Wörter mit L - Tamara Bach - E-Book

Wörter mit L E-Book

Tamara Bach

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Beschreibung

Wenn es draußen eiskalt ist, braucht man ein Buch wie dieses! Von der James Krüss-Preisträgerin 2021!  Auf einmal sind alle verliebt. Paulines beste Freundin Natascha und die blöde Leonie auch. Angeblich sogar Paulines Mutter. Aber das kann Pauline sich nun wirklich nicht vorstellen. Trotzdem benehmen sich plötzlich alle so komisch und streiten sich um nichts und wieder nichts, fast als würden sie nicht mehr dieselbe Sprache sprechen. Aber zum Glück sind da Lukas und sein dreibeiniger Hund. Vielleicht wissen die noch, wie man einfach nur einen Schneemann baut. Endlich ein Kinderbuch der preisgekrönten Autorin Tamara Bach! "Wörter mit L" ist eine ganz besondere Geschichte für Mädchen ab 11 und über den Wert guter Freunde und über die erste Verliebtheit, über Patchworkfamilien und kleine Brüder.  Ein Buch zum Sich-drin-wiederfinden - ein lupenreines Lieblingsbuch! Freundschaften, die sich verändern, Eltern, die getrennt leben, neue Geschwister und die erste Verliebtheit, das alles mögen schwierige Themen sein, aber Tamara Bach gelingt es wie keiner zweiten von dieser Zeit des Umbruchs leicht und vielschichtig zugleich zu erzählen. "Wörter mit L" ist ein rundum gelungenes Kinderbuch dieser vielfach ausgezeichneten Autorin.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Tamara Bach, Wörter mit L

Auf einmal sind alle verliebt. Paulines beste Freundin Natascha und die blöde Leonie auch. Angeblich sogar Paulines Mutter. Aber das kann Pauline sich nun wirklich nicht vorstellen. Trotzdem benehmen sich plötzlich alle so komisch und streiten sich um nichts und wieder nichts, fast als würden sie nicht mehr dieselbe Sprache sprechen. Aber zum Glück sind da Lukas und sein dreibeiniger Hund. Vielleicht wissen die noch, wie man einfach nur einen Schneemann baut.  

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  Leseprobe

1.   Morgen schreiben wir Englisch, also hat Natascha ihrer Mutter gesagt, dass wir zusammen lernen und sie deswegen zu mir kommt.

Wir haben dann mal kurz auf dem Boden gelegen und haben die Bücher aufgeklappt, haben uns ein paar Vokabeln abgefragt und dann die Grammatik angeschaut. Und dann hat Natascha gesagt »Verstehst du das?«.

»Ja, und du?«, hab ich geantwortet, und Natascha hat genickt. Dann haben wir die Bücher wieder zugemacht. Es ist Februar, das Wetter ist ganz scheußlich, also sind wir nicht rausgegangen. Jetzt liegen wir da immer noch auf dem Boden und gucken in der Gegend rum und erzählen ein bisschen und denken ein bisschen nach.

Natascha liegt auf dem Rücken und guckt hoch. Da ist mein Bett, das hängt über uns. Manchmal, wenn ich so liege, hab ich Angst, dass das einfach so runterkracht. Dabei war ich dabei, als der Bettenbauer die Löcher in die Wand gebohrt hat, ich hab die Dübel gesehen (jetzt weiß ich auch, was Dübel sind), und wie lang die Schrauben sind und mit wie vielen Schrauben er mein Bett da festgemacht hat. Das ist mehr als fest. Das ist so fest, vorher muss schon das Haus einstürzen, bevor das Bett runterkracht.

Das sind bescheuerte Gedanken.

»Stell dir mal vor, es wäre Sommer. Oder noch nicht ganz Sommer, so ... Mai«, sagt Natascha und guckt immer noch mein Bett von unten an.

»Mmmh«, mach ich.

»Stell dir mal vor, wir wären draußen auf einer Wiese.«

Ich mach die Augen zu und um mich herum wächst Gras, und der Himmel ist blau und nicht mehr die falsche Seite von meinem Bett. Da summen Bienen, die Luft ist proppenvoll mit Blütenduft und Pollen. »Pollen«, sag ich zu Natascha, »Hatschi«, macht die.

»Stell dir vor, wir würden genauso Winterschlaf machen wie die Tiere«, sag ich.

»Aber nicht alle«, sagt Natascha. »Nicht alle Tiere machen Winterschlaf.«

»Ich würde gerne Winterschlaf machen. Ich hätte eine Höhle, die wäre mit lauter weichen Sachen ausgepolstert, die wäre trocken und warm.«

»Aber nicht zu warm«, sagt Natascha.

»Und nicht wie bei den Eichhörnchen. Die wachen ja immer wieder auf zwischendrin.«

»Heißt das bei denen nicht anders?«, fragt Natascha.

Sie setzt sich auf und sucht ihr Handy.

Ich denke an eine Höhle und ziehe mir ein Kissen ran. Ganz viele Kissen hätte ich dann. Und Federn. Und Matratzen. Und Decken. Federdecken, Wolldecken, Patchworkdecken.

»Winterruhe«, sagt Natascha, »nicht Winterschlaf. Eichhörnchen halten Winterruhe.«

Und wenn man wieder wach wird, ist es Frühling.

»Leonie hat mir Bilder gezeigt von Tieren, die eigentlich nicht miteinander befreundet sein sollten«, sagt Natascha, aber ich bin noch im Kopf in meiner Höhle. Da hängt auch eine Lichterkette. Mindestens eine. Ich muss Papa und Jette fragen, ob ich noch eine Lichterkette fürs Bett haben kann. Zwei sind besser als eine.

»Hey«, sagt Natascha und stupst mich an.

»Ja?«, frag ich.

»Zuhören!«, Natascha macht ihr strenges Gesicht.

»OKAY!«

»In einem Tierheim waren Kätzchen, da ist die Mutter gestorben, also haben die im Tierheim einen Hund dazugesteckt, der selbst seine Welpen verloren hat. Und jetzt ist das eine Familie.«

Natascha hat ihr Handy immer noch in der Hand. »Schau!«, sagt sie.

Jetzt hat sie eine ganze Liste mit solchen Freundschaften gefunden.

Ein Elefant und ein Hund.

Eine Giraffe und ein Vogel Strauß.

Ein Hund und eine Eule.

Ein Hund und ein Entchen.

Ein Hund und ein Fuchs.

»Ganz schön viele Hunde«, sag ich.

»Zeig deinen Eltern doch einfach die Liste«, sagt Natascha. »Dann sehen die, was für tolle Freunde Hunde sind!«

»Jonathan ist doch allergisch«, sag ich.

Und als hätte der das gehört, kommt er in dem Moment mit Jette zur Wohnung rein und lärmt. »HALLO, HALLO, HALLO!«, ruft er.

Wir lauschen, aber er rennt schon weiter in sein Zimmer.

Natascha schaut mich an. »An was denkst du?«

»An eine Geschichte.«

»Was für eine Geschichte?«

Ich zucke mit den Schultern, weil ich das nicht weiß.

»Lustig oder traurig?«

»Weiß ich noch nicht«, sag ich.

»Wieso nicht?«

»Wenn ich Geschichten schreibe, kann ich doch gar nicht wissen, wie die ausgehen.«

»Doch«, sagt Natascha.

»Nein«, sag ich. Natascha wartet, will mehr hören.

Ich also: »Es gibt einen Bären, der heißt ... Wilhelm, und einen Hasen, der heißt Bettina.« Plötzlich weiß ich das, wie die beiden heißen.

»Also ist das eine lustige Geschichte«, sagt Natascha.

»Weiß ich nicht.«

»Oder eine Fabel? Wegen der Tiere?«

Es ist noch gar nichts. Es gibt einen Bären und einen Hasen. Eine Häsin. Die gibt es.

»Und Wilhelm«, sag ich, »hat gerade angefangen stricken zu lernen.«

»Ah«, sagt Natascha. »Und Bettina bringt es ihm bei«, sagt sie.

»Nein, warum denn?«

»Warum denn nicht?«, fragt Natascha.

»Weil es meine Geschichte ist. Und nicht deine.« Und dann denke ich, dass ich gar nicht stricken kann, und bevor ich so eine Geschichte schreibe, muss ich wohl erst mal stricken lernen. Glaub ich.

Da schaut mich Natascha an, sagt erst nichts, dann legt sie sich wieder neben mich auf den Boden und schaut mein Bett von unten an.

»Ich mag ja Liebesgeschichten«, sagt sie.

Natascha ist gegangen, es ist bald Abend und es ist schon dunkel. Ich sitze am Küchentisch. Jonathan kommt rein, sieht mich und stellt sich neben mich. Ganz nah.

»Schläfst du heute hier?«, fragt Jonathan.

Ich hab meine restlichen Hausaufgaben vor mir liegen und hör ihn, aber ich schau ihn nicht an und antworte auch nicht, ich schreib die Aufgabenstellung in mein Heft ab.

Dann tippt er mit seinem Zeigefinger an meinen Ellbogen und fragt wieder genau dasselbe. Und tippt nicht nur einmal oder zweimal, sondern auch noch, als er fertig ist.

Das kenn ich ja.

Ich schau vom Buch auf mein Heft und hab alles richtig abgeschrieben, dann fange ich an die Aufgabe zu lösen.

»Duhuu, ob du heute hier schläähäääfst.«

Ich bin gemein. Das bin ich nur bei Jonathan.

Er tippt jetzt wieder an meinen Ellbogen und ich bin fast mit dem ersten Teil der Aufgabe fertig, die ist richtig einfach.

»Pau-liii-neeee, schläfst du HEU-TE HIER!!!!«

Jetzt kommt Jette in die Küche, da wird Jonathan richtig laut und schreit »SCHLÄFST DU HEUTE HIER?«.

Und ich antworte »Ja, Jonathan, aber warum schreist du denn so?«.

Jette sagt »Jonathan, nicht so laut, Pauline muss doch Hausaufgaben machen«.

Jonathan sagt »Aber, aber«.

Und ich grinse auf meine Hausaufgaben runter. Und Jette schubst mich leicht an. Dann strubbelt sie Jonathan durch die Haare und fragt ihn, ob er nicht in seinem Zimmer spielen will, damit ich in Ruhe weiterrechnen kann.

Jonathan müpft ein bisschen (das ist ein Jette-Wort. »Müpfen«. Das gibt es eigentlich gar nicht so für sich, manchmal nennt sie ihn auch Müpfi), dann geht er.

»Ist es okay, wenn ich hier koche?«, fragt Jette.

»Na klar!«, sag ich.

»Ist es okay, wenn ich ein bisschen das Radio laufen lasse, ganz leise?«, fragt Jette, steht da mit einer Hand am Radio und schaut mich an.

»Wenn’s denn sein muss«, sag ich und grinse sie an.

»Es muss«, sagt sie.

Ich bin ja eigentlich schon fertig mit den Aufgaben.

Ich starre noch ein bisschen auf mein Heft, ohne an irgendwas zu denken.

»Magst du vielleicht helfen? Magst du vielleicht fertig sein mit Hausaufgaben?«, fragt Jette.

»Na gut«, sag ich.

»Hab ich ein Glück«, sagt Jette.

»Hast du ein Glück«, sag ich und stecke mein Heft wieder in die Schultasche.

2.   Wenn ich bei Papa und Jette schlafe, weckt mich Jonathan.

Den weckt keiner, der ist morgens einfach wach.

Wenn er zu früh wach ist, schickt ihn Jette noch mal ins Bett. Und dann noch mal. Und dann manchmal noch mal.

Irgendwann sagt sie »Geh mal Pauline wecken«, aber da bin ich schon wach. Weil er schon durch die Wohnung gepoltert ist, weil er nicht flüstern kann, weil Jonathan ein Krawallknoten ist.

Die Tür macht er nicht auf, das darf er nicht. Weil das hier mein Zimmer ist. Er darf klopfen, er darf laut »Pauline, GUTEN MORGEN, HALLO!« rufen, bis ich antworte.

Jetzt sind alle wach.

Wenn ich bei Papa und Jette schlafe, hat jeder seine Zeit im Bad, aber das funktioniert nie so, wie wir uns das mal ausgedacht haben, weil Jonathan immer noch rumrennt, dabei sollte der schon angezogen sein, weil Jette ihm hinterherrennt, dabei sollte die gleich mit ihm zum Bus. Und Papa rasiert sich, dabei sollte der mich gleich zur Schule bringen.

Ich steh im Flur und bin schon fertig, warte auf Papa, dann kommt Jonathan angerannt, aber ich fang ihn ein. »Danke«, sagt Jette, dann ruft sie nach Papa und sagt, dass ich schon fertig bin und er sich mal ein Beispiel an mir nehmen soll.

Wenn ich bei Papa und Jette schlafe, fährt mich Papa zur Schule und ich bin ein bisschen zu früh da. Dafür muss ich nicht den Bus nehmen. Oder mit dem Fahrrad fahren.

Natascha und ich treffen uns morgens immer an der Wand neben dem Schulkiosk. Vor der ersten Stunde dürfen wir noch nicht ins Schulhaus. Weil da sonst Lehrer Aufsicht halten müssten, wegen der Versicherung oder so. Und die wollen erst ab acht anfangen zu arbeiten. Also steht man morgens immer so blöd auf dem Schulhof rum. Wenn Papa mich mitnimmt, bin ich ein bisschen früher als Natascha da. Wenn ich bei Mama schlafe, komm ich später. Eine von uns muss immer warten. Heute ich.

Plötzlich steht Leonie da.

»Hallo«, sagt sie.

»Hallo«, sag ich. Dann schau ich in Richtung Schultor und dann auf die Uhr.

»Wie geht’s?«, fragt Leonie.

Ich zucke mit den Schultern.

»Nicht gut?«, fragt sie.

»Doch.«

Dann schweigt sie.

»Mir geht’s ganz okay«, sagt Leonie.

Natascha lässt sich heute echt Zeit.

»Aha.«

Leonie seufzt und steht dann so rum neben mir.

Ich überlege, mit wem Leonie eigentlich befreundet ist. Auf wen die wohl wartet.

Und dann frag ich »Auf wen wartest du?«.

»Wie?«, fragt sie.

»Hallo«, sagt da Natascha und schaut uns beide an.

»Hey«, sag ich und nehm sie am Arm und zieh sie weg von Leonie, »ich muss dir sofort was erzählen!«, sag ich und zerre Natascha um die Ecke vom Schulhaus und bleib da stehen.

»Was denn?«, fragt Natascha.

»Nix.«

Natascha guckt mich an. »Du bist manchmal echt komisch«, sagt sie und zieht die Augenbrauen zusammen.

»Ich weiß!«, sag ich und grinse sie an.

Natascha guckt noch ein bisschen so, dann haut sie mir plötzlich mit voller Wucht auf den Oberarm, »MENSCH! Weißt du was?«, sagt sie.

»AUA! Was denn?«

»Die in der b haben einen Hund!«

»Wer? Die ganze Klasse?« Geht das?, frag ich mich.

»Nee, der Klassenlehrer, der hat einen Hund, und den nimmt er mit in die Schule! Ins Klassenzimmer!« Natascha grinst mich mit großen Augen an. »Toll, oder?«

Das ist toll, aber das ist bestimmt nicht wahr, was für ein Hund ist das überhaupt, und wieso hat die Parallelklasse einen, aber ich darf keinen haben, und wäre ich in der b, dann hätte ich jetzt auch einen Hund, irgendwie.

Das denk ich alles, dann kommt Leonie um die Ecke und sagt »Da seid ihr ja!«.

Und weil ich so viel auf einmal denke, fällt mir nichts ein, was ich jetzt zu ihr sagen könnte, aber da sagt Natascha schon »Du, die in der b haben einen Hund!«.

Und Leonie sagt »Ich weiß, hab ich schon gesehen«, und dann fragt sie, ob wir Englisch können, dabei ist das so unwichtig, denn die Parallelklasse hat einen echten Hund.

In Sport haben wir Schwimmen, seit heute. Jette hat mir Shampoo und Duschgel und ein Badetuch eingepackt. Ich hab das erst später gesehen und war ganz froh, weil die anderen auch alle Duschzeug dabeihaben. Davor haben wir Basketball gespielt, aber letzte Woche gab’s Noten und jetzt ist was anderes dran.

Sport ist mir eigentlich egal, aber ich kann ganz gut schwimmen. Wir haben neben der Turnhalle so ein winziges Schwimmbad mit einem klitzekleinen Becken, das ist nicht mal richtig tief. Am Anfang schwimmen wir Bahnen, erst Brust, danach sollen wir kraulen. Und dann sind wir alle warm geschwommen und sollen Technik üben. Frau Frisch sagt, dass ich das schon ganz gut mache, aber dann korrigiert die doch so viel, dass ich denke, es ist ein Wunder, dass ich bis jetzt noch nicht ertrunken bin. Nach zwei Schulstunden sind wir alle sehr nass und schrumplig, Sport ist vorbei und wir werden zum Duschen geschickt.

Und dann stehen wir da in unseren Badeanzügen und sollen uns duschen. Das Wasser prasselt und alles hallt. Und wir haben nur die große Pause, um sauber und wieder trocken zu werden. Und gucken so aus den Augenwinkeln. Und dann sagt irgend­eine »Ach was« und zieht sich den Badeanzug aus. Und es dauert gar nicht mehr lange, dann sind wir alle nackt. Aber das ist komisch, also, nicht witzig, sondern merkwürdig-komisch, auch wenn Lotta total rumalbert. Das ist nicht mehr so wie damals im Kindergarten im Sommer, wo man sich einfach ausgezogen hat und durch den Rasensprenger gehüpft ist. Da haben wir ja alle noch gleich ausgesehen. Kindergarten ist ja ewig her.

Wir schauen uns an und ich frage mich, ob das okay ist, dass ich sehe, dass eine aus der Parallelklasse schon Brüste kriegt. Und dass manche dicker oder dünner sind, und manche Po haben und manche gar keinen. Und manche eben Brüste kriegen und andere gar nichts haben.

Damals im Kindergarten, als wir noch klein waren, haben wir alle ausgesehen wie Frösche, mit Blähbauch und Beinen, die nur zum Springen da waren.

Aber wir gucken uns an, ich gucke und andere schauen mich auch an, und dann frag ich mich, was die sehen, was die denken. Ich bin kein Frosch mehr. Dann stell ich das Wasser aus, nehme den Badeanzug vom Wasserhahn und schau an mir herunter, Brust, Bauch, Beine und unten die Füße. Und dann wickel ich mich schnell in das Badetuch ein.

Nach der Englischarbeit stehen Natascha und ich auf dem Pausenhof. Ich schaue gerade auf mein Brot und frage mich, ob ich das mag oder es lieber wieder einpacke. Natascha seufzt. »Wegen Englisch?«, frag ich, aber sie schüttelt den Kopf und nickt in Richtung Tischtennisplatten.

»Weißt du, Tristan heißt ›der Traurige‹«.

»Aha«, sag ich. Natascha schaut weiter zu den Tischtennisplatten, weil Tristan da eben steht.

»Für mich heißt Tristan ›der Triste, der Langweilige‹«, sag ich. Aber sie lacht nicht.

»Das verstehst du nicht. Nomen est omen«, sagt Natascha. Das hab ich schon mal gehört.

Das heißt, der Name ist Voraussage, oder so was.

Wenn Tristan so blöde auf dem Schulhof steht wie immer und an seinem Brötchen rummümmelt, muss Natascha also seufzen und sagt »Der hat bestimmt ein schweres Herz«.

Das ist ganz schön. Ein schweres Herz. Das fühlt man richtig in der Brust. Dass es einen dann nach unten zieht. Dass man auch immer langsam und traurig gehen muss, weil jeder Schritt so unglaublich anstrengend ist. Ich schau mein Brot an, das auch irgendwie traurig aussieht.

»Da, schau, mein Brot ist auch traurig«, sag ich zu Natascha und halte ihr die offene Brotdose hin.

Natascha lacht nicht.

Natascha ist romantisch. Sie sagt »Tristan ist melancholisch«. Das ist auch ein schönes Wort.

»Ich glaub, ich bin unromantisch«, sag ich.

»Du bist zynisch«, sagt Natascha.

Die haut aber heute mit den Worten nur so um sich. Jetzt muss ich das nachschlagen. Als Natascha wieder zu den Tischtennisplatten seufzt, schreib ich mir schnell auf die linke Hand »zynisch«, damit ich das ja nicht vergesse.

Natascha dreht sich um und sagt, dass sie jetzt voll und ganz in Tristan verliebt ist. Dass sie das jetzt weiß. Und daran ist nichts zu rütteln und zu schütteln, das ist jetzt ihr Schicksal, so sagt sie das, »Das ist jetzt mein Schicksal«.

Das klingt ganz schön bedeutend.

Ich frag mich, ob ich wohl auch so ein Schicksal habe.

Ich stecke die Brotdose in die Schultasche und schaue, ob ich irgendwo diesen Hund sehe. Aber der ist bestimmt im Lehrerzimmer.

In der kleinen Pause zwischen Mathe und Deutsch komm ich vom Klo zurück, und Natascha und Leonie sitzen auf unserem Tisch, stecken die Köpfe zusammen und schauen dann nach hinten, wo sich Oskar und Tristan Sachen zuwerfen.

Natascha sagt was zu Leonie, und die seufzt laut und dann kichern sie.

Ich hab was verpasst. Was Lustiges. Aber Tristan und Oskar schmeißen da nur einen Papierball hin und her, weil irgendjemand gesagt hat, dass man nicht so richtig hart mit einem Papierball schmeißen kann, so, dass die Hand wehtut, wenn man ihn fängt.

Das machen die jetzt.

Und Natascha kichert mit Leonie und dann tuscheln sie wieder. Und mir tut irgendwas Kleines weh.

Kein Mensch kann einen Papierball so hart werfen, dass das wehtut. Idioten.

Dann klingelt es und Deutsch fängt an.

Als ich am Nachmittag zu Hause bin, sind alle noch weg. Papa und Jette sind arbeiten, Jonathan ist noch im Kindergarten. Ich mach mir den Eintopf von gestern warm und stell das Radio an. Dann kommt dieses Lied. Es fängt an und dudelt nicht einfach, wie Radio so dudelt. Es kommt zu mir und schaut mir ins Gesicht und tippt mir auf die Schulter, dass ich glaub, ich bin damit gemeint.

Nur ich. Und niemand sonst.

Das ist sonst nicht so. Musik ist halt da, läuft im Radio in Papas Auto zwischen Nachrichten und Verkehrsmeldungen. Oder Kindermusik von Jonathan, die immer und immer wieder in Endlosschleifen läuft, weil er nicht genug davon kriegt. Oder Lieder, zu denen Natascha und ich laut mitbrüllen und auf dem Bett rumhüpfen. Oder versuchen zu tanzen. Aber dieses Lied, das ist, als würde ich zum ersten Mal richtig Musik hören: Alles kribbelt und alles ist richtig, und als es vorbei ist, will ich es am liebsten gleich noch mal hören und dann noch siebzehn Mal, mindestens. Die im Radio sagen den Titel und wer es singt, das schreib ich schnell auf.

Dann such ich das Video dazu und den Text, dann schreib ich mir den in Schönschrift ab und höre dabei immer wieder das Lied. Ich schlage die Wörter nach, die ich nicht kenne, und ich glaube, ich weiß jetzt, wovon es handelt.

Und obwohl ich es so oft höre, wird es nicht langweiliger oder okay oder na ja oder so. Jedes Mal wieder dasselbe wunderbare Gefühl wie Achterbahn fahren. Oder am Meer sitzen. Oder am Geburtstag morgens aufwachen.

Dann hänge ich mir den Text über mein Bett. Und dann höre ich es noch mal.

Und dann noch mal.

»Pauline, schläfst du heute hier?«, fragt Jonathan beim Abendbrot.

»Ja«, sag ich.

»Und morgen?«

»Nein.«

»Wo schläfst du morgen?«

»Auf dem Mond«, sag ich.

Jonathan denkt nach.

»Gar nicht!«, sagt er.

»In einem Schloss«, sag ich.

Jonathan schaut Jette an, die schüttelt den Kopf.

»Im Meer«, sag ich.

»DU LÜGST!«, schreit Jonathan und stellt sich auf seinen Stuhl.

»Pauline«, brummt Papa.

»O. k.«, sag ich.

»Komm, Jonathan, das weißt du doch, wo schläft denn Pauline, wenn sie nicht hier ist?«

Er denkt nach. »Bei der Frau.«

»Und wer ist die Frau?«, fragt Jette.

Er denkt und denkt und denkt.

»Meine Mama«, helfe ich.

»Meine Mama!«, ruft er.

»Nein, meine«, sag ich.

»Lass mal das Thema wechseln, ich mag das heute nicht schon wieder alles erklären«, sagt Papa.

Ich glaub fast, Jette wollte gerade alle Familienfotos raus­holen.

Aber dann setzt sie sich, zieht Jonathan zu sich und sagt »Wer ist deine Mama?«.

»Du!«, sagt er.

»Richtig. Und wer ist Paulines Mama?«

»Die Frau?«, sagt er.

Jette nickt.

»Und wie heißt die Frau?«, fragt Jette leise.

Jonathan denkt nach, irgendwann zuckt er mit den Schultern.

»Marlene«, sagt Papa.

»Marlene«, sagt Jonathan leise.

Als Jette Jonathan ins Bett bringt, sagt Papa plötzlich, dass Mama verliebt ist. Einfach so. Wir stehen da und sollen den Abwasch machen (ich nass, er trocken), und weil er erst mal warten muss, bis da Geschirr steht, das er abtrocknen kann, sagt er plötzlich »So, deine Mutter ist also verliebt«.

Als hätte ich ihm das gerade erzählt.

»Was?«, sag ich.

»Ach, weißt du das gar nicht? Deine Mutter ist neuerdings verliebt.«

Und dann brummelt er »Albern«.

»Die Teller«, sag ich und zeig auf die Teller, die nimmt er und trocknet sie ab und brummelt, und ich denk, vielleicht ist das so einer von seinen komischen Witzen, die ich nicht verstehe.

»Wir haben heute Englisch geschrieben«, sag ich.

»Aha«, sagt Papa und stellt einen Teller in den Schrank.

»War ganz schön schwer«, sag ich.

»Ja?«

Ich nicke und stelle ihm ein Glas hin.

»Sind bestimmt fünf aus der Klasse nicht fertig geworden.« Ich guck zu ihm und sag »Ich schon«.

»Mmh«, macht Papa.

»Hat deine Mutter mit dir gelernt?«, fragt Papa.

Und ich will schon antworten, da sagt er »Hat sie denn überhaupt noch Zeit für so was, wo sie jetzt doch verliebt ist? Albern ist das!«

Wenn das ein Scherz ist, ist der wirklich sehr unlustig.

»Und weißt du was, die aus der b, die haben jetzt einen Hund, hat Natascha erzählt! Weil der Klassenlehrer einen aus dem Tierheim geholt hat. Den bringt er jetzt jeden Tag mit in die Schule. Da hat er ein Körbchen und sitzt da. Im Klassenzimmer!«

Papa schaut zu mir und ich gucke angestrengt ins Spülwasser.

»Du weißt genau, dass wir kein Haustier haben können«, sagt Papa.

»Ich hab doch gar nichts gesagt!«

»Jonathan reagiert doch auf alles so allergisch.«

»Ich weiß. Ich meine ja nur ...«, sag ich und weiß gar nicht, was. Die aus der b haben einen Hund in ihrer Klasse und ich hab keinen. In keinem Zuhause.

Aber Papa redet schon weiter. Irgendwas mit Staub und Staubsauger, »Den Staubsauger hätte ich euch ja auch reparieren sollen, das kann ja jetzt der Schwarm deiner Mutter machen«.

Was meint der denn? Was für ein Schwarm?

Dann brummelt er wieder »So albern ist das!«.

»Albern« ist sein Wort des Tages.

Das macht er so lange, bis Jette in die Küche kommt und fragt, worüber er sich so aufregt. »Paulines Mutter ist neuerdings verliebt«, sagt er.

»Mensch, toll! Wurde ja auch Zeit!«, sagt Jette und schaut dann zu mir, während Papa weiterbrummelt und vergisst, dass da noch Geschirr für ihn zum Abtrocknen steht.

Dann motzt Papa auf einmal Jette an, und Jette motzt zurück und ich schau auf die Uhr und sage, dass ich noch Hausauf­gaben machen muss, dabei stimmt das gar nicht.

Ich steh in meinem Zimmer und denk nach.

Das war kein Witz, der hat das ernst gemeint, dass Mama verliebt ist.