Was war eigentlich morgen - Ahne - E-Book

Was war eigentlich morgen E-Book

Ahne

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Beschreibung

Dieses Buch vereint Texte und Strichzeichnungen aus der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends nach christlicher Zeitrechnung. Der Autor, Ahne, hat diese Texte und Zeichnungen ausgewählt, weil er meint, dass jeder Mensch auf diesem Planeten, andere Planeten kennt der Autor nicht, Liebe braucht und Verständnis und eine Wand zum Anlehnen. Gerade in einer Zeit, in der Terror, Überwachungsstaat und bunte Fernsehillustriertensender den Takt vorgeben, benötigen wir einfach auch mal ein gutes Gespräch in einer Kneipe an der Ecke unserer Wahl. So eine Ecke könnte dieses Buch sein, wenn man zum Beispiel ein Glas Bier daneben stellt oder einen Krug Kamillensaft oder auch bloß ein Schälchen Erdnüsschen. Falls man übrigens auf die Idee kommen sollte, das Buch rückwärts zu lesen, so darf man sich nichts vormachen, es steckt keine satanische Botschaft drin. Echt nich!

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singles 12

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Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2008

© by Verlag Voland & Quist – Greinus und Wolter GbR

Umschlaggestaltung: Marcel Theinert, Mario Helbing

Typographie: Tropen Studios, Leipzig

ISBN 978-3-938424-37-7

www.voland-quist.de

Michael Stein (1952–2007)

Inhalt

Vorwort

Meine erste Fernsehtalkshow

Es lebe das Handwerk

Briefverkehr

Teilchenbewältigung

World Writers League

Mit diesem Text hier wird endlich die Milliardengrenze bei der Anzahl deutschsprachiger Bahnreisegeschichten geknackt

Zwiegespräche mit Gott – heute: An die Elite

Schneeflocke der Hoffnung

Das Allerschlimmste

Wir waren noch richtige Jungs

Der Mann

Wohin auch immer

Herbst

Wie soll man es sagen

Die Tiere unserer Heimat – heute: Das Buch

Eke, Dorf mit drei Buchstaben ohne L am Ende (Folge 1617)

Die Zeit der Hitparaden ist vorbei

Vielleicht waren ja auch andere Jahrzehnte ähnlich stumpfsinnig wie dieses

König von Frankreich

Die Tiere unserer Heimat – heute: Fische

Etwas mit Flügeln und Flossen

Zwiegespräche mit Gott – heute: Ein einziger Kampf

Eke, Dorf mit drei Buchstaben ohne L am Ende (Folge 1618)

Das Ende kommt vor dem Schluss

Sie heißt Jens

Das Geschenk

Die Jagd

Das deutsche Volk

Die Tiere unserer Heimat – heute: Der Wurm

Auf dem Weg nach drüben

Zwiegespräche mit Gott – heute: Standhaft

Abstand lassen

Wir haben nichts zu verlieren, außer unseren Ketten

Wie ich mal ein Versager bin

Eine Tüte Mehl für Mutti

Kernthesen

Süßes Leben

Abschied

Noch einige Wochen länger

Erlebnisorientiert

Farbflausen

Wie ich mal dachte, dass sich die Sisters of Mercy sicher im Grabe umdrehen würden, wenn sie denn schon gestorben wären natürlich nur

Ein Herz für Kinder

Zwiegespräche mit Gott – heute: Ein Strich, kein Strich

Was war eigentlich morgen

VORWORT

Ich, als der Freund von Ahne, finde das schon gut, weil, das wurde ja auch mal Zeit, dass er das macht, mit dem Buch, mit dem sein Buch, dem sein was weiß ich wievieltes Buch. Er hat mir ja schon ständich in den Ohren jelegen, von wegen, och, ick muss ma unbedingt wieda ’n Buch machen, aba villeicht will dit jakeena lesen, denn. Und da habick denn so zu ihn jesagt: „Hör ma, habick jesagt, hör mir ma zu, du bist ein freier Mann, ja, in einen freien Land, machit einfach“. Naja, und nu isset da, dit Buch und ick muss sagen, es gibt sinnlosere Produkte, durchaus. Man kann bei diesen Buch ja etwas lernen, man kann zun Beispiel, wenn man nich lesen kann, denn kann man mit dem Buch zusammen lesen lernen, zun Beispiel, oda sich die Zeichnungen ankieken oda man stelltit inne Schrankwand rin und jibt an damit.

Zum Inhalt: Inhaltlich hat mich an meisten beeindruckt, dass er von der Sprache her sehr sich weiterentwickelt hat, also er befindet sich jetz, ick möchte ma sagen, deutlich, auf einen deutlich emporgehobenen Bildungsgrad als wie vorher. Manchma komm direkt selbst icke außen Staunen nich heraus und wer mir kennt, weeß wattick meine. Wir ham nämlich zusammen studiert, hier, inne Universität von Pennsylvania und daher weeßick dit ooch. Er is ja ooch inne Breite jegangen mit seinen Stil, dit is mir ooch noch uffjefallen, dit ainnat mir manchmas ’n bisschen an Goethe, an den frühen Goethe, obwohlick jetz uff den Jebiet, sagen wa ma …, ick hab ja Astrophysik studiert, aba jibt zur Zeit für meine Qualifikation nich die jeeigneten Stellenanjebote. Ick bin eindeutich übaqualifiziert für die Jobs. Ick meine, ick hab ja mein Professor mit 1,2 jemacht an die schwersten Universität vonne USA. Aba hier will mir keena. Ick könnte manchma heulen, so scheiße is dit. Zun Glück jibs mein Freund Ahne, der mir denn tröstet und der mir ooch bei den Valag hier untabringen würd, hatta jedenfalls vasprochen. Also, wenna demnächst ’n Buch von Stefan „Schlüppi“ Passner in ’n Laden seht, denn wissta bereits, dittit ’n 1a-Buch is. Seita den andan voraus. Sagick schonma Danke für, dit ihr dit kooft, dit Buch und vorher wünschick euch noch viel Vagnügen erstma mit diesen, also würklich, also für den seine Vahältnisse doch eha übadurchschnittlichen Produkt.

Ihr Prof. Stefan „ Schlüppi“ Passner (Freund von Ahne)

Meine erste Fernsehtalkshow

Ich bin ein großer Bewunderer der Talkshowexzesse eines gewissen Klaus Kinski. Auf Fragen einfach mal gar nicht antworten, willkürlich den Gegenüber beleidigen, obwohl der einem doch wohlgesonnen war, wild auf dem Tisch herumtanzen, dem Moderator Bier ins Gesicht kippen, ständig nachfragen: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“, au ja, au fein, so sollte es sein. Dazu waren Talkshows schließlich gemacht, dazu waren Talkshows da, deswegen schalteten die Leute doch ein. Es konnte nichts Besseres geben, als wenn eine sich zur Autobahn bekennende Eva Herrmann live und ohne doppelten Boden vor den Augen eines Milliardenpublikums vom Chef der Kastelruther Spatzen bespuckt und beschimpft und, nachdem dieser für Sodomie-Praktiken geworben hat, sogar noch mal bespuckt wird.

Wie langweilig dagegen, wenn Peter Kraus, Michael Mittermeier und die DDR-Dumpfbacke schlechthin, Katarina Witt, sich gegenseitig versichern, sie würden einander gerne im Fernsehen zuschauen.

Montag, der soundsovielte November. (Hab jetzt nicht nachgeblättert im Kalender, weil das den Fluss der Geschichte stören würde.) Ich bin gerade erwacht, zum dreizehnten Mal. Ich bin aufgeregt, zittere am ganzen Körper. Nachher werde ich zum ersten Mal in einer Talkshow einen Moderator in den Wahnsinn treiben. Nachher ist abends, jetzt ist mittags. Ich diniere im Dorfkrug Prenzlauer Berg. Ich habe mich selber dazu eingeladen. Es gibt Pizza mit Sushi und Tofu-Ente, runtergespült wird standesgemäß mit einem gepflegten Cognak macchiato. Geiz war gestern, morgen bin ich tot. Die Bedienung ist freundlich, sie kommt nicht von hier. Sagt sogar „Tschüss“. Nach dem Essen bin ich satt. Aber nicht nur. Ich bin auch zufrieden. Deshalb darf ich nicht so spät essen, damit mir nachher nicht noch die Talkshow missrät. Oder wie schon früher die alten Ritter sagten: „Ein voller Bauch macht keine Zicken.“

Auf der Straße werde ich von einem Bus angefahren, da ich aber kräftig bin, tut es nicht besonders weh. Ich habe ja Muskeln. Ich stehe vor meinem Haus. Ich habe meinen Schlüssel vergessen. Ich schreibe zu oft „ich“.

Um 18.30 Uhr sollen wir uns am Fernsehturm einfinden. Der Sender, der die Live-Talkshow ausstrahlt, nennt sich Lettra-TV und ist in der großen Familie von Premiere zu Hause. Premiere, das bedeutet Bezahlfernsehen und das ist selbstverständlich ein Riesenhaufen Scheiße oder anders ausgedrückt … und so weiter und so fort. Lettra-TV ist ein so genannter Spartenkanal, der sich ausschließlich mit Literatur beschäftigen soll. Wer so was sehen will? Fragt mich nicht. Um 18.30 Uhr ist es jedenfalls kalt in Berlin. Der Palast der Republik ist kaputtgegangen, der Mond scheint, die Krähen singen ein Totengedicht.

In der Schminke meint man, ich habe so was gar nicht nötig. Sie schminken mich trotzdem. Hinterher sehe ich so ähnlich aus wie Kiss. Wie Kiss in ihrer spätpubertären Phase, als sie nicht mehr auf der Bühne standen. Lediglich die Haare nicht ganz so lang.

Ich werde verkabelt und freue mich, dass der Assistent bemerkt, dass ich mich seit Tagen nicht gewaschen habe. Er muss mit dem Gesicht ganz dicht ran an mich und wird dafür wahrscheinlich noch nicht mal bezahlt. Armer Praktikant. Armes neoliberales Schweinesystem.

Um 20.45 Uhr ist es dann so weit. Ich darf auf die Couch. Ulla Meinecke, die vorher immerhin den Moderator nicht zu Wort kommen ließ, Frank Klötgen und Christiane Schacht gucken zu mir empor. Die Scheinwerfer brennen unglaublich heiß. Ich setze mich in einen Stuhl. Es ist trotzdem noch unglaublich heiß. Ich trinke unglaublich viel Wasser.

„Ja“, antworte ich auf die erste Frage, die der Moderator stellt, „Ja, ich schreibe. Ja, ich habe als Kind schon geschrieben.“ Was ist los mit mir? „Ja, das mache ich auch im Radio. Ja, auch auf der Bühne. Ja, auch ein Buch habe ich mit.“ Bin ich wahnsinnig geworden? Was rede ich da? Sind Drogen in dem Wasser? „Sicher, in den Geschichten da ist vieles, was ich selbst erlebe, aber auch anderes. Ja, eine CD ist da auch mit drin in dem Buch. Mmh, ich wohne im Prenzlauer Berg.“ Ach du grüne Neune! Heiliger Stoffbeutel! Hoffentlich sieht das wirklich keiner! Kann man ja niemandem anbieten! So eine Schluffi-Scheiße! So ein Dreck! Voll das Allerweltsgequatsche! Dabei wollte ich doch Talkshowgeschichte schreiben. Wollte mich doch als schwuler IM outen, der in seiner Freizeit zum Hooligan mutiert und vor den Kloppereien in der Fankurve den Koran studiert. Ich wollte doch gestehen, dass ich meine Frau nur deshalb nicht verlassen habe, weil alle anderen, die ich bisher ansprach, nicht mit mir wollten. Ich hatte vor Hundefleischrezepte anzupreisen, wollte den Röhm-Putsch leugnen und, tätä, zeigen, dass ich unter der Vorhaut rasiert bin. Ich wollte nicht aufhören zu reden, ich wollte nicht rausgehen und ich wollte mir auf gar keinen Fall diese Jacke anziehen lassen, in der man nicht mal mehr mit den Fingern Zeichen machen konnte.

Zum Glück sind die von Lettra-TV nicht so. Sie fanden’s gut, eigentlich. Wollen mich noch mal einladen, im Januar. (Blätter ich aber jetzt nicht im Kalender nach, weil das sonst den Fluss der Geschichte stört.)

Ich hoffe natürlich, dass ich dann nicht mehr so aufgeregt sein werde und vernünftig in der Lage bin, das Programm stören zu können. Man wird schließlich auch älter, reifer, besonnener. So was wie im November, das passiert mir kein zweites Mal. Darauf könnt ihr euch verlassen, Lettra-TV. Ihr werdet mich kennenlernen. Richtig kennenlernen!

Es lebe das Handwerk

So eine Scheiße! Hab ich vielleicht eine Lust zu schreiben. Schreiben ist eine Kunst, jaja! Verdammt! Ich muss, ich muss, ich muss!

Sie hat mir meinen Rucksack geklaut, mit allen Geschichtenbüchern der letzten drei Jahre drin. Alles für die Katz. Aus die Maus. Alles futsch. Alles nur wegen ihr. Alles nur wegen der. Der verdammten Vergesslichkeit. Meiner verdammten Vergesslichkeit. Ach, ich könnt mich hauen. Dis mach ich auch. Tut aber nicht weh.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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