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Leben ist kompliziert genug – und wer wollte das nicht: einfacher und leichter leben. Oft genügt es schon, die Blickrichtung zu verändern. Manchmal zeigt auch ein bestimmtes Wort oder eine Geschichte, wie es gelingen kann. Wie das geht? Anselm Grün zeigt in diesem Buch praktische Wege, das einfache Leben zu verwirklichen. Er schöpft aus seinem reichen Erfahrungsschatz und lässt seine Fans und prominente Stimmen mit Inspirationen zu Wort kommen. Sie betreffen das Zusammenleben mit anderen, beziehen sich auf das innere Leben ebenso wie auf die äußere Alltagsbewältigung. Erprobte, anschauliche Orientierungen, die alles verändern können: Mit neuen Ritualen von Anselm Grün. Konkret, nützlich, hilfreich.
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Seitenzahl: 170
Ein einfach-leben-Buch
Herausgegeben von Rudolf Walter
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf
Umschlagmotiv: © Greatart - shutterstock
Illustrationen im Innenteil: © Greatart - shutterstock,
© Ihnatovich Maryia - shutterstock
Satz: Gestaltungssaal, Rohrdorf
Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN Print: 978-3-451-03900-3
ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-83501-8
Einleitung
Geh nach innen: Achte auf deine SEELE
Gib dem KÖRPER sein Recht
Baue den STRESS ab, vermeide, was BELASTET
Finde zur eigenen INNEREN STÄRKE
Gib deinem ALLTAG STRUKTUR
Versuche, im HIER UND JETZT zu LEBEN
Vereinfache deine BEZIEHUNGEN
VERZICHTE und LASS LOS: Werde LEICHTER
Pflege DANKBARKEIT, sei ZUFRIEDEN
Lerne zu GENIESSEN und zu GÖNNEN
LEBE mit und in der NATUR
ZUVERSICHT, VERTRAUEN, GLAUBE
Der Autor
Der Herausgeber
Über das Buch
Warum erleben Menschen, die scheinbar alles haben, ihr Leben heute als schwierig? Warum fühlen sich viele innerlich so belastet, zerrissen und unausgeglichen? Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Aber oft liegt es an der hohen Anspruchshaltung, die wir an das Leben haben, an unsere Mitmenschen, an die Gesellschaft und nicht zuletzt an uns selbst. „Selbstoptimierung“ heißt nicht selten die Devise. Doch wer diesem Programm folgt, wird nie ganz zufrieden sein. Denn er könnte immer noch mehr leisten, immer noch besser werden, sein eigenes Profil noch erfolgreicher schärfen. Aber je mehr ich für mich vom Leben erwarte, desto stärker werde ich mich an den tatsächlichen Lebensumständen stoßen, in denen ich mich vorfinde.
Was könnten nun Wege zu innerer Zufriedenheit sein? Gibt es einen Schlüssel, der mir hilft, in größerer Ausgeglichenheit zu leben? Wer so fragt, muss zuerst eine andere Frage stellen: Woher kommt diese hohe Anspruchshaltung vieler Menschen eigentlich? Mein Eindruck: Oft sind die Menschen nicht in Berührung mit sich selbst. Sie spüren sich selbst nicht. Sie haben ihre eigene Mitte verloren. Und so erwarten sie die Lösung ihrer Probleme von außen, von anderen, von Dingen. Manche meinen: Je komplizierter der Weg ist, desto weiter komme ich auf meinem Weg zu meinem Ziel, beliebter, besser, zufriedener oder glücklicher zu werden. Und so vertrauen sie auf Methoden der Selbstoptimierung.
Dabei wäre es so einfach. Es wäre einfach, zu sagen: „Ich bin ich selbst.“ Jesus hat dieses Wort nach seiner Auferstehung gesagt: „Ego eimi autos“ – „Ich bin ich selbst“ (Lk 24,39). Für die stoische Philosophie der Antike bezeichnet „autos“ das innere Heiligtum des Menschen. Es ist der Ort, an dem er ganz er selbst ist und an dem er nicht von außen bestimmt wird. Viele, die die Beziehung zu sich selbst verloren haben, verlagern ihre Erwartung nach außen: Sie schauen auf die Wertungen und Erwartungen anderer und orientieren sich daran. Oder sie erwarten Hilfe von äußeren Events oder erhoffen sich eine Lösung ihrer Probleme durch komplizierte Methoden, wie sie die verschiedenen psychologischen Schulen anbieten. Damit, so meinen sie, könnten sie zu sich selbst finden, in Einklang kommen mit sich und in ihre innere Mitte gelangen. Dann erst, so denken sie, dürften sie sich erlauben, einfach zu sein: Nur durch diese Anstrengung wären sie den Druck los, sich beweisen, sich rechtfertigen, sich darstellen zu müssen.
Dabei übersehen sie etwas Entscheidendes. In ihnen ist der innere Raum schon da, das innere Heiligtum, in dem sie ganz sie selbst sind. Sie brauchen nur den Zugang zu diesem inneren Raum zu finden. Viele sagen: Ich spüre aber diesen Raum nicht. Aber oft hilft es schon, wenn ich mir einfach vorstelle, dass dieser heilige Raum in mir ist. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist, worüber die Welt keine Macht hat. Dort erlebe ich mich einfach als ich selber, als jemand, der bereits einen Wert besitzt und nicht erst noch einen anstrengenden Weg gehen muss, um seine Identität zu entwickeln.
Die Menschen leiden heute nicht nur an der äußeren Unsicherheit, die uns die Medien ständig vor Augen halten: Da ist nicht nur der Krieg in der Ukraine, der Krieg in Palästina, nicht nur unsichere politische Verhältnisse im eigenen Land, nicht nur die Angst vor dem Klimawandel. Viele spüren auch eine Unsicherheit in sich selbst. Ihnen ist nicht klar, wer sie eigentlich sind. So geraten sie in eine Identitätskrise. Sie wissen nicht mehr, wer sie eigentlich sind, was für sie wichtig ist. Diese Identitätskrise wird verschärft durch die sozialen Medien. Da werden ständig andere und immer neue Wege präsentiert, wie man glücklich und zufrieden sein kann. Viele fühlen sich dann gedrängt, diese oft ganz gegensätzlichen Wege auszuprobieren. Und sie kommen dabei doch nicht weiter. Die sozialen Medien laden dazu ein, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Aber je mehr wir dieser Verführung nachgeben und uns an anderen orientieren, desto schlechter fühlen wir uns. Denn es gibt immer Menschen, denen das Leben besser gelingt als uns.
Ein anderer Grund, der das Leben kompliziert macht, ist die Maßlosigkeit. Der hl. Benedikt hat die weise Mäßigung die Mutter aller Tugenden genannt. Seine Regel, die auf dieser Einsicht aufbaut, hat sich über 1500 Jahre gehalten. Wenn wir das, was Benedikt für seine Mönche formuliert hat, ins Heute und für die Bedürfnisse unserer Gesellschaft übersetzen wollten, in der der Konsum eine so große Rolle spielt, würden wir das Konzept des rechtes Maßes wohl als Ideal der Nachhaltigkeit neu formulieren können. Es geht dabei nicht nur darum, umsichtig mit den Ressourcen der Schöpfung umzugehen, damit sie nicht vorschnell verbraucht werden und die Welt dauerhaft Schaden nimmt. Dieses Prinzip eines maßvollen Umgangs gilt vielmehr auch für den Umgang mit den eigenen Kräften. Daniel Hell, ein Schweizer Psychiater, ist überzeugt: Depressionen sind häufig ein Hilfeschrei der Seele gegen maßlose Selbstbilder, gegen die überzogene Vorstellung, wir müssten immer perfekt sein, immer erfolgreich und cool sein, immer alles im Griff haben, immer im Mittelpunkt stehen und von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Die eigene Seele zeigt uns das rechte Maß auf. Wer gegen sein Maß verstößt, wer seine Grenzen nicht akzeptiert, der wird krank. Oder zumindest wird sein Leben anstrengend. Es ist von Unzufriedenheit und innerer Unruhe geprägt.
Das Ziel des einfachen Lebens ist nicht, dass wir uns aus der Zerrissenheit dieser Welt zurückziehen auf das eigene Selbst. Es bedeutet auch nicht, dass wir nur noch auf das Private und rein Persönliche achten. Wir leben mit anderen in einer Welt, und wir sind von dieser Welt abhängig. Aber umgekehrt gilt auch: Wir prägen diese Welt auch selbst mit. Wenn wir einfach leben, dann hat das Auswirkungen auf die Umwelt, und zwar nicht nur auf die Natur, sondern auch auf die Gesellschaft. Der Mediziner Eckart von Hirschhausen verweist auf den Zusammenhang von Innen und Außen, wenn er sagt, dass die klimafreundlichste Art zu leben das einfache Leben sei. Seine einfach aber schlüssig begründete Überzeugung lautet: Wer den spirituellen Weg geht, wer den Mut aufbringt, nach innen zu schauen und im Inneren seinen Halt zu finden, der verbraucht auch im Außen weniger Ressourcen.
Der spirituelle Weg führt nicht nur nach innen, sondern auch in eine neue Solidarität. Den frühen Mönchen wirft man manchmal vor, sie hätten nur auf das eigene Seelenheil geachtet. Doch wenn wir die Vätersprüche aus dem 4. Jahrhundert lesen, dann spüren wir: Diese Einsiedler in der ägyptischen Wüste fühlten sich für die ganze Welt verantwortlich. Ihre Erfahrung: Wenn sie die Dämonen im eigenen Inneren besiegen, dann hat das Auswirkungen auf die Gesellschaft. Denn dann wird ihr Verhalten nicht mehr von Dämonen, von zwanghaften und gierigen Gedanken, beherrscht, sondern von ihnen gehen Freiheit und Liebe aus. Wenn sie am dunkelsten Ort der Welt – die Wüste galt als der düsterste Ort, als der Herrschaftsbereich der Dämonen – dem Licht zum Durchbruch verhelfen, wenn es dort, wo sie wirken, heller wird, dann wird es in der ganzen Welt heller. Das Beispiel der Mönche zeigt, dass wir mit allem, was wir denken und fühlen, und damit, wie wir handeln und wie wir leben, verantwortlich sind für den Zustand der Welt.
Ich selber bin dafür verantwortlich, mit welcher Haltung ich in den Tag hineingehe und wie ich den Menschen begegne. Mein Versuch, in meiner Seele Klarheit zu schaffen, klärt auch etwas in der Gesellschaft. Daher hat unser Versuch, ehrlich und authentisch zu leben, die eigenen Leidenschaften anzuschauen und zu verwandeln, immer auch Auswirkungen auf unsere Umgebung. Jeder gräbt mit seinem Leben eine Spur in diese Welt ein. Und es ist unsere Verantwortung, welche Spur wir eingraben: eine Spur der Unzufriedenheit und Maßlosigkeit, eine Spur der Bitterkeit und Resignation oder eine Spur der Hoffnung und der Liebe, der Barmherzigkeit und Milde.
Wenn mir Menschen von ihrem schwierigen Leben, von ihren Enttäuschungen und Verletzungen erzählen, dann versuche ich ihr hartes Leben mit all den Wunden, die es ihnen geschlagen hat, zu würdigen und zu verstehen. Aber dann sage ich: „Ja, das ist schlimm. Aber jetzt kommt es darauf an, welche Lebensspur Sie jetzt in die Welt eingraben wollen. Wenn Sie sich aussöhnen mit Ihrem Leben, dann können Sie jetzt eine Spur der Milde und der Zuversicht in diese Welt eingraben. Dann leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Humanisierung unserer Welt.“ Gerade alten Menschen, die nicht selten das Gefühl haben, dass sie eine Last sind für die Gesellschaft, versuche ich zu vermitteln, dass sie mit ihrer Lebensspur die Gesellschaft mitprägen. Und die Atmosphäre einer Gesellschaft hängt gerade davon ab, was von den alten Menschen, aber auch von uns allen ausgeht: Bitterkeit oder Barmherzigkeit, Resignation oder Hoffnung, Aggression oder Milde.
In diesem Buch werden zwölf Wege zu einem einfachen Leben beschrieben. Zwölf ist die Zahl der Gemeinschaft. Es gab zwölf Stämme Israels, zwölf Apostel. Die Zahl Zwölf sagt uns: Wir stehen immer in Beziehung zu anderen Menschen, wir leben in Gemeinschaft mit allen Menschen. Wir sind – wie schon Aristoteles sagte – ein „zoon politikon“: also Menschen, die ihre Natur nur in der Gemeinschaft entfalten können. Selbst Menschen, die allein leben, leben auch in der Einsamkeit immer in Beziehung zur Gemeinschaft. Und noch die Art und Weise, wie sie ihre Einsamkeit leben, hat Auswirkungen auf andere, auf die Gemeinschaft, auf die Gesellschaft, auf die Welt, in der sie leben. Wenn wir daher über das einfache Leben sprechen, dann meinen wir nicht den Rückzug ins Private, sondern das Wahrnehmen unserer Verantwortung für die ganze Welt. Allerdings schaut der, der einfach zu leben versucht, nicht ständig auf die ganze Welt. Er muss auch nicht über alles in der Welt informiert sein. Er lebt sein einfaches Leben, aber immer im Bewusstsein seiner Verantwortung für die ganze Welt.
Dieses Buch hat eine Besonderheit darin, dass ich im Folgenden nicht nur meine Gedanken über das einfache Leben entfalte, sondern viele Leser und Leserinnen der Zeitschrift einfach leben einbezogen werden. Sie waren eingeladen, von sich zu erzählen und etwas darüber zu schreiben, was für sie einfaches Leben ist. Es gab sehr viele Reaktionen. Wir haben diese Beiträge, Gedanken, Erfahrungen und Geschichten nach zwölf Wegen geordnet, die sich aus den Texten der Leser und Leserinnen ergeben haben. Aus unterschiedlichen Richtungen führen sie auf das Ziel einer größeren Einfachheit und Leichtigkeit hin. Sie zeigen sehr praktische Wege, wie Einzelne das einfache Leben auf je ihre Weise verwirklichen. Wir hoffen, dass die Leser und Leserinnen gerade auch in den Beiträgen anderer Anregungen entdecken und dazu motiviert werden, selbst Formen eines solchen Lebens auszuprobieren. Alle diese Erzählungen über die persönlichen Versuche, einfach zu leben, beschreiben natürlich keine Norm. Vielmehr zeigen sie gerade in der Fülle der Sichtweisen und in der Vielzahl konkret gelebter Möglichkeiten, wie jeder und jede für sich einen Weg zum einfachen Leben finden kann. Und natürlich handelt es sich um eine aus Umfangsgründen notwendige Auswahl. (Alle Einsendungen finden sich im Internet (vgl. Was mein Leben einfacher macht (herder.de)). Bei manchen Beiträgen habe ich einen kurzen Kommentar oder eine Ergänzung geschrieben, um die Gedanken des Lesers und der Leserin weiter zu entfalten. Andere Texte stehen für sich. Sie bedürfen keines Kommentars.
So wünsche ich den Lesern und Leserinnen, dass sie dieses Buch nicht mit einem schlechten Gewissen lesen, weil sie nicht so einfach leben, wie das in vielen Texten beschrieben wird. Vielmehr wollen die Texte Lust erzeugen, kreativ mit unserem Leben und unserer Lebensweise umzugehen. Es geht nicht um Lebensverneinung, sondern um die Bejahung eines Lebens, das nicht so viel braucht, weil es in sich schon wertvoll und lebenswert ist.
Im Alltag achten wir oft zu wenig auf unsere Seele. Wir tun das, was von uns gefordert wird. Wir versuchen, die Erwartungen von außen zu erfüllen. Und wir sind neugierig, jeden Tag die neuesten Informationen zu lesen oder sie auf dem Smartphone zu verfolgen. Es sind die äußeren Einflüsse, die uns bestimmen und unsere Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen und deren Lärm uns taub macht für die leise Stimme unserer Seele. Von allen Seiten stürmen die Reize fortwährend auf uns ein: Nachrichten, Werbung, Impulse und Anforderungen überfluten permanent unsere Aufmerksamkeit. Doch wenn wir den äußeren Einflüssen zu viel Raum in uns geben, dann führt das zu Unsicherheit, zu Zerrissenheit und zu Orientierungslosigkeit. Die Frage ist, wie wir es lernen können, in all dem Klarheit und inneren Halt zu finden und konzentriert auf die innere Stimme unserer Seele zu hören.
Ein Blick in die Geschichte kann helfen: Der hl. Benedikt fordert den Cellerar, der für die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klosters zuständig ist, auf, er solle immer auf seine Seele achten. Das heißt: Der Cellerar soll vor Beginn der Arbeit auf seine Seele hören, auf die Gefühle und Gedanken achten, die in seiner Seele hochkommen, wenn er nach innen geht. Die erste Bedingung, das Achten auf die eigene Seele zu lernen, besteht darin, innezuhalten, um nach innen zu schauen. In dem Wort „innehalten“ steckt ein schönes Bild: Ich mache Halt in meinen tausend Beschäftigungen und gehe nach innen, um im Inneren die Haltung zu entdecken, die mir Halt geben kann in meinem Leben.
Wenn wir innehalten, melden sich Gefühle zu Wort. Oft sind sie verwirrend. Aber alle Gefühle haben einen Sinn. Sie wollen mir etwas sagen.
Wenn ich in meiner Seele etwa einen Widerstand spüre gegen das, was mich heute bei der Arbeit oder in Begegnungen mit Menschen erwartet, dann ist es gut, die Gründe für den Widerstand zu erforschen. Manchmal ist es die Angst vor bestimmten Arbeiten oder Begegnungen. Dann wäre es gut, die Angst anzuschauen und sich zu fragen: Wovor habe ich genau Angst und warum? Die Angst engt oft unseren Blick ein. Daher ist es gut, bewusst mit anderen Augen auf die Arbeit zu schauen, etwa mit dem Vertrauen, dass meine Arbeit und meine Begegnungen unter dem Segen Gottes stehen.
Auch wenn ich in meiner Seele Ärger und Groll spüre, gilt es, mit meiner Seele ins Gespräch zu kommen. Der Ärger kann ja ein wichtiger Impuls sein: eine Aufforderung dazu, mich besser abzugrenzen gegenüber bestimmten Menschen, oder dazu, die störenden Worte und belastenden Gedanken der anderen nicht in mein Inneres eindringen zu lassen. In diesem Fall ist der Ärger die Kraft, mein Inneres vor unliebsamen Besuchern zu schützen. Der stoische Philosoph Epiktet fordert uns auf, solchen Gedanken und Emotionen anderer den Zutritt in das innere Heiligtum zu verwehren. Auf seine Seele achten bedeutet in diesem Verständnis: durch alle Gefühle und Emotionen hindurchgehen in das innere Heiligtum der Seele, in jenen Raum, der erfüllt ist von Liebe und Frieden und Ruhe.
Auf die Seele achten heißt aber auch, positiv auf die Stimme der Seele zu achten. Die Frage ist, wie ich die Stimme der Seele von anderen Stimmen unterscheiden kann. Die frühen Mönche haben vier Kriterien aufgestellt, um die Stimme der Seele von anderen Stimmen zu unterscheiden: Die Stimme der Seele bewirkt immer Lebendigkeit, Freiheit, Frieden und Liebe. Oft hören wir andere Stimmen in uns, die uns überfordern, die uns antreiben, die uns Angst machen. Für die Mönche sind das die Stimmen der Dämonen. Wir würden heute sagen: Es sind die Stimmen des Über-Ichs. Die Stimmen der Seele betreffen nie nur mich allein, sondern immer auch die Beziehungen zu anderen Menschen. Sie zeigen mir an, ob ich nur um mich selbst kreise oder ob ich offen bin für die Menschen um mich herum. Und sie zeigen mir, in welcher Beziehung ich zu den Mitmenschen stehe. Es gilt dann, nicht nur auf die Gefühle zu hören, sondern sie auch zu reinigen, wenn sie meine Beziehung zu den Mitmenschen trüben. Die stoische Philosophie würde sagen: Die Seele soll einfach werden, „haplous“, ohne Trübungen, ohne Nebenabsichten, klar und mit sich eins.
Schon auf dem Tempel zu Delphi steht das Wort, das seitdem die Philosophie geprägt hat: „Gnothi seauton“ – „Erkenne dich selbst“. Der Anfang echter Philosophie, aber auch authentischer Spiritualität ist die ehrliche Selbsterkenntnis. Doch der griechische Dichter Pindar hat dieser ersten Aufforderung eine zweite hinzugefügt: „Werde, der du bist!“ Es geht also um Selbsterkenntnis und Selbstwerdung. Die erfreuliche Konsequenz: Wenn wir in Einklang kommen mit uns selbst, dann gibt es auch einen Einklang mit anderen Menschen und mit der Natur.
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Es gilt, das Leben als primäres Gut zu achten und es nicht selbstbezogenen oder gesellschaftlichen Zwecken unterzuordnen. Eben: Achte einfach dein Leben, das dir gegeben ist. Dieses Verständnis hat mit der Vorstellung zu tun, dass der Mensch eine Seele hat. Sie ist ihm wie das Leben gegeben. Er kann nur Sorge um sie tragen. Der moderne Mensch versteht sich vielfach anders. Er ist überzeugt, sich selbst gestalten und optimieren zu können. Wenn nicht mehr von einer Seele gesprochen wird, sondern von einem „Selbst“, dann hat das etwas Konstruiertes. Der Mensch versteht sich immer mehr als Macher, als ein Konstrukteur seiner selbst. Aber enthält nicht die Vorstellung der Seele eine tiefere Wahrheit, die dem Erleben des Lebens näher kommt und zu einer humaneren Lebensgestaltung beitragen kann?
„Einfach leben“ fordert zu der Frage auf, was ich nicht nur selbstbezogen will, sondern was mein Leben und meine Seele brauchen, und auch, was das Leben und die Seelen anderer Menschen brauchen, um sich zu entfalten. Das deckt sich nicht mit egozentrischen Wünschen und verwehrt es mir, das Leben als bloße Bio-Aktie zu verstehen, die es mit möglichst großem eigenem Gewinn einzusetzen gilt.
(Daniel Hell)
A. G.: Daniel Hell, ein Psychiater und Psychologe, vermisst, dass man bei der Beschreibung des Menschen heute zu wenig von Seele spricht. Doch es ist die Seele, die den Menschen für Gott und für die Mitmenschen öffnet. Hell betont, dass es beim Reden von der Seele nicht um Selbstoptimierung geht. Die führt oft genug zum erschöpften Selbst. Es geht darum, nicht zugeschüttet zu werden mit Arbeit und Leistungsansprüchen. Wir sollten auch die leisen Impulse verstehen, die unsere Seele gibt, und wahrnehmen, was sie will: immer Lebendigkeit und Freiheit, Liebe und Frieden.
Wie ich die Leichtigkeit immer mehr leben kann? Mein Weg zu diesem Ziel: Ich lerne gerade immer mehr, mich Folgendes zu fragen: Das, was ich tue, ist das gut für mich? Macht es mir wirklich Spaß und tue ich es in Freude? Und ist es zum Wohle aller? Wenn eine innere Stimme, mein „Bauchgefühl“, bei jeder Frage mit einem klaren „Ja“ reagiert, ist es auch sehr leicht, es zu tun. Wenn ein Vielleicht oder gar ein Nein kommt oder sich ein ungutes Gefühl einstellt – dann ist es an der Zeit, zu prüfen: ob es der richtige Zeitpunkt ist, oder ob es aus dem Ego kommt … Manches darf dann einfach nochmals angesehen werden. Gerne auch aus einer anderen Position und mit mehr Abstand.
Seit ich das immer wieder übe – es klappt nicht gleich und sofort –, wird es leichter. (Mit kleinen Dingen anfangen!) Ich mache vieles nicht mehr. Ich werde insgesamt bewusster, spüre: Was will ich wirklich und was tut mir gut? Mit dieser Übung kam die Leichtigkeit immer mehr in meinen Alltag.
(Nadja Satzger)
A. G.: Was Nadja Satzger von ihrer Erfahrung berichtet, entspricht dem, was der hl. Benedikt vom Cellerar fordert: Bei der Arbeit auf seine Gefühle zu achten, bedeutet nicht, dass ich nur das tue, was mir Spaß macht. Aber wenn es mir keine Freude bereitet, wenn ich inneren Widerstand spüre, dann ist das eine Herausforderung, darauf zu reagieren. Entweder ich lasse die Arbeit sein, weil sie gar nicht notwendig ist oder weil sie mir innerlich völlig widerspricht oder weil sie letztlich niemandem dient. Oder aber ich finde eine neue Einstellung. Ich versuche dann, die Arbeit spielerisch zu sehen, als ein Ausprobieren, aber nicht als „herkulische Anstrengung“, wie sie Immanuel Kant von uns fordert. Oder aber ich versuche, mich der Arbeit hinzugeben, mich darin loszulassen. Die Arbeit widerspricht meinem Ego, weil ich darin nicht glänzen kann. Wenn ich mich einfach auf die Arbeit einlasse, ohne Druck, mich be