Was bitte schön ist Burnout? - Christel Frey - E-Book

Was bitte schön ist Burnout? E-Book

Christel Frey

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Beschreibung

Stress beginnt im Kopf und von dort breitet er sich unaufhaltsam im ganzen Körper aus. Er verkrampft die Muskeln, schwächt das Herz, reizt den Darm und blockiert das Denken. Er führt nicht nur zur Zivilisationskrankheit BurnOut, sondern kann tatsächlich tödliche Folgen haben. Warum leiden so viele Menschen unter dem krankmachenden Stress? Weshalb fühlen sich so viele Menschen diesem Stress hilflos ausgeliefert? Warum warten so viele Menschen viel zu lange, bis sie etwas dagegen tun? In ihrem Buch erklärt die promovierte Diplom-Psychologin haarklein die Entstehung von Stresserkrankungen. Auf unterhaltsame Weise zeigt sie viele Wege aus der Misere – bis hin zur Kunst, ein stressfreies Leben zu führen.

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„Mehr als 1000 Sitzungen haben mir

gezeigt, dass mindestens 50 Prozent der BurnOut

Erkrankungen vermeidbar sind.“

DANKE

Ich habe so vielen Menschen DANKE zu sagen: Meiner Familie, meinen Freunden, meinen Kollegen und Kolleginnen, meinem gesamten Instituts-Team, das mit viel Liebe und Engagement an der Buchgestaltung beteiligt war, und natürlich all den Menschen, denen ich auf ihrem Weg zu einem möglichst stressfreien Leben beistehen durfte.

Danke allen für ihr Vertrauen, für ihre Treue, ihre emotionalen, kreativen und geistvollen Inspirationen und ganz besonders für ihr Lachen und ihre Leichtigkeit. Sie alle haben mich reicher gemacht. Danke

TEXT

Dr. Christel Frey

ILLUSTRATIONEN

Natascha Brändli

© VG Bild-Kunst, Bonn 2016

UMSCHLAG-/BUCHGESTALTUNG

Schwab// Schilling

INHALT

VORWORT UND ÜBERBLICK

1.1 Bin gestresst!

1.2 Denkende Zellen

ERKENNEN UND VERSTEHEN

Das menschliche System

2.1 Rationale versus instinktive Klugheit

2.2 Automatisierung

2.3 Geniale Reizverarbeitung

2.4 Rätselhaftes System Mensch

2.5 Moderne Menschen - moderne Gefahren

2.6 Komplexes Gehirn

DENKEN FÜHLEN HANDELN

Der Mensch als Einheit

3.1 Vier-Ebenen-Modell

3.2 Ganzheit der Stress-Störung

3.3 Welt voller Gefahren

3.4 Fünf Stressfallen

STRESSFALLEN VERMEIDEN

Verhalten erarbeiten

Gesundheit verbessern

4.1 Am Anfang steht die Unruhe

4.2 Amygdala-Focussing-Konzept

©

4.3 Das I-A-S-Kommunikations-Balance-Modell

®

4.4 Zufriedenheit – ein inniges Gefühl

4.5 Amygdala-Focussing-Konzept

©

– Kür

AUSBLICK POSITIVES ANSTECKEN

STATT EINES NACHWORTS

Amygdala, die stille Königin und der laute Stress

Literatur

1

VORWORT UND ÜBERBLICK

Die reinste Form des Wahnsinns ist es,

alles beim Alten zu belassen und zu hoffen,

dass sich etwas bessert.

Albert Einstein

Ich werde sehr häufig gefragt, ob ein Mensch sein Verhalten wirklich verändern kann. Eine Frage mit dem Beigeschmack einer nicht wirklich erwarteten Antwort, denn dahinter versteckt sich meistens eine vorgedachte Antwort wie zum Beispiel: „Das ist doch nicht wirklich möglich!“

Und noch eine Frage: Hilft eine dicke Haut, uns vor Stress zu schützen? Klare Antwort: Nein, auch die hilft uns nicht wirklich.

Der Königsweg ist unser Verhalten zu verbessern und uns damit vor krankmachendem Stress zu schützen. Was Sie dazu wissen sollten und wie das genau geht, erfahren Sie in meinem Buch.

Vielleicht fällt es Ihnen mit einer wissenschaftlichen Unterstützung leichter zu glauben, dass wir uns wirklich verändern können. Hier ist sie:

„Die Genetik gibt den Bauplan vor, aber was ausgebildet wird an Schaltkreisen hängt von Erfahrungen ab.“

Prof. Christine Heim

Institut für Medizinische Psychologie

Berliner Charité

Stress ist heute einer unserer größten und gefährlichsten Feinde. Mit neuen Erfahrungen schaffen Sie es, die Schaltkreise in Ihrem Kopf auf Übersicht, Besonnenheit und auch Gelassenheit zu halten. Dann könnte auch Sie die Frage: „Was bitte schön ist BurnOut?“ bald zum Schmunzeln bringen!

1.1

BIN

GESTRESST

Ein Button mit dem Aufdruck „Bin gestresst“ könnte der Renner sein. Sozusagen ein Erkennungszeichen fürs In-Sein.

Stress zu haben scheint schick zu sein, und der Satz „Ich hab´ Stress!“ kommt den meisten Menschen inzwischen ganz locker über die Lippen. Ein großer Teil der Menschen denkt sich nichts dabei. Bei einem immer größeren Teil steht hinter dem Stress-Outing die Botschaft: „Seht her, wie viel ich arbeite!“ Das wäre ja nicht schlimm, wenn es nicht schlimm weitergehen würde. Diesen Menschen ist nicht bewusst, welche vielfachen negativen Auswirkungen Stress hat! Fakt ist: Stressbedingte Störungen haben Hochkonjunktur und die Ausfälle wegen BurnOut häufen sich.

Denn Stress kommt niemals allein! Vergessen Sie den Satz: „Ein bisschen Stress schadet doch nicht!“ oder sogar: „Ein bisschen Stress ist gesund!“

Jetzt muss ich leider auch in die „Schlechte-Botschaft-Kiste“ greifen. Stress hat eine ganze Menge unangenehmer und gefährlicher Begleiterscheinungen im Gepäck:

Bluthochdruck, Magen-Darm-Beschwerden, multiple Verspannungen am ganzen Körper, Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Diabetes mellitus Typ 2, um nur die Häufigsten zu nennen.

Insgesamt schwächt Dauerstress empfindlich unser Immunsystem. Das kann zu dramatischen sekundären gesundheitlichen Folgen führen. Ein Körper, dessen Immunsystem heruntergefahren ist – und der somit seine Abwehr nicht mehr unter Kontrolle hat –, bietet Bakterien und Viren eine willkommene Brutstätte. Sogar Lebensmittelallergien und noch vieles mehr können eine Folge von langanhaltendem Stress sein. Und dramatisch kann es werden, weil auch Krebszellen in einem stressgeschwächten Körper leichteres Spiel haben. Der wissenschaftliche Verdacht, dass auch die Alzheimerplage in engem Zusammenhang mit zu vielen dauerhaften Stresserlebnissen steht, verhärtet sich immer mehr.

Dagegen sind viele weitere Formen von Dauerstress noch das kleinere Übel: Hilflosigkeit und Abgeschlagenheit, Egoismus und Aggressivität, Lernschwierigkeiten, eingeschränkte Denkfähigkeit und auch Impotenz und generelle Unlust am Austausch von Zärtlichkeiten!

Sie glauben das nicht? Sie verstehen das nicht? Bluthochdruck, Diabetes und jetzt auch noch Impotenz unter dem Alibi-Label „stressbedingt“?

Während es inzwischen fast eine Binsenweisheit ist, dass zu viel Stress psychosomatisch krank macht und damit auch ernste, als rein körperlich klassifizierte Erkrankungen zur Folge haben kann, wird über die eingeschränkte Lernfähigkeit als Wirkung von Stress weit seltener berichtet. Worüber auch landauf, landab geklagt wird, sind die sich deutlich bemerkbar machenden Denkeinschränkungen: Sich schlecht erinnern, vergessen, Dinge durcheinanderbringen, verminderte Aufnahmefähigkeit und so weiter. In der Regel werden diese kognitiven Störungen von der Angst vor einer schleichenden Alzheimerkrankung begleitet.

Die meisten Menschen wissen nicht, dass zwischen Stress, Angst, rezidivierenden Infekten und kognitiven Leistungseinbußen direkte Zusammenhänge bestehen.

Und wie sieht es mit der sexuellen Potenz aus? Stress und Lust auf Sex sind zwei sich weitgehend ausschließende Zustände. Aus Stresssicht ist für unseren Körper die sexuelle Potenz zu vernachlässigen, weil die Stressreduzierung biologisch die höhere Präferenz hat. Und so erklärt sich die recht häufig auftretende Impotenz – insbesondere bei stressgeplagten Männern. Nicht umsonst hat Viagra Hochkonjunktur. Aber auch gestressten Frauen vergeht die Lust auf Sex. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die „Pink Pille“ gegen die sexuelle Unlust der Frauen ebenfalls auf den Markt kam.

Ich bin sicher, dass die gesamte Bandbreite der Stress-Begleiterscheinungen betroffene Menschen, ganze Familien und die gesamte Gesellschaft und das Wirtschaftssystem stark belastet.

Fazit: Begeben Sie sich in eine stressfreie Lebenszone. Das geht leider nicht von jetzt auf nachher, auch nicht von Zauberhand. Aber es geht mit vielen kleinen Schritten. Jeden Tag eine Stresssituation weniger.

Ein toller Vorsatz.

Wichtiger Hinweis:

Nachfolgend wird immer wieder von der „Amygdala“ die Rede sein. Stresserleben und Amygdala sind untrennbar miteinander verbunden. Deshalb kommt der Amygdala bei der Stressbewältigung DIE zentrale Rolle zu. Die Amygdala wird als diejenige Hirnstruktur betrachtet, die für jede emotionale Einfärbung von Informationen zuständig ist. Ihre Hauptaufgabe wird heute darin gesehen, insbesondere gegen Angst sehr schnell sogenannte Rettungsaktionen – durch die Freisetzung von Stresshormonen – einzuleiten.

(Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000).

Die Funktion der Amygdala erkläre ich gesondert am Schluss im Kapitel 6, statt eines Nachwortes.

Wenn Sie sich dafür interessieren, können Sie natürlich jetzt schon die letzte Seite aufschlagen und die Amygdala näher kennen lernen.

1.2

DENKENDE

ZELLEN

Unsere Zellen sind ständig in Kontakt mit der Außenwelt, nehmen Störungsfelder wahr und machen sich sofort an die Arbeit, diese zu beseitigen, um den Körper so schnell wie möglich wieder in ein Gleichgewicht zu bekommen. Dieser Prozess ist als Homöostase bekannt, die Selbstregulation von offenen Systemen. Im eigentlichen Sinne ist wahrgenommener Stress genau diese „Reparaturarbeit“ unserer Zellen. Stresshormone verengen die Blutgefäße und reduzieren somit die Funktionsfähigkeit unseres Gehirns. Dauerstress mindert die bewusste Wahrnehmung und dies wiederum mindert die Intelligenz (Takamatsu et al., 2003). Kinder mit einem hohen Angstniveau sind nicht dumm, sie werden dumm!

In diesem Sinne hat auch der Arzt Hans Selye (1984), der als „Vater der Stressforschung“ gilt, Stress verstanden. Die auslösenden Situationen sind der Anlass dafür, dass der Körper mit einer Energiebereitstellung reagiert. An diesem Prozess sind unzählige verschiedene Reaktionsabläufe beteiligt. Bewusst nehmen wir nur den viel kleineren Teil der kompletten Stressreaktion wahr. Erst die emotionale und die körperliche Ebene gelangen in unser Bewusstsein: Anspannung, Erregung, Angst, starkes Herzklopfen und so weiter. Millisekunden vorher ist aber schon eine dramatische Rettungsaktion in uns abgelaufen, die wir nicht bewusst mitbekommen. Aber genau diese Stressreaktion macht uns krank, wenn der Körper dieses Schutzsystem häufig hochfahren muss, weil er von uns Gefahrenmeldungen erhält, wie z. B. den Satz: „Ich halt´ das nicht mehr aus!“ An diesem kleinen Beispiel können Sie ermessen, wie anstrengend es für unseren ganzen Körper ist, wenn in uns der Teufel los ist.

Genauer: Im ersten Änderungsschritt geht es darum, unseren Körper mit den auslösenden Körperreaktionen früher und besser wahrzunehmen, im zweiten um das Erkennen der Reaktionsauslöser und im dritten Schritt um die Veränderung alter Bewertungsmuster.

Es geht um das Mitspracherecht der rund 100 Billionen Zellen in unserem Körper.

Wissenschaftlich wird diese Aktivierung das „HHNNR-System (Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde-System)“ genannt. Lipton nennt diesen Prozess die Biologie der Selbstverteidigung.

Heute wissen wir weit mehr über Stress und seine körperlichen und gesellschaftlichen Folgen. Ich glaube, dass der gesamte systemische Gesunderhaltungsprozess unseres menschlichen Systems das größte Zauberprojekt ist, das die Natur geschaffen hat. Je mehr solcher Geheimnisse uns die moderne zellbiologische Wissenschaft eröffnen kann, umso mehr wächst meine wissenschaftliche Bewunderung für unser menschliches System.

Leider haben viele Menschen Schwierigkeiten, mit ihrem Körper auf Du-und-Du zu stehen und ihn wahrzunehmen, ihn wertzuschätzen und zu lieben.

Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge könnten unsere Zellen 120 Jahre alt werden und dabei relativ gesund bleiben – vorausgesetzt, wir pfuschen ihnen nicht allzu oft und mit all zu vielen Stressauslösern in ihre kluge Naturarbeit.

Als psychologische Praktikerin würde ich dieses Buch nicht schreiben, wenn ich nicht die Erfahrung – und damit die Gewissheit – hätte, dass wir unseren Körper gesund erhalten können. Es ist möglich, auch in der heutigen Zeit viel zu arbeiten, aktiv zu sein, mitzumischen ohne viel Stress zu produzieren und somit BurnOut und andere stressbedingte Störungen und Erkrankungen zu vermeiden. Dafür müssen wir etwas tun! Wenn wir Kopf und Bauch – Instinkt und Geist – zusammen arbeiten lassen und nicht beide gegen einander ausspielen, ist das der wesentliche Schritt in die richtige Richtung.

Vor rund sieben Jahren habe ich begonnen, mich mit den Ergebnissen der Neurowissenschaft intensiv zu beschäftigen. Ich habe diese neuen Erkenntnisse über das so geniale menschliche System in meine pragmatische therapeutische Feldarbeit integriert. So ist mein „Amygdala-Focussing-Konzept©“ (siehe Seite →) entstanden. Es geht dabei um das biologische Konzept der Selbstverteidigung. Bei allen wahrgenommenen Reizen nimmt die Amygdala in unserem Gehirn (Limbisches System) eine zentrale Steuerungsfunktion wahr. Sie leistet eine permanente Differenzierungsarbeit: „Gefahr Ja-Nein?“ Die Bewusstmachung dieses Prozesses ist der Dreh- und Angelpunkt des „Amygdala-Focus-sing-Konzepts©“. Bei allen Säugetieren, also auch bei uns Menschen, wird das Balancepaar Wachstum auf der einen und Schutzverhalten auf der anderen Seite biologisch vom Gehirn gesteuert.

Droht keine Lebensgefahr, können unsere Milliarden Zellen ungehindert Wachstums- und damit Gesundheitsarbeit für unseren Körper leisten.

Das „Amygdala-Focussing-Konzept©“ hat in der Zwischenzeit seine Praxisprobe bei vielen ganz unterschiedlichen Menschen – jung und älter, Frauen und Männer, Handwerker, Lehrkräfte, Künstler und Führungskräfte bis in die höchsten Führungsebenen – mit ganz unterschiedlichen stressbedingten Störungen bestanden. Um die wichtigsten zu nennen: BurnOut, akute und chronische Belastungs- und Überforderungsstörungen, das immer noch mysteriös erscheinende Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS), Fibromyalgien und auch spezifische und unspezifische Angstsyndrome sowie Depression.

Gleichzeitig wurde das „Amygdala-Focussing-Konzept©“ auch mein neues Lebenskunst-Projekt:

“So wenig Stress wie möglich.”

„So viel konstruktive Lebensfreude wie möglich.“

Es ist mir eine Freude, dieses Wissen an meine Leserinnen und Leser weiterzugeben. Zunächst muss jeder Mensch sich selbst liebevoll annehmen. Dann erst gelingt es, auch mit anderen Menschen wertschätzend umzugehen. So mein Ansatz, der untermauert wird von dem von mir entwickelten I-A-S-Kommunikations-Balance-Modell®.

Ich bin sicher, dass auch Sie – wie viele der Menschen, mit denen ich arbeiten durfte – davon begeistert sein werden, wie gesund und zufrieden es sich stressfrei lebt.

Sie können dem Stress seine zerstörerische Macht nehmen.

Damit werden Sie selbst mächtig

Damit erleichtern Sie Ihr Denken

Damit bleiben Sie gescheit

Damit erhalten Sie sich gesund und potent

Damit gelingt Leben

2

ERKENNEN UND VERSTEHEN

DAS MENSCHLICHE SYSTEM

Klugheit steckt nicht in den Jahren,

sondern in unserem Kopf.

Armenisches Sprichwort

2.1

RATIONALE

VERSUS

INSTINKTIVE KLUGHEIT

Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der rationalen und der instinktiven Klugheit genau zu erkennen, müssen wir einen Blick in unser Gehirn werfen. Denn dort haben beide Klugheiten ihren Sitz. Sie brauchen zum Erkennen Energie und beide haben einen direkten Einfluss auf die Steuerung unseres Körpers – auf die Atmung, den Herzschlag, die Verdauung, die An- und Entspannung, den Schlaf und vieles, vieles mehr.

Allerdings sind die Unterschiede zwischen den beiden Klugheiten unserer Gehirnteile sehr groß.

Pauschal – und zugegeben etwas flapsig ausgedrückt – kann die instinktive Klugheit unser Leben retten und die rationale Klugheit unsere Umwelt zerstören.

So gesehen haben Stress und Angst eine direkte Verbindung. Bei Menschen, die unter Stress stehen, übernimmt zunächst die instinktive Klugheit die Regie. Millisekunden bevor unsere rationale Klugheit über eine Gefahr nachdenkt und hoffentlich zu klugem (rational gesteuertem) Handeln führt, hat die Amygdala in Zusammenarbeit mit dem Hippocampus (beide sind Teile des Limbischen Systems) schon instinktiv reagiert und uns das „Warn-Hormon“ Adrenalin ausgeschüttet, das den Körper zu einer potentiellen Flucht- oder Kampfreaktion befähigen soll. Die instinktive Botschaft könnte in etwa lauten: „Vorsicht! Vergewissere dich! Da scheint eine Gefahr zu lauern!“ Erst Millisekunden später kommt die wahrgenommene vermutete Gefahr über die Sehrinde in unser Bewusstsein und die rationale Klugheit muss jetzt die weiteren Schritte unseres Handelns bestimmen.

Beim Prozess des Erkennens und Verstehens müssen wir den instinktiven Bereich zunächst verlassen und uns ausschließlich auf die rationale, sachliche Sicht konzentrieren. Zunächst heißt es, sich Fakten zu beschaffen und diese zu ordnen.

Stattdessen bleiben Menschen allzu häufig in ihrer Angst gefangen und stellen sich Fragen wie zum Beispiel diese: „Was ist bloß los mit mir? Warum ich? Womit hab ich das verdient?“

Fragen, die viele Male tagtäglich gestellt werden, aber ohne Antworten bleiben. Diese Antworten aber wären wichtig, um die vorhandenen Probleme zu verstehen und zu einer rationalen Lösung zu führen.

Wer bewertet, ohne zu erkennen, kann auch nicht rational klug handeln.

Als direkte Konsequenz kann ohne Erkenntnis auch keine Veränderung oder Verbesserung stattfinden.

Stattdessen berufen sich Menschen häufig auf ihre instinktive Klugheit – womit sie auf ihr „Bauchgefühl“ verweisen. Gegen diese instinktive Bauchklugheit hat die rationale Klugheit oft keine Chance. Die Menschen bleiben in ihrer instinktiven Angst gefangen. Die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach soll einmal gesagt haben, dass Menschen das Gescheite, das sie nicht kennen, am liebsten dumm nennen.

Wenn Menschen sich emotional be- und getroffen fühlen, ist ihr Blickwinkel sehr stark vernebelt. Sie sind gedanklich eingeengt, einseitig, und sie verwechseln und verzerren häufig Tatsachen.

Wenn der Kopf abgekühlt ist, die Augen „reingewaschen“ sind und das Herz wieder normal schlägt, ist die Beantwortung dieser Fragen der nächste Schritt:

Was genau stresst mich?

Ist meine Angst rational begründbar?

Wie kann ich aus der Stressspirale aussteigen?

2.2

AUTOMATISIERUNG

Für einen sicheren Überlebensschutz hat sich die Natur viel einfallen lassen. Zum Beispiel die Fähigkeit, wichtiges Verhalten zu automatisieren, das heißt, bei Eintreffen eines Gefahrenreizes blitzschnell instinktiv zu reagieren.

Biologisches Schutzgesetz: „Reagiere erst und lerne später!“

Sie sehen, für die Natur scheint bei einer bestehenden Gefahr der Überlebensschutz wichtiger zu sein, als „klug“ gefressen zu werden. Wenn also ein Löwe plötzlich vor Ihnen auftauchen sollte, können Sie sich auf Ihre instinktive Reaktion voll verlassen. Dann ist nur Flucht, Kampf oder Totstellen die lebensrettende Lösung. Sie werden nicht herumstehen und sich fragen, ob der Löwe vielleicht doch so anständig (sozialisiert) ist und sie nicht fressen wird. Wie gut, dass uns unser Naturinstinkt von solch unklugen Handlungen abhält.

Aber was, wenn uns einige Automatisierungsprozesse mehr schaden als nutzen? Was, wenn wir zwar instinktiv klug, aber rational dumm handeln? Was, wenn wir einen uns nicht so gut gesinnten Menschen mit einem Löwen verwechseln? Wenn wir dann die instinktive Flucht-oder Kampfhandlung priorisieren und das kommunikative Kampfbeil auspacken oder – so ganz nebenbei – beim Fliehen noch die Tür zuknallen lassen?

Hier die Antwort: Für unser Gehirn ist Gefahr gleich Gefahr.

Die Rettung folgt auf dem Fuße.

Die Automatisierung läuft.

Alarmlampe leuchtet.

Stresshormone überströmen unseren Körper.

Vernunft ist ausgeschaltet.

Damit steht fest, dass wir zwischen gefährlichen Tieren und gefährlichen Menschen unterscheiden müssen.