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Freunde findet man auch am Ende der Welt! Kaija zieht mit ihrer Familie dorthin, wo ihre Mutter Ruth und die Großtante Josepha aufgewachsen sind. Jetzt ist Kaija neu, und ihre Freunde sind weit weg. Und schon in der ersten Woche nach dem Umzug melden sie sich nicht mehr. Also muss Kaija sich allein zurechtfinden, selbst Entscheidungen treffen und dabei herausfinden, wer sie eigentlich ist, und was Freundschaft wirklich bedeutet. Und auch Ruth und Josepha müssen beide dort am Ende der Welt ankommen, von wo sie damals unbedingt weg wollten. Doch zum Glück gibt es Emily, sehr viele Katzen und die Aussicht auf einen Neuanfang. Tamara Bach erzählt authentisch, eindringlich und mit einer großen Portion Humor und verleiht Kaija, Ruth, Josepha und allen anderen unvergessliche Stimmen. Ein beeindruckendes, warmherziges Buch über Familien und echte Freunde! »Ein einzigartiges Buch, erfrischend, ernst, ergreifend, unvergleichlich.« Neue Westfälische über Sankt Irgendwas »Großartige Lektüre – auch für Klassen und ihre Lehrer*innen.« 1001 Buch über Sankt Irgendwas »Großartige Montage-Erzählung für Jugendliche und Erwachsene.« FAZ über Sankt Irgendwas »[...] mühelos, humorvoll und mit einem feinen Gespür für Situationen und Stimmungen [...].« Süddeutsche Zeitung über Sankt Irgendwas »Spannend und tiefgründig« Leser*innenstimme über Sankt Irgendwas »Ein Lesefest […] ich finde die Geschichte superklasse.« Leser*innenstimme über Sankt Irgendwas
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Kaija ist weggezogen. In die kleine Stadt, in der ihre Mutter und die Großtante Josepha aufgewachsen sind. Jetzt ist sie die Neue und ihre alten Freunde melden sich schon in der ersten Woche nach dem Umzug nicht mehr. Also muss Kaija allein zurechtkommen und herausfinden, wer sie ohne die anderen eigentlich ist.
Aber auch ihre Mutter und Großtante Josepha haben hier Geschichten erlebt, die noch lange nicht fertig erzählt sind. Die von zu Hause und Freundschaft und vielleicht ein paar Katzen handeln.
»Mühelos, humorvoll und mit einem feinen Gespür für Situationen und Stimmungen.«
Süddeutsche Zeitung über Sankt Irgendwas
Buch lesen
Vita
Für Gwens Ohren (as you do)
1. Kaija starrt auf das Schild neben dem Schultor. Neues Gymnasium steht da. Sie sieht hinter dem Tor, hinter dem Schulhof das Schulgebäude. Neu sieht das nicht aus.
Kaija steht da und an ihr vorbei gehen andere durch das Tor, bleiben noch draußen stehen und unterhalten sich, begrüßen sich. Schauen sich um, ob sie jemanden sehen, den sie kennen.
Kaija nicht. Kaija atmet einmal tief ein, als würde sie Anlauf nehmen. Als würde einatmen Mut machen.
Neu, denkt sie, du bist nicht neu, denkt sie und meint die Schule. Ich bin neu.
Versucht es noch einmal mit tief Einatmen, da klingelt es und die Ersten gehen los.
Es ist noch nicht acht Uhr, das Klingeln nur ein Warnschuss.
Sie geht jetzt ein paar Schritte weiter nach drinnen. Drinnen heißt Schulbereich, heißt hinter dem Tor. Da bleibt sie noch einmal stehen, unter einer Kastanie, die bestimmt gepflanzt wurde, als das Gymnasium wirklich noch neu war.
Kaija lehnt sich an die Mauer bei der Kastanie und schaut zu, wie sich die Masse bewegt. Wie erst ein paar, dann mehr zu den Eingängen schlendern, hüpfen, latschen. Sie geht im Kopf alle Synonyme für menschliche Fortbewegung durch.
Kaija geht nicht. Denkt: Ich warte. Ich verweile. Ich harre aus.
Es klingelt zum zweiten Mal.
Kaija merkt, dass sie die Hände zu Fäusten ballt. An der Handinnenfläche haben die Fingernägel rote Mondsicheln hinterlassen. Sie reibt die Hände aneinander, die Abdrücke bleiben.
Kaija geht los und der Kopf zählt ihre Schritte bis zum Schulhaus, sie geht durch die Tür mit anderen, die sich an ihr vorbeidrücken, zählt weiter, geht weiter, die Treppe hoch, schaut auf die Stufen, hat eine Hand am Treppengeländer. Erster Stock.
Kaija geht den Gang lang, der da ist, und findet die Tür zu ihrer neuen Klasse.
Die Tür ist noch zu, im Gang stehen andere, die warten. Ein paar umarmen sich, andere lachen, reden. Kaija stellt sich an die Wand ein paar Meter weiter weg und guckt auf ihr Handy, als wäre da was (da ist nichts).
Dann kommt ein Mann in langen Schritten auf langen Beinen, mit einem klimpernden Schlüsselbund in der einen und einer Ledertasche in der anderen Hand.
»Guten Morgen die Damen und Herren!«, ruft er, als er die Tür aufschließt, »Hereinspaziert, der Spaß fängt an!«
Einer mault, andere lachen, alles bewegt sich in den Raum.
»Du!«, sagt er, als Kaija sich an ihm vorbeidrückt. Sie stellt sich taub, schlüpft ins Klassenzimmer, sucht sich einen Platz. Alle Tische stehen zur Tafel ausgerichtet, der Raum ist voll. Ganz hinten bei der Wand steht ein einzelner Tisch am Fenster. Da setzt sich Kaija schnell hin, dann kramt sie in ihrer Tasche nach Dingen, bis alle sitzen. Der Platz neben ihr bleibt frei. Als Kaija hochschaut, sieht sie: Alle Tische sind besetzt.
Ich bin die ungerade Zahl, denkt sie.
Der Lehrer starrt sie an. Kaija guckt auf ihren Block. Dann redet er los, laut ist er: »Mesdames et Messieurs, Ladies and Gentlemen, herzlich willkommen zu einem weiteren Jahr an dieser Lehranstalt. Möge es ein gutes sein. Ich hoffe, ihr habt alle schöne Ferien gehabt, ja? Fein? Super. Die sind jetzt vorbei, jetzt ist Zeit für Bildung.«
Game Show Host, denkt Kaija.
Sie schielt auf ihren Plan, Herr Rehberge. Natürlich stellt der sich nicht vor. Die kennen ihn ja bestimmt schon alle, denkt Kaija.
»Und wir haben einen neuen Gast in dieser Runde! Du dahinten.«
32 Köpfe drehen sich zu Kaija um.
»Stell dich mal selbst vor, wer bist du, wo kommst du her, was hat dich hierhin verschlagen?«
Kaija schaut noch ihre Hände an, dann guckt sie hoch, über die Köpfe hinweg, zum Lehrer. Muss halb husten. Ein paar kichern.
»Kaija«, sagt sie.
»Lauter«, sagt er.
»KAI-JA!«, ruft sie und jetzt lachen welche.
»Wie heißt die? Na ja?«, sagt eine Stimme vor ihr, eine von 32 anderen.
»Und weiter? Sternzeichen, Schuhgröße?«, sagt der Mann von vorne.
Kaija schüttelt den Kopf und schaut auf die Tischplatte. Die Ersten drehen sich wieder nach vorne um. Gemurmel.
»HEY!«, ruft Herr Rehberge, er meint das Gemurmel.
Kaija wartet. Als sie wieder hochschaut, sieht sie, dass er im Klassenbuch liest.
»Maybaum?«, sagt er und schaut sie an.
Sie nickt.
Er guckt, dann fragt er: »Ist deine Mutter …?«
»Ja«, sagt Kaija.
»Okay.« Er nickt. Er schaut sie noch eine Sekunde lang an, dann klappt er das Klassenbuch laut zu. »Weiter im Text.«
»Was ist denn mit ihrer Mutter?«, flüstert eine laut zu ihrer Nachbarin. Die zuckt mit den Schultern.
»Lena! Ruhe! Fängt das schon wieder an wie letztes Jahr! Wir hatten doch eine Abmachung!«, ruft Herr Rehberge.
Lena kichert. »Sorry!«
»Ja, ja, spiel nur mit meinen Gefühlen.«
Kaija kneift ein Stück Haut an ihrem Unterarm, lange, und schaut dabei nach vorne. Zählt, bis der Schmerz nicht mehr Schmerz ist.
Und, wie war der erste Tag?, werden die Eltern fragen.
Hast du schon jemanden kennengelernt? Magst du deine Klasse? Wie sind deine Lehrer*innen?, werden sie fragen.
Kaija steht auf dem Schulhof in einer Ecke, wo niemand sonst steht.
Bist du denn auf die anderen zugegangen?
Das musst du machen, weißt du?
Du findest bestimmt jemanden, der deine Interessen teilt.
Keiner hat auf Kaija gewartet, als die ersten beiden Stunden vorbei waren. Keiner hat sich zu ihr gestellt, hat gesagt, hi, ich bin Lalala, und du bist neu, komm mit, ich zeig dir hier alles. Wie der Hase läuft. Ich zeige dir, wo man in der Pause steht. Wo man was zu essen kaufen kann. Ich zeige dir die besten Klos, die nicht stinken, wo man nicht anstehen muss. Ich stelle dir die anderen vor und dann frage ich, was du gern machst, und erzähl dir von mir. Und dann stellen wir fest, dass wir ganz viel gemeinsam haben.
Wie schön, denkt Kaija.
Sie macht den Gruppenchat auf, macht ein Foto von sich mit ihrem Brot, knallt einen Sticker drauf, und schickt es ab.
Antwortet keiner.
Kaija schreibt Erster Schultag ohne euch.
Ein GIF mit einem heulenden Kleinkind.
Sie starrt auf den Chat. Keiner geht online, kein Zeichen, kein Like.
Sie seufzt. Dann steckt sie das Handy in die Tasche.
Du musst den anderen auch zeigen, was du für eine Tolle bist, wird Papa sagen.
So toll, denkt Kaija.
Vor ihr liegt so was wie Rasen, die Reste von Rasen. Ein paar vertrocknete Büschel mit viel staubiger Erde drum herum.
Du wirst ganz bestimmt ganz viele tolle Freunde hier finden.
Dich einleben.
Und dann willst du gar nicht mehr weg.
Strangers are just friends you haven’t met yet.
Kaija seufzt noch einmal, dann klingelt es zur nächsten Stunde.
Geht das, denkt Kaija, da hat sie Mathe bei Mikesch, geht das, dass man einfach alleine bleibt? Dass man niemanden kennenlernt? Dass man in der Schule einfach für sich bleibt?
Geht das?, denkt sie, da hat sie Deutsch bei einer Frau mit kurzen Haaren und schwarzer Brille, die ihren Namen nicht gesagt hat, weil die Klasse sie schon kennt.
Kaija hat den Stundenplan in der Tasche stecken.
Wird man dann unsichtbar?
Kaija schleicht in der nächsten Pause zu dem Platz von der ersten Pause. Das Lehrerzimmer liegt auf der anderen Seite vom Schulgebäude. Das weiß sie.
Komm ruhig vorbei in der Pause, falls was ist, hat Mama gesagt.
Kaija schaut nach links, da geht es zum Rest vom Schulhof, da ist es laut. Sie schaut nach rechts, da sind die Fahrräder.
Schaut auf ihr Handy. Nichts.
Noch zwei Stunden.
Kaija beißt auf die Innenseite ihrer Wange.
Sie umrandet fünf mal neun Kästchen auf Karopapier und malt die einzelnen Vierecke aus.
Sie zählt Sekunden.
Sie hört sich selbst atmen und versucht leiser zu sein.
Hört, dass die letzten beiden Stunden ausfallen. Hört, wie sich die anderen freuen.
Hört, wie Sachen zusammengepackt werden, wie alle rausgehen, sich unterhalten. Lachen auch.
Kaija räumt all ihre Dinge wieder in ihre Tasche, macht die Tasche zu und hängt sie sich über die Schulter. Sie geht raus, geht an niemandem vorbei, weil alle schon gegangen sind, auch der Lehrer oder die Lehrerin, der oder die eben noch da saß, unsichtbar, denkt Kaija, geht schneller, als man denkt.
Das ist jetzt der Heimweg, denkt Kaija. Wenn man ihn umdreht, ist es der Schulweg.
Kaija geht dieselbe Strecke nach Hause, die sie am Morgen zum ersten Mal gegangen ist.
Sieht sich wieder die Häuser an, die am Wegrand stehen, die Straßenschilder. Die Gartenzäune, Garageneinfahrten. Briefkästen. Die Vorgärten. Die Namensschilder.
Kaija schnauft.
Die nächste Straße ist ihre.
Sie kommt da an, wo sie jetzt zu Hause sein soll. Müht sich mit der Haustür ab. Klingelt. Wartet. Versucht wieder den Schlüssel.
Irgendwann macht das Schloss klick und die Tür geht auf.
»Hallo?«, ruft Kaija ins Haus.
Das Haus antwortet nicht.
Sie geht in die Küche, da hängt die Tafel, die auch in der alten Küche daheim in der Elsenstraße hing.
Sind beim Arzt, Essen im Kühlschrank, steht da in Papas Schrift.
Das hätte man auch per Handy schreiben können, denkt Kaija.
Sie geht an den Kühlschrank, öffnet ihn und schaut, welches Essen für sie ist. Sieht einen Teller, verzieht die Nase.
Sie schließt den Kühlschrank, nimmt sich einen Apfel aus der Obstschale und geht in ihr neues Zimmer.
Die Tür geht nicht zu wegen der Kisten.
Kaija hat ihre Schultasche noch in der Hand und steht im Türrahmen.
Der Boden ist nicht Lava, der Boden ist Kistengeröll. Ein Hindernisparcours.
Sie seufzt, schiebt mit dem Schienbein die erste Kiste halb aus dem Weg, zwängt sich zwischen zwei anderen durch, schafft es zum Bett und schmeißt sich auf die Matratze.
Ich könnte auspacken, denkt sie.
Kaija gähnt.
Sie rollt sich auf den Bauch und schaut sich ihr Zimmer an.
Aber da sind ja keine Möbel, denkt sie. Und macht die Augen zu. Nur einen Moment.
Die Haustür ist laut, wenn sie zufällt. Mama ruft, dass sie zu Hause ist, und Kaija ist wieder wach und verwirrt.
Sie schaut sich um, das Zimmer, das neue, die Kisten, dann wieder Mamas Stimme.
Kaija ruft, dass sie oben ist. Nichts mehr von Mama. Kaija schaut auf ihr Handy und sieht, dass sie über zwei Stunden geschlafen hat. Sie setzt sich auf, reibt sich die Augen, fischt nach ihrer Tasche, nach der Wasserflasche, trinkt sie leer.
Dann steht sie auf.
»Was machst du?«, ruft Mama von unten.
Kaija zuckt mit den Schultern. Ruft dann »AUSPACKEN!«.
Also steht sie auf und setzt sich mitten ins Zimmer zwischen zwei Kisten.
Ihr linkes Knie liegt jetzt in der Sonne, das rechte im Schatten. Vor ihr steht eine Kiste. Der Deckel ist zugeklebt. Irgendwo muss noch das Messer liegen. Ihre Hände tasten den Radius um ihren Körper ab. Nichts. Sie verlagert ihr Gewicht nach rechts und greift unter die linke Pobacke. Nichts. Rechts auch nichts.
Sie steht auf. Schaut runter. Sieht das Messer. Dann steht sie da und seufzt und schaut zum Fenster raus.
Hell ist es, und warm.
Die Tür geht auf und Mama schaut rein. »Na?«, fragt sie.
Kaija antwortet nicht, guckt Mama nur an.
»Warm«, sagt Mama.
»Mmmh.«
Mama guckt zu den Kisten. Sagt nichts. Die Kisten stehen überall. 80 Prozent Kisten, 20 Prozent Boden. (Und das Bett. Und der Schreibtisch.)
Kaija mault leise und öffnet ein Fenster.
»Pack eine Kiste aus und dann gehen wir zum Bäcker und holen uns Teilchen, ja?«
»Okay«, sagt Kaija irgendwann.
Mama nickt, dann macht sie die Tür zu.
Das Handy liegt auf dem Bett. Kaija steigt über drei Kisten und bleibt fast an einer hängen, also lässt sie sich aufs Bett fallen. Schaut auf ihr Handy. Nichts. Sie macht ein Foto von den Kisten. Stellt es in den Gruppenchat.
Schreibt This is my life now drunter.
Keine Antwort. Sind vielleicht noch in der Schule, denkt sie.
»Ene mene miste«, sagt sie und tippt in der Luft auf die Kisten, »es rappelt in der Kiste.« Sie lacht kurz. »Ene mene meck und du musst weg.« Ihr Finger landet auf einer Kiste. Sie steht auf und öffnet die Kiste, auf der Kram steht, wie auf allen anderen Kisten auch.
»Wir können die Wände anmalen«, sagt Mama.
Sie hat sich bei Kaija untergehakt und versucht mit ihr Schritt zu halten.
»Du hast doch versprochen, dass du genauso klein bleibst wie ich«, sagt sie und schubst Kaija mit ihrer Hüfte an.
»Sorry«, sagt die.
»Das sind die dämlichen Gene von deinem Vater.«
»Kein Kuchen für Papa«, sagt Kaija.
»Genau«, sagt Mama und bleibt vor einer Bäckerei stehen. Als sie die Tür öffnet und reingeht, bimmelt es.
Mama schaut hoch zu der Klingel, als die Frau hinter dem Tresen »Ruth?« sagt.
Mama bleibt stehen und krallt sich an Kaijas Arm. »Ja?«
Die Frau hinter dem Tresen grinst breit.
»Na so was«, sagt sie. »Dich hab ich ja ewig nicht gesehen! Was machst du denn hier? Besuch? Wo wohnst du denn jetzt?«
Mama steht da im Türrahmen, und wenn jetzt jemand reinwill, steht sie direkt im Weg. Kaija zieht Mama weiter zu der Frau.
»Hier«, sagt Mama.
»Hier?«, fragt die Frau.
Mama nickt.
»Das ist ja mal ’ne Neuigkeit! Seit wann das denn?«
Mama zuckt mit den Schultern. »Jetzt?«
Kaija geht noch näher an die Auslage ran, und die Frau, die eben noch mit dem Kopf geschüttelt hat, schaut sie an.
»Deine Tochter?«, fragt sie Mama.
Die geht jetzt endlich ein paar Schritte weiter, bis sie neben Kaija steht. »Ja«, sagt sie und streicht Kaija mit einer Hand über den Rücken. »Wir wollten Teilchen kaufen.«
»Teilchen, wunderbar«, sagt die Frau.
Als sie sich umdreht, sagt Kaija tonlos »Wunderbar« zu Mama, die schubst sie in die Seite.
»Was darfs denn sein an Teilchen?«, fragt die Verkäuferin, dreht sich um und grinst.
»Wer war das?«, fragt Kaija, als Mama sich vor der Tür wieder bei ihr unterhakt und sie den Weg zurückzerrt.
»Ich hab keine Ahnung.« Mama hebt die Hand zum Fenster und winkt der Frau drinnen.
»Schnell weg hier«, sagt sie.
Dann bleibt sie ruckartig stehen. »Shit. Das ist jetzt unsere Bäckerei«, sagt sie und starrt auf den Boden. Dann maunzt sie, stampft auf, dreht sich zu Kaija und sagt »Bringt ja nichts, hätt ich ja wissen müssen«.
Sie laufen weiter.
»Und? Wie wars in der Schule?«, fragt Mama, und Kaija sagt »Und? Wie wars in der Schule«.
Mama schaut Kaija nicht an, sie kratzt sich die Nase.
»Dann lass uns über was anderes reden«, sagt sie.
Kaija fällt nichts ein.
Mama schweigt, summt aber leise und schaut nach den Häusern auf beiden Seiten der Straße, als würde sie nach etwas suchen.
Sie schüttelt den Kopf, dann rennt sie plötzlich los. »Na komm«, ruft sie Kaija über die Schulter zu, »wer als Letztes ankommt, muss den Abwasch machen!«
Kaija sieht Mama laufen. Wir haben doch jetzt eine Spülmaschine, denkt sie.
Die Tante schaut auf den Teller. Mama reißt die Tüte vom Bäcker auf und legt Apfelkuchen, Zwetschgenkuchen, Krapfen und einen Puddingplunder auf den Teller.
Die Tante macht ein Geräusch. Wie ein Hund, wenn er nicht bellen darf. Dann steht sie auf und ächzt, schlurft zur Terrassentür, geht raus.
»Mann«, sagt Mama und guckt ihr hinterher.
Kaija nimmt sich den Zwetschgenkuchen, schiebt ihn leise auf ihren Teller und leckt dann ihre Finger ab.
»Thomas!«, ruft Mama. Sie lauscht ins Haus, bekommt aber keine Antwort.
Mama macht die Terrassentür auf. Die Tante sitzt da auf ihrem Stuhl und raucht.
»Wo ist Thomas?«, fragt Mama.
»Was weiß denn ich, wo dein Mann ist.« Die Tante hat die rechte Hand unter die linke Achsel gesteckt, raucht mit der linken.
Mama geht zum Schuppen, die Tante schaut ihr hinterher und sitzt und raucht.
»Thomas!«, ruft Mama. Dann kann Kaija sie nicht mehr sehen.
Du hast es gut, ich hatte heute 10 Stunden!, hat Remi geschrieben.
Ich hab es so gut. Ich hab Kuchen und früh Schluss gehabt, denkt Kaija. So gut. Und ihr seid sechs Stunden weit weg.
Sie schaut zum Fenster und sieht, dass die Tante sie anstarrt. Kaija greift nach ihrem Kuchen und beißt ab.
Bevor Papa fragen kann, geht Kaija in ihr Zimmer und versucht weiter ihre Kisten auszupacken. Bevor Papa fragen kann, geht Mama an ihren Schreibtisch, sagt, dass sie noch was arbeiten muss.
Kein Abendessen für Mama, die Tante raucht draußen, die Tante braucht kein Essen. Kaija hat Hunger, will aber nicht mit Papa über die Schule reden. Kein Essen für Kaija.
Remi ist die Einzige, die schreibt. Lysette hat einen Daumen unter Remis Kommentar gesetzt. Nichts von Antonia, Grischa. Janne.
Kaija hält die Luft an. Zählt, bis sie nicht mehr kann, bis die Lunge an ihr zieht, bis sie Kaija zwingt, anfleht zu atmen. Wenn sie unter Wasser wäre.
Das Licht ist aus und es ist dunkel.
Kaija steht auf und geht zum Fenster. Draußen klingt es nach Sommer. Da ist ein Baum.
Sie hört Papa laut lachen und Mama kieksen. Die Zimmertür ist leicht offen. Die Tante schlurft vorbei, den Flur entlang, Kaija hört ihre Tür auf- und zugehen.
Dann Mamas Schritte auf der Treppe, wie sie nach oben hüpft, vorsichtig Kaijas Tür weiter öffnet.
»Hey«, sagt Mama.
»Hey«, sagt Kaija.
Mama steht im Türrahmen und ist ein Schattenschnitt vor dunkelgelbem Licht. »Magst du runterkommen oder bist du müde?«
»Ja«, sagt Kaija.
Mama lacht leise und wartet.
Kaija atmet laut.
»Vielleicht schlafen«, sagt sie irgendwann.
Mamas Schattenkopf nickt. Sie kommt rein, setzt sich ans Bett, zieht Kaija zu sich ran und streicht ihr über die Stirn.
»Morgen«, sagt sie.
»Morgen«, sagt Kaija leise.
Dann steht Mama auf und macht die Tür zu.
Cover
Tamara Bach: Von da weg
Wohin soll es gehen?
Widmung
Kaija
1.
2.
3.
4.
5.
Ruth
6.
Kaija
7.
8.
Josepha
9.
Kaija
10.
11.
Sina
12.
Kaija
13.
Ruth
14.
Kaija
15.
Tamara Bach
Impressum