Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... - Jens-Jörg Plep - E-Book

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... E-Book

Jens-Jörg Plep

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Beschreibung

The Code of Color, das sind 7 Gedichte über den Code, der aus einer Raupe einen Schmetterling werden lässt. Denn die Farben der Natur sind keine Laune, sondern dienen einem Zweck. Es steckt eine Art Algorithmus dahinter. Ein Code. The Code of Color ist das zweite Heft einer Print-Auskoppelung des SUUG Magazines. Das SUUG Magazine ist ein Online Magazine von Suug, das einen interaktiven Zugang zur ihrer Musik, ihren meist ungewöhnlichen Geschichten und philosophischen Gedanken, zu ihren Skizzen, Zeichnungen, Illustration und Bildern, zu ihren Videoarbeiten sowie zu ihren Klängen und Kompositionen bietet. Das SUUG Magazine liefert ungewöhnlichen Geschichten, neue Ideen und fremden Perspektiven. Wen die Bedeutung von Perspektivwechseln, neuen Blickwinkeln und Sichtachsen reizt und dadurch auch etwas über sich selbst erfahren möchte, für den ist das Magazine eine Quelle für Inspiration und Entspannung. Die Musik zum Buch ist als Stream oder Download weltweit in allen Onlineshops erhältlich.

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Jens-Jörg Plep

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt...

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Sternstunden

Konfusion

Aktion

Wegweisung

Geheimagenten

Unverständliche Zeichen

Der Plan

Fiktionen

Geschlossene Psychiatrie

Offene Psychiatrie

Bekehrung

Millennium

Tagesklinik

Zurück im Leben

Neuer Job für kurze Zeit

Bin ich im Kino?

Automatisierung

Die Weltformel

Schulung

Praktikum

Mein Berg

Anhang

Impressum neobooks

Sternstunden

„...und als sie nichts tun wollten, habe ich den Vereinten Nationen den Krieg erklärt." Dr. Liebling guckt ungläubig: „Wie denn das?" Ich entgegne forsch: „Über den Security-Server des UN-Sicherheitsrates im Internet." Der Doktor blättert in einem schmalen Buch. „Dann habe ich mich auf die Lauer gelegt und gewartet. Es war schon nach Mitternacht.

Ich lauschte, ob vielleicht auf dem nahen Feld ein Hubschrauber landen würde. Sie würden bestimmt kommen und mich holen. Als nach vier Stunden immer noch keiner kam, bin ich ins Bett gegangen". Der Psychiater legt das Buch beiseite.

Im Patientencafe der Nervenklinik reißt Günther Hausschuh ein nagelneues Skatblatt auf und legt die Karten aus: „Du kannst dir eine aussuchen, ich werde sie erraten." Ich suche mir Pik vier aus. Günther schaut mich an und hebt eine Karte hoch: Pik vier! Herr Kanngieß fragt mich: „Wie geht das?" Ich denke kurz nach: „Telepathie!" Kanngieß fragt: „Was ist denn das?" Ich meine: „Das ist Gedankenlesen. Ich weiß zwar nicht, wie das funktioniert, aber es geht wohl tatsächlich". Günther erklärt: „Jens hat Recht. Das kann jeder lernen, aber es dauert lange und ist schwer."

Psychologin Frau Dunkel studiert aufmerksam das Testergebnis: „Herr Plep, Sie haben einen Intelligenzquotienten von hundertneunundzwanzig. Das ist sehr gut. Die visuelle Kurzmerkfähigkeit ist nicht so gut. Insgesamt aber eine recht ordentliche Gedächtnisleistung". Ich hab' doch schon immer gewusst, dass ich nicht doof bin. Woher kamen dann aber die Halluzinationen? Und die komischen Gedanken? Am Ende dachte ich sogar, dass jede Glasscheibe ein 3D-Bildschirm von Silicon Graphics wäre...

Später versuchte ich, die Zeit am Funkwecker anders einzustellen. Als das nicht ging, habe ich einfach die Batterien verkehrt herum eingesetzt, um die Zeit zurückzudrehen. Aber die alberne Zeitmaschine wollte nicht funktionieren.

Leutnant Böttger sitzt neben mir am Frühstückstisch, es war die Zeit der Endphase des zweiten Golfkriegs. Er verkündet laut: „Diese Moslems sollte man alle erschießen!" Alle Kollegen lauschen jetzt gespannt. Der Abteilungsleiter, Hauptmann Wolk, grunzt: „Recht so! Die machen ja bloß Zoff". Ich bin entsetzt: „Hört mal her, Leute - ich war im Urlaub in Tunesien und in der Türkei. Da hab' ich viele Moslems kennen gelernt. Das waren alles freundliche, bescheidene Leute". Hauptmann Wolk zischt mich an: „Kümmern Sie sich mal bloß um Ihre Computer. Da haben Sie genug zu tun". Das passt zum BMW-Fahrer Wolk.

Die Bundeswehrkaserne in Dölitz zeigt ihre grauen Betonbauten gelangweilt in den kühlen Morgen. In der obersten Etage des Blocks Nr. 3 ziehe ich einen Interface-Stecker aus einem Computer, mache einen Testlauf, stecke den Stecker wieder ein. Ich hole eine Flasche Reinigungslösung aus dem Schrank, putze den Rechner, den Monitor und die Tastatur. In einer halben Stunde werden die Unteroffiziere kommen, die ich am Computerarbeitsplatz einweisen soll. Zu Hause würde ich solch ein altes Modell nicht einmal angucken, von der Software ganz zu schweigen. Trotzdem hat man zuerst mich verdächtigt, als neulich ein ganzer Rechner geklaut wurde - lächerlich! In meinem kleinen Büro rauche ich schnell noch eine Zigarette und gehe den Ausbildungsplan von heute durch. Oberfeldwebel Böger schneit ins Zimmer: „Hallo, Herr Plep! Ich hab' da ein größeres Problem mit meinem Rechner - der will überhaupt nicht mehr...". Ich sage ihm, dass ich mir seinen Computer ansehen werde, wenn ich mit den Unteroffizieren fertig bin. „Da bin ich aber froh. Danke, Herr Plep“. Auf dem Gang rumort es: Die Unteroffiziere kommen. Ich gehe hinaus und schließe das Computerkabinett auf. „Guten Morgen, meine Herren!" Vielstimmig hallt es über den Gang: „Guten Morgen, Herr Regierungssekretär!" Nun stürmt die Truppe das Kabinett. Nachdem alle ihren Platz gefunden haben, beginne ich mit meinem Kurzvortrag. Darin erkläre ich alles, was man für die erste Inbetriebnahme des Computers wissen muss. Nach der Einweisung gehe ich zum Mittagessen, danach in das Dienstzimmer von Oberfeldwebel Böger. Ich überprüfe seinen Rechner: „Na, das haben wir doch gleich!" Böger ist heilfroh über seinen nun wieder intakten Rechner und bietet mir Kaffee an: „Ich hatte schon selbst gefummelt, habe den Fehler aber nicht beseitigen können..." Jetzt gehe ich zurück in mein Büro und erstelle Statistiken. Darüber hätte ich beinahe den Feierabend verpasst, zügig gehe ich zu meinem Auto und fahre nach Hause.

Konfusion

Freitagabend, die Nachrichten flimmern über den Bildschirm: Kuwait war zurückerobert worden, Bomben fallen auf Bagdad. Die PILD-Zeitung hatte heute Saddam Hussein mit Adolf Hitler verglichen, kann denn das so stimmen? Was war nur los auf dieser blöden Welt? Würde das Ganze etwa in einem Krieg des Westens gegen den Islam enden? Die PILD schreibt in einem kleinen Artikel, dass der BNT festgestellt hat, dass der Irak über solche Vorkommen an Biowaffen verfügen würde, die zur Vernichtung der gesamten Weltbevölkerung ausreichen würden - nette Vorstellung...

Interessant wäre ja mal, was dazu in der Charta der Vereinten Nationen oder im Koran steht. Ich wähle mich ins Internet ein, gehe zur Suchmaschine google.de und lasse nach den Phrasen „Charta der Vereinten Nationen" und „Koran" suchen. Sofort erziele ich brauchbare Treffer. Die beiden Dokumente lade ich mir herunter, um sie dann offline in Ruhe studieren zu können.

Aus der Charta der Vereinten Nationen,

Kapitel I/1:

Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:

1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;

Aus dem Koran,

33. Die Verbündeten:

7. Und (gedenke der Zeit) da wir mit den Propheten den Bund eingingen, und mit dir, und mit Noah und Abraham und Moses und mit Jesus, dem Sohn der Maria. Wir gingen mit ihnen einen feierlichen Bund ein;

109. Die Ungläubigen:

6. Euch euer Glaube, und mir mein Glaube.

In unserem zweiwöchigen Familienurlaub letztes Jahr in Tunesien hatten wir einige Berührungspunkte mit dem Islam. Hier sei noch angemerkt, dass ich ziemlich braune Haut habe und schwarze Haare - die Einheimischen hielten mich darum oft auf den ersten Blick für einen von ihnen. Deswegen wurde ich oft französisch oder arabisch angesprochen.

Als ich in Sousse eine Lederwarenhandlung betrat, sagte mir ein junger Verkäufer „Du musst der kleine Mohammed sein!" Erst guckte ich verdutzt, dann fragte ich: „Und wer ist Mohammed?" Stolz verkündete der junge Mann: „Mohammed ist unser Prophet!" Da muss ich wohl eine beachtliche Ausstrahlung haben, wenn mich ein Moslem mit seinem Propheten in Verbindung bringt, denke ich mir.

Danach gingen wir in die Medina (so heißt dort die umfriedete Innenstadt mit Basar). Bei einem Einkaufsbummel gelangten wir in kleine Seitengassen. Dort entdeckte meine Frau eine kleine Moschee. Kaum waren wir der Moschee ansichtig geworden, kam auch schon ein alter Mann aus den Winkeln hervor und gab sich als Hüter der Moschee zu erkennen. Er wollte einen kleinen Bakschisch (Handgeld) und er würde uns dann - ausnahmsweise - die Moschee zeigen. Nun waren wir nicht barfuß und meine Frau hatte kurze Hosen an - wir wussten von der Touristikleitung im Hotel, dass es streng verboten ist, mit Schuhwerk eine Moschee zu betreten. Außerdem waren für Frauen lange Kleider vorgeschrieben und Frauen durften eigentlich nur in das Frauengemach, nicht aber in den Hauptgebetsraum. Trotzdem ging der Alte dann mit uns in den Gebetsraum und erklärte uns dort die fünf Grundgebote des Islam, symbolisiert in „Fatima's Hand". Besonders für meinen Sohn - er war damals acht Jahre alt - war das alles höchst interessant.

Jetzt sitze ich in meinem Fernsehsessel und verfolge die Nachrichten. Auf TeleSieben wird ein Video gezeigt, dass von der irakischen Regierung verbreitet worden war. Darauf zu sehen sind dahinsiechende Kinder in Krankenhäusern - es fehlt an allem: Medizin, Nahrung... Gleich danach wird berichtet, dass der US-Präsident Billy Klinten dieses Video als „Propaganda" abqualifiziert hat. Na, Billyboy - die Leute, die an der „Propaganda" verrecken, sehen das bestimmt anders! Ich setze mich an meinen Computer mit Internetzugang, tippe un.org ein und sehe den Begrüßungsbildschirm der Vereinten Nationen in mehreren Sprachen, Deutsch ist nicht darunter. Ich klicke mich durch bis zum Security-Server des Sicherheitsrates. Nun muss ich mir etwas einfallen lassen, was meinem Anliegen mehr Gewicht verschaffen würde. Aber was kann man da anführen? Na, klar - eine neue, furchtbare Waffe und die mir vertrauten Außerirdischen würden die Herrschaften sicher zur Besinnung bringen...

Sehr geehrte Damen und Herren,

leider werden Sie mit Ihren Handlungen der eigenen Charta in keiner Weise gerecht. Ich habe eine neue Photonenwaffe entwickelt, mit der ich Ihnen gehörig Druck machen kann! Ich bin mir darin EINIG mit der AUSSERIRDISCHEN ARMADA, die unsere Erde zurzeit schon beobachtet und Stellung bezogen hat!

Und weil Ihr Euren Pflichten nicht nachkommt, ERKLÄRE ICH HIERMIT DEN VEREINTEN NATIONEN DEN KRIEG!

Verification-ID: DISCOVERY AFTER EINSTEIN

Mit eher unfreundlichem Gruß

Jens-Jörg Plep

Natürlich ist das überzogen, aber irgendjemand muss sich doch mal für diese armen, unschuldigen Menschen einsetzen! Damit ich nicht in den Verdacht komme, für den Irak zu arbeiten, verkünde ich noch eine andere Botschaft. In Ermangelung einer irakisch-islamischen Website (Irak ist ein „Internet-Feindstaat") wähle ich turkiye.net und tippe die Nachricht:

MOHAMMED ist auferstanden!

Sein Wort ist das Wort aller Muslime!

Nur ALLAH und sein Gesandter dürfen den Heiligen Krieg verkünden!

Und bedenke: Es ist nur der NAME, Gott und Allah sind eins, DER ALLMÄCHTIGE.

(Anm.: Original in englischer Sprache)

So, das könnte sich auch vielleicht grenzübergreifend unter den Muslimen herumsprechen, denke ich mir mal. Und jetzt noch die TV-Stationen: Dazu hole ich mir die Faxnummern der großen Sender aus dem Internet. Nun wähle ich die Hauptsender aus: ZAT1, RDL, TeleSieben, ART und ZTF. Für alle fünf bereite ich ein Fax vor:

DIE LÖSUNG DES GOLFKONFLIKTS:

Auf jeder amerikanischen Dollarnote steht: IN GOD WE TRUST.

Auf Arabisch: Wir vertrauen auf ALLAH.

SCHLUSS MIT DEM KRIEG!

SENDEN SIE DAS!

Das mit der Dollarnote habe ich gesehen im Film „Das Wunder von Manhattan". Alle Faxe sende ich anschließend. Eine Antwort kommt aber von keinem der Sender. Ein letztes Mal betätige ich einen Schalter, der Bildschirm wird schwarz.

Jetzt gehe ich in das Kinderzimmer meines Sohnes, lege mich aufs Sofa. Angestrengt lausche ich in die Nacht: War da nicht entfernt ein Helikopter zu hören? Sie würden sicher kommen und mich holen...

Vielleicht könnte die UNO auch mit einer verdeckten Geheimdienstoperation reagieren. Nach vier Stunden angestrengten Lauschens bin ich müde und gehe zu meiner Frau Angela ins Bett. Natürlich vergesse ich nicht, den Wecker früh zu stellen - auch an Sonntagen beginnen Friedensmissionen schon am Morgen...

Aktion

Ich werde durch meinen Sohn Jean-Michel geweckt: „Papi, machen wir jetzt Frühstück?" Noch ganz benommen sage ich: „Der Wecker hat ja noch nicht mal geklingelt - geh wieder ins Bett!" „Ach komm, Papa - in zehn Minuten klingelt der Wecker."

Meine Frau räkelt sich im Bett: „Seid ihr schon wieder auf? Ist es denn an der Zeit?" Ich streiche ihr zärtlich über ihr rötliches Haar und erkläre: „Ja, in ein paar Minuten. Komm schon hoch, wir haben heute viel vor." Zu dritt drängeln wir ins Bad. Beim Zähneputzen gibt es - wie jeden Morgen - Drängelei vor dem Spiegel. Ich schubse meinen Sohn beiseite: „...muss mich rasieren, brauch den Spiegel..." Angela geht in die Küche, bereitet das Frühstück vor. Sie fragt mich: „Was meintest Du eigentlich, als du sagtest, wir hätten viel vor?" Beflissen sage ich: „Es gibt da eine wichtige Friedensmission, in die ich eingebunden bin. Mehr dazu darf ich dir jetzt leider nicht sagen." Sie schaut mich befremdet an: „Was ist denn los - Du weißt genau, dass Du mir alles sagen kannst!" „Ich werde Dir im Auto alles erzählen, was Du wissen darfst..." Jetzt wundert sie sich noch mehr: „Wieso im Auto? Fahren wir denn weg?" Ich erkläre: „Ja. Wir fahren erst einmal nach Unterfahring bei München zu TeleSieben. Alles andere wird sich dann ergeben."

Jean-Michel kommt nun aus dem Bad. Wir setzen uns und frühstücken. Angela und ich rauchen anschließend noch eine Zigarette. Wir gehen hinunter zum Autostellplatz, ich setze mich hinter das Lenkrad, drehe den Schlüssel im Zündschloss. Jetzt rollt der rote Toyota Corolla durch den Torweg, auf die Zufahrtsstraße zur Autobahn A9.

Unser Sohn fragt: „Wohin fahren wir denn heute?" Ich entgegne: „In die Nähe von München, Papa hat dort ein bisschen zu tun." Der Kleine freut sich: „Oh schön, wenn wir danach noch Zeit haben, gehen wir dann zum FC Bayern München?" Da muss ich einhaken: „Ich befürchte, dass wir so viel Zeit nicht haben werden..." Wir fahren in einen Baustellenbereich ein, wo die linke Fahrspur nur ganz schmal ist. Ich trete auf's Gas, habe aber ein wenig Angst, wenn wir die breiten Laster mit sehr geringem Seitenabstand überholen. Doch langsamer will ich auch nicht fahren. Endlich ist die Baustelle beendet und ich kann wieder kräftig in die Pedale steigen. In der Nähe von Unterfahring kommen wir noch in einen kleinen Stau. Schließlich biegen wir ab und gelangen auf die Medienchaussee. Schon von weitem kann man die große blaue Sieben des TV-Giganten erkennen. Wir biegen in eine kleine Seitenstraße ein, ich parke den Wagen und wende mich an die Familie: „Ihr habt jetzt einige Zeit für Euch. Ich weiß nicht, was Ihr in dieser Zeit machen wollt. Ihr könntet beispielsweise spazieren gehen." Sehr begeistert sind die Beiden von meiner Rede nicht, aber so ist es nun mal. Ich ziehe mir meine Jacke über und steige aus. Lange muss ich nicht suchen, um den Haupteingang zum Sender zu finden. Der Pförtner schreckt auf und fragt mich nach meinem Begehr. „Guten Tag, ich bin Regierungssekretär Plep von der Bundeswehr. Ich möchte gern in einer wichtigen Angelegenheit mit dem verantwortlichen Nachrichtenredakteur sprechen." Dabei halte ich ihm meinen Dienstausweis unter die Nase. Irritiert sagt er: „Einen Moment, bitte. Ich muss erst mal telefonieren." Ich meine forsch: „Was gibt es denn da zu telefonieren? Meine Angelegenheit bringe ich schon selbst vor!" Verwirrt schaut mich der Pförtner an: „Ja, wenn Sie meinen..." Er lässt mich passieren. Im Foyer treffe ich auf den Empfangschef, er fragt: „Was wünschen Sie, bitte?" Ich lege meinen Dienstausweis auf den Tresen und antworte: „Guten Tag, ich bin Regierungssekretär Plep. Ich möchte gern persönlich mit dem verantwortlichen Nachrichtenredakteur sprechen." Er fragt zurück: „Und in welcher Angelegenheit, bitte?" Mit sicherer Stimme sage ich: „Es geht um die Bedrohung des Weltfriedens, Details möchte ich lieber mit dem Redakteur besprechen." Er nimmt meinen Ausweis vom Tresen und dreht sich um: „Ich mach mir da mal schnell eine Kopie." Nach ein paar Sekunden kommt er wieder auf mich zu: „Gut. Dann setzen Sie sich doch bitte hier drüben auf die Couch!" Mit der Hand weist er auf ein wunderschönes Ledersofa.

Ich lege meinen Aktenkoffer auf den kleinen Couchtisch, öffne ihn und nehme mein Notebook heraus. Danach klappe ich den Bildschirm hoch und schalte das Gerät ein. Kaum ist der Rechner hochgefahren, da erscheint der gewünschte Nachrichtenredakteur: „Guten Abend, Meyer ist mein Name - was kann ich für Sie tun?" Ich schaue ihm ins Gesicht und stelle mich vor. Ich frage ihn, ob ihm mein Fax bekannt sei, er weiß aber von nichts. Ich erkläre: „Sie sollen als Laufschrift den ersten Artikel der Charta der Vereinten Nationen senden, damit sich die Zuschauer ein objektives Bild von den Aktivitäten der UNO im Golfkonflikt machen können." Verwirrt fragt er: „Und warum gerade wir?"

Ich überlege kurz und meine dann: „Ihr Sender gehört zu den wichtigsten TV-Anbietern im Land. Die Symbolik ihres Senders: Die sieben Zeichen, das Blau der UN, die Glocken von Jericho als Kennmelodie - das alles spricht in diesem Fall für Sie." Dass der Sender einfach verkehrstechnisch günstig für mich liegt, sage ich ihm lieber nicht. Er fragt zweifelnd: „Und wie kommen Sie dazu, mir diese Nachricht zu überbringen?" Ich pariere: „Was glauben sie denn - man schickt ja wohl in einem solchen Fall einen Bundesbeamten..." Und er fragt weiter: „Und wer soll das bezahlen?" Diese Geier - außer ihrer Kohle haben die wohl nichts im Sinn; denke ich still vor mich hin. „Das ist alles im Rundfunkstaatsvertrag geregelt - bei Bedarf können Sie ja dort mal nachschlagen." Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter - eine gute Improvisation. Ich lenke seinen Blick mit der rechten Hand auf mein Notebook: „Schauen Sie mal - hier ist der betreffende Text!" Er schaut nur kurz hin und erklärt dann: „Wir dürfen leider keine fundamentalistischen Bekennerschreiben veröffentlichen."

Nun bin ich perplex: „Das ist aber die Charta der Vereinten Nationen!" Unbekümmert meint der wichtige Mann: „Es ist ganz egal, wie Sie das nennen - wir werden es nicht veröffentlichen!" Mir fällt noch etwas ein: „Wo kann ich hier mal den Bundeskanzler anrufen? Und würden Sie das veröffentlichen, wenn Sie der Bundeskanzler persönlich darum bittet?" Der Redakteur überlegt kurz: „Ja, das wäre sicher möglich. Ich glaube aber nicht, dass das passieren wird. Telefonieren können Sie hier aber nicht." Da habe ich wohl Pech: „Ich habe draußen ein Mobiltelefon. Leider habe ich mein Notizbuch zu Hause liegen gelassen. Könnten Sie mir wenigstens die Telefonnummer vom Bundeskanzleramt heraussuchen?" Der Redakteur lässt aber nicht mit sich reden: „Nein, das ist unmöglich." Soll das etwa alles gewesen sein? „Aber ein Telefonbuch haben Sie doch?" Mit heuchlerischer Miene meint der Mann: „Tut mir leid, haben wir nicht." Ich packe meine Sachen zusammen und verabschiede mich - schon bin ich wieder draußen.

Ich werfe einen kurzen Blick auf mein klobiges Motorola-Handy - nein, die Auskunft anzurufen hat auch keinen Sinn. Außerdem würde ich so kaum den Bundeskanzler erreichen...

Ich steige aus, suche die Umgebung nach meiner Familie ab. Weit hinter einer Bahnschranke entdecke ich sie dann. Ich rufe laut und winke, doch die beiden bemerken mich nicht. Ich gehe zurück zum Auto und fahre in Richtung Bahnschranke los. Dort angekommen, blinkt erst einmal das rote Licht und ich stehe vor der geschlossenen Schranke. Ich schalte den Motor ab und das Radio ein - Peter Schilling singt da Major Tom. Nach langem Warten öffnet sich die Schranke endlich wieder, ich starte durch und presche zu meiner Familie. Nach einer scharfen Bremsung reiße ich die Beifahrertür auf: „Steigt ein, wir müssen noch wohin!" Angela und Jean-Michel klettern in das Auto, Angela fragt: „Und wo müssen wir hin?" Ich ziehe den Straßenatlas heraus und sage: „Nach Bonn, ins Bundeskanzleramt." Beide sind enttäuscht, ich füge hinzu: „Ja, wir müssen unbedingt dorthin, das lässt sich leider nicht vermeiden." Jetzt studiere ich die Straßenkarte: „Das ist noch eine ganz schöne Strecke."

Ich muss meinen Sohn enttäuschen, ich sage: "Mit dem Besuch beim FC Bayern München wird es heute wohl nichts werden." Angela verteilt Bratklopse und Coca-Cola in Dosen. Ich habe freie Fahrt und fahre ziemlich schnell, mein Toyota macht etwa 180 km/h Spitze. Ich denke noch einmal über das Erlebte nach - würde mein Gespräch mit dem Bundeskanzler wohl irgendetwas bewirken? Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass mein Verhalten in dieser Angelegenheit nicht sehr gewöhnlich ist, doch ich verspüre einen starken inneren Drang, das zu tun, was ich jetzt eben tue.

Wir kommen an die Abfahrt Nürnberg und fahren die Ausfahrt hinunter - wir werden uns ein bisschen in der Stadt umschauen und zum Mittagessen gehen. Aber zuerst muss ich ein paar Runden durch das Stadtzentrum drehen: Ich finde keinen Parkplatz und alle Parkhäuser sind belegt. Endlich habe ich dann einen freien Platz vor einer Parkuhr erspäht. Wir schlendern durch eine Grünanlage, ein alter Mann sitzt auf einer Parkbank und füttert die Tauben. Als ich an ihm vorübergehe, schaute er auf und sagt: „Guten Tag, mein HERR!" Er sagt es wirklich so, als ob ich der liebe Herrgott wäre. Jean-Michel grinst mich an, als ob er sagen will: Wohl besoffen!

Wir finden ein kleines Restaurant und nehmen darin Platz. Die Preisliste ist wirklich üppig - im Gegensatz zur Portionsgröße. Doch was will man machen, wenn man unterwegs ist, Hunger hat und nur Geldhaie am Straßenrand lauern? Wir sind noch nicht richtig satt, als wir das Lokal verlassen und wir gehen gleich noch in einen Sparmarkt, um uns ein paar Happen Kaltverpflegung zu besorgen.

Dann sind wir wieder auf Tour - Richtung Bonn. Es wird schon dunkel, als wir schließlich am Frankfurter Flughafen vorbeifahren. Ich schaue nach rechts, parallel zu uns befindet sich ein größeres Passagierflugzeug im Landeanflug. Doch was ist das für ein Schatten davor? Der Schatten verdeckt einen Teil des Rumpfes der Maschine und bewegt sich mit ihr. Ich zeige auf das Flugzeug und sage, zu meinem Sohn gewandt: „Jean-Michel, sieh doch mal - das Flugzeug wird von einem UFO begleitet, man kann es deutlich an dem Schatten sehen. Siehst du es auch?"

Mein Sohn erwidert zögerlich: „Genau kann ich es nicht sehen. Ich hab auch noch nie ein UFO gesehen. Aber dieser Schatten wird schon von einem UFO sein - wenn du es sagst..."

Trotz des hohen Tempos, mit dem ich fahre, ist es schon sehr spät, als wir in Bonn ankommen. Die Stadt wirkt gediegen und sehr ruhig. Hier muss ich mich erst einmal zum Bundeskanzleramt durchfragen, was zu der späten Stunde nicht ganz einfach ist. Doch schließlich sind wir da und ich parke das Auto linkerhand vor der Einfahrt. Hinter dem Tor wachen zwei junge BGS-Beamte, ich lasse meine Familie im Auto und gehe auf den vorderen Beamten zu. „Guten Abend, ich bin Regierungssekretär Plep von der Bundeswehr. Ich möchte den Bundeskanzler Herrn Dr. Gohl in einer dringlichen Angelegenheit sprechen."

Der BGS-Mann geht in sein Wachhäuschen, er telefoniert kurz und spricht ein paar Worte mit dem anderen BGS-Mann. Als er wieder herauskommt, sagt er zu mir: „Tut mir leid, der Bundeskanzler ist in seinem Privatquartier, ich habe eben mit einem seiner Personenschützer telefoniert." Ich gehe zu meinem Toyota zurück und erkläre mit knappen Worten meiner Familie die Situation. Angela meint: „Dann müssen wir eben erst einmal zurückfahren. Du kannst ja noch am Montag telefonieren oder einen Brief schreiben."

Das mit dem Brief hatte mir der BGS-Beamte auch schon gesagt...