Was siehst du in der Dunkelheit? Mystic Thriller Großband 3 Romane 11/2021 - Alfred Bekker - E-Book

Was siehst du in der Dunkelheit? Mystic Thriller Großband 3 Romane 11/2021 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Was siehst du in der Dunkelheit? Titel Mystic Thriller Großband 3 Romane 11/2021 von Alfred Bekker, Carol East, Ann Murdoch Über diesen Band: DieserBand enthält folgende Romane: Das Geheimnis der blinden Seherin (Carol East) Die Angst verfolgt dich bis ans Ende (Alfred Bekker) Dunkle Gebete (Ann Murdoch) Die Radiomoderatorin Lynne bekommt den Anruf eines Hörers, der behauptet, die Wiedergeburt eines Serienmörders zu sein. Nur ein verrückter Wichtigtuer? Oder hat eine zweifelhafte Reinkarnationstherapie tatsächlich dazu geführt, dass der dunkle Drang zu töten die Oberhand gewinnt? Bald scheint Lynne selbst in den Fokus des Mörders zu geraten...

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Seitenzahl: 419

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Was siehst du in der Dunkelheit? Mystic Thriller Großband 3 Romane 11/2021

Alfred Bekker et al.

Published by Alfred Bekker, 2021.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Was siehst du in der Dunkelheit? Titel Mystic Thriller Großband 3 Romane 11/2021

Copyright

Das Geheimnis der blinden Seherin: Mitternachtsthriller

Die Angst verfolgt dich bis ans Ende: Romantic Thriller Sonder-Edition

Die Angst verfolgt dich bis ans Ende

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About the Author

About the Publisher

Ann Murdoch Romantic Thriller: Dunkle Gebete

Also By Alfred Bekker

Also By Ann Murdoch

Also By Carol East

Was siehst du in der Dunkelheit? Mystic Thriller Großband 3 Romane 11/2021

von Alfred Bekker, Carol East, Ann Murdoch

Über diesen Band:

DieserBand enthält folgende Romane:

Das Geheimnis der blinden Seherin (Carol East)

Die Angst verfolgt dich bis ans Ende (Alfred Bekker)

Dunkle Gebete (Ann Murdoch)

––––––––

Die Radiomoderatorin Lynne bekommt den Anruf eines Hörers, der behauptet, die Wiedergeburt eines Serienmörders zu sein. Nur ein verrückter Wichtigtuer? Oder hat eine zweifelhafte Reinkarnationstherapie tatsächlich dazu geführt, dass der dunkle Drang zu töten die Oberhand gewinnt? Bald scheint Lynne selbst in den Fokus des Mörders zu geraten...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

© Roman by Author / COVER FIRUZ ASKIN

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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Das Geheimnis der blinden Seherin: Mitternachtsthriller

Carol East

Das Geheimnis der blinden Seherin: Mitternachtsthriller

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Das Geheimnis der blinden Seherin: Mitternachtsthriller

Carol East

Sandra Price tastete über das Foto, ganz vorsichtig mit ihren Fingerkuppen. Sie schaute nicht hin, und doch wußte sie, was auf dem Foto zu sehen war. Als würde sie es mit ihren Fingerkuppen ertasten. Ein zartes Lächeln umspielte dabei ihren Mund, während ihre Augen in scheinbar unerreichbare Ferne blickten.

Sandra war blind!

Aber sie hatte ein äußerst feines Gespür. Sie konnte zwar nicht mit ihren Fingerkuppen wirklich sehen, aber sie spürte, wenn sie so darüber glitten, daß sich glückliche Menschen auf dem Foto befanden: Ihre Eltern, gemeinsam mit ihr, Sandra. Sie stand in der Mitte. Sie konnte sich noch genau an den Fototermin erinnern, und sie hatte sich ausbedungen, einen eigenen Abzug davon zu bekommen.

"Es ist ein schönes Foto geworden, nicht wahr, Frederik?" fragte sie in die ewige Finsternis hinein, die sie umgab.

Ihre Augen suchten in dieser Finsternis, wo es niemals auch nur einen Lichtzeig gab. Aber sie hatte es noch nie anders erlebt. Sie war blind von Geburt an, obwohl die Ärzte niemals den Grund dafür gefunden hatten. Laut ärztlichem Befund hätte sie eigentlich ganz normal sehen müssen. Ihre Augen waren gesund, genauso wie ihr Sehnerv, die entsprechende Gehirnregion...

Die vielen Untersuchungen hatten nur unangenehme Erinnerungen in der jungen, hübschen Sandra hinterlassen, sehr unangenehme. Mehr hatten sie nicht erbracht.

"Frederik?" fragte sie in die Finsternis, und es klang auf einmal ein wenig bang. Keine Antwort! Das kam selten vor, daß "ihr" Frederik ihr nicht antwortete. Sie spürte auch nicht mehr seine Anwesenheit. Abermals rief sie, diesmal die Stimme hebend, denn wenn er auch außer "Fühlweite" war, konnte er sie vielleicht doch hören?

Es gab keine Antwort in dieser finstersten Finsternis, die sicherlich so lange andauern würde, wie sie lebte. Sie zweifelte jedenfalls keinen Moment daran. Obwohl... sie war nicht völlig blind. Das hieß zwar nicht, daß sie auch nur das Geringste sehen konnte, was es im Diesseits zu sehen gab, in der "normalen Welt" eben... Dafür jedoch "sah" sie Dinge, die anderen auf ewig verborgen blieben. Sie "sah" zum Beispiel Frederik - gewissermaßen mit ihren Gefühlen. Sie wußte genau, wann er da war und wann nicht. Es war überhaupt nicht anders als richtiges Sehen! Zumindest sobald er sich in einem gewissen Abstand zu ihr befand, konnte sie ihn deutlich wahrnehmen. Sie konnte ihn sogar "orten". Sie wußte genau, wo im Raum er sich aufhielt, und sie wußte, wie er aussah: Ein junger Mann eben, so jung wie sie. Er kannte keinen Schlaf und... lebte nicht in dieser Welt! Deshalb war Sandra ja auch die einzige, die ihn wahrnehmen konnte.

Wenn sie mit Frederik sprach, hielten alle anderen das für eine ihrer Schrullen. Anfangs war es problematisch gewesen, denn ihre Eltern hatten sie sogar zu Kinderpsychologen geschickt, die alles getan hatten, ihr Frederik auszureden. Aber Frederik gab es nun einmal definitiv für sie - und das konnte Sandra nicht einfach sich ausreden lassen. Genauso wenig wie ein normaler Sehender sich ausreden lassen würde, sein Spiegelbild zu sehen, sobald er eben in den Spiegel schaute. Selbst wenn er der einzige gewesen wäre, der das Spiegelbild sah...

Nur eines hatte Sandra ziemlich schnell gelernt: Sobald Fremde anwesend waren, die ihre "Schrulle" namens Frederik noch nicht kannten, hielt sie den Mund. Und Frederik verstand das auch. Nur anfangs hatte er sich ein wenig darüber beklagt, sogar behauptet, Sandra würde sich vielleicht seiner "schämen" und ihn deshalb lieber andere gegenüber nicht mehr erwähnen. Aber selbst er hatte mit der Zeit einsehen müssen, daß es keine böse Absicht war von Sandra, wenn sie nicht mit ihm sprach, sobald andere in der Nähe waren. Es hatte auch überhaupt nicht damit zu tun, daß sie ihn auf einmal weniger mochte...

Und dann hatte Sandra gelernt, mit ihm zu sprechen, ohne dabei ihre Lippen zu bewegen. Sie sprach gewissermaßen mit ihren Gedanken zu ihm - und er verstand das genauso wie gesprochene Worte.

Sandra runzelte die hübsche, hohe Stirn unter dem dichten Haarkranz, den die hinten in einem Pferdeschwanz zusammengehaltenen Haare vorn bildeten. Ihr wurde wieder einmal bewußt, daß Frederik eigentlich noch nie jünger gewesen war als jetzt - und auch noch nie älter. Frederik war eben Frederik. Er lebte nicht in dieser Welt, zumindest nicht "so richtig", obwohl er doch die meiste Zeit in ihrer Nähe war, und weil er eben nicht in der "normalen" Welt richtig wohnte, veränderte er sich auch nicht. Er alterte nicht, wurde nicht erwachsener, blieb das, was er von Anfang an gewesen war: Ein nicht ganz Zwanzigjähriger und somit nicht viel älter als Sandra zur Zeit.

"Dabei kennen wir uns nun schon seit über fünfzehn Jahren!" grübelte Sandra laut. Unruhe packte sie. Sandra legte das Foto beiseite. Gerade eben noch hatte sie sich glücklich und zufrieden gefühlt. Sie war glücklich und zufrieden in ihrer kleinen Familie. Ihre Eltern waren immer schon sehr lieb zu ihr gewesen, und sie hatte niemals ihre Zuneigung und Gutmütigkeit ausgenutzt.

Nur in einem hatte sie ihre Geduld all die Jahre über "strapaziert": mit Frederik! Sie hatten sich daran gewöhnen müssen, daß Sandra stets so tat, als sei sie kaum jemals allein, außer wenn sie schlief oder im Bad war und sich dieser Frederik diskret zurückhielt.

Für ihre Eltern war das einfach nur eine fixe Idee, obwohl sie anfangs versucht hatte, ihnen die Existenz von Frederik zu beweisen. Zum Beispiel, indem sie ohne fremde Hilfe sich überall zurecht fand, weil der für alle anderen unsichtbare Frederik sie eben sicher führte.

Die Ärzte hatten ihren Eltern das damit erklärt, daß Blinde oftmals eine Art sechsten Sinn hätten - auch für Gefahren und Hindernisse, die sie eigentlich gar nicht wahrnehmen konnten. Ihre Eltern hatten das viel lieber geglaubt als die Existenz Frederiks als bewiesen anzunehmen.

Ihre Unruhe wuchs.

Sie stand ein wenig heftig von ihrem Stuhl auf, so daß der Stuhl ein Stückchen zurückschlitterte.

Darüber erschrak sie ein wenig. Es war nicht ihre Art, heftig zu reagieren. Sie war normalerweise eher sanft und bedächtig. Nicht nur deshalb, weil sie eben blind war. Es war einfach ihre Art. Die Sanftmut war ihr gewissermaßen angeboren.

Sie schaute sich in ihrer ewigen Finsternis um - und dabei kam sie sich auf einmal schrecklich einsam und verlassen vor. Nicht nur, weil Frederik nicht bei ihr war. Sie spürte auch nicht mehr die Anwesenheit von all den anderen. Denn nicht nur Frederik konnte sie mit ihren besonderen Sinnen "sehen", sondern auch viele anderen.

Sie konnte sie einzeln voneinander unterscheiden und wußte deshalb, daß es mehr waren als die Menschen, die sie im sogenannten Diesseits umgaben. Es waren mehrfach so viele, aber dennoch herrschte in dieser anderen Welt, wie sie das nannte, keinerlei Gedränge. Jeder einzelne war irgendwie... für sich. Selten nahmen sie Kontakt untereinander auf. Als würde einer den anderen meiden.

Es waren Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, Alte und Junge, doch alle hatten eines gemeinsam: ihre unerklärliche Scheu voreinander. Auch vor Sandra, die sie als einziger Mensch sehen konnte. Zumindest hatte sie nie jemand anderen kennengelernt, der diese Menschen in der anderen Welt wahrnehmen konnte, außer ihr.

Sie konnte sich erinnern, daß sie die ANDEREN auch schon gesehen hatte lange bevor Frederik in ihr Leben getreten war. Wahrscheinlich hatte sie die gesehen von Geburt an. Vielleicht sogar noch früher?

Daran konnte sie sich natürlich nicht erinnern, wie sich auch sonst kein Mensch an seine früheste Kindheit oder an die Zeit vor seiner Geburt bewußt erinnern konnte. Sie waren jedenfalls fast immer da, wenn auch in mehr oder weniger großem Abstand. Nur wenn der Abstand eine gewisse Entfernung überschritt, konnte sie die ANDEREN nicht mehr sehen. Und keiner der ANDEREN veränderte sich jemals. Sie blieben immer dieselben. Es änderte sich niemals weder ihr Aussehen, noch ihr Alter.

Eine seltsame Welt, jene andere Welt. Das mußte Sandra doch zugeben. Vielleicht hatte sie als Baby Angst gehabt davor, aber auch daran erinnerte sie sich nicht. Da die ANDEREN stets um Abstand zu ihr bemüht waren, als hätten sie insgeheim Furcht vor ihr, hatte sie niemals einen Grund dafür gesehen, ihrerseits Angst vor ihnen zu haben. Bis Frederik sich ihr genähert hatte. Es war einfach so geschehen. Er war ihr bei ihrer ersten Begegnung völlig fremd vorgekommen, als wäre er niemals einer von den ANDEREN gewesen. Er war zu ihr gekommen und hatte sie angelächelt. Ein junger Mann, der ihr gleich vorgekommen war wie ein großer Bruder. Er hatte Sandra bei der Hand genommen und gesagt: "Hallo, Sandra, ich bin Frederik!"

"Woher weißt du denn meinen Namen?" hatte sie sich gewundert.

"Ich weiß es, weil ich deine Gedanken lesen kann - und die kann ich lesen, weil du es mir nicht verbietest."

"Meine Gedanken lesen? Und die ANDEREN, können die auch meine Gedanken lesen?"

"Natürlich! Deshalb vermeiden sie dich ja auch, weil deine Gedanken sich um das Diesseits drehen - und davon wollen sie nichts wissen."

"Warum wollen sie nichts vom Diesseits wissen?"

"Weil es sie schmerzt. Sie wollen nicht erinnert werden."

Sandra hatte das damals genauso wenig begriffen wie heute, aber wann immer sie das Gespräch auf dieses Thema lenkte, wurde Frederik seltsam einsilbig. So hatte sie nie wirklich erfahren, wer die ANDEREN waren - genauso wenig, wer eigentlich Frederik war. Sie sah nur, daß sie richtige Menschen waren - zumindest sahen sie so aus. Auch wenn die kleinen Kinder nicht wie kleine Kinder sich benahmen, sondern eher wie Erwachsene. Sie hatten nicht die Erfahrungen wie kleine Kinder, sondern lebten schon ziemlich lange. Jedenfalls war das Sandras Eindruck.

Sandra tastete nach ihrem Stuhl und stellte ihn wieder zurecht. Dann ging sie hinüber zum großen Kleiderschrank mit dem hohen Spiegel. Sie stellte sich davor. Natürlich konnte sie sich nicht selber sehen, aber Frederik hatte sich neben sie gestellt und sie beschrieben - immer wieder. So wußte sie, wie sie aussah. Sie wußte, daß sie blonde, lockige Haare hatte, die sie oft als sogenannten Pferdeschwanz hinter dem Kopf zusammenfaßte. Sie war zierlich, mittelgroß und schlank. Eigentlich viel zu schlank, wie ihre Mutter immer meinte. Kein Wunder, denn Mutter war eine eher dralle Person, und das war für sie normal. Schlank war für sie eher der Inbegriff von Not und Entbehrung. Und ihr Vater dachte auch nicht anders, obwohl er in dieser Beziehung toleranter war. Ihm war es nach eigenem Bekunden egal, ob seine Tochter nun schlank blieb oder nicht.

"Hauptsache, sie fühlt sich wohl in ihrer Haut!" Das war stets seine Devise. Und Sandra fühlte sich auch wohl in ihrer Haut - sehr wohl sogar. Außer in diesem Moment, da ihr Frederik in einem Maße fehlte wie noch nie zuvor. Als müßte sie auf einmal befürchten, Frederik würde niemals mehr wieder zu ihr kommen. Was war nur los mit ihr? Wieso diese unerklärliche Unruhe, die sie erfaßt hatte? Was war geschehen? Wieso sah sie keinen der ANDEREN?

Nun, das war ja wirklich nicht ganz so ungewöhnlich, wie sie es im Moment gern annahm. Es kam eigentlich ziemlich oft vor, seit sie mit Frederik einen solch engen Kontakt pflegte. Anfangs war Frederik immer wie der große Bruder gewesen. Er hatte Sandra überallhin begleitet, wenn sie es nur wollte. Er kannte weder Müdigkeit, noch Hunger oder Durst. Er war immer da, wenn sie nach ihm rief. Und er ging auch weg ohne zu Murren, wenn sie es von ihm verlangte. Dabei hatte sie schon sehr früh die Feststellung gemacht, daß die ANDEREN sie völlig in Ruhe ließen, sobald sie es sich nur wünschte. Wenn sie zum Beispiel auf Toilette saß, war niemals einer der Anderen in ihrer Nähe. Erst danach, wenn sie es wieder zuließ mit ihren Gedanken. Aber es kam halt eben auch immer wieder vor, daß sie nicht in der Nähe waren, selbst wenn sie es sich wünschte. Und jetzt wünschte sie es sich, damit sie sich nicht mehr so schrecklich allein fühlen mußte.

Wieso eigentlich? fragte sie sich erstaunt.

Ja, es war das erste Mal, daß sie mit einer solchen Unruhe darauf reagierte.

Jetzt kenne ich die ANDEREN schon zeit meines Lebens - und doch weiß ich im Grunde genommen gar nichts über sie. Frederik hat mir noch nicht einmal auf meine Frage geantwortet, ob sie die einzige sei in der "normalen Welt", die ihn und die ANDEREN sehen kann...

Doch, eigentlich hatte er ja darauf geantwortet, obwohl sie diese Antwort nicht akzeptieren konnte und sie eher als Lüge empfand: "Ich weiß es nicht!"

Wie war es möglich, daß er das nicht wußte? Er wußte doch sonst soviel...

Jedenfalls war klar, daß jeder der ANDEREN sich im Diesseits beinahe ungehindert bewegen konnte. Sie gingen durch Wände einfach hindurch. Es gab keinerlei Begrenzung für sie - fast keinerlei zumindest. Auch wenn es immer wieder vorgekommen war, daß Frederik zurückblieb und ihr sagte, daß er jetzt nicht weitergehen konnte, weil ihn etwas behinderte.

Dies war immer dann der Fall zum Beispiel, wenn Sandra auf den Friedhof gehen wollte. Dann kam Frederik höchstens bis zum Tor mit, und er wurde dabei sehr schweigsam, um nicht zu sagen ablehnend. Ohne es jemals zu begründen jedenfalls.

Sandra hatte längst einen Verdacht: Jene ANDEREN, das waren nichts anderes als... Geister! Sicher waren es die Geister von Verstorbenen. Waren sie als Kinder verstorben, dann geisterten sie jetzt auch in dieser Gestalt herum.

Sie hatte Frederik ein einziges Mal darauf angesprochen, aber er hatte so beleidigt darauf reagiert, daß sie es niemals mehr gewagt hatte. Dabei war seine Reaktion eher die Bestätigung für ihre Theorie gewesen. Umso weniger konnte sie begreifen, daß die Lebenden eine solche Furcht vor den Geistern hatte. Sie hatten immerhin vor etwas Furcht, was sie in der Regel gar nicht wahrnehmen konnten. Sandra konnte sie nicht nur wahrnehmen, sondern mit ihren blinden Augen regelrecht sehen, auch wenn es in ihrer Welt keinerlei Licht gab.

"Frederik, warum hast du mich verlassen?" flüsterte sie - und konnte es nicht verhindern, daß ihr plötzlich Tränen aus den Augen schossen. Sie glaubte auf einmal ganz fest daran, daß etwas passiert war, etwas jedenfalls, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was es war, aber irgendwie hatte es mit Frederik zu tun. Und deshalb war er nicht mehr bei ihr.

"Frederik, ich vermisse dich so sehr!"

Sie lauschte ihren eigenen Worten nach - und erschrak darüber. Was hatte sie da gesagt? Ihre Tränen versiegten schlagartig. Ja, gewiß, sie hatte Frederik immer sehr vermißt, wenn er mal nicht bei ihr sein konnte, aber irgendwie war das in letzter Zeit schlimmer geworden.

Was ist los mit mir? schrien ihre Gedanken auf einmal. Und dann begriff sie endlich, was sich verändert hatte: Nicht Frederik war es, auch nicht die ANDEREN... Sie selbst hatte sich verändert, sie, Sandra! Und sie wußte auch haargenau, was für eine Veränderung dies war: "Ich - ich habe mich in dich verliebt, Frederik!" murmelte sie - und es fiel ihr sehr schwer, diese Worte über die eigenen Lippen gehen zu lassen.

Sie hatte sich gegen dieses Gefühl mit aller Macht gewehrt. Sie hatte sich immer wieder einzureden versucht, Frederik sei eben nur ein Geist und als solcher wie ein großer Bruder, in den man sich natürlich niemals verlieben konnte. Aber es war trotzdem geschehen. Sie hatte es nicht wirklich verhindern können. Es hatte sie mehr und mehr erfüllt und am Ende mit jeder Faser ihres Daseins.

Das schreckte die ANDEREN mehr zurück als je zuvor. Sie mieden solche Gefühle, die sie anscheinend in ihrem Dasein "drüben" nicht mehr kannten - oder nicht mehr kennen wollten. Deshalb hielten sie noch mehr Abstand von ihr als sonst.

"Und Frederik auch!" murmelte sie vor sich hin.

Ja, jetzt war sie überzeugt davon: Frederik hatte sie durchschaut! Und jetzt mied er sie genauso wie die ANDEREN.

"Er wird nie mehr bei mir sein wollen!" weinte sie und sank zu Boden, weil sie jegliche Kraft verließ.

Da lag sie, weinend, und sie mußte daran denken, daß sie eigentlich am Nachmittag ins Kino hatten gehen wollen. Das hatte sie mit Frederik oft getan. Er hatte dann immer unsichtbar für alle anderen Kinobesucher neben ihr gesessen und ihr alles beschrieben, was sie nicht sehen konnte. Den Filmton hatte sie ja mitbekommen. Gestört hatte das niemanden, denn außer Sandra konnte ja niemand Frederiks Stimme hören. Die anderen Kinobesucher hatten sich nur darüber gewundert, wieso ein blindes Mädchen scheinbar mutterseelenallein ins Kino ging und sich dabei auch noch sichtlich amüsierte...

Wie durch dicke Watte hörte sie die Klingel an der Haustür.

In einer halben Stunde etwa wäre sie mit Frederik zum Kino aufgebrochen, aber er war nicht da - und würde niemals mehr da sein.

Niemals mehr! echote es in ihrem Kopf, immer wieder, und trieb sie immer tiefer in diese namenlose Traurigkeit hinein, daß ihr das Klingeln an der Haustür völlig egal war...

*

Der unerwartete Besucher war ziemlich hartnäckig. Wo der Fernsehkrimi gerade so spannend war! Mr. Price blieb natürlich sitzen. Schließlich hatte er sich seinen Feierabend redlich verdient, wie er meinte. Und Mrs. Price, die "Nur-Hausfrau"... Sie murrte zwar, aber am Ende stand sie trotzdem auf und schlurfte zur Haustür. Unterwegs besann sie sich, wenigstens eine freundlichere Miene aufzusetzen, denn der unerwartete Besucher brauchte es ja nicht auszubaden, wenn er wegen einem Fernsehkrimi ungelegen kam. Der tat das ja nicht absichtlich... Sie öffnete die Haustür, ohne vorher durch den Spion zu schauen. Sie tat es arglos, denn wann jemals passierte hier in der Gegend einmal etwas, das einen zur Vorsicht gemahnte? Eigentlich eine ziemlich langweilige Gegend, wie sie schon immer fand. Wenigstens die Nachbarn waren freundlich, und das war ja auch schon was. Schließlich konnte das nicht ein jeder behaupten.

Beim Öffnen der Haustür hatte sich Mrs. Price wenigstens nach außenhin soweit im Griff, daß sie förmlich strahlte vor Freundlichkeit. Der junge Mann vor der Tür erwiderte die Freundlichkeit nicht. Dazu war er zu verlegen. Er druckste ein wenig herum und schaute sogar wie schuldbewußt zu Boden.

"Guten Abend!" sagte Mrs. Price.

Der junge Mann zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb.

"Äh, Mrs. Price, entschuldigen Sie... Ich bin wirklich unhöflich. Ich klingele da an Ihrer Tür - und dann sage ich gar nichts, wenn geöffnet wird."

"Gewiß", sagte Mrs. Price, aber ihrer Stimme war nicht anzuhören, wie sie das jetzt meinte: tadelnd oder wohlwollend?

"Nun, junger Mann", schob sich rasch nach, "womit kann ich Ihnen dienen? Aber - bitte! - machen Sie es kurz." Es war schon eine seltsame Mischung in Ihrer Miene: Da war zwar immer noch die strahlende Freundlichkeit, aber sie hatte dabei auch leicht das Kinn vorgeschoben, was sie ziemlich energisch wirken ließ.

Wie abwehrend hob der junge Mann beide Hände. "Oh, Mrs. Price, nicht, was Sie jetzt meinen: Ich bin kein Vertreter, auch nicht für Zeitschriften. Ich bin auch nicht hier, um Ihnen irgendein Märchen zu erzählen, von wegen bedürftigem Strafgefangenen, der sich kurz nach der Entlassung ein paar Brötchen verdienen muß und deshalb, weil er keinen anständigen Job kriegt..."

"Zur Sache!" unterbrach ihn Mrs. Price. Und dann, gleich wieder versöhnlicher: "Bitte!"

"Ich bin Frederik!" platzte es aus ihm heraus.

Mrs. Price runzelte die Stirn. "Frederik?" echote sie verblüfft. Sagte ihr der Name überhaupt etwas? Sie mußte in Gedanken verneinen. Aber der junge Bursche hatte seinen Namen so gesagt, als wenn sie ihn kennen müßte. Nun, ihren Namen jedenfalls schien er zu kennen. Aber wahrscheinlich nur, weil er ihn auf der Klingel gelesen hatte.

Sie legte leicht ihre runde Stirn in Falten. "Sollte ich Sie kennen?"

Er lächelte verkrampft. "Ja, sicher."

"Aus der Nachbarschaft oder was?" Sie musterte ihn mißtrauisch. "Nein, ich kann mich nicht erinnern, Sie jemals gesehen zu haben."

"Wer ist denn da?" erscholl von drinnen die Stimme ihres Mannes, dem es zu lange dauerte. Vielleicht machte er sich sogar Sorgen um seine Frau?

"Ein gewisser Frederik. Sagt dir denn der Name was?"

"Nein, nein, gesehen haben Sie mich mit Sicherheit noch nie!" beteuerte Frederik mit einem verzerrten Lächeln. Er rollte mit den Augen. "Na, wie soll ich es Ihnen nur erklären...?"

"Sie sind also Frederik. Wie weiter?"

"Nichts weiter. Nur Frederik."

"Hm, ungewöhnlich. Und was wünschen Sie? Wenn Sie nichts verkaufen wollen..."

"Nein, will ich nicht, aber ich bin mit Ihrer Tochter verabredet, mit Sandra. Wir wollten zusammen ins Kino. Das ist in knapp einer halben Stunde. Und ich wollte bei dieser Gelegenheit halt..." Der junge Mann brach ab.

Mrs. Price legte den Kopf schief. Halb versetzt hinter ihr tauchte ihr Mann auf. Anscheinend war der fremde Gast jetzt für ihn interessanter als der spannende Fernsehkrimi.

"Frederik?" fragte er lauernd.

Der junge Mann nickte. Er pochte sich an die Brust: "Ja, das bin ich: Frederik!"

Mr. Price tauschte mit seiner Frau einen Blick. "Den Namen habe ich nur einmal gehört in Zusammenhang mit Sandra..."

Auf einmal schwoll die Zornesader auf der Stirn von Mrs. Price. "Hören Sie, junger Mann, ich weiß nicht, woher Sie das erfahren haben, das mit unserer Sandra und Frederik, den es überhaupt nicht gibt, aber es ist wirklich eine bodenlose Frechheit, hier aufzukreuzen und dann..."

"Aber Frederik ist doch gar keine Erfindung von Sandra!" begehrte der junge Mann auf. "Frederik, das bin doch ich!" Er pochte sich wieder wie zur Bestätigung gegen die eigene Brust.

Mrs. Price vergaß, was sie noch hatte sagen wollen. Mit angehaltenem Atem und halboffenem Mund stierte sie Frederik an.

"Der hat was von gehört - und jetzt will er uns auf den Arm nehmen", sagte Mr. Price gefährlich leise. Er war hundertprozentig überzeugt davon. "So eine Unverschämtheit habe ich ja noch nie erlebt. Der weiß ganz genau, daß unsere Tochter blind ist - und da erlaubt er sich einen solchen Scherz. Wo sind denn die anderen aus deiner Gruppe? Haben sie sich versteckt, um alles aus sicherem Versteck zu beobachten und sich ins Fäustchen zu lachen?" Er hob seine Stimme. "Ihr da, hört mir mal gut zu: Es ist nicht nur nicht fair, ein blindes Mädchen auf diese Weise zu quälen und die Eltern gleich mit dazu, sondern es ist geradezu schändlich! Ihr solltet euch was schämen. Auf jedenfall haben eure Eltern in der Erziehung gewaltige Fehler begangen."

Er klopfte seiner Frau auf die Schulter und fuhr fort: "Komm, mach die Tür zu. Ich will mich nicht noch mehr aufregen. Was die Eltern an Erziehung an diesen... diesen..., was sie da versäumt haben, das sollten wir nicht versuchen, nachzuholen."

"Nein, bitte!" flehte Frederik förmlich. "So ist das nicht, Mr. Price, wirklich nicht. Sie irren sich gewaltig, denn ich bin es wirklich: Ich bin Frederik, der Freund Ihrer Tochter. Schon seit all den Jahren. Und jetzt bin ich endlich gekommen, damit Sie mich auch mal kennenlernen."

Die beiden hatten sich schon halb abgewendet, aber jetzt verhielten sie in der Bewegung.

"Der gibt wohl niemals auf?" zeterte Mrs. Price.

Und ihr Mann fügte hinzu: "Jetzt ist es aber wirklich genug!" Er schob sich an seiner Frau vorbei und ballte in einem Zorn, den er nicht mehr länger zügeln konnte, beide Hände zu Fäusten. Er holte zum Schlag aus.

Frederik blieb einfach stehen. Er machte noch nicht einem eine Abwehrbewegung. Er sah die deutliche Ablehnung beim Ehepaar Price - und war darüber so offensichtlich traurig und enttäuscht, daß er sich nicht mehr von der Stelle rühren konnte. Hätte Mr. Price jetzt wirklich zugeschlagen, hätte es schlimm enden können, aber als Mr. Price in dieses Gesicht schaute, diese Traurigkeit in seinen Augen sah, ließ er die erhobenen Fäuste wieder sinken.

"Ich bin es wirklich: Frederik!" murmelte Frederik, und es klang kläglich, obwohl er sich bemühte, seiner Stimme Kraft zu verleihen.

Mrs. Price fing sich als erste.

"Also gut!" wetterte sie. Ihre Rechte schnellte vor und packte den jungen Mann am Ärmel. "Kommen Sie herein! Das werden wir schnell haben."

"Was - was hast du vor?" stammelte ihr Mann verdattert.

Frederik ließ sich mitzerren. Gegen die aufs höchste erzürnte Mrs. Price hatte er auch nicht wirklich eine Chance. Sie zerrte ihn quer durch die Diele, das kurze Gangstück entlang bis zum Zimmer von Sandra. Dort pochte sie an die Tür.

"Hallo, mein Kind!" Drinnen war es verdächtig ruhig. "Sandra, ich bin es, deine Mutter. Machst du mal bitte auf? Ich will nicht so in dein Zimmer platzen. Wir haben Besuch. So ein unverschämter Bursche, der sich als Frederik vorstellte und behauptet, ihr wärt zum Kino verabredet."

"Frederik?" kam es dumpf von drinnen. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgerissen. Sandra erschien. Ihr Gesicht war naß, ihre blinden Augen vom Weinen verquollen.

"Frederik?" Ihre blinden, verweinten Augen richteten sich auf den jungen Mann.

Wieso weiß sie, wo der steht? fragte sich Mrs. Price unwillkürlich.

Ihr Mann tauchte hinter ihr auf, wieder die Hände zu Fäusten geballt, bereit, jederzeit einzugreifen, falls es erforderlich erschien. Er war zwar alles andere als ein gewalttätiger Mensch, aber in einer Situation, in der seine geliebte Tochter vielleicht seine tatkräftige Hilfe brauchte?

Die Haustür hatte er vorsichtshalber geschlossen. Falls dieser Frederik wirklich nicht allein gekommen war, sondern mit einer Schar anderer, die sich mit der armen Sandra einen bösen Spaß erlauben wollten...

"Frederik!" sagte Sandra atemlos. "Mein Gott, du bist es wirklich!"

"Aber warum hast du denn geweint, Sandra?"

Sie schlug betroffen die Augen nieder. "Äh, ich..."

Sie wandte ihm trotzig den Rücken zu. "Du weißt doch sonst immer alles, Frederik. Ich denke, du kannst in meinen Gedanken lesen?"

"Nur wenn du es zuläßt, Sandra!" erinnerte Frederik. "Und außerdem..." Er brach ab.

Mr. und Mrs. Price standen sprachlos daneben.

Gott im Himmel, ja, merkt denn Sandra nicht, daß das ein Betrüger ist? fragte sich Mrs. Price verzweifelt. Hat sie sich denn schon so in die fixe Idee mit Frederik hinein gesteigert, daß da nur ein x-beliebiger junger Mann auftauchen mußte, der sich als Frederik ausgab - und sie prompt darauf hereinfiel?

"Ja, das stimmt", sagte Sandra kleinlaut. "Ich habe dir nicht erlaubt, in meinen Gedanken zu spionieren. Das sollst du auch niemals wieder tun."

"Ich kann es gar nicht mehr, selbst wenn ich es wollte", sagte Frederik.

Sie wandte sich ihm wieder zögernd zu und wischte dabei verlegen über ihr Gesicht, als könnte sie damit die Spuren ihrer Traurigkeit wieder entfernen.

"Warum nur hast du geweint?" fragte Frederik mitfühlend.

"Ich... nun, ich dachte... Du warst nicht mehr da - und kamst auch nicht auf mein Rufen hin."

"Ich habe dich nicht rufen hören, Sandra. Ich wollte dich doch überraschen."

"Überraschen? Womit?"

"Na, merkst du denn nichts?"

"Was? Was soll ich denn merken?"

"Na, deine Mutter hat mich zu deiner Tür gebracht!" Er lächelte verlegen.

Mrs. Price schaute ihm dabei ins Gesicht und hatte den Wunsch, ihn zu schlagen. Aber sie tat es nicht. Sie schaute auch ihre Tochter an. Deren blinde Augen waren auf Frederik gerichtet, als könnte sie den jungen Mann tatsächlich sehen.

"Ich - ich verstehe nicht", stammelte Sandra.

Sie verstand sehr wohl. Das war offensichtlich. Aber sie wollte es anscheinend nicht wahrhaben.

"Sag mal, Kind, kannst du diesen jungen Mann denn... sehen?" Es klang dümmlich aus dem Mund von Mrs. Price, aber sie hatte diese Frage einfach nicht mehr zurückhalten können.

Sandras Augen richteten sich in ihre Richtung - in die Richtung eben, in der sie die Stimme ihrer Mutter vernommen hatte.

"Ja, natürlich. Ich kann doch Frederik schon immer sehen. Nur ihr konntet das nicht. Ich kann ja auch die ANDEREN sehen."

"Die... ANDEREN?" mischte sich ihr Vater ein. "Welche ANDEREN?"

Schuldbewußt senkte Sandra wieder den Blick. "Ich habe euch immer nur von Frederik erzählt. Das war für euch ja schon schlimm genug. Aber wenn ich euch von den ANDEREN auch noch erzählt hätte..."

Mrs. Price packte ihre Tochter am Arm, daß diese einen leisen Schmerzensschrei ausstieß.

"Kannst du denn mich sehen?" fragte sie gepreßt.

Die blinden Augen richteten sich zwar auf sie, aber sie schienen durch Mrs. Price hindurch zu sehen. Es war der typische Blick eben einer Blinden.

"Und - und diesen jungen Mann da an meiner Seite?"

Unwillkürlich richtete Sandra ihre Augen auf diesen Frederik - und deutlich sahen ihre Eltern das Erkennen in ihrem Gesicht. Ihre Augen richteten sich fest auf den jungen Mann - so, wie es ein Sehender tut, wenn er jemanden betrachtet, der vor ihm steht. Es war diesmal... keineswegs der Blick einer Blinden.

"Aber natürlich, Mutter, wieso fragst du überhaupt? Was soll das alles denn? Wieso glaubt ihr mir denn auf einmal das mit Frederik? Was - was geht hier vor?"

Jetzt nahm Frederik ihre Hand in beide Hände, wie er das oft tat, wenn er Sandra durch die absolute Finsternis des Diesseitigen führte, wo sie nur einen sehen konnte, nämlich ihn.

"Ja, begreifst du es immer noch nicht, Sandra: Deine Eltern... können mich jetzt auch sehen!"

"Wie bitte?" Sandra riß sich los und fuhr zurück, als sei sie einem Gespenst begegnet. Ihre Augen weiteten sich entsetzt.

"Was geht hier vor? Was macht ihr mit mir?" schrie sie außer sich.

"Ja, ist das denn nicht Frederik hier?" erkundigte sich ihr Vater lauernd.

"Natürlich ist er es. Ich sehe es doch genau. Er hat nur etwas anderes an... Moment mal, ich kenne Frederik seit rund fünfzehn Jahren. Er hat immer dasselbe angehabt. Er hat immer gleich ausgesehen..."

"Wie kannst du denn sagen ausgesehen, mein Kind: Du bist doch blind!" Mrs. Price schüttelte den Kopf und machte den Eindruck, im nächsten Augenblick verrückt zu werden.

Frederik ging einen Schritt auf Sandra zu.

Sie mußte es gesehen haben, denn sie fuhr erneut zurück und schrie: "Bleib mir vom Leib!"

"Aber, Sandra, ich bin es doch: Frederik! Wieso... wieso hast du auf einmal eine solche Angst vor mir?"

"Es - es ist ein Trick. Nur ich kann dich sehen. Du kannst gar nicht Frederik sein. Denn Frederik..., den können meine Eltern nicht sehen. Er ist unsichtbar für sie."

Frederik blieb stehen und ließ die Schultern hängen. Er wirkte wieder unendlich traurig.

"Dabei dachte ich, es würde dir eine Freude bereiten", sagte er, und es klang ziemlich hilflos.

Irgendwie hatte Mrs. Price auf einmal Mitleid mit dem jungen Mann. Alles erschien ihr so echt - und irgendwie sah es wirklich so aus, als würde ihre Tochter diesen Frederik sehen, obwohl das völlig unmöglich war. Sie legte dem jungen Mann mütterlich den Arm um die Schultern und sagte sanft: "Ich glaube, Sie gehen jetzt besser wieder. Es sieht nicht danach aus, als würde sich Sandra freuen, nicht wahr?"

Er nickte traurig. "Ja, Sie haben recht, Mrs. Price. Leider. Ich - ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich kann das gar nicht verstehen, daß sie jetzt so reagiert." Er warf einen Blick auf Sandra. "Ich gehe dann halt wieder, aber ich kann niemals wieder zurückkehren zu dir, wenn du es nicht wünschst. Das weißt du."

Mit weitaufgerissenen Augen stand Sandra da, unfähig, auch nur noch ein einziges Wort zu sagen. Sie sah mit ihren blinden Augen Frederik. Sie sah, wie er sich mit der Mutter unterhielt. Ja, sie sah es und hörte es nicht nur. Sie hatte ihn immer gesehen, so deutlich, als würde sie echt sehen können. Alles andere um sie herum war dabei stets in absoluter Finsternis verhangen geblieben. Nur ihn hatte sie gesehen. Oder die ANDEREN, wie sie die Geister nannte - und auch nur dann hatte sie auch diese gesehen, wenn sie nahe genug kamen. Aber jetzt wirkte es wirklich so, als würde die für sie unsichtbare Mutter Frederik genauso sehen. Sandra sah zwar nicht den Arm, den ihre Mutter um Frederik gelegt hatte, aber sie sah es anhand seiner Haltung. Und jetzt sah sie, daß ihre Mutter Frederik an den Schultern herumdrehte, in Richtung Ausgang.

"Nein!" schrie Sandra, denn sie wußte: Wenn Frederik durch diese Tür nach draußen schritt, dann war alles aus und vorbei. Sie würde niemals mehr wieder Frederik sehen können. Endgültig nicht mehr. Sie hatte zwar keine Ahnung, wieso das so war, genauso wenig, wie sie begreifen konnte, was gerade hier vor ihren Augen geschah, aber sie wußte es mit absoluter Bestimmtheit, daß sein Weggehen diesmal endgültig bleiben würde. Der Grund hierfür spielte auch zunächst überhaupt keine Rolle. Es war jedenfalls etwas, was sie unter allen Umständen verhindern mußte. Sie liebte Frederik! Sie liebte ihn mit ganzem Herzen. Vielleicht würde diese Liebe für immer unerwidert bleiben? Was oder wer war er denn überhaupt? Bisher nur so etwas wie eine fixe Idee, ein Schemen, etwas Imaginäres, wie alle anderen in ihrer Umgebung stets angenommen hatten. Nur für sie war er etwas Gegenständliches gewesen.

Ich habe mich in einen Geist verliebt! hämmerte es hinter ihrer Stirn im Rhythmus ihres beschleunigten Herzschlages. Aber jetzt ist er nicht mehr nur ein Geist. Irgendwie ist er... materialisiert. Und er hat Kleider an, die ich sehen kann, genauso wie ich sie sonst gesehen habe. Obwohl sie diesmal nicht die Kleider sind, die ich immer an ihm gesehen habe.

Ich kann alles sehen, was unmittelbar mit ihm zusammenhängt! schlußfolgerte sie. Ich bin blind - und doch kann ich sehen. Jedenfalls: Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß das, was ich sehe, mit dem übereinstimmt, was auch die "Normalen" sehen können! Vielleicht ist es eine Chance, von der ich bisher noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte?

"Viellicht...", begann sie. Ihre Stimme erstarb. Sie brauchte viel Kraft, um neu anzufangen: "Vielleicht können dich jetzt nur meine Eltern sehen? Nur ich und meine Eltern können dich sehen, Frederik, nicht wahr?"

"Nein, Sandra, ich denke, jetzt kann mich jeder sehen - jeder!" betonte er.

Sandra schüttelte nur den Kopf. Sie glaubte ihm kein Wort. Wie denn auch?

Frederik wehrte sich gegen den sanften Zwang von Mrs. Price, die ihn hinaus drängen wollte. Neue Hoffnung glomm in seinen Augen auf.

"Gehen wir jetzt doch ins Kino - wie wir es abgemacht haben heute morgen?" fragte er bang.

*

Sandra wollte etwas sagen, aber ihr Mund blieb stumm - und halb geöffnet. Sie betrachtete Frederik aufmerksam. Für ihre Eltern war es unfaßbar, wie die sonst tot wirkenden Augen ihrer blinden Tochter auf Frederik gerichtet waren und dabei völlig normal wirkten, als wäre sie in Wirklichkeit niemals wirklich blind gewesen.

Aber sie begannen zu begreifen, daß sie wirklich nur Frederik sehen konnten. Sonst nichts. Auch wenn es für sie auf ewig unvorstellbar bleiben würde, im wahrsten Sinne des Wortes: UNVORSTELLBAR!

"Was hast du heute morgen gesagt?" fragte Sandra - und sie beobachtete Frederik dabei aus schmalen Augen.

Ihre Mutter bemühte sich nicht länger, Frederik in Richtung Haustür zu bugsieren. Sie wartete ab, genauso wie ihr Ehemann.

"Ich machte dir den Vorschlag mit dem Kino. Ich habe dir gesagt, was gespielt wird. Du wußtest es noch gar nicht. Ich habe dir gesagt, daß endlich der Film läuft, auf den du dich gefreut hast. Ich sagte noch zu dir: 'Also gut, gehen wir hin - ehe es jemand anderes für uns tut!' Wir haben darüber beide gelacht. Und ich habe noch hinzugefügt: 'Zumal für mich ja der Eintritt nichts kostet!'" Er hob und senkte in einer hilflos anmutenden Geste die Schultern. "Das hat sich ja nun geändert. Ich glaube kaum, daß die mich noch hinein lassen, ohne Eintrittsgeld von mir zu kassieren."

"Ja, hast du denn überhaupt Geld für den Eintritt?"

Er griff in die Innentasche seiner leichten Windjacke und zauberte einen Geldbeutel hervor. Es sah fast triumphierend aus, wie er ihn hoch hielt.

Da wurde Sandras Vater plötzlich tätig: Seine Hand griff blitzschnell an Frederik vorbei und schnappte sich den Geldbeutel, ehe der junge Mann überhaupt begriff, wie ihm geschah.

Frederik wollte sich Sandras Vater zuwenden, doch der zeigte ihm nur die kalte Schulter.

Mrs. Price schaute verständnislos zu ihrem Mann und dann wieder zu Frederik. Dann begriff sie.

"Lassen Sie meinen Mann!" befahl sie Frederik mit einem warnenden Unterton.

Mr. Price durchsuchte den Geldbeutel. Aber dann zuckte er resignierend mit den Achseln und wandte sich dem jungen Mann wieder zu. "Keinen Ausweis. Nur ein wenig Geld. Für das Kino reicht es allemal."

"Wieso wollten Sie meinen Ausweis?" wunderte sich Frederik.

"Nun tu nicht so", fuhr Mrs. Price ihn an. "Du tauchst hier auf und behauptest, du wärst derjenige, den unsere Tochter schon vor über fünfzehn Jahren erfunden hat. Als Namen gibst du nur den Vornamen an. Wie heißt du wirklich? Wo wohnst du?"

"Vor über fünfzehn Jahren!" betonte Mr. Price. "Sandra hat ihren Frederik als einen Mann beschrieben, der tatsächlich Ihnen ähnelt, aber dann hätten Sie sich in den letzten fünfzehn Jahren keinen Deut geändert. Sie wären keinen Tag älter geworden beispielsweise."

"Aber das ist dort normal!" begehrte Sandra auf.

Sie blinzelte verwirrt. Die ewige Finsternis um sie herum wurde nur durchbrochen von der Gestalt von Frederik. Er stand da. Sie sah ihn deutlich. Dafür brauchte sie kein Licht. Sie wußte auch gar nichts von Licht, denn sie hatte nie die Chance bekommen, es mit ihren Augen zu sehen. Frederik jedoch sah sie ganz genau. Sie hatte auch den Geldbeutel gesehen, den er aus der Tasche gezogen hatte. Doch dann war dieser plötzlich verschwunden. Die Finsternis hatte ihn verschluckt. Sie hatte erst gar nicht begriffen, was geschehen war. Der Dialog erst, der zwischen ihren Eltern und Frederik stattgefunden hatte... Dadurch erst war sie darauf gekommen, daß ihr Vater Frederik den Geldbeutel entrissen hatte. Und jetzt war der Geldbeutel wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht - in dem Moment, als Frederiks Hand ihn berührte.

Auf einmal stellte sie sich vor, Frederik würde die ganze Welt mit seinen Händen berühren - und dabei würde die ganze Welt auf einmal für sie, die blind Geborene, sichtbar werden...

Es war ein wunderbarer Traum, doch er zerplatzte in der nächsten Sekunde wie eine Seifenblase. Sie spürte das übergroße Mißtrauen ihrer Eltern gegenüber Frederik. Aus ihrer Sicht war dieses Mißtrauen sicherlich begründet, aber Sandra sah es inzwischen anders. Es war auch für sie völlig unerklärlich, wieso Frederik für alle real auftauchen konnte. Heute morgen noch war er ein Gespenst gewesen, nur für sie sichtbar. Und jetzt stand er da wie materialisiert? Sie konnte es selber nicht glauben. Vor allem eines störte sie dabei: Wieso konnte sie Frederik nach wie vor sehen - als sei er immer noch "nur" ein Gespenst?

Sie dachte wieder an ihre Vermutung, daß jetzt vielleicht nur ihre Eltern Frederik sehen konnten. Sonst niemand. Aber der Dialog zwischen ihnen und Frederik hatte ihr bewiesen, daß dem sicher nicht so war. Zumindest rechnet Frederik damit, daß ihn auch alle anderen lebenden Menschen sehen konnten.

Frederik steckte den Geldbeutel wieder ein, und Mrs. Price reagierte endlich auf die Worte von Sandra: "Was ist wo normal?"

"Ich - ich habe euch nicht immer alles erzählt. Weil ihr mir sowieso nicht geglaubt habt. Ich kann nicht nur Frederik sehen, sondern auch all die ANDEREN, sobald sie nahe genug sind. Wenn sie sich entfernen von mir, dann verschluckt sie die ewige Finsternis. Kommen sie näher, tauchen sie für mich auf wie aus dem Nichts. Aber sie meiden mich alle, weil sie vor mir Angst haben. Ich kann es nicht erklären. Niemand antwortet richtig auf meine Fragen. Auch Frederik nicht."

Es war eine offene Anklage gewesen. Frederik senkte schuldbewußt den Blick.

"Weiter!" drängte Mrs. Price. Ihre Stimme zitterte dabei.

"Sie wohnen nicht hier, auf dieser Welt. Sie sind die ANDEREN - auf der anderen Welt. Als würde es diese Welt parallel zu unserer geben."

Frederik schüttelte entschieden den Kopf. "Das meinst du nur deshalb, Sandra, weil du blind bist, weil du nur sie siehst - und mich. Sie befinden sich nicht in einer anderen Welt, sondern sie sind... hier! Im Moment sind sie wahrscheinlich außer Sichtweite, wenn man das so nennen will - zumindest außerhalb von deiner Sichtweite. Aber sie sind da, pausenlos. Sie bewegen sich über die ganze Erde. Sie sind ruhelos, kennen keinen Schlaf..."

"Du sagst das so... so... komisch", sinnierte Sandra laut. "Du sagst das so, als wärst du keiner mehr von ihnen, als könntest du sie jetzt nicht mehr sehen."

"Kann ich auch nicht mehr. Nur du kannst das."

"Aber du gibst dich jetzt als normaler Mensch aus. Wie kann das sein?" Sie wandte sich in die Richtung, wo sie ihre Eltern vermutete. "Frederik hat immer gleich ausgesehen, all die Jahre hindurch. Sie brauchen sich nicht zu waschen. Nichts kann sie schmutzig machen. Sie altern auch nicht. Sie haben immer die gleichen Kleider an. Ich habe Babys gesehen mit ihren Windelhöschen. Sie laufen herum und haben den Verstand von Erwachsenen. Und Frederik hier hat sich auch nie verändert. Heute sehe ich ihn zum ersten Mal mit anderen Kleidern."

"Du - du siehst ihn... mit anderen Kleidern?" wiederholte Mrs. Price fassungslos.

"Dann beschreibe sie uns!" forderte Mr. Price geistesgegenwärtig auf.

"Ja, das ist kein Problem", behauptete Sandra. Ihre blinden Augen erfaßten die ganze Gestalt von Frederik. Ihre Eltern konnten es deutlich sehen. Dann zählte sie auf: "Er hat ein weißes T-Shirt an und eine leichte Windjacke darüber. Er trägt Jeans mit einer großen Gürtelschnalle. Die Schnalle zeigt einen stilisierten Löwenkopf."

"Woher... woher weißt du, wie ein Löwenkopf aussieht?" wunderte sich ihr Vater.

"Ja, habt ihr denn immer noch nicht begriffen?" regte sich Sandra auf. "Ich kann SIE sehen - alle! Sie brauchen nur nahe genug zu sein, in Sichtweite, wie Frederik das gerade formuliert hat. Und sie tragen die unterschiedlichsten Kleider. Es sind auch Leute dabei, die ganz abenteuerlich gekleidet sind. Manche sehen aus wie Krieger. Ich habe Soldaten gesehen, manchmal auch Leute, die gar nicht von dieser Welt zu stammen scheinen, so unglaublich sind sie angezogen. Und ich habe ihnen immer wieder zugerufen. Manchmal haben sie sich auf ein Gespräch eingelassen. Sie hielten dabei allerdings stets gebührend Abstand. Nur Frederik war näher gekommen, als einziger. Die anderen haben eine unerklärliche Angst vor mir."

Sie schaute Frederik ins Gesicht.

"Ja, Frederik, wieso haben alle diese Angst vor mir und du nicht? Was ist der Grund?"

Seine Miene verschloß sich. Wie immer, wenn sie ihm solche Fragen stellte.

"Ja, manche haben sich auf ein Gespräch eingelassen, aber nur so lange, wie alles unverbindlich blieb. Sie haben mir zum Beispiel auch mal erklärt, was ihre Kleidung bedeutet. Deshalb weiß ich auch, wie ein stilisierter Löwenkopf aussieht, auch wenn ich noch niemals einen Löwen gesehen habe, denn die ANDEREN, die sehen immer aus wie Menschen."

"Das - das ist doch völlig unmöglich!" begehrte Mrs. Price auf.

"Aber sie hat beschrieben, was Frederik an hat!"

"Das - das kann doch nur ein Trick sein!" behauptete Mrs. Price. "Der - der hat sich an unsere Sandra heran gemacht und ihr eingeredet, er sei der Frederik, von dem sie immer erzählt. Jetzt begreife ich endlich. Die beiden spielen uns hier ein Theater vor. Das ist alles abgekartetes Spiel." Sie wandte sich zornbebend an Frederik. "Was erhoffen Sie sich davon?" Jetzt siezte sie ihn plötzlich wieder. "Wir sind nicht so reich, daß es sich für Sie lohnen würde."

"Ich bin nicht Ihretwegen hier", sagte Frederik, und es klang sehr traurig, "sondern nur wegen Sandra. Wir kennen uns nun schon so lange... Ich war immer ihr Freund, und ich würde niemals etwas tun, was ihr schadet. Das müssen Sie mir glauben, Mrs. Price, auch wenn es Ihnen noch so schwer fällt. Ihre Tochter und ich... Anfangs waren wir wie Geschwister. Aber sie wurde älter, während ich mich nicht veränderte. Bis heute."

"Und wieso bist du jetzt hier - als Mensch?" schrie Sandra. "Was hat sich verändert? Wieso kann ich dich trotzdem als einzigen Menschen auf der Welt sehen?"

Sie sprang unvermittelt auf ihn zu und schlug mit ihren zierlichen Fäusten gegen seine Brust. Es war ein wahrer Trommelwirbel.

Frederik wehrte sich nicht. Er wich rückwärts aus, aber da stand Sandras Vater. Er konnte nicht weiter.

Mrs. Price vergaß ihre Empörung. Sie schaute fassungslos auf das, was vor ihren Augen sich abspielte.

Endlich gelang es Frederik, Sandras Fäuste zu packen und zu verhindern, daß sie damit weiter auf ihn einschlug.

Weinend warf sich Sandra ihm an die Brust.

Frederik ließ sie wieder los, und da klammerte sich Sandra an ihn wie eine Ertrinkende.

Ihre Eltern standen dabei und schauten zu, aber sie reagierten nicht. Sie waren einfach von alledem überfordert. Sie begriffen überhaupt nichts. Sie hatten von Anfang an Frederik als einen Betrüger angesehen - und das taten sie insgeheim immer noch. Mrs. Price hatte ihre Tochter sogar verdächtigt, mit Frederik gemeinsame Sache zu machen, um ihre Eltern zu täuschen. Aber erstens war das überhaupt nicht die Art von Sandra und zweitens... Wieso war sie denn dann jetzt so verzweifelt? Was ging in ihr vor?

Beide begriffen, daß sie eigentlich überhaupt keine Ahnung von ihrer Tochter hatten. Sie wußten nur eins, nämlich daß sie ihre Tochter unendlich liebten. Immer wieder hatten sie sich vorgenommen, für ihr blindes Kind vollstes Verständnis zu haben, in allem, aber eigentlich hatten sie kläglich versagt. Nicht nur, weil sie ihr niemals hatten glauben können, daß es Frederik wirklich gab.

Und jetzt standen sie nur herum wie Statisten ohne eigene Rolle. Sie waren hilflos. Zwar hätten sie Frederik am liebsten hinaus geworfen und wünschten sich nichts sehnlicher als daß alles wieder so werden würde wie es in den vergangenen Jahren gewesen war - vor dem "persönlichen" Auftauchen von diesem Frederik! -, aber sie ahnten längst, daß dies nun mehr ein unerfüllbarer Wunsch bleiben würde. Alles hatte sich verändert. Nicht nur für Sandra, wie sie deutlich sehen konnten, sondern auch für sie, Sandras Eltern.

Und dieser Frederik?

Er blieb der Betrüger in ihren Augen, denn es konnte doch niemand plötzlich Gestalt annehmen, den ein blindes Mädchen einst erfunden hatte - oder?

*

Es war wie ein Anfall, von unbestimmbarer Dauer. Jedenfalls konnte später niemand mehr sagen, wie lange es gedauert hatte, bis sich Sandra plötzlich wieder von Frederik los riß und vor ihm einen Schritt zurückwich.

Sie schaute ihn anklagend an und wollte etwas sagen, aber plötzlich stutzte sie.

Sie waren wieder da! Die ANDEREN, wie sie diese Menschen nannte, die für alle unsichtbar blieben, außer für sie, Sandra. Sie waren wieder aufgetaucht. Erst ihre Gesichter, als würde sie die ewige Finsternis nur widerwillig freigeben. Stumm starrten sie in ihre Richtung. Nein, sie hatten keine Augen für Frederik oder für ihre Eltern, sondern nur für Sandra. Sie traten näher. Die Scheu, die sie sonst zeigten, war wie weggeflogen, und im gleichen Maße, wie Sandra soeben noch Frederik anklagend angeschaut hatte - im gleichen Maße klagten sie jetzt sie, Sandra, an!

Aber wieso? fragte sich Sandra verzweifelt.

Sie ballte wieder ihre zierlichen Hände zu Fäusten und wirbelte einmal um die eigene Achse.

Sie waren ringsum. Sie hatten sie regelrecht eingekreist - und der Kreis wurde allmählich enger. Sie schlurften näher. Sandra hörte deutlich das Schlurfen ihrer vielen Füße. Sie schlossen den Kreis eng um sie herum, als wollten sie damit ein Ausbrechen verhindern.

Auf einmal hatte Sandra Angst, entsetzliche Angst.

Was wollten sie von ihr? Wollten sie ihr nicht nur nahe kommen, sondern wollten sie...?

Sandra wagte gar nicht, den Gedanken zuende zu denken.

Ein Blick auf Frederik.

Der sah die ANDEREN nicht: tatsächlich! Sonst hätte er nicht schuldbewußt Sandra angeschaut. Hinter seiner Stirn arbeitete es mächtig. Er suchte nach Worten, nach Erklärungen, aber offensichtlich vergebens.

Auch ihre Eltern konnten nichts von der Szene mitbekommen. Sie schauten nur auf ihre Tochter und versuchten zu begreifen, wieso Sandra sich auf einmal noch seltsamer benahm als gerade eben noch.

Am liebsten hätte Sandra jetzt um Hilfe geschrien, von ihrer Todesangst dazu getrieben, aber was hätte ihr das genutzt? Wer hätte ihr denn helfen können?

Frederik war nicht mehr einer der ANDEREN. Er konnte sie nicht einmal sehen, so wie Sandra. Er würde ihr auch nicht beistehen können.

War es das, was den ANDEREN jetzt Mut machte und was sie dazu veranlaßte, sich so drohend zu nähern?

Ihre Gesichter waren nicht nur anklagend, wie sie jetzt feststellte, sondern manche verzerrten sich wie vor Haß. Sie hoben ihr Hände, als könnten sie es kaum erwarten, Sandra zu packen.

Aber Sandra schrie nicht. Sie blieb stehen und wurde auf einmal ganz ruhig. Sie schaute sie an, jeden einzelnen.

Die Angst fiel von ihr ab wie ein Schleier, den nichts mehr halten konnte.

Es gab keinen Ausweg für sie. Wenn die ANDEREN ihr wirklich Gewalt antun wollten, hatte sie keinerlei Chance. Sie konnte weder ausweichen, noch konnte sie sich gegen diese Übermacht wehren.

Und da hatten die ANDEREN sie erreicht. Noch niemals war auch nur einer von ihnen ihr so nahe gekommen. Außer eben Frederik.

Ein kurzer Blick wieder zu ihm.

Er war irgendwie... Mensch geworden, jedenfalls ein Mensch des Diesseits. Aber nicht völlig, sonst hätte sie ihn doch gar nicht mehr sehen können, oder?