was vom Sommer übrig ist - Tamara Bach - E-Book

was vom Sommer übrig ist E-Book

Tamara Bach

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Beschreibung

In diesem Sommer stimmt nichts für Louise. Die Eltern sind ihr noch fremder als sowieso schon und die Klassenkameraden auch, vor allem seit der Sache mit Paul. Und ihr eigentlich so guter Plan, den Job beim Ampelbäcker und das Zeitungsaustragen so einzurichten, dass sie die Fahrstunden schnell abhaken kann, scheitert in der Praxis kläglich. Vielleicht hätte sie zumindest ihrer Oma nicht noch versprechen sollen, auf ihren kurzatmigen Hund Bonnie aufzupassen. Und dann ist da Jana, die mitten im Hochsommer auf einem Stromkasten sitzt und einen dieser kleinen, eingeschweißten Schokokuchen isst. Und die Louise auf einmal wie ein Schatten folgt, fast so, als erwarte sie von Louise, dass sie ihr zeigt, wie man lebt. Tamara Bach ist in ihrem neuesten Buch so nah wie noch nie an ihren Figuren und erschafft mit genau gesetzten Worten eindrucksvolle Bilder. Und Menschen, die einen noch lange nach der Lektüre nicht loslassen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Wir danken dem KOOKbooks Verlag für die freundliche Abdruckgenehmigung eines Ausschnitts aus dem Gedicht »statt einer ausfahrt« von Alexander Gumz. Aus »ausrücken mit modellen«, © KOOKbooks, Berlin 2011, S. 26. Wir danken außerdem dem Berliner Senat für die freundliche Unterstützung der Arbeit an diesem Roman durch ein Autorenstipendium. CARLSEN-Newsletter Tolle neue Lesetipps kostenlos per E-Mail!www.carlsen.de Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. Alle Rechte CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2012 Alle Rechte für »Lieber Nils« bei Tamara Bach, Berlin 2007 Umschlaggestaltung: Kerstin Schürmann, formlabor Lektorat: Katja Maatsch Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-646-92381-0 Alle Bücher im Internet unterwww.carlsen.de

»(…) jeden sommer wollen wir verloren gehen. jeden herbst finden sie uns wieder. what a pity.«alexander gumz, »statt einer ausfahrt« »Dear Prudence won’t you come out to play?«Lennon/McCartney

Letzte Stunde

»Aha, sieh an, wir haben heute also einen Gast«, sagt er. Dazu ein Lächeln, das nicht stimmt, denn eigentlich kann er Paul nicht leiden. Aber der geht ja ab, taucht also nach dem Sommer nicht mehr auf, ist seit zwei Wochen schon nicht mehr aufgetaucht, hat auch sein Abschlusszeugnis schon. Daher also auch was Vergebendes in seinem Blick, deshalb nennt er ihn auch nur noch »Gast«. Letzter Schultag. Lehnt euch zurück. Die letzten beiden Stunden Klassenlehrerstunden. Paul lehnt sich zurück, sitzt da, wo er das ganze letzte Jahr gesessen hat, da am Fenster, die Arme aufs Fensterbrett gelegt, den ganzen Raum im Blick, die Welt da draußen in seinem Rücken. Ich habe mich dann nicht mehr umgesetzt. Der Platz neben Paul ist seit zwei Monaten nicht mehr meiner.

»Ja, was habt ihr euch denn so vorgestellt, wir sehen uns ja nun nicht mehr, manche kommen ja auch nicht mehr nach den Sommerferien …?«

Bis eben vor der Pause hat die Sonne noch direkt ins Zimmer geschienen, der Raum ist aufgeheizt. Lehnen wir uns doch zurück. Es ist zu warm, um aufrecht zu sitzen.

Ich schau ihn nicht an. Seit zwei Monaten habe ich einen blinden Fleck, der sitzt so, dass ich den Platz da am Fenster nicht sehe, seit zwei Monaten bin ich auf einem Ohr taub.

»Und Lisa, was machst du denn …?« Lisa antwortet irgendwas. Paul wird nicht gefragt. Jeder weiß, was Paul macht, dass Paul auf eine Schule geht, an der man Mathe abwählen kann. Jeder weiß, dass er das sinkende Schiff verlässt, seinen Hofstaat, sein Gefolge. Was wird nur aus euch werden?

»Ja, ich dachte, ihr hättet vielleicht irgendwas geplant für heute …?«, sagt der da vorn. Immer hängen an seinen Sätzen hintendran drei Punkte, als käme da noch was, fill in the gaps. No, Sir, niemand hat sich heute was ausgedacht, keiner spielt ein Lied, keiner bringt eine Geschichte mit.

Vielleicht wartet er ja auch auf ein Geschenk von uns, etwas, was ihm sagt, dass er die letzten beiden Jahre nicht ganz umsonst mit uns verbracht hat, so was wie einen Bildband oder, besser noch, was Selbstgebasteltes, bei dem alle mitgemacht haben. Nichts. Also drei Punkte und 28 Grad Celsius im Schatten bis 11.15 h.

Eine dicke Haut ändert nichts an der Hitze.

Als ich mich nach vorne lehne, nur um anders zu sitzen, da streift mein Blick doch mal den Platz am Fenster, da sehe ich einen Ellbogen und sehe, dass ein blaues Auge zu mir schaut, und keiner sieht’s, wie er da schaut und dabei mit der neben ihm redet, die dann irgendwann meinen Platz eingenommen hat. Nur kurz schaut er, und da ist nichts, nur Kälte, aber das macht nichts, so heiß, wie es ist. Das macht nichts mehr, wenn nur noch 38 Minuten Schuljahr übrig sind.

Was zu Tun ist

–  Einen Job suchen (Ampelbäcker?)

–  Bonnie bei Oma abholen

–  Fahrschule anrufen

–  Fahrrad –> Reifen reparieren!

–  Schulkram ausmisten und Ferien. Oder was Ähnliches.

Herkunft – offizielle Version

Meine Eltern sagen, das sei doch ein Glücksfall, dass meine Mutter als Krankenschwester und mein Vater als Elektriker/Mannfüralles an derselben Klinik eine Anstellung gefunden haben, die sie beide auch schon seit Jahren halten können, weil: Nur wer ordentlich arbeitet, der wird auch nicht wegrationiert. Und das Glück, nur fünf Minuten entfernt vom Arbeitsplatz ein kleines Haus gefunden zu haben, mit einem kleinen Garten, dass das Kind (also ich) stets in der Nähe der Eltern sein kann. Überhaupt: ein Haus! Keine Wohnung! Mit einem Garten!

Meine Eltern sagen, das sei alles nur eine Sache der Planung, dass das Kind (ich) beaufsichtigt sei, dass Haus und Hof in Ordnung gehalten werden können, dass alles also so läuft, wie es soll, und vor allem nicht aus dem Ruder.

Meine Eltern arbeiten in Schichten. Meine Eltern sind in Schichten zu Hause. Zu Hause gibt es eine Vater- und eine Mutterschicht, es gibt kleine Zeiten, da sind beide zu Hause, und es wird Sorge getragen, dass dann immer einer wach ist.

Meine Eltern sagen, dass es hier sehr ruhig ist und so grün und der kurze Weg zur Arbeit und dass das Kind (ich, Louise Helene Waldmann) mit dem Fahrrad in einer Viertelstunde an der Schule ist. Dass außerdem noch ein Bus alle Viertelstunde in die Innenstadt fährt, auch am Abend, in Stoßzeiten sogar 10-minütig. Dass das Kind (ich. Ja, ich) überhaupt keine Probleme hat, mal allein in die Stadt zu fahren, auch mal am Abend auszugehen. Ja, in dem Alter muss man ja nicht mehr sooo die schützende Hand über das Haupt des Kindes (ichichichich) halten, da kann man die Zügel auch mal ein bisschen lockern, nicht wahr? Und meine Eltern sind auch gar nicht so! Meine Eltern lassen das Kind (mich verdammt noch mal!) raus! Und sie müssen auch nicht mehr die Wachschichten- und Anwesenheitsregelung handhaben wie damals, als das Kind erst frisch auf dem Gymnasium angefangen hat, als man sich noch Sorgen machen musste, ob sie das überhaupt schafft, zumal die Eltern (meine Eltern) das Gymnasium nicht besucht haben. Und das Kind wurde beiseitegenommen, ihm wurde gesagt, dass man dem Kind ab einem bestimmten Punkt nicht mehr werde helfen können, und das Kind hat tapfer genickt. Und trotzdem haben die Eltern es geschafft, es jahrelang geschafft, dem Kind mittags ein warmes Essen zu bereiten, dem Kind über die Schulter zu schauen, wenn es bei den Hausaufgaben saß, ihm über den Kopf zu streicheln und nur unauffällig zu gähnen, wenn es kurz und bündig von seinem Tag berichtete. Sie haben es geschafft, trotz der Müdigkeit nicht ins Schlafzimmer zu gehen, sondern sich in Reichweite auf das weniger bequeme Sofa zu legen. Sie haben dem Kind gesagt, sie würden nur mal kurz die Augen schließen, und falls was sei, und das Kind machte seine Hausaufgaben und ging auf besockten Zehenspitzen durchs Haus.

Aber das Kind ist ja jetzt groß.

Ich bin jetzt groß.

Familie. Zu Hause.

Louise Helene Waldmann.

Louischen. Lou. Lulu. Herzchen.

17 Jahre alt, also alt genug, um endlich den Führerschein zu machen (»Quatsch, Führerschein, wofür brauchst du den denn? Hier in der Stadt kommst du doch mit dem Bus und dem Rad überall hin!«).

Mutter: Krankenschwester im hiesigen Krankenhaus (»Ja, die Arbeitszeiten, aber das geht schon, das hat sich eingespielt«).

Vater: Elektriker, Hausmeister, angestellt am selben Krankenhaus (»Och, vor allem Elektrik, aber auch alles, was so anfällt, verstehen Sie? Da kann ich auch mal gerufen werden, wenn’s einen Wasserrohrbruch gibt, man bildet sich ja weiter, is ja kein Ding«).

Keine Geschwister.

Abschlusszeugnis der 10. Klasse mit einem Durchschnitt von 2,0.

Ich lebe in einem kleinen Haus mit kleinem Garten (mit Erdbeeren. Einem Rasen), in dem ich kleine Spiele gespielt habe, als ich selbst noch klein war. Wenn meine Eltern von dem Haus und dem Garten und der Nähe zur Arbeit sprechen, vergessen sie, etwas zu erwähnen: dass das Haus im Schatten der Klinik liegt, gegenüber vom Friedhof. Da ist eine kleine Kapelle, die eine laute Glocke hat, und selbst im 20. Stock des Krankenhauses kann man das Läuten hören, wenn sie wieder einen zu Grabe tragen.

Und da oben stehen sie in ihren Bademänteln auf dem Balkon, halten sich an der Brüstung fest, stehen da in ihren Pantoffeln und schauen nach unten. Und je weiter oben man ist, umso weniger hat man vielleicht damit zu tun, umso seltener denkt sich einer da oben, das da unten, das könnte ich sein, das da in dem Sarg.

Meine Eltern haben inzwischen Hornhaut auf den Ohren. Man hört die Glocken hier, man hört die Sirenen der Rettungswagen, und langsam haben sie sich abgewöhnt aufzuschrecken, wenn die Sirene an unserem Haus vorbeijault, wenn die Glocken jemandem den Weg ins Jenseits bimmeln.

Meine Eltern haben auch Hornhaut auf den Augen. Das merkt man, wenn sie einen anschauen. Sie sagen, das sei, weil sie so müde sind. Das seien die müden Augen, die auf der Arbeit erst wieder mit zwei Tassen Kaffee geöffnet werden, eine für jedes Auge.

Ich seh sie nur zu Hause. Ich seh sie gar nicht. Manchmal sind sie hier. Manchmal liegt einer auf dem Sofa oder im Bett. Manchmal kommt einer vom Einkaufen wieder, stellt die Tüten auf den Küchentisch und ruft mich zum Auspacken und Wegräumen und muss dann auch schon wieder los. Einmal pro Woche putzt jemand das Bad, die Küche, manchmal, selten, die Fenster. Jemand mäht den Rasen, wenn es sein muss. Alles erledigt sich.

Wie still es hier ist.

Sommerferien

Und was machst du so diesen Sommer? Fährst du weg? Ans Meer? Zu Freunden? Machst einen Sprachkurs? Jobbst im Betrieb deines Vaters und hängst den Rest der Zeit am Baggersee rum? Oder fährst du auf dieses Festival im Osten?

Drei Leute haben mich gefragt, was ich diesen Sommer mache.

1. Meine Großmutter

»Louischen, wann fangen denn die Ferien an?«

»Nächste Woche.«

»Und? Hast du dir was vorgenommen?«

»Ich muss Geld verdienen und wollte auch noch …«

»Du sag mal, Louischen, ich fahr ja zu Tante Jette in die Toskana.«

»Mmh?«

»Und du weißt ja, die hat so Probleme mit Bonnie.«

»Echt? Mit Bonnie?«

»Jajaja, neuerdings behauptet sie, dass sie allergisch ist.«

»Ist sie nicht?«

»Und ich fahre ja ab Montag, für vier Wochen, und da wollte ich fragen, ob du vielleicht Bonnie nehmen kannst. Du kommst doch so gut mit ihr zurecht. Du bist doch so gut mit Hunden.«

»Ähm, ich glaub, da muss ich erst mal Mama …«

»Du, das hab ich alles schon mit deiner Mutter besprochen. Sie meint, sie kann halt nicht auf den Hund aufpassen, hat aber nichts dagegen, wenn du das machst. Schau, damit würdest du mir wirklich eine Freude machen! Ich komm doch so selten raus.«

»Ich weiß nicht …«

»Louischen. Du musst das auch nicht umsonst machen! Du nimmst doch Fahrstunden, oder?«

»Ja?«

»Wenn du Bonnie nimmst, dann steuer ich was dazu bei. Na?«

»Okay? Vielleicht …?«

»Fein! Dann komm am Sonntag bei mir vorbei. Ich pack dir alles zusammen. So um 10 Uhr? Ja? Gut. Ich muss jetzt auch mal zur Nachbarin wegen der Blumen. Bis Sonntag. Tschüs, meine Kleine.«

2. Nora aus der b

»Und? Fährste weg?«

»Was?«

»In Urlaub?«

»Ääh …«

»Mein Bus! Scheiße, wieso ist der denn schon …?! Schönen Sommer, ja?«

3. Letzten Winter saßen wir zusammen, in der fünften, die ausfiel, weil sie keine Vertretung gefunden hatten für die Englischlehrerin, die seit Wochen schon krank war. »Nervenzusammenbruch«, haben die Lehrer gesagt, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. »Klapse« und »Die ist durchgedreht«, haben wir gesagt. Und da saßen wir also an der Heizung im Flur, weil sie uns noch nicht gehen lassen wollten, weil wir ja in der sechsten noch Mathe hatten und weil die Cafeteria zuhatte. Wer geht denn schon in die Bibliothek, wenn man da nicht mal reden kann? Den Rücken warm an der Heizung, seit Wochen Minusgrade und der Fußboden selbst durch die Jacke, auf der ich saß, auf der du mit mir gesessen hast, trotzdem noch fühlbar kalt, weil doch Stein. Da saßen wir im Winter, Anfang Januar, dass sich unsere Schultern und Knie berührten. Du meine eine Hand in deinen zwei großen, trockenen Händen, hast sie angefasst, als ob es ein Wunder wäre, was da am Ende meines Armes war. War doch nur eine Hand. Und jeden Finger hast du angeschaut, meine Hand, deine Hände und die warme Heizung. Warme Schultern und Rücken und die Frage nach Sommer, nach Bahntickets, mit denen man quer durch Europa fahren kann. »Ich hab ein Zelt«, hast du gesagt, und ich dachte daran, dass es Zeit wäre für einen neuen Schlafsack, dass man das bestimmt machen kann, so zusammen wegfahren, nicht nur 10 Tage ins Jugendcamp, sondern Wochen, lang.

Der Sommer ist so weit weg, wenn es doch nur Januar ist und dann noch Februar und März kommen, und manchmal schneit es ja sogar noch im April. Es hat nicht geschneit im April. Die Meteorologen haben ungläubig auf die Wetterkarten gedeutet. Und es war Frühling, der Winter vorbei. Es ist komisch, was so alles wegschmilzt, wenn es Frühling wird.

Job 1: Backwaren

»Geh zum Ampelbäcker«, hat meine Oma gesagt, als sie gehört hat, dass ich einen Job suche, denn meine Oma kennt den Ampelbäcker, und weil im Sommer doch alle mit Kindern wegfahren, sucht er eine Vertretung.

Also gehe ich zum Ampelbäcker, und er fragt, was ich denn so alles könnte. Ob ich mit einer Kasse umgehen kann. Und ob ich denn schon mal im Verkauf tätig gewesen bin. Ich schummel ein wenig und sag: »Ja, ist aber schon lange her«, denn das bisschen Bedienen bei der Hochzeit der Schwester einer Freundin war erstens nicht Verkauf, zweitens nicht mit einer Kasse umgehen können und ist drittens nicht mal lange her. Aber es war ein Job, ich war danach müde, ich habe Geld bekommen, und ich habe nach Schweiß gestunken.

Der Ampelbäcker heißt eigentlich Reinhardt, »Bäcker Reinhardt« steht draußen dran, er verkauft Brot, das hinter dem Laden gebacken wird, und Kaffee, in Bohnen, aber auch frisch gemahlen. Der Ampelbäcker heißt so, weil es vor vielen Jahren noch einen anderen Bäcker Reinhardt gab, aber der lag nicht an einer Ampel, sondern bei der evangelischen Kirche. Den anderen gibt es inzwischen nicht mehr, aber die Kirche gibt es noch, die Ampel gibt es noch und den Ampelbäcker auch. Er hat sich gehalten, und das als richtiger Traditionsbetrieb, der sich nicht von einer Kette hat aufkaufen lassen. Der Ampelbäcker hat seit Jahren dieselbe Deko im Schaufenster: eine Partysonne aus Salzteig, einen kleinen Bäcker aus Plastik, der blöde grinst und buschige Augenbrauen hat. Dazu nach Jahreszeit Blumen, Osterhasen, Christbaumkugeln oder Kürbisse. Ampelbäcker Reinhardt hat ein rotes Gesicht und einen dicken Nacken. Er schwitzt, denn draußen ist es heiß, hier ist es heiß, und drinnen, in der Bäckerei, da ist es bestimmt noch heißer. Wir sitzen in der Kaffeeküche, die liegt hinter dem Verkaufsraum, da kann man sich kurz hinsetzen, wenn grade nichts los ist. »Aber nur kurz! Wenn jemand ins Schaufenster guckt und keinen sieht, wie sieht denn das aus!«