Weisheit - Luca Mazzinghi - E-Book

Weisheit E-Book

Luca Mazzinghi

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Beschreibung

This commentary for the first time combines all relevant aspects for the interpretation of this late text in the Old Testament/Apocrypha: textual criticism, philological and literary analysis; the dual historical context with the link to Hellenistic environment, on the one hand, and to the biblical tradition on the other; and finally, the - highly innovative - theology of the Book of Wisdom. Aspects of reception history and hermeneutic issues complete the commentary.

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Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament (IEKAT)

Herausgegeben von

Walter Dietrich, David M. Carr, Adele Berlin, Erhard Blum, Irmtraud Fischer, Shimon Gesundheit, Walter Groß, Gary Knoppers, Bernard M. Levinson, Ed Noort, Helmut Utzschneider und Beate Ego (apokryphe/deuterokanonische Schriften)

Umschlagabbildungen:Oben: Teil einer viergliedrigen Bildleiste auf dem Schwarzen Obelisken Salmanassars III. (859–824 v. u. Z.), welche die Huldigung des israelitischen Königs Jehu (845–817 v. u. Z.; 2Kön 9f.) vor dem assyrischen Großkönig darstellt. Der Vasall hat sich vor dem Oberherrn zu Boden geworfen. Hinter diesem stehen königliche Bedienstete, hinter Jehu assyrische Offiziere sowie, auf den weiteren Teilbildern, dreizehn israelitische Lastträger, die schweren und kostbaren Tribut darbringen.© Z. Radovan/BibleLandPictures.comUnten links: Eines von zehn Reliefbildern an den Bronzetüren, die das Ostportal (die sog. Paradiespforte) des Baptisteriums San Giovanni in Florenz bilden, geschaffen 1424–1452 von Lorenzo Ghiberti (um 1378–1455): Ausschnitt aus der Darstellung ‚Adam und Eva‘; im Mittelpunkt steht die Erschaffung Evas: „Und Gott der HERR baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und brachte sie zu ihm.“ (Gen 2,22) Fotografiert von George Reader.Unten rechts: Detail der von Benno Elkan (1877–1960) geschaffenen Menora vor der Knesset in Jerusalem: Esra liest dem versammelten Volk das Gesetz Moses vor (Neh 8). Die Menora aus Bronze entstand 1956 in London und wurde im selben Jahr von den Briten als Geschenk an den Staat Israel übergeben. Dargestellt sind in insgesamt 29 Reliefs Themen aus der Hebräischen Bibel und aus der Geschichte des jüdischen Volkes.

Luca Mazzinghi

Weisheit

Verlag W. Kohlhammer

Aus dem Italienischen übersetzt von Helmut Engel.

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-022424-7

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-029020-4

epub: ISBN 978-3-17-029021-1

mobi: ISBN 978-3-17-029022-8

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Erstmals führt der vorliegende Kommentar alle Aspekte zusammen, die für die Interpretation dieser Spätschrift des Alten Testaments relevant sind: Textkritik, philologische und literarische Analyse; der zweifache historische Kontext mit der Verbindung zur griechisch-hellenistischen Umwelt einerseits und zur biblischen Tradition andererseits; schließlich die - sehr innovative - Theologie des Buchs der Weisheit. Aspekte der Rezeptionsgeschichte und hermeneutische Fragen runden die Kommentierung ab.

Prof. Dr. Luca Mazzinghi lehrt Exegese des Alten Testaments an der Pontificia Università Gregoriana, Rom.

Inhaltsverzeichnis

CoverInhaltVorwort der Herausgeberinnen und HerausgeberVorwort des AutorsEinleitungEin einzigartiges BuchText und ÜbersetzungenDie Einheit des BuchesDie literarische StrukturSprache und StilSpracheStilDie literarische Gattung: zwischen genus epideiktikon und MidraschDas Buch der Weisheit: ein ProtrepticusDas Buch der Weisheit: ein EnkomionDer midraschartige StilVerfasser, Zeit und Ort der AbfassungVerfasserDatierungOrt der AbfassungDas Buch der Weisheit und die SchriftDas Buch der Weisheit und die frühjüdische TraditionDas Buch der Weisheit und der HellenismusDas Buch der Weisheit und die christliche ÜberlieferungDie Beziehungen zum Neuen TestamentDas Problem der Kanonizität und die Verwendung des Buches im christlichen AltertumEinleitung zum ersten Buchteil (Weish 1,1 – 6,25)Literarische StrukturDie literarische Gattung: Weish 1–6 und das EnkomionWeish 1,1–15: Liebt die Gerechigkeit!Zur literarischen Struktur von Weish 1,1–15Weish 1,1–5: Gerechtigkeit, Weisheit und GeistAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 1,6–10: Die Weisheit ist ein menschenfreundlicher GeistAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 1,11–12: Sucht nicht den Tod!Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 1,13–15: Gott hat den Tod nicht erschaffen!Synchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 1,1–15Weish 1,16 – 2,24: Die Gottlosen rufen den Tod mit Händen und Worten herbeiZur literarischen Struktur von Weish 1,16 – 2,24Weish 1,16 – 2,5: Der Tod als Verbündeter und als Schicksal – Das Leben ist sinnlosAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 2,6–9: Lasst uns das Leben genießen!Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 2,10–16: Lasst uns den Gerechten unterdrücken!Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 2,17–20: Wir wollen sehen, ob der Gerechte Sohn Gottes ist!Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 2,21–24: Die Geheimnisse GottesAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 1,16 – 2,24: Die Identität der Gottlosen und die der GerechtenWeish 3–4: Gerechte und Gottlose zwischen Leben und Tod: Vier GegenüberstellungenZur literarischen Struktur von Weish 3–4Erstes Diptychon: Das Schicksal der Gerechten gegenüber dem der Gottlosen (Weish 3,1–12)Weish 3,1–9: Die Gerechten sind in der Hand Gottes und werden Völker richtenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 3,10–12. Die Gottlosen und ihre NachkommenschaftAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseZweites Diptychon: die Kinderlose, der Eunuch und die Unfruchtbarkeit der Gottlosen (Weish 3,13–19)Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone Analyse3,13–15: Seligpreisung der Kinderlosen und des Eunuchen3,16–19: Die Kinder der GottlosenDiachrone AnalyseDrittes Diptychon: Tugend und Kinder (Weish 4,1–6)Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseViertes Diptychon: Der vorzeitige Tod des Gerechten und der traurige Tod der Gottlosen (Weish 4,7–20)Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone Analyse4,7–16: Der zu frühe Tod des Gerechten4,17–20: Der traurige Tod des GottlosenDiachrone AnalyseSynthese von Weish 3–4Weish 5: Abschließende Gegenüberstellung von Gerechten und Gottlosen vor dem Hintergrund des KosmosZur literarischen Struktur von Weish 5Weish 5,1–3: Einleitung in die zweite Rede der GottlosenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 5,4–13: Die Rede der GottlosenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 5,14–23: Die vergebliche Hoffnung der Gottlosen und das selige Geschick der Gerechten; der Kosmos als Verbündeter GottesAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 5Weish 6,1–21: Neue Mahnung an die Adressaten des BuchesZur literarischen Struktur von Weish 6Weish 6,1–11: Hört, ihr Könige!Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 6,12–21: Die Weisheit geht auf die Suche nach denen, die sie suchenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 6,22–25: Ich werde euch darlegen, was die Weisheit istAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 6Einleitung zum zweiten Buchteil (Weish 7–9)Weish 7–8: Das Lob der WeisheitZur literarischen Struktur von Weish 7–8Weish 7,1–6: Die Schwachheit „Salomos“Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 7,7–12: Die Weisheit liebenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 7,13–22a: Die Gaben der WeisheitAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 7,22b-8,1: Das Wesen der WeisheitAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseDie theologische Bedeutung von Weish 7,22b-23 im Blick auf seine QuellenWeish 8,2–9: Die Weisheit als Braut, Freundin und RatgeberinAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone Analyse8,2–4: Die Weisheit, Freundin und Ratgeberin8,5–8: Die Weisheit übertrifft jedes GutDiachrone AnalyseWeish 8,10–16: Erwartungen und Hoffnungen SalomosSynchrone Analyse8,10–12: Die von der Weisheit angebotenen Gaben8,13: Die Gabe der Unsterblichkeit8,14–16: Die Weisheit und die Kunst der guten RegierungDiachrone AnalyseWeish 8,17–21: Beten, um die Weisheit zu erlangenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 7–8Weish 9: Das Gebet zur Erlangung der WeisheitZur literarischen Struktur von Weish 9Erste Strophe: Die Weisheit, die Schöpfung und die menschliche Schwachheit (Weish 9,1–6)Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseZweite Strophe: Die Weisheit und Gott (Weish 9,7–12)Synchrone AnalyseDiachrone AnalyseIsis und die WeisheitDritte Strophe: Die Weisheit, der Wille Gottes und das Heil (Weish 9,13–18)Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 9Einleitung zum dritten Buchteil (Weish 10–19)Weish 10: Das Wirken der Weisheit in der Geschichte von Adam bis MoseZur literarischen Struktur und zur Gattung von Weish 10Weish 10,1–4: Adam, Kain und Abel, NoahSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 10,5–9: Abram; Lot und seine FrauAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 10,10–12: JakobAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 10,13–14: JosefAnmerkung zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 10,15–21: MoseAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 10Weish 11,1–14: Die erste GegenüberstellungZur literarischen Struktur von Weish 11,1–14 Weish 11,1–5: Einleitung zu den sieben GegenüberstellungenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 11,6–14: Erste Gegenüberstellung: Das in Blut verwandelte Wasser; das Wasser aus dem FelsenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 11,15 – 12,27: Die Menschenliebe GottesZur literarischen Struktur von Weish 11,15 – 12,27Weish 11,15 – 12,2: Die Milde Gottes gegenüber ÄgyptenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 12,3–21: Die Milde Gottes gegenüber den Kanaanäern und die Lehren darausAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 12,22–27: Barmherzigkeit Gottes und TierverehrungAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 11,15 – 12,27Weish 13–15: Die Kritik am GötzendienstZur literarischen Struktur von Weish 13–15 Weish 13,1–9: Die Religion der PhilosophenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 13,10 – 15,13: Die Kritik an der GötzenverehrungWeish 13,10–19: Die Entstehung eines Götzenbildes Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 14,1–10: Das Floß der VorsehungAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 14,11–31: Ursprung und Folgen der GötzenverehrungAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone Analyse14,11–14: Die Unhaltbarkeit der Götzenbilder14,15–21: Die Entstehung von Götzenbildern aus plötzlicher Trauer und aus dem Herrscherkult14,22–31: Die Entstehung der SittenlosigkeitDiachrone AnalyseWeish 15,1–6: Die Treue Gottes, die Treue des VolkesAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 15,7–13: Die Torheit des GötzendienstesAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 15,14–19: Die Kritik der ägyptischen TierverehrungAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 13–15Weish 16: Drei Gegenüberstellungen: Gott bestraft und erweist Wohltaten; sein Wort ist NahrungZur literarischen Struktur von Weish 16Die zweite Gegenüberstellung: Die Tierplage und die Wachteln (Weish 16,1–4)Zur literarischen Struktur von Weish 16,1–4TextAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseDie dritte Gegenüberstellung: Die eherne Schlange (Weish 16,5–14)Zur literarischen Struktur von Weish 16,5–14TextAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 16,5–14Die vierte Gegenüberstellung: Hagel und Manna (Weish 16,15–29)Zur literarischen Struktur von Weish 16,15–29Der erste Teil des Diptychons: Weish 16,15.16–19.20–23Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseDer zweite Teil des Diptychons: Weish 16,24–29Anmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 16,15–29Weish 17,1 – 18,4: Die fünfte Gegenüberstellung: Finsternis und LichtZur literarischen Struktur von Weish 17,1 – 18,4Weish 17,1–6: Eine Nacht der AngstAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 17,7–11: Die Zauberer und das GewissenAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 17,12–15: Eine höllische AngstAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 17,16–21: Gefangene der AngstAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 18,1–4: Weisheit und Gesetz, Licht für die WeltAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von 17,1–18,4Weish 18,5–25: Die sechste Gegenüberstellung: die PaschanachtZur literarischen Struktur von Weish 18,5–25Weish 18,5–9: Die PaschanachtAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 18,10–13: Die Totenklage der ÄgypterAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 18,14–19: Der strafende LogosSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 18,20–25: Die Prüfung der Israeliten und die Fürbitte AaronsAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 18,5–25Weish 19,1–22: Die siebte Gegenüberstellung und die erneuerte SchöpfungZur literarischen Struktur von Weish 19Weish 19,1–5: Die siebte Gegenüberstellung: Der Durchzug durch das MeerAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 19,6–12: Der Durchzug durch das Meer und die Schöpfung im Dienst der Kinder GottesAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 19,13–17: Ägypter und Sodomiter: die Bürgerrechte der Juden in AlexandriaAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseWeish 19,18–21.22: Die erneuerte Schöpfung. Abschluss des BuchesAnmerkungen zu Text und ÜbersetzungSynchrone AnalyseDiachrone AnalyseSynthese von Weish 19: Die Theologie von Kap. 19 und der Schluss des Buches der WeisheitVerzeichnisseLiteratur1. Kommentare2. Sekundärliteratur zum Buch der Weisheit3. Weitere LiteraturRegisterSchlagwortverzeichnisVerzeichnis griechischer WörterBibelstellenverzeichnis (in Auswahl)Außerbiblische Quellen (in Auswahl)Editionsplan

Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber

Der Internationale Exegetische Kommentar zum Alten Testament (IEKAT) möchte einem breiten internationalen Publikum – Fachleuten, Theologen und interessierten Laien – eine multiperspektivische Interpretation der Bücher des Alten Testaments bieten. Damit will IEKAT einer Tendenz in der gegenwärtigen exegetischen Forschung entgegenwirken: dass verschiedene Diskursgemeinschaften ihre je eigenen Zugänge zur Bibel pflegen, sich aber gegenseitig nur noch partiell wahrnehmen.

IEKAT möchte eine Kommentarreihe von internationalem Rang, in ökumenischer Weite und auf der Höhe der Zeit sein.

Der internationale Charakter kommt schon darin zum Ausdruck, dass alle Kommentarbände kurz nacheinander in englischer und deutscher Sprache erscheinen. Zudem wirken im Kreis der Herausgeber und Autorinnen Fachleute unterschiedlicher exegetischer Prägung aus Nordamerika, Europa und Israel zusammen. (Manche Bände werden übrigens nicht von einzelnen Autoren, sondern von Teams erarbeitet, die in sich bereits multiple methodische Zugänge zu dem betreffenden biblischen Buch verkörpern.)

Die ökumenische Dimension zeigt sich erstens darin, dass unter den Herausgeberinnen und Autoren Personen christlicher wie jüdischer Herkunft sind, und dies wiederum in vielfältiger religiöser und konfessioneller Ausrichtung. Zweitens werden bewusst nicht nur die Bücher der Hebräischen Bibel, sondern die des griechischen Kanons (also unter Einschluss der sog. „deuterokanonischen“ oder „apokryphen“ Schriften) ausgelegt.

Auf der Höhe der Zeit will die Reihe insbesondere darin sein, dass sie zwei große exegetische Strömungen zusammenführt, die oft als schwer oder gar nicht vereinbar gelten. Sie werden gern als „synchron“ und „diachron“ bezeichnet. Forschungsgeschichtlich waren diachrone Arbeitsweisen eher in Europa, synchrone eher in Nordamerika und Israel beheimatet. In neuerer Zeit trifft diese Einteilung immer weniger zu, weil intensive synchrone wie diachrone Forschungen hier wie dort und in verschiedensten Zusammenhängen und Kombinationen betrieben werden. Diese Entwicklung weiterführend werden in IEKAT beide Ansätze engstens miteinander verbunden und aufeinander bezogen.

Da die genannte Begrifflichkeit nicht überall gleich verwendet wird, scheint es angebracht, ihren Gebrauch in IEKAT zu klären. Wir verstehen als „synchron“ solche exegetischen Schritte, die sich mit dem Text auf einer bestimmten Stufe seiner Entstehung befassen, insbesondere auf seiner Endstufe. Dazu gehören nicht-historische, narratologische, leserorientierte oder andere literarische Zugänge ebenso wie die durchaus historisch interessierte Untersuchung bestimmter Textstufen. Im Unterschied dazu wird als „diachron“ die Bemühung um Einsicht in das Werden eines Textes über die Zeiten bezeichnet. Dazu gehört das Studium unterschiedlicher Textzeugen, sofern sie über Vorstufen des Textes Auskunft geben, vor allem aber das Achten auf Hinweise im Text auf seine schrittweise Ausformung wie auch die Frage, ob und wie er im Gespräch steht mit älteren biblischen wie außerbiblischen Texten, Motiven, Traditionen, Themen usw. Die diachrone Fragestellung gilt somit dem, was man die geschichtliche „Tiefendimension“ eines Textes nennen könnte: Wie war sein Weg durch die Zeiten bis hin zu seiner jetzigen Form, inwiefern ist er Teil einer breiteren Traditions-, Motiv- oder Kompositionsgeschichte? Synchrone Analyse konzentriert sich auf eine bestimmte Station (oder Stationen) dieses Weges, besonders auf die letzte(n), kanonisch gewordene(n) Textgestalt(en). Nach unserer Überzeugung sind beide Fragehinsichten unentbehrlich für eine Textinterpretation „auf der Höhe der Zeit“.

Natürlich verlangt jedes biblische Buch nach gesonderter Betrachtung und hat jede Autorin, jeder Autor und jedes Autorenteam eigene Vorstellungen davon, wie die beiden Herangehensweisen im konkreten Fall zu verbinden sind. Darüber wird in den Einführungen zu den einzelnen Bänden Auskunft gegeben. Überdies wird von Buch zu Buch, von Text zu Text zu entscheiden sein, wie weitere, im Konzept von IEKAT vorgesehene hermeneutische Perspektiven zur Anwendung kommen: namentlich die genderkritische, die sozialgeschichtliche, die befreiungstheologische und die wirkungsgeschichtliche.

Das Ergebnis, so hoffen und erwarten wir, wird eine Kommentarreihe sein, in der sich verschiedene exegetische Diskurse und Methoden zu einer innovativen und intensiven Interpretation der Schriften des Alten Testaments verbinden.

Die Herausgeberinnen und Herausgeber

Im Herbst 2012

Vorwort des Autors

Das Buch der Weisheit findet neuerdings ein erhöhtes Interesse, da es einerseits tief verwurzelt ist in den Schriften Israels, andererseits eine bemerkenswerte Brücke zwischen der jüdischen und der hellenistischen Welt bildet.

Der vorliegende Kommentar stützt sich auf zwei Werke, die grundlegende Bedeutung für die Auslegung des Buches der Weisheit haben: die jeweils drei Bände von Chrysostome Larcher (La sagesse de Salomon ou le livre de la Sagesse, 1983‒1985) und von Giuseppe Scarpat (Libro della Sapienza, 1989‒1999). Das Werk von Larcher, das er 1969 mit seiner Pionierarbeit Etudes sur le livre de la Sagesse begonnen hatte, bildet die beste vorhandene Veröffentlichung zum Buch der Weisheit im Sinne der herkömmlichen historisch-kritischen Exegese. Die Arbeit von Scarpat ihrerseits bietet eine umfassende philologische Analyse des Buches der Weisheit, die kaum zu übertreffen ist. Dennoch haben die Forschungen der letzten zwanzig Jahre dazu beigetragen, einige grundlegende Aspekte herauszustellen, die die Arbeiten von Larcher und Scarpat ergänzen und weiterführen: vor allem die Aufdeckung der durchdachten literarischen Struktur, mittels derer der Verfasser des Buches eine präzise theologische Botschaft zu vermitteln beabsichtigt (Maurice Gilbert, Paolo Bizzeti); sodann eine weitergreifende, gründliche Erfassung des Stils und der literarischen Eigenart des Buches, die ebenfalls im Dienst der Botschaft stehen, die der Verfasser seiner Leserschaft vorlegen will; außerdem eine eingehendere Würdigung der Beziehung, die das Buch einerseits zur biblischen und jüdischen, andererseits zur hellenistischen Welt zeigt, sowie eine genauere Betrachtung der alexandrinischen Umwelt gegen Ende des 1. Jh. v. Chr.; schließlich eine größere Aufmerksamkeit auf die dem Verfasser eigene theologische Perspektive, die zwar in den Studien von Larcher auch betrachtet wird, aber von anderen hervorragenden Kommentatoren (Giuseppe Scarpat, aber auch David Winston) nicht ausreichend erhellt wird; dies gilt besonders für den dritten Teil des Buches (Weish 10‒19), der erst seit den neunziger Jahren wiederentdeckt wurde. Dies alles eröffnet den Raum für einen neuen Kommentar zum Buch der Weisheit, der gewiss knapper ist als ein großer Teil seiner Vorgänger und der mit der eigentlich exegetischen Analyse eine größere Aufmerksamkeit auf die oben genannten drei Fragestellungen richtet: die Struktur und literarische Eigenart, die Beziehung zur biblischen (und jüdischen) Welt und zum Hellenismus, die theologische Perspektive des Verfassers.

Einleitung1

Ein einzigartiges Buch

Das Buch der Weisheit wurde auf Griechisch verfasst und bietet neuartige Züge, die es im Vergleich zu anderen Texten seiner Zeit zu einem einzigartigen Werk machen. Es wurde gegen Ende des 1. Jh.s v. Chr. von einem Juden in Alexandria erstellt, der mit seiner tiefen Kenntnis der Bibel Treue zu den Überlieferungen Israels verband. Das Buch bildet von seiner Entstehungssituation her eine wichtige Berührungsstelle der biblischen Welt mit der weitverzweigten Welt des Hellenismus.

Das Buch erweist sich auch als inhaltlich neuartig: Die starke eschatologische Perspektive, die mit der Ankündigung des künftigen Schicksals der Gerechten und der Gottlosen beginnt (Weish 1‒6), ist mit einer Betrachtung der Vergangenheit Israels verbunden, der sich der Schlussteil zuwendet (Weish 10‒19), wo die Eschatologie mit der Geschichte mittels der Rolle des Kosmos verknüpft ist. In der Mitte des Buches steht der Lobpreis der Weisheit, der Vermittlerin zwischen Gott und Mensch (Weish 7‒9).

Titel des ­Buches

Das Buch wird in den griechischen Handschriften als ΣΟΦΙΑ ΣΑΛΟΜΩΝΟΣ(S*), oder als ΣΟΦΙΑ ΣΑΛΟΜΩΝ (Bc) oder ΣΑΛΟΜΩΝΤΟΣ (A) bezeichnet;2 in den Kodizes der Vetus Latina lautet der Titel Liber Sapientiae Salomonis oder manchmal Sapientia Salomonis, oder einfach Liber Sapientiae. Das Buch ist in die lateinische Übersetzung der Vulgata und von ihr her in die modernen Übersetzungen als „Buch der Weisheit“ eingegangen. Da der Verfasser sich im Mittelteil des Buches (Weish 7‒9) mit dem König Salomo zu identifizieren scheint ‒ wenn auch diese Identifikation nie ausdrücklich geschieht ‒, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er selber seinen eigenen Text „Weisheit Salomos“ benannt hat. Dies entspricht einem in der Antike nicht seltenen und in der jüdischen Tradition häufigen Brauch, Salomo einen Großteil der Weisheitsschriften zuzuschreiben: Sprichwörter, Kohelet, das Hohelied. Schon seit der Zeit der Kirchenväter war jedoch klar, dass die Zuschreibung an Salomo pseudepigraphisch war: Diese Auffassung äußern bereits neben anderen Origenes, Augustinus und Hieronymus.3

Text und Übersetzungen4

Griechischer Text

Den griechischen Text des Buches der Weisheit überliefern die drei bedeutendsten Unzialkodizes, die nach Joseph Ziegler den bestmöglichen Text enthalten, in gutem Zustand: der Vaticanus (B), der Sinaiticus (S) und der Alexandrinus (A); die übrigen Unzialhandschriften (insbesondere die Kodizes V und C) und die verschiedenen Minuskeln haben geringere Bedeutung. Vom Buch der Weisheit sind auch einige Papyrusfragmente erhalten. Die patristischen Zitate und die Florilegien sind gelegentlich für die Textkritik interessant.5 Die von Ziegler erstellte Edition hat den größten Teil der Probleme des Textes geklärt, so dass er einer der am besten verständlichen Texte des Alten Testaments darstellt.6

Vetus Latina und Vulgata

Die bedeutendste der alten Übersetzungen ist die Vetus Latina. Sie entstand in Nordafrika wahrscheinlich gegen Ende des 2. Jh.s n. Chr. und ging etwa im 5. Jh. in die Vulgata ein.7 Hieronymus übersetzte nämlich das Buch der Weisheit nicht, da er es nicht für kanonisch hielt.8 Die lateinische Übersetzung ist wenigstens zwei Jahrhunderte älter als die älteste erhaltene Handschrift (B) und erweist sich für die Rekonstruktion besonders schwieriger Textstellen als sehr nützlich. Wahrscheinlich übersetzte die Vetus Latina einen griechischen Text, der von dem der großen Unzialen verschieden ist, ziemlich ähnlich dem Text von S* (vgl. z.B. die in 2,9a erhaltene Lesart nullum pratum, die wahrscheinlich die ursprüngliche ist).9 Die anderen alten Übersetzungen, die Peshitta, die verschiedenen koptischen Übersetzungen, die armenische, arabische und äthiopische Übersetzung sind sämtlich jünger als die großen Unzialen und haben für die Textkritik nur geringere Bedeutung.

Originalsprache

Die Vermutung, das Buch der Weisheit sei ursprünglich auf Hebräisch (oder Aramäisch) verfasst und dann ins Griechische übersetzt worden, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten.10 Zwar gibt es im Buch der Weisheit eine Reihe von Hebraismen wie die stete Verwendung des Parallelismus membrorum,11 aber der Hinweis darauf dürfte nicht als Argument ausreichen, dass man deshalb das Griechisch des Weisheitsbuches als Übersetzung eines semitischen Originals betrachten könnte. Diesbezüglich formuliert Joseph Reider „it [the book of Wisdom] is written in the purest form of Alexandrinian Greek, free from the Hebraisms and anomalies of the Septuagint and full of passages which combine the richest vocabulary with genuine rhetorical eloquence. Compared with the Septuaginta, Wisdom appears to be an original and independent work“.12

Die Einheit des Buches13

Schon um die Mitte des 19. Jh. hielt Carl L. W. Grimm die Frage der literarischen Einheit des Buches für endgültig geklärt: Das Buch der Weisheit war für den großen deutschen Kommentator zweifellos das Werk eines einzigen Verfassers. Dennoch ließen sich noch bis ins 20. Jh. einige Stimmen vernehmen, die dem widersprachen.14 Einige neuere Autoren nehmen zwar auch die Einheit des Verfassers an, vermuten aber eine Komposition zu verschiedenen Zeiten; insbesondere Weish 11‒19 sei erst später geschrieben worden, wenn auch vom selben Verfasser wie das übrige Buch.15 Die stilistische Einheit des Buches und damit verbunden die Verwendung der gleichen literarischen Gattung (s.u.) sind starke Argumente dafür, nicht nur einen einzigen Verfasser, sondern auch die Einheit der Komposition anzunehmen. Im Licht der Beiträge von Addison G. Wright, Paolo Bizzeti und Maurice Gilbert ist das Hauptargument für die Einheit des Buches der Weisheit jedoch die Beobachtung einer präzisen literarischen Struktur (s.u.), die es sehr schwierig macht, an eine nicht einheitliche Komposition zu denken. Einige Autoren wollten auch noch genaue zahlenmäßige Entsprechungen innerhalb des Buches finden; allerdings überzeugen die von Wright vorgelegten Zahlen nicht ganz.16

Flashbacks

Zwei weitere Gründe, die für einen einzigen Verfasser und für die Einheit der Komposition sprechen, sind die Beobachtung der sogenannten flashbacks sowie von Themen und Motiven, die sich durch das ganze Buch hindurchziehen. James M. Reese hebt innerhalb des dritten Buchteils (Weish 11‒19) wörtliche Bezugnahmen auf die beiden ersten Teile des Weisheitsbuches und spezifische mit ihnen gemeinsame Themen hervor. Reese bezeichnet als flashback „a short repetition of a significant word or groups of words or distinctive ideas in two different parts of Wis“.17 Reese stellt wenigstens 45 flashbacks fest, deren Anzahl jedoch noch erweitert werden könnte.18 Dabei handelt es sich nicht um einfache literarische Bezugnahmen; denn sehr oft nimmt der Verfasser im dritten Teil des Buches ein thematisches Element aus dem ersten oder zweiten Buchteil auf und erweitert dabei dessen Bedeutung (vgl. z.B. Weish 17,20–21 als flashback zu Weish 7,29–30; siehe den Kommentar zu 17,20–21).19 Dies alles bestätigt die tiefgehende kompositorische Einheit, die das ganze Buch der Weisheit kennzeichnet.

Das ganze Buch durchziehende Themen

Eine aufmerksame Analyse des Buches der Weisheit lässt schließlich eine Reihe von Themen erkennen, die im ganzen Buch, jeweils fest in den Kontext eingebunden, immer wiederkehren. Deren Beobachtung bekräftigt die Annahme einer festen inneren Einheit des Werkes.20 Ein wichtiges Thema, das sich durch das ganze Buch hindurch zieht, ist das der Gerechtigkeit, die für einige Autoren geradezu die tragende Achse des ganzen Werkes ist. Von daher betrachtet, könnte das Buch der Weisheit wie eine wirkliche Abhandlung politischer Theologie gelesen werden.21 Die Weisheit, die im Mittelteil des Buches gepriesen wird (Weish 7–9) ist das Mittel, das den Regierenden zur Verfügung gestellt wird, um zu lernen, was Gerechtigkeit ist (Weish 1 und 6). Das Gericht Gottes steht bereit, die Gesetzlosen zu treffen, insbesondere die Götzenverehrer (Weish 13-15), den Gerechten aber stellt es ewiges Heil in Aussicht. Die Tragweite des Themas der Gerechtigkeit im Innern des Buches der Weisheit soll nicht unterschätzt werden, aber im Zentrum des Buches ragt eher das Thema der Weisheit heraus.

Ein anderes Thema ist der Kosmos, der vom Anfang bis zum Ende des Buches eine wichtige Rolle spielt. Gott hat alles für das Leben erschaffen (1,13–14); die Weisheit, die Werkmeisterin der Welt, ist der Berührungspunkt zwischen Gott und Mensch, gerade wegen ihrer Gegenwart im Kosmos (vgl. 7,1.6.21.24.27); der Kosmos selbst dient als Instrument an der Seite Gottes, um die Gerechten zu belohnen und die Gottlosen zu bestrafen (5,17-20), wie es schon in der Vergangenheit geschah (16,17.24). Das Buch der Weisheit schließt dann mit der Perspektive einer erneuerten Schöpfung (19,18–21).

Die literarische Struktur22

Das Buch der Weisheit zeigt eine sorgfältige literarische Struktur. Durch die Verwendung von Stichwortverklammerungen und Inklusionen, von oft kunstvoll angelegten konzentrischen Konstruktionen und anderen Stilfiguren bietet der Verfasser seinen Adressaten einen ansprechenden Text, in dem die literarische Struktur im Dienst eines bestimmten theologischen Entwurfs steht. Wir folgen hier weithin den Vorschlägen von Paolo Bizzeti und Maurice Gilbert.23 Zunächst stellen wir eine Gesamtsicht des Buches vor; eine detaillierte literarische Struktur steht dann im Kommentar jeweils den einzelnen Textabschnitten voran.

Das Buch der Weisheit kann in drei große Teile gegliedert werden:24 Der erste Teil bis Kap. 6 (zum Problem von 6,22–25 siehe die Einleitung zu Weish 6) ließe sich als „Buch der Eschatologie“ bezeichnen. Den zweiten Teil des Buches, Weish 7–9, könnte man als das eigentliche „Buch der Weisheit“ betrachten. Auf den Lobpreis der Weisheit (Kap. 7-8) folgt das Herzstück des ganzen Buches, das Bittgebet Salomos um die Gabe der Weisheit (Kap. 9).25

Den dritten Buchteil, Weish 10–19, könnte man das „Buch der Geschichte“ nennen. Der Verfasser sinnt nach über die Gegenwart der Weisheit in der Geschichte seines Volkes (Weish 10) und insbesondere über die Ereignisse beim Auszug aus Ägypten, und zwar in sieben vergleichenden Gegenüberstellungen von Ägyptern und Israeliten. Dabei zeigt sich das Wirken Gottes, der sich seiner Schöpfung bedient, um die einen zu bestrafen und die anderen zu retten. In diesem dritten Buchteil zeichnen sich zwei ausführliche Exkurse ab: Weish 11,15 – 12,27 über die Menschenfreundlichkeit Gottes und Weish 13–15 über die Götzenverehrung.

Ein theologischer Entwurf

Die Teile des Buches folgen weder einer logischen noch einer chronologischen, sondern eher einer theologischen Ordnung. Denn das Buch wird eingeleitet durch eine großartige Ankündigung des Heils, das den Gerechten erwartet (Weish 3–4; aber auch 1,13–15; 2,21–24). Der Leser wird von Anfang an eingeladen, sich für eine Zukunft voller Hoffnung zu öffnen. Eine solche Zukunft ist an den Empfang der Gabe der Weisheit gebunden (Weish 7–9), aber ihrerseits gewährleistet durch die Verlässlichkeit des Wirkens Gottes in der Geschichte Israels (Weish 10–19). Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft berühren einander in einer geistreichen Verknüpfung: Die Hoffnung auf die Zukunft spornt das Leben des Gerechten an, und gleichzeitig ist es die vergangene Geschichte, die eine solche Hoffnung begründet. Das Verbindungsstück zwischen Vergangenheit und Zukunft ist demnach die Weisheit, die dem Menschen von Gott geschenkt wird und die im Kosmos gegenwärtig ist; denn aus der Schöpfung kommt das Heil.

Sprache und Stil

Sprache

Der Wortschatz des Buches der Weisheit zeigt, dass der Verfasser ein ganz eigengeprägtes Griechisch verwendet: Von den insgesamt 1734 verschiedenen Wörtern kommen 1303 nur ein einziges Mal vor, davon sind 335, also ca. 20%, hapax legomena in der LXX26 (nach Chrysostome Larcher 315), weitere 126 begegnen nur in späten Texten wie Sir und 3–4Makk. Im Buch der Weisheit gibt es ca. 20 hapax legomena totius graecitatis (Wörter, die in der gesamten erhaltenen griechischen Literatur nur hier vorkommen), die zeigen, dass der Verfasser wirklich sprachschöpferisch tätig war.27

Viele der im Buch der Weisheit verwendeten Ausdrücke entstammen einem gelehrten Vokabular aus Philosophie und dichterischer Literatur, manchmal auch aus der Medizin und der Naturwissenschaft. Der Verfasser liebt zusammengesetzte Wörter, die im Buch überaus zahlreich vorkommen,28 darunter 59 seltene Adjektive, zum Teil aus der Dichtkunst, und viele mit einem α-privativum gebildete Wörter.29

Wenn auch einige stilistische Aspekte an ein hebräisches Original denken lassen könnten (vgl. den Gebrauch von ὅτι causale besonders in Weish 1–2.530), sind andere, wie die Verwendung des Infinitivs31 oder der Personalpronomina,32 bemerkenswert vom Stil der LXX verschieden und erweisen sich als original griechisch.

Stil

Forschungsgeschichte

Seit dem Altertum haben die Kommentatoren die Besonderheit des im Buch der Weisheit verwendeten Stils bemerkt, der zutiefst griechisch ist und sich darin vom größten Teil der übrigen Bücher der LXX deutlich unterscheidet. Hieronymus schrieb: „Ipse stylus graecam eloquentiam redolet.“33 Das Urteil des Hieronymus wurde von den modernen Autoren aufgenommen: Broke Foss Westcott hielt das Buch der Weisheit für typisch „of the style of composition which would be produced by the sophistic schools of rhetoric“.34 Henry Barclay Swete meint: „No other book in the Greek Bible is so manifestly Alexandrian in tone and style“.35 Schon Carl L. W. Grimm hatte eine Liste typisch griechischer Stilelemente im Buch der Weisheit zusammengestellt.36

Insbesondere James M. Reese hat dem Stil des Buches seine Aufmerk­samkeit zugewandt.37 Seine Schlussfolgerung ist eindeutig: „This survey of the vocabulary and style of Wis shows that the sacred writer was trained in Greek rhetoric and was subject to a wide variety of hellenistic influences“.38 Die Kommentare von Larcher und Scarpat bestätigen die Schlussfolgerungen von Reese. Aber die Forschung zum Stil des Buches der Weisheit lässt noch Fragen offen. Erst vor kurzem (2011) erschien die erste Studie, die ausschließlich dem Stil des Buches gewidmet ist: Alexis Léonas beobachtet im Buch der Weisheit „a conscious attempt to imitate the Septuagint style and idiom, rejecting it when not conform to the Greek literary use“.39 Der Stil des Buches der Weisheit lässt unübersehbar die Verwendung der klassischen Rhetorik erkennen. Das zweifellos bezeichnendste Element in Bezug auf die Anordnung der Wörter sind sorgfältig formulierte Satzperioden, eine der Grundeigen­arten griechischen Stils, wie z.B. in 12,3–7.27; 13,11–15; 15,7; 17,16–19. Auf diesem Gebiet fällt auch der wiederholte Gebrauch des hyperbaton (gespreizte Wortstellung) auf, das sonst in der LXX eher selten ist, aber in Weish ca. 240 mal vorkommt, besonders in Weish 10–19, gelegentlich, wie in Weish 14,18, als doppeltes hyperbaton.40 Die Verwendung des hyperbaton hat nicht nur stilistische, sondern auch inhaltliche Gründe, z.B. wenn es darum geht, einen bestimmten Ausdruck besonders hervorzuheben, vgl. in 17,2a (νύκτα) oder 17,21b (σκότους).

Der Verfasser will sich an sein Publikum auch mittels der Schönheit der literarischen Gestaltung wenden. Der gepflegte Stil und die Nähe zur griechischen Rhetorik und Dichtung machen das Buch der Weisheit für diejenigen Juden von Alexandria ansprechend, die sich gerade von der hellenistischen Welt angezogen fühlten. Die Tradition Israels wird so derartigen Lesern in einer Sprache neu vorgetragen, die ihnen vertraut ist.

Rhetorische Wendungen

Der Verfasser des Buches zeigt eine gute Kenntnis der Formen der klassischen Rhetorik. Die Häufigkeit solcher Wendungen ist auffällig größer als bei den Büchern der LXX, die aus dem Hebräischen übersetzt sind.41

Die Metapher: Als einziges Beispiel sei auf die Metapher der Finsternis hingewiesen, die während des ganzen fünften Diptychons (17,1 – 18,4) zugleich in kosmologischem, psychologischem, moralischem und eschatologischem Sinne verwendet wird.

Die Litotes (Ersetzung eines Ausdrucks durch Verneinung des Gegenteils zur Bekräftigung des Gemeinten): Weish 1,2a (τοῖς μὴ πειράζουσιν); 1,11b; 3,11bc; 11,7b; 12,9a.10.13b; 17,4a; 18,2a; 19,22b (οὐχ ὑπερεῖδες).

Die Anapher (Wiederholung desselben Wortes oder derselben Wortgruppe am Anfang mehrerer aufeinanderfolgender Sätze oder Satzglieder): Weish 10 (mehrfach wiederholtes αὕτη); 11,18a-d; 17, 18c-19d.

Die Paronomasie (Wiederholung desselben Wortstamms in anderer syntaktischer Funktion): Weish 5,3b.10c; 6,10a; 12,25–26; 13,19b; 14,5a.

Häufig begegnen auch Wortspiele: 11,14–15; 17,12–13a.21; 18,4.

Die Isokolia (ἰσοκωλία: Gleichheit oder -klang von Satzgliedern): 18,1b.

Die Antithese (Gegenüberstellung von Konträrem): 3,5a; 4,16; 7,6; 9,16; 18,7b.

Die accumulatio (Worthäufung: mehrere Begriffe derselben Kategorie werden aneinandergereiht): Vgl. die 22 Attribute der Weisheit, die in Weish 7,22–23 aufgeführt werden.

Das Asyndeton (die ohne Konjunktion aufgereihten Wörter oder Satzteile sind grammatikalisch und inhaltlich gleichgestellt und nicht gesteigert) wird häufig in Weish verwendet, um einen neuen Gesichts­punkt anzuzeigen, vgl. 4,10.20; 10,12.

Das Homoioteleuton (Wiederholung der gleichen oder einer ähnlichen Endsilbe in unmittelbar aufeinanderfolgenden Wörtern, hier in aufeinander folgenden Kola): 1,1.4; 2,3–4; 4,10.

Die Form des sorites (σωρείτης: Ketten- oder Häufelschluss) wird in Weish 6,17–20 verwendet.42

Ein letzter Aspekt des für das Buch der Weisheit typischen Stils ist die Verwendung von Versenden, die auf die klassische Metrik verweisen. Beispiele von jambischen oder hexametrischen Rhythmen waren schon von John A. F. Gregg (1906) beobachtet worden und noch aufmerksamer von Henry S. J. Thackeray (1909), der bis heute als einziger, wenn auch erst anfanghaft, die poetische Eigenart des Buches der Weisheit erforscht hat. Ein Beispieltext ist Weish 17,1 – 18,4, in dem sich, außer der Beobachtung eines typisch „asianischen“ Stils, hin und wieder, wenn auch nicht systematisch, die Verwendung klassischer Metrik feststellen lässt.43

Die literarische Gattung: zwischen genus epideiktikon und Midrasch44

Das Buch der Weisheit: ein Protrepticus

Unter den Argumenten für die Einheit des Buches der Weisheit hat die Diskussion über die literarische Gattung des Buches, die große Bedeutung für das Verständnis des Textes hat, ein beträchtliches Gewicht gewonnen. Denn die Beachtung der literarischen Gattung eines Buches bedeutet, sich in die Sichtweise des Verfassers zu begeben und besser zu verstehen, welche Aussageabsicht seinem Werk zugrunde liegt.

James M. Reese hat eine Anregung von Friedrich Focke45 aufgenommen und vorgeschlagen, das Buch der Weisheit der literarischen Gattung des logos protreptikos zuzuordnen, der schon Aristoteles vertraut war und später in der patristischen Literatur verwendet wurde. Der logos protreptikos vereinte in sich Elemente des genus deliberativum und des genus epideiktikon; er lud dazu ein, einer bestimmten Lebensweise zu folgen und zeigte den Wert und die Vorzüge der vom Redner empfohlenen Lebensführung auf. Reese nimmt jedoch auch die Existenz verschiedener Untergattungen innerhalb der verschiedenen Buchteile an.46

Das Hauptproblem bei dieser Zuordnung besteht darin, dass uns kein vollständiges Exemplar eines logos protreptikos aus dieser Zeit vorliegt und ebenso wenig eine vollständige Beschreibung oder Abhandlung dazu. Winston formuliert deshalb eher zurückhaltend: „It is thus extremely difficult to determine whether Wis is an epideicteic composition with an admixture of protreptic, or essentially a protreptic with a considerable element of epideicteic“.47

Das Buch der Weisheit: ein Enkomion

Seit den Studien von Paul Beauchamp (1963) und vor allem dank der Arbeiten von Paolo Bizzeti und Maurice Gilbert wandte sich die Forschung in immer überzeugenderer Weise dem genos epideiktikon zu.48

Nach den Regeln der klassischen Rhetorik lassen sich die Gattungen der Gerichtsrede (genos dikanikon), der Beratungs- oder politischen Entscheidungsrede (genos symbuleutikon, lat. genus deliberativum) und der Lob- und Festrede (genos epideiktikon, lat. genus demonstrativum oder laudativum) unterscheiden (vgl. Aristoteles, Rhet. 1358b). Die Gerichtsrede handelt von der Vergangenheit und wird vor Gericht verwendet, um Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bestimmen. Die Beratungsrede dagegen blickt in die Zukunft, was wir tun sollen oder nicht tun dürfen. Die Lob- oder Festrede wird von der Rhetorica des Aristoteles an bis zu den Rhetorikabhandlungen Ciceros und Quintilians als Gattung beschrieben, die sich eher auf die Gegenwart bezieht: Eine bestimmte Tugend soll gepriesen oder eine Unsitte gerügt werden, vgl. die Paradoxa Stoicorum Ciceros, die Schriften Philons von Alexandria Quod omnis probus liber est und De nobilitate, das Werk De clementia von Seneca. In der epideiktischen Gattung wird pädagogisch und schulmäßig formuliert, sie wendet sich also an junge Menschen, sucht sie zu überzeugen durch die Kraft von Beweisen und vor allem durch die Preisung (enkomion) der Tugend, die lobend hervorgehoben werden soll. Der fiktive „Salomo“, der in Weish 7–8 spricht, betont sein Jungsein; vgl. z.B. Weish 8,10 und auch die Bezugnahme auf den Traum von Gibeon (1Kön 3) in Weish 9. Auch die nachdrückliche Verwendung der Metapher des Königtums, die deutlich auf einen stoischen Hintergrund verweist, setzt junge Menschen als Adressaten voraus (s.u.).

Ein Vergleich zwischen einem klassischen Enkomion und dem Buch der Weisheit kann uns das Vorhaben des Verfassers noch besser entschlüsseln. Das Enkomion beginnt in der Regel mit einem exordium, in dem die Zuhörer aufgefordert werden, einer bestimmten Tugend zu folgen, während zugleich die Gegner widerlegt werden, indem ihnen Beispiele von Menschen, die mit gerade dieser Tugend gelebt haben, entgegengehalten werden. So geschieht es im ersten Teil des Buches (Weish 1–6) mit einer an die Zuhörer gerichteten Aufforderung, die Gerechtigkeit und die Weisheit aufzunehmen (Weish 1 und 6). Eine Widerlegung der Auffassungen der Gegner (Weish 2 und 5) umrahmt eine Reihe von Gegenüberstellungen (Weish 3–4), die beispielhaft die Hauptaussage über das Schicksal der Gerechten und der Gottlosen illustrieren und die Richtigkeit der Aufforderung bestätigen, der Weisheit und der Gerechtigkeit zu folgen.

Das klassische Enkomion fährt dann mit dem eigentlichen Lob fort, in dem die Tugend, der die betreffende Schrift gewidmet ist – hier die Weisheit –, gepriesen wird. Die Herkunft (τὸ γένος), das Wesen (ἡ φύσις) und die Werke und Wirkungen (ἡ πρᾶξις) werden dargelegt. Dies geschieht im Mittelteil des Buches der Weisheit: In 6,22–25 kündigt der Verfasser an, dass er über die Herkunft und das Wesen der Weisheit sprechen wird (Weish 7–8), deren Werke und Wirkungen in Weish 10 aufgezeigt werden. In Bezug auf Weish 7–8 hat Alexis Leproux vorgeschlagen, diese beiden Kapitel nach Art eines rhetorischen Elogiums auf eine bestimmte Person zu lesen, wie es seit der Kaiserzeit besonders in Schriften der zweiten Sophistik verbreitet war.49

Den Schlussteil des klassischen Enkomions bildet die σύγκρισις (comparatio). Mittels einer Reihe von Beispielen aus der Vergangenheit will der Redner seine Zuhörerschaft von der Vorzüglichkeit der von ihm gepriesenen Tugend, Eigenschaft oder Person überzeugen. Nicht selten bezieht er dabei Exkurse ein zu Themen, die mit dem Hauptthema verwandt sind. So geschieht es im dritten Teil des Buches (Weish 10–19): Die vergleichenden Gegenüberstellungen Gerechte/Gottlose werden entlang den biblischen Erzählungen von Exodus und Wüstenzug vorgenommen, erweitert um zwei ausführliche Erörterungen: über die Menschenfreund­lichkeit Gottes (11,15 – 12,27) und über die Götzenverehrung (13–15). Das Enkomion schließt mit einem Epilog, in dem der Verfasser seine Argumente zusammenfasst und Folgerungen zieht, so am Ende des Buches in Weish 19,10–22.

Der midraschartige Stil

Der Gegenstand des Enkomions innerhalb des Buches der Weisheit ist nicht eine moralische Eigenschaft oder eine menschliche Tugend wie in einem klassischen Enkomion, sondern die Weisheit, die von Gott kommt. Im Zentrum des Buches erscheint außerdem ein Text, der keinerlei Entsprechung in klassischen Enkomien hat: das Gebet um Weisheit (Weish 9), in dem Salomo sich unmittelbar an Gott wendet. Außerdem tritt in den Gegenüberstellungen in Weish 11–19 den beiden Gegenspielern Israel und Ägypten ein drittes Vergleichselement an die Seite, das ebenfalls im klassischen Enkomion nicht vorhanden ist: der Kosmos. In Weish 9 sind es nicht mehr seine Adressaten, an die sich der Verfasser wendet, sondern unmittelbar Gott, an den er auch im dritten Buchteil (Weish 11–19) mehrfach die direkte Anrede richtet. Bereits Joseph Heinemann hatte die Unterschiede hervorgehoben zwischen Weish 11–19 und der klassischen griechischen σύγκρισις, in der die Entsprechung bei den verglichenen Personen, Eigenschaften oder Gegenständen selbst liegt und nicht bei einem dritten Element, wie es in Weish 11–19 geschieht, wo die unterschiedlichen Wirkungen des Kosmos auf die Gerechten und die Gottlosen bzw. die Israeliten und die Ägypter miteinander verglichen werden.50

Der Hintergrund des Buches der Weisheit ist durchgehend die Heilige Schrift (s.u.), die der Verfasser unablässig neu liest und seiner Hörerschaft vorträgt, wenn auch durch die Brille der zeitgenössischen hellenistischen Kultur betrachtet. Dadurch ändert sich die typisch griechische literarische Gattung des Enkomions in eine Vorgehensweise, die charakteristisch ist für jüdische Literatur und als Midrasch bezeichnet wird.

Es existiert eine Vielzahl von Möglichkeiten, einen Midrasch zu definieren. Man kann ihn beschreiben als eine Haltung, eine Denkweise, eine bestimmte Art zu schreiben in einem dem Judentum eigenen Stil, der dessen Umgang mit der Heiligen Schrift charakterisiert.51 Möchte man von einer breiten Definition ausgehen, so ist Midrasch die „Suche“ nach dem Sinn der Schrift, die geleitet wird von der Über­zeugung, dass die Schrift ihren Lesern gleichzeitig ist und für sie eine andauernde Aktualität besitzt. Die Verfasser eines Midrasch bemühen sich, diese Aktualität zu erforschen, indem sie den biblischen Text in ihre eigene und die Lebenssituation ihrer Hörer hereinholen. Die Wahrnehmung der Einheit der Schrift und ihrer andauernden Aktualität für jeden, der sie hört, stellen deshalb die besonderen Züge jedes midraschartigen Kommentars dar, der also zugleich einen volkstümlichen und homiletischen Charakter besitzt.

In so verstandener Weise ist es möglich, vom midraschartigen Charakter des Buches der Weisheit zu sprechen, insbesondere des dritten Buchteils (Weish 10–19), der die Exoduserzählung aufnimmt. Aber auch der erste Teil (Weish 1–6) weist einen derartigen midraschartigen Stil auf.52 Denn das Ziel des Verfassers ist es, die Einheit der Schrift und zugleich ihre Aktualität für die Leser seiner Zeit zu zeigen, und er erreicht so, was Roger Le Déaut in einer glücklichen Formulierung ein „Zum Klingen-Bringen der Geschichte“53 genannt hat. Was das Buch der Weisheit zu einem völlig originellen Werk macht, ist gerade diese enge Verbindung des midraschartigen Stils mit einer griechischen literarischen Gattung, dem Enkomion. Die Genialität des alexandrinischen Weisen liegt darin, in einer griechischen literarischen Form einen zutiefst jüdischen Inhalt auszudrücken. Dem Verfasser des Buches ist es so gelungen, seinen Hörern einen Text vorzutragen, der zwar der biblischen Tradition treu bleibt, diese aber in einer ihnen viel leichter zugänglichen Sprache formuliert.54 Man kann also sagen, dass im Buch der Weisheit eine Art griechischer Midrasch zu den Schriften Israels vorliegt.55

Verfasser, Zeit und Ort der Abfassung

Verfasser

Der Verfasser des Buches verbirgt sich unter der Maske Salomos. Dies wird in den Kapiteln 7–8 und insbesondere in dem Gebet Weish 9 deutlich, wenn auch der Name Salomo nie ausdrücklich genannt wird. Einige Kirchenväter dachten noch an die historische Person Salomos; das Muratorische Fragment (Z. 69–71) denkt eher an Freunde: ab amicis Salomonis in honorem eius scripta.56 Hieronymus erwähnt auch die Auffassung, die er selbst nicht zu teilen scheint, dass Philon von Alexandria der Verfasser des Buches der Weisheit gewesen sei; von daher entstand eine Legende über einen vermuteten christlichen Philon.57 Die Stellung des Buches der Weisheit im Kanon ließ andererseits und wohl natürlicherweise an Ben Sirach oder an seinen Neffen, den Übersetzer des Sirach-Buches als Verfasser denken. Diese Vermutung wurde bereits von Augustinus vorgebracht in Doctr. chr. II, 8,13, später aber von ihm wieder zurückgezogen (Retract. II, 30[4]. 2).58 In der Folgezeit dachte man auch an den Hohenpriester Onias, an den Philosophen Aristobulos, an den in der Apostelgeschichte (Apg 18) erwähnten Apollo aus Alexandria – sämtlich rein hypothetische Annahmen.59

Eine genaue Identifikation des Verfassers ist in Wirklichkeit unmöglich. Wir müssen uns damit begnügen, an einen anonymen Juden griechischer Muttersprache in Alexandria zu denken, der eine umfassende Kenntnis der Schrift besaß, tief verwurzelt war in der jüdischen Überlieferung, aber zugleich der kulturellen und geistigen Umwelt in der Stadt Alexandria eng verbunden.

Datierung

Regierungszeit Caligulas?

Die Abfassungszeit des Buches der Weisheit stellte lange ein weiteres Rätsel für die Forschung dar;60 die in der Vergangenheit dafür vorgeschlagenen Daten bewegen sich vom Beginn des 2. Jh. v. Chr. bis zur Zeit Caligulas (37–41 n. Chr.).61 Argumente von der Sprache des Buches her nötigen nicht zu einer Datierung in die Zeit Caligulas;62 bei dieser Datierung spielen die möglichen Beziehungen zu Philon von Alexandria ein Rolle; wenn man nämlich annimmt, der Verfasser habe Philon gekannt, muss die Abfassung des Buches der Weisheit in einer diesem nahen Zeit angesetzt werden. Die Regierungszeit Caligulas stellt einen plausiblen Hintergrund für die Verfolgungen von Juden dar, auf die der Text von Weish 2 anzuspielen scheint; gerade auf Caligula könnte auch der Text von Weish 14,15–17 anspielen, der von der Vergöttlichung des Herrschers spricht.63 Abschnitte wie Weish 5,16–23 würden eine historisch tatsächlich verzweifelte Situation voraussetzen, die erst zur Zeit Caligulas bestand.64 Dazu ist jedoch anzumerken, dass die Ähnlichkeiten zwischen dem Buch der Weisheit und Philon auch durch die gemeinsame kulturelle Umwelt erklärt werden können, denn Weish scheint das Werk Philons nicht tatsächlich gekannt zu haben. In Bezug auf die möglichen Anspielungen auf Judenverfolgun­gen ist zu bemerken, dass Weish 2 eher eine typische Situation der Verfolgung des Gerechten durch die Gottlosen vorauszusetzen scheint als eine aktuelle Verfolgungssituation; vielleicht will der Verfasser sich auf frühere Verfolgungen von Juden beziehen, sei es in Ägypten selbst oder in Judäa (s.u.).

Zeit des ­Augustus

Im Innern des Buches lassen sich Anzeichen finden, die eher eine Datierung während der Zeit des Octavianus Augustus bestätigen, d.h. zwischen 30 v. Chr. und 14 n. Chr., wahrscheinlich in der letzten Phase des Prinzipats. Die Untersuchung des Vokabulars des Buches erlaubt es nicht mehr, seine Abfassung vor der Augustuszeit anzusetzen. Das klassisch gewordene Argument ist das Vorkommen des Ausdrucks κράτησις „Machtübernahme“ in Weish 6,3: Dieser terminus technicus bezeichnet die Inbesitznahme Ägyptens durch die Römer im Jahre 30 v. Chr. im Anschluss an die Seeschlacht von Aktium. Maurice Gilbert hat gezeigt, dass der Ausdruck τῆς καίσαρος κρατήσεως, der in Bezug auf die Eroberung Ägyptens durch Octavianus verwendet wurde, nach dem Tod des Kaisers 14 n. Chr. völlig außer Gebrauch geriet. Das Vorkommen von κράτησις stellt also nicht nur einen terminus a quo dar, sondern ist auch als terminus ad quem für die Datierung des Buches zu betrachten.65

Ein weiteres, im Buch der Weisheit auffindbares Anzeichen, dass seine Abfassung der augusteischen Zeit zuzuordnen ist, ist der Text von Weish 14,22, in dem ironisch wohl auf die von Octavianus Augustus im Jahre 9 v. Chr. verkündete pax romana angespielt wird, wobei der ganze Abschnitt 14,16–22 auf den entstehenden Kaiserkult Bezug nehmen könnte, den es bereits zur Zeit Octavians gab und nicht erst seit Caligula. Die Feindseligkeit, die das Buch gegenüber den Ägyptern zeigt, kann gelesen werden als ein Anzeichen der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse nach der Ankunft der Römer und vor allem als Ausdruck der unter den Juden in Alexandria entstandenen Unzufriedenheit infolge der sogenannten laographía, der Einführung einer Kopfsteuer, die Rom seit den ersten Jahren der Herrschaft des Augustus von allen erhob, die, wie die Juden, nicht die vollen alexandrinischen Bürgerrechte genossen.

Weish 19,13–17 und die Frage der ­Bürgerrechte

In Weish 19,13–17 spiegelt sich das konfliktreiche Problem, dass die Juden in Alexandria nicht die vollen Bürgerrechte genossen. Der Kampf für die Bürgerrechte lässt aber auch einen viel weiter reichenden Anspruch zutage treten: Die Juden in Alexandria kämpfen gleichzeitig für ihre gesellschaftliche Integration und für die Anerkennung ihrer Besonderheit. Während der reiche und gutsituierte Philon sich den Griechen sehr nahe fühlt und nachdrücklich die Gleichstellung der Juden von Alexandria mit dem griechischen Bevölkerungsteil fordert, betrachtet der Verfasser des dritten Makkabäerbuches den Versuch, die alexandrinischen Bürgerrechte zu erwerben, oder überhaupt die Bemühung um irgendeine politische und gesellschaftliche Integration als Verrat an der eigenen Religion „um des Bauches willen“ (3Makk 7,11). Denn die Juden sind λαὸς ἐν ξένῃ γῇ ξένος „ein Volk, fremd in fremdem Land“ 3Makk 6,3.66 In 3Makk 3,3–4 werden als wirklich treue Juden diejenigen betrachtet, die zwar gegenüber den Königen aufrichtige Loyalität (εὔνοιαν καὶ πίστιν ἀδιάστροφον) wahren, jedoch nach dem Gesetz ihres Gottes leben (πολιτευόμενοι) „und deshalb einigen hassenswert erschienen“.

Es ist klar, dass eine volle Integration in die griechische Gesellschaft, angefangen von einem Eintritt ins Gymnasium, dem größten Teil der Juden unüberwindbare religiöse Probleme bereitet hätte. Wäre es also möglich, eine Integration in die griechische Umwelt anzustreben und gleichzeitig die eigene Religion zu bewahren? Mit verschiedenen Nuancen und in oft gegensätzlicher Weise (so Philon gegenüber dem dritten Makkabäerbuch) wollen die Juden von Alexandria Bürger und zugleich andersartig sein.

Der Verfasser des Buches der Weisheit möchte einen Mittelweg gehen zwischen der ablehnenden Betrachtungsweise des dritten Makkabäerbuches und der Aufgeschlossenheit, die kurze Zeit später Philon kennzeichnet. Die Haltung, für die das Buch der Weisheit in Bezug auf die Rechte der Juden in Alexandria eintritt, ist ein Judentum, das sich seiner Besonderheit bewusst ist, aber gleichzeitig eine gewisse Integration sucht.67

Wie im ganzen übrigen Buch gibt der Verfasser auch in Weish 19,13–17 nie der Versuchung nach, die eigene Religion aufzugeben. Sogar die Ägypter, wenn sie auch ungläubig waren, hatten Vorteile von der Anwesenheit der Israeliten; dabei waren gerade sie es doch, die die Gäste und Fremden hassten. In dieser Betrachtungsweise steckt sicher ein gewisser Idealismus: Wir möchten unsere volle religiöse Identität bewahren, so scheint der Verfasser zu sagen, und zugleich die dem griechischen Bevölkerungsteil der Stadt zuerkannten allgemeinen Rechte erhalten. Für die Griechen werden so die Juden hassenswerte Privilegierte bleiben, wie Flavius Josephus den Apion sagen lassen wird: „Warum also, wenn sie Bürger sind, ehren sie nicht dieselben Götter wie die Alexandriner?“ (Apion. 2,65). Für das Buch der Weisheit jedoch geht es darum, eine gute Beziehung zu den Griechen aufrecht zu erhalten und dabei doch dem eigenen Gesetz treu zu bleiben.68

Ort der Abfassung

Dass bei der Abfassung des Buches der Weisheit Ägypten den Hintergrund bildet, erscheint unbestreitbar: Die Ägypter zusammen mit den Israeliten sind die Hauptfiguren im ganzen dritten Teil des Buches, der sich zwar auf eine relecture der Exodus­erzählungen stützt, aber ständig auf die historische Situation Ägyptens in hellenistisch-römischer Zeit anspielt. Der oben angeführte Text von Weish 19,13–17 lässt wenige Zweifel bezüglich der Herkunft des Verfassers aus Ägypten. Die Darstellung der Gottlosen in Weish 2 findet ihre natürlichste Erklärung, wenn sie auf dem Hintergrund des Lebens in der Stadt Alexandria betrachtet wird. Mit ihren berühmten Einrichtungen, der Bibliothek und dem Museum, ist Alexandria ein kulturelles und religiöses Zentrum. Seit ihrer Gründung besteht in dieser Stadt die auch zahlenmäßig bedeutendste Ansiedlung von Juden außerhalb des Landes Israel. Sie ist der wahrscheinlichste Ort für die Abfassung des Buches.69

Das Buch der Weisheit und die Schrift70

Der Verfasser des Buches der Weisheit zeigt eine große Vertrautheit mit den Schriften Israels und setzt bei seinen Hörern deren umfassende Kenntnis voraus. Das Buch folgt oft der griechischen Übersetzung der Septuaginta, wenn auch ein Rückgriff auf den hebräischen Text nicht völlig auszuschließen ist.71 Ein besonderes Merkmal des Verfassers ist es, dass er nie ausdrücklich einen biblischen Text zitiert, sondern ihn nur andeutet oder darauf anspielt und so seiner Hörerschaft die Mühe (aber auch die Freude) der Entdeckung überlässt.72

Hier soll nur eine allgemeine Übersicht gegeben werden, die einer ersten Orientierung dient, in welcher Weise der Verfasser den heiligen Text verwendet hat.

Weish 1–6

Im ersten Teil des Buches (Weish 1–6) beschäftigt sich der Verfasser mit den auch von Ijob und von Kohelet gestellten Fragen der Vergeltung: Wie verhält es sich mit der Gerechtigkeit Gottes, wenn der Gerechte leidet und stirbt, während der Gottlose Erfolg zu haben scheint?73 Die Antwort, die das Buch der Weisheit anbietet, nämlich die ewige Glückseligkeit des Gerechten und das traurige Los des Gottlosen beim Endgericht, wird aus einer kühnen relecture von Gen 1–3 heraus entwickelt:74 Der ursprüngliche Plan Gottes für den Menschen, der in dem Genesistext ausgedrückt ist, wird neu gelesen, besonders in Weish 1,13–15 und 2,23–24, im Sinne von Unvergänglichkeit. Die Texte von Gen 1–3 finden sich ziemlich über das ganze Buch verstreut; darin zeigt sich das grundlegende Interesse des Verfassers an einer Schöpfungstheologie: Der Kosmos ist bestimmt zum Leben (Weish 1,13–14; 2,23–24); das Heil (Weish 19,6–12) wird gerade in einer erneuerten Schöpfung bestehen. Der Götzendienst stellt eine Verkehrung des Sinnes der Schöpfung dar (Weish 13,13; 15,8.11).

Die Darstellung der Gottlosen in Weish 2,1–20 nimmt viele biblische Themen auf, z.B. aus dem Buch Ijob und den Psalmen; aber schon in Weish 1,10–11 war das Murr-Motiv aus den Exoduserzählungen aufgetaucht. In der Beschreibung des leidenden Gerechten (Weish 2,10–20) unternimmt der Verfasser eine relecture von Ps 22 und besonders von Jes 53, dem vierten Gottesknechtlied.75 In der Formulierung der angekündigten Glückseligkeit der Gerechten (Weish 3–4 lassen sich Texte eschatologischen Charakters entdecken wie Ps 2, der von Weish 1,1 an verwendet wird neben Dan 7 und 12; die Danieltexte werden innerhalb eines weisheitlichen Rahmens und ohne ihren messianischen Bedeutungsgehalt vorgetragen und zu einer eigentlichen weisheitlichen Anthropologie umgestaltet.76 In den Kapiteln 3 und 4 ist dem Verfasser das Jesajabuch ständig gegenwärtig; vgl. Weish 5,17–20 gegenüber Jes 59,16–17. Das Jesajabuch ist eine der Hauptquellen des Verfassers, während Jeremia und Ezechiel in viel geringerem Ausmaß verwendet sind.77 Die Neuheit dessen, was der Verfasser über die Unsterblichkeit der Gerechten lehrt, stammt vor allem aus seinem tiefen Nachdenken über Jesajatexte (vgl. Weish 2,23 und Jes 54,16–17).

Weish 7–9

Im zweiten Teil des Buches (Weish 7–9 bilden vor allem die beiden klassischen Texte über das Gebet Salomos um Weisheit den Ausgangspunkt: 1Kön 3,5–15 und 2Chr 1,7–12 (vgl. 1Kön 5,13). Sie liegen insbesondere Weish 9 zugrunde, wo auch Echos von Texten aus der Genesis, den Exoduserzählungen und den Prophetenbüchern wiederkehren. Bei der Beschreibung der Liebe Salomos zur Weisheit werden außer vielen anderen biblischen Texten auch verschiedene Abschnitte des Sprüchebuches78 verwendet: Weish 7–8 greift neben anderem auf Spr 8,22–30 zurück (vgl. Weish 7,12.21; 8,6), aber auch auf Sir 24.

Weish 10–19

Im dritten Teil des Buches (Weish 10–19) ist die Reihe der acht Gerechten von Adam bis Mose, die in Weish 10 dargestellt werden, eine genaue und umfangreiche Wiederaufnahme vieler Abschnitte aus den Büchern Genesis und Exodus; die Aufstellung in Kap. 10 erinnert auch an das Lob der Väter in Sir 44–50.79

Die sieben Gegenüberstellungen (Weish 11,1–14; 16,1 – 19,9) halten sich eng an die Überlieferungen von Exodus und Wüstenzug (besonders in Ex und Num),80 nehmen aber auch die relecture dieser Überlieferungen auf, die sich bereits in Ps 78, 105 und 107 finden. Diese Psalmen wirken nicht als solche auf die Struktur des Buches ein, jedoch ist das ganze Buch der Weisheit von Anspielungen auf Psalmtexte und Zitate aus den Psalmen durchzogen.81 Weniger präsent sind das Buch Leviticus (denn der Verfasser hat kein starkes kultisches Interesse) und das Deuteronomium (vgl. jedoch Weish 6,7a.b mit Dtn 1,7 und Weish 16,26 mit Dtn 8,3). Für den Verfasser hat die Tora nicht in erster Linie als Gesetzestext Bedeutung, auch Ex–Num haben ihre Vorzugsstellung im Buch vor allem als Erzähltexte. Die Exoduserzählungen werden durchgehend in aktualisierender Weise dargeboten und im Licht der Situation der Juden in Alexandria am Ende des 1. Jh.s v. Chr. neu gelesen.

In der ersten eingeschalteten Überlegung (Weish 11,15 – 12,27) erwägt das Buch der Weisheit, weshalb Gott die Ägypter nicht so streng bestraft, wie er es mit den Kanaanäern tun wird. Die Erzählungen des Pentateuchs und des Buches Josua werden hier vor allem dazu benutzt, die Menschen­freund­lich­keit Gottes hervorzuheben.

In der eingeschalteten Überlegung zur Götzenverehrung (Weish 13–15) nimmt der Verfasser Texte aus der Propheten- und Psalmentradition auf, die gegen die Götzenverehrung polemisieren. Insbesondere ragt die Verwendung der Götzenpolemik in Jes 40–55 (vgl. Jes 44,9–20, aber auch in Ps 113,1–16 heraus.

Der Schlussabschnitt (Weish 19,10–22) ist großenteils eine gewagte relecture der Schöpfungserzählung von Gen 1,1 – 2,4a und dient dazu, die Hauptthese des Verfassers darzulegen: die tiefe Verbindung der Heilsgeschichte mit der Schöpfung. Die Ereignisse beim Exodus werden hier vor dem Hintergrund der Schöpfungs­erzählung in Gen 1 neu dargestellt. Dieses Ineinanderlesen der Exodus- und der Schöpfungserzählungen ergibt das Vorausbild einer erneuerten Schöpfung.82

Das Buch der Weisheit erscheint also tief durchwoben von ständigen Bezugnahmen auf biblische Texte. Dabei handelt es sich nicht einfach um ein Mosaik von Anspielungen auf Stellen, wo solche notwendig sein könnten. Gerade dadurch, dass er niemals einen Text direkt zitiert, lässt der Verfasser seiner Hörerschaft vor allem die Freiheit, jede gefundene Bezugsstelle wieder in ihren ursprünglichen Kontext einzufügen und so tiefer den Sinn zu durchdringen, den dieser Text ihr vermitteln will.

Der Verfasser ist tief überzeugt von der Einheit der biblischen Schriften, daher sein anthologisches Vorgehen: Ein biblischer Text verweist immer zugleich auf einen anderen. Die Schrift wird von ihm als ein Wort Gottes verstanden, das ein Bedeutungsgefüge erzeugt. Bei der Verwendung der biblischen Texte beachtet der Verfasser sorgsam deren Kontext und zeigt sich zugleich ausgesprochen kreativ im Sinne einer eindrucksvollen Aktualisierung eben dieser Texte. Auf diese Weise macht der Autor seiner Hörerschaft deutlich, dass das Wort Gottes für sie immer lebendig und aktuell ist, wenn sie verstehen, es in neuen Kontexten zu lesen wie hier in ihrer Umwelt von Alexandria. Darin liegt die Eigenart der Schrift­verwendung durch den Verfasser.83

Das Buch der Weisheit und die frühjüdische Tradition84

Das Buch der Weisheit fügt sich sowohl in die biblische als auch in die jüdische Literatur seiner Zeit ein. Ein Vergleich mit zeitgenössischen Texten wie einigen Teilen der Henoch-Bücher und den Qumranhandschriften zeigt, dass der Verfasser die darin vorkommenden Traditionen kennt oder in einigen Fällen vielleicht sogar diese zeitgenössischen Werke selbst.

Weisheit und Henoch

1. Die Henoch-Überlieferung.85Der Verfasser könnte den sog. Henoch-Brief (1 Hen 91–105; vgl. auch 1 Hen 108) gekannt haben, der wahrscheinlich in der gleichen Zeit geschrieben wurde. Ein größerer Teil dieses Briefes handelt von der Offenbarung des „Geheimnisses“ der eschatologischen Belohnung der Gerechten (vgl. 1 Hen 104,2) und der Bestrafung der Gottlosen. Vielleicht kannte der Verfasser des Buches der Weisheit auch die Einleitung des Henoch-Buches (1 Hen 1–5