Waverley. Der englische Klassiker zum schottischen Freiheitskampf - Walter Scott - E-Book
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Waverley. Der englische Klassiker zum schottischen Freiheitskampf E-Book

Walter Scott

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Beschreibung

Edward Waverley ist ein Gentleman mit dem Kopf voller romantischer Ideen. Um 1745 gerät er in Schottland beim Aufstand der Jakobiten zwischen die Fronten. Herkunft und Familie stellen ihn auf die Seite der Hanoveraner, doch die aufständischen Schotten in den Highlands gewinnen seine Sympathie. Er kämpft auf deren Seite, verliebt sich in zwei Frauen und gewinnt durch sein zuvorkommendes Handeln bald Freunde auf beiden Seiten des Aufstands. Die kann er brauchen, als er von seiner Regierung bedroht wird … »Waverley« ist Sir Walter Scotts erster großer historischer Roman.

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Seitenzahl: 832

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Walter Scott

Waverley

oder ’s ist sechzig Jahre her

Aus dem Englischen von Gisela Reichel

Anaconda

Die Originalausgabe erschien 1814 in Edinburgh unter dem Titel Waverley, or ’Tis Sixty Years Since

Die vorliegende Übersetzung erschien erstmals 1972 im Gustav Kiepenheuer Verlag, Weimar.

Gustav Kiepenheuer ist eine Marke der Aufbau Verlage GmbH & Co. KG

© Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 1972, 2008

Orthografie und Interpunktion wurden den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst. Fremdsprachige Zitate sowie zahlreiche Anspielungen auf historische Ereignisse und Persönlichkeiten werden in Anmerkungen am Ende des Buches erläutert bzw. übersetzt.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung

© dieser Ausgabe 2021 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Robert Ronald McIan (1803–1856) »Macbain«, from The Clans of the Scottish Highlands; The Stapleton Collection / Bridgeman Images (Clankrieger); Albert Charles August Racinet (1825–1893), »Middle Ages«, plate 44 from Polychromatic Ornament: One Hundred Plates in Gold, Silver and Colours (1873), © Brooklyn Museum of Art, New York, Bridgeman Images (Ornamentik)

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: www.paque.de

ISBN 978-3-641-28771-9V002

www.anacondaverlag.de

Doch unter welchem König, du Halunk’? Sprich oder stirb!

       (Heinrich IV., 2. Teil)

1

Einleitung

Der Titel für dieses Werk ist nicht ohne die ernste, reifliche Überlegung ausgewählt worden, die ein wichtiges Vorhaben von dem Klugen fordert. Selbst der Haupttitel ergab sich erst nach langer, sorgfältiger Auslese, obgleich ich nach dem Beispiel meiner Vorgänger nur den wohlklingendsten, hochtrabendsten Namen, den die englische Geschichte oder Ortskunde bietet, zu ergreifen und sogleich zum Titel meines Werks und Namen meines Helden zu erklären brauchte. Doch, ach! Hätten meine Leser bei den ritterlichen Klängen Howard, Mordaunt, Mortimer und Stanley oder bei den weicheren und gefühlvolleren Tönen Belmour, Belville, Belfield und Belgrave etwas anderes erwarten können als Seiten voller Faseleien gleich jenen, denen man vor einem halben Jahrhundert diese Namen verlieh? Ich muss bescheiden bemerken, dass ich meinen Verdienst nicht hoch genug schätze, um unnötigerweise in Widerstreit gegen vorgefasste Gedankenverbindungen zu treten; deshalb habe ich wie ein Ritter, der mit blankem Schild zum ersten Mal in den Kampf zieht, für meinen Helden den unbelasteten Namen Waverley gewählt, worin weder Gut noch Böse mitschwingt, sofern es dem Leser nicht beliebt, ihm am Ende der Lektüre den oder jenen Beiklang zu geben. Aber die Wahl des Untertitels bereitete noch größere Schwierigkeiten, da dieser bei seiner Kürze so ausgedeutet werden kann, als verpflichtete er den Autor zu einer bestimmten Ortswahl, Charakterzeichnung und Handlungsführung. Wenn ich beispielsweise auf meiner ersten Seite angekündigt hätte ›Waverley, eine Geschichte aus vergangenen Tagen‹, würde dann nicht jeder Romanleser ein ähnliches Schloss wie in Udolpho vorausahnen, wo der östliche Flügel seit Langem unbewohnt und die Schlüssel entweder verloren oder der Obhut eines betagten Dieners oder Verwalters anvertraut wären, dessen zitternden Schritten die Aufgabe zufiele, in der Mitte des zweiten Bandes den Helden oder die Heldin in die verfallenen Gemächer zu geleiten? Hätten nicht schon auf der Titelseite das Käuzchen geschrien und das Heimchen gezirpt? Und hätte ich bei geziemender Wahrung des Anstands eine lustigere Szene einführen können, als sie sich durch die Tölpeleien eines ungeschliffenen, aber treuen Dieners oder das redselige Geschwätz des Kammerkätzchens der Heldin gestalten lässt, wenn es die blutrünstigen Schauergeschichten wiedererzählt, die es in der Gesindestube gehört hat? Hätte aber auf meinem Titelblatt gestanden ›Waverley, eine gruselige Geschichte‹, müsste dann nicht jeder Schlaukopf einen verrufenen Abt, einen grausamen Herzog und dunkle Geheimbündelei von Rosenkreuzern und Illuminaten voraussehen, wozu schwarze Kappen, Höhlen, Dolche, Funken sprühende Maschinen, Falltüren und Blendlaternen gehören? Oder wenn ich mein Werk lieber ›Eine gefühlvolle Geschichte‹ genannt hätte, wäre dies nicht die ausreichende Ankündigung gewesen für eine Heldin mit wallendem nussbraunem Haar und einer Harfe, der sie in ihren einsamen Stunden sanften Trost entlockt und die sie glücklicherweise immer vom Schloss zur Hütte befördern kann, obgleich sie selbst mitunter aus einem Fenster im zweiten Stock springen muss und sich mehr als einmal auf dem Weg verirrt, den sie einsam zu Fuß wandert, nur von einem pausbäckigen Bauernmädchen begleitet, dessen Mundart sie kaum versteht? Wäre mein Waverley hingegen als ›Eine Erzählung aus unseren Tagen‹ bezeichnet worden, würdest du, geneigter Leser, dann nicht ein schillerndes Bild der vornehmen Welt von mir verlangen mit einigen Geschichtchen von heimlicher Schande, die sich nur notdürftig verbirgt und umso mehr Wissbegier erregt, je verlockender man sie ausmalt? Würdest du nicht eine Heldin vom Grosvenor Square erwarten und einen Helden, der eine Barutsche oder einen Vierspänner fährt, dazu als Nebenfiguren eine Anzahl der Vornehmen aus der Queen Anne Street East oder eine Gruppe der schneidigen Polizisten von der Bow Street? Ich könnte noch mehr über die Bedeutung eines Buchtitels sagen und dabei kundtun, wie genau ich Bescheid weiß, was alles bei der Abfassung von Erzählungen und Romanen der verschiedensten Art zu beachten ist. Aber es mag genügen und ich will die Geduld meines Lesers nicht länger auf die Probe stellen, der zweifellos schon darauf brennt, zu erfahren, welche Wahl der Autor getroffen hat, der in den verschiedenen Zweigen seiner Kunst so reiche Erfahrungen besitzt.

Wenn ich also den Zeitraum für meine Geschichte sechzig Jahre vor dem heutigen 1. November 1805 ansetze, so möchte ich meinen Lesern zu verstehen geben, dass sie auf den folgenden Seiten weder eine Ritterromanze noch einen modernen Sittenroman finden werden, dass mein Held kein Eisen auf den Schultern tragen wird wie in alter Zeit und auch kein Eisen an den Stiefelabsätzen, wie es jetzt in der Bond Street Mode ist, und dass meine Jungfrauen nicht ›in wallenden Purpur‹ gekleidet sein werden wie jene Lady Alice in der alten Ballade und auch nicht dazu herabgewürdigt werden, sich so schamlos nackt zu zeigen wie die Modedamen von heute auf einer Abendgesellschaft. Nach der Zeitwahl, die ich getroffen habe, kann der verständige Beurteiler ferner voraussehen, dass es mir bei meiner Erzählung mehr um eine Beschreibung der Menschen als der Sitten geht. Wenn eine Sittenschilderung spannend sein soll, muss sie entweder von einer längst vergangenen Zeit berichten, die ehrwürdig geworden ist, oder sie muss eine lebendige Widerspiegelung der Bilder geben, die täglich vor unseren Augen vorüberziehen und durch ihre Neuheit fesseln. So eignen sich, wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen, das Panzerhemd unserer Vorfahren und das pelzverbrämte Gewand unserer heutigen Gecken vielleicht in gleichem Maß als Kostüm für eine erdichtete Gestalt. Wer aber würde seinem Helden, wenn er dessen Kleidung eindrucksvoll schildern will, mit Freude die Hoftracht der Zeit Georgs II. anziehen, die keinen Kragen, lange Ärmel und tiefe Taschen hat? Ebenso zutreffend kann man anführen, dass sich der gotische Saal dichterisch hervorragend wirkungsvoll beschreiben lässt mit seinen bunt bemalten, undurchsichtigen Fenstern, seiner hoch gewölbten dunklen Decke und dem schweren Eichentisch, wo rosmaringewürzte Eberköpfe, Fasane, Pfauen, Kraniche und junge Schwäne aufgetragen werden. Viel lässt sich auch erreichen mit der anschaulichen Schilderung einer der heutigen Festlichkeiten, von denen uns täglich in der Zeitung berichtet wird unter der Überschrift ›Spiegel der vornehmen Welt‹. Den Gegensatz zu den genannten beiden aber bildet die großartige Förmlichkeit eines Gastmahls, wie man es vor sechzig Jahren gab. Und so ist leicht zu erkennen, welch großen Vorteil der Schilderer uralter oder heutiger Sitten gegenüber demjenigen hat, der die Sitten der jüngsten Vergangenheit beschreibt.

Wenn man diese Schwierigkeiten bedenkt, die untrennbar mit meinem Gegenstand verbunden sind, so ist es wohl verständlich, dass ich mich entschlossen habe, sie nach Möglichkeit zu umgehen, indem ich das Schwergewicht meiner Erzählung auf das Wesen und die Empfindungen der Gestalten gelegt habe, und zwar auf jene Empfindungen, die Menschen aller Gesellschaftsschichten gemeinsam sind und das menschliche Herz immer bewegt haben, ganz gleich, ob es unter dem Eisenpanzer des fünfzehnten Jahrhunderts, dem Brokatgewand des achtzehnten Jahrhunderts oder dem blauen Frack und der weißen Körperweste unserer Tage schlägt. Es trifft zweifellos zu, dass diese Empfindungen durch die jeweiligen Sitten und Gesetze eine besondere Färbung erhalten; aber, um in der Sprache der Heraldik zu reden, das Wappen selbst bleibt das gleiche, auch wenn die Bemalung nicht nur unterschiedlich, sondern sogar ganz gegensätzlich sein kann. Der Zorn unserer Vorfahren beispielsweise war rot gemalt, er führte zum Ausbruch offener, blutiger Gewalttaten. Unsere feindseligen Gefühle müssen auf verborgenerem Weg Befriedigung suchen und die Widerstände untergraben, die sie nicht offen niederreißen können; daher sind sie eher als schwarz zu bezeichnen. Aber der innerste Trieb ist in beiden Fällen derselbe; und der hochmütige Peer, der seinen Nachbarn nur auf gerichtlichem Weg, durch endlose Prozesse, zugrunde richten kann, ist der echte Nachkomme des Barons, der das Schloss seines Nebenbuhlers in Brand steckte und ihm den Schädel einschlug, wenn er den Flammen zu entrinnen trachtete. Ich habe den Versuch gewagt, der Leserschaft einen Abschnitt aus dem großen Buch der Natur zu deuten, das durch tausend Auflagen hindurch unverändert bleibt, ganz gleich, ob es in Fraktur gesetzt oder auf satiniertes Velinpapier gedruckt wird. Die gesellschaftlichen Zustände, die zur Zeit meiner Erzählung im Norden unserer Insel herrschten, haben mir günstige Vergleichsmöglichkeiten geboten und können dazu dienen, die sittlichen Lehren, die ich gern als das vornehmste Anliegen meines Werks ansehen möchte, mannigfaltig und anschaulich darzubieten, wobei ich mir bewusst bin, wie leicht sie ihr Ziel verfehlen können, wenn es mir nicht gelingt, sie unterhaltsam einzukleiden – eine Aufgabe, die zu erfüllen gar nicht so einfach ist, wenn es sich um ein so bewegtes Zeitalter wie vor sechzig Jahren handelt.

2

Das Geschlecht Waverley – Ein Rückblick

Es ist also sechzig Jahre her, dass Edward Waverley, der Held der folgenden Seiten, von seiner Familie Abschied nahm, um in das Dragonerregiment einzutreten, bei dem er vor Kurzem eine Offiziersstelle erhalten hatte. Es war ein trauriger Tag für Schloss Waverley, als der junge Offizier von Sir Everard schied, dem gütigen alten Onkel, dessen Rang und Besitz er einmal erben sollte.

Unterschiedliche politische Anschauungen hatten den Baronet schon frühzeitig von seinem jüngeren Bruder Richard Waverley getrennt, dem Vater unseres Helden. Sir Everard hatte von seinen Vorfahren alle Lieblingsgedanken und Vorurteile der konservativen oder hochkirchlichen Partei geerbt, die seit dem Bürgerkrieg kennzeichnend für das Haus Waverley waren. Der zehn Jahre jüngere Richard hingegen meinte, ihm sei das Los eines nachgeborenen Sohns beschieden, und versprach sich weder Ehre noch Vergnügen davon, die Rolle eines Will Wimble zu spielen. Er erkannte bald, dass er, um das Rennen des Lebens zu gewinnen, allen unnötigen Ballast abwerfen musste. Die Maler sagen, es sei schwer darzustellen, welche verschiedenartigen Empfindungen sich in einem Gesicht im gleichen Augenblick widerspiegeln; der Psychologe hat es nicht minder schwer, wenn er die ineinander verwobenen Beweggründe zergliedern will, die den Antrieb für unsere Handlungen bilden. Richard Waverley studierte die Geschichte und fand nach folgerichtiger Überlegung die Worte des alten Lieds bestätigt:

›Blinder Gehorsam macht zum Narrnund schwächt den Widerstand.‹

Dennoch hätte die Vernunft wahrscheinlich nicht vermocht, die überkommenen Anschauungen aus dem Feld zu schlagen, wenn Richard geahnt hätte, dass sein älterer Bruder Everard sich in jungen Jahren eine Enttäuschung zu Herzen nehmen und bis zu seinem zweiundsiebzigsten Jahr unvermählt bleiben würde. Unter solcher Voraussicht hätte die zu erwartende Nachfolge, auch wenn sie in weiter Ferne lag, Richard vielleicht veranlasst, es für die meiste Zeit seines Lebens zu ertragen, dass er nur ›Junker Richard vom Schloss, der Bruder des Baronets‹ war, und darauf zu hoffen, dass er nicht vorzeitig sterben, sondern die Ehre erleben würde, Sir Richard Waverley auf Waverley zu sein, der ein ansehnliches Besitztum und als Vertreter der Grafschaft, wo dieses gelegen war, weitreichende politische Verbindungen geerbt hatte. Aber eine solche Entwicklung der Dinge war bei Richards Eintritt ins Leben nicht zu erwarten, als Sir Everard in der Blüte seiner Jugend stand und zweifellos in beinahe jeder Familie als Freier willkommen war, ganz gleich, ob sein Trachten nach Reichtum oder nach Schönheit ging, und als wahrhaftig jedes Jahr einmal in der Nachbarschaft das Gerücht umlief, er werde demnächst heiraten. Sein jüngerer Bruder sah keinen anderen Weg zur Unabhängigkeit, als sich auf seine eigene Kraft zu verlassen und ein politisches Glaubensbekenntnis anzunehmen, das der Vernunft und seinem eigenen Vorteil mehr entsprach als Sir Everards übernommener Glaube an die Hochkirche und das Haus Stuart. Deshalb begann Richard seine Laufbahn, indem er sich lossagte, und trat als geschworener Whig und Verfechter der Hannoverschen Thronfolge ins Leben.

Zur Zeit Georgs I. bemühte sich das Ministerium klugerweise, die geschlossene Front des Widerstands zu spalten. Die vornehmen Adligen unter den Tories, deren Ansehen davon abhing, dass sie den Abglanz eines königlichen Hofs darstellten, hatten sich schon seit einiger Zeit nach und nach mit dem neuen Herrscherhaus angefreundet. Aber die wohlhabenden englischen Landedelleute bewahrten aus Standesbewusstsein nicht nur ihre altehrwürdigen Sitten und ihre schlichte Aufrichtigkeit, sondern hielten auch hartnäckig und unbeugsam eine Vielzahl von Vorurteilen fest; also blieben sie in stolzer, trotziger Feindschaft fern und ließen ihre Gedanken voll Schmerz und Hoffnung nach Herzogenbusch, Avignon und Italien schweifen. Als sich der Bruder eines dieser standhaften, unerschütterlichen Gegner an die Hannoversche Partei annäherte, erblickte man darin eine Möglichkeit, auch andere zum Übertritt zu bewegen, und infolgedessen erfuhr Richard Waverley vonseiten des Ministeriums eine Begünstigung, die weit über das Maß seiner Fähigkeiten und seiner politischen Bedeutung hinausging. Immerhin stellte sich heraus, dass er leidliche Fähigkeiten für ein öffentliches Amt besaß, und nachdem er zum ersten Mal zum Empfang beim Minister zugelassen worden war, nahm er einen raschen Aufstieg. Sir Everard erfuhr aus dem handgeschriebenen Nachrichtenblatt zunächst, dass Richard Waverley, Esquire, als Vertreter des Städtchens Barterfaith ins Parlament gewählt worden war, ferner, dass Richard Waverley, Esquire, bei der Verhandlung um das Akzisegesetz entscheidend im Sinn der Regierung mitgewirkt hatte, und schließlich, dass Richard Waverley, Esquire, geehrt worden war durch die Aufnahme in einen jener Ausschüsse, wo man außer der Freude, dem Vaterland zu dienen, noch andere bedeutende Vergünstigungen genießt, die umso annehmlicher sind, da man jedes Vierteljahr einmal zusammenkommt.

Obgleich diese Ereignisse so rasch aufeinanderfolgten, dass der Scharfsinn eines heutigen Zeitungsredakteurs die beiden letzten schon vorausgesagt hätte, während er das erste bekanntmachte, so erreichten sie Sir Everard doch nur allmählich, tröpfchenweise, gewissermaßen abgekühlt und gereinigt durch den Filter von Dyer’s Weekly Letter. Denn es sei beiläufig bemerkt, dass damals jene Postkutschen noch nicht verkehrten, dank deren Hilfe jeder Handwerker in seinem armseligen Klub allabendlich aus zwanzig einander widersprechenden Quellen erfahren kann, was sich am Tag zuvor in der Hauptstadt ereignete, sondern ein Bote brachte alle acht Tage ein Wochenblatt nach Schloss Waverley und dieses wurde, nachdem es die Wissbegier Sir Everards, seiner Schwester und des betagten Haushofmeisters befriedigt hatte, regelmäßig weitergegeben vom Schloss zum Pfarrhaus, vom Pfarrhaus zu Squire Stubbs auf dem Vorwerk, von Squire Stubbs zum Rentmeister des Baronets in seinem blitzblanken Heidehaus, vom Rentmeister zum Schultheiß und von dort zu unzählig vielen ehrbaren alten Leutchen, durch deren harte, schwielige Hände das Blatt gewöhnlich im Verlauf eines Monats nach seiner Ankunft in Fetzen gerissen war.

Dass die Kunde nur langsam vordrang, war im gegebenen Fall von einigem Vorteil für Richard Waverley; denn wäre das ganze Ausmaß seiner Frevel Sir Everard mit einem Schlag zu Ohren gekommen, dann hätte das neue Parlamentsmitglied kaum einen Grund gehabt, sich etwas auf das Gelingen seiner klugen Pläne einzubilden. Der Baronet war zwar das sanftmütigste menschliche Wesen, hatte aber auch seine Empfindlichkeiten, die durch seines Bruders Verhalten schwer getroffen worden waren; das Besitztum Waverley war nicht an die lehnrechtliche Erbfolge gebunden, denn keinem seiner früheren Besitzer war je der Gedanke gekommen, dass einer seines Geschlechts sich solcher Vergehen schuldig machen könnte, wie sie Dyer’s Wochenpost Richard zur Last legte, und selbst wenn Waverley ein unveräußerliches Erblehen gewesen wäre, dann hätte die Vermählung seines Inhabers verhängnisvoll für den Nebenerben werden können. Derartige Gedanken gingen Sir Everard durch den Sinn, ohne jedoch zu einem festen Entschluss zu reifen.

Er betrachtete den Stammbaum seines Geschlechts, der, mit vielen Auszeichnungen für treue Gesinnung und heldenhafte Taten verziert, im Saal an der glänzend polierten Eichentäfelung hing. Wie aus dieser Ehrentafel ersichtlich und Sir Everard ohnedies wohl bewusst, gehörten zur unmittelbaren Nachkommenschaft von Sir Hildebrand Waverley außer der Familie seines ältesten Sohns Wilfred, die nur durch Sir Everard und seinen Bruder vertreten wurde, noch die Waverleys zu Highly Park in der Grafschaft Hampshire, mit denen aber der Hauptast, oder richtiger: der Stamm des Geschlechts jede Verbindung abgebrochen hatte seit dem schweren Rechtsstreit von 1670.

Die Entarteten hatten sich noch eines weiteren Vergehens gegen den Stammvater ihres Geschlechts schuldig gemacht, indem sie ihren ältesten Sohn mit ihrer nahen Verwandten Judith vermählten, der Erbin von Oliver Bradshawe zu Highly Park, dessen Wappen, das ja das Abzeichen des Königsmörders Bradshawe war, sie mit dem altehrwürdigen Schild der Familie Waverley vereinten. Diese Missetaten waren Sir Everard allerdings in seiner Zornesaufwallung aus dem Gedächtnis entfallen, und wäre Rechtsanwalt Clippurse, der durch seinen Diener eiligst herbeigerufen worden war, eine Stunde früher eingetroffen, so wäre ihm vielleicht die Auszeichnung zuteilgeworden, eine neue Erbverfügung über Besitztum und Schloss Waverley mit all seinem Zubehör zu entwerfen. Aber eine Stunde ruhiger Überlegung macht viel aus, wenn der Mensch sie dazu nutzt, die Nachteile zweier Maßnahmen, von denen ihm keine recht zusagt, gegeneinander abzuwägen. Rechtsanwalt Clippurse fand seinen Auftraggeber in tiefes Nachsinnen versunken, das er vor lauter Ehrfurcht nicht weiter zu stören wagte, außer dass er sein Papier und sein Lederetui mit dem Schreibzeug auspackte, um bereit zu sein, die Anordnungen des Gnädigen Herrn aufzuzeichnen. Selbst diese kleinen Handgriffe verwirrten Sir Everard, der sie als einen Tadel seiner Unschlüssigkeit empfand. Er schaute den Rechtsanwalt an, als wollte er seine Befehle erteilen, aber im selben Augenblick brach die Sonne hinter einer Wolke hervor und ihr Licht schimmerte bunt durch die bemalten Fenster des düsteren Raums, wo die beiden saßen. Des Baronets Blick folgte dem Lichtstrahl und fiel genau auf den mittleren Wappenschild, der das Zeichen trug, das der Vorfahr in der Schlacht bei Hastings geführt haben sollte: drei laufende silberne Hermeline im blauen Feld, mit der beigefügten Losung ›Ohne Fehl‹. »So möge denn unser Geschlecht vergehen«, rief Sir Everard, »statt dass dieses altehrwürdige Symbol der Treue mit dem schmachvollen Zeichen eines verräterischen Roundhead verkoppelt wird!«

All dies bewirkte das Aufleuchten eines Sonnenstrahls, der gerade hell genug war, dass Rechtsanwalt Clippurse seine Feder spitzen konnte. Das Federspitzen war unnütz. Der Anwalt wurde entlassen mit der Weisung, sich auf jederzeitigen Abruf bereitzuhalten.

Rechtsanwalt Clippurse’ Erscheinen im Schloss setzte in dem Teil der Welt, dessen Mittelpunkt Waverley bildete, allerlei Gerüchte in Umlauf. Aber die klügeren Köpfe jener kleinen Welt weissagten noch schlimmere Folgen für Richard Waverley aus einem Ereignis, das kurz nach seinem Abfall eintrat. Es geschah nämlich nichts Geringeres, als dass der Baronet in seiner sechsspännigen Kutsche mit einem Gefolge von vier vornehm gekleideten Dienern eine Ausfahrt unternahm, um einen ziemlich langen Besuch bei einem vornehmen Peer abzustatten, der am anderen Ende der Grafschaft wohnte, ein Mann von untadeliger Herkunft und unerschütterlichen konservativen Grundsätzen und glücklicher Vater sechs unverheirateter, wohlerzogener Töchter war.

In dieser Familie fand Sir Everard, wie man sich leicht vorstellen kann, recht freundliche Aufnahme; aber unglücklicherweise fiel die Wahl seines Herzens auf die jüngste der sechs Töchter, auf Lady Emily, die seine Huldigungen mit einer Verlegenheit entgegennahm, die offenbar machte, dass sie diese zwar nicht abzulehnen wagte, aber alles andere als erfreut darüber war.

Sir Everard blieb nicht verborgen, dass etwas Ungewöhnliches in den verhaltenen Gefühlen lag, mit denen die junge Dame seine Annäherungsversuche beantwortete; aber da ihm die kluge Gräfin versichert hatte, diese Zurückhaltung sei die natürliche Folge einer strengen Erziehung, so wäre das Opfer vielleicht vollzogen worden, wie es zweifellos in vielen ähnlichen Fällen geschehen ist, hätte nicht eine der älteren Schwestern den Mut gehabt, dem wohlhabenden Freier zu verraten, dass Lady Emilys Liebe einem jungen Soldaten gehörte, einem Vetter, der Kriegsdienste leistete, um sein Glück zu machen. Sir Everard nahm dies aufs Tiefste bewegt zur Kenntnis, zumal es ihm in einem vertraulichen Gespräch von der jungen Dame selbst bestätigt wurde, obgleich sie die schrecklichsten Befürchtungen vor dem Zorn ihres Vaters hegte.

Würde und Edelmut waren Erbeigenschaften der Familie Waverley. Mit einer so vornehmen Rücksichtnahme, wie sie dem Helden eines Ritterromans wohl angestanden hätte, nahm Sir Everard seine Bewerbung um Lady Emilys Hand zurück. Ja, bevor er Schloss Blandeville verließ, brachte er es noch fertig, ihrem Vater die Zustimmung zu ihrer Verbindung mit dem Mann ihrer Wahl abzunötigen. Welcher Gedankenführung er sich dabei bediente, muss dahingestellt bleiben, denn Sir Everard galt niemals als redegewandt; der junge Offizier aber nahm bald danach einen viel rascheren Aufstieg in der Armee, als es sonst üblich war, wenn jemand keinen Gönner besaß und sich nur auf seine Tüchtigkeit verlassen musste, wie es auch bei dem jungen Mann nach außen hin den Anschein hatte.

Die Erschütterung, die Sir Everard bei dieser Gelegenheit erlitt, wurde zwar durch das Bewusstsein gemildert, dass er edel und gut gehandelt hatte, aber sie blieb nicht ohne Folgen für sein weiteres Leben. Den Entschluss zu heiraten hatte er in einer Zornesaufwallung gefasst; die Mühe der Brautwerbung passte nicht recht zu seinem würdevoll gelassenen Wesen. Er war nur knapp der Gefahr entronnen, eine Frau zu heiraten, die ihn niemals zu lieben vermochte, und für seinen Stolz war das Ende seines Liebeshandels nicht gerade schmeichelhaft, auch wenn sein Herz nicht darunter gelitten hätte. Das Ergebnis des Ganzen war seine Rückkehr nach Schloss Waverley, ohne dass er seine Liebe verschenkt hatte; unbeachtet geblieben waren die Seufzer und schmachtenden Blicke der reizenden Vermittlerin, die aus aufrichtiger schwesterlicher Zuneigung das Geheimnis um Lady Emilys Liebe enthüllt hatte, unwirksam geblieben waren das Kopfnicken, Augenzwinkern und versteckte Zureden der äußerst liebenswürdigen Frau Mutter und die tiefschürfenden Betrachtungen, die der Graf anstellte, um nacheinander die Klugheit, Vernunft und treffliche Gesinnung seiner ersten, zweiten, dritten, vierten und fünften Tochter zu loben. Die Erinnerung an den missglückten Liebeshandel blieb für Sir Everard wie für viele andere seiner Wesensart, die sowohl zurückhaltend wie stolz, feinfühlig und gelassen sind, eine Warnung, sich zukünftig keiner solchen Demütigung, Pein und nutzlosen Anstrengung mehr auszusetzen. Sir Everard führte auf Schloss Waverley weiterhin das Leben eines altenglischen Edelmanns von ehrwürdiger Herkunft und unbegrenztem Wohlstand. Seine Schwester, Miss Rahel Waverley, nahm den Ehrenplatz an seinem Tisch ein; und die beiden unvermählten Geschwister wurden immer freundlicher und gütiger, je älter sie wurden.

Sir Everards Groll gegen seinen Bruder legte sich bald; jedoch die Abneigung gegen den Whig und selbstsüchtigen Politiker blieb bestehen. Zwar vermochte sie Sir Everard nicht so weit zu treiben, dass er einschneidende Maßnahmen ergriffen hätte, die Richards Erbrecht an dem Familienbesitztum schmälerten, aber die Entfremdung zwischen den Brüdern dauerte fort. Richard kannte die Welt und seines Bruders Gemütsart gut genug, um zu wissen, dass durch einen unüberlegten oder voreiligen Antrag von seiner Seite der stille Widerwille leicht zum tätigen Angriff werden könnte. Es war daher ein Zufall, der schließlich den Verkehr zwischen den Brüdern wieder aufleben ließ. Richard hatte eine junge Frau von Stand geheiratet, durch deren Familienbeziehungen und persönliches Vermögen er seinen Aufstieg zu beschleunigen hoffte. Durch sie wurde er Besitzer eines recht ansehnlichen Landguts, das nur wenige Meilen von Schloss Waverley entfernt lag.

Der kleine Edward, der Held unserer Erzählung, damals vier Jahre alt, war das einziges Kind der beiden. Der Zufall wollte, dass der Knabe eines Morgens mit seinem Kindermädchen eine Meile weit weg von der Auffahrt zu Brerewood Lodge, dem Landsitz seines Vaters, spazieren ging. Die Aufmerksamkeit der beiden wurde durch eine Kutsche gefangen genommen, deren Gespann aus sechs prachtvollen langschwänzigen Rappen bestand und die so reich mit Gold und Schnitzwerk verziert war, als wäre sie die Staatskutsche des Herrn Oberbürgermeisters. Die Kutsche wartete auf ihren Herrn, der sich in der Nähe befand, wo er ein halb fertiges Bauernhaus besichtigte. Mir ist nicht bekannt, ob das Kindermädchen aus Wales oder aus Schottland stammte, und ich weiß auch nicht, woher der Knabe die Vorstellung hatte, dass ein Schild mit drei Hermelinen sein persönliches Eigentum kennzeichnete; aber kaum, dass er das Familienwappen erblickte, beschloss er unwiderruflich, sein Recht auf das prachtvolle Gefährt, das dieses Wappen trug, geltend zu machen. Der Baronet kam hinzu, als sich das Kindermädchen vergeblich mühte, den Knaben davon abzubringen, dass er von der goldenen sechsspännigen Kutsche Besitz ergreifen wollte. Die Begegnung erfolgte in einem für Edward günstigen Augenblick, denn sein Onkel hatte eben erst nachdenklich und beinahe ein wenig neidisch die stämmigen Jungen des wackeren Bauern betrachtet, dem auf seine Anweisung ein Haus gebaut wurde. Jetzt stand ein pausbäckiger Cherub vor ihm, der seine Gesichtszüge und seinen Namen trug und einen ererbten Anspruch auf sein Haus, seine Liebe und seinen Schutz besaß aufgrund der Bindungen, die Sir Everard so heilighielt wie die allerhöchsten Ordenspflichten. Mit diesem Knaben schien die Vorsehung ihm das Geschenk gemacht zu haben, das den Wunsch erfüllte, der von all seinem Hoffen und Verlangen noch offengeblieben war. Sir Everard kehrte auf einem Handpferd, das immer für ihn bereitgehalten wurde, nach Schloss Waverley zurück, während das Kind und seine Begleiterin in der Kutsche nach Brerewood Lodge heimgeschickt wurden mit einer Botschaft, die Richard Waverley die Tür zur Versöhnung mit seinem älteren Bruder öffnete.

Allerdings verlief der geschwisterliche Verkehr, obgleich er auf solche Weise wieder aufgelebt war, ziemlich förmlich und steif, statt brüderliche Herzlichkeit spüren zu lassen; aber er befriedigte die Wünsche beider Parteien. Für Sir Everard bedeutete die häufige Gesellschaft seines kleinen Neffen den Gewinn, dass sein Familienstolz die Vorfreude auf den Fortbestand seines Geschlechts genießen und seine Güte und Liebe sich ungehemmt entfalten konnten. Andererseits betrachtete Richard Waverley die wachsende Zuneigung zwischen Onkel und Neffen als das Mittel, seinem Sohn, wenn nicht gar sich selbst, die Erbfolge für den Familienbesitz zu sichern, die seinem Empfinden nach eher gefährdet statt bewahrt würde, wenn er selbst sich bemühte, zu engerer Vertrautheit mit einem Mann von Sir Everards Lebensweise und Anschauungen zu gelangen.

So erhielt der kleine Edward durch eine Art stillschweigender Übereinkunft die Erlaubnis, den größten Teil des Jahrs auf Schloss Waverley zu verbringen, und schien in gleich innigem Verhältnis zu beiden Familien zu stehen, obwohl sich deren Verkehr im Übrigen auf förmliche Botschaften und noch förmlichere Besuche beschränkte. Die Erziehung des Knaben richtete sich abwechselnd nach seines Onkels und seines Vaters Neigungen und Überzeugungen. Doch davon soll das folgende Kapitel handeln.

3

Edwards Erziehung

Die Erziehung unseres Helden Edward Waverley verlief ein wenig planlos. Als Kind vertrug er die Londoner Luft nicht, oder man nahm dies an, was auf dasselbe hinauslief. Sobald sein Vater durch seine Amtspflichten, die Parlamentssitzungen oder durch seine eigenen ehrgeizigen Vorhaben nach London gerufen wurde, wo er sich gewöhnlich acht Monate im Jahr aufhielt, wurde Edward nach Schloss Waverley gebracht und erlebte dort ganz andere Lehrer und Unterrichtsstunden als daheim. Dies hätte ausgeglichen werden können, wenn sein Vater ihn unter die Oberaufsicht eines ständigen Erziehers gestellt hätte. Aber Richard Waverley meinte, ein Mann seiner Wahl wäre wahrscheinlich unwillkommen auf Schloss Waverley und wenn er Sir Everard die Wahl überließe, dann würde er in seinem Haus mit einem unangenehmen Hausgenossen, wenn nicht gar einem politischen Spitzel belastet. Deshalb beauftragte er seinen Privatsekretär, einen verständigen, gebildeten jungen Mann, Edward einige Stunden Unterricht zu geben, wenn dieser in Brerewood Lodge war, und überließ dem Onkel die Verantwortung für die Weiterbildung, wenn der Knabe auf dem Schloss wohnte.

Dafür war in gewisser Hinsicht recht gut gesorgt. Sir Everards Kaplan, ein Oxforder, der seine Zugehörigkeit zur Universität eingebüßt hatte, weil er den Eid auf König Georg I. nicht leisten wollte, war nicht nur ein hervorragender Kenner des klassischen Altertums, sondern auch ziemlich bewandert in den Naturwissenschaften und vielen modernen Sprachen. Allerdings war er alt und nachgiebig und die immer wiederkehrende Unterbrechung, während der Edward seiner Aufsicht gänzlich entzogen war, verringerte seinen Einfluss so, dass es dem Knaben weitgehend überlassen blieb, zu lernen, wie er wollte, was er wollte und wann er wollte. Dieser Mangel an einer festen Ordnung hätte verderblich werden können für einen wenig begabten Knaben, der das Lernen als beschwerlich empfunden und bei fehlender Anleitung ganz unterlassen hätte, und der Mangel hätte sich als ebenso gefährlich erweisen können bei einem jungen Menschen, dessen körperliche Kräfte stärker entwickelt waren als die geistigen und der den unwiderstehlichen Drang verspürt hätte, sich von früh bis Abend im Freien zu tummeln. Aber bei Edward Waverleys Veranlagung bestand keine der beiden Gefahren. Er besaß eine ungewöhnlich rasche Auffassungsgabe, die beinahe als Intuition bezeichnet werden konnte, und die Hauptsorge seines Erziehers war, ihn davor zu bewahren, dass er, wie der Weidmann sagen würde, an seiner Beute vorbeijagte, das heißt, dass er sein Wissen auf oberflächliche, sinnlose, unzulängliche Weise erwarb. Und dabei musste der Lehrer noch gegen eine andere Eigenschaft ankämpfen, die sich nur allzu oft mit einem regen Geist und sprühender Einbildungskraft verbindet, nämlich gegen eine gewisse Bequemlichkeit, aus der nur eine starke Anregung aufzurütteln vermag und die das Lernen sofort aufgibt, wenn die Neugier gestillt, die Freude an der Überwindung der ersten Schwierigkeiten erschöpft und bei der Weiterarbeit nichts Neues mehr zu erwarten ist. Edward stürzte sich voll Eifer auf jeden klassischen Autor, dessen Lektüre sein Lehrer empfahl, arbeitete sich so weit in den Stil ein, dass er den Inhalt verstand, und wenn dieser ihn erfreute oder fesselte, las er das Buch zu Ende. Aber es war ein vergebliches Unterfangen, seine Aufmerksamkeit auf sprachliche Feinheiten zu lenken wie etwa die Verschiedenheit der Mundarten, die Schönheit eines glücklich gewählten Ausdrucks oder einen kunstvollen Satzbau. »Ich lese und verstehe jeden lateinischen Autor«, sagte der junge Edward so selbstbewusst und kühn in seinem Urteil, wie ein Fünfzehnjähriger eben ist, »und Scaliger und Bentley könnten kaum mehr tun.« Ach, da also geduldet wurde, dass er nur zu seinem Vergnügen las, erkannte er nicht, dass er für immer die Gelegenheit versäumte, sich eine geregelte, stetige Arbeitsweise anzugewöhnen, die Fähigkeit zu erlangen, seine geistigen Kräfte zu prüfen, zu lenken und anzuspannen zu ernstem Forschen – eine Fähigkeit, die viel wesentlicher ist als die innige Vertrautheit mit dem antiken Wissen, worauf das Studium zunächst abzielt.

Ich bin mir bewusst, dass man mich jetzt daran erinnern kann, man müsse der Jugend das Lernen angenehm machen und Tasso habe empfohlen, Honig in die Medizin fürs Kind zu mischen; aber ein Zeitalter, das den Kindern die abstraktesten Regeln mit Hilfe von Lehrspielen beibringt, hat wenig Grund, die Folgen eines ernsten, strengen Unterrichts zu fürchten. Die Geschichte Englands ist jetzt nur noch ein Kartenspiel, mathematische Probleme sind Geduld- und Rätselspiele und arithmetische Lehrsätze kann man sich, wie uns versichert wird, hinreichend aneignen, wenn man sich einige Stunden in der Woche mit der neuen, erschwerten Ausgabe des berühmten Gänsespiels beschäftigt. Nur noch ein Schritt weiter, dann können auch das Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote auf dieselbe Weise gelehrt werden, ohne das ernste Gesicht, den überlegten Vortrag und die Andacht, die bislang von den wohlgesitteten Kindern unseres Lands gefordert wurden. Mittlerweile muss man vielleicht reiflich überlegen, ob nicht etwa diejenigen, die nur an ein Lernen im Spiel gewöhnt sind, zur Ablehnung dessen verleitet werden, was ihnen als ernsthaftes Studium erscheint, ob nicht etwa diejenigen, welche die Geschichte beim Kartenspielen erlernen, dazu verleitet werden, das Mittel höher zu schätzen als den Zweck, und ob nicht etwa, wenn wir auch Religion durch Spiele lehrten, unsere Schüler allmählich dahin gebracht würden, aus ihrer Religion ein Spiel zu machen. Für unseren jungen Helden, der seine Ausbildung ganz nach seiner Lust und Laune betreiben durfte und sie infolgedessen nur so lange betrieb, wie sie ihm Vergnügen bereitete, war die Nachgiebigkeit seiner Lehrer mit üblen Folgen verbunden, die lange Zeit sein Wesen, seine Freudigkeit und seine Tüchtigkeit beeinträchtigten.

Edwards lebhafte Vorstellungskraft und glühende Begeisterung für die Literatur boten durchaus keine Abhilfe gegen dieses Übel, sondern verstärkten und verschlimmerten es noch. Die Bibliothek von Schloss Waverley, ein geräumiger gotischer Saal mit Kreuzgewölbe und einer Galerie, enthielt eine so reichhaltige, vielseitige Auswahl von Büchern, wie sie im Verlauf von zweihundert Jahren von einer Familie gesammelt worden war, die immer im Wohlstand gelebt und selbstverständlich auch damit geprunkt hatte, ihre Regale mit der jeweils zeitgenössischen Literatur zu füllen, ohne diese allzu gründlich zu prüfen oder zu unterscheiden. In diesem unermesslichen Bereich durfte Edward nach Herzenslust umherschweifen. Sein Lehrer gab sich seinen eigenen Beschäftigungen hin; und Kirchenpolitik und theologische Streitfragen, dazu der Hang zu weiser Beschaulichkeit hielten ihn zwar nicht davon ab, zu den festgesetzten Zeiten über die Fortschritte des präsumtiven Erben seines Gönners zu wachen, aber sie bewogen ihn, jede mögliche Begründung vorzubringen, weshalb er keinen streng geregelten Plan für dessen Allgemeinbildung verfolgte. Sir Everard selbst hatte sich niemals der Wissenschaft gewidmet und teilte mit seiner Schwester die weitverbreitete Ansicht, dass Müßiggänger überhaupt keinen Buchstaben angucken und dass die bloße Beschäftigung mit Büchern schon eine nützliche und verdienstliche Tätigkeit sei, ungeachtet dessen, was für Gedanken oder Lehren sie vielleicht enthalten. Mit dem Wunsch nach Unterhaltung, den strengere Zucht schnell in Wissensdurst hätte verwandeln können, trieb daher der junge Waverley durch das Büchermeer wie ein Schiff ohne Steuermann und Ruder. Flüchtiges Lesen ist eine Gewohnheit, die sich vielleicht mehr als alles andere verschlimmert, wenn man ihr nachgibt, zumal unter so begünstigenden Umständen. Ich glaube, einer der Gründe, weshalb es so viele Gebildete in den unteren Schichten gibt, liegt darin, dass der arme Student bei gleicher Begabung seiner Bücherleidenschaft nicht unbeschränkt frönen kann und notwendigerweise die wenigen Bände, die er besitzt, gründlich durcharbeiten muss, ehe er weitere erwerben kann. Edward dagegen legte gleich dem Feinschmecker, der von einem Pfirsich nur einen einzigen Bissen von der reifsten Stelle zu nehmen geruht, jedes Buch beiseite, sobald es nicht mehr seine Wissbegier oder Teilnahme erregte; und so ergab sich notwendigerweise, dass die Gewohnheit, nur diese Art von Befriedigung zu suchen, es täglich schwieriger machte, sie zu finden, bis das Lesen wie jede andere große Leidenschaft, der man frönt, zum Überdruss wurde.

Bevor sein Eifer so erlahmte, hatte Edward allerdings viel gelesen und in einem außergewöhnlich guten Gedächtnis manches seltene, wenn auch ungeordnete und zusammengewürfelte Wissen aufgespeichert. In der englischen Literatur kannte er Shakespeare, Milton, unsere frühe Dramendichtung und manchen anschaulichen und lehrreichen Abschnitt aus unseren alten Chroniken, besonders vertraut aber war er mit Spenser, Drayton und anderen Dichtern, die Abenteuer besingen, die mehr als alle anderen Themen die jugendliche Fantasie fesseln, solange die Leidenschaften noch nicht erwacht sind und nach einer empfindsameren Dichtung verlangen. In dieser Beziehung öffnete ihm seine Kenntnis des Italienischen einen noch weiteren Raum. Er hatte die zahlreichen Heldengedichte gelesen, worin sich seit den Tagen Pulcis die geistreichen Köpfe Italiens mit Vorliebe geübt haben, und er hatte Unterhaltung gesucht in den vielen Novellensammlungen, die von der Schöpferkraft dieses gebildeten, aber schwärmerischen Volks in Nachahmung des Dekamerons hervorgebracht worden sind. In der klassischen Literatur hatte Waverley den üblichen Gang eingeschlagen und die üblichen Autoren gelesen; und die Franzosen hatten ihm eine beinahe unerschöpfliche Sammlung von Memoiren geboten, die kaum glaubwürdiger waren als Romane, und eine Sammlung von Romanen, die so gut geschrieben waren, dass man sie kaum von Memoiren unterscheiden konnte. Froissarts Prachtwerk mit seinen herzergreifenden, sinnverwirrenden Kriegs- und Turnierschilderungen gehörte zu Edwards bevorzugten Lieblingsbüchern; und aus den Werken von Brantôme und Lanoue lernte er den Unterschied zwischen den unbesonnenen, ausschweifenden und doch abergläubischen Fürsten der Heiligen Liga und den strengen, unbeugsamen, manchmal aufrührerischen Hugenotten. Die Spanier hatten seinen Schatz an Ritter- und Abenteuerdichtung vermehrt. Die frühe Literatur der nordischen Völker entging dem Eifer dessen nicht, der mehr zur Anregung seiner Fantasie als zur Hebung seiner Bildung las. Und obgleich er viel wusste, was nur wenigen bekannt ist, konnte man Edward Waverley mit Fug und Recht als dumm bezeichnen, denn er wusste wenig von dem, was dem Menschen Würde verleiht und ihn befähigt, eine führende Stellung in der Gesellschaft ehrenvoll zu bekleiden.

Eine gelegentliche Nachprüfung durch seine Eltern hätte in der Tat von Nutzen sein können, um der geistigen Zerstreuung vorzubeugen, die aus solchem planlosen Herumlesen folgt. Aber seine Mutter starb im siebten Jahr nach der Versöhnung der Brüder und Richard Waverley, der nach ihrem Tod meistens in London lebte, war zu sehr mit seinem Streben nach Wohlstand und Ansehen beschäftigt, um mehr an Edward festzustellen, als dass er ein ausgesprochener Bücherwurm und wahrscheinlich zum Bischof bestimmt war. Hätte er entdecken und erforschen können, welchen Träumereien sich sein Sohn hingab, so wäre er zu einem ganz anderen Schluss gelangt.

4

Träumereien

Ich habe bereits angedeutet, dass der überfeinerte, verwöhnte, wählerische Geschmack unseren Helden nicht nur um die Fähigkeit zu ernstem, angestrengtem Studium brachte, sondern ihm obendrein bis zu einem gewissen Grad alles verleidete, worin er bisher geschwelgt hatte.

Als er sechzehn Jahre alt war, fielen sein zerstreutes Wesen und sein Hang zur Einsamkeit so sehr auf, dass sich Sir Everard ernstlich um ihn sorgte. Er bemühte sich, die Einseitigkeiten auszugleichen, indem er seinen Neffen zur Betätigung im Freien anregte, worin er in seiner Jugend sein Hauptvergnügen gefunden hatte. Edward trug eine Jagdzeit hindurch eifrig das Gewehr, aber nachdem er sich bis zu einer gewissen Fertigkeit geübt hatte, bereitete ihm die Jagd keine Freude mehr.

Im folgenden Frühjahr, nachdem er des alten Isaak Walton bezauberndes Büchlein gelesen hatte, beschloss Edward, sich der Bruderschaft der Angler anzuschließen. Aber von allen Zeitvertreiben, die der Geist je als Mittel gegen Trägheit ersann, ist das Angeln am wenigsten geeignet, einem Menschen Vergnügen zu bereiten, der lässig und ungeduldig zugleich ist; und die Angelrute unseres Helden wurde schnell beiseite geworfen. Gesellschaft und Beispiel, die mehr als jede andere bewegende Kraft den ungezügelten Trieb unserer Leidenschaften bezwingen und lenken, hätten ihren Einfluss auch auf den jungen Schwärmer ausüben können. Aber die Umgebung war dünn besiedelt und die hausbackenen Landjunker, die dort aufwuchsen, waren ihrem Stand nach nicht geeignet, Edwards täglichen Umgang zu bilden, und noch weniger vermochten sie, ihn zur Nachahmung der Zeitvertreibe anzuregen, die den Sinn ihres Lebens darstellten.

Es gab einige wenige besser erzogene und freimütige junge Menschen, aber auch aus ihrer Gesellschaft war unser Held bis zu einem gewissen Grad ausgeschlossen. Sir Everard hatte beim Tod der Königin Anna seinen Sitz im Parlament niedergelegt und sich, weil er älter und die Zahl seiner Altersgenossen immer kleiner wurde, allmählich aus der Gesellschaft zurückgezogen. Wenn nun Edward bei besonderen Anlässen mit gebildeten, wohlerzogenen jungen Männern seines Stands und seiner Gesinnung zusammenkam, so hatte er in ihrer Gesellschaft Minderwertigkeitsgefühle, und zwar weniger deshalb, weil es ihm an Wissen fehlte, als vielmehr deshalb, weil er nicht geübt war, über sein Wissen zu verfügen und es anzuwenden. Ein tiefes, immer feiner werdendes Empfinden trug zu seiner Abneigung gegen die Gesellschaft noch bei. Die Vorstellung, er könnte den geringsten Verstoß gegen die Höflichkeit begangen haben, mochte dies nun zutreffen oder nur eingebildet sein, war qualvoll für ihn; denn vielleicht belastet sogar ein wirkliches Vergehen manches Gemüt nicht mit einem so brennenden Scham- und Reuegefühl, wie es ein bescheidener, feinfühliger, unerfahrener junger Mann empfindet, wenn ihm bewusst wird, dass er den Anstand verletzt oder sich lächerlich gemacht hat. Wo wir uns nicht wohl fühlen, können wir nicht glücklich sein; und daher ist es nicht überraschend, dass Edward Waverley annahm, er passe nicht in die Gesellschaft und verabscheue sie, und dass er sich dies nur deshalb einbildete, weil ihm ungezwungene, fröhliche Gesellschaft und wechselseitiges Freudespenden und Freudeempfangen noch ungewohnt waren.

Die Stunden, die er mit seinem Onkel und seiner Tante verbrachte, waren damit ausgefüllt, dass er den Geschichten lauschte, welche die beiden in der Redseligkeit ihres Alters oft wiederholten. Aber sogar dabei wurde seine Fantasie, seine hervorstechende geistige Fähigkeit, oft erregt. Bei Familiengeschichte und Geschlechterkunde, worauf Sir Everard meistens zu sprechen kam, verhält es sich gerade umgekehrt wie beim Bernstein, der an sich ein wertvoller Stoff ist, aber gewöhnlich Fliegen, Pflanzenreste und anderen Schmutz einschließt; jene Forschungen dagegen, an sich ganz unwichtig und nebensächlich, sind trotzdem nützlich, um einen großen Teil dessen zu erhalten, was an den alten Sitten gut und wertvoll ist, und die Erinnerung an manche merkwürdige Kleinigkeit wachzuhalten, die auf keinem anderen Weg bewahrt und weitergegeben werden könnte. Wenn also Edward Waverley auch manchmal gähnte bei der trockenen Aufzählung der Reihe seiner Vorfahren mit ihren vielfachen Heiraten untereinander und im Stillen Einspruch erhob gegen die Strenge, Weitschweifigkeit und Genauigkeit, womit der ehrwürdige Sir Everard die verschiedenen Verwandtschaftsgrade vortrug zwischen dem alten Geschlecht Waverley und den braven Baronen, Rittern und Landedelleuten, mit denen man sich versippt hatte, wenn auch Edward Waverley trotz seiner Bindung an die drei laufenden Hermeline manchmal im Herzen die Sprache der Wappen, ihre Greifen, Maulwürfe, Lindwürmer und Drachen, mit Heißsporns ganzem Zorn verfluchte, so regten diese Mitteilungen mitunter doch seine Einbildungskraft an und belohnten seine Aufmerksamkeit.

Wilibert Waverleys Taten im Heiligen Land; seine lange Abwesenheit und seine gefährlichen Abenteuer; die Rückkehr des Totgesagten an jenem Abend, da die Auserkorene seines Herzens sich dem Helden vermählte, der sie während seiner Abwesenheit gegen Übermut und Kränkung beschützt hatte; die edle Gesinnung des Kreuzfahrers, der auf sein Recht verzichtete und in einem benachbarten Kloster den Frieden suchte, der nie wieder von uns weicht – diesen und ähnlichen Geschichten lauschte Edward, bis sein Herz brannte und seine Augen leuchteten. Nicht weniger ergriffen war er, wenn seine Tante Miss Rahel von Lady Alice Waverleys Leiden und Tapferkeit während des Bürgerkriegs erzählte. Das gütige Gesicht der würdigen alten Dame nahm einen ehrfürchtigen Ausdruck an, wenn sie schilderte, wie Karl nach der Schlacht von Worcester einen Tag Zuflucht in Schloss Waverley gefunden hatte und wie Lady Alice beim Herannahen eines berittenen Trupps, der das Haus durchsuchen wollte, ihren jüngsten Sohn mit einer kleinen Schar von Dienern hinausschickte mit dem Auftrag, ihr Leben für eine Stunde Zeitgewinn einzusetzen, damit der König entfliehen könne. »Und Gott sei ihr gnädig«, fuhr Miss Rahel stets in ihrer Rede fort, indem sie ihre Blicke auf das Porträt der Heldin heftete, »teuer genug erkaufte sie die Sicherheit ihres Prinzen mit dem Leben ihres geliebten Kinds. Man brachte ihn als Gefangenen tödlich verwundet heim; und du kannst der Spur seiner Blutstropfen nachgehen von der großen Eingangstür durch den kleinen Gang und hinauf in den Salon, wo man ihn hinlegte, dass er zu Füßen seiner Mutter stürbe. Die beiden aber spendeten einander Trost; denn er erkannte an dem aufleuchtenden Blick seiner Mutter, dass sein verzweifelter Verteidigungskampf nicht umsonst gewesen war. Ach, ich erinnere mich«, fuhr Miss Rahel fort, »ich erinnere mich sehr gut, jemanden gesehen zu haben, der ihn kannte und liebte. Miss Lucy St. Aubin blieb um seinetwillen zeitlebens unvermählt, obgleich sie eines der hübschesten und reichsten Mädchen des Lands war; alle Welt rannte ihr nach, sie aber trauerte ihr Leben lang wie eine Witwe um den armen William, denn die beiden waren verlobt gewesen, wenn auch nicht verheiratet, und sie starb am … Das Datum ist mir entfallen; aber ich erinnere mich, dass sie im November jenes Jahrs, als sie ihre Kräfte schwinden fühlte, noch einmal nach Schloss Waverley gebracht werden wollte und jedes Plätzchen aufsuchte, wo sie mit meinem Großonkel zusammen gewesen war, und die Teppiche hochheben ließ, damit sie der Spur seines Blutes folgen konnte, und wenn Tränen imstande gewesen wären, das Blut wegzuwischen, so wäre es jetzt nicht mehr da; denn im ganzen Haus blieb kein Auge trocken. Man konnte glauben, Edward, dass selbst die Bäume um sie trauerten, denn deren Blätter fielen ohne einen Lufthauch rings um sie nieder; und sie sah wirklich aus, als ob sie deren Grünen nicht mehr erleben sollte.«

Nach solchen wundersamen Erzählungen stahl sich unser Held hinweg, um den Träumereien nachzuhängen, die sie erweckten. In einem Winkel der weiträumigen, dunklen Bibliothek, wo sich kein anderes Licht bot als das verglimmende Feuer in dem wuchtigen, breiten Kamin, vollzog er dann stundenlang die geistige Beschwörung, die vergangene oder erdichtete Ereignisse gleichsam leibhaftig vor den Augen des Träumers abrollen lässt. Da wallte der lange, prunkvolle Festzug zur Hochzeit auf Burg Waverley heran; die schlanke, abgemagerte Gestalt des wahren Bräutigams tauchte auf, wie er in seinem Pilgergewand dastand als unbeachteter Zuschauer der Festlichkeiten für seinen angeblichen Erben und seine angelobte Braut; wie ein Blitz durchzuckte es alle bei seiner Enthüllung; die Männer griffen zu den Waffen; verwundert schaute der Bräutigam um sich; Schrecken und Verwirrung erfassten die Braut; voller Schmerz erkannte Wilibert, dass sie dieser Ehe von Herzen zugestimmt hatte; hoheitsvoll, doch tief bewegt warf er das gezückte Schwert zu Boden und entfernte sich für immer vom Haus seiner Vorfahren. Dann ließ Edward sich von der Fantasie an einen anderen Ort tragen und Tante Rahels traurige Geschichte vor sich abrollen. Er sah Lady Waverley in ihrem Gemach sitzen, angespannt auf jedes Geräusch lauschend, während ihr Herz in zwiefacher Sorge heftig schlug. Jetzt hörte sie die Hufschläge von des Königs Pferd und als deren Echo verhallt war, vernahm sie in jedem Windzug, der durch die Bäume des Parks strich, das Wogen des fernen Gefechts. Von weither klingt es wie das Rauschen eines anschwellenden Stroms; es wird stärker und Edward kann die Hufschläge, die Rufe und Schreie, die vereinzelten Pistolenschüsse deutlich unterscheiden, die sich dem Schloss nähern. Die Schlossherrin springt auf, schreckerfüllt stürzt ein Diener herein … Doch wozu könnte die weitere Schilderung dienen?

Je angenehmer das Leben in dieser Traumwelt von Tag zu Tag für unseren Helden wurde, umso weniger ließ er sich darin stören. Das Gelände rings um das Schloss, das sich viel weiter erstreckte als ein Park und allgemein als Jagdgrund Waverley bezeichnet wurde, war ursprünglich Wald gewesen und befand sich trotz der weiten Lichtungen, wo sich das Jungwild tummelte, noch im unberührten Urzustand. Es war von breiten Alleen durchzogen, die an vielen Stellen halb von Buschwerk überwuchert waren, hinter dem die Schönheiten längst vergangener Tage ihren Stand zu beziehen pflegten, um zu sehen, wie der Hirsch von den Windspielen gejagt wurde, oder um mit der Armbrust auf ihn zu zielen. An einer dieser Stellen, die durch einen bemoosten gotischen Denkstein mit der Inschrift ›Königin Elisabeths Anstand‹ gekennzeichnet war, sollte Elisabeth selbst sieben Rehböcke mit dem Pfeil erlegt haben. Dies war einer der liebsten Aufenthalte Waverleys. Mit seinem Gewehr und seinem Spaniel, die als Rechtfertigung vor den anderen dienten, und mit einem Buch in der Tasche, womit er sich vor sich selbst entschuldigte, durchstreifte er abwechselnd die langen Alleen, die sich vier Meilen weit emporwanden und sich dann allmählich verengten zu einem holprigen, schmalen Pfad, der durch die zerklüftete Waldschlucht namens Mirkwood Dingle führte und sich unvermutet zu einem tiefen dunklen Weiher hin öffnete, der Mirkwood-Mere genannt wurde. Dort hatte in früheren Zeiten ein einsamer Turm auf einem Felsen gestanden, der fast ganz von Wasser umgeben war, ihm war der Name Festung Waverley beigelegt worden, weil er in gefahrvollen Zeiten oft der Familie Zuflucht geboten hatte. Dort hatten in den Kriegen zwischen den Häusern Lancaster und York die letzten Anhänger der Roten Rose, die noch für sie einzustehen wagten, einen unablässigen Raubkrieg geführt, bis das Bollwerk durch den berühmten Richard von Gloucester bezwungen wurde. Dort hatte sich auch eine Schar der Anhänger Karls verteidigt, angeführt von Nigel Waverley, dem älteren Bruder jenes William, dessen Schicksal Tante Rahel im Andenken hielt. Diese Begebenheiten waren es, die sich Edward immer wieder in lieblichen und schrecklichen Bildern ausmalte; wie ein Kind sich Bausteine auswählt und zusammenstellt, so schuf er sich aus den großartigen, aber nutzlosen Vorstellungen und Gedanken, womit sein Geist erfüllt war, Traumgesichte, die so schillernd und vergänglich waren wie Erscheinungen am Abendhimmel. Wie solche Schwärmerei sein Gemüt und sein Wesen beeinflusste, wird sich im nächsten Kapitel zeigen.

5

Wahl des Berufs

Nachdem ich so eingehend geschildert habe, womit sich Waverley beschäftigte und wie sich sein Geist dadurch unvermeidlich einseitig entwickelte, mag der Leser vielleicht in der folgenden Geschichte eine Nachahmung des Ritterromans von Cervantes erwarten. Aber mit dieser Annahme tut er meiner Klugheit unrecht. Es ist nicht meine Absicht, in die Fußstapfen dieses unnachahmlichen Autors zu treten und eine so völlige Verwirrung des Geists zu beschreiben, bei der die Gegenstände, die sich den Sinnen richtig darbieten, falsch gedeutet werden, sondern ich will den viel alltäglicheren Mangel an gesundem Menschenverstand schildern, bei dem die Ereignisse zwar ganz richtig wahrgenommen, aber nach persönlicher schwärmerischer Stimmung und Neigung ausgelegt werden. Edward Waverley war weit davon entfernt, allgemeines Verständnis für seine Gefühle zu erwarten oder sich einzubilden, die Gegenwart könnte jene Träumereien, denen er sich hinzugeben liebte, zur Wirklichkeit werden lassen; deshalb fürchtete er sich vor nichts anderem so sehr wie vor der Entdeckung jener Empfindungen, die ihm seine Hirngespinste einflößten. Er besaß und wünschte sich keinen Vertrauten, den er an seinen Träumereien hätte teilnehmen lassen; und er war sich ihrer Lächerlichkeit wohl bewusst. Hätte er zu wählen gehabt zwischen einer Strafe, die nicht ehrenrührig war, und dem Erfordernis, einen nüchternen, gedrängten Bericht über die Traumwelt zu geben, worin er den angenehmeren Teil seiner Tage verbrachte, so hätte er sich meiner Meinung nach ohne Zögern für die Strafe entschieden. Das Geheimnis wurde doppelt teuer, als er im Jünglingsalter den Einfluss der erwachenden Leidenschaften spürte. Weibliche Gestalten von vollendeter Anmut und Schönheit begannen sich in seine erträumten Abenteuer zu mischen; und es dauerte nicht mehr lange, bis er Ausschau hielt und Vergleiche zog zwischen den Geschöpfen seiner Einbildung und den Frauen im wirklichen Leben.

Die Schönen, die ihren sonntäglichen Putz in der Pfarrkirche von Waverley zur Schau stellen, bildeten keine große oder erlesene Schar. Die bei Weitem größte Anziehungskraft besaß Miss Sissly oder, wie sie sich lieber nennen hörte, Miss Cecilia Stubbs, die Tochter des Squire Stubbs vom Vorwerk. Ich weiß nicht, ob es ›der lächerlichste Zufall der Welt‹ war, welcher in weiblichem Mund eine Redensart darstellt, die nicht immer jeglichen Vorbedacht ausschließt, oder ob es eine gemeinsame Vorliebe war, die dazu führte, dass Miss Cecilia mehr als einmal auf Edwards Lieblingswegen im Jagdgrund Waverley aufkreuzte. Er hatte noch nicht den Mut gefasst, sie bei solchen Gelegenheiten anzusprechen; aber die Begegnung blieb nicht ohne Folgen. Ein schwärmerischer Liebhaber ist ein wunderlicher Götzenverehrer, der sich manchmal nicht darum kümmert, aus was für Holz er seine Gottheit schnitzt; wenn die Natur seiner Angebeteten nur ein leidliches Maß an Schönheit verliehen hat, so ist er zumindest imstande, ohne Weiteres den Goldschmied und Derwisch der orientalischen Geschichte nachzuahmen und seine Geliebte aus der Fülle seiner eigenen Gedanken reichlich mit überirdischer Schönheit und allen geistigen Fähigkeiten auszustatten.

Aber noch ehe Miss Cecilia Stubbs’ Reize sie zur unumschränkten Gottheit erhoben oder zumindest auf dieselbe Stufe gestellt hatten wie die Heilige gleichen Namens, erfuhr Miss Rahel einiges, was sie veranlasste, die bevorstehende Vergötterung zu verhindern. Selbst die einfältigsten und arglosesten weiblichen Wesen besitzen – Gott sei Dank! – in derartigen Angelegenheiten einen angeborenen Spürsinn, der mitunter dazu neigt, Dinge zu sehen, die es gar nicht gibt, jedoch selten fehlgeht bei der Entdeckung dessen, was sich wirklich vor Augen vollzieht. Miss Rahel befleißigte sich großer Klugheit, um nicht gegen das drohende Unheil anzurennen, sondern ihm auszuweichen; sie legte ihrem Bruder dar, wie notwendig es sei, dass der Erbe seines Hauses mehr von der Welt kennenlernte, als der dauernde Aufenthalt auf Schloss Waverley bot.

Sir Everard verschloss sich zunächst jedem Vorschlag, der darauf hinauslief, seinen Neffen von ihm zu trennen. Edward sei ein wenig weltfremd, räumte er ein; aber seinem Vernehmen nach sei die Jugend die Zeit des Lernens und es bestehe kein Zweifel, dass sich sein Neffe, wenn seine Lesewut gestillt und sein Kopf mit Wissen vollgestopft sei, sportlichen Betätigungen und vaterländischen Pflichten hingeben werde. Sir Everard selbst hatte, wie er sagte, oft bereut, dass er nicht einen Teil seiner Jugend der Wissenschaft gewidmet hatte, er hätte trotzdem genauso gut schießen und jagen können, und er wäre imstande gewesen, die Gewölbe der St. Stephanskapelle von längeren Reden widerhallen zu lassen als von jenen hitzigen Protesten, mit denen er damals, als er zur Zeit von Graf Sidney Godolphins Ministerium zu den Mitgliedern des Unterhauses gehörte, jede Maßnahme der Regierung bekämpfte.

Tante Rahels Besorgnis jedoch gab ihr die rechten Worte ein, ihre Ansicht durchzusetzen. Alle würdigen Vertreter der Familie hätten fremde Länder bereist oder ihrem Vaterland in der Armee gedient, bevor sie sich für die Dauer ihres Lebens auf Schloss Waverley niederließen. Für die Richtigkeit dieser Behauptung berief sich Miss Rahel auf den Stammbaum, dessen Zeugnis sich Sir Everard, wie man wusste, niemals widersetzte. Kurzum, es erging der Vorschlag an Mr Richard Waverley, sein Sohn solle sich unter der Leitung seines jetzigen Lehrers Mr Pembroke auf Reisen begeben, wozu ihn der Baronet in seiner Großzügigkeit angemessen ausstatten wolle. Der Vater selbst fand gegen das Angebot nichts einzuwenden; aber als er gelegentlich an der Tafel des Ministers davon sprach, machte der hohe Herr ein bedenkliches Gesicht. Die Begründung dafür erfolgte unter vier Augen. Bei Sir Everards bedauerlicher politischer Einstellung, meinte der Minister, sei es höchst unklug, einen Jüngling von so vielversprechenden Aussichten mit einem Lehrer nach dem Festland fahren zu lassen, der zweifellos von seinem Onkel ausgewählt war und die Reise nach dessen Anweisungen lenkte. In was für eine Gesellschaft könnte Mr Edward Waverley in Paris und Rom geraten, wo der Thronräuber und seine Söhne alle Arten von Fallstricken ausgelegt hatten? Dies möge sich Mr Waverley überlegen. Der Minister konnte seinerseits sagen, er wisse, dass Seine Majestät Mr Richard Waverleys Verdienste richtig einschätzte, und er sei überzeugt, dass Waverleys Sohn, falls er einige Jahre in der Armee dienen wollte, auf eine Rittmeisterstelle in einem kürzlich aus Flandern zurückgekehrten Dragonerregiment rechnen könnte.

Einen so nachdrücklich gegebenen Hinweis konnte man nicht ungestraft in den Wind schlagen. Trotz der schweren Befürchtung, seines Bruders Anschauung zu verletzen, hielt Richard Waverley es für unumgänglich, die Offiziersstelle anzunehmen, die ihm auf solche Weise für seinen Sohn angeboten worden war. Ehrlich gesagt, rechnete er sehr und richtig auf Sir Everards Liebe für Edward, die es unwahrscheinlich machte, dass der Onkel einen Schritt übel vermerkte, den Edward in gehorsamer Unterwerfung unter den Befehl des Vaters vollzog. Zwei Briefe teilten dem Baronet und seinem Neffen die Entscheidung mit. Der Brief an den Letzteren übermittelte nur die Tatsache und erläuterte die notwendigen Vorbereitungen für den Eintritt ins Regiment. An seinen Bruder schrieb Richard ausführlicher und umständlicher. Er stimmte ihm mit den schmeichelhaftesten Worten bei, dass es sich für seinen Sohn schickte, etwas mehr von der Welt kennenzulernen, und dankte ihm geradezu demütig für die angebotene Hilfe, bedauerte jedoch sehr, dass es unglücklicherweise im Augenblick nicht in Edwards Macht stünde, sich ganz in den Plan zu schicken, den sein bester Freund und Wohltäter entworfen hatte. Richard selbst habe mit Sorge über die Untätigkeit seines Sohns nachgedacht, da in seinem Alter alle seine Vorfahren Waffen getragen haben; sogar Seine Königliche Hoheit habe sich zu erkundigen geruht, ob der junge Waverley jetzt in Flandern wäre, da sein Großvater im gleichen Alter während des Bürgerkriegs schon sein Leben für seinen König einsetzte. Dabei sei eine Rittmeisterstelle angeboten worden. Was sollte Richard tun? An der Zeit, seinen Bruder um Rat zu fragen, hätte es selbst dann gefehlt, wenn er hätte annehmen müssen, auf Everards Seite bestünden vielleicht Einwände dagegen, dass der Neffe die ruhmvolle Laufbahn der Vorfahren einschlägt. Kurzum, Edward sei jetzt Rittmeister Waverley, wobei die unteren Dienstgrade des Fähnrichs und Leutnants mit Leichtigkeit übersprungen worden seien, er gehöre zu Oberst Gardiners Dragonerregiment, in dessen Quartier in Dundee in Schottland er im Lauf von vier Wochen eintreffen müsse.

Sir Everard Waverley empfing diese Mitteilung mit gemischten Gefühlen. Als das Haus Hannover an die Regierung kam, hatte er sich aus dem Parlament zurückgezogen, und sein Verhalten während des denkwürdigen Jahrs 1715 war nicht ganz unbeargwöhnt geblieben. Gerüchte wussten von heimlichen Ansammlungen von Pächtern und Pferden, die bei Mondschein im Jagdgrund Waverley stattfänden, und von Kisten voll Karabiner und Pistolen, die in Holland gekauft, an den Baronet adressiert, aber beschlagnahmt worden wären dank der Wachsamkeit eines berittenen Zollbeamten, der später in einer mondlosen Nacht von einer handfesten Schar auf einer Decke geprellt worden war. Ja, es hieß sogar, bei der Verhaftung Sir William Wyndhams, des Führers der Tory-Partei, wäre ein Brief von Sir Everard in dessen Schlafrocktasche gefunden worden. Aber es gab keinen offenen Verstoß, worauf sich eine Anklage begründen ließ, und die Regierung, die sich mit der Niederwerfung des Aufstands von 1715 begnügte, hielt es für unklug und gefährlich, die Strafverfolgung weiter auszudehnen als über die Unglücklichen, die tatsächlich die Waffen erhoben hatten.

Auch ließ sich Sir Everard in seinem Verhalten offenbar nicht durch die Gerüchte beeinflussen, die bei seinen Nachbarn von der Whig-Partei umliefen. Es war allgemein bekannt, dass er einige der bedrängten Schotten und Northumberländer unterstützt hatte, die nach ihrer Gefangennahme bei Preston in Lancashire eingekerkert worden waren in Newgate und Marshalsea, und sein Rechtsanwalt und ständiger Berater verteidigte einige der Unglücklichen vor Gericht. Allerdings nahm man allgemein an, wenn die Minister einen tatsächlichen Beweis für Sir Everards Verbindung mit dem Aufstand in Händen gehabt hätten, wäre eine solche Herausforderung nicht gewagt worden oder zumindest nicht ungestraft geblieben. Die Gefühle, die damals sein Verhalten bestimmten, entsprachen einem jungen Mann in einer Zeit der Gärung. Inzwischen war Sir Everards Jakobitismus allmählich erkaltet, wie ein Feuer verlischt, wenn der Brennstoff fehlt. Die Grundsätze eines Tories und Anhängers der Hochkirche behielt er bei und vertrat sie gelegentlich bei Wahlen und Gerichtssitzungen; aber seine Anschauungen über das Thronfolgerecht waren ins Wanken geraten. Dennoch verletzte es seine Gefühle sehr, dass sein Neffe in die Armee des Hauses Braunschweig eintreten sollte, und dies umso mehr, weil es trotz seiner hohen, strengen Begriffe von väterlicher Verantwortung unmöglich oder zumindest höchst unklug war, machtvoll dagegen einzuschreiten. Dieser unterdrückte Ärger ließ verdrießliche Töne laut werden, die einem drohenden Gichtanfall zugeschrieben wurden, bis sich der ehrwürdige Baronet die Armeeliste bringen ließ und sich mit der Feststellung tröstete, dass auch die Namen der Söhne aus den ebenso königstreuen Häusern Mordaunt, Granville und Stanley im Truppenverzeichnis standen. Und indem er all seinen Familienstolz und seine heldische Gesinnung beschwor, gelangte er etwa nach Falstaffs Denkweise zu dem Schluss, dass es im Kriegsfall zwar eine Schande wäre, nicht auf der richtigen Seite zu kämpfen, dass es aber noch viel verwerflicher wäre, untätig zu bleiben, statt für die schlechteste Sache zu streiten, mochte sie auch durch den Thronraub noch schlimmer geworden sein. Was Tante Rahel anbelangte, so hatte sich ihr Plan zwar nicht ganz ihren Wünschen gemäß durchführen lassen, aber sie erkannte die Notwendigkeit, sich den Umständen zu fügen; und ihr Kummer verringerte sich bei der Arbeit, ihren Neffen für den Heeresdienst auszustatten, und wurde gänzlich vertrieben durch die Erwartung, Edward im Glanze der Uniform zu sehen.

Edward selbst empfing die höchst unerwartete Mitteilung mit hellem, grenzenlosem Erstaunen. Sie wirkte, um die Worte eines schönen alten Lieds zu gebrauchen, wie ›ein Feuer auf der Heide‹, das einen einsamen Hügel mit Rauch überzieht und gleichzeitig aufleuchten lässt. Sein Lehrer – oder richtiger gesagt: Mr Pembroke, denn den Namen eines Lehrers verdiente er kaum – fand in Edwards Zimmer unvollendete, regellose Verse, die er anscheinend unter dem Einfluss der erregenden Gefühle gedichtet hatte, als plötzlich diese neue Seite im Buch des Lebens vor ihm aufgeschlagen wurde. Der Gelehrte bewunderte alle Dichtungen, die von seinen Freunden geschaffen und in schönen geraden Zeilen mit jeweils großem Anfangsbuchstaben niedergeschrieben waren, er zeigte den kostbaren Fund Tante Rahel, deren Brillengläser sich von Tränen trübten, während sie die Verse in ihr Notizbuch eintrug, das empfohlene Kochrezepte und Arzeneien, beliebte Bibelsprüche und Kernsätze der hochkirchlichen Theologie und einige Liebeslieder und jakobitische Gesänge enthielt, die sie in jungen Jahren hatte erklingen lassen. Aus dieser Sammlung wurden des Neffen poetische Versuche abgeschrieben, als das Notizbuch zusammen mit anderen beglaubigten Urkunden der Familie Waverley dem unwürdigen Verfasser dieser denkwürdigen Geschichte zur Einsicht überlassen wurde. Sollten die Strophen des Gedichts dem Leser keinen besonderen Kunstgenuss bereiten, so können sie ihn wenigstens, besser als es jegliche Schilderung vermag, mit dem zügellos schwärmenden Geist unseres Helden vertraut machen.

Der Herbsttag neigte sich zu Ende,Dunkel umhüllte des Tales Wände,Der Abendwolke PurpurscheinLeuchtete auf im See so rein,Und auf seinem kristallnen SpiegelRuhten friedlich Gestade und Hügel.Den grauen Fels mit seiner Feste,Die zarten Blumen, die hangenden ÄsteWarf der See so klar zurück,Als lenke er in ein Land den Blick,Das frei von der Erde Leid und SorgenUnter den Wassern liegt verborgen.

Doch Winde wehten heran von fernUnd weckten auf des Sees Herrn.Im Sturme ächzt der Eichenwald,Der Nöck hüllt sich in Grau alsbald,Wie ein Soldat beim Feldgeschrei,Gerüstet, eilt er schnell herbei.Und als das Wetter nahe war,Schüttelt’ der Nöck sein wogendes Haar,Finsteren Blickes, voll Zornes MutLieß er erdröhnen der Wogen Wut.In der Wellen spritzendem Schaum