Wenn der Werwolf kommt: Zwei Romane - Alfred Bekker - E-Book

Wenn der Werwolf kommt: Zwei Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker: Zeit der Werwölfe Ich darf mich nicht verwandeln Eine Lichtung mitten im dichtesten Wald. Fahles Mondlicht schien vom Himmel. Ein Wolf heulte auf. Äste knackten, ein Mann stolperte vorwärts und hielt inne, als er die Lichtung erreichte. Der Mann wirkte gehetzt. Er sah sich um, atmete schnell und schnüffelte dabei wie ein Tier, das gerade Witterung aufgenommen hatte. Seine Nasenflügel bebten. Der Mann war blass und breitschultrig. Sein Alter war schwer zu schätzen. Der lange Ledermantel reichte ihm bis zu den Knöcheln. Das Haar war lang und grau. Der Backenbart und die eher buschigen, leicht nach oben gerichteten Augenbrauen gaben ihm etwas Wildes, Ungebärdiges. In seinen wolfsgrauen Augen spiegelte sich das Mondlicht. Immer wieder wandte er den Kopf, ließ den Blick schweifen und blähte die Nasenflügel. Erneut ertönte der ferne Ruf eines Wolfs... Und nun antwortete der Mann. Er formte aus seinen Lippen einen Trichter und stieß dann ein Heulen heulen aus, das von dem Laut eines Wolfs nicht zu unterscheiden war. Es knackte nun auf der anderen Seite der Lichtung im Unterholz. Vögel stoben auseinander. Die schwarzen Schwingen einer Eule hoben sich dunkel gegen das fahle Mondlicht ab. Ein hechelnder Atem drang an die Ohren des Mannes im Ledermantel. Aus dem Schatten der knorrigen Bäume kam dann ein Wolf hervor. Er war ungewöhnlich groß, die Schultern sehr viel breiter als dies normalerweise der Fall war und sein Fell war vollkommen schwarz. Der riesenhafte Wolf näherte sich. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Alfred Bekker

Wenn der Werwolf kommt: Zwei Romane

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Inhaltsverzeichnis

Wenn der Werwolf kommt: Zwei Romane

Copyright

Zeit der Werwölfe

Ich darf mich nicht verwandeln

Wenn der Werwolf kommt: Zwei Romane

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane

von Alfred Bekker:

Zeit der Werwölfe

Ich darf mich nicht verwandeln

Eine Lichtung mitten im dichtesten Wald.

Fahles Mondlicht schien vom Himmel.

Ein Wolf heulte auf.

Äste knackten, ein Mann stolperte vorwärts und hielt inne, als er die Lichtung erreichte. Der Mann wirkte gehetzt. Er sah sich um, atmete schnell und schnüffelte dabei wie ein Tier, das gerade Witterung aufgenommen hatte. Seine Nasenflügel bebten.

Der Mann war blass und breitschultrig. Sein Alter war schwer zu schätzen. Der lange Ledermantel reichte ihm bis zu den Knöcheln. Das Haar war lang und grau. Der Backenbart und die eher buschigen, leicht nach oben gerichteten Augenbrauen gaben ihm etwas Wildes, Ungebärdiges. In seinen wolfsgrauen Augen spiegelte sich das Mondlicht.

Immer wieder wandte er den Kopf, ließ den Blick schweifen und blähte die Nasenflügel.

Erneut ertönte der ferne Ruf eines Wolfs...

Und nun antwortete der Mann.

Er formte aus seinen Lippen einen Trichter und stieß dann ein Heulen heulen aus, das von dem Laut eines Wolfs nicht zu unterscheiden war.

Es knackte nun auf der anderen Seite der Lichtung im Unterholz. Vögel stoben auseinander. Die schwarzen Schwingen einer Eule hoben sich dunkel gegen das fahle Mondlicht ab.

Ein hechelnder Atem drang an die Ohren des Mannes im Ledermantel. Aus dem Schatten der knorrigen Bäume kam dann ein Wolf hervor. Er war ungewöhnlich groß, die Schultern sehr viel breiter als dies normalerweise der Fall war und sein Fell war vollkommen schwarz.

Der riesenhafte Wolf näherte sich.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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Zeit der Werwölfe

von Alfred Bekker

Alfred Bekker Grusel-Krimi #10

Übernatürliche Wesen bedrohen die Welt. Dämonen suchen die Menschen heim – und mutige Dämonenjäger begegnen dem Grauen... Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell. Titebild: Klaus Dill

Zeit der Werwölfe

von Alfred Bekker

Ein CassiopeiaPress E-Book

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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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1.

Eine Lichtung mitten im dichtesten Wald.

Fahles Mondlicht schien vom Himmel.

Ein Wolf heulte auf.

Äste knackten, ein Mann stolperte vorwärts und hielt inne, als er die Lichtung erreichte. Der Mann wirkte gehetzt. Er sah sich um, atmete schnell und schnüffelte dabei wie ein Tier, das gerade Witterung aufgenommen hatte. Seine Nasenflügel bebten.

Der Mann war blass und breitschultrig. Sein Alter war schwer zu schätzen. Der lange Ledermantel reichte ihm bis zu den Knöcheln. Das Haar war lang und grau. Der Backenbart und die eher buschigen, leicht nach oben gerichteten Augenbrauen gaben ihm etwas Wildes, Ungebärdiges. In seinen wolfsgrauen Augen spiegelte sich das Mondlicht.

Immer wieder wandte er den Kopf, ließ den Blick schweifen und blähte die Nasenflügel.

Erneut ertönte der ferne Ruf eines Wolfs...

Und nun antwortete der Mann.

Er formte aus seinen Lippen einen Trichter und stieß dann ein Heulen heulen aus, das von dem Laut eines Wolfs nicht zu unterscheiden war.

Es knackte nun auf der anderen Seite der Lichtung im Unterholz. Vögel stoben auseinander. Die schwarzen Schwingen einer Eule hoben sich dunkel gegen das fahle Mondlicht ab.

Ein hechelnder Atem drang an die Ohren des Mannes im Ledermantel. Aus dem Schatten der knorrigen Bäume kam dann ein Wolf hervor. Er war ungewöhnlich groß, die Schultern sehr viel breiter als dies normalerweise der Fall war und sein Fell war vollkommen schwarz.

Der riesenhafte Wolf näherte sich. Er senkte den Kopf und blieb etwa fünf Schritte von dem Mann im schwarzen Ledermantel stehen.

Die Blicke beider begegneten sich, aber schon einen kurzen Moment später sah der Wolf zur Seite.

Er beugte sich nieder, legte sich auf die Vorderpfoten.

Der Mann stieß derweil ein tiefes Knurren aus, er sank auf die Knie, kippte nach vorn und stützte sich mit den Händen auf. Sein Mund wurde größer, verwandelte sich innerhalb eines Herzschlags zu einer langgezogenen Wolfsschnauze. Die Haare wucherten plötzlich bis unter die Augen und bildeten ein Fell. Die Ohren stachen spitz hervor. Auch der Rest seines Körpers und seiner Kleidung veränderte sich. Sein Mantel wurde zu dichtem, grauschwarzem Fell und die Lederstiefel, die er trug, verschmolzen mit seinen Füßen zu den Hinterläufen eines Wolfs.

Dieser zweite Wolf war noch größer als der erste, der sich auf der Lichtung niedergelegt hatte. Sein Fell war von grauen Strähnen durchzogen, die an die Haarfarbe des Mannes mit dem Ledermantel erinnerte.

Das Monstrum riss das Mal weit auf, wandte den Kopf zum Mond hinauf und stieß ein lautes Heulen aus.

Alle sollten ihn hören – den Ruf der Werwölfe!

2.

„Hey? Alles in Ordnung?“

Brian Hunter hörte die Stimme wie aus weiter Ferne. Gerade noch hatte er einen Mann mit langem Mantel vor seinem inneren Auge gesehen, der sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt hatte. Eine Vision... Sie war so beeindruckend gewesen, dass er für einen Moment sogar geglaubt hatte, selbst mitten in der Nacht auf dieser Lichtung zu sein, irgendwo in einem wild wuchernden Wald mit eigenartig verwachsenen Bäumen zu sein. Aber jetzt kehrte sein Bewusstsein in die Wirklichkeit zurück.

„Hallo? Jemand zu Hause bei dir hinter der Stirn? Oder ist dir nicht gut.“ Es war die Stimme von Smith, dem Hausmeister des High School Internats Saint Morn, auf das Brian Hunter von nun an gehen würde. Smith hatte Brian vom Bahnhof in Boston abgeholt. Jetzt fuhren sie schon eine ganze Weile auf etwas einsameren Straßen herum, um nach Saint Morn zu gelangen.

„Es ist alles in Ordnung“, versicherte Brian.

„Du hast ganz blass ausgesehen!“, hakte Mister Smith nach. „Also um ein Haar wäre ich angehalten, um...“

„Es ist wirklich alles in Ordnung“, versicherte Brian noch einmal und diesmal ziemlich gereizt.

Meine Güte, was macht der für einen Aufstand!, ging es ihm dabei etwas ärgerlich durch den Kopf. Sollte er nicht extra auf die Mystic High School von Saint Morn gehen, weil man dort etwas mehr Verständnis dafür hatte, dass er eben anders war? Brian hatte diese Visionen des öfteren. Meistens zeigten sie ihm etwas, was in näherer oder fernerer Zukunft geschah. Nicht immer traf das, was er dann schlaglichtartig vor den Augen hatte, auch tatsächlich genau so ein. Manchmal hatte er nur einen kurzen Ausschnitt des Geschehens erkennen können und es stellte sich hinterher heraus, dass er den Zusammenhang völlig falsch beurteilt hatte.

Dinge, die ihm bedeutend erschienen, stellten sich später als völlig unwichtig heraus und umgekehrt. Aber was den Werwolf anging, da war er sich vollkommen sicher. Es war von Bedeutung, was er gesehen hatte, und es hatte irgend etwas mit dem Ort zu tun, zu dem er jetzt unterwegs war.

Brian konnte eine ganze Weile an gar nichts anderes mehr denken, während der Kombi von Mister Smith die Straße an der Küste entlang fuhr. Aber dann bog er ab und von da an wurde die Straße immer kleiner und gewundener. Sie führte durch einen Wald.

„Hör mal, ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen, Brian“, sagte Mister Smith. „Aber wenn du nach Saint Morn kommst, dann solltest du lernen, etwas offener damit umzugehen, dass du ein paar besondere Talente hast.“

„Ja sicher“, gab Brian wenig interessiert zurück. Seine übersinnliche Begabung... Das war der Grund dafür, dass er an der Saint Morn High School angenommen worden war. Und dazu gehörten nicht nur seine Visionen von der Zukunft, sondern noch ein paar andere Dinge, die ihm schon manchmal ziemlich großen Ärger eingebracht hatten... In so fern war die neue Schule für Brian auch ein neuer Anfang.

Brian sah aus dem Fenster. Mister Smith bog mit dem Wagen ab. Das Meer und die Steilküste waren jetzt nicht mehr zu sehen, dafür war rechts und links der Straße dichter Wald.

„Sieht das hier überall so aus“, fragte Brian.

„Du findest in Saint Morn alles, was du brauchst: Eine Schule, eine kleine Stadt, in der es alles gibt und landschaftlich sehr schön gelegen ist. Du kannst Wassersport machen oder...“

„Ich sehr ziemlich viel Wald und sehr wenig Stadt“, stellte Brian fest. „Meine Güte, sieht wohl so aus als würden sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen...“

„Woher kommst du denn?“, fragte Mister Smith.

„New York City.“

„Naja, mit einer Acht-Millionenstadt und den Wolkenkratzern von Manhattan ist das hier natürlich nicht zu vergleichen. Aber ich kann dir sagen, dass die meisten sich wohlfühlen.“

„Wir werden sehen...“

„Aber eins solltest dir merken.“

„Und das wäre?“

„Du bist hier nichts Besonderes. Hier haben alle irgendwelche besonderen Fähigkeiten – und nur deswegen bist du hier. Also brauchst du dir nichts darauf einzubilden und du solltest auch nicht auf die Idee kommen, darin den Grund zu sehen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten!“

Brian atmete tief durch. „Das hört sich ja ganz so an, wie die Predigten, die ich mir zu Hause immer anhören musste.“

„Manche Dinge sind überall gleich, Brian.“

„Ja, nur gehörte das auf meiner alten Schulte nicht zu den Aufgaben des Hausmeisters.“

Mister Smith lachte rau. „Kann sein. Aber in Saint Morn sind alle eine Gemeinschaft. Wir haben alle eine gemeinsame Aufgabe, von der sich niemand ausschließen kann – auch der Hausmeister nicht!“

„Gemeinsame Aufgabe? Das klingt ja fast so bedeutungsvoll wie geheime Mission oder so was... Meine Güte, ich dachte, es ginge nur darum, was zu lernen.“

„Du wirst es schon begreifen, wie hier der Hase läuft.“

„Nochmal eine andere Frage...“

Mister Smith hob die Augenbrauen. „Bitte, nur raus damit!“

„Gibt es hier eigentlich Wölfe in der Gegend?“

Mister Smith war überrascht. „Wie kommst du jetzt auf Wölfe?“

„Nur so...“, sagte Brian.

Mister Smith zuckte mit den breiten Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin schon dreizehn Jahre hier – aber von Wölfen in der Gegend habe ich noch nie etwas gehört.“

3.

Ein Van stand schräg auf der Straße. Dahinter war eine Bremsspur zu sehen. Die Frontscheibe war zerschlagen und überall war Blut.

Die Fahrertür war förmlich aus ihren Halterungen herausgerissen worden und lag ein Stück entfernt auf dem Boden.

Etwa zehn Meter vor dem Van parkte am Straßenrand ein Polizeiwagen. Diese Fahrertür stand offen, von dem Polizisten war nirgends etwas zu sehen.

Mister Smith hielt an. „Hier ist was passiert“, stellte er nur fest. Er griff zum Handy. „Bin ich da mit dem Büro des County Sheriffs verbinden? Hallo? Ja, es gab hier einen Unfall auf der Coast Road, etwa fünf Meilen von Saint Morn entfernt... Ein Einsatzfahrzeug ist hier, aber... Ah, ja...“ Mister Smith beendete das Gespräch. „Einsatzkräfte des Sheriffs sind unterwegs“, erklärte er Brian. Aber den schien das nur am Rand zu interessieren. Er stieg aus. Wieder sah er für einen Augenblick die Fratze eines Wolfsgesichts vor sich. Er spürte, dass seine Vision, irgend etwas mit dem zu tun hatte, was hier geschehen war. Dann sah er die Spuren auf dem Asphalt.

Wolfsspuren...

Das Tier hatte sich entweder verletzt oder war durch eine Blutlache gelaufen. Die Spuren selbst waren ungewöhnlich groß – und das war selbst für Brian sofort ersichtlich, der in seinem bisherigen Leben nicht allzu viel Kontakt mit der Natur gehabt hatte.

„Brian, warte!“, hörte er Mister Smith rufen. Aber Brian ließ sich davon nicht beirren. Wenn er ich etwas genau ansah, dann bekam er manchmal eine Vision, die ihm mehr darüber verriet. Entweder was damit in Zukunft geschehen würde oder was in der Vergangenheit damit geschehen war... Er warf einen kurzen Blick in den Polizeiwagen. Der Zündschlüssel steckte.

Auf dem Beifahrersitz lag eine Jacke.

'Deputy Sheriff R. Meyers' stand dort aufgenäht. Das musste der Name des Beamten sein.

Mister Smith sah inzwischen in das Innere des Vans, wohl um sich zu überzeugen, dass dort wirklich niemand mehr drin war. Auch auf den Rücksitzen nicht.

„Der Deputy Sheriff muss sofort ausgestiegen sein“, stellte Brian fest. „Selbst sein Hut liegt nicht auf dem Rücksitz. Ich nehme an, dass er zum Van gegangen ist und...“

„Da ist niemand. Nur Blut!“

Brian ging nun ebenfalls zum Van und sah sich alles genau an. Die Sitze waren zum Teil aufgerissen worden.

„Tritt nirgendwo hinein, das sieht nach einem Verbrechen aus und wir wollen es der Polizei ja nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist!“, sagte Mister Smith, der ganz blass aussah.

Brian blickte auf den Boden, sah sich die Blutlache an. Vor seinem inneren Auge sah er für einen kurzen Moment erneut einen riesenhaften Wolf, der irgend etwas davonschleifte.

Oder jemanden!, ging es Brian schaudernd durch den Kopf.

Dann waren plötzlich mehrere Schüsse zu hören.

Und dann drang ein durchdringendes Heulen aus dem Wald heraus.

Brian drehte sich zu Mister Smith um und eine tiefe Furche war auf seiner Stirn zu sehen. „Haben Sie nicht gesagt, es gäbe hier keine Wölfe?“

Mister Smiths Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. „Bis jetzt hatte ich das auch angenommen!“, murmelte er.

4.

Brian lief kurz entschlossen los. Er setzte zu einem Spurt an, noch ehe Mister Smith ihn davon hätte abhalten können. Es ging geradewegs in den Wald hinein. Er sah genau vor sich, wohin er sich wenden musste.

Und ebenso wusste er, dass er sich beeilen musste, wenn er noch etwas ausrichten wollte.

„Warte doch!“, rief Mister Smith. „Was soll das denn? Die Polizei ist doch gleich hier!“

Etwas unbeholfen hetzte der Hausmeister der High School von Saint Morn dann hinter dem neuen Schüler her, den er eigentlich nur vom Bahnhof hatte abholen und nicht auf einen Waldlauf hatte begleiten wollen.

Brian rannte so schnell er konnte, sprang über einen umgestürzten Baum, kämpfte sich durch dichtes Gestrüpp und erreichte dann ein paar Augenblicke später eine Lichtung.

Das ist es!, durchfuhr es ihn.

Auch wenn seine Vision eine nächtliche Szenerie gezeigt hatte, war er sich doch vollkommen sicher – dies war die Lichtung, die Waldlichtung, auf der sich der Mann mit dem Ledermantel in einen Wolf verwandelt hatte...

An einen Baumstumpf gelehnt, bemerkte Brian den Deputy Sheriff. Er saß am Boden und lud seinen Revolver nach. Sein Hemd war an der Schulter blutig. Offenbar war er schwer verletzt.

„Verschwinde!“, ächzte er Brian entgegen. „Hau ab! Sofort!“

Brian blieb unschlüssig stehen.

Aus der Ferne hörte er Mister Smith rufen, der einfach nicht mit seinem Lauftempo hatte mithalten können.

Dann war ein Knurren zu hören.

Am Waldrand war das Gras sehr hoch. Brian sah, wie es sich bewegte. Dann sprang einer jener riesenhaften Wölfe daraus hervor, wie Brian sie in seiner Vision gesehen hatte.

Es war jener Wolf, dessen Fell graue Strähne hatte... Die Zeichnung stimmte exakt überein!

Deputy Sheriff Meyers schoss seinen Revolver ab. Alle sechs Patronen feuerte er kurz hintereinander auf den Wolf. Die Kugeln trafen das Monstrum. Die Wucht der Geschosse riss den Wolf zurück. Er wand sich am Boden und jaulte laut auf.

Dann schleppte er sich ein Stück davon, knurrte dabei wütend. Die Schusswunden waren deutlich zu sehen. Blut quoll aus ihnen heraus, aber es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis die Wunden sich wieder schlossen. Der Wolf streckte sich, leckte mit der langen Zunge das Blut aus dem Fell und schien dann erneut angreifen zu wollen.

Die Kugeln aus dem Revolver schienen ihm nichts anhaben zu können.

Der Deputy lud erneut voller Hektik die Waffe nach. Aber es gab keine Grund anzunehmen, warum die Kugeln diesmal irgendeine Wirkung haben sollten. Der Wolf hatte sich wieder aufgerappelt. Am Waldrand erschien derweil ein zweiter. Etwas kleiner und mit einem vollkommen schwarzen Fell.

Der kleinere Wolf schien abzuwarten.

Der größere fletschte die Zähne.

Brian lief ihm entgegen.

„Bist du wahnsinnig?“, rief Mister Smith, der inzwischen auch die Lichtung erreicht hatte. Damit lenkte er allerdings die Aufmerksamkeit beider Wölfe auf sich.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin griffen beide im selben Moment an. Sie schnellten auf Brian zu. Die Mäuler waren weit aufgerissen. Knurrend stürzten sich beide Bestien auf Brian.

Dieser hob die Hände und stieß einen lauten Schrei aus.

Mitten im Sprung wurden die beiden zähnefletschenden Bestien gestoppt. Der erste von ihnen kam noch an Brians Arm, und er spürte für den Bruchteil einer Sekunde eine kalte Schnauze. Der zweite wurde schon früher fortgerissen. Es war, als würden die Bestien plötzlich gegen eine unsichtbare Wand aus Glas prallen. Eine schier übermächtige Kraft erfasste sie und warf sie fast zwei Meter zurück. Sie rollten sich am Boden ab, kamen wieder auf die Beine und probierten es gleich noch einmal. Wieder stieß Brian einen durchdringenden Schrei aus.

Die unheimliche Kraft packte sie erneut und schleuderte sie noch einmal ein ganzes Stück zurück. Jaulend rappelten sie sich wieder auf.

Mister Smith öffnete den Mund, als er das sah und vergaß, ihn wieder zu schließen. Der verletzte Deputy starrte Brian auf eine Weise an, die verriet, wie fassungslos er war.

Brian ging mit langsamen Schritten auf die beiden Werwölfe zu. Sie schienen noch nicht entschieden zu haben, ob sie noch einen weiteren Angriff wagen sollten. Ihre Köpfe waren gesenkt. Sie fletschten die Zähne und knurrten Brian drohend an

Dieser hob den linken Arm.

Du musst dich jetzt sehr konzentrieren... Sammle alle Kraft!, ging es ihm durch den Kopf. Er schloss die Augen, aber trotzdem sah er mit seinem inneren Auge alles, was um ihn herum geschah. Sein Gesicht wirkte angestrengt, so als würde er etwas sehr Schweres heben.

Dann krümmte er seine Finger, so als würde er etwas umfassen und riss anschließend den linke Arm ruckartig zurück.

An einem der Bäume, die am Waldrand standen, brach daraufhin ein Ast ab. Wie ein Peitschenschlag fuhr dieser auf die beide Wölfe herab, die daraufhin jaulend davonstoben.

Augenblicke später war der Spuk vorbei.

Es war nichts mehr von den Bestien zu sehen.

5.

„Jetzt weiß ich, was deine besondere Begabung ist!“, murmelte Mister Smith. Und der Hausmeister von Saint Morn war erfahren genug, um sich gut vorstellen zu können, dass Brian Hunter sich mit diesen Kräften in der Vergangenheit nicht unbedingt nur Freunde gemacht hatte...

Mister Smith kümmerte sich zuerst um den verletzten Deputy. Dessen Schulter sah übel aus. Trotzdem war er erleichtert. „Ihre Kollegen sind gleich hier!“, versicherte Smith.

Deputy Meyers atmete tief durch.

„Ich hole den Erste Hilfe Kasten aus dem Wagen!“, kündigte Smith an.

„Nein, nein, das sieht schlimmer aus, als es ist!“, widersprach Deputy Meyers. Er versuchte aufzustehen und schaffte es schließlich. Schwankend stand er da und steckte den Revolver ein. Dann betastete er seine Schulter.

„Wo ist der Fahrer des Van?“, fragte Brian.

Deputy Meyers lachte heiser auf. „Diese Bestien... Ich fand den Van mitten auf der Straße – leer. Als ich ausstieg, hörte ich Schreie und bin sofort losgelaufen. Ich habe noch nicht einmal im Büro des Sheriffs Bescheid sagen können...“ Er schluckte. „Bis hierher bin ich gekommen, dann wurde ich angegriffen und habe versucht, mich zu verteidigen. Aber diese Biester scheinen mir extrem widerstandsfähig zu sein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Wie kann das sein, dass die Kugeln sie nicht töten? Das sind Teilmantelgeschosse, die müssten sie eigentlich zerfetzen!“

„Vielleicht haben Sie ja nicht richtig getroffen“, meinte Mister Smith. Er zuckte die breiten Schultern, als Deputy Meyers ihn darauf hin verständnislos ansah. „Naja, kann doch sein! Also ich würde in so einer Situation nicht einmal einen Elefanten treffen, wenn er zwei Meter entfernt wäre!“

„Aber Sie sind auch kein Polizist und trainieren regelmäßig auf dem Schießstand!“, erwiderte er ziemlich aufgebracht. Dann wandte er sich an Brian. „Was hast du gerade eigentlich gemacht?“, fragte er.

Brian schluckte.

Je weniger Menschen von seinen besonderen Fähigkeiten wussten, desto besser. Diese Erfahrung hatte er bereits gemacht. Und das galt sowohl für seine Visionen, als auch für die anderen Kräfte, die er einsetzen konnte. Brian hatte sich darüber informiert. Telekinese nannte man das, was er konnte, wohl. Dinge durch seinen puren Willen bewegen – darauf lief es letztlich hinaus. Allerdings war es umstritten, ob es telekinetische Fähigkeiten überhaupt gab.

Für Brian war das natürlich keine Frage. Er wusste, dass es so war, denn schließlich hatte er seit frühester Kindheit lernen müssen, mit diesen Kräften umzugehen. Mit der Zeit waren sie immer stärker geworden. Ganz zu Anfang, als er noch sehr klein war, hatte er sie nur benutzt, um kleine Spielzeugautos von selbst fahren zu lassen.

„Ich kann einfach nur gut mit Hunden umgehen“, sagte Brian und hoffte, dass Deputy Meyers ihn dann in Ruhe ließ.

„Ich nehme an, Sie brauchen jetzt etwas Ruhe“, mischte sich Mister Smith ein. „Wenn man so etwas erlebt hat, dann kann es schon sein, dass man an den Dingen zweifelt, die...“

„Ich weiß, was ich gesehen habe!“, unterbrach ihn der Deputy. „Man erzählt sich alles Mögliche an seltsamen Geschichten über die Jugendlichen in dem Internat, in dem Sie tätig sind, Mister Smith.“

„Alles Vorurteile!“, erwiderte Smith.

Deputy Meyers atmete tief durch. „Teufel, da kann man schonmal den Verstand verlieren, was?“

„Ich würde diesen Namen nicht zu laut aussprechen, Deputy“, murmelte Smith.

6.

Erstaunlich schnell trafen weitere Einsatzwagen des örtlichen County Sherrifs ein. Außerdem ein Rettungswagen. Von Mister Smith erfuhr Brian Hunter, dass sich die Zentrale des County Sheriffs ganz in der Nähe befand. „Saint Morn ist nicht groß, aber wir haben hier alles, was man braucht – und vor allem kann man alles zu Fuß erreichen“, meinte Smith.

Brian verdrehte die Augen.

„Das hört sich fast wie die Werbesprüche an, die meine Eltern für dieses Internat abgelassen haben.“

„Es ist die Wahrheit, Brian! Und auch wenn dieses Ereignis hier wohl deinen ersten Tag in Saint Morn überschatten wird – du wirst dich über kurz oder lang wohlfühlen. Das ist ziemlich sicher!“

Brian zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen, ob eine Gegend mit Wölfen was für mich ist!“, meinte er. „Eigentlich haben mir schon die giftigen Terrier gereicht, die die feinen Ladys in Manhattan von Hundeausführern durch den Central Park führen lassen.“

Brian holte ein Kaugummi aus der Hosentasche. Das war der Augenblick, als er den roten, leicht blutenden Striemen bemerkte, der sich quer über seine linke Hand zog.

Ist sicher ein Ast gewesen!, dachte Brian.

Mister Smith reichte ihm ohne Worte ein Papiertaschentuch.

„Können Sie Gedanken lesen oder so was?“, fragte Brian. „Ich dachte, Sie wären ein Normalo – also ohne besondere Fähigkeiten.“

„Manchmal reicht gesunder Menschenverstand völlig aus“, gab Mister Smith zurück.

Sheriff Clancy kam in diesem Moment auf Smith zu und begrüßte ihn. Die beiden kannten sich offenbar. So fasste der Hausmeister die Geschehnisse für den etwas korpulenten Leiter der örtlichen Polizeibehörde des County Sheriffs, die für das gesamte Umland zuständig war, zusammen.

„Und du hast diese Wölfe dann in die Flucht geschlagen?“, erkundigte sich Clancy anschließend bei Brian.

„So ist es, Sir.“

„Du wirst noch in unser Büro kommen müssen, damit wir deine Aussage zu dieser Sache aufnehmen können.“

„Kein Problem.“

Einer der anderen Beamten des Sheriffs rief nach seinem Chef. „Ich muss da mal hin!“, sagte Clancy. Einer der Deputies wirkte bleich wie eine Wand. „So was haben Sie auch noch nicht gesehen“, stammelte er. „Wir habe vermutlich die sterblichen Überreste des Van-Fahrers gefunden... Sir, das ist so furchtbar.“

7.

„Du musst nicht denken, dass es hier jeden Tag so zu geht, Brian. Eigentlich ist das ein ganz gemütlicher Ort“, sagte Mister Smith, als sie weder im Wagen saßen und weiter fuhren.

„Genau das befürchte ich“, meinte er. „Ich meine, wo gibt es denn einen Sheriff? Nur in winzigen Nestern, die zu klein sind, um eine eigene Polizei zu unterhalten!“ Er schüttelte den Kopf. „Das meine Eltern mir das antun mussten...“

„Jeder, der nach Saint Morn kommt, ist auserwählt, Brian. Daran solltest du immer denken...“

„Na großartig. Das klingt ja fast, als wäre das hier eine Sekte oder sowas...“

„Unser Schulleiter wird es dir gleich erklären.“

Eigentlich wäre Brian noch gerne auf der Lichtung zurückgeblieben, um mitzubekommen, was bei den weiteren Ermittlungen von Sheriff Clancy und seinen Leuten herauskam. Aber Mister Smith war dagegen gewesen. Der Grund dafür leuchtete ein. Sie waren schon sehr spät dran. Und Mister Galway, der Leiter von Saint Morn, hasste Unpünktlichkeit, wie Brian durch den Hausmeister erfuhr. „Dass wir eine gute Ausrede hätten, spielt bei ihm leider keine so große Rolle.“

Es dauerte nicht lange und der Wagen erreichte ein von Wald umgebenes Herrenhaus aus grauem Stein, zu dem noch ein paar Nebengebäude gehörten.

Die hohen Giebel waren von wildem Wein überwuchert, der sich am Maurwerk emporrankte.

Einige der Bäume, die in der Nähe standen, wirkten seltsam verwachsen und man hatte den Eindruck, als würden sich fratzenhafte Gesichter auf der Rinde abzeichnen. Diese Bäume schienen ebenso alt zu ein, wie das ganze Anwesen. In so manchen dieser verformten oder gespaltenen Stämme musste irgendwann einmal der Blitz hineingefahren sein.

„Oh Mann, das sieht ja aus wie ein Postkartenmotiv aus der Gruft!“, stieß Brian hervor. „Das ist ja alles uralt. Als ob die Pilgerväter hier noch selbst die Steine aufeinander geschichtet hätten!“

„Ungefähr 350 Jahre ist die Schule von Saint Morn alt“, erklärte Mister Smith. „Das Haupthaus war eines der ersten Steingebäude von ganz Massachusetts.“

„Man hätte hier ein Gruselschloss als Kulisse für Horror-Filme einrichten sollen – aber nichts, wo man wirklich leben soll! Das verstößt ja gegen die Menschenwürde!“

„Es hat seinen eigenen Charme, Brian. Und hol deine Sachen aus dem Kofferraum. Das ist zwar ein hochherrschaftliches Haus, aber seit es ein Internat ist, hat man hier keine Dienerschaft mehr – wenn du verstehst, was ich meine!“

„Vollkommen“, murmelte Brian.

8.

Brian hatte nur eine kleine Sporttasche mitgenommen. Leichtes Gepäck. Er ging irgendwie stillschweigend davon aus, dass es sowieso bald wieder Ärger geben würde und er auch Saint Morn vorzeitig verlassen musste. So war das auch an den High Schools gewesen, die er zuvor besucht hatte.

Zusammen mit Mister Smith ging er die Stufen des Portals hinauf. Die Tür aus dunklem Ebenholz war mit Schnitzereien verziert. Fratzenhafte Geistergesichter vor allem, die Brian an die Totempfähle mancher Indianerstämme erinnerten.

Über der Tür waren drei messingfarbene Ringe, die ineinanderfassten, in den Stein eingelassen.

Darunter war ein Spruch eingraviert. Die Buchstaben waren etwas verschnörkelt, so dass man genau hinsehen musste, um die drei Worte lesen zu können.

Übles dem Übel, stand dort.

„Oh mein Gott! Kluge Sprüche für jeden Neuling, oder was soll das?“

„Es ist der Leitspruch unserer Schule“, sagte Mister Smith.

„Und was sollen die drei Ringe da oben? Olympia für Arme? Hat man dem Handwerker nicht genug Geld für fünf Ringe gegeben?“

„Die drei ineinander fassenden Ringe sind ein uraltes Zeichen“, erklärte Mister Smith. „Mister Galway kann dazu gewiss sehr viel mehr sagen, aber soweit ich weiß, ist es das Symbol des Polyversums!“

„Was soll das denn sein?“

„Die Gesamtheit aller möglichen Universen und Welten. Es ist das Zeichen unseres Internats.“

„Klingt abgefahren“, meinte Brian. „Übles dem Übel... Da könnte man jetzt noch ergänzen: Jeden Tag eine gute Tat, wie bei den Pfadfindern!“

„Es gibt Dinge, über die sollte man sich nicht lustig machen, Brian“, erwiderte Mister Smith sehr ernst.

Smith öffnete die Tür mit eine durchdringenden Knarren. „Das Gespensterschloss lässt grüßen“, witzelte Brian noch. Sie traten in die hohe Eingangshalle.

Ein Mädchen in Brians Alter saß dort auf ihren Sachen. Mindestens fünf Taschen hatte sie dabei. Sie hatte langes, dunkles Haar und meergrüne Augen. Was ihre Klamotten betraf, schien sie nur eine einzige Farbe zu kennen – schwarz.

Offenbar war sie auch gerade erst angekommen und nun saß sie hier wie bestellt und nicht abgeholt.

Als sie Brian bemerkte, sah sie zu ihm hinüber und grinste ihn an.

Brian grinste zurück.

Aber schon in nächsten Moment wurde seine Aufmerksamkeit durch schwere Schritte abgelenkt. Ein hochgewachsener sehr hagerer, grauhaariger Mann im dunklen Anzug kam die Treppe herab. Er trug ein in Leder gebundenes Buch unter dem Arm. Fast hätte man denken können, dass es ein Gebetbuch war, wenn auf dem Ledereinband nicht ein Pentagramm zu sehen gewesen wäre.

Das Gesicht des Grauhaarigen wirkte mumienhaft, die graue Haut wie Pergament.

Er blieb stehen und hob das Kinn.

Sein Blick traf zunächst das Mädchen in Schwarz und dann Brian. Ein Blick, der Brian sehr abschätzig vorkam.

„Mister Smith, sind das die neuen?“

„Ja, also...“, stammelte Mister Smith, der plötzlich selber wie ein Schuljunge wirkte.

„Dann bringen Sie die beiden sofort zu Mister Galway.“

„Jawohl, Mister Van Ray“, versicherte der Hausmeister.

Van Ray wandte sich der Dunkelhaarigen zu. „Du musst Rebecca McKee sein, nicht wahr.“

Sie nickte und erhob sich.

„Bin ich!“

„Neben der Beherrschung deiner Fähigkeiten wirst du hier sicherlich noch lernen, wie man sich benimmt, Rebecca – und nicht wie ein nasser Sack auf seinem Gepäck sitzen bleibt, wenn man seinem zukünftigen Lehrer begegnet.“

„Tut mir Leid, Sir“, sagte Rebecca sichtlich irritiert.

Mister Van Ray nickte abschätzig und sah auf eine Weise auf Rebecca herab, die ihn nicht gerade sympathisch erscheinen ließ. Wenn das einer der Lehrer hier ist – na dann gute Nacht!, ging es Brian durch den Kopf. Wahrscheinlich brauche ich dann meine Sachen gar nicht erst auszupacken, so schnell fliege ich in Saint Morn heraus!

Van Ray wandte sich nun Brian zu, näherte sich mit zwei Schritten und musterte ihn stirnrunzelnd.

„Und du musst Brian Hunter sein...“

„Ja, Sir.“

„Ich habe deine Akte gelesen. Da steht nicht viel Gutes drin, Brian. Wirklich nicht viel Gutes...“

Brian bemerkte, wie sich der Kronleuchter, der an langen Ketten von der Decke hing bewegte. Er schwang zur Seite, sodass er genau über Mister Van Rays Kopf schwebte.

Aber anstatt zurückzuschwingen, blieb der Leuchter so und es sah nun aus, als ob über Mister Van Ray ein Heiligenschein schweben würde.

Es sah aus, als hätte eine unsichtbare Hand den Leuchter bewegt.

Brian warf einen kurzen Blick zu Rebecca McKee hinüber, die alles nur Mögliche tat, um ihr Grinsen zu unterdrücken und dabei trotzdem gleichzeitig ein möglichst ernsthaftes Gesicht zu machen – passend zu Mister Van Rays Leichenbittermiene. Aha, dachte Brian. Du hast also ein Talent, das meinem sehr ähnlich ist...

Nur Rebecca kam schließlich für die Bewegung des Leuchters infrage – denn Brian selbst war das nicht und Mister Smith bezeichnete sich selbst ja als völlig untalentiert.

„Ich will sehr hoffen, dass du auch noch so ein fröhliches Gesicht machst, wenn du einige Zeit hier auf Saint Morn warst und wir dich zurechtgebogen haben! Unruhestifter dulden wir hier jedenfalls nicht! Das solltest du von Anfang an wissen!“

„An mir soll es nicht liegen“, meinte Brian.

„Natürlich nicht. Wahrscheinlich liegt es immer an den anderen! Wie üblich“, erwiderte Van Ray.

Brian konzentrierte sich auf die Haare seines Gegenübers. Na los, kommt schon..., dachte er. Manche Dinge ließen sich besser beeinflussen als andere. Woran das jeweils lag, davon hatte Brian keine Ahnung. Aber vielleicht würde er das hier ja lernen... Zwei Haarsträhnen richteten sich an Van Rays Kopf auf, ohne dass dieser etwas davon bemerkte. Brian zwirbelte sie mit seinen Kräften etwas, so dass sie an die Antennen eines Außerirdischen erinnerten.

Rebecca konnte kam noch an sich halten und es war reine Glücksache, dass Van Ray sich nicht ausgerechnet in diesem Augenblick zu ihr umdrehte.

Das wäre wirklich kein gelungener Einstand in Saint Morn gewesen.

„Also dann. Seid fleißig und gelehrsam“, sagte Van Ray mit einem Tonfall, der so streng und scharf war, dass sowohl Rebecca als auch Brian sofort jeder Gedanke an ein unziemliches Grinsen verging. „Und bedenkt eines: Das Motto unserer Schule heißt Übles dem Übel. Falls einer von euch dem Übel zuzurechnen ist, wird es ihm hier nicht gut gehen!“

„Daran zweifle ich nicht, Sir“, gab Brian zurück.

„Dann ist es ja gut“, sagte Van Ray und ging dann davon.

Er hatte den Eingang zum Flur in den Westflügel schon fast erreicht, da drehte er sich noch einmal um – genau in dem Moment, in dem Rebecca die Konzentration ihrer Kräfte offenbar nicht mehr aufrecht erhalten konnte, sodass der Kronleuchter nun zurückschwang und ein paarmal ziemlich heftig hin und her pendelte.

Mister Van Ray streckte einen der dürren Finger seiner rechten Hand aus und deutete auf den hin und her schwingenden Kronleuchter.

„Man sollte seine Talente niemals für so einen Unsinn verschwenden!“, erklärte er streng, bevor er im nächsten Moment in den Flur zum Westflügel entschwand.

9.

„Puh, wer war das denn? Das Schlossgespenst?“, fragte Brian, als Mister Van Rays Schritte verhallt waren.

„Ich dachte, solche Lehrer gab es schon nicht mehr als mein Großvater zur Schule hing!“, ergänzte Rebecca.

„Also wenn ich euch einen kleinen Tipp geben darf: Mit Mister Van Ray sollte man sich besser nicht anlegen“, mischte sich Smith ein. „Mit dem ist nicht zu spaßen!“

„Das haben wir gemerkt!“, meinte Brian.

„Aber dafür hatten wir unseren Spaß“, meinte Rebecca. Sie lächelte Brian an. „Das mit den Haaren war cool!“

„Wir haben offensichtlich ein ähnliches Talent.“

„Auf jeden Fall schön zu wissen, dass man hier nicht allein damit ist... Brian!“

„Ja, finde ich auch“, nickte Brian.

Das Gepäck ließen sie in dieser Zeit in der Eingangshalle. „Hier stiehlt niemand etwas“, versprach Mister Smith, als er bemerkte, dass sowohl Rebecca als auch Brian zögerten, ihre Sachen zurückzulassen. „Das ist wirklich die Wahrheit“, fügte Mister Smith hinzu. „Dies ist keine High School, wie ihr sie ansonsten kennen mögt. Wir haben hier nur wenige Schüler – und davon abgesehen ist hier jeder Teil einer Gemeinschaft und würde sich nicht an den Sachen eines anderen vergreifen.“

„Also in New York City...“, begann Brian, aber das wollte Mister Smith nicht gelten lassen und schnitt ihm sofort das Wort ab.

„In einer High School in New York City würdest du wahrscheinlich auffallen, wenn du deine Sachen irgendwo liegen lässt – hier fällst du auf, wenn du das nicht tust.“

„Auf Ihre Verantwortung, Mister Smith“, meinte Brian.

„Nein – die nimmt dir hier niemand ab, Brian. Aber falls es euch ein Trost ist: Wir haben hier an der Schule sowohl unter den Schülern als auch unter den Lehrern die unterschiedlichsten übersinnlichen Talente versammelt. Falls doch jemand sich an euren Sachen zu schaffen machen sollte, würde man das sehr schnell aufklären können...“

„Na, dann brauchen wir uns ja wohl um nichts Sorgen zu machen!“, meinte Rebecca McKee schulterzuckend.

10.

Smith führte sie die Treppe hinauf zum Büro des Schulleiters.

James Galway, Direktor – so stand es an der Tür aus dunklem Ebenholz, in die dasselbe Zeichen eingelassen worden war, das auch schon am Eingang zu finden war: Drei messingfarbene Ringe, die ineinander fassten.

Mister Smith hob die Hand zum Klopfen, aber noch bevor sie die Tür überhaupt berührt hatte, war von der anderen Seite ein kräftiges „Herein!“ zu hören.

Der Hausmeister hob die Augenbrauen.

„Tja, Mister Galway hat ein äußerst empfindliches Gehör. Ich bin sicher, dass er uns bereits kommen hörte, als wir die Treppe hinauf gingen.“

„Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?“, fragte Rebecca.

Smith schüttelte den Kopf. „Nein, aber wie ich schon erwähnte, hier haben fast alle ein paar außergewöhnliche Fähigkeiten – von mir mal abgesehen. Ich bin völlig durchschnittlich.“

Smith öffnete die Tür und sie traten ein.

Das Büro des Schuleiters war ein sehr hoher Raum, dessen Wände mit Bücherregalen bedeckt waren. Dicke, in Leder gebundene Bände reihten sich da aneinander. Ein paar eigenartige Titel fielen Brian auf. „Absonderliche Kulte“ oder „Zeichen der Geheimen Macht“ und „Meta-Magisches Lehrbuch für fortgeschrittene Schüler übersinnlicher Künste“ hießen einige von ihnen.

Wirklich seltsam war allerdings die dicke Schicht Schaumstoff, die die Tür abdämpfte. Wie in einem Tonstudio!, dachte Brian. Eigentlich hätte der lärmempfindliche Mister Galway keinen Ton mehr aus den Fluren hören können - geschweige denn von der Treppe oder gar aus der Eingangshalle!

Entweder da will mich der Hausmeister auf den Arm nehmen oder Mister Galway hat ein so empfindliches Gehör, dass er damit ins Guinness Buch der Rekorde kommen könnte!, ging es Brian immer noch fassungslos durch den Kopf.

Mister Galway war ein freundlich wirkender Mann in einem dreiteiligen Anzug. Sein Alter war schwer zu schätzen, das Haar dunkel, aber von grauen Strähnen durchwirkt. Aber wenigstens wirkte er nett. Brian war jedenfalls schon mal sehr froh darüber, dass es unter der Lehrerschaft der High School von Saint Morn auch sympathischere Personen als Mister Van Ray gab, der ja bereits eine anschauliche Kostprobe seiner schlechten Laune gegeben hatte.

Mister Galway kam hinter seinem Schreibtisch hervor und klappte die Lesebrille zusammen. „Sie können dann gehen, Mister Smith“, sagte er an den Hausmeister gewandt. „Über die Sache mit den Wölfen haben wir ja bereits gesprochen...“

„Ja, Sir“, nickte Mister Smith.

Brian runzelte verwundert die Stirn. Wann sollten die beiden miteinander gesprochen haben? Davon hatte er nichts mitbekommen. Aber vielleicht hatte Mister Smith per Handy mit dem Schulleiter telefoniert, während er auf der Lichtung auf andere Dinge geachtet hatte. So musste es wohl gewesen sein.

„Und wenn Sie zufällig in den Heizungskeller kommen, dann wäre es schön, wenn Sie mal überprüfen würden, was da in den Leitungen so gurgelt“, fuhr Galway dann noch fort. „Diese Geräusche sind ja kaum erträglich!“

„In Ordnung, ich werde mich gleich darum kümmern“, versprach Mister Smith und verließ dann den Raum.

11.

„Ihr seid neu hier“, sagte Mister Galway, als die Tür hinter dem Hausmeister ins Schloss gefallen war. „Und dies ist der Moment, ein paar grundsätzliche Dinge klarzustellen, die das Leben in Saint Morn betreffen. Die Regeln unterscheiden sich nicht großartig von anderen High Schools, die als Internat geführt werden. Ich will euch also jetzt nichts über das Aufräumen eurer Zimmer, den Umgang mit euren Mitschülern, den Fleiß im Unterricht und all die anderen Dingen erzählen, die hier von euch erwartet werden. Das werdet ihr alles schon mit der Zeit mitbekommen.“

„Ich werde mir alle Mühe geben, keinen Ärger zu machen“, versprach Brian.

„Davon bin ich überzeugt“, erklärt Mister Galway. „Vielleicht habt ihr bisher den Eindruck, dass ihr hier seid, weil ihr anderswo nicht zurecht gekommen seid. Das gilt nicht für alle, die hier unterrichtet werden, aber für viele. Aber das ist eine falsche Sichtweise. In Wahrheit seid ihr auserwählt worden. Es gibt eine Vereinigung, die sich Ritter des Heiligen Lichts nennt und die eure Stipendien bezahlt. Das geschieht nur dann, wenn diese Vereinigung absolut davon überzeugt ist, dass das Potenzial an übersinnlichen oder sagen wir mal einfach besonderen Fähigkeiten ausreichend ist, um gefördert und ausgebildet zu werden. Bislang hattet ihr vielleicht Schwierigkeiten dadurch, dass ihr anders wart – hier in Saint Morn ist es die Voraussetzung dafür, dass ihr überhaupt hier sein dürft.“

„Darf ich fragen, woher Sie von unseren Fähigkeiten überhaupt so genau Bescheid wissen?“, fragte Rebecca. „Das klingt ja fast, als hätten diese Ritter vom Heiligen Licht uns beobachtet...“

Mister Galway nickte. „Genau so war es auch. Wir sind ständig auf der Suche nach Talenten...“

„Uh, das klingt ja nach einer Sekte oder Geheimgesellschaft oder so was“, meinte Brian. „Ehrlich gesagt gefällt mir das nicht so besonders.“

„Wir sind weder eine Sekte noch geheim“, erklärte Galway. „Die Ritter des Heilgen Lichts haben sich dem Kampf gegen die Mächte des Bösen verschrieben. Und dafür suche wir gezielt Jugendliche mit einem übersinnlichen Talent aus. Deshalb seid ihr hier – denn ihr werdet gebraucht. Die Welt ist bedroht durch Kräfte, von deren Existenz die meisten Menschen nichts ahnen und diejenigen, die es eigentlich besser wissen müssen, wollen die Bedrohung nicht zur Kenntnis nehmen...“

Brian wusste im ersten Augenblick nicht so recht, was er dazu sagen sollte. Dass es Dinge gab, die durch die herkömmliche Wissenschaft wahrscheinlich noch nicht so richtig zu erklären waren, hatte er am eigenen Leib erfahren. Daran zweifelte er nicht. Und was die Bedrohung durch die Mächte der Finsternis anging... Der Kerl spricht ja nicht zufällig von mordlustigen Werwölfen?, ging es Brian durch den Kopf.