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Was sind die ideale Vorbereitung und das beste Equipment fürs Wandern? Welche Planungsschritte sind unerlässlich? Wie hält ein Wanderer durch, wenn müde Beine und schmerzende Blasen das Aufhören so verlockend erscheinen lassen? Und wo ist es besonders schön? Christine Thürmer ist als Frau allein über 45.000 Kilometer zu Fuß gewandert und gibt ihr detailliertes Know-how nun unterhaltsam in dieserm Wanderbuch weiter. Die richtige Ausrüstung für jedes Budget, die spannendsten Routen und die beste Vorbereitung: »Weite Wege Wandern« bereitet Anfänger wie Fortgeschrittene optimal auf die nächste Tour vor. Dabei ist Thürmers »Weite Wege Wandern« nicht nur ein wahrer Fundus an Detailwissen für jede Wander-Lage, sondern auch eine kleine Anleitung zum Glücklichsein und eine unterhaltsame Geschichte. So behalten Wanderwillige die Informationen leichter im Kopf und starten motiviert in ihre nächste Tour. - »Thürmer bedient sich eines kumpelhaften Stils, leicht zu lesen und überaus unterhaltsam.« FAZ Schluss mit Ausreden: Christine Thürmer ist überzeugt, dass Weitwandern guttut und jeder es durchführen kann. »Weite Wege wandern« weckt selbst in Couch-Potatoes die Lust, alle inneren Widerstände aufzugeben und sich einfach auf den nächsten Trail zu begeben. Die meistgewanderte Frau der Welt Christine Thürmer weiß, wovon sie spricht: Selbst erst im mittleren Alter zum Wandern gekommen, ist sie nun überzeugte Weitwanderin und stellte mit 45.000 gewanderten Kilometern sogar einen Weltrekord auf. Nach »Laufen. Essen. Schlafen« und »Wandern. Radeln. Paddeln« unterstützt sie mit ihrem gesammelten Know-how Anfänger wie fortgeschrittene Wanderer.
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Der vorliegende Text enthält allgemeine Informationen und persönliche Ansichten und Empfehlungen der Autorin rund um das Thema Weitwandern. Er gibt allein die Meinungen der Autorin wieder und erhebt insoweit weder Anspruch auf Allgemeingültigkeit noch auf Vollständigkeit des Themenkomplexes. Die Inhalte stellen einen persönlichen Erfahrungsbericht der Autorin dar und sind insoweit nicht als Handlungsanweisungen an Dritte zu verstehenDie im Buch dargestellten Erlebnisse, Dialoge und Personen basieren auf Erinnerungen und können von den Erinnerungen anderer Personen abweichen. Namen und Merkmale einzelner Personen wurden zum Schutz der Privatsphäre mitunter geändert.
© Piper Verlag GmbH, München 2020Fotos im Bildteil: Christine Thürmer, mit Ausnahme der Fotos auf Seite 8 Mitte: Balázs Varga; Seite 27 unten: Markus Legner; Seite 1, 2 unten rechts, 4 oben beide, 5, 6 oben und unten links, 7 oben rechts, 8 oben und Mitte, 10/11, 13 unten, 15 oben, 16 oben, 17, 20, 21, 22, 28/29 und 32: Peter von FelbertLitho: Lorenz & Zeller, Inning am AmmerseeSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
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Cover & Impressum
Warum Weitwandern: Wie mich unterwegs das Glück fand
Senkung der Glücksschwelle
»Go with the flow, baby!«
Endlich Zeit zum Nachdenken
Die große Freiheit
Body Positivity – den eigenen Körper lieben lernen
Stärkung des Selbstvertrauens
Wovon man sich nicht vom Weitwandern abhalten lassen sollte
»Ich bin nicht fit genug!«
»Ich habe zu wenig Geld!«
»Ich bin zu alt!«
»Das ist zu gefährlich alleine als Frau!«
»Ich kann Familie und Freunde nicht alleine lassen!«
»Das genehmigt mein Chef nie!«
Die ideale Weitwanderung finden
Wichtige Entscheidungskriterien
US-amerikanische Trails
Europäische Fernwanderwege
Pilgerwege
Weitere internationale Fernwanderwege
Allein oder in der Gruppe
Wandern mit Hund
Alltag unterwegs: Mythos und Realität
Essen
Wasser
Zelten
Tagesablauf und -kilometer
Langeweile
Hygiene
Weniger ist mehr: Ausrüstung nach dem Ultraleichtprinzip
Schuhe
Zelt
Rucksack
Schlafsack und Quilt
Isomatte
Kochsysteme und Brennstoff
Wander- und Schlafkleidung
Regenkleidung
Trekkingstöcke
Die digitale Revolution: Tourenplanung und Navigation
Touren- und Logistikplanung
Logistikkonzepte
Navigation auf Tour
Informationsquellen unterwegs
Stromversorgung
Probleme unterwegs und wie man sie löst
Verletzungen und Krankheiten
Tierbegegnungen
Wetter
Gefahren im Gelände
Trail-Frust
Tourentipps für alle Lebenslagen
Albsteig: Deutschlands schönster Weitwanderweg
Salzburger Almenweg: Mal etwas anders übernachten
Gran Senda de Málaga: In Spanien kann man nicht nur pilgern
Országos Kéktúra: Einmal quer durch ganz Ungarn
Benton MacKaye Trail: Die Alternative zum Appalachian Trail
Israel National Trail: Atemberaubendes um die Ecke
Bibbulmun Track: Der Holiday-Trail down under
Literaturverzeichnis
Wandereindrücke
Wann wird aus einer Wanderung eine Weitwanderung? Es gibt keine offizielle Definition: Laut Wikipedia muss man dazu nur mehrere Tage unterwegs sein, der Alpenverein spricht ab 500 Kilometern Länge von einer Fernwanderung und ich selbst fange unter 1000 Kilometern gar nicht erst an. Der große Unterschied zwischen Wandern und Weitwandern liegt jedoch nicht in irgendwelchen Zahlen, sondern in dem, was es mit Ihnen macht. So werden Sie sich auch auf kurzen Touren erholen, Stress abbauen und fit werden, doch Langstreckenwandern hat noch ein ganz anderes Potenzial: Es wird Sie lehren, Ihren Körper zu lieben. Es wird Ihnen Zukunftsängste nehmen und dafür Selbstvertrauen und Freiheit schenken. Es wird sogar Ihre Werte und Einstellungen verändern. Vor allem aber wird es eines bewirken: Es wird Sie zu einem glücklicheren Menschen machen.
»Das neue Jahr beginnt gut«, denke ich voller Dankbarkeit am Neujahrsabend 2013. Den ganzen Tag bin ich bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt durch den Regen über die Berge der Appalachen gelaufen. Ohne Pause, denn hier am Benton MacKaye Trail in Tennessee gibt es keine Unterstellmöglichkeiten, nur endlose Eichen- und Ahornwälder. Kleidung, Socken, Schuhe – alles ist komplett durchnässt und mit Schlammspritzern übersät.
Ich hatte mich schon auf eine kalte Nacht im klammen Zelt eingestellt, als ich völlig unerwartet, aber noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit, diese luxuriöse Unterkunft an einer Forststraße entdeckte. Jetzt liege ich hier warm und trocken, meine von der Feuchtigkeit verschrumpelten Füße stecken in dicken Socken, und meine Kleidung trocknet auf der Wäscheleine neben mir.
»Ich bin eben ein echter Glückspilz«, freue ich mich und lausche dem monotonen Prasseln auf dem Dach über mir. Da höre ich plötzlich Motorengeräusche. Alarmiert fahre ich hoch und fürchte, dass ich gleich vertrieben werde. Mein Paradies ist nämlich nicht etwa ein Hotelzimmer oder eine Schutzhütte am Weg, sondern ein Plumpsklo des US Forest Service. Wenn den Autofahrer auf dem Waldparkplatz da draußen ein dringendes menschliches Bedürfnis überfiele, käme ich in arge Erklärungsnöte.
Gespannt halte ich die Luft an. Doch vor meiner verriegelten Toilettentür knistert lediglich ein Funkgerät, und Hunde winseln leise. Erleichtert atme ich aus. Draußen scheint ein nächtlicher Jäger zu parken, der sich per Funk mit dem Rest der Jagdgesellschaft abstimmt. Und tatsächlich knirschen schon nach wenigen Minuten die Autoreifen auf dem Kies. Der Fahrer wendet und braust davon. Als ich nur noch das Rauschen des Windes in den Baumkronen und die Regentropfen auf dem Metalldach höre, lasse ich mich erleichtert zurück auf meine Isomatte sinken.
»Gott sei Dank musste ich hier nicht raus«, denke ich, als ich mich in meinen warmen Quilt kuschle – und pruste dann laut los. Fernab der Zivilisation betrachte ich dieses Plumpsklo tatsächlich als mein persönliches Neujahrsgeschenk des Himmels. Die behindertengerechte und damit sehr geräumige Toilette wurde wohl erst vor ein paar Wochen aufgestellt, ist daher noch ziemlich sauber und riecht kaum – zumindest wenn man den Klodeckel herunterklappt.
Dass ich mich über eine Nacht in einer Komposttoilette so freuen kann wie andere über das Hilton, liegt an meinem minimalistischen Lebensstil als Langstreckenwanderin. Unterwegs passen all meine weltlichen Besitztümer in einen kleinen Rucksack und wiegen gerade mal knapp sechs Kilogramm. Ein Zelt, eine Isomatte, eine Art Schlafsack und ein einziger Satz Wechselkleidung sind neben ein paar Kochutensilien und ein bisschen Kleinkram alles, was ich dabeihabe. Mehr brauche ich selbst jetzt im Winter nicht.
Diese Reduktion auf das Wesentliche macht mich extrem dankbar für alles, was über meinen niedrigen Komfortlevel hinausgeht. Dinge, die früher ganz selbstverständlich waren, empfinde ich heute als Luxus: Weil ich mich unterwegs meistens im kalten Fluss wasche und auf einer schmalen Isomatte schlafe, freue ich mich über eine warme Dusche oder ein weiches Bett wie zuvor über eine Gehaltserhöhung. Während meine Ansprüche in meinem vorigen Leben mit zunehmendem Alter und Einkommen immer mehr gestiegen sind, hat meine Zeit als Weitwanderin das genaue Gegenteil bewirkt: Meine Glücksschwelle hat sich drastisch gesenkt – und zwar so weit, dass mich jetzt schon ein Plumpsklo entzückt.
Diese Veränderung meiner Wahrnehmung verschafft mir nicht nur auf Tour regelmäßig unglaubliche Glücksmomente, sondern beeinflusst auch mein »normales« Leben in der Heimat außerordentlich positiv – selbst wenn ich dabei im Überschwang der Gefühle bei meinen Mitmenschen manchmal etwas Befremden auslöse …
Nachdem ich zu Beginn meiner Outdoorlaufbahn meine eigene Wohnung gekündigt und meine Habseligkeiten eingelagert hatte, musste ich mir nach jeder Wanderung wieder eine vorübergehende Unterkunft in Deutschland suchen. Die Wohnungs- oder WG-Besichtigungen verliefen anfangs fast immer nach demselben Schema und haben die Vermieter oft etwas verwirrt zurückgelassen …
Vermieter/in (neugierig): »Was machen Sie so beruflich?«
Ich (stolz): »Ich bin Langstreckenwanderin!«
Vermieter/in (irritiert): »Was ist das denn für ein Beruf?«
Ich (begeistert): »Ich wandere lange Strecken zu Fuß. Genauer gesagt, bin ich ein thruhiker, weil ich diese Wege in einer Saison durchwandere.«
Vermieter/in (verwirrt): »Aha!« Pause. »Ich zeige Ihnen erst einmal das Zimmer.« (Führt mich in einen mehr oder minder abgewohnten Raum mit Möbeln der ausgezogenen Kinder/vom Sperrmüll/ aus dem Secondhandladen.)
Ich (ekstatisch): »Das ist ja großartig! Ein richtiges Bett! Ich muss nicht auf dem Boden schlafen! Und es gibt sogar einen Schreibtisch mit einem echten Stuhl! Dann kann ich beim Arbeiten ja an einem Tisch sitzen! Gibt es womöglich auch ein Badezimmer mit fließend warmem Wasser?«
Vermieter/in (alarmiert): »Ähm, also, wir melden uns, wenn wir uns für einen Bewerber entschieden haben …«
Natürlich habe ich nie mehr von ihnen gehört. Die Vermieter fühlten sich durch meinen Enthusiasmus über die eher dürftige Wohnungsausstattung wohl entweder veräppelt – oder vermuteten einen psychischen Schaden. Dabei ist diese Begeisterung einfach das Resultat meines genügsamen Lebensstils auf Tour. Erst als ich mir meine euphorischen Äußerungen verkniff, fand ich eine Bleibe.
Bis auf diese kleinen Verwicklungen hat das Weitwandern mein Leben ausschließlich positiv verändert. Fast jeden Abend liege ich in meinem Zelt oder Bett, denke über den vergangenen Tag nach und könnte vor Freude über die wunderbaren Erlebnisse laut »Danke! Danke! Danke!« schreien. Obwohl ich das gar nicht beabsichtigt hatte, habe ich unterwegs das große Glück gefunden. Oder wie die nordamerikanischen Langstreckenwanderer sagen: Thruhiking has ruined my life, thank God! – Weitwandern hat mein Leben ruiniert, Gott sei Dank!
Es ist schon nach 20 Uhr, als ich Děčín mit einem prall gefüllten Rucksack und vollem Bauch verlasse. Der Einkauf im ersten tschechischen Supermarkt am Weg hat viel länger gedauert als geplant. Einen Teil des Proviants habe ich gleich an Ort und Stelle zum Abendessen verspeist, weil ich an diesem heißen Junitag nach mehr als zehn Stunden zu Fuß dringend eine Pause brauchte. Doch nach einem kräftigen Anstieg liegt die Stadt nun hinter mir, und ich erreiche hoch über dem Elbtal noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder den Wald.
Eigentlich sehe ich bereits zwischen den ersten Bäumen passable Zeltmöglichkeiten, aber es drängt mich vorwärts: »Es kommen bestimmt noch bessere Plätze!« Da entdecke ich auf der Karte einen zwei Kilometer entfernten Aussichtspunkt, der bei Sonnenuntergang bestimmt ein schönes Elbpanorama bietet. Eine halbe Stunde später will ich allerdings trotz des spektakulären Blicks auf die Lichter im Tal auch dort nicht bleiben. In der Abenddämmerung laufe ich vorbei an den bizarren Felsformationen der Böhmischen Schweiz und werfe erst wieder einen Blick auf die Karte, nachdem ich schon die Stirnlampe hervorholen muss. In vier Kilometern Entfernung befindet sich ein besonders ebenes Waldstück – und so gehe ich noch eine Stunde im diffusen Mondlicht auf breiten Forststraßen.
Erst als es nach dem Abzweig auf einen Pfad so steil und felsig wird, dass mir trotz Stirnlampe erhebliche Verletzungsgefahr in der Dunkelheit droht, schlage ich widerwillig mein Zelt auf – nach 43 Kilometern! Eine völlig unerwartete Leistung auf dem ersten vollen Wandertag einer Tour, die mich auf 3000 Kilometern von Deutschland bis zum Schwarzen Meer führen wird. Obwohl ich gänzlich untrainiert gestartet bin, schmerzen mir die Glieder nur leicht. Ich schwebe sogar fast auf einer Wolke der Euphorie, als ich mich um 23 Uhr auf meiner Isomatte ausstrecke. Nach vielen Monaten am Schreibtisch bin ich endlich wieder draußen unterwegs – und sofort in den »Flow« geraten!
Der Begriff Flow stammt von dem ungarisch-amerikanischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi (das spricht sich ungefähr wie »Tschicksentmihei«) und bezeichnet einen Zustand absoluter Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit. Beste Beispiele sind Künstler im Schaffensrausch oder spielende Kinder. Glücksforscher Csíkszentmihályi definiert mehrere charakteristische Eigenschaften eines Flow-Zustands und beklagt, dass diese bei den meisten beruflichen Tätigkeiten fehlen. Auf das Weitwandern treffen sie jedoch allesamt zu!
Die Ziele sind klar, und Rückmeldung kommt sofort. Bei einer Wandertour sind Ziele eindeutig geografisch definiert – genauso wie die Rückmeldung: Läuft man schneller oder weiter, erreicht man seinen Bestimmungsort früher.
Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten entsprechen einander. Tun sie das nicht, droht Langeweile bei Unterforderung oder Stress bei Überforderung. Wandern kann prinzipiell fast jeder, und den Schwierigkeitsgrad legt man eigenständig entsprechend seiner Fähigkeiten und Fitness bei der Tourenwahl oder der Etappenplanung fest.
Das Gefühl der Kontrolle einer Situation ist beim Wandern fast immer gegeben, da man komplett selbstbestimmt und nur wenigen unkontrollierbaren Störfaktoren, wie zum Beispiel dem Wetter, ausgesetzt ist.
Wenn diese drei Voraussetzungen zutreffen, beginnt der Flow durch gesteigerte Konzentration auf ein begrenztes Tätigkeitsfeld. Andere Reize werden ausgeblendet, und man vertieft sich so sehr in sein Tun, dass die Handlungen mühelos und wie von selbst ablaufen. Das Zeitgefühl verändert sich, man lebt völlig im Hier und Jetzt, und es ist kein Platz mehr für frustrierte Rückblicke auf die Vergangenheit oder Zukunftsängste. Das geht bis zum Aussetzen des Ich-Bewusstseins, man verschmilzt praktisch mit der Handlung.
Natürlich laufen Langstreckenwanderer nicht ständig in völliger Ekstase durch die Gegend. Doch auch wenn es zwischendurch mal langweilige oder stressige Etappen gibt, stellt sich der Flow oft ein – »Go with the flow, baby!«, rufen sich die Thruhiker nicht ohne Grund häufig zu.
Im Flow führt man eine Tätigkeit einzig und allein um ihrer selbst willen aus, das Ziel wird unerheblich. Diese sogenannte Autotelie (der Selbstzweck) ist die höchste Form der Eigenmotivation – oder wie Csíkszentmihályi es nennt: das Geheimnis des Glücks. Und dieses wunderbare Glück habe ich tatsächlich auf den Weitwanderwegen unserer Welt gefunden.
In Florida hat schon ein einziger Meter Höhenunterschied drastische Auswirkungen: Im Apalachicola National Forest im Nordwesten des Bundesstaates führt mich der Florida Trail auf den höheren Lagen durch lichten Fichtenwald, während ich etwas weiter unten zwischen enormen Sumpfzypressen durch knietiefes Wasser wate. Ich wundere mich also nicht darüber, dass der schmale Pfad vor mir im schokoladenbraunen Sumpfwasser verschwindet und erst dreißig Meter weiter wiederauftaucht. Trotzdem nehme ich alarmiert meine Kopfhörer aus den Ohren: Direkt auf dem Weg wärmt sich nämlich ein fast zwei Meter langer Alligator in der Sonne, der nun erschreckt ins Wasser gleitet. Der kräftige schuppige Schwanz klatscht noch einmal kurz auf, dann ist das massige Reptil ausgerechnet in dem Sumpf verschwunden, den ich jetzt durchqueren muss.
»Alligatoren sind ungefährlich für Erwachsene. Die fressen nur Hunde und Kinder …«, hatten mir US-amerikanische Freunde erklärt, dennoch starre ich wenig überzeugt auf die absolut undurchsichtige braune Brühe. An Land könnte ich dem gepanzerten Tier einfach davonrennen, aber im Wasser hätte ich keine Chance gegen seine mehr als achtzig messerscharfen Zähne. Die nächste halbe Stunde versuche ich vergeblich, einen trockenen Weg um das Gefahrengebiet herum zu finden.
Als ich mich gezwungenermaßen doch todesmutig in den Sumpf hineinwage, überfällt mich im fast hüfthohen Wasser Panik, und ich renne zurück ans Land. Bei dieser Tiefe hätte der Alligator überhaupt kein Problem, mich mit seinen gewaltigen Kiefern zu packen und in ein leckeres Abendessen zu verwandeln. Fast fünf Minuten stehe ich am Rand der Senke und atme zur Beruhigung mehrmals tief durch, bevor ich nach dem Motto »Augen zu und durch« den nächsten Versuch starte. Voller Hektik platsche ich geräuschvoll durch das Wasser – und erreiche nach wenigen angstvollen Sekunden wohlbehalten, aber nass bis auf die Unterhose die andere Seite.
Nach ein paar Hundert Metern auf dem sandigen Weg beruhigt sich mein Herzschlag. Ich schalte meinen MP3-Player wieder ein – und muss bald laut lachen. Gerade höre ich das mittelalterliche Nibelungenepos und bin bei Siegfrieds unerschrockenem Kampf mit dem Drachen angelangt. Darin wird der siegreiche Held nach einem Bad im Blut des erlegten Ungeheuers (fast) unverwundbar. Im Vergleich dazu habe ich mich bei meiner Begegnung mit dem Urvater aller Drachen deutlich weniger tapfer angestellt. Einen derartigen Aktualitätsbezug hätte ich bei diesem Hörbuch nicht erwartet …
Im Laufe der nächsten Stunden und Tage zieht mich das Nibelungenlied immer stärker in seinen Bann. Während ich in Florida durch Sümpfe, Zuckerrohrplantagen und Großstadtvororte wandere, entfaltet sich auf meinem MP3-Player ein spannendes Drama über mutige Krieger, stolze Königinnen und ruchlose Verräter – und zwar auf Mittelhochdeutsch mit neuhochdeutscher Übersetzung. Als sich nach neun Stunden sämtliche Akteure in einem letzten Blutbad niedergemetzelt haben, beschäftigt mich die Geschichte von Treue, Verrat und Rache noch viele Tage und Wochen. Was ich zunächst für ein verstaubtes Märchen gehalten hatte, erwies sich als höchst moderne Parabel – und ich genieße den Luxus, die vielen Denkanstöße beim Wandern ungestört weiterverfolgen zu können.
Zwischen Zehn-Stunden-Arbeitstag, Familie, Freunden und den schnöden Anforderungen des Alltags finden die meisten Menschen kaum mehr Zeit und Kraft für Besinnung und Reflexion, Kunst und Kultur – oder gar mittelalterliche Heldenepen. Selbst wenn man sich als Jugendlicher noch begeistert mit den großen philosophischen, politischen oder sozialen Fragen beschäftigt hat, bestimmt im Erwachsenenleben häufig ein Vorgesetzter, wofür man einen Großteil seiner intellektuellen Fähigkeiten einzusetzen hat – zumindest tagsüber. Abends übernimmt dann die Familie das Kommando. Das Denken kreist notgedrungen eher um die Hypothek auf dem Haus oder die Betreuungspläne für die Kinder als um die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Eine Weitwanderung ist eine hervorragende Gelegenheit, den Geist endlich einmal wieder frei schweifen zu lassen: Einerseits regt die Bewegung das Denken an, andererseits bindet das Laufen keine großen mentalen Kapazitäten. Kein Wunder also, dass viele Philosophen von Aristoteles bis Rousseau bevorzugt im Gehen sinnierten. Unterwegs liefern neben (Hör-)Büchern auch die Wege selbst neues Gedankenfutter: die Kultur und Geschichte der durchwanderten Landschaft, die Pflanzen und Tiere am Wegesrand oder Begegnungen mit anderen Wanderern. Auf Tour führe ich die intensivsten Gespräche, denn losgelöst vom Alltagsballast und hungrig nach Anregungen kann ich mich voll auf meine Gesprächspartner konzentrieren, die so viel aufrichtiges Interesse oft gar nicht mehr gewohnt sind.
Während man zu Hause ständig selektieren oder sich gar abschotten muss, um nicht mit Reizen überflutet zu werden, macht eine Weitwanderung den Kopf frei und damit Lust auf geistige Ausflüge. So wandert man nicht nur mit den Füßen, sondern auch mit den Gedanken zu neuen Zielen.
Eigentlich will ich heute noch mindestens fünfzehn Kilometer auf dem Salzburger Almenweg laufen und nur mal kurz aus Neugier in die Hütte hineinspähen. Doch kaum stehe ich in der Tür, packt mich auch schon ein älterer Herr am Ärmel. »Hock dich her zu uns!«, glaube ich seine Salzburger Mundart zu verstehen. Er nimmt mir in der voll besetzten Wirtsstube den Rucksack ab und drückt mich zwischen sich und zwei weiteren Männern in Lederhosen und Strickjanker auf eine hölzerne Eckbank. Dabei wollte ich doch gleich wieder gehen …
Auf dem Tisch stehen eine riesige Teekanne, mehrere Tassen und ein Hackbrett (nicht das Küchenutensil, sondern das Saiteninstrument). Mein neuer Freund bearbeitet es sogleich mit filzbezogenen Schlägeln und intoniert dazu mit lautem Bariton: »Da Pforra mocht d Predigt, da Metzga mocht d Wurscht. Da Glauben, der mocht selig und d Hitz mocht an Durscht!«
Lachend heben er und seine beiden Kameraden die Tassen und schieben mir ebenfalls eine zu, denn: »Wandern macht ja auch durstig!« Voller Erstaunen darüber, dass dieses muntere Herrentrio gesundheitsbewusst Tee trinkt, nehme ich einen großen Schluck – und muss sofort husten. Das Getränk ist mit einem ordentlichen Schuss Schnaps angereichert. Mein Sitznachbar klopft mir hilfsbereit auf den Rücken und ruft lautstark in die Schankstube: »Warum trinken Mäuse keinen Alkohol? – Weil sie Angst vorm Kater haben!« Schallendes Gelächter aller Gäste. »Was ist grün und sitzt auf dem Klo? – Ein Kaktus!«
Eine Stunde lang jagt ein Kalauer den nächsten, lediglich unterbrochen von den Lachsalven der Zuhörer – und kleinen Trinkpausen. Ich verstehe zwar rein sprachlich nur die Hälfte, muss mir aber trotzdem bald vor lauter Lachen den Bauch halten. Immer, wenn ich endlich aufbrechen will, kommt ein besonders guter Witz dazwischen, oder mir wird erneut nachgeschenkt. Als mal wieder ein Gstanzl ertönt, stoße ich meinen Sitznachbarn in die Rippen und frage, wer sie für diesen Auftritt engagiert habe.
»Niemand!«, antwortet er entrüstet. »Wenn uns Pensionisten unten im Tal zu langweilig wird, nehmen wir die Seilbahn hier herauf und machen ein bisserl Musik. Irgendein depperter Tourist gibt uns dann schon immer ein paar Schnäpse aus …«
Bald gesellt sich sogar der Wirt zum Musikertrio. Obwohl wir Mitte Juli haben, schwingt er sich einen hölzernen Schneeschieber über die Schulter und entlockt ihm mit einem Kochlöffel ein atemberaubendes Percussion-Solo. Als er den mit einem Strick bespannten Butterstampfer als Bass hinzunimmt, verstummt selbst das letzte Gespräch in der Stube, und alle Gäste lauschen der improvisierten Alpenkapelle.
Erst nach über drei Stunden stolpere ich aus der Hütte in die frische Abendluft. Mein Bauch schmerzt vom vielen Lachen, und ich bin ganz schön beschwipst. Die ungeplante Pause hat mein Tagesprogramm und damit wohl auch die Tourenplanung für die restliche Woche ziemlich über den Haufen geworfen. Trotzdem laufe ich höchst beschwingt weiter – denn beim Fernwandern ist mir das relativ egal!
Während ich in meinem vorherigen Leben als Managerin komplett durchgetaktet von einer Besprechung zur nächsten hetzte, habe ich jetzt lediglich zwei Termine am Tag: Sonnenauf- und -untergang. Hinzu kommen in meinem imaginären Wanderkalender zwei wichtige Jahresereignisse: der Beginn des Frühjahrs mit der Schneeschmelze, die die Saison im Hochgebirge eröffnet, und der Wintereinbruch, der sie dann wieder beendet. Ansonsten bin ich absolut frei in meiner Entscheidung, wann und wo ich wandere.
Trotz dreistündiger Verspätung könnte ich heute wie geplant fünfzehn Kilometer laufen, wenn ich in der Dunkelheit meine Stirnlampe einschalte. Oder ich schlage mein Zelt schon bei Sonnenuntergang auf und gehe dafür morgen früher los. Oder ich verkürze meinen nächsten Ruhetag, mache unterwegs weniger Pausen oder laufe eine Abkürzung. Die Entscheidung über diese vielen Möglichkeiten liegt ganz allein bei mir.
Selbst das Wetter hat nur einen geringen Einfluss. Anders als bei Rad- oder Kanutouren macht mir heftiger Wind zu Fuß eher wenig aus. Und im Dauerregen ist Wandern zwar ungemütlich, aber in vielen Gegenden genauso machbar wie Touren im Winter.
Beim Weitwandern habe ich unglaublich viel Freiheit und Flexibilität: Ich kann bei fast jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit irgendwo unterwegs sein. Zudem bin ich in kein starres Zeitkorsett gepresst, sondern lege meinen Tagesablauf nach Lust und Laune fest: Habe ich viel Energie, laufe ich mehr oder schneller. Bin ich müde, wandere ich eben weniger Kilometer. Habe ich eine spannende Begegnung, halte ich ein langes Pläuschchen. Und wenn ich etwas Interessantes am Wegesrand sehe, besichtige ich es einfach. Grenzen setzt auf einer Wandertour höchstens die Natur – alles andere bestimme ich selbst!
Ausgerechnet die als prüde verschrienen US-Amerikaner haben zwei ausgesprochen freizügige Wanderrituale: Am Ziel ihrer langen Tour lichten sich die Thruhiker gerne nackt oder zumindest leicht bekleidet ab, und der Tag der Sommersonnenwende ist in den USA inoffiziell der Naked Hiking Day, an dem viele im Adams- und Evakostüm in der Natur unterwegs sind – wenn Mücken und Temperaturen dies zulassen.
Auch von mir und neun Mitwanderern gibt es entsprechende Fotos vom nördlichen Terminus des Pacific Crest Trails. Obwohl strategisch platzierte Handschuhe und Schals die entscheidenden Körperstellen verdecken, darf ich diese Aufnahmen nicht öffentlich zeigen: Alle Beteiligten haben sich damals zur strengsten Geheimhaltung verpflichtet. Ich kann aber verraten, dass keiner von uns Chancen auf eine Modelkarriere gehabt hätte oder gar im Schwimmbad bewundernde Blicke auf sich ziehen würde. Denn obwohl wir nach über 4000 Kilometern zu Fuß natürlich alle ziemlich fit waren, glänzen die Herren nicht mit Sixpack-Muskeln, sondern zeigen entweder abgeschmolzene Bierbäuche oder sind abgemagerte Hungerhaken. Die Damen haben statt straffer Bikinifiguren Cellulite in unterschiedlichen Stadien und Hängebusen. Von der verwilderten Kopf- und Gesichtsbehaarung wollen wir gar nicht sprechen. Der auffallendste Hinweis auf fünf Monate Draußenleben ist die tan line: Unsere Oberkörper und Oberschenkel sind käsig weiß, Arme und Beine hingegen dunkelbraun gebrannt.
Trotz all dieser Makel präsentieren wir zehn vor Freude übermütig lachend unsere Körper. Warum? Weil wir unglaublich stolz auf sie sind! Unsere Füße haben uns treu Tausende von Kilometern durch ein ganzes Land getragen – und da ist es völlig egal, ob am Oberschenkel Orangenhautdellen prangen oder Krampfadern die Waden zieren. Die unrasierten Beine, die verschrammten Knie und die aufgekratzten Mückenstiche empfinden wir nicht als Schönheitsmakel, sie sind ganz im Gegenteil Symbole unserer Leistungen. Der tägliche Muskelkater und die steifen Gelenke sind keine lästigen Begleiterscheinungen, sondern Zeichen von Lebendigkeit.
Wir haben uns nämlich nicht in einem sterilen Fitnessstudio gequält, um Schönheitsidealen zu entsprechen. Wir haben unsere Körper dazu genutzt, wofür sie eigentlich geschaffen sind: zum Laufen! Wir Menschen sind nicht dazu gemacht, die Tage sitzend in einem Bürostuhl zu verbringen und uns dann auf einem Laufband mit Blick auf den Fernsehbildschirm zu bewegen. Nein, wir gehören nach draußen in die Natur!
Thruhiker erbringen körperliche Höchstleistungen, um sich ihre Träume zu erfüllen – nicht, um anderen Menschen zu gefallen oder Körpernormen zu entsprechen. Beim Langstreckenwandern geht es um das Glück von innen, nicht um die Anerkennung von außen.
Da Weitwanderer auf dem Weg durch die Natur wenig Kontakt mit der Zivilisation haben, verlieren auch andere gesellschaftliche Normen an Relevanz: Kleidung hat keine modischen Funktionen mehr, sondern vor allem praktische. Wie man darin aussieht, interessiert sowieso kein (Wild-)Schwein, und die Mitwanderer wirken ähnlich verwahrlost wie man selbst. Wichtig ist nur, dass die Bekleidung warm und trocken hält. Da Stil und Ästhetik in der Wildnis irrelevant werden, lassen die meisten männlichen Thruhiker außerdem das Rasierzeug zu Hause und legen sich einen zotteligen Vollbart zu, während viele Frauen ohne Make-up und BH wandern.
Doch der Körper ist kein bloßes Instrument zur Erreichung eines geografischen Zieles. Er wird selbst zum Quell der Freude, denn die Glücksmomente beim Weitwandern sind sehr direkt und physisch: völlig ausgehungert in einen Schokoriegel beißen, verschwitzt in einen kühlen See springen oder an einem kalten Tag warme Sonnenstrahlen auf der Haut spüren … Dieses körperliche Wohlbehagen ist so viel intensiver als die eher abstrakte Befriedigung im Berufsalltag. Eine Beförderung löst sicherlich ein Glücksgefühl aus, doch es dauert sehr lange, bis sich dieses über den Umweg der nächsten Gehaltszahlung, dem Abheben vom Geldautomaten und dem Kauf eines Konsumgutes auch in körperliche Zufriedenheit verwandelt.
Durch das Weitwandern werden Sie vermutlich ein paar Kilogramm abnehmen, aber in einen gut aussehenden Athleten werden Sie sich trotzdem nicht verwandeln – das wird Ihnen nach der Tour allerdings schnurzpiepegal sein. Selbst wenn Sie nicht allen Mode- und Schönheitsidealen entsprechen, werden Sie sich in Ihrem Körper ausgesprochen wohl, gesund und fit fühlen!
Prustend tauche ich aus dem badewannenwasserwarmen Swan River auf und greife sofort nach dem knallroten Kajak, das ich gerade absichtlich zum Kentern gebracht habe. Nachdem ich das Boot strampelnd wieder umgedreht habe, stemme ich meinen Oberkörper mühsam am Heck hoch, schwinge ein Bein darüber und robbe rittlings nach vorne ins Cockpit. Schon seit zwei Stunden übe ich diesen wet entry, also den Wiedereinstieg in ein gekentertes Boot. Keiner der vielen Ausflügler in diesem Vorort der westaustralischen Stadt Perth beachtet mich noch bei meinen tollpatschigen Bemühungen. Bei meinem australischen Freund und Paddellehrer Alan sieht das Manöver höchst elegant aus, ich hingegen wirke wohl eher wie ein gestrandetes Walross.
»Na, wie war ich?«, rufe ich vom Kajak aus Alan zu, der es sich am Ufer im Schatten seines Wohnmobils gemütlich gemacht hat. Doch anstatt meine Selbstrettungsübungen zu kommentieren, starrt er konzentriert auf seinen Laptop und reagiert überhaupt nicht. Dabei hatte sich der kundige Paddler sofort bereit erklärt, mir Privatunterricht zu geben, als ich ihm von meinem neuesten Plan erzählte: Ich will in einem halben Jahr den über 3000 Kilometer langen Yukon befahren, obwohl ich bisher so gut wie keine Paddelerfahrung habe. Also bereite ich mich jetzt in Australien auf Alaska vor.
Mit drei kräftigen Schlägen erreiche ich das sandige Ufer und klettere ungelenk aus dem Boot. »Also, dein Trip auf dem Yukon dürfte kein Problem werden«, erklärt mir Alan mit zufriedener Miene, als ich triefend vor ihm stehe.
»Echt jetzt? Bin ich schon so gut?«, frage ich freudestrahlend nach und wische mir das nasse Haar aus dem Gesicht. »Nein, das nicht!«, meint mein Outdoorfreund trocken und klappt das Laptop zu. »Du stellst dich immer noch an wie der letzte Mensch. Aber ich habe gerade den Schwierigkeitsgrad des Yukon recherchiert. Dort gibt es nur eine einzige Stelle mit Wildwasser-Stufe II. Der Fluss ist so einfach, dass ihn selbst du als blutige Anfängerin schaffen kannst …« Diese entwaffnende Ehrlichkeit macht mich einen Moment sprachlos, dann brechen wir beide in schallendes Gelächter aus.
Alan sollte recht behalten: Als ich diese Stelle, die sogenannten Five Finger Rapids, gut sechs Monate später passiere, werde ich von den Wellen zwar kräftig geduscht, flutsche mit meinem Boot jedoch wohlbehalten durch den engen Felskanal. Die Selbstrettungsmanöver, die ich so ausgiebig in Australien trainiert habe, muss ich auf dem Yukon glücklicherweise kein einziges Mal anwenden.
Wandern ist zwar meine erste und größte Liebe, aber zwischen meinen vielen Touren zu Fuß bin ich mittlerweile außerdem 6500 Kilometer gepaddelt und 30 000 Kilometer geradelt. Je länger ich draußen unterwegs bin, desto mehr Tourenideen bekomme ich. Mal eben den Yukon befahren? Wird sicherlich auch ohne viel Erfahrung klappen! Oder einmal längs durch Japan radeln? Tolle Idee, selbst wenn ich kein Wort Japanisch spreche und schon zum Reifenwechsel eine Stunde brauche! Früher hätte ich solche Trips gar nicht in Betracht gezogen. Doch seit meiner ersten Langstreckenwanderung gibt es nur noch sehr wenig, was ich mir nicht zutraue. Ein paar Hundert oder gar Tausend Kilometer zu Fuß zu gehen stärkt das Selbstvertrauen enorm und verhilft zu einer realistischen Selbsteinschätzung, denn natürlich werde ich nicht auf Anhieb den Mount Everest besteigen. Deshalb stürze ich mich auch nicht Hals über Kopf in meine Projekte, sondern bereite mich bestmöglich vor, zum Beispiel mit Rettungsübungen auf den Yukon und Fahrradreparatur- und Sprachkursen auf Japan.
Am Ende hat mich die Erfahrung immer wieder gelehrt, dass man viel mehr schaffen kann, als man von sich selber glaubt oder einem von anderen zugetraut wird. Weitwandern eignet sich ideal zum Austesten der eigenen Möglichkeiten, da man ohne hohen vorherigen Einsatz sehr schnell großartige Erfolgserlebnisse erzielt. Besondere Fähigkeiten und Kenntnisse sind dabei genauso wenig vonnöten wie ausgeprägte Fitness. Jeder, der einen Fuß vor den anderen setzen kann, kann fernwandern. Man benötigt kein teures Equipment und kommt mit einem minimalen Budget zurecht.
Das neu erworbene Selbstbewusstsein und die Erkenntnis, mit wie wenig man auskommen kann, verschaffen einem nicht nur neue Perspektiven im Outdoorbereich, sondern helfen gleichzeitig immens im beruflichen und privaten Kontext. Wer Gewitter oder Grizzlybären überstanden hat, verliert die Angst vor einem Vorstellungsgespräch oder einer klärenden Aussprache. Wer tagelang marschiert ist, hält anstrengende Arbeitsphasen besser durch. Und die Erfahrung, wie weit man mit minimaler Finanzkraft und Ausrüstung kommt, reduziert Existenz- und Zukunftsängste drastisch.
Jeder Mensch hat Wünsche und Träume, doch die meisten halten sie aus den unterschiedlichsten Gründen für unerreichbar. Mir hingegen erscheint mein Leben mittlerweile wie ein bunter Hochglanzkatalog voller verlockender Angebote, aus denen ich lediglich auswählen muss. Meine zahlreichen Touren haben mir immer wieder gezeigt, dass viele vermeintliche Hinderungsgründe ausschließlich in den Köpfen der Menschen existieren, nicht jedoch in der Realität.
»Ich würde ja auch gerne mal eine solche Wanderung machen, aber …« Diesen Satz, gefolgt von einer mehr oder minder nachvollziehbaren Erklärung, höre ich ständig. Sicherlich gibt es plausible Gründe, warum jemand wirklich nicht losziehen kann – zumindest im Moment nicht. Doch »nicht fit genug, zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu alt, zu gefährlich« sind meist keine realistischen Hinderungsgründe. Weil diesen Einschätzungen oft völlig falsche Vorstellungen zugrunde liegen, sollen potenzielle Weitwanderer in diesem Kapitel Punkt für Punkt eine schlüssige Entscheidungsgrundlage bekommen.
Die Journalistin hatte sich mit mir zu einer kleinen Wanderung verabredet, weil sie neben dem Interview ein paar Actionfotos im Wald machen wollte. Acht Kilometer lang wanderten wir bei eisigen Temperaturen und leichtem Nieselregen durch das Berliner Umland. Zu meiner großen Erheiterung konnte ich danach in den Stuttgarter Nachrichten lesen: »Christine Thürmer sieht aus wie eine Frau, der man auch nicht mehr als acht Kilometer zutrauen würde. Keine schlanke, sportliche Figur, eher der Typ gemütlich.«
Mit dieser Beschreibung hat die Journalistin völlig recht. Ich sehe in der Tat nicht aus wie einer der meistgewanderten Menschen weltweit – ganz im Gegenteil: Mein Hausarzt hat mir schon mehrfach nahegelegt, mindestens fünf Kilogramm abzunehmen, und mein Orthopäde ist der Ansicht, dass ich sowohl Plattfüße als auch X-Beine habe. Ohne meine Brille bin ich blind wie ein Maulwurf, ich bin weder komplett schwindelfrei noch habe ich einen guten Orientierungssinn. Meine Gehweise hat einer meiner Wanderfreunde einmal diplomatisch so beschrieben: »Grace and elegance is not your middle name – Grazie und Anmut sind nicht dein zweiter Vorname.«
Trotzdem bin ich damit sogar deutlich fitter als einige andere erfolgreiche Thruhiker. Der Amerikaner Lloyd Fink zum Beispiel wog 156 Kilogramm, als er 2013 auf dem Appalachian Trail startete. Aufgrund seines gewaltigen Bauchumfanges konnte er weder mit den Händen seine Zehen berühren noch mit der Nase seine Knie. Doch Fink hörte auf zu rauchen und zu trinken und schwor, dass er sich das nächste Bier erst am nördlichen Endpunkt des Trails auf Mount Katahdin genehmigen würde. Uke, wie er aufgrund seiner mitgeführten Ukulele genannt wurde, musste sieben Monate lang auf dieses Bier warten. Als er dann Mount Katahdin tatsächlich erreichte, hatte er 45 Kilogramm abgenommen.
Seine Geschichte ist der lebende Beweis für eine alte Thruhiker-Weisheit: Ob man eine Langstreckenwanderung schafft, hängt nur zu etwa 20 Prozent von der physischen Leistungsfähigkeit ab, aber zu 80 Prozent von der inneren Einstellung. Die große Herausforderung ist nicht, zehn, zwanzig oder dreißig Kilometer am Tag zu wandern. Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, es jeden Tag wieder zu tun. Und dazu braucht man weniger körperliche Fitness als mentales Durchhaltevermögen.
Oder wie Bill Irwin, der erste blinde Appalachian-Trail-Thruhiker, es einmal ausdrückte: »Das Schwierigste auf dem Trail ist, diese zwölf Zentimeter zwischen deinen Ohren zu kontrollieren.« Der Fünfzigjährige wanderte 1990 die 3500 Kilometer lange Strecke ohne GPS-Unterstützung lediglich mithilfe seines Blindenhundes Orient, was den beiden den Trailnamen Orient Express einbrachte. Da Irwin den Weg nicht sehen konnte, zerbrach er bei seinen unzähligen Stürzen sechs Trekkingstöcke.
Die in Stuttgart geborene Niki Rellon bewies höchst eindrucksvoll, dass jeder ein potenzieller Weitwanderer ist, der irgendwie einen Fuß vor den anderen setzen kann: Die Vierzigjährige lief den gesamten Appalachian Trail mit einer Beinprothese – und das gerade mal vierzehn Monate nachdem ihr der Unterschenkel infolge eines Kletterunfalls amputiert worden war. Ihr Motto: »Gib niemals im Leben auf!«
Irwin und Rellon sind nur zwei Beispiele von vielen, denn Menschen mit den unterschiedlichsten Handicaps haben die langen US-amerikanischen Trails bewältigt und damit gezeigt, zu welchen Leistungen Menschen trotz körperlicher Einschränkungen fähig sind. Im Vergleich dazu ist mangelnde Fitness kein ernst zu nehmendes Hindernis, zumal sich die körperliche Leistungsfähigkeit im Laufe einer Wanderung auch noch verbessert. Zu Beginn einer Tour kann man eine schlechte Kondition mit folgenden Maßnahmen gut kompensieren:
Ultraleicht wandern:
Gerade für untrainierte Menschen ist es besonders wichtig, mit einem möglichst leichten Rucksack zu starten, da das Wandern umso anstrengender wird, je mehr Gewicht man auf dem Rücken trägt. Auf meine erste Langstreckenwanderung habe ich mich deshalb nicht im Fitnessstudio, sondern ausschließlich am Schreibtisch vorbereitet. Natürlich ist es sinnvoll, vor einer langen Tour ein wenig zu trainieren. Doch wenn Sie für die Vorbereitung nur begrenzt Zeit zur Verfügung haben, konzentrieren Sie sich vor allem auf die Gewichtsoptimierung Ihrer Ausrüstung – Körpergewicht werden Sie dann unterwegs von ganz allein verlieren.
Einfache Strecken wählen:
Versuchen Sie nicht, gleich am ersten Tag 2000 Höhenmeter über verharschte Altschneefelder aufzusteigen oder fünf reißende Flüsse zu durchqueren. Nach ein paar Wochen auf dem Trail werden Sie solche Kleinigkeiten mit links schaffen, zu Beginn einer Weitwanderung sollten Sie sich allerdings auf einer einfachen Strecke einlaufen.
Langsam starten:
Niemand zwingt Sie, von Anfang an Tagesetappen von dreißig Kilometern und mehr zu laufen. Geben Sie Ihrem Körper Zeit, sich an das Wandern zu gewöhnen – das geht schneller, als Sie glauben.
Eigenes Tempo gehen:
Versuchen Sie auf keinen Fall, mit schnelleren Wanderern mitzuhalten, sondern laufen Sie konsequent Ihr eigenes Tempo. Wenn Sie sich überfordern, werden Sie rasch die Lust am Wandern verlieren und die Tour womöglich sogar wegen Überlastungserscheinungen abbrechen müssen.
Die Vorstellungen darüber, wie viel Geld man für eine Langstreckenwanderung braucht, gehen drastisch auseinander. Es gibt Menschen, die haben mehrere Hunderttausend Euro auf dem Konto und trauen sich dennoch nicht loszuwandern aus Angst, danach nie mehr einen Job zu finden. Und dann gibt es solche, deren Budget so knapp ist, dass es bei der Rückkehr in die Heimat nicht mal mehr für ein U-Bahn-Ticket reicht.
Der individuelle Finanzbedarf kann je nach Tourenart, Reiseland und Komfortanspruch sehr unterschiedlich ausfallen. Wer nur ein paar Urlaubswochen unterwegs ist, budgetiert anders als jemand in einem Sabbatjahr. Bei der Kalkulation der eigenen Ausgaben betrachtet man daher am besten die einzelnen Kostenblöcke getrennt. Dabei sind an dieser Stelle sowohl Durchschnittswerte aufgeführt, mit denen man eine Weitwanderung möglichst preiswert, aber ohne große Entbehrung meistern kann, als auch das absolute Minimalbudget. Nach oben hin ist natürlich immer Luft: Wer nicht aufs Geld schauen muss und sich gerne etwas Luxus gönnt, kann selbstverständlich deutlich mehr ausgeben.
Wenn man in Supermärkten einkauft und selber kocht, kommt man mit durchschnittlich 10 Euro am Tag oder 300 Euro im Monat für Essen aus. Spezielle Trekking- oder Sportnahrung sind mit diesem Budget allerdings nicht drin – aber die gibt es in den Tante-Emma-Läden am Wegesrand sowieso nicht zu kaufen. Restaurantbesuche sind damit ebenfalls nicht abgedeckt, wobei es entlang der US-amerikanischen Fernwanderwege ohnehin nicht viele Einkehrmöglichkeiten gibt. Mit 10 Euro isst man je nach Land unterschiedlich gut: Da Deutschland so ziemlich die niedrigsten Lebensmittelpreise der westlichen Welt hat, kann man sich hierzulande mit diesem Budget geradezu luxuriös verpflegen, während man in den vermeintlichen Billigländern Osteuropas für denselben Warenkorb mehr ausgeben müsste. Dort sind lediglich lokal produzierte Lebensmittel preiswerter, Importware ist dafür deutlich teurer als bei uns. Noch schwieriger wird es in den nordeuropäischen Hochpreisländern, die zudem Süßwaren besonders stark besteuern. Extrembeispiel ist Norwegen, wo eine Tafel Schokolade drei- bis viermal so viel kostet wie in Deutschland. Als ich mich auf meinem Weg zum Nordkap zum Geburtstag mit Schokolade beschenken wollte, kostete die billigste 100-Gramm-Tafel im norwegischen Supermarkt 5 Euro. Ich habe daraufhin mit Knäckebrot gefeiert …
Weniger als 10 Euro pro Tag sollte man in keinem westlichen Land ansetzen, denn kaum etwas kann die Laune eines Wanderers so sehr heben – oder vermiesen – wie die Verpflegung.
Als Weitwanderer kann man fast immer entlang des Weges wild und damit gratis zelten. US-amerikanische Thruhiker haben in der Wildnis sowieso keine andere Wahl. Unterkunftskosten fallen so ausschließlich während der Ruhetage an, die man aus logistischen Gründen meist in der Stadt verbringt. Bei einem Ruhetag pro Woche sind also mindestens vier Übernachtungen pro Monat zu kalkulieren, die je nach Land unterschiedlich teuer ausfallen. Trail angels, die Wanderer kostenlos beherbergen und versorgen, gibt es leider nur in den USA entlang der populären Wege. Hospitality-Plattformen wie Couchsurfing sind lediglich begrenzt nützlich, weil es in den kleinen Orten entlang der Fernwanderwege sehr wenige potenzielle Gastgeber gibt. Pilger können zwar die preiswerten Pilgerherbergen nutzen, für die sie je nach Land etwa 5 bis 25 Euro pro Nacht berappen müssen. Dieser Betrag wird dann allerdings jeden Tag fällig, weil Pilger in der Regel ohne Zelt unterwegs und damit immer auf Unterkünfte angewiesen sind.
Da kaum ein Fernwanderer Tütengerichte vom Campingkocher essen will, wenn nebenan All-you-can-eat-Büfetts locken, sollte man in der Stadt das Budget für Essen aufstocken. Wenn Pilger auf dem spanischen Jakobsweg nicht in der Herbergsküche kochen, sondern täglich essen gehen, haben sie trotz preiswerter Pilgermenüs hierbei die höchsten Ausgaben. Dazu kommen noch Kosten fürs Wäschewaschen oder für den Besuch von Sehenswürdigkeiten.
Nach wochenlanger Höchstleistung bei schlechter Verpflegung und primitiven Hygienemöglichkeiten braucht man manchmal etwas Luxus, sonst verliert man schnell die Lust am spartanischen Outdoorleben. Umso länger man unterwegs ist, desto wichtiger wird ein solches Verwöhnprogramm an den Ruhetagen. Je nach persönlicher Vorliebe und Geldbeutel kann das alles beinhalten – vom extra Stück Kuchen in der Bäckerei bis hin zum zusätzlichen Ruhetag in einem schicken Hotel. Wichtig ist, dass man sich dieses bisschen Extra-Komfort als Kontrast zum reduzierten Leben auf dem Trail hin und wieder ganz bewusst genehmigt und genießt.
Bei vier bis sechs Stadtübernachtungen pro Monat, den dazugehörigen Mehrkosten für Restaurantbesuche und einem kleinen kulturellen und kulinarischen Verwöhnprogramm kalkuliere ich etwa 300 Euro im Monat. Pilger ohne Campingausrüstung sollten entsprechend ihren Ansprüchen an die Unterbringung einen höheren Betrag ansetzen.
Wenn man die Zahl der Stadtbesuche reduziert oder gar ganz darauf verzichtet und während der Ruhetage spartanisch lebt, kann man bei diesem Budgetposten sicherlich deutlich sparen. Allerdings braucht es dafür gerade auf den populären Trails eine Menge Willensstärke. Viele nordamerikanische Thruhiker enden sogar mit hohen Kreditkartenschulden, weil in den trail towns die sozialen Zwänge stärker sind als alle guten Vorsätze: Man will seinen neuen Kumpels eben nicht nur beim Biertrinken zuschauen oder vor der Stadt im Zelt schlafen, während sich alle anderen ein Hotelzimmer teilen …
Selbst wenn man zu Beginn einer Wanderung schon die komplette Ausrüstung beisammen hat, wird man auf langen Touren unterwegs einiges davon austauschen, reparieren oder neu kaufen müssen. Trailrunning-Schuhe, in denen Langstreckenwanderer typischerweise laufen, müssen alle vier bis sechs Wochen ersetzt werden – und die Socken meist gleich mit. Hinzu kommen Verbrauchsgegenstände wie Batterien für das GPS-Gerät, Sonnencreme, Mückenschutz und vor allem Brennstoffe wie Gaskartuschen oder Spiritus.
Da teure Elektronik wie Smartphone oder GPS-Gerät unterwegs unerwartet kaputtgehen kann, ist ein größerer finanzieller Puffer in puncto Ausrüstung sinnvoll. Auf Tour nützt ein Garantieanspruch zudem nur wenig, weil das defekte Produkt zunächst zur Begutachtung eingeschickt werden muss und eine Ersatzlieferung nicht immer an den aktuellen Standort erfolgen kann. Selbst wenn der Hersteller das kaputte Gerät später ersetzt, wird man vor Ort erst einmal Ersatz beschaffen müssen, um die Wanderung ohne Unterbrechung fortsetzen zu können. So musste ich unterwegs bereits zwei defekte GPS-Geräte, ein schwächelndes Smartphone und ein halbes Dutzend Isomatten neu kaufen – obwohl ein Garantiefall vorlag.
Ebenfalls zu berücksichtigen sind die Kosten für den Transport zum und vom Start- und Endpunkt einer Wanderung sowie Zug-, Bus- oder sogar Taxikosten unterwegs, um vom Trail für einen Ruhetag oder zum Einkaufen in die Zivilisation zu kommen – sofern man nicht per Anhalter fährt. Da sich die An- und Abreisekosten im Verhältnis zu den restlichen Ausgaben umso mehr relativieren, je länger man unterwegs ist, unternehme ich persönlich keine Wanderung unter 1000 Kilometer.
Je nach persönlichem Pech bei Geräteausfällen und Höhe der Reisekosten kann dieser Budgetposten ganz unterschiedlich ausfallen. Ich kalkuliere hierfür etwa 250 Euro im Monat und würde niemandem raten, weniger als 100 Euro anzusetzen – so viel kosten ja schon allein die Schuhe.
Wenn man gleich für mehrere Monate loszieht, ist eine der finanziell bedeutsamsten Fragen: »Was mache ich mit meiner Wohnung oder meinem Haus?« Leer stehen lassen und weiterbezahlen ist am einfachsten, aber auch am teuersten. (Unter-)Vermieten ist vertraglich nicht immer möglich, birgt einige Risiken und ist deshalb keine Option für jeden. Den Mietvertrag zu kündigen macht nur bei wirklich sehr langen Touren Sinn. Wer seinen Hausrat bei Untervermietung oder Kündigung einlagert, muss je nach Größe des Lagerabteils mit Kosten zwischen 50 und 100 Euro im Monat rechnen – es sei denn, man kann umsonst den Keller von Eltern oder Freunden nutzen.
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