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Sieben Jahre Wirtschaftskrise. Sieben Jahre Beruhigungsrhetorik und Durchhalteparolen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Höchste Zeit für einen neuen Blick auf die Erschütterungen, die Banken und Börsen, Währungen und Gesellschaften seit 2008 an den Rand des Abgrunds drängen. »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« zeigt, dass Bertolt Brechts Werk einen solchen Blick auf die Wirtschaftskrise bereithält. In sechs Lektionen versammelt das Brevier literarische, aphoristische und publizistische Texte Brechts, die – obgleich vor mehr als einem halben Jahrhundert entstanden – wie Analysen und Kommentare zu den ökonomischen Turbulenzen der Gegenwart erscheinen.
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Seitenzahl: 97
Acht Jahre Wirtschaftskrise. Acht Jahre Beruhigungsrhetorik und Durchhalteparolen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Höchste Zeit für einen neuen Blick auf die Erschütterungen, die Banken und Börsen, Währungen und Gesellschaften seit langem an den Rand des Abgrunds drängen. »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« zeigt, dass Bertolt Brechts Werk einen solchen Blick auf die Wirtschaftskrise bereithält.
In sechs Lektionen versammelt das Brevier literarische, aphoristische und publizistische Texte Brechts, die – obgleich vor mehr als einem halben Jahrhundert entstanden – wie Analysen und Kommentare zu den ökonomischen Turbulenzen der Gegenwart erscheinen.
Bertolt Brecht, geboren 1898, gestorben 1956, ist einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.
Bertolt Brecht
»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«
Das Brecht-Brevier zur Wirtschaftskrise
Herausgegeben und
Die Texte des vorliegenden Bandes sind der 30-bändigen Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Werkausgabe entnommen: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bände (in 32 Teilbänden) und ein Registerband. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1989-2000. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag. Die Zahlen in den Klammern beziehen sich jeweils auf die Bandnummer und die entsprechende Seitenzahl.
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4653.
© Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag
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Acht Jahre Wirtschaftskrise. Acht Jahre Katastrophenmeldungen. Acht Jahre Beruhigungsrhetorik und Durchhalteparolen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Höchste Zeit für einen neuen Blick auf die Erschütterungen, die Banken und Börsen, Währungen, Ökonomien und ganze Gesellschaften seit 2008 ergriffen und im Leben vieler Menschen große Verheerungen angerichtet haben.
Der vorliegende Band gewinnt einen solchen neuen Blick auf die Krise aus dem Werk Bertolt Brechts, aus Gedichten und Stücken, publizistischen Stellungnahmen und theoretischen Überlegungen, Kurzprosa und Romanentwürfen, nachgelassenen Skizzen und verstreuten Notizen. Er versammelt Texte aus fünf Jahrzehnten, der älteste stammt aus dem Tagebuch des fünfzehnjährigen Brecht von 1913, der jüngste aus dem Protokoll von Probenarbeiten am Berliner Ensemble in seinem Todesjahr 1956. Die meisten der Texte sind umfangreichen Werken entnommen, sie wurden für dieses Brevier also ›aus dem Zusammenhang gerissen‹; Brecht hätte das zweifellos begrüßt: »Sätze von Systemen hängen aneinander wie Mitglieder von Verbrecherbanden. Einzeln überwältigt man sie leichter. Man muß sie also voneinander trennen. Man muß sie einzeln der Wirklichkeit gegenüberstellen, damit sie erkannt werden.«
So ratlos die Krisendiagnostik und so wirkungslos das Krisenmanagement in den vergangenen Jahren gewesen ist – ein Band wie der vorliegende wirft die Frage auf, ob Brecht uns in der gegenwärtigen Situation tatsächlich weiterhelfen kann. Vermag er, geboren am Ende des 19. Jahrhunderts, die ökonomischen Turbulenzen und sozialen Tragödien am Beginn des 21. Jahrhunderts zu erhellen? Er, dessen Verständnis des Kapitalismus sich in einer Zeit herausgebildet hat, in der es weder Hedgefonds oder den automatisierten Handel der digitalen Ära gab noch die Europäische Union oder das Modell der sozialen Marktwirtschaft? Hat er, der sich selbst schlicht als ›Stückeschreiber‹ sah, etwas zu der Krisenspirale zu sagen, in die die Wirtschaft sechs Jahrzehnte nach seinem Tod geraten ist?
Sicherlich nicht, wenn man sich von Brechts Texten die durchschlagenden Lösungen der Krise erhofft, die Politiker, Ökonomen und Wirtschaftsakteure bislang nicht zu liefern vermochten. Durchaus aber, wenn man sein Werk so liest, wie er selbst es verstanden wissen wollte – als Irritation von Wahrnehmungs- und Denkmustern, als Anstoß, die Mechanismen der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu durchleuchten, als Impuls zum Nach- und Neudenken.
Das Werk Brechts kreist um eine Erfahrung, die er selbst als das Zentralthema von Kunst bezeichnet hat – um die Erfahrung, »daß die Welt aus den Fugen ist«. Anders als viele Künstler des 20. Jahrhunderts nimmt er diese Erfahrung in seinen Texten freilich nicht zum Anlass für Sentimentalität oder Fatalismus. Und anders als es ein hartnäckiges Vorurteil will, tritt Brecht der aus den Fugen geratenen Welt auch nicht mit erhobenem Zeigefinger und simplen Lehrsätzen entgegen. Geprägt wird Brechts Denken und Schreiben von 1916 bis 1956, vom späten Kaiserreich über die Jahre der Weimarer Republik und des Exils bis zur frühen DDR, durch das Projekt einer literarischen Gesellschaftsanalyse, die Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten in sozialen Zusammenhängen aufzeigen soll. In aufklärerischer Absicht erkunden die Werke Brechts das Zusammenleben von Menschen, und das bedeutet spätestens seit der Dreigroschenoper: die Auswirkungen der Wirtschaftsordnung auf die Lebenswirklichkeit. Grundlegend ist dabei das Verfahren der ›Verfremdung‹: »Das Selbstverständliche wird in gewisser Weise unverständlich gemacht, das geschieht aber nur, um es dann um so verständlicher zu machen. Damit aus dem Bekannten etwas Erkanntes werden kann, muß es aus seiner Unauffälligkeit herauskommen; es muß mit der Gewohnheit gebrochen werden, das betreffende Ding bedürfe keiner Erläuterung.«
Im Sinne solcher Überlegungen lenkt Brechts Werk den Fokus auf das nur scheinbar Selbstverständliche wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse, das bei näherem Hinsehen unverständlich, ja, nicht selten unvernünftig erscheint. Es zeigt – in seinen eigenen Worten gesagt – die gesellschaftliche Wirklichkeit »als eine veränderliche und veränderbare«, indem es sich an ihre »Widersprüche« hält. Brechts besonderer Blick für diese Widersprüche ist es, der seinen Texten aktuelle Relevanz verleiht, der sie vielfach – trotz ihrer Entstehung vor über einem halben Jahrhundert – wie Analysen und Kommentare zur gegenwärtigen Wirtschaftskrise und deren weitreichenden sozialen Konsequenzen erscheinen lässt.
Seiner Gedichtsammlung Hauspostille von 1927 hat Brecht den Hinweis vorangestellt, sie sei »für den Gebrauch der Leser bestimmt« und solle »nicht sinnlos hineingefressen werden«. Für das vorliegende Brecht-Brevier gilt dies auch, und es ist darum wie die Hauspostille in ›Lektionen‹ unterteilt, die in unterschiedlichen Situationen das zu erweisen haben, was für Brecht von Literatur unbedingt zu verlangen war, nämlich ›Gebrauchswert‹: Die Texte der Ersten Lektion (»Von der Undurchsichtigkeit der Wirtschaft«) fragen, was von der verbreiteten Auffassung zu halten ist, dass sich das Wirtschaftsgeschehen dem Verständnis und damit der Beeinflussung durch den Menschen entzieht. Die Zweite Lektion (»Die Magie des Marktes«) wirft mit Brecht einen spöttischen Blick auf die populäre Beschwörung der geradezu magischen Kräfte des freien Marktes. Die Dritte Lektion (»Börsenspekulationen und andere Naturkatastrophen«) betrachtet, ob es sich bei den ›Beben‹ der Börse, den ›Stürmen‹ auf dem Finanzmarkt und den ›Dürren‹ der Realwirtschaft tatsächlich um wettergleiche Naturerscheinungen handelt oder um menschengemachte Unfälle. Die Vierte Lektion (»Schuldenmachen und andere Geschäftsmodelle«) besteht in einer kleinen Galerie mit Brecht'schen Darstellungen verschiedener Wege, auf denen man im Kapitalismus zum Erfolg gelangen kann. Wie eine Gesellschaft aussieht, in der viele versuchen, diese Wege zum Erfolg zu beschreiten, führen die Texte der Fünften Lektion (»Die Vermarktung der Gesellschaft«) und der Sechsten Lektion (»Die Ohnmacht der Moral und die Macht der Inszenierung«) vor. Wie Brechts Hauspostille
Für ein bestimmtes Theaterstück brauchte ich als Hintergrund die Weizenbörse Chicagos. Ich dachte, durch einige Umfragen bei Spezialisten und Praktikern mir rasch die nötigen Kenntnisse verschaffen zu können. Die Sache kam anders. Niemand, weder einige bekannte Wirtschaftsschriftsteller noch Geschäftsleute – einem Makler, der an der Chicagoer Börse ein Leben lang gearbeitet hatte, reiste ich von Berlin bis nach Wien nach –, niemand konnte mir die Vorgänge an der Weizenbörse hinreichend erklären. Ich gewann den Eindruck, daß diese Vorgänge schlechthin unerklärlich, das heißt von der Vernunft nicht erfaßbar, und das heißt wieder einfach unvernünftig waren. Die Art, wie das Getreide der Welt verteilt wurde, war schlechthin unbegreiflich. Von jedem Standpunkt aus außer demjenigen einer Handvoll Spekulanten war der Getreidemarkt ein einziger Sumpf.
(22.1: 138f.)
Die kleinen Spekulanten
Wehe! Ewig undurchsichtig
Sind die ewigen Gesetze
Der menschlichen Wirtschaft!
Ohne Warnung
Öffnet sich der Vulkan und verwüstet die Gegend!
Ohne Einladung
Erhebt sich aus den wüsten Meeren das einträgliche Eiland!
Niemand benachrichtigt, niemand im Bilde! Aber den letzten
Beißen die Hunde!
(Die heilige Johanna der Schlachthöfe, 3: 187)
Ziffel
Ich habe weder die Absicht noch die Fähigkeit, ein Bild der plötzlich so erschreckend überhandnehmenden Arbeitslosigkeit und allgemeinen Verarmung zu entwerfen oder gar die sich hier auswirkenden Kräfte aufzuzeigen. Es war das tief Beunruhigende der bedrohlichen Situation, daß nirgends Ursachen zu dieser jähen Verschlechterung der Situation zu entdecken waren.
Wie es schien, war die ganze zivilisierte Welt von unheimlichen Krämpfen geschüttelt, warum, wußte niemand. Die Männer in den Konjunkturforschungsinstituten, die doch über genaue Notierungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Erscheinungen verfügten, zeigten ihren Kopf nur dadurch, daß sie ihn schüttelten. Die Politiker »gerieten in Bewegung« wie die Hausbalken bei einem Erdbeben. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Ökonomen versiegten, dafür wurden unzählige astrologische Zeitschriften gegründet.
Ich machte eine seltsame Beobachtung.
Ich stellte fest, daß das Leben in den Zentren der Zivilisation so verwickelt geworden war, daß auch das beste Gehirn es nicht mehr überblicken und also nicht mehr irgendwelche Voraussagen machen konnte. Mit unserer ganzen Existenz hängen wir allesamt von der Wirtschaft ab und sie ist eine so komplizierte Angelegenheit, daß, sie zu überblicken, so viel Verstand nötig ist, als es überhaupt nicht gibt! Hier hatten die Menschen eine Wirtschaft aufgebaut, die zu überblicken Übermenschen nötig waren!
Der Untersuchung der Situation stellten sich eigentümliche Schwierigkeiten in den Weg. Ich muß hier an eine Erfahrung der modernen Physik denken, den Heisenbergschen Unsicherheitsfaktor. Dabei handelt es sich um folgendes: die Forschungen auf dem Gebiet der Atomwelt werden dadurch behindert, daß wir sehr starke Vergrößerungslinsen benötigen, um die Vorgänge unter den kleinsten Teilchen der Materie sehen zu können. Das Licht in den Mikroskopen muß so stark sein, daß es Erhitzungen und Zerstörungen in der Atomwelt, wahre Revolutionen, anrichtet. Eben das, was wir beobachten wollen, setzen wir so in Brand, indem wir es beobachten. So beobachten wir nicht das normale Leben der mikroskopischen Welt, sondern ein durch unsere Beobachtung verstörtes Leben. In der sozialen Welt scheinen nun ähnliche Phänomene zu existieren. Die Untersuchung der sozialen Vorgänge läßt diese Vorgänge nicht unberührt, sondern wirkt ziemlich stark auf sie ein. Sie wirkt ohne weiteres revolutionierend. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum die maßgebenden Kreise tiefer schürfende Untersuchungen auf dem sozialen Gebiet so wenig ermuntern.
Da sich Übermenschen, fähig, diese Wirtschaft zu überblicken wie sie war, nicht meldeten und gewisse Leute schon vorschlugen, die Wirtschaft selber radikal zu vereinfachen, um sie überblickbar und dirigabel zu machen, fanden in dieser Situation einige Männer Gehör, die ihre Entschlossenheit verkündeten, die Wirtschaft einfach überhaupt nicht in Betracht zu ziehen.
(Flüchtlingsgespräche, 18: 228f.)
Die Leute glauben von allem eben noch Bestehenden, daß wohl ein Grund vorhanden sein müsse, daß es noch bestehe, und der Grund ist doch oft nur der, daß sie dies glauben.
(21: 259)
Die großen Verbrechen sind nur möglich durch ihre Unglaublichkeit. Gewöhnlicher Betrug, einfache Lüge, Schiebung mit einem Mindestmaß an Scham, das trifft viele unvorbereitet. Die subtileren Geister weigern sich, primitiven Betrug zu vermuten, schon mißtrauisch, sind