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Wegzehrung, das ist nicht nur das Pausenbrot auf den Wanderungen, sondern es sind insbesondere die Erlebnisse auf den Wegen des Lebens. Haibun (japanisch für possenhafte Schilderung) ist eine Mischform der japanischen Literatur. Die Überschrift kann Anspielungen enthalten. Die Skizzierung eines Erlebnisses wird erweitert durch Anklänge an Dichter oder philosophische Gedanken. Das Haiku, das Kürzestgedicht mit zwei offenen Bildern, soll nicht erklären, sondern weitere Aspekte aufwerfen.
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Seitenzahl: 66
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Am Ersten des IV. Monats gingen wir, um dem ehrwürdigen Tempel-Berg von Nikkô unsere Verehrung zu erweisen. In alten Zeiten bedachte man ihn mit den Schriftzeichen FUTA-RA („Doppel-wild“, auch Nikô gelesen). Aber Großmeister Kûkai hat anlässlich der Gründung des Tempels die Schreibung in Nikkô („Der-Sonne-gleich-strahlend“) geändert. Ob er dessen tausendjährige Zukunft schon vorausgeahnt hatte? Jedenfalls strahlt sein erhabenes Licht über den „ganzen Himmel“ und seine Gnade ergießt sich in alle Acht Himmelsrichtungen, so dass alle vier Stände in ihren Wohnstätten in Frieden leben können.
Da kann ich vor tiefer Ehrfurcht nur den Pinsel niederlegen.
Wie verehrungswürdig!
Zarte Blätter – grüne Blätter
von Sonnenstrahlen durchglänzt …
Matsuo Bashô (1644-1694) aus „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland" (1702), 5. deutsche Auflage 1985
Anreise
Im Dorf I
Richtung Chiemsee
Chiemgauer Berge
Im Dorf II
Salzburg
Zu den Berchtesgadener Alpen
Im Dorf III
Heimreise
Wir packen unsere Koffer und Rucksäcke. Kleidung für jedes Wetter, Wanderschuhe, Schreibblock und Fotoapparat sowie Bücher und Kopien von Dichtern aus der Region. Unser kleiner Garten wird von den Nachbarn versorgt werden. Morgen fahren wir mit dem Zug über Ebersberg und Wasserburg in den Rupertiwinkel.
Bist du bereit?, fragst du mich.
Ja. Doch sag mir, ist die Vorfreude eine Tochter der Hoffnung?
Maiglöckcheninsel
ein Wiedersehensfest
hinter den Bergen
Ebersberg. Hier stand einst ein Benediktinerkloster. Im Zentrum die Sebastianskirche mit lichtem, barockem Innenraum.
Beeindruckend das hölzerne Stiftergrabmal und das riesige Christopherusfresco. Der heilige Sebastian war römischer Soldat und Märtyrer. Er galt als Pestheiliger und Schutzpatron für viele Leiden und Berufe. Bis heute finden Wallfahrten statt. In der Kapelle steht das Heiligtum! Die silberne Büstenreliquie mit Sebastians Hirnschale, die sich seit 931 hier befindet. Wenn man den Silberhut abnimmt, erscheint die in Silber gefasste Hirnschale. Auch sie kann man mit einem flachen Knopf vom Schädel abheben. Früher tranken Pilger mit Silberröhrchen in Form von Sebastianspfeilen aus der Schädelkalotte Wein, der alle Krankheiten heilen sollte.
Aus Ebersberg stammt der Dichter Friedrich Beck. Auf einer Bank lese ich einige Gedichte von ihm. So galant und voller Gefühl!
Ruhe still das nächtliche Schweben der Uferelfen
Abends in Wasserburg. Wir jubeln beim Anblick der Altstadt im Inn-Salzachstil auf der Halbinsel einer Innschleife. Ringsherum Kirchen, alte Türme und historische Gebäude. Die Marktkirche und das Rathaus mit Stufengiebeln. Hier wohnte eine Zeitlang die Pfälzer Dichterin Martha Saalfeld. Und der Schriftsteller Rudolf Herfurtner wuchs hier auf. Das warme Licht der Dämmerung durchströmt Altstadt und Inn.
Am nächsten Morgen der Skulpturenweg. Kunst und Ruhe im Gegenlicht des Flussufers. Vornehmes Plätschern im Gleichklang meiner Atemzüge.
Im Stadtmuseum. Das bronzezeitliche Fischerdorf, die romanische Rundsiedlung, Salzhandel seit dem Mittelalter. Die Burg und Burgkapelle auf einer Anhöhe am Beginn der Innschleife. Wir besteigen den Aussichtsturm. Rundum die grünen Baumreliefs der Hügel.
Schlüsselloch der Fluss rauscht durch die Sonne
Über Mühldorf im schwülen Zug nach Kirchanschöring. Allmählich nähern wir uns den Alpenblicken. Vom Bahnhof über ein Waldsträßchen und an Maisfeldern entlang. Da, die Häuser! Der Dorfrand. Die Unterkunft. Die Hausleute sind auf dem Hof beschäftigt. Das Gästehaus steht offen, auch unsere Wohnungstüre ist nicht verschlossen. Im Zentrum des kleinen Schlafzimmers ein mit Eisenranken verziertes Doppelbett. Nach der herzlichen Begrüßung der Rundgang durch den Bauernhof.
Spinnenecke wir zählen die Kälber
Die Bäuerin erklärt uns den Fußweg zum See. Der große Geräteschuppen an der Wegkreuzung. An der Wiese entlang. Auf dem Trampelpfad zur schmalen Einstiegsstelle mit Bank, einer jungen Esche und zwei Booten. Der breite, im Wind rauschende Schilfgürtel. Bleßhühner und Haubentaucher, Graugänse, ein paar Ruderboote auf dem Waginger See. Am gegenüberliegenden Ufer steigt ein Kiefernwäldchen an, drüben die Kirche Maria Mühlberg. Die erste weitere Erhebung ist der Teisenberg. Im Hintergrund der Untersberg, ein kleines Stück des Lattengebirges, Hochstaufen und Zwiesel. Stille vor dem erhebenden Anblick. Wir steigen in den frischen See.
Was ich nicht suchte
nach dem Ablegen
werde ich zur Welle
Dorfspaziergang durch Wolkersdorf. Ich zähle fünfundzwanzig Häuser und Höfe und schätze insgesamt fünfhundert Kühe und Kälber. Ein winziger Laden mit einer freundlichen Inhaberin. An Kreuzungspunkten befinden sich kleine Plätze: an der Stelle einer früheren Gaststätte eine Bushaltestelle und ein dreißig Meter hoher Maibaum, an dem Platzkonzerte stattfinden. Weiter unten bei dem Schafshof ein gemauertes und geschmücktes Marterl. Der dritte Platz ist unterhalb des kleinen Geschäftes. Hier steht eine Kapelle. Am Dorfende wohnt die Honigfrau, mit der ich mich gut unterhalte. Dahinter die Feierhütte, der Treffpunkt für Jung und Alt. Ausgedehnte Wiesen, Fichten, Ahorn, der Schilfgürtel, der Waginger See.
Familiengeschichte in der Schubkarre das tote Kalb
Mittags alleine im kühlen See. Die dahinziehenden Wolken und der Bergwald spiegeln sich. Ich schwimme linker Hand in die nächste Bucht zu einer ausladenden alten Trauerweide. Doch eine Gänseschar ist vor mir an der Reihe. Das Sonnenlicht trifft den breiten, knorrigen Stamm des Baumes und lässt die ins Wasser ragende Uferwurzel leuchten. Ich denke an die Erd- und Muttergöttin Demeter, deren Tochter Persephone dem Mythos nach in den Wintermonaten zu Hades in die Unterwelt ging. Die Trauerweide nahm Demeters Kummer auf. Im Mittelalter galt der Baum als Hexenbaum.
Zwei große Fische eintauchen in das Buch des Meisters
Der Heuboden über den Kuhställen ist dunkel. Die Treppe schmal und steil. In Nischen und Ecken die Lagerplätze von Ziegeln, Streusäcken und Geräten. Rechts hinter einer Türe lagert die Gerste. Linkerhand ein unebener, dunkler Gang zum großen Strohlager. Deckenhohe Stützgerüste. Durch eine Dachluke dringt fahles Licht. Ein Bodenloch dient zum Abwurf des Strohs in den Stall. Mein geblitztes Foto zeigt das Staubgeflimmer in der Luft. Eine Katze rennt erschrocken davon.
Zigarrenqualm
hab Acht vor dem
Nachbarn!
Einkaufen im Krämerladen. Man erzählt sich Wichtiges aus dem Dorf und der Umgebung. Eine Bäuerin kam ins Krankenhaus, weil sie sich bei der schweren Pflege ihrer Mutter eine Wirbelverschiebung zugezogen hat. Eine Operation wird unumgänglich sein. Auf die Mithilfe eines Familienmitglieds verzichten zu müssen bedeutet für die übrige Familie eine große Umstellung. Eine Helferin wird erforderlich sein.
Eulennest im Herbststurm fiel die Thuja
Zwei Spatzen fliegen knapp an meinem Kopf vorbei, ich spüre deutlich ihren Luftzug. Abends tost der Wind über die Hügel. Die Haustüre klappert. Der Aschenbecher rutscht vom Fenstersims, spuckt seinen Inhalt aus und rollt davon. Die Spatzen haben sich in Büsche und Bäume verzogen. Eine Katze rennt in den Kuhstall.
Nachtlichter ich falle über die Kante
Die Frage meines Freundes an die Bäuerin nach ihrem größten Wunsch, wenn sie zwei Stunden Zeit hätte. Sie überlegt eine Weile. Ihre frühere Vorgesetzte im Blumengeschäft würde sie gerne besuchen. Deren Ehemann verstarb vor ein paar Wochen. Die Hofarbeit können wir ihr leider nicht abnehmen. Was uns eint und was uns trennt, hier fällt mir der Gedanke vor die Füße. Mir kommt der Traunsteiner Dichter Georg Unterbuchner in den Sinn, der lyrische Mystiker.
Neu beginnen wir flechten Körbe groß und klein
Vollmondnacht.
Weil die Temperaturen auch
am späten Abend angenehm sind,
beschließen wir, nachts ein Bad im
See zu nehmen. Mit einer Taschenlampe
ausgestattet am feuchten Wiesenweg entlang
bis zur Einstiegsstelle. Drüben die Lichter des
Campingplatzes Schwanenplatz. Auf der Bank
landen unsere Kleider und rasch geht es in den
pechschwarzen See. Der Mond steht noch tief
über dem Schilf. Unsere ruhigen Schwimmzüge
verleihen dem Mondlicht luftige
Fahnen auf dem Wasser. Ab und zu
ein Vogelplatschen. Die Stille.
Auf der Bank einen
Liebestrunk.
Frühstück bei Tiffany unsere exzessiven Nächte
Wanderung über Hausen mit seiner Nagelfluh-Kapelle, Dürnberg mit schönen alten Bauernhäusern, und Herrnöd, hier stehen Totenbretter. Weiter nach Kirchanschöring-Hof zum Bauernhofmuseum. Franz Huber ist der liebenswürdige und geschichtskundige Hausherr. Neben den vielen landwirtschaftlichen Arbeitsgeräten und Traktoren im großen Stall beeindruckt die Dampfdreschmaschine. Und die schönen alten Häuser! Ein Einfirsthof mit Mittertenne und Hakenschopf. Ein zweigeschossiger Getreidekasten aus dem 16. Jahrhundert. Ein kleines Waschhaus samt Backofen und Brechelbad, früher zur Trocknung von Flachs genutzt. Nach dem Trocknen wurden die Pflanzen aufgebrochen, um die Fasern zu gewinnen. Das Haus wird bis heute als Backofen verwendet.
Spinnrad vereinzelt blühen noch Apfelbäume