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Groß sind die Schwierigkeiten für den Durchforscher vergangener Zeiten, wo es gilt, zu den Quellen hindurchzudringen, Wahrheit und Irrtum zu scheiden und die unentstellten Tatsachen zu ergründen. Gerade neueste Forschungen haben gezeigt, dass unser gerühmtes Wissen oft nur Stückwerk ist, "Tropfen aus der Ewigkeit", und dass vieles nur wie "flüsternde Gerüchte" in Gestalt von Sage und Legende zu uns gekommen ist. Besonders schwierig aber gestaltet sich die Aufgabe, die Geschichte der Kirche Christi auf Erden in ihrem inneren Zusammenhang, wahrhaft und unbeirrt durch die spielenden Lichter menschlicher Leidenschaften, zu erforschen, da fast alles durch die Brillen der mancherlei Parteien und Sekten Farbe erhält und vieles in Wirklichkeit ganz anders aussieht und von Gott ganz anders gewertet wird, als es dem schnöden Menschenauge erscheint. Die Ausführungen in diesem Werk wollen daher anhand einiger Beispiele in kurzen Abrissen den inneren Zusammenhang darlegen und eine Ahnung davon erwecken, welch großartige, wunderbare Einheit den Weissagungen der Heiligen Schrift zugrunde liegt und in wie staunenswerter Weise diese, lange vor Eintritt der Begebenheiten gegebenen, Offenbarungen über Welt und Kirche mit den Ereignissen und Erfahrungen des Völkerlebens übereinstimmen. Möge die erfüllte Vergangenheit uns ein Unterpfand für die Zukunft sein, möge sie der Christenheit zurufen: "Er kommt!"
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Seitenzahl: 358
Welt- und Kirchengeschichte in der Bibel
Betrachtungen und Studien
KARL VON MICKWITZ
Welt- und Kirchengeschichte in der Bibel, Karl von Mickwitz
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849680389
Textquelle: "Edition Albury - Sammlung Peter Sgotzai des Netzwerks Apostolische Geschichte e.V.", bei der wir uns sehr für die freundliche Genehmigung der Nutzung des Textes bedanken.
www.jazzybee-verlag.de
EINLEITUNG.. 1
ERSTER ABSCHNITT: WELTGESCHICHTE IM BUCH DES PROPHETEN DANIEL5
I. DAS MONARCHENBILD (DAN. 2)7
II. DIE VIER TIERE UND DES MENSCHEN SOHN (DAN. 7)23
III. DAS GRÖSSTE EREIGNIS DER WELTGESCHICHTE (DAN. 9)45
IV. EINIGE WEITERE AUFSCHLÜSSE (DAN. 10-12)69
ZWEITER ABSCHNITT: KIRCHENGESCHICHTE IN DEN SIEBEN GLEICHNISSEN, SENDSCHREIBEN UND BITTEN DES VATERUNSERS (MATTH. 13, OFFB. 2-3, MATTH. 6,5)76
I. VOM HIMMEL DURCH DIE WELT.. 82
II. ZURÜCK ZU GOTT.. 94
DRITTER ABSCHNITT. WEITERE KIRCHENGESCHICHTLICHE BETRACHTUNGEN125
I. DAS REICHSGEHEIMNIS IN DEN SIEBEN SIEGELN... 125
II. DIE ARBEITER IM WEINBERG DES HERRN (MATTH. 20, 1—15)157
III. DAS GLEICHNIS VOM WEIZENKORN.. 183
IV. ZWISCHEN SECHS UND SIEBEN.. 187
DAS ENDE.. 210
So armselig erscheint unser Bemühen im Vergleich zur Größe der Aufgabe. Abweichend und verschiedenartig werden schon Erlebnisse der Gegenwart von Augenzeugen erzählt. Wie schwer wird es oft, den wirklichen Tatbestand dem Gewirr widersprechender Zeugnisse zu entnehmen.
Viel größer werden die Schwierigkeiten für den Durchforscher vergangener Zeiten, wo es gilt, zu den Quellen hindurchzudringen, Wahrheit und Irrtum zu scheiden und die unentstellten Tatsachen zu ergründen. Gerade die neuesten Forschungen haben gezeigt, dass unser gerühmtes Wissen nur Stückwerk war, „Tropfen aus der Ewigkeit“, und dass vieles nur wie „flüsternde Gerüchte“ in Gestalt von Sage und Legende auf uns gekommen ist.
Besonders schwierig aber gestaltet sich die Aufgabe, die Geschichte der Kirche Christi auf Erden in ihrem inneren Zusammenhang, wahrhaft und unbeirrt durch die spielenden Lichter menschlicher Leidenschaften, zu erforschen, da fast alles durch die Brillen der mancherlei Parteien und Sekten Farbe erhält und vieles in Wirklichkeit ganz anders aussieht und von Gott ganz anders gewertet wird, als es dem blöden Menschenauge erscheint.
Dies berührt schmerzlich die nach Erkenntnis dürstende Seele. Die Einheit geschichtlicher Tatsachen ist unzweifelhaft vorhanden. Nicht blinder Zufall spielt herzlos mit dem Schicksal der Menschen; es ruht in der Hand des lebendigen Gottes. Sein majestätischer Wille, Seine weise und erhabene Vorsehung lenken die Geschicke der Völker im Ganzen und im Einzelnen, im weltlichen und geistlichen Leben nach einem festen Plan und Ratschluss zu den von Ewigkeit her vorgesetzten Zielen.
Dieser Plan, dieser Ratschluss ist enthalten in der Heiligen Schrift, der Gabe dessen, von dem der Psalmist sagt:
„Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war, und waren alle Dinge auf Dein Buch geschrieben, die Tage, die noch werden sollten und deren keiner war.“ (Ps. 139, 16). So ist es. In der Bibel haben wir die wahrheitsmächtige Urkunde aller Dinge, die in gewaltigen Zügen die Geschichte der Menschheit, die Geschichte des Reiches Gottes auf Erden, von den ersten Anfängen an und weit über die Grenzen der Gegenwart hinaus uns darbietet und zwar so, wie Gott sie anschaut. Darum bezeugt der Apostel Petrus schon von den alten Propheten: „Sie haben darin gesucht und geforscht, auf welche oder welcherlei Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war.“ (1. P. 1,11).
Wenn uns nun in unseren Tagen hier auf der Erde dunklen Gefilden wirklich je länger je bänger zumute wird, sollten wir uns nicht getrösten dürfen des Wortes des Propheten Jesaja (8, 23): „Es wird nicht dunkel bleiben über denen, so in Angst sind.“?
Wenn die Ereignisse wie Donner Gottes zu uns reden; wenn es wie Posaunenton über die Erde tönt und wie Jubelruf zum Himmel steigt: „Der Herr ist nah!“ „Komm, HErr Jesu!“ sollten wir da nicht auch forschen und fragen dürfen: wo? und wohin? Wo befinden wir uns in der Erfüllung des Ratschlusses Gottes mit der Menschheit, mit der Kirche? Was liegt hinter uns nach der göttlichen Urkunde? Wohin gehen wir? Welche Schwelle neuer Ereignisse stehen wir im Begriff zu überschreiten?
Der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. So wir nun bleiben im Gehorsam des Glaubens und in der Lehre der Apostel sollten wir da nicht hoffen dürfen, einige Antwort auf diese Fragen, insbesondere in Bezug auf das kommende Reich Christi und die Vollendung der jetzt so schwer geängstigten Kirche zu erhalten, einiges Licht wenigstens über die nächsten Schritte zu empfangen?
Wie in der Geschichte des Lebens Jesu alles geschah, auf dass die Schrift erfüllet würde, so geschieht auch in der Reichsgeschichte Jesu alles, auf dass der offenbarte Ratschluss und Wille Gottes erfüllt werde. Wie man das Leben Jesu bis in die Einzelheiten beschreiben kann, ohne andere als Schriftworte zu gebrauchen, weil alles genau vorher verkündigt war, so ist auch alles vom Reich Christi, von Seinem Kommen und Werden, „von den Leiden, die in Christo sind und der Herrlichkeit danach“ (1. P. 1,11) in der Heiligen Schrift vorausgesagt. Und der Apostel Paulus bezeugt ausdrücklich: „Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.“ (Röm. 15,4) Die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.
Jetzt sehen wir noch „durch einen Spiegel in einem dunklen Wort“ (1. Kor. 13,12), einst, wenn Sein Licht und Seine Wahrheit uns ganz erfüllen, werden wir auch die Geschichte des Leibes Christi, die Geschichte der Kirche, mit Schriftworten geben können.
Auch jetzt schon, wo so vieles noch vor unseren Augen verborgen ist, dürfen wir von Seinem Tun ein geringes Wörtlein vernehmen (Hiob 26,14) zu unserem Trost. Doch sollen wir nie vergessen, dass unser Wissen und Weissagen Stückwerk ist, Raum lassend weiteren Ergänzungen, größerem Licht, bis das Vollkommene erschienen ist.
Die folgenden Ausführungen wollen daher nur, eingedenk obiger Beschränkung, an einigen Beispielen in kurzen Abrissen den inneren Zusammenhang darlegen und eine Ahnung davon erwecken, welch großartige, wunderbare Einheit den Weissagungen der Heiligen Schrift zugrunde liegt und in wie staunenswerter Weise diese, lange vor Eintritt der Begebenheiten gegebenen, Offenbarungen über Welt und Kirche mit den Ereignissen und Erfahrungen des Völkerlebens übereinstimmen. Möge die erfüllte Vergangenheit uns ein Unterpfand für die Zukunft sein, möge sie der Christenheit zurufen: „Er kommt!“
Und noch eins soll hier hervorgehoben werden. Gottes Macht und Weisheit wird in der Schöpfung erkannt; Seine ganze Allmacht, Sein eigenstes Wesen aber werden erst in der Aufrichtung Seines Reiches und in der Vollendung Seiner Kirche offenbar.
Da dürften Betrachtungen darüber besonders geeignet sein für solche, die sich in herzlicher Demütigung auf das Kommen des HErrn bereiten. Denn solche Betrachtungen zeigen uns nicht nur klar die Nähe des großen und schrecklichen Tages des HErrn, sondern sie zeigen uns auch durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch, auf Schritt und Tritt, in lichten Bildern auf dunklem Grunde: die Allmacht, die Heiligkeit und das unergründliche Erbarmen Gottes; und daneben die völlige Untauglichkeit, ja das „Garnichts“ (Ps. 39,6) aller Menschenkinder. So führen sie zur Buße und können dazu dienen, in stiller Selbstprüfung und schmerzlicher Selbsterkenntnis sich völliger hinzugeben dem Wehen des Heiligen Geistes, der wie ein verzehrendes Feuer uns jetzt von aller Eigenliebe und Überhebung reinigen und uns mit göttlichem Abscheu vor allem Größenwahn eigener Vortrefflichkeit erfüllen will.
In dieser Zeit des Wartens dürften solche Betrachtungen uns anfeuern, die Herzen zu Gott zu erheben. Sie dürften geeignet sein, uns die unzerstörbare Einheit, die Einheit aller Glieder des Leibes Christi, vom ersten bis zum letzten, lebendig vor die Augen zu malen. Sie dürften geeignet sein, das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Teilnahme jedes einzelnen an der Sünde aller und das Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortlichkeit aller für alle in uns zu stärken.
So werden wir darin gefördert werden, tatsächlich mitzuleiden mit jedem leidenden Gliede und mitzufühlen die tausendfachen Schmerzen, die den Leib Christi, die Kirche, zerreißen. So wird in uns die wahrhaft katholische Gesinnung zunehmen, und wir werden besser als bisher unsere schwere Gesamtschuld erkennen und sie vor Gott bringen können und Seine Hilfe erflehen. Wir werden angeregt werden, besser auf die Zeichen der Zeit mit wachsamen Augen und mit klopfendem Herzen zu achten und die Freude Jesu zu teilen, die Sein Herz empfindet im Hinblick auf die nahe Stunde der seligen Vereinigung mit den Seinen zu ewiger Herrlichkeit. Und selig sind, die der HErr wachend findet!
Die Weissagungen - eine Mitgabe auf die Lebensreise
Es lebt noch eine uralte Sage von einem köstlichen Edelstein, der bei der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus den Pforten des Paradieses fiel; der, später zu einer Schale verarbeitet, dem HErrn bei Ausspendung des ersten Abendmahles und Joseph von Arimathäa zum Auffangen der vom Kreuz niederfallenden Blutstropfen diente. Endlich, frei in der Luft über dem Altar eines eigenen Heiligtums schwebend, barg diese, mit Paradieseskräften ausgestattete Diamantschale, das Heil der Menschen in sich.
Hüter und Pfleger dieses Heiligtums zu sein, galt als höchste Ehre vor Gott und Menschen und zugleich als höchste Seligkeit, die ein Mensch auf Erden erlangen kann. Doch musste der Mensch, dem das Heil angeboten ward, danach fragen, wenn er es erlangen sollte.
Der geheimnisvolle Sinn der Sage berührt die tiefsten Fragen der Menschheit. Der aus dem Paradiese gefallene Edelstein, des Menschen höchster Schatz, gleicht der Weissagung, der Verheißung, die der Mensch aus dem Paradiese mitbekam, die leuchtend sein dunkles Leben erhellen und seine Seele mit lebendiger Hoffnung erfüllen sollte, wenn er nach ihr fragt.
Schon in der ersten Verheißung vom Zertreten des Schlangenhauptes und dem Fersenstich glänzt es vom Blute des Erlösers; erklingt es aber auch vom Siege über den Drachen, die alte Schlange, den Todfeind Gottes und der Menschen. Und immer deutlicher und bestimmter werden die Verheißungen, immer mächtiger flutet das Licht der Weissagung in die Menschheit. Schon Henoch, der siebente von Adam, weissagte: „Siehe, der HErr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle!“ Und all die großen und kleinen Propheten des Alten Bundes und die Apostel und Propheten im Neuen Testament, sie reden und zeugen von dem Werke Gottes, das mit der Erschaffung der Menschen begann und das Gott, über Gethsemane und Golgotha hinaus, durch die Jahrtausende, trotz der Schwäche und Gebrechlichkeit des Menschen, trotz aller Kräfte der Hölle und der Bosheit der Welt und ihres Fürsten, bis zur Vollendung hindurchführt, das heißt bis zur Aufrichtung des Reiches Jesu Christi, des Königreiches Gottes auf Erden. Von diesem Reich sagt der König desselben uns selbst, dass es denen, die es ererben werden, bereitet ist von Anbeginn der Welt.
Dieses Reich ist der Traum der gefallenen Menschenseele, die Sehnsucht der armen Sterblichen, das ängstliche Harren der stummen Kreatur. Es ist die Wiederbringung des verlorenen Paradieses; nein, eines tausendfach herrlicheren Zustandes für die Erde und ihre Bewohner, die Menschen. Um dieses Reiches willen ist die Welt da; und alles, was in ihr geschieht, steht mit diesem Endziel im Zusammenhang und ist der Weg zu ihm. Bei der Macht und Wut des Teufels, bei der Gebundenheit und Schwäche des Menschen scheint es zwar unmöglich, ein solches Reich zu errichten; aber bei Gott sind alle Dinge möglich. Wenn es nun erschienen sein wird, wie es vorher verkündigt ist, dann werden die Menschen erkennen, wie noch nie, dass Er der Allmächtige ist, dem nichts unmöglich ist.
Wer kann was verkündigen von Anfang oder weissagen zuvor? Gott ist es allein, der verborgene Dinge offenbaren kann und verkündigen, was hernach kommen wird. Wie David Ihn schon preisen durfte: „Du hast dem Hause Davids, Deines Knechtes, auch von fernem Zukünftigem geredet. Das ist die Weise eines Menschen, der Gott der HErr ist“ (2. Sam. 7, 19).
Wenn Gott so große und ferne Dinge vorhersagt, Dinge, die zum Teil erst nach Jahrtausenden geschehen sind oder noch geschehen werden in Seinem Reich, so kann der Mensch erkennen, dass Er der wahre Gott ist, und dass wir in der Heiligen Schrift wirklich Gottes Wort haben.
Und dies Wort ist uns anvertraut, es ist unser Schatz. Seine Verheißungen sind unser geheimnisvolles Kleinod, das noch aus dem Paradies stammt, die frohe Botschaft aus der längst verlorenen Heimat. Sie sind es, in denen Gott mit uns nach Paradieses-Art noch heute persönlich verkehrt. Wir dürfen Hüter und Pfleger dieses Kleinods sein.
Nach diesem Schatz wollen wir fragen, in stetem Anschauen desselben leben, so wird das Herz nicht alt; wir bleiben jung in lebendiger Hoffnung.
So fragten auch Nebukadnezar (Dan. 2) und Daniel (Kap. 7) nicht vergeblich, und wir wollen von ihnen fragen lernen und mit ihnen Trost empfangen. Ja, wir werden viel herrlicher getröstet werden, zumal wir sehen, wie nah das verborgene Reich Gottes und die Erfüllung der Sehnsucht gekommen, die so alt ist wie die Menschheit.
Vor 2600 Jahren hatte der König Nebukadnezar Gedanken auf seinem Lager und begehrte zu wissen, wie es doch hernach gehen würde. Er stand auf der Höhe seiner Macht. Durch seine Siege und Eroberungen war er Herr einer Monarchie, wie die Erde sie noch nicht gesehen hatte, einer Monarchie, die mehr als einen Weltteil umfasste. Sehr natürlich, dass ihm Fragen über die Zukunft dieses Reiches vor die Seele traten.
Und Gott offenbarte ihm solches in einem Traum, „davon er so erschrak, dass er erwachte“. Der Traum aber war ihm entfallen. Er wusste nur, dass er einen Traum von ungewöhnlicher Tragweite, von schauerlicher Größe und Erhabenheit gehabt habe.
Da er nun begierig war zu erfahren, was das für ein Traum gewesen wäre und was er bedeute, ließ er alle Weisen, Sternseher, Zauberer und Chaldäer des Landes zusammenrufen. Sie aber konnten ihm den Traum nicht deuten, es sei denn, dass er ihnen denselben erzähle. Niemand könne dem König vergessene Träume sagen, ausgenommen die Götter, die bei den Menschen nicht wohnen. So hatten sie, die sonst immer vorgaben, mit den Göttern im Einverständnis zu sein, selbst unverhohlen ihr betrügerisches Treiben bekannt, und der König befahl alle Magier und Weisen im ganzen Lande auszurotten.
Auch Daniel hörte von diesem furchtbaren Befehl des Königs, der auch ihn und seine Gefährten mit dem Tode bedrohte, denn man suchte sie auch, dass man sie töte. Da gedachte er wohl in seinem Herzen des Wortes: „Rufe Mich an in der Not, so will Ich dich erretten, so sollst du Mich preisen.“ (Ps. 50, 15) So gestärkt ging er zum König und bat ihn um Frist, damit er die Deutung ihm ansagen möchte.
Und Daniel ging heim und zeigte solches seinen Gesellen Hananja, Misael und Asarja an, dass sie den Gott des Himmels um Gnade bäten, solches verborgenen Dinges halben, damit Daniel und seine Gesellen nicht samt den andern Weisen zu Babel umkämen (2, 17, 18). Wunderbar! Ahnte seine Seele in ihrer Not vielleicht das Wort Jesu voraus: „Wo zwei oder drei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, das sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von Meinem Vater im Himmel.“?
„Da ward Daniel solch verborgen Ding durch ein Gesicht des Nachts offenbart.“
Wie merkwürdig, wie außergewöhnlich ist dies alles! Das majestätische Traumgesicht, das Vergessen desselben, die Aufbietung aller Magier des Landes, das furchtbare Todesurteil, die wunderbare Erhörung in Gebetsgemeinschaft, das alles ist höchst bedeutungsvoll und lehrreich. Es macht einen überwältigenden Eindruck. Es berührt uns wie ein Ruf: „Merket auf, ihr Himmel, und nehmet zu Herzen, ihr Enden der Erde, denn der HErr redet!“ Nebukadnezar und seine ganze Welt, alle Juden, ja auch wir Christen sollen auf die hohe Bedeutung dieser Weltoffenbarung im Traumgesicht nachdrücklich aufmerksam gemacht werden, damit wir darauf achten als auf etwas, das für Zeit und Ewigkeit wichtig ist, und insbesondere uns Christen wichtig, auf welche in diesen Tagen das Ende gekommen ist.
Jetzt weiß Daniel den Traum und die Deutung. Beides ist ihm von Gott gekommen, und sein erster Gedanke ist, Gott zu danken. Er preist den Höchsten um Seine Weisheit und Stärke; er preist Ihn, weil die Zeiten in Seiner Hand sind und Er es ist, der Könige ab- und einsetzt. Er versteht jetzt den Wechsel der Zeiten und erkennt, dass Gott die Perioden der Weltgeschichte bestimmt. Jedem menschlichen Wirken, jeder dämonischen Bosheit setzt Er Zeit und Ziel. Alle die scheinbar von Gott ganz unabhängigen, ja gegen Ihn gerichteten Veränderungen stehen in Seiner Hand und in Verbindung mit Seinem Wirken für das Himmelreich. Wie mächtig auch in elementarer Kraft der Weltstrom dahinbrausen mag es kommt der Augenblick, da es heißt: Bis hierher und nicht weiter, hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!
So ausgerüstet von Gott mit der Kenntnis der Gedanken, die der König auf seinem Lager hatte, im Besitz der Offenbarung des vergessenen Traumes samt seiner Deutung, tritt Daniel vor Nebukadnezar, den mächtigen Herrscher der Erde. Und Daniel spricht, indem er Gott allein die Ehre gibt, folgendes:
„Du König sahest, und siehe, ein groß und hoch und sehr glänzend Bild stand vor dir, das war schrecklich anzusehen. Desselben Bildes Haupt war von feinem Golde, seine Brust und Arme waren von Silber, sein Bauch und Lenden waren von Erz, seine Schenkel waren Eisen, seine Füße waren einesteils Eisen, einesteils Ton. Solches sahest du, bis dass ein Stein herabgerissen ward ohne Hände; der schlug das Bild an seine Füße, die Eisen und Ton waren, und zermalmte sie.
Da wurden miteinander zermalmt das Eisen, Ton, Erz, Silber und Gold, und wurden wie Spreu auf der Sommertenne, und der Wind verwehte sie, dass man sie nirgends mehr finden konnte. Der Stein aber, der das Bild schlug, ward ein großer Berg, dass er die ganze Welt füllte. Das ist der Traum.“
„Nun wollen wir die Deutung dem König sagen.“
Aus der von Gott gegebenen Deutung des Traumbildes geht nun klar hervor, dass, ehe das Königreich der Himmel offenbar werden kann, vier große Weltmonarchien vorangehen werden. Die Weltgeschichte zeigt auch die Erfüllung dieser Weissagung so deutlich, dass die meisten Schriftforscher in der Auslegung übereinstimmen. Das Bild besteht aus Gold, Silber, Erz, Eisen und Ton. Mit dem edelsten Stoff beginnt es und geht dann stufenweise vom Edlen zum Unedlen über. Das Gold, das kostbarste Metall, hält seine Atome, seine kleinsten Teile, am festesten zusammen, was sich in der ungeheuren Dehnbarkeit des Goldes zeigt. In dieser zusammenhakenden Einigungskraft war das erste Reich am stärksten, in jedem folgenden ist diese Kraft geringer, bis in der unhaltbaren Mischung von Ton und Eisen die größte Unfähigkeit, seine Teile zusammenzuhalten, erscheint. Wenn der Blick auf die unteren Partien des Bildes, eben auf jene Mischung von Ton und Eisen fällt, so merkt man sofort, dass das gewaltige Bild auf schwachen Füßen steht und über kurz oder lang plötzlich zusammenbrechen muss, wenn die Stunde des Gerichtes geschlagen hat.
„Du, o König“, spricht Daniel zu Nebukadnezar, „bist das goldene Haupt.“
Da wissen wir nun, dass dieser König und sein Reich abgebildet ist in dem Haupte aus feinem Golde, dem edelsten Metall. Das babylonische Riesenreich, welches das assyrische verschlungen hatte, war die erste wirkliche Weitmonarchie, ein Reich von unermesslichen Reichtümern. Seine Hauptstadt Babylon war durch die Prachtbauten und Kunstwerke, die der König aufgeführt hatte, zu einem Weltwunder geworden, von dem die Schriftsteller des Altertums mit staunender Bewunderung erzählen. Die neuesten Forschungen und Ausgrabungen bestätigen diese Beschreibungen und lassen uns erkennen, dass keines der modernen Reiche und keine der heutigen Weltstädte, weder London noch Paris oder New-York das Reich des goldenen Hauptes und die Städte Ninive und Babylon an Größe, Pracht, Reichtümern, Luxus und Lebensgenuss übertroffen haben.
Nebukadnezar steht da als der Feldherr und Herrscher ohnegleichen. Und das nicht aus eigener Kraft und Macht, sondern nach Wahl und Ratschluss Gottes. Denn so spricht Daniel:
„Du, o König, bist ein König aller Könige, dem der Gott des Himmels Königreich, Macht, Stärke und Ehre gegeben hat und alles, da Leute wohnen; dazu die Tiere auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel gegeben und dir über alles Gewalt gegeben hat.“ (V. 37, 38)
Dieser Ratschluss Gottes war den Juden schon durch ihre Propheten verkündigt worden.
So hatte Hesekiel (27) geweissagt, dass Nebukadnezar, der König zu Babel, der König aller Könige, mit Rossen, Wagen und Reitern und großen Haufen Volkes über Tyrus, die mächtigste Handelsstadt der damaligen Welt, kommen und sie vollständig vom Erdboden vertilgen und ihren Staub ins Meer schütten werde.
So bezeugte ihnen Gott durch Jeremia (27, 6): „Nun habe Ich all diese Lande in die Hand Meines Knechtes Nebukadnezar gegeben, des Königs zu Babel, und habe ihm auch die wilden Tiere auf dem Felde gegeben. Und Jer. 28, 14 heißt es: „Ein eisern Joch habe Ich allen diesen Völkern an den Hals gehängt, damit sie dienen sollen Nebukadnezar, dem Könige zu Babel, und müssen ihm dienen.“
Durch denselben Propheten wussten sie aber auch, dass dieser Weltherrlichkeit nur eine kurze Zeit zugemessen sei, dass die große babylonische Monarchie nur siebzig Jahre (J er. 25,11) dauern und nur drei Könige aus einer Familie, Vater, Sohn und Enkel haben werde. Als die siebzig Jahre um waren, von denen Jeremia geweissagt hatte, wurde der König von Babylon im Jahre 538 v. Chr. von Cyrus besiegt und sein Reich erobert. Da erfüllte sich das Wort des Propheten: „Herunter, du Tochter Babylon, setze dich herunter in den Staub!“ Ges. 47,1). So endete das goldene Kindesalter der Weltgeschichte.
Die gläubigen Schriftforscher von damals aber wussten: nun ist die erste der vier Perioden der Verborgenheit des Reiches Gottes vorüber.
Brust und Arme der großen Bildsäule waren von Silber, und Daniel gibt die Auslegung, dass nach dem Falle der ersten Weltmonarchie ein anderes Reich aufkommen werde, aber geringer als das goldene Haupt. Dies ist das medisch-persische Reich; und wirklich war die Macht desselben nicht so glänzend wie die des vorhergehenden. So groß und mächtig es auch war, sein Glanz wurde oft durch große Niederlagen getrübt. Man denke nur an die unglücklichen Kriege des Xerxes gegen Griechenland.
Dass aber hier als zweites Reich das medisch-persische gemeint sei, geht nicht nur daraus hervor, dass es faktisch unmittelbar auf das erste folgte, sondern auch die Flammenschrift an der Wand wird dem Belsazar so gedeutet: „Dein Königreich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben.“ (Dan. 5, 28)
Und Kores oder Cyrus, wie er in der Weltgeschichte heißt, sagt es selbst: „Der HErr, der Gott des Himmels hat mir alle Königreiche gegeben.“ (Esra 1, 2)
Gott würdigte auch ihn, wie den Nebukadnezar, Träger und Vollstrecker Seines Willens zu sein; ja Er bezeichnet ihn als Seinen Hirten und Gesalbten, der das Volk der Juden wieder nach Jerusalem zurückbringen und den Tempelbau befehlen wird. Fast zweihundert Jahr zuvor hatte Gott dies und auch den Namen des Königs Kores den Juden durch den Propheten Jesaja offenbart (Jes. 44, 28; 45, 1).
Auch die Stelle Daniel 8, 20 wirft Licht auf dieses Reich. Da heißt es nämlich: „Der Widder mit den zwei Hörnern, die du gesehen hast, sind die Könige in Medien und Persien.“ Ein Horn war höher als das andere und das höchste wuchs zuletzt (Dan. 8, 3). Auch das trifft wunderbar zu. Cyrus hatte Babel erobert, aber die Herrschaft nicht gleich angetreten. Der griechische Geschichtsschreiber Xenophon berichtet ausdrücklich, dass Cyrus, der ein vorzüglicher Feldherr war, das Reich nicht für sich, sondern für seinen Oheim Kyaxares II. erobert habe. Dafür habe ihm dieser seine Tochter zur Frau und ganz Medien als Mitgift gegeben, weil er keinen männlichen Erben gehabt habe. Kyaxares II., ein Sohn des Astyages (in der Bibel Ahasveros), wird, wie die meisten alten Könige, mehrere Namen gehabt haben. Daniel nennt ihn Darius Medus d.h. der medische Regierer. Es regierten zuerst beide Könige nebeneinander, aber schon nach zwei Jahren starb Kyaxares, vierundsechzig Jahre alt, und Cyrus wurde Alleinherrscher von Medien und Persien. So sieht man, wie bezeichnend es war, dass die Meder zuerst und darnach die Perser genannt wurden, und dass das zweite Horn größer wurde als das erste. (5. H. Zeller, Bibl. Wörterbuch).
Bei den silbernen Armen ist die Zahl zwei nicht genannt. Es scheint darum kein zwingender Grund, sie zu deuten, vorzuliegen; doch dürften Phönizien und Ägypten auf der einen und das kleinasiatische Griechenland auf der anderen Seite wohl wie die beiden Arme des Bildes erscheinen. Auch dieses Reich kam erst, nachdem es schon lange dagewesen, plötzlich als seine Stunde gekommen war, zu Macht und Herrschaft und dauerte auch nur seine festbestimmte Zeit. Es endigte, als Darius Kodomannus, König von Persien, von Alexander dem Großen 331 v. Chr. besiegt wurde. Man hat dieses Reich als das stürmische Knabenalter der Geschichte bezeichnet.
Die frommen Schriftgelehrten konnten erkennen: zwei Reiche sind dahin, das dritte ist eben da, und das vierte steht noch zu erwarten.
3. DAS GRIECHISCH-MAZEDONISCHE REICH
„Danach das dritte Königreich, das ehern ist, welches über alle Lande herrschen wird.“ Es ist das Weltreich Alexanders des Großen. Von ihm heißt es im Bilde: „Der Bauch und die Lenden waren von Erz.“ In der Tat sprechen die griechischen Dichter und Geschichtsschreiber, wie Homer und Herodot, immer von den erzumschienten Achäern und den ehernen Männern. Es ist von geringerem Stoff und hat weniger Haltbarkeit. Bald nach Alexanders Tode zerfällt es in mehrere Reiche. Auch dieses Reich wird uns in der Heiligen Schrift genannt. Wir lesen Daniel 8, 21: „Der Ziegenbock (der den Widder besiegt) ist der König von Griechenland, das große Horn zwischen seinen Augen ist der erste König.“
Auch im zerteilten Zustande ist es dem Wesen nach doch dasselbe Reich, und erst als der letzte Teil desselben, Ägypten, im Jahre 30 v. Chr. römische Provinz geworden, war dieses Reich auch von der Erde verschwunden. Es war das Reich des von griechischem Freiheitsdrang durchglühten Jünglingsalters der Geschichte. Die Gläubigen aber wussten, dass nun die letzte Zeit beginnt (1. Joh. 2,18), Das letzte Reich, auf welches kein anderes folgt.
4. DAS RÖMISCHE REICH
Nicht als Republik kam Griechenland für die Weltherrschaft in Betracht und ebenso wenig Rom. Erst unter Kaiser Augustus (30 v. Chr.) stand Rom als Herrin der Welt und als vierte Weltmonarchie da. Wie das vorige Reich als das eherne, so wird Rom als das eiserne bezeichnet. Beide Metalle sind geringer an Wert als Gold und Silber, aber es sind die Metalle, die sich hauptsächlich zu Kulturzwecken und zu Angriff und Verteidigung eignen. Alle römischen Dichter und Schriftsteller bezeichnen auch die Römer als Eisenmänner. Es ist das Reich, das an Kultur und Kriegen wohl am meisten geleistet hat; aber auch das Reich, in welchem die irdische Gesinnung, und dies besonders zuletzt, am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Es bietet uns das Mannesalter der Geschichte dar.
„In der griechischen Idee von der Freiheit war Eigenwille und infolge davon Unruhe und Unordnung. Ein jeder war sich selbst ein Gesetz. Diese Vorstellung genügt für den Jüngling; aber vor den Mann trat jetzt die majestätische Erscheinung eines Gesetzes außerhalb des menschlichen Willens, dem der Wille sich unterwerfen musste, und das dagegen die Freiheit schützte.“ (Arquhart)
Das Prinzip des Rechtes, das nicht von Gesinnung und Meinung des einzelnen abhängig ist, wurde die alles beherrschende Macht; und diese ganze Macht wurde in den Dienst des Gemeinwesens, des Staates gestellt.
„Die wahre Männlichkeit handelt weder in Übereinstimmung mit der Laune eines Despoten“ sagt Hegel in seiner Philosophie der Geschichte, „noch im Gehorsam gegen eigene Laune; sie wirkt für einen allgemeinen Zweck, einen (den Staat), in dem der einzelne untergeht und seinen eigenen besonderen Zweck nur in dem allgemeinen verwirklicht. Das ist der Rechtsstaat Rom, und das ist das Geheimnis seiner eisernen Kraft und schrecklichen Macht über die Menschen.“
So heißt es in der Deutung des Daniel:
„Und das vierte Tier wird hart sein wie Eisen; denn gleichwie Eisen alles zermalmt und zerschlägt, ja wie Eisen alles zerbricht, also wird es auch diese alle zermalmen und zerbrechen. Dass du aber gesehen hast die Füße und die Zehen einesteils Ton und einesteils Eisen: das wird ein zerteiltes Königreich sein, doch wird von des Eisens Art drinnen bleiben, wie du denn gesehen hast Eisen mit Ton vermengt. Und dass die Zehen an seinen Füßen einesteils Eisen und einesteils Ton sind wird‘s zum Teil ein starkes und zum Teil ein schwaches Reich sein. Und dass du gesehen hast Eisen mit Ton vermengt: werden sie sich wohl nach Menschgeblüt (durch Heiraten) untereinander mengen, aber sie werden doch nicht aneinanderhalten, gleichwie sich Eisen mit Ton nicht mengen lässt.“ (V. 40 44)
Ist dieses Weltreich auch nicht das kostbarste und edelste, so ist es doch das wichtigste, und nicht nur, weil unsere Lebenszeit in die Tage dieses Reiches gefallen ist, sondern auch aus dem Grunde, warum Johannes der Täufer größer war als alle Propheten und alle vom Weibe Geborenen vor ihm; nämlich weil er gewürdigt ward, mit Jesus Christus in eine nähere Verbindung zu treten als alle vor ihm.
Der da kommen sollte ist am Anfang dieses Weltreichs gekommen, und die Erscheinung Seiner Zukunft, Seine Wiederkunft auf diese Erde, wird diesem, und somit allen Reichen auf Erden, ein Ende machen.
Wir sehen in dem Bilde und seiner Auslegung drei Perioden in diesem Reiche: Schenkel, Füße und Zehen.
a) Erste Periode: Die Schenkel von Eisen
Erste römische Periode: „Seine Schenkel waren Eisen.“ Das vierte Reich wird hart sein wie Eisen, und wie Eisen alles zerbricht, also wird es auch alles zermalmen und zerbrechen.
Hart wie Eisen und alles zerschlagend hat dieses Reich dagestanden. Es schlug und schwächte, zerbrach und zerstörte die größten Reiche in aller Welt. Seine Geschichte war eigentlich die Geschichte ununterbrochener Kriege. Bald stand Rom da als Herrin über alle bekannten Länder in drei Weltteilen. Hart, und härter als alle vorigen erwies sich dieses Reich gegen die Juden bei der Zerstörung Jerusalems; gegen die Christen in den Christenverfolgungen der ersten Jahrhunderte.
Die Zwiefältigkeit der Schenkel trat schließlich in der Teilung in ein Wes- tund Oströmisches Reich zu Tage.
b) Zweite Periode: Die Füße, teils Ton, teils Eisen
Die zweite römische Periode: „Die Füße einesteils Ton und einesteils Eisen.“ Hier steht der Ton dem Eisen voran; es weist darauf hin, dass in dieser Zeit mehr Ton als Eisen in der Mischung ist. Es ist die Zeit der äußersten Schwäche des römischen Reiches. Das Eisen bedeutet Rom und die Römer, und der Ton muss nach Analogie des ganzen Bildes auch Menschen, andere Völker bedeuten, die sich mit den Römern vermischten und doch ihrem ganzen Wesen nach nicht zu denselben passten. Diese Vermischung begann im fünften Jahrhundert durch die große Völkerwanderung. Von Hunger getrieben, da ihre alten übervölkerten Wohnsitze sie nicht mehr nähren konnten, drangen von Osten und Norden zahlreiche Völkerscharen, Vandalen, Hunnen und Goten, Alemannen und andere mit Gewalt in die lachenden Gefilde Italiens ein, nicht um nach kurzem Kriege mit reicher Beute dasselbe wieder zu verlassen, sondern um sich dort eine neue, freundlichere und reichere Heimat zu gründen. Auf ihren gewölbten Schilden fuhren sie mit frischem Wagemut die Alpengletscher hinab, unaufhaltsam in ungebändigter Kampfeslust vorwärts stürmend. Verwüstung und Plünderung, Blutvergießen und Zerstörung bezeichneten ihren Weg und verwandelten mehrfach das große römische Weltreich in einen Schauplatz des größten menschlichen Elends. Ein sehr großer Teil der alten römischen Nation wurde aufgerieben. Da nun Rom noch dazu durch innere Unruhen zerrüttet, durch Habgier und Verrat der obersten Beamten die zum großen Teil Freigelassene, also Ausländer (Ton) waren sehr geschwächt war, konnte es nicht die fremden barbarischen Völker, die wie eine wahre Überschwemmung über sie dahinfluteten, von sich abschütteln und ausstoßen. Sie vermischten sich mit den Römern, und Rom wurde ein immer mehr zerteiltes Reich.
Wie der Stamm eines mächtigen Baumes sich in Äste und Zweige teilt, so zerteilte sich das alte Rom in viele Reiche und Staaten mit ganz verschiedener Verfassung, die aber alle von des „Eisens Art“ etwas hatten. Lange noch kannte das germanische Reich keine höhere Ehre, als „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation„ zu heißen, und manchem deutschen Fürsten ist die Sehnsucht nach der römischen Kaiserkrone, die ihn über die Alpen lockte, zum Verderben geworden. Und heute noch steht die Wiederherstellung eines römischen Weltreiches wohl manchem Herrscher der Erde als ein Ideal vor der Seele.
Wie das Reich Alexanders auch in seiner Zerteilung das dritte Weltreich blieb, so ist‘s auch mit Rom.
Besonders aber sind es zwei Dinge, welche diese zerteilten Reiche verbinden. Einmal sind alle christlichen Monarchen untereinander durch Heirat verwandt und sind so gewissermaßen von einem Geblüt, ein großes Herrscherhaus; und zweitens umschließt sie alle die christliche Kirche, die trotz aller augenfälligen Spaltung doch eine Gemeinschaft aller Getauften ist. Diese doppelte Einheit ist vornehmlich der Grund, warum alle diese Länder als ein großes Weltreich angesehen werden.
c) Dritte Periode: Die Zehen, teils Eisen, teils Ton
Dritte römische Periode: „Die Zehen, einesteils Eisen, einesteils Ton.“ Es wird zum Teil ein starkes, zum Teil ein schwaches Reich sein, doch überwiegt das Eisen, das jetzt voransteht, in der Mischung. Noch sind die zehn Zehen d.h. die zehn Reiche nicht da. Es gab und gibt eben noch viel mehr Reiche als zehn, aber man spürt deutlich ein Streben nach Vereinigung, nach Verringerung der Zahl. Es treten andere Gruppierungen und Gestaltungen ein, und plötzlich werden die Zehn da sein. In dieser Periode tritt die Eisenstärke des vierten Weltreichs wieder energisch hervor. Große Reiche in Amerika, Australien, Asien und Afrika werden unterworfen und gewonnen. Und doch ist es Eisen und Ton gemengt, das nicht zusammenhalten kann und jeden Augenblick zu zerfallen droht.
Als das Eisen sich vermengte mit dem Ton, da konnten die Gläubigen erkennen, dass es, mit dem Riesenbilde der Weltmacht bis auf die Füße herabgekommen ist. Und heute können diejenigen, die auf den HErrn warten, merken, dass wir schon eine Zeitlang in das Zeitalter der Zehenbildung getreten sind. Sie kann jeden Augenblick zum Abschluss gebracht werden. Da gilt es die Augen aufzuheben zu den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt, und zu spähen, ob der Stein noch nicht wahrzunehmen ist, der dem Bilde an die Füße schlägt und alles zermalmt.
Im Grunde sind die vier Weltreiche nur ein Ganzes, dieselbe Macht dieser Welt, die in vier verschiedenen Erscheinungen zutage tritt. Sie bilden alle zusammen nur den einen Koloss im Traumgesicht des ersten Weltherrschers. In ihrer Entwicklung verschlechtert sich beständig der Stoff, und schließlich steht das Bild auf sehr schwachen Füßen, wie wir schon erwähnt haben. Hier kann uns die Symbolik des Bildes noch eine wichtige Wahrheit zum Verständnis führen, eine Wahrheit, in welcher der Gegensatz der göttlichen und menschlichen Weltanschauung klar zutage tritt.
Die moderne Weltanschauung nimmt eine Entwicklung der Menschheit von unten nach oben an, sie lässt den Menschen von einem wilden halbtierischen Zustand zu der Höhe allgemeinster Bildung und Kultur aufsteigen.
Die Heilige Schrift aber vertritt die entgegengesetzte Anschauung, sie spricht von einer Bewegung nicht aufwärts, sondern abwärts. Schon die Art, wie die Reiche, äußerlich stark und glänzend, als Gold, Silber, Erz und Eisen dargestellt, aber innerlich der Spreu gleich geachtet werden, die im Winde verweht, zeigt uns, wie Gott die Dinge nicht mit unserem Maße misst.
Ferner zeigt sich in der Wahl der Metalle und der betreffenden Körperteile zur Bezeichnung der vier Reiche offenbar eine stufenweise Wertabnahme, ein Herabsteigen von oben nach unten. Nur in der Härte nehmen sie zu.
Wohl mag die Kultur der Griechen und der neueren Völker höher stehen als die der alten, aber das ist nicht ausschlaggebend bei Gott. Je mehr der Mensch sich in Selbstbewusstsein und in eigener Kraft erhebt, desto ferner ist er von Gott, desto niedriger steht er auf der Leiter, die zu Gott führt. Wie hoch steht der erste Weltherrscher über dem letzten. Der Herrscher der ersten Weltmonarchie, überwältigt von Gottes Größe im Traumgesicht und durch die wunderbare Deutung, demütigt sich tief. Er, der mächtigste Herrscher der Welt liegt anbetend im Staube vor dem Propheten des Gottes des Himmels. Und der letzte, mächtigste Herrscher des vierten Reiches, der Antichrist, tritt frech und lästernd dem persönlich kommenden Menschensohn entgegen.
Von dem Endzustand, mit dem die Weltgeschichte abschließt, bezeugt der HErr selbst entgegen allen Meinungen und Erwartungen der Menschen, dass er so heillos geworden sein wird wie zu den Zeiten Noahs. Da wollten sich die Menschen vom Geiste Gottes nicht mehr strafen lassen, denn sie waren Fleisch, und die Erde war voll Frevels von ihnen, bis das furchtbare Gericht über sie hereinbrach und sie vom Erdboden vertilgte. Und St. Paulus schildert uns die letzten Zeiten und die Menschen, die dann leben (2. Tim. 3,2), als so gräulich und gottlos, so sicher und unbußfertig, dass ihr Zustand als der vollendete unverbesserliche Abfall erscheint, der mit Notwendigkeit das furchtbare Endgericht herbeiführen muss.
Dass die Weltgeschichte mit einem solchen Gericht abschließt, ist für die biblische Grundanschauung von derselben entscheidend.
5. DAS KÖNIGREICH DER HIMMEL
Davon heißt es im Traumgesicht des Königs Nebukadnezar also: „Solches sahest du, dass ein Stein herabgerissen ward ohne Hände, der schlug das Bild an seine Füße, die Eisen und Ton waren, und zermalmte sie.“
Die Beschreibung des Eintritts dieser Weltkatastrophe ist so knapp, so großartig einfach, so göttlich erhaben, dass man deutlich fühlt: das ist nicht von Menschen ersonnen, das ist Offenbarung. Man fühlt, es ist der Stein, von dem Jesus sagte: „Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen, auf welchen er aber fällt, den wird er zermalmen.“ (Matth. 21,44)
„Zermalmt wurden miteinander das Eisen, Ton, Erz, Silber und Gold und wurden wie Spreu auf der Sommertenne, und der Wind verwehte sie, dass man sie nirgends finden konnte. Der Stein aber, der das Bild schlug, ward ein großer Berg, dass er die ganze Welt füllte.“
Welche Majestät, welche Schlichtheit in diesen Worten! Wo findet sich in den Dichtern und Schriftstellern aller Zeiten und Völker etwas, das sich diesen Worten an die Seite stellen ließe!
Die ganze Welt- und Menschenherrlichkeit hatte sich in den Monarchien entwickelt und war am Schluss des vierten Reiches zu ihrem höchsten Glanz, zur vollsten Höhe gestiegen. Da musste es offenbar werden, dass diese ganze gleißende Pracht und Größe in Wahrheit so hinfällig und wertlos war „wie Spreu“, dass sie nichts war als eine buntschillernde Seifenblase, die zerplatzt und keine Spur hinterlässt.
Immer und immer wieder versuchten die Völker sich eins über das andere zu erheben und eine neue Weltmonarchie zu gründen und immer vergeblich. Es ist der Erdenmacht nicht beschieden, noch ein fünftes Mal ihre Tyrannenherrschaft über die Erde zu entfalten. Mitten in das gigantische Ringen und Arbeiten der Menschenkräfte schlägt ein Stein, ohne Menschenhand sich von einem Bergabhang losreißend, herab auf das Bild, und mit einem Schlage ist das Ganze zertrümmert, das eben noch Furcht und Schrecken der Menschen war, und seine letzten Spuren hat der Wind verweht.
So kommt das Reich Gottes. Dasselbe ist uns im Stein, der zum Berge wird, vorgebildet. Es ist nicht ein Werk der Menschenhand und nicht aus Menschengedanken geboren; es kommt von Gott.
Wie der Stein, von unsichtbarer Hand geschleudert, durch seine Schwerkraft, d.h. durch die Anziehungskraft der Erde, herabgezogen wird, so wird auch dieses Reich, von Gottes Hand gesendet, durch die Sehnsucht und Liebe der Gläubigen herabgefleht und herabgezogen auf die Erde.
Dieses Reich ist nicht von dieser Welt, sondern von der zukünftigen; es kommt von oben. Es ist die Vollendung der Kirche; es ist die Wiederherstellung Israels als Haupt über alle Reiche der Erde zur Zeit der zweiten Zukunft des HErrn.
Wie der Stein nicht auf das Haupt oder sonst einen Körperteil des Bildes fällt, sondern auf die Zehen, aber doch das ganze Bild in allen Teilen zertrümmert, so auch dieses Reich.
Nachdem es verborgen unter allen Weitreichen schon dagewesen war und in der Verborgenheit die drei ersten geschlagen und zermalmt hatte, schlägt es in sichtbarer Weise das vierte Weltreich gerade in seiner furchtbarsten Machtentfaltung unter dem Antichrist, dem härtesten Herrscher des harten Eisenreiches.
Aus seiner Verborgenheit hervortretend, wird es zum Berge, der die ganze Welt erfüllt. Und dazu wird es bereitet von Grundlegung der Welt an.
„Das Königreich Gottes ist der Zweck der göttlichen Welterschaffung und das Ziel der göttlichen Weltregierung. Das Königreich Gottes ist die unsichtbare Wurzel, welche die Weitreiche hält und trägt, und die unsichtbare Kraft, welche die Weitreiche schlägt und zermalmt. Die nähere oder fernere Verbindung mit dem Königreich Gottes bestimmt die Dauer, die Wichtigkeit, die Bemerkenswürdigkeit der Weltreiche. Das Schicksal und die Geschichte aller Reiche der Erde, die mit dem Königreich Gottes in keine bedeutende oder gar keine Verbindung kommen, vorher zu wissen, wäre von keinem Wert, denn ihre Geschichte mag sein, welche sie will, so ist sie immer unbedeutend, weil sie auf die Verzögerung oder Herbeiführung der letzten endlichen Entwicklung der Dinge, der Verdrängung der Weltreiche durch das Königreich Gottes, gar nicht oder nur sehr entfernt einwirken.“ (Menken)
Aus unsichtbarer Wurzel ist die Geschichte dieser vier Weltmonarchien entstanden. Unter ihnen war die Zeit der Verborgenheit des Königreiches Gottes. Es war verborgen in den Gläubigen, denen es angehörte, in denen die Offenbarungen und Ordnungen Gottes lebten. Diese vier sind es, die uns gleichsam auf vier Stufen zur Erscheinung des Königreichs der Himmel führen und die Gläubigen merken lassen, wo sie in der Zeit der Erfüllung stehen.
„Aber zur Zeit solcher Königreiche wird der König des Himmels ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird, und Sein Königreich wird auf kein anderes Volk kommen. Es wird alle diese Königreiche zermalmen und zerstören; aber es wird ewiglich bleiben, wie du denn gesehen hast einen Stein ohne Hände vom Berge herabgerissen, der das Eisen, Erz, Ton, Silber und Gold zermalmte. Also hat der große Gott dem König gezeigt, wie es hernach gehen werde, und der Traum ist gewiss, und die Deutung ist recht.“ (2, 44.45)
Jedes der vier Weltreiche wurde, wenn seine Zeit und Stunde gekommen, zerstört, und ein anderes trat an seine Stelle. Nicht so mit dem Königreich Gottes. Das Reich bleiben ewiglich.
„Wenn es erscheint, dann erfüllt sich das majestätische Wort des Propheten Jesaja: „Alle hohen Augen werden geniedrigt werden, und die hohe Männer sind, werden sich bücken müssen; der HErr aber wird allein hoch sein zu der Zeit (Jes. 2,11). Siehe, die Heiden sind geachtet wie ein Tropfen, so im Eimer bleibet, und wie ein Scherflein, so an der Waage klebet. Alle Heiden sind vor Ihm nichts und wie ein Nichtiges und Eitles geachtet.“ (Jes. 40, 15.17)
Dann ist Wirklichkeit geworden, was der König Salomo in seinem Psalm (72) lobpreisend singt: „Gott, gib Dein Gericht dem König und Deine Gerechtigkeit des Königs Sohne, dass er Dein Volk richte mit Gerechtigkeit und Deine Elenden errette.
Er wird das elende Volk bei Recht erhalten und den Armen helfen und die Lästerer zermalmen. Er wird herrschen von einem Meer bis ans andere und vom Strom an bis an der Welt Enden. Alle Könige werden Ihn anbeten; alle Heiden werden Ihm dienen.
Denn Er wird den Armen erretten, der da schreiet, und den Elenden, der keinen Helfer hat.
Sein Name wird ewiglich bleiben; solange die Sonne währet, wird Sein Name auf die Nachkommen reichen und werden durch denselben gesegnet sein. Alle Heiden werden Ihn preisen.“
Und nun ein Wort für die Wartenden, die schier verschmachten wollen auf dem Wege. „Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: Mein Weg ist dem HErrn verborgen und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber. Weißt Du nicht? Hast Du nicht gehört? Der HErr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde und matt; Sein Verstand ist unerforschlich.“
Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Die Knaben werden müde und matt, und die Jünglinge fallen; aber die auf den HErrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jes. 40, 27-31)
O du harrende, wartende Seele, du Herz voll brennender Sehnsucht, weißt du nicht? Gedenkst du nicht daran, dass der HErr dich liebt? O du wartende Kirche Christi, du Himmelsbraut, weißt du nicht, dass Er dich mehr geliebt, dich höher geschätzt hat als Himmel und Erde, und noch heute und in Ewigkeit dich liebt? Weißt du nicht, dass Er dir das Königreich der Himmel bereitet von Anbeginn der Welt? Erzittert nicht dein Herz bei solcher Liebe, flammt deine Sehnsucht nicht auf zu Ihm: Komm! Wohlan! Trinke aus Seinem Worte neue Kraft und Freudigkeit, die nicht matt wird. Trinke in vollen, in durstigen Zügen die himmlische Gewissheit der Nähe Seines Reiches und Seines Erscheinens.
Wenn Israels tausendjähriger Sabbath im Reiche Gottes anbricht, beginnt für dich, o Kirche des HErrn, der Tag der ewigen Herrlichkeit, an dem du erfahren sollst, was ewige Liebe heißt. Denn die Herrschaft des HErrn ist ewig, und Sein Königreich hat kein Ende. Es ist unzerstörbar. Auch der jüngste Tag wird es nicht zerstören, sondern demselben nur neue herrliche Gestalt geben; denn nach demselben wird das neue Jerusalem vom Himmel herabfahren, und der Thron Gottes und des Lammes wird darinnen sein.
Auch Daniel dachte über das nach, was hernach geschehen sollte. Der wunderbare Traum, den er dem König gedeutet, hatte ohne Zweifel einen nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht. Er mag oft und viel mit seinen Gedanken dabei geweilt haben und im Laufe der Jahre immer wieder dahin zurückgekehrt sein. Denn vierzig Jahre später, wohl während er diese Dinge im Herzen bewegte, ward ihm ein Gesicht gegeben von dem, wie es hernach kommen und wie es seinem Volke in den letzten Tagen ergehen werde.
Der Gegenstand ist derselbe; es sind dieselben vier Reiche des großen Monarchienbildes. Aber eine Fülle neuer Gesichtspunkte bietet sich dar, nähere Einblicke, wichtige Aufschlüsse, die unser ganzes Interesse erregen, werden ihm offenbart.
Dem Weltherrscher wurde die Geschichte der Weltmächte in jenem majestätischen Bilde in großen Zügen vor Augen gestellt; ihm, dem mächtigen Könige wurde gezeigt, wie sich die königliche Macht in den Weltzeitaltern der Erde entfalten werde.
Dem sinnenden Propheten wird ein Einblick in das Innere dieser Weltmächte und in ihr Verhalten zu seinem Volke, den Juden, gestattet. Ihm werden Aufschlüsse über den wahren Charakter dieser Mächte, über ihr eigentliches Sein und Wesen zuteil.
Und es ist etwas Großes und Furchtbares, etwas tief Demütigendes, das uns hier entgegentritt. Nicht in einem herrlichen Bilde übermenschlicher Größe erscheinen ihm die mächtigen Reiche der Erde, sondern in Tiergestalten. Wir müssen erkennen, dass diese gewaltigen Reiche bei all ihrer trotzigen Macht, bei aller Größe und Herrlichkeit, trotz alles erträumten titanenhaften Übermenschentums, im tiefsten Innern losgerissen von Gott und erfüllt mit gottwidriger Gesinnung, in Wahrheit doch nur untermenschliche, tierische Art haben.
Das Traumbild Nebukadnezars hatte Menschengestalt, aber es hatte kein Leben. Es sollte zeigen, dass die Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen, wenn auch durch die Sünde verdunkelt und dem Tode verfallen, doch noch vorhanden ist und sich in der Herrschaft über die Erde offenbart. Es sollte zeigen, was die Menschenmacht immerhin noch vermag. Ihrem inneren Wesen nach aber erscheint im Gesicht Daniels die von Gott losgerissene Menschheit den dunklen Naturmächten preisgegeben, zur wilden Tierheit herabgesunken.
Die Bestimmung des Menschen ist die Ebenbildlichkeit Gottes. Sein eigentliches Wesen liegt in der Gemeinschaft mit Gott, im Trachten nach dem, was droben ist. Das wahre Menschentum kommt von oben herab. „Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über alle.“ (Joh. 3, 31) Der wahre Menschensohn kann nur in den Wolken des Himmels kommen (D. 7, 13), und das wahre Menschentum wird nur in Seinem Reich erlangt.
„Ohne Divinität (Göttlichkeit) ist auch keine Humanität möglich, sondern sie sinkt zur Bestialität herab.“ (Auberlen)
Und darin stimmen nicht nur fromme Theologen mit der Bibel überein, eine Ahnung davon lebt in jeder Menschenbrust, die nach dem Göttlichen strebt. Wie der feinfühlende Dichter Lenau im Hinblick auf den wahren Menschensohn es ausspricht:
„Ist Christus Traum, dann ist das Leben
Ein Gang durch Wüsten in der Nacht,
Wo niemand Antwort uns zu geben,
Als eine Herde Bestien wacht.“