit ihm gesprochen. Das nun vorliegende Buch ist eine aufregende Reise zu den ungewöhnlichen Lebensstationen des Menschen, Priesters, Theologen und Seelsorgers Hollerich. Aber es ist auch eine ganz überraschende Reise zu ganz unterschiedlichen Wirklichkeiten und Lebensweisen des Katholischen in dieser Welt.

Kardinal Hollerich ist aufgewachsen in einer Zeit, in der die katholische Glaubenspraxis fast noch so selbstverständlich war wie die Luft zum Atmen. Doch schon in seiner Kindheit gab es erste Brüche, seine Familie war gar nicht so fromm, wie es noch viele in der Nachkriegszeit waren. Jean-Claude Hollerich entdeckt den Glauben als sein eigenes Ding, beginnt die Messe zu lieben und sich für den intellektuellen Kern des Glaubens zu begeistern. Er lernt früh Rom kennen, wird Jesuit, eine Brieffreundschaft mit dem großen Karl Rahner prägt ihn. Dann kommt die Wegscheide: Hollerich geht als Missionar nach Japan. Er wird als ein anderer Mensch zurückkehren. Bis heute ist seine asiatische Prägung ein faszinierender Teil seiner Katholizität. Vielleicht macht das seine ganz eigene Spiritualität und sein Charisma aus: dass er in seiner Verkündigung und in seiner Sendung immer große Vertrautheit und inspirierende Fremdheit verbinden kann. Immer schwingt bei ihm eine Frömmigkeit mit, die von ganz anderswoher kommt und doch zutiefst katholisch ist. Und zum anderen ist sein Katholizismus ein sehr ländlich verwurzelter, ein Glaube, der auf eine andere Weise aus der Nähe kommt und zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen der Hüttenwerkstadt Differdingen und der Schlossstadt Vianden, beheimatet ist.

Hollerich ist der Dialog mit der Politik wichtig, er will die Stimme der Kirche hörbar machen, aber er weiß, dass diese nicht mehr selbstverständlich Gehör findet. Als 2015 der luxemburgische Staat eine scharfe Trennung von Kirche und Staat vollzog und der katholischen Kirche auch schmerzhafte Einschnitte bescherte, hat Hollerich diesen Prozess nicht nur beweint, sondern auch als Chance begriffen, der die Gemeinschaft der Gläubigen nötigte, aus einer nicht mehr zeitgemäßen Haltung herauszufinden – und auch aus einer eingeübten Bequemlichkeit.

Zudem sieht er sich in seiner Funktion als Europa-Bischof als einendes Element gegen die wachsende Kluft zwischen West- und Osteuropa. Er warnt vor Dialogverweigerung und ermuntert, trotz Unterschieden im Gespräch zu bleiben. Seine Mahnung stößt in Ost wie West auf Zustimmung, aber auch auf Widerstände. Auch hier hilft sein Echternacher Takt: Veränderung geht nur, wenn man sich auf eine gemeinsame Weise einlässt.

Wer das wuchtige Bischofshaus in Luxemburg betritt, schreitet durch eine schwere Bronzetür, die mit einem massiven metallenen Knauf bewegt wird: Es ist eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Der Ouro­boros, so der Name des symbolischen Tiers, ist schon in der ägyptischen Mythologie belegt, genauso ist er in der abendländischen Kultur bekannt und auch in der asiatischen Welt. Das Bildsymbol steht religions- und kulturübergreifend für die Ewigkeit. Wer also Kardinal Hollerich besucht, erlebt einen Menschen, der im Hier und Jetzt lebt, der sich von Jugendlichen Netflix-Serien empfehlen lässt und sich diese auch anschaut, der aber zugleich auch ein tief verankertes Gespür für das Ewige, Unveränderliche und Unverfügbare hat. Das vorliegende Buch stellt einen spirituellen Menschen vor, mit einer geradezu unstillbaren Neugierde und einer großen Liebe zu den Menschen; zugleich einen Denker, der das Christliche im Horizont der Welt und der großen Religionen sieht, und den die Mission für ein erneuertes Christentum in Europa antreibt. »Annuntiate!« lautet sein Wahlspruch – »Verkündet das Evangelium«, für Hollerich eine Aufgabe, die nicht nur mit Worten geschieht.

Wir danken Kardinal Jean-Claude Hollerich für seine Zeit und seine mutige Freude am offenen Gespräch. Der Text ist entstanden durch das Zusammenführen unterschiedlicher Interviews, die wir mit dem Kardinal im Bischofshaus geführt haben. Dieses Buch wäre nicht möglich geworden ohne das vermittelnde Wirken von Jean Ehret, dem Direktor der Luxembourg School of Religion & Society (LSRS). Außerdem haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bischofshaus das Projekt engagiert unterstützt. Allen Beteiligten danken wir von Herzen.

Den Leserinnen und Lesern wünschen wir anregende Lektüre!

Dezember 2021

Alberto Ambrosio und Volker Resing

1. Der Novize lernt putzen

Kindheit und Jugend im fast noch katholischen Milieu

Im Hinblick auf die eigene Biografie ergibt sich die Frage: Wo bin ich eigentlich katholisch geworden? Eher im Elternhaus, eher in der Gemeinde, oder in der Schule? Woher kommt die besondere Prägung bei Ihnen?

Gemeinde und Schule zusammen sind für mich die prägenden Orte. Meine Eltern haben den Glauben nicht praktiziert. Nur wenn meine Großmutter da war, ist meine Mutter mal zur Kirche gegangen. Sie waren nicht total gegen Glauben und Kirche, aber es hat sie nicht so sehr interessiert – so könnte man es sagen. Meine Schwester und ich wurden zur Messe geschickt, weil das noch üblich war und man sich anpassen wollte. Meine Schwester ist dieser Aufforderung sehr widerwillig gefolgt, sie ist heute auch keine praktizierende Katholikin mehr. Mir aber hat es so richtig gut gefallen. Ich bin in einer kleinen mittelalterlichen Stadt im Norden von Luxemburg aufgewachsen. Damals lag das Katholische doch irgendwie noch in der Luft.

Welche Bedeutung hatte die Schule?

Ich hatte Religionsunterricht in der Grundschule. Dreimal in der Woche kam der Priester. Das waren die schönsten Schulstunden. Ich hatte Glück, so sehe ich es heute. Wenn ich jetzt von den Missbrauchsfällen höre oder von strengen Priestern, die die Kinder geschlagen haben, bin ich entsetzt. Solche Erfahrungen habe ich nicht gemacht. Ich hatte immer nur gute Priester. Der Dechant war auch streng, aber wir liebten ihn. Es war eine Güte hinter der Strenge. Sicher, er schmiss auch mal mit seinen Schlüsseln in der Klasse herum. Aber das taten alle, auch die anderen Lehrer. Das haben wir damals als nicht so schrecklich bewertet.

Wie aber kam es zu Ihrer besonderen Hinwendung zur Kirche?

Vor allem die Heilige Messe hat mich schon als Kind sehr angezogen. Vor meiner Erstkommunion bin ich bereits Ministrant geworden, und das war für mich der erste Schritt zum Priestertum. Es war erlaubt, dass man nicht zur Schule ging, wenn man als Ministrant gebraucht wurde. Das war für mich ganz normal.

Gab es so etwas wie ein besonderes Erlebnis?

Ich erinnere mich daran, dass ich schon als zehnjähriger Junge eine besondere Erfahrung gemacht habe. Es gab eine Betstunde am Kindergebetstag. Ich fühlte, als ich auf die Monstranz schaute, eine große Liebe Gottes. Vielleicht darf man das Gotteserfahrung nennen. Es setzte sich bei mir der Gedanke fest: Ich werde Priester. Später bin ich auch einmal verliebt gewesen. Dann war der Gedanke an das Priestertum für ein paar Monate weg, aber danach kam er wieder und wurde stärker.

Und wie haben Ihre Eltern reagiert?

Sie waren doch zunächst sehr skeptisch. Mein Vater war in der Stahlindustrie beschäftigt und hat sich hochgearbeitet, später war er als Obermeister für die Instandsetzung von Maschinen zuständig. Nicht nur die Kirche, sondern auch die Universität waren ihm zunächst fremd. Meine Schwester und ich sind die Ersten aus der Familie, die studiert haben. Dann bin ich Seminarist für die Diözese Luxemburg geworden. Unser Bischof Jean Hengen hat mich 1978 in das Germanicum nach Rom geschickt. Da waren meine Eltern doch mächtig stolz.

Wie haben Sie Rom erlebt, aus der Provinz kommend?

Die ersten Monate hatte ich doch viel Heimweh. Aber ich war dann fasziniert von der Stadt und von der Internationalität. Ich wurde zum Vertreter der Studenten gewählt, ich war Sekretär der Studentenvereinigung. Nebenbei habe ich christliche Archäologie studiert. Ich habe mit Begeisterung die Einführungskurse besucht und an den Führungen in der Nekropole unter St. Peter teilgenommen. Und es gab auch heidnische und jüdische Katakomben, die wir besichtigt haben; sie standen durch die Lateranverträge auch unter vatikanischer Hoheit. Ich erinnere mich, dass man einen Straßendeckel anheben musste, um hinunterzusteigen.

Aber Sie sind nicht in Rom geblieben. Warum?

Ich fühlte mich zunächst sehr wohl in Rom, jedoch gab es damals im Kolleg eine Art Karrierismus. Die Seminaristen dachten alle, sie werden später einmal Bischof oder Regens. Diese Atmosphäre konnte ich plötzlich nicht mehr ausstehen. Ein guter Freund von mir schrieb mir in den Ferien, er werde zu den Jesuiten gehen; er war ein Schweizer, der auch im Germanicum studierte. Zunächst versuchte ich ihn zu überreden, das nicht zu machen. Dann merkte ich, dass er dabei war, mich zu überzeugen. Wir sind dann beide zusammen eingetreten. Er hat sein Noviziat in Innsbruck gemacht, ich habe es 1981 in Belgien begonnen. Und wir sind auch beide noch immer im Dienst.

Und was haben Ihre Eltern dann gesagt?

Sie waren sehr bestürzt und wussten nicht genau, was das bedeutet. Bei »Pater« und »Orden« dachten sie an die Benediktiner der Abtei in Clerf und konnten sich mich in der Kutte wohl nicht vorstellen. Wie kann man Rom verlassen, um in einem entlegenen Nest in Belgien sein Noviziat zu machen, haben sie gefragt. Sie haben mir aber die Entscheidung überlassen.

Wie würden Sie rückblickend den Katholizismus Ihrer Kindheit und Jugend beschreiben?

Wenn ich zurückblicke, war es eine Welt mit vielen Rissen, wo nur noch die Fassade stand. Aber mir hat das damalige katholische Leben gutgetan. Ich konnte als Messdiener den Unterricht verlassen, um bei Beerdigungen oder Bittprozessionen zu ministrieren. Das war ganz normal, obwohl es keine katholische Schule war. Vielleicht haben es auch einige schon damals nicht mehr als normal angesehen.

Aber es gab eben doch eine katholische Prägung eines gewissen Milieus in Luxemburg, das heute verschwunden ist.

Es gab noch Versatzstücke dieser katholischen Welt, die mich geprägt haben, die ich in mir trage, die sich aber verändert haben. Als Ministrant war ich stolz darauf, wenn ich die Laterne tragen durfte, vor der Monstranz – und das waren keine leichten Dinger so wie heute. Ich hatte dann eine Woche Rückenschmerzen vom Tragen, war aber stolz auf die Schmerzen. Ich konnte ganz nah bei Jesus gehen, so war mein tiefes Empfinden. Ich fühle noch immer dieselbe Liebe zum Sakrament. Ich würde auch heute noch die Laterne beim Allerheiligsten tragen. Und als Bischof, wenn ich die Pontifikalliturgie feiere, habe ich seit einiger Zeit auch wieder Rückenschmerzen. Schon allein mit dem Evangelienbuch zu segnen, ist anstrengend. Ich tue es noch immer gerne, aber die Welt um uns ist heute eine völlig andere.

Wie kam es denn, dass der Bischof Sie nach Rom geschickt hat?

Vielleicht weil ich gute Noten hatte. Ich bin im Gymnasium auch einmal durchgefallen. Aber nachher war ich immer Klassenbester, in den Sprachen, in Geschichte und in den Humanwissenschaften. Einmal habe ich bei einem Aufsatzwettbewerb sogar eine Reise nach Paris gewonnen.

Wenn wir Ihre Erfahrungen auf die heutige Situation der Ausbildung von Priestern beziehen, zu der sich Papst Franziskus mit Sorge geäußert hat: Wo liegen die Schwierigkeiten?

Es gibt in der Tat gravierende Probleme bei der Priesterausbildung. Junge Priester konzentrieren sich beispielsweise zu sehr auf die Liturgie und auf eine bestimmte Vision des Priestertums, von der sie alles ableiten, wozu sie sich berufen fühlen. Ich denke, das ist zu wenig. Wir müssen das Priesteramt wieder verstärkt von der Idee des Dienstes her verstehen. In der heutigen Kirche gibt es zum einen das traditionelle, ordinierte Amt, das von anderen Ämtern unterschieden werden muss. Aber die ordinierten Ämter müssen im gleichen theologischen Horizont wie die anderen Ämter interpretiert werden. Und obwohl die Leitung der Gemeinde zum ordinierten Amt gehört, muss das wichtigste Amt der Dienst des Wortes sein. Und der beschränkt sich nicht auf die Liturgie! Nur wer sein Leitungsamt unterordnet unter den Dienst an Gottes Wort, kann die Gemeinde wahrhaft leiten. Sonst verfällt man in Klerikalismus.

Und was meinen Sie mit dem Wort »Dienst«?

Dienst geschieht aus Liebe. Ich kann Christus nicht lieben, ohne die Menschen zu lieben. Wenn ich Jesus liebe, muss ich alle Männer und Frauen lieben, die seine Brüder und Schwestern sind. Egal ob sie mir ähnlich sind oder ob sie mir gleichgültig sind: Ich muss ihnen zu Diensten sein.

Zurück nach Rom: Haben Sie damals während Ihrer Ausbildung schon kirchenkritische Stimmen wahrgenommen?

Die gab es wahrscheinlich schon, aber nicht in der luxemburgischen Provinz. Bei uns war das konservative Milieu noch bestimmend. Ich habe als Ministrant noch bei der Tridentinischen Messe gedient und war ganz entsetzt, als sich das änderte, wo ich doch gerade die Gebete auswendig gelernt hatte. Ein Volksaltar kam erst, als ich fünfzehn Jahre alt war.

Haben Sie die Zeit nach dem Konzil nicht als Aufbruch erlebt?

Doch, ich bin dann sogar ungeduldig geworden. Ich hörte, dass sich überall in Luxemburg etwas ändert, nur bei uns noch nicht. Als dann ein neuer Pfarrer kam, war ich sehr froh. Ich konnte dann Jugendgottesdienste vorbereiten und habe einen Jugendverein gegründet. Ich fand die Entwicklung sehr spannend. Mit 16 Jahren habe ich Gruppen für ein Bibelgespräch organisiert. Unser Dechant hat mich das alles machen lassen, dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar. In der Schule haben wir noch den Katechismus gelernt. Aber dann kam der Kaplan plötzlich mit Hose und Sakko und nicht mehr in Soutane zur Schule: Da standen wir alle am Fenster und haben verdutzt dreingeschaut.

Was ist eigentlich Ihre Muttersprache?

Lëtzebuergesch!