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Was tut Leib und Seele wohl, wenn es uns mal gerade nicht so gut geht? Was sind Lichtblicke, die uns stärken und aufrichten, wenn wir einmal niedergedrückt, gar aus dem inneren Gleichgewicht gebracht sind? Hoffnung, neue Kraft und Halt sind wichtig, wenn wir es im Leben schwer haben. Was hilft – nicht nur in schweren Krisen von Verlust oder Trauer, sondern in alltäglichen Malaisen? Anselm Grün, ein erfahrener und lebenszugewandter Begleiter von Menschen, schildert ganz konkret, was tröstet: Nicht nur die Zuwendung eines Menschen kann das sein, die wir erfahren. Sondern auch kleine Freuden, die man bewusst suchen kann: die Begegnung mit Natur, Musik oder Kunst. Kleine Gesten oder die Erfahrung von Verbundenheit mit einem Größeren. Zugänge zu heilsamen Erfahrungen. Und inspirierende Impulse für den Alltag.
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Seitenzahl: 163
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Anselm Grün
Was tröstlich ist
Ein einfach-leben-Buch
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagmotiv: © doit/Getty Images
E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN E-Book: 978-3-451-82564-4
ISBN Print: 978-3-451-00868-9
WAS LEIB UND SEELE GUT TUT
Vorwort
1.VOM FALSCHEN UND VOM BILLIGEN TROST
„Fertigwaren“ und „Leerformen“
Kein Vertrösten, keine Besserwisserei
Vergleichen ist der falsche Weg
Die Versprechen des Marktes
2.VOM TROST IN DER VERBUNDENHEIT
Der Beistand der Freunde
Selber anderen Trost werden
Eine Umarmung ohne Worte
Ein vertrautes Gespräch
Miteinander sprechen und sich verstehen
Zugehörig sein und gehört werden
Der Heimat verbunden – in der Seele berührt
Wohltuend lebendig, wohltuend milde: Kinder und Alte
3.VOM TROST, DER IN DER SCHÖNHEIT LIEGT
Bücher als Weggefährten
Lesen beflügelt Geist und Seele
Gedichte lesen – die Kraft der Poesie
Musik berührt die Seele
Gemeinsam singen – eine Quelle der Freude
Im Kraftfeld der Schönheit: Bilder
4.VOM TROST DER NATUR
Im Einklang mit „Mutter Natur“
Eine Bank am Waldrand
Zuflucht unter Bäumen
Neue Energie im Garten
Freudenspender, Augentrost: die Blumen
Ein Spaziergang im Freien
Die wunderbare Welt der Vögel
Ein Hund, der auf mich wartet
Eine Katze schnurrt die Sorgen weg
Pferde: Kraft und Anmut
Sitzen am Fluss, am strömenden Wasser
5.VOM TROST, DER LEIB UND SEELE STÄRKT
Alles, was Lust macht
Sich spüren: Sport und Bewegung
Leibspeisen – Seelennahrung
Lob des Mittagsschlafs
Wandern – ganz im Leib sein
Tief versunken im Spiel
Ein Bad, das reinigt und belebt
Wein schmecken und genießen
Zauberer und leiser Tröster: der Schlaf
6.VON DER KRAFT DER INNEREN QUELLE
In Berührung mit den inneren Quellen
Ich darf mich selbst umarmen
Weinen heilt: Überlass dich den Tränen
Die Erinnerung kann niemand rauben
Dinge, die zu Zeichen werden
Pilgern an Orte der Kraft
Das Leben mit Humor nehmen – trotz allem
7.VOM TROST DER KONTEMPLATION
Stille: Der Trost des reinen Seins
Trost der Philosophie
Wahrheit, die frei macht
Beten vereint unser Herz mit Gott
Der Gott allen Trostes
Rituale, die Halt geben
Der Tröstergeist
NEUE KRAFT UND HOFFNUNG
Nachwort
LITERATURHINWEISE
ZUM AUTOR
Der moderne Philosoph Hans Blumenberg stellt einmal die Frage: „Weshalb sind wir trostbedürftig?“ Und er gibt die Antwort: „Weil wir keinen Grund haben, dazusein“ (Blumenberg 635). Was sagt dieser Satz über uns heute aus, und was bedeutet er für das Verständnis unserer Situation als Menschen? Zum einen konstatiert er: Der Mensch hat keinen sicheren Grund, auf dem er stehen kann und der ihm selbstverständlich Festigkeit verleiht. Zum anderen hält er fest: Der moderne Mensch weiß letztlich nicht, warum er überhaupt da ist. Er findet keinen rationalen Grund für seine Existenz. Er zweifelt am Sinn seines Daseins. Er hängt gleichsam in der Luft. Wer aber keinen Grund hat, da zu sein, der bedarf des Trostes. Trost kommt von Treue und meint ursprünglich: innere Festigkeit. Weil wir keinen Boden unter den Füßen haben, brauchen wir Trost, der uns wieder Festigkeit verleiht. Nur wenn einem Menschen mitten in der Grundlosigkeit seiner Existenz neuer Grund gegeben wird, kann er Leben und Freude neu erfahren.
Unsere Trostbedürftigkeit kann also sehr grundsätzlich verstanden werden, als existentielle Grunderfahrung. Das kann sich auch in der Empfindung von Traurigkeit, im seelischen Schmerz der Bitterkeit oder in einer negativen Emotion wie Zorn oder Wut ausdrücken. Diese Trostbedürftigkeit kann uns aber auch konkret in einer ganz bestimmten Situation treffen: Ob ein kleines Kind, das sich am Knie verletzt, blutet und Schmerzen hat, unglücklich weinend in die Arme seiner Mutter flieht; oder ob ein alter Mensch in seiner Isolation verstummt, weil ihm niemand beisteht; ob jemand einen geliebten Menschen durch den Tod verloren hat und ganz in seiner Trauer versinkt oder ein anderer, mit einer schweren Krankheit konfrontiert, aus dem Gleichgewicht gerät und nicht mehr weiterweiß; ob ein Mensch in einer Beziehung scheitert oder jemand anderer in einer Depression versinkt und aus seinem schwarzen Loch nicht mehr herausfindet oder ob wir uns einfach nur schwach und hilflos fühlen: wir alle können, oft ganz unvermittelt, in die Situation kommen, dass wir trostbedürftig werden. Jeden kann es treffen. Aber wir alle sind auch fähig, Trost zu geben.
Wir sprechen von ungetrösteten und von untröstlichen Menschen. Der ungetröstete Mensch ist in Trauer gefallen. Aber keiner ist da, der ihm beisteht. Er findet sich im Dunkel und kann kein Licht erkennen. Er wartet auf Trost, aber er findet keinen. Kein Mensch wagt sich in seine Trauer hinein. Das lateinische Wort für Trost aber ist „consolatio“. Das meint, dass einer bei mir und mit mir ist, dass einer bereit ist, in meine Einsamkeit hineinzugehen und auch bei mir zu bleiben. Viele halten dieses Ungetröstetsein nicht aus. Sie stürzen sich in die Arbeit oder in die Sucht. Oder sie verdrängen das Gefühl einfach, weil es zu schmerzlich ist. Oder aber sie suchen ständig nach Menschen, die sie unterstützen könnten. In ihrer Unersättlichkeit übersehen sie die vielen hilfreichen Möglichkeiten, die für sie da sind. Es gibt ja nicht nur andere Menschen, die uns trösten. Es gibt viele Dinge in unserem Leben, die uns in einer solchen Situation wohltun können: Ein schönes Bild kann uns ansprechen, aber auch ein harmonischer Ort in der Natur, zu dem es uns hinzieht. Es kann auch ein Tier sein oder die Freude, im Chor zu singen, und nicht zuletzt auch die körperliche Anstrengung, sich etwa bei der Arbeit im Garten oder beim Sport zu verausgaben. Und letztlich ist Gott immer da, „der Gott allen Trostes“, wie ihn Paulus nennt.
Untröstlich sind Menschen, die sich nicht trösten lassen. Beim Propheten Jeremia heißt es: „Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen“ (Jer 31,15). Solche Menschen sind verzweifelt und ohne Hoffnung, unfähig auch, tröstliche Worte an sich heran- oder in sich hineinzulassen. Sie können keinen Frieden mit ihrer Situation machen. Zu groß ist der Schmerz. Wir sollen diesen Schmerz ernst nehmen und auch diese Trostlosigkeit aushalten. Bei einem trostlosen Menschen stehen zu bleiben, ihm im Wortsinn „beizustehen“, an ihm und seiner konkreten Situation eingehendes, waches und genaues Interesse zu haben und ihn nicht mit frommen Worten zu vertrösten, das kann allmählich doch zum Trost werden. Aber der Schmerz muss ausgehalten werden. Wir können ihn nicht überspringen. Doch wenn jemand bereit ist, trotz der Schmerzen und in aller Trostlosigkeit bei ihm zu bleiben, und auch seine Klage über den Schmerz aushält, dann kann auch im trostlosen Menschen die Hoffnung wieder wachsen. Und dann kann er auf einmal leichter offen werden für die Dinge und Orte und auch für die Menschen, die für ihn zum Trost werden können, und es kann auch das grundlegende Vertrauen wachsen auf Gott und darauf, dass er aus dessen bergenden Händen niemals fallen kann.
Bei Beerdigungen wünschen sich die Hinterbliebenen oft das Lied von Dietrich Bonhoeffer: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar.“ Bonhoeffer hat sich dem Unrecht des Dritten Reiches entgegengestellt und den Tod dafür in Kauf genommen. Gerade in der schwierigsten Situation seines Lebens, gefangen im Keller des Gestapogefängnisses, ohne Sprecherlaubnis und ohne Besuchsmöglichkeiten, als er darüber nachdenkt, was die christliche Botschaft in dieser unchristlichen Welt bedeutet, erfährt er sich getröstet: „von guten Mächten“. Das ist kein naiver Optimismus. „Noch drückt uns böser Tage schwere Last“, heißt es in der zweiten Strophe dieses Liedes, das er in einem Brief aus der Haft schmuggelt. Und auch mit der Möglichkeit des Todes, „dem Kelch, dem bittern“, rechnet er. Aber stärker ist für ihn, auch unter diesen Umständen der Ohnmacht, der Glaube an die Macht Gottes, die sich in dieser Welt gezeigt hat. Trost spendet für Bonhoeffer also: sich mitten in der schmerzlichen Wirklichkeit dieser Welt, die man mit offenen Augen und ohne etwas zu beschwichtigen anschaut, getragen zu fühlen. Bonhoeffer spricht von Gott in einer weltlichen Sprache. Aber die Bilder, die er in seinem Lied entwirft, erreichen jeden Menschen. Manche Theologen meinen, die „guten Mächte„ seien ein Bild für die Engel Gottes, die uns überall begleiten und trösten. Andere glauben, dass er an die starken positiven Einflüsse gedacht hat, die er in seiner Familie erlebt hat: sich gehalten fühlen von seinen Eltern und Geschwistern, aber eben auch sich getragen fühlen von dem Glauben, den die Familie gelebt hat. Wie auch immer man das deuten mag – auf jeden Fall sind die guten Mächte ein berührendes Bild für den Trost, den das Vertrauen auf Gott uns schenkt.
Ein schönes Bild des Trostes hat Dostojewskij gezeichnet. In den „Brüdern Karamasow“ schildert er ein Gespräch zwischen einer Frau, die ihr Kind verloren hat, und dem Starez, zu dem sie in ihrer Verzweiflung geht. Der Starez tröstet sie nicht mit frommen Worten und auch nicht mit dem Verweis auf das Jenseits, in dem das Kind jetzt glücklich in Gott ruht und wo sie sich einst wiedersehen werden. Das könnte durchaus ein Trost sein. Der Starez tröstet die Mutter vielmehr, indem er sie dem Leiden der Liebe überlässt. Er ermutigt sie, gerade wegen des Todes ihres Kindes weiter zu lieben. Und dann zeigt er die wahre Trostlosigkeit auf, die uns bedroht. Er nennt sie „die Hölle“. Damit meint er nicht einen jenseitigen Zustand des Schreckens, sondern die Hölle, die wir uns hier auf Erden selber schaffen: „Die Hölle ist der Schmerz darüber, dass man nicht mehr lieben kann.“ Hier auf Erden vermag die Liebe die Trostlosigkeit zu verwandeln. Was uns tröstet, ist eine Liebe, die schon hier und jetzt Hoffnung vermittelt. Von dieser Liebe geht die Hoffnung aus, dass mein Dunkel jetzt aufgehellt wird, trotz allem; dass ich mitten in der Sinnlosigkeit Sinn erfahre, mitten in der Trauer, die mir den Boden unter den Füßen wegzieht, wieder festen Grund spüre. Rettenden Halt spendet eine Liebe, die den Mut hat, in die Dunkelheit, in den Schmerz, in die Trauer hineinzugehen und sie von innen heraus zu verwandeln. Das ist auch die Kernaussage des christlichen Glaubens: Jesus selbst ist mit seiner Liebe in die Dunkelheit und Trostlosigkeit dieser Welt hineingegangen und hat sie überwunden.
Der große Theologe des Mittelalters Thomas von Aquin (1225–1274) hat in seinem zentralen Werk, der „Summe der Theologie“, in einer eigenen Abhandlung, der „quaestio 38“, sieben Tröstungen beschrieben. Dabei verzichtet er zum großen Teil auf theologische Argumente. Er sieht im rein Menschlichen Hilfe für Menschen, die traurig sind und unter Schmerzen der Seele, den „passiones animae“, leiden. Er spricht vom Trost der Lust, der befreienden Kraft der Tränen, vom Mitleid der Freunde, der Schau der Wahrheit, vom Trost des Schlafes und des Bades. Dann erst spricht er vom Trost des Gebetes. Es sind bei Thomas vor allem philosophische Gedanken. Sein Dialog mit der Philosophie ist aber zugleich ein Dialog mit der Psychologie. Denn die damalige Philosophie war gleichsam eine Vorläuferin der Psychologie. Es sind ganz menschliche und durchaus weltliche Dinge, die uns trösten. Thomas nimmt den Leib ernst. Trost ist für ihn nicht nur eine seelische Wirklichkeit, er muss auch im Leib erfahrbar sein. Und es sind elementar leibliche Phänomene wie das Schlafen oder die Möglichkeit, ein Bad zu nehmen, die auch unserer Seele Trost schenken. Für Thomas sind all diese Dinge freilich zugleich Geschenke Gottes an uns.
In diesem Buch greife ich solche Einsichten des hl. Thomas von Aquin, aber auch Überlegungen aus der Tradition der frühen Mönche auf, die ich in dem inzwischen vergriffenen Buch über „Die sieben Tröstungen“ dargestellt und für die vorliegende Publikation bearbeitet habe. Und ich übernehme die tröstenden Bereiche, die ich in anderem Zusammenhang schon einmal ausführlicher beschrieben habe, wie Wandern, Musik, Spielen, Lesen usw. Im Nachdenken über das, was für uns tröstlich sein kann, sind mir aber noch viele andere Dinge eingefallen: bestimmte Orte oder Naturphänomene wie Bäume und Blumen, aber auch Tiere: Vögel, der Hund oder eine Katze. Es geht mir bei all dem nicht zuletzt auch darum, wie wir, die wir andere trösten, auch uns selber trösten und wie wir an die Quelle des Tröstergeistes in uns selber gelangen können.
So wünsche ich den Lesern und Leserinnen, dass sie sich von den Gedanken dieses Buches anregen lassen, in ihrem eigenen Leben bestimmte Orte und ganz konkrete Gelegenheiten, aber auch die Wirklichkeit Gottes als hilfreich zu entdecken. Ich bin überzeugt, dass jeder und jede von Ihnen etwas findet, was ihm oder ihr schon einmal Trost gespendet hat und was weiterhin etwas Tröstendes ist, das Sie entweder bei sich haben oder zu dem Sie immer wieder hinfinden, wenn Sie sich als trostbedürftig erfahren.
Rainer Maria Rilke nennt in der zehnten seiner „Duineser Elegien“ die Religionen einen „Trostmarkt“. Seine Kritik: Auf diesem Markt wird Trost gleichsam als konfektionierte Fertigware angeboten und als Beruhigungsmittel verkauft. Es sind für ihn aber nur sprachliche Leerformeln. Als „Gußformen des Leeren“ charakterisiert Rilke solche offensichtlich unangemessenen Trostmittel. Er besteht darauf, dass wir nicht vorschnell über die Schmerzen hinweggehen oder vor ihnen davonlaufen, sondern uns ihnen stellen. Sie gehören zu uns. Sie sind „unser winterwähriges Laub, unser dunkeles Sinngrün, eine der Zeiten des heimlichen Jahres –, nicht nur Zeit –, sind Stelle, Siedelung, Lager, Boden, Wohnort.“
Wenn jemand an sich selber leidet oder starke Schmerzen ihn plagen, dann ist es ein leerer Trost, ihn mit der frommen Formel abzuspeisen: „Gott liebt dich. Bete, dann wird alles leichter.“ Auf einem solchen Trostmarkt wird der Trost allzu billig verkauft. Ein „billiger“ Trost für einen Betroffenen ist auch der Hinweis, nach dem Tod werde Gott ihm alles Leid und allen Schmerz vergelten. Dann werde er es im ewigen Leben umso schöner haben. Das ist eine Vertröstung auf später. Doch die Menschen in Not suchen hier und jetzt Trost. Es hilft ihnen nicht weiter, wenn jemand ihr Leid mit frommen Worten zudeckt. Und es tröstet sie nicht, wenn man ihnen sagt, sie sollten auf Gottes Hilfe vertrauen, dann werde schon alles gut. Die Menschen wollen den Trost nicht irgendwann erfahren. Fromme und vor allem floskelhafte Worte dringen nicht zum Herzen des anderen vor. Manchmal sind solche frommen Floskeln der Versuch, dem Leid des ungetrösteten Menschen aus dem Weg zu gehen: Ich verstecke mich hinter solchen Worten, um mich nicht auf das Leid des anderen einzulassen. Trösten kann aber nur ein Glaube, der den Schmerz nicht überspringt, sondern darauf vertraut, dass ich mit und in all meinem Leid trotzdem in Gottes Hand bin, dass ich nicht in die Leere stürze, sondern letztlich getragen bin.
Der göttliche Trost liegt auch für den religionskritischen Rilke im Menschlichen, ja im Menschen selbst. So schreibt er in einem Brief an Marie von Thurn und Taxis am 6. September 1915: „Es ist ja sicher, dass der göttlichste Trost im Menschlichen selbst ist, mit dem Troste eines Gottes wüssten wir wenig anzufangen; sondern es müsste nur unser Auge eine Spur schauender, unser Ohr empfangender sein, der Geschmack einer Frucht müsste uns vollständiger eingehen, wir müssten mehr Geruch aushalten, und im Berühren und Angerührtsein geistesgegenwärtiger und weniger vergesslich sein –: um sofort aus unseren nächsten Erfahrungen Tröstungen aufzunehmen, die überzeugender, überwiegender, wahrer wären als alles Leid, das uns je erschüttern kann.“ Rilke lehnt den Glauben an Gott also nicht ab, im Gegenteil: Er kreist sein Leben lang um diese letzte Wirklichkeit. Aber Gott ist für ihn der, der uns zu uns selbst, zu unserem inneren Geheimnis zurückführen möchte. Wenn der Glaube uns zu uns selbst zurückführt, dann erfahren wir im Inneren den göttlichen Trost, der gerade darin besteht, intensiv in unseren Sinnen zu sein und in unserem Schauen, Hören, Riechen und Tasten das Geheimnis der Natur und darin das Geheimnis des Lebens zu spüren. Dann sind wir ganz bei uns selbst. Und das ist für Rilke Trost, der stärker ist als alles Leid, das uns im Leben heimsucht.
Vertrösten zielt immer auf die Zukunft. Ich halte den trostbedürftigen Menschen aber nur hin, wenn ich ihm eine Hoffnung mache, an die ich selbst nicht glaube. Ich lasse mich nicht auf das gegenwärtige Leid ein, sondern verweise auf die Zukunft. Das kann rein weltlich geschehen in Worten wie: „Es wird schon wieder besser. Morgen sieht die Welt anders aus.“ Ich erlebe trauernde Menschen, die sich tief verletzt fühlen, wenn ihnen jemand sagt: „Mach doch mal Urlaub, dann kommst du wieder auf andere Gedanken. Der Tod ist doch schon sechs Wochen her. Schau nach vorne.“ Mit solchen Worten lasse ich mich nicht auf den gegenwärtigen Schmerz ein. Ein solches Vertrösten kann auch religiös gefärbt sein: „Im Himmel wird alles anders sein. Da wird Gott alle deine Tränen abwischen. Da wird es dir gut gehen.“ Auch solche Vertröstungen, die ein besseres Jenseits versprechen, sind der Versuch, den Schmerz des trauernden Menschen zu überspringen. Ich lasse mich auch da nicht auf den anderen ein, sondern vertröste ihn auf eine bessere Zukunft. Leidende Menschen suchen aber nach Trost im Sinne von etwas, was sie jetzt hält und trägt. Das muss nichts „Großes“ sein, aber halten muss es. Trost kommt von „Festigkeit“, „Standfestigkeit“. Ich tröste den trauernden Menschen, wenn ich bei ihm stehen bleibe, wenn ich ihn nicht nur äußerlich bedauere, sondern mit meiner Person seine Tränen, seine Verzweiflung, seine Haltlosigkeit und Sinnlosigkeit aushalte. Ich brauche dann gar nichts zu sagen: Schweigend die Not des anderen und den trauernden Menschen selbst auszuhalten – das tröstet wirklich.
Der trostbedürftige Mensch braucht auch keinen Besserwisser, der ihm Ratschläge erteilt, was er künftig alles anders und richtig machen soll. Wenn ich jemand einen Ratschlag erteile, stelle ich mich über ihn. Doch dann fühlt sich der andere gedemütigt. Ich gebe den Ratschlag von oben herab und an der Wirklichkeit des Menschen vorbei. Wenn ein Mensch in der Depression den Rat hört: „Reiß dich zusammen!“, oder: „Stell dich nicht so an!“, oder: „Du musst deine negativen Gedanken loslassen!“, oder eine Trauernde: „Geh einfach mal spazieren oder lies ein interessantes Buch, das dich ablenkt!“ – was soll ein betroffener und in der Seele verletzter Mensch damit anfangen? Der trostlose Mensch braucht einen Tröster, der sich auf die gleiche Ebene stellt wie er, der erst einmal gar nichts sagt, sondern einfach nur zuhört. Er setzt sich auch nicht unter Druck, dem anderen kluge Ratschläge geben zu müssen. Er sagt gar nichts. Er hört nur schweigend zu. Ab und zu stellt er eine Frage, um dem trauernden Menschen die Gelegenheit zu geben, noch mehr von sich zu erzählen. Wenn er genügend erzählt hat, kann man nachfragen: „Was brauchst du? Was könnte dir helfen? Was wünschst du dir von mir?“ Dann findet der trauernde Mensch vielleicht selbst Wege, die ihm gut tun und die seine Trauer langsam verwandeln. Der Tröster sollte seine eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht aushalten. Wenn ihm dann spontan ein hilfreicher Gedanke kommt, kann er ihn natürlich aussprechen. Oder er könnte erzählen, was ihm selbst in einer ähnlichen Trauersituation geholfen hat. Dann bleibt er auf der gleichen Ebene wie der Trauernde. So kann ein Gespräch entstehen, das wirklich tröstet.
Manche neigen dazu, ihr Leid mit dem anderer zu vergleichen. Um sich selbst zu trösten sagen sie dann: Anderen geht es noch schlechter als mir. In Afrika hungern die Menschen. Und ich habe genug zu essen. Oder: Die Menschen, die nach außen hin so erfolgreich sind, sind auch nicht glücklich, ja man hört doch, dass gerade sie oft große seelische Not haben. Das Vergleichen meines Leids mit dem Leid anderer hilft mir aber nicht weiter. Es ist mein Leid, in dem ich Trost suche. Natürlich kann der Blick auf andere mein eigenes Leid relativieren. Aber einen wirklichen Trost finde ich nicht in der Erkenntnis, dass es anderen noch schlechter geht als mir. Jetzt geht es mir