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Wenn die Nachtgeschöpfe heulen: Zwei Gruselkrimis von Alfred Bekker Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker: Ich darf mich nicht verwandeln Blutige Tränen Petra Brunstein ließ den Blick durch die Bar schweifen. Ein verhaltenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Das seidene Kleid passte sich nahezu perfekt an den grazilen Körper der schönen Vampirin an. "Kommen Sie!", sagte der grauhaarige Mann an ihrer Seite. Sein Blick wirkte eigenartig starr. Homer F. Jespers war einer der wichtigsten Galeristen und Kunstexperten von New York City. Seinem Einfluss in der Art-Scene verdankte Petra Brunstein unter anderem ihren Ruf als bedeutende Künstlerin. Bereitwillig ließ sie sich von Jespers zu einem der Separees führen. Der Mann, der dort vor seinem Drink saß, hatte langes, bis über die Schultern reichendes Haar, das zu einem Zopf zusammengefasst war. Er trug einen edlen, doppelreihigen Nadelstreifenanzug. "Jean-Aristide! Mon amour!", stieß Petra hervor. "Petra! Ich habe dir versprochen, dass ich zurückkehren werde!", erwiderte Comte Jean-Aristide Leroque. "Ja", murmelte sie. "Am Tag von Radvanyis Ende!" "Möge der Staub dieser dreihundertjährigen Mumie in alle Winde verstreut werden..."
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Seitenzahl: 315
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Wenn die Nachtgeschöpfe heulen: Zwei Gruselkrimis
Alfred Bekker
Published by Alfred Bekker, 2022.
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Wenn die Nachtgeschöpfe heulen: Zwei Gruselkrimis
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Mysteriöser Krimi: Ich darf mich nicht verwandeln
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Alfred Bekker Grusel-Krimi #6: Blutige Tränen
Alfred Bekker Grusel-Krimi #6
Blutige Tränen
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Wenn die Nachtgeschöpfe heulen: Zwei Gruselkrimis
von Alfred Bekker
Über diesen Band:
Dieser Band enthält folgende Romane
von Alfred Bekker:
Ich darf mich nicht verwandeln
Blutige Tränen
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Petra Brunstein ließ den Blick durch die Bar schweifen. Ein verhaltenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Das seidene Kleid passte sich nahezu perfekt an den grazilen Körper der schönen Vampirin an.
"Kommen Sie!", sagte der grauhaarige Mann an ihrer Seite. Sein Blick wirkte eigenartig starr. Homer F. Jespers war einer der wichtigsten Galeristen und Kunstexperten von New York City. Seinem Einfluss in der Art-Scene verdankte Petra Brunstein unter anderem ihren Ruf als bedeutende Künstlerin. Bereitwillig ließ sie sich von Jespers zu einem der Separees führen. Der Mann, der dort vor seinem Drink saß, hatte langes, bis über die Schultern reichendes Haar, das zu einem Zopf zusammengefasst war. Er trug einen edlen, doppelreihigen Nadelstreifenanzug.
"Jean-Aristide! Mon amour!", stieß Petra hervor.
"Petra! Ich habe dir versprochen, dass ich zurückkehren werde!", erwiderte Comte Jean-Aristide Leroque.
"Ja", murmelte sie. "Am Tag von Radvanyis Ende!"
"Möge der Staub dieser dreihundertjährigen Mumie in alle Winde verstreut werden..."
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author / COVER EDWARD MARTIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Folge auf Twitter:
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Alles rund um Belletristik!
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von Alfred Bekker (Chris Heller)
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Darry Pendor hat ein Problem: Er muss dem Drang widerstehen, sich in einen Werwolf zu verwandeln. Er ist ein Gestaltwandler und diese Eigenschaft macht sein Leben kompliziert - egal, ob er eine Frau kennenlernt oder in seinem Job bestehen muss. Er ist ein Mensch, der sich in ein Monster verwandelt - aber in seinem Job als Ermittler jagt er Monster in Menschengestalt und es stellt sich die Frage, wer das größere Monster ist: Ein Werwolf oder ein Serienkiller. Auch der Fall, an dem er gerade arbeitet hat etwas mit einer Verwandlung zu tun - allerdings auf eine ganz andere Art...
Und dann sind da noch die selbsternannten Dämonenjäger, die ihm das Leben zur Hölle machen!
Darry Pendor schwebt in der dauernden Gefahr, dass das Tier in ihm die Oberhand gewinnt...
Und so gilt für ihn der Satz: Ich darf mich nicht verwandeln!
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author / “Chris Heller” ist ein Pseudonym des Autors Alfred Bekker.
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
Mein Name ist Darry Pendor.
Und ich bin ein Außenseiter.
Und das in vielfacher Hinsicht.
Vor allem darf ich mich nicht verwandeln. Denn dann werde ich zu einer reißenden Bestie, die sich nur noch sehr eingeschränkt kontrollieren kann.
Das macht mein Leben etwas kompliziert. In beruflicher Hinsicht, aber erst Recht in privater. Schließlich will ich es vermeiden, meine Zähne in den Hals irgendeines Unschuldigen zu schlagen. Immer kann ich das nicht.
*
Es hat uns schon immer gegeben, heißt es. Ganz gleich, wie man uns auch genannt haben mag - Werwolf, Mannwolf, Lykaner, Gestaltwandler: Wir waren immer da. Aufgefallen sind wir nur, wenn es dem ein oder anderen von uns nicht gelungen ist, diesen Drang nach der Verwandlung zu unterdrücken. In gewissen Situationen ist das sehr schwer. Dann will die innere Bestie unbedingt heraus. Das ist wahrscheinlich bei jedem so. Nur dass nicht jeder das Talent hat, sich auch tatsächlich verwandeln zu können.
Talent oder Fluch.
Man kann das durchaus von mehreren Seiten betrachten.
Aber ganz ehrlich: All diejenigen, die immer sagen, man sollte alles möglichst positiv sehen, haben in Wahrheit keine Ahnung.
Ich kann der Tatsache, dass ich ein Werwolf bin, nichts Positives abgewinnen.
Andererseits habe ich auch nicht die Macht, es zu ändern. Also muss ich damit leben.
*
Mein Leben ist ganz schön kompliziert geworden, seit ich angefangen habe, mich zu verwandeln. Es war nach einer Verletzung an der Hand. Anscheinend breitet sich das Werwolf-Syndrom wie ein Infektion aus. Und genauso, wie viele andere Infektionen, wird auch diese wohl für immer unter den Menschen bleiben.
Da lerne ich diese umwerfend gutaussehende Frau kennen. Sie heißt Lydia. Und sie arbeitet in irgendeinem dieser tollen Geschäfte in Manhattan. Wir kommen uns näher, verstehen uns.
“Was machst du denn so?”, fragt sie.
“Ich bin beim FBI”, sage.
“Also ein Cop”, stellt sie fest und bei ihr klingt das so, als würde sie sagen: Für die Familienplanung schon mal ungeeignet. Zu viele Überstunden und unregelmäßige Arbeitszeiten.
“Ja”, sage ich.
Wir kommen trotzdem an diesem Abend zusammen, landen in ihrem Bett.
Der Sex mit ihr ist ganz okay. Sie ist nicht sehr fantasievoll. Aber sie hat schöne Brüste.
Irgendwann in der Nacht stehe ich auf.
Mit dem Vollmond hat das nichts zu tun. Was man da so erzählt ist Unsinn. Den Vollmond sieht man in einer Stadt wie New York, die bekanntermaßen niemals schläft, überhaupt nicht. Da strahlen immer ein paar andere Dinge sehr viel heller. Ist einfach so.
Jedenfalls stehe ich auf.
Ich ziehe mich an.
“Du willst schon gehen?”, fragt sie. Sie hat mich bemerkt.
“Ja.”
“War’s nicht schön?”
“Doch.”
“Wäre doch schön, wenn wir noch frühstücken.”
Ja, wäre schön, denke ich. Nur würde ich dann sie frühstücken.
*
Ich sage irgendetwas Nettes zu ihr und sie schläft wieder ein. Ich betrachte die geschwungene Linie ihres nackten Körpers. Die Decke ist zur Seite gerutscht. Licht von der Neonreklame fällt in den Raum, scheint auf ihre wundervollen Brüste. Ich denke: Wirklich schade, dass ich nicht bleiben kann. Aber wenn ich mich verwandle, werde ich zum Tier.
Dann würde nicht viel von ihr übrig bleiben.
Ich würde sie zerfetzen.
Es ist nicht so, dass ich die Sache mit der Wandlung und alles, was danach kommt, nicht kontrollieren kann. Ich kann es eben nicht vollkommen kontrollieren. Und wenn ich den Drang spüre, das Tier in mir freizulassen, dann bin ich besser weit weg von jedem, der dabei im Weg stehen könnte.
Ich gehe nicht durch die Tür.
Das Fenster ist genauso gut.
Es ist eines dieser alten Schiebefenster, wie sie noch in vielen New Yorker Brownstone-Häusern verbaut sind.
Ich schiebe es hoch.
Langsam.
Damit es keinen Krach gibt.
Dann steige ich hinaus und verwandle mich dabei. Ich kann sehr gut klettern, wenn ich verwandelt bin. Mit einem Wolf hat die Kreatur, zu der ich werde, nur am Kopf etwas Ähnlichkeit. Ein Monstrum mit Wolfskopf, dazu werde ich. Und ich kann dann besser klettern als jeder Affe oder jede Katze. Ich habe Kräfte, die unglaublich sind.
Ich verlasse die Wohnung, schnelle die Wand entlang, finde Halt in den kleinsten Ritzen und Fugen des Mauerwerks. Die Instinkte leiten mich. Wilde, tierische Instinkte.
Ich springe von Dach zu Dach. Ein grausiger Schatten in der Nacht.
Mir selbst möchte ich jetzt nicht begegnen.
*
Ein Problem, mit dem unsereins immer wieder mal zu tun hat, sind sogenannte Dämonenjäger. Sie glauben, dass sie die Menschheit vor Geschöpfen, wie ich es bin, bewahren müssen. Sie denken, dass man uns ausrotten müsste, denn wir seien Verkörperungen des Bösen.
Einer dieser Typen überraschte mich auf meinem Streifzug.
Ein Kerl, der einen langen Ledermantel trug - und einen magischen Dolch. Magische Waffen sind typisch für diese Leute. Kreuze, Gemmen, heilige Schwerter, Dolche und was weiß ich noch alles. Ich habe sogar schon von Wasserpistolen mit Weihwasser gehört. Übel sind selbstkonstruierte Strahlenwaffen oder Einhandarmbrüste, die wahlweise mit Holz- oder Silberprojektilen bestückt werden. Da sind manchmal richtig fiese Sachen dabei, vor denen man sich in Acht nehmen muss.
Mit diesem Typen hatte ich allerdings keine Probleme.
Sein Dolch leuchtete magisch auf. Er schleuderte ihn in meine Richtung und das Ding flog wie eine magisch ferngelenkte Drohne.
Mit einem Schlag meiner Pranke fing ich das Ding ab und schleuderte es zur Seite. Im nächsten Moment war ich bei dem Typen und versetzte ihm einen Schlag mit der anderen Pranke. Er wurde gegen eine Hauswand geschleudert, rutschte daran zu Boden und stöhnte auf.
Vielleicht hätte ich ihm besser gleich den Kopf abgebissen, aber ich hasse Gewalt. Und offenbar kommt selbst in meiner Wolfsgestalt manchmal noch der friedliche Gesetzeshüter in mir durch...
“Murphy, mein Lehrling - du Versager!”, hörte ich eine Stimme sagen.
Sie gehörte zu einer Gestalt in einer Kutte.
Die Kapuze war über den Kopf gezogen.
Nur die Augen waren im Schatten der Kapuze zu sehen.
Sie leuchteten magisch.
“Meister Darenius!”, stieß der Typ im Ledermantel hervor.
“Du bist eine Schande für unseren gesamten Orden!”
“Meister!”
“Schwache Magie eines schwachen Geistes! Du wirst noch viel lernen müssen. Selbst ein gewöhnlicher Werwolf ist so nicht zu töten...
“Ja, Meister!”
“Aber du wirst eine zweite Chance bekommen, deine Beute zu erlegen...
Ich riss mein Maul auf, dachte daran, mich auf die beiden zu stürzen.
Der Meister erschuf mit einer Handbewegung ein leuchtendes Tor. Für einen Moment wurde es taghell. Sein Lehrling rappelte sich auf. Der fortgeschleuderte Dolch flog in seine Hand. Und im nächsten Moment waren sowohl der Meister als auch der Lehrling durch das Tor verschwunden.
Das Lichttor war ebenfalls im nächsten Moment nicht mehr da.
Ich brüllte in ohnmächtiger Wut.
Und dann kehrte ich in einem weiten Bogen von meinem Streifzug durch die Nacht zurück.
*
Ich erreiche schließlich meine eigene Wohnung auf der Westside.
Ich bin erschöpft von meiner Reise durch die Nacht.
Ich verwandle mich zurück und ein paar Stunden bleiben mir jetzt noch, um zu schlafen. Tief und fest und traumlos.
Sie können sich jetzt vorstellen, dass mein Leben etwas komplizierter sein könnte, als bei normalen Leuten?
Ja?
Und zwar in jeder Hinsicht.
Egal, ob ich im FBI Field Office meinem Chef bei Dienstbesprechung gegenüber sitze, einen Kriminellen verhöre, mit meinem Kollegen ein Bier trinken gehe oder eine Frau kennenlerne:
Ich.
Darf.
Mich.
Nicht
Verwandeln.
Ist schwerer durchzuhalten, als man glaubt.
Haben Sie schon mal Ihrem Chef gegenüber gesessen und wollten ihm am liebsten mit den Zähnen an die Gurgel?
Ich glaube schon.
Solche Momente hat jeder.
Wirklich jeder.
Das Dumme für mich ist nur: Bei mir könnte das wirklich passieren.
*
Und dann ist da noch was. Vielleicht bin ich eine Bestie. Oder sagen wir es anders: Ich verwandele mich ab und zu in eine Bestie und versuche, den Schaden für die Allgemeinheit so klein wie möglich zu halten.
Ich kann nichts dafür, dass ich so bin, wie ich bin. Wie gesagt, es ist wie eine Infektion und es gibt viele von uns. Gestaltwandler. Monster unter Menschen.
Aber seit ich selbst so bin, hat sich mein Blick auf viele Dinge geändert.
Ich jage Verbrecher.
Sonst kann ich nichts.
Ich bin Special Agent des FBI mit Pensionsberechtigung und allem Pi Pa Po.
Aber in mir lebt ein Monster, das ab und zu nach außen dringt und sichtbar wird.
Allerdings frage ich mich manchmal, wer eigentlich das größere Monster ist: Ich, der Werwolf - oder einer der Serienkiller, hinter denen wir her sind.
Glauben Sie mir, es gibt auch ganz normale Menschen, die sich nicht regelmäßig in einen Werwolf verwandeln, aber trotzdem wahre Monster sind.
Dazu muss man sich nicht unbedingt verwandeln.
*
Ich erwachte am frühen Morgen. Stand auf, sah in den Spiegel und dachte: Sieht eigentlich ganz normal aus. Aber das war nicht mein wahres Gesicht...
Ich dachte daran, dass gleich zum Field Office fahren würde.
Auf dem Weg dahin würde ich meinen Kollegen abholen. Und dann würde uns der Chef irgendeine Aufgabe geben. Ermittlungen in irgendeinem Fall, den wir lösen mussten.
Meistens begann es mit einer Leiche. Oder mit mehreren.
Früher mal habe ich gedacht, auf der Seite des Guten zu stehen.
Inzwischen wusste ich, dass das Böse in mir selbst war.
Aber mit diesem Problem war ich nicht allein, denke ich.
Auf mich warteten zwei Monster.
Eins, das in mir selbst war.
Und eins, das zu jagen meine Aufgabe war.
Ich sah auf mein Handy.
Lydia hatte mir eine Nachricht geschrieben.
>Sehen wir uns nachher noch?<
*
An einem anderen Ort.
In derselben Nacht...
Vom nahen Highway drangen Motorengeräusche herüber. Lichter wanderten entlang des Fahrbahnverlaufs durch die Dunkelheit. Caleb Dunston drehte sich kurz um, griff zum dritten Mal innerhalb von zehn Sekunden zu der Waffe, die er unter dem Jackett des dunkelgrauen Dreiteilers trug. Bevor er den Drugstore betrat, drehte er sich noch einmal um. Sein Gesicht wirkte angespannt. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Sein Puls raste. Keine Spur von IHNEN!, dachte er. Gut so! Die Hoffnung, dass SIE ihn inzwischen nicht mehr verfolgten, hatte Dunston aufgegeben. Im Augenblick musste er damit zufrieden sein, dass er vor seinen Verfolgern einen Vorsprung hatte, der es ihm erlaubte, Danny’s Drugstore an der Interstate 87, dem sogenannten New York Thruway zwischen dem Big Apple und Albany zu betreten und dort einen Kaffee zu trinken. Es hätte nämlich nicht viel gefehlt und er wäre am Steuer eingeschlafen.
Er löste den ersten Knopf seines Hemdkragens, bevor er die Tür des Drugstore passierte. Lebend bis nach Albany gelangen – das erschien ihm im Moment wie ein Ziel, das fast unerreichbar war.
Dunston ließ den Blick schweifen. Hinter dem Tresen stand ein großer, breitschultriger Man, auf dessen T-Shirt in großen Buchstaben I’M DANNY aufgedruckt war, womit er wohl signalisieren wollte, dass man es bei ihm mit dem Boss in Danny’s Drugstore zu tun hatte.
Dunston bemerkte einen Mann mit hoher Stirn, die so sehr glänzte, dass sich in ihr sich das Licht der Neonröhren spiegelte. Er trug eine Brille mit schwarzem Horngestell, die ihm auf der Nase zu drücken schien, denn er nestelte immer wieder an dem Gestell herum.
Einen Augenblick fragte sich Dunston, ob er einer von IHNEN war. Dicke Brillen eigneten sich hervorragend zum Verstecken von Ohrhörern und Mikrofonen, wie sie Observationsteams benutzten. Besonders stark schien die Brille auch nicht zu sein. Möglicherweise Fensterglas!, dachte Dunston.
Wie erstarrt stand er da und konnte sich im letzten Moment bremsen, um nicht einfach instinktiv unter die Jacke zu greifen und die Waffe herauszureißen.
Der Mann mit der dicken Brille schien sich für den Ständer mit Karten und Stadtplänen zu interessieren. Zumindest tat er so.
Er blätterte in einem Reiseführer über New York City herum und stellte ihn wieder zu den anderen.
Dann blickte er auf und sah Dunston für einen Moment an.
Das Gesicht war V-förmig und sehr schmal, was die abstehenden Ohren dafür umso größer wirken ließ.
An dem spitz zulaufenden Kinn befand sich ein deutlich sichtbares Grübchen.
Dunston schluckte. Er versuchte, sich zu erinnern, ob dieser Mann zu IHNEN gehörte und er ihn schon einmal gesehen hatte. Vielleicht in anderer Kleidung und kosmetisch verändert...
„Ist was?“, fragte der Mann mit Brille.
Der Schweiß auf Dunstons Stirn fühlte sich jetzt eiskalt an.
Er öffnete halb den Mund und war im ersten Moment vollkommen unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen.
„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte der Mann mit der Brille.
„Alles in Ordnung“, meinte Dunston, obwohl sein Herz raste und er das Gefühl hatte, als ob jemand einen Spanngurt um seinen Brustkorb gespannt hätte und diesen nun langsam immer fester zurrte.
Dunston ging weiter Richtung Tresen. Eine Frau von Mitte dreißig saß dort vor ihrem Kaffee. Sie trug ein seriös wirkendes Kostüm. Das blonde Haar war leicht gelockt.
„Einen Kaffee“, wandte sich Dunston an den Mann mit dem Danny-T-Shirt. „Und ich hoffe, dass er besonders stark ist.“
„Für Sie also einen Leichenwecker, Mister?“
„Ja.“
Er grinste.
Aber dieses Grinsen erstarb sofort, als er die Schweißperlen auf Danys Stirn sah.
„Ist es Ihnen zu warm hier?“
„Nein, nein, ist alles in Ordnung.“
„Sagen Sie, ich kenne Sie doch. Fahren Sie die Strecke nicht öfter?“
„Tut mir Leid, aber mir ist im Moment nicht nach Small Talk“, sagte Dunston.
„War ja nur ´ne Frage, Mister. Ich dachte, ich hätte Sie hier schon mal gesehen.“
Das Telefon klingelte und der Mann mit dem „I’M DANNY“ T-Shirt ging an den Apparat.
„Nehmen Sie das Danny nicht übel“, sagte die Frau mit den blonden Locken. „Das macht er bei jedem.“
Dunston lächelte matt. Immer wieder kehrte sein Blick dabei zu den blonden Haaren zurück, die sich auf ihren schmalen Schultern kräuselten.
Dunston nippte an seinem Kaffee. „Wenigstens ist sein sogenannter Leichenwecker wirklich das, was er sein sollte – nämlich stark!“
„Ja, hier halten viele Trucker, die viel zu lange auf dem Bock sitzen und glauben, dass sie mit einer Tasse des Gebräus wenigstens noch bis Kingston kommen!“ Sie stutzte. „Ist irgendetwas mit meinen Haaren nicht in Ordnung oder warum starren Sie...“
„Es ist alles in Ordnung, Ma’am. Es ist nur so: Jemand der mir sehr nahe stand hatte die Haare genauso wie Sie. Und für einen Moment sind meine Gedanken etwas abgeschweift.“
Sie runzelte die Stirn.
Dann blickte sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk und sagte: „Es wird Zeit für mich.“ Sie wirkte plötzlich nervös.
Danny war immer noch am Telefon.
Sie holte ihre Kreditkarte aus der Handtasche und tickte damit unruhig auf dem Tresen herum.
Als sie stille hielt, konnte Dunston den Namen lesen, der dort eingetragen war.
Rita Greedy.
„Das dauert wohl noch eine Weile“, meinte sie.
Dunston blickte auf die Uhr.
„Zu lange für mich.“ Er kippte den Leichenwecker mit ein paar kräftigen Schlucken hinunter und legte einen Schein auf den Tresen.
Eine Stunde später...
Die Limousine holperte über den schmalen, ungepflasterten Weg, der bis zu einem Waldstück führte. In einer Entfernung von einer halben Meile war das nächtliche Lichterband der Interstate 87 zu sehen.
Bei dem Waldstück hielt der Wagen. Der Motor wurde abgeschaltet.
Der Fahrer stieg aus, umrundete die Motorhaube und öffnete die Beifahrertür. Das Mondlicht fiel auf den von blonden Locken bedeckten Kopf einer Frau.
Dieser Kopf sackte schlaff nach vorn.
Der Fahrer der Limousine griff in die Seitentasche seiner Jacke und holte ein paar Latex-Handschuhe hervor, die er sich jetzt überstreifte. Anschließend fasste er den regungslosen Körper der Frau unter den Armen und hievte ihn vom Beifahrersitz herunter.
Ihre Hacken schleiften über den Boden. Sie verlor einen Schuh.
Am Waldrand angekommen, lehnte er sie gegen einen dicken, knorrigen Baum.
Sie stöhnte plötzlich auf. Ein unartikulierter Laut kam über ihre Lippen. Der Kopf hob sich kurz, bevor sich das Kinn wieder gegen den Halsansatz presste.
Vielleicht habe ich die K.o.-Tropfen nicht ausreichend dosiert!, ging es dem Fahrer durch den Kopf. Er musste sich also beeilen. Er holte ein Klappmesser hervor. Die Klinge blitzte im Mondlicht.
Er ging neben ihr in die Hocke, nahm mit der Linken ihren rechten Arm und setzte ein paar schnelle Schnitte in der Armbeuge und am Handgelenk an. Dasselbe tat er mit dem anderen Arm.
Dann folgte ein ebenso schneller Schnitt durch die Halsschlagader.
Das Blut floss bereits in Strömen, als er mit dem Messer die Bluse und den Bund ihres Rockes öffnete. Die Bauchschlagader war immer am schwierigsten zu finden.
Als er zurück zum Wagen ging, fand er ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz.
Er nahm sie und öffnete sie.
Wenig später fand er auch die Brieftasche. Er durchsuchte sie, fand zwei Kreditkarten und eine Mitgliedskarte einer Krankenkasse. Außerdem einen Führerschein, der noch zwei Monate Gültigkeit besaß.
Alles ausgestellt auf den Namen Rita Greedy.
Außerdem war da noch ein Ausweis der Stadtbibliothek von Kingston, NY State. Er war schon ziemlich alt, aber immer wieder erneuert worden. Das Foto zeigte Rita Greedy anstatt mit blonden, gelockten mit glatten dunklen Haaren.
Er verzog das Gesicht.
Hatte ich es mir doch gedacht! Falsch wie die meisten Blondinen!, ging es ihm durch den Kopf, während sein Gesicht einen Ausdruck von spöttischem Zynismus bekam.
Er tat alles wieder zurück in die Tasche und schloss sie sorgfältig. Anschließend schleuderte er sie dorthin, wo er die Frau zurückgelassen hatte.
Ich fasste mir ins Gesicht.
Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass da Haare wären und ich im Begriff war, mich zu verwandeln.
War aber blinder Alarm.
“Was ist?”, fragte mein Kollege. “Beim Rasieren geschnitten?”
“Nein.”
“Nicht gesprächig heute?”
“Nein.”
“Hm.”
Als wir den Tatort an der Interstate 87, ungefähr zwanzig Meilen südlich der Stadt Kingston erreichten, war es ungefähr zehn Uhr morgens. Schon von weitem konnte man die Einsatzfahrzeuge des zuständigen County-Sheriffs und der New Yorker State Police sehen. Unübersehbar auch der Leichenwagen des zuständigen Coroners.
Wir waren mit insgesamt drei Fahrzeugen unterwegs. Mein Kollege Yancey Blocker und ich fuhren wie üblich mit unserem Sportwagen.
Unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell folgten uns in einem unscheinbaren Chevy aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft, während unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster mit einem Ford Maverick unterwegs waren.
Gleich am Morgen hatte Mr Brockman, der Chef des FBI Field Office New York uns alle in seinem Büro versammelt und uns darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Fall des sogenannten „87er Monsters“ jetzt offiziell in der Zuständigkeit des FBI Field Office New York lag.
Es ging dabei um eine Serie von Morden an Frauen. Die Tatorte lagen entlang des New York State Thruway, der Interstate 87, die den Großraum New York mit Albany, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates verband. Sieben Opfer gab es bis jetzt. Frauen zwischen zwanzig und fünfzig, die vor allem durch ein gemeinsames Merkmal auffielen: Sie waren blond.
Der erste dieser Fälle lag fünf Jahre zurück, die letzten drei hatten sich jedoch im Verlauf dieses Jahres ereignet. Dazu kam noch ein Fall aus Newark, New Jersey, der einige Ähnlichkeiten mit den an Morden des „87er Monsters“ aufwies und nach Ansicht unserer Experten vom selben Täter begangen worden war, auch wenn der Tatort nicht ins Muster zu passen schien.
Die Jagd nach dem „87er Monster“ war zu einem Fall geworden, der inzwischen nicht nur die Grenzen von New York State überschritt, sondern auch die Möglichkeiten des Albany Police Department, das den Fall bisher bearbeitet hatte.
Der Druck der Öffentlichkeit hatte bei der Entscheidung, uns den Fall zu überlassen, sicherlich auch eine Rolle gespielt. Die letzten Morde des „Monsters“ waren innerhalb weniger Wochen begangen worden und so war mancherorts eine regelrechte Hysterie ausgebrochen. Insbesondere natürlich in den kleinen bis mittleren Ortschaften entlang der Interstate 87 Richtung Albany, auf deren Gebiet die Morde geschehen waren.
Wir begrüßten Jay und Leslie.
Jay wirkte ziemlich mitgenommen. Der ehemalige Cop im Dienst des New York Police Department unterdrückte mehrfach ein Gähnen.
„Wir hatten gestern bis spät in die Nacht eine Observation“, entschuldigte ihn Leslie. „Darum sind wir noch ziemlich müde.“
„Aber dieses sogenannte 87er Monster hat plötzlich Priorität und deswegen hat man uns von diesem Fall nun zugeteilt“, ergänzte Jay Kronburg und seufzte hörbar. „Dass man nicht einfach einen Fall in Ruhe zu Ende machen kann.“
„Ich schätze, da haben wir einfach den falschen Job!“, meinte Yancey.
Jay hob die Schultern. „Mag sein. Aber Wünsche wird man ja wohl noch äußern dürfen.“
„Nur leider richten sich die Gangster im Allgemeinen nach allem möglichen – nur nicht nach den Wünschen von FBI-Beamten“, meinte Leslie.
„Lasst uns keine Zeit verlieren“, mahnte ich. Es lag mit Sicherheit jede Menge Arbeit rund um den Tatort und in der weiteren Umgebung vor uns.
Einer der Mitarbeiter des County Sheriffs, an dessen Uniformjacke in Großbuchstaben DEPT. J.MARKOWITZ aufgestickt war, begrüßte uns und brachte uns zum Sheriff, der gerade in ein Gespräch mit einer Frau vertieft war. Sie war schätzungsweise Anfang dreißig, hatte blondes, leicht gelocktes Haar und strahlend blaue Augen. Ihre Garderobe war schlicht und stilvoll, ließ die aufregende Figur, die sich darunter zweifellos verbarg aber erahnen.
„Darry Pendor, FBI“, stellte ich mich vor und hielt meine ID-Card hoch. „Dies sind meine Kollegen Blocker, Kronburg und Morell. Außerdem sind noch die Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster dabei.“
„Das ist gut“, nickte der Sheriff. „In dieser Hinsicht überfordert dieser Fall nämlich unsere Kapazitäten. Mein Name ist übrigens Corey Masterson, ich bin der County Sheriff.“
„Angenehm“, sagte ich.
Masterson deutete auf die Blondine. „Das ist Miss Jeannie McNamara, früher Polizeipsychologin beim Albany Police Department, jetzt freiberuflich tätig.“
Ich nickte Jeannie McNamara freundlich zu.
„Freut mich, Sie kennen zu lernen.“
Das war natürlich eine Lüge.
Wenn sie wirklich eine gute Psychologin war, erkannte sie das.
Tat sie aber nicht.
Das sagte alles.
„Ganz meinerseits, Agent Pendor.“
Ich spürte den Drang, mich zu verwandeln. Sie zu zerfetzen. Sie zu zerfleischen.
Immer mit der Ruhe und schön zivilisiert bleiben!, dachte ich und wiederholte diesen Gedanken wie ein Mantra.
„Wenn Sie in den letzten Jahren für das APD tätig waren, haben Sie wahrscheinlich den Fall des 87er Monsters von Anfang an mit bearbeitet“, vermutete Yancey.
“Das ist richtig”, sagte Jeannie McNamara
Albany Police Department, dafür stand APD.
Manche Leute lieben Abkürzungen.
Ich gehöre nicht dazu.
Echt nicht.
Ich kontrollierte kurz meinen Handrücken.
Manchmal fängt es dort an.
Dann fangen dort die Wolfshaare an zu sprießen.
Damit beginnt dann die Verwandlung.
Es kann sein, dass der gesamte Verwandlungsvorgang innerhalb eines Sekundenbruchteils von statten geht. Aber es ist auch möglich, dass es sich über längere Zeit hinzieht.
Jeannie McNamara sagte: “Es war mein erster Fall, an dem ich mitarbeiten durfte, als ich beim APD anfing. Leider einer, der bis heute nicht gelöst ist, was mich ehrlich gesagt auch nie wirklich losgelassen hat.“
„Vielleicht haben wir jetzt die Gelegenheit, den Täter endlich zu überführen“, sagte ich.
„Ich werde jedenfalls mein Bestes dazu tun“, versprach Jeannie McNamara.
Ein Erkennungsdienstler wandte sich an den Sheriff und wies darauf hin, dass die mit Markierungen abgegrenzten Areale auf keinen Fall betreten werden durften. „Wir haben ein paar Fuß- und Reifenabdrücke“, erklärte er. „Näheres kann ich natürlich noch nicht sagen.“
Sheriff Masterson brachte uns zu der Stelle, an der die Tote aufgefunden worden war. Sie saß aufrecht gegen einen Baum gelehnt.
Der Gerichtsmediziner hatte seine Untersuchungen gerade abgeschlossen.
Es war Dr. Brent Claus von der Scientific Research Division, dem zentralen Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten, den wir auch sehr häufig in Anspruch nahmen.
„Tag, Darry“, begrüßte mich Dr. Claus, mit dem wir schon häufig zusammengearbeitet hatten.
Eigentlich lag der Tatort gar nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der SRD. Aber eine Kleinstadt wie Kingston besaß natürlich kein eigenes gerichtsmedizinisches Institut. Normalerweise kamen in diesem County nicht mehr als zehn Tötungsdelikte im Jahr vor, Selbstmorde und Todesfälle mit unklarer Ursache eingerechnet. Die wurden dann je nach freien Kapazitäten auf die gerichtsmedizinischen Institute des Staates New York verteilt. Und da die Kapazitäten des in der Bronx angesiedelten SRD mit Abstand die größten waren, bekam sie in der Regel auch den Löwenanteil dieser Fälle ab.
„Können Sie schon etwas sagen?“, fragte Yancey.
„Jemand hat sie mit ein paar sehr exakt angesetzten Schnitten so verletzt, dass sie innerhalb einer Viertelstunde vollständig ausgeblutet sein dürfte. Ich kann keinerlei Anzeichen für Gegenwehr erkennen. Und die Schleifspuren auf dem Boden sprechen eine relativ eindeutige Sprache.“
„Sie meinen, sie wurde betäubt“, mischte sich Jeannie McNamara ein.
Dr. Claus nickte. „Ja, davon würde ich ausgehen. Genaues kann ich natürlich erst nach einer Autopsie sagen. Wir werden auf diesen Punkt besonderen Augenmerk legen.“
Jeannie McNamara wandte sich an mich. „Das entspricht exakt der Vorgehensweise, die der Kerl bei den bisherigen Taten an den Tag gelegt hat.“
„Sie sind sich bereits sicher, dass es ein Mann ist?“, fragte ich.
„Die meisten Taten dieser Art werden von Männern begangen“, erwiderte sie.
„Es ist noch gar nicht solange her, da hatten wir es in New York einem weiblichen Serientäter zu tun.“
„Ich habe davon gehört. Der sogenannte ‚Barbier’. Der Fall hat in der Fachpresse einiges Aufsehen erregt. Sie haben an dem Fall gearbeitet?“
„Ja“, nickte ich.
„Dann kennen Sie sicher Dr. Gary Schmitt.“
„Er war unser Profiler...“
„...und mein Dozent in Quantico.“
Ich hob die Augenbrauen. „Sie waren an der FBI-Akademie?“
„Ja. Aber ich habe niemals mit dem Gedanken gespielt, in den Dienst des FBI zu treten. Das war im Rahmen einer Fortbildung, die ich auf mein Psychologiestudium draufgesetzt habe.“
„Und doch haben Sie sich beim Albany Police Department anstellen lassen.“
„Wissen Sie, das Erstellen von Täterprofilen hat mich immer interessiert, aber nie so sehr, dass ich nur noch dieser Tätigkeit nachgehen wollte. Ich bin in erster Linie Psychologin geworden, um Menschen zu heilen, nicht um Verbrecher zu überführen.“
„Verstehe.“
„Außerdem habe ich Schwierigkeiten, mich in eine Hierarchie einzuordnen, was die Aufstiegschancen doch ganz erheblich minimiert – gleichgültig ob beim FBI oder dem APD.“
„Wem sagen Sie das...“
„Also habe ich mich selbstständig gemacht, nachdem ich durch meine Tätigkeit bei der Polizei von Albany genug verdient hatte. Jetzt arbeite ich allenfalls noch auf Honorarbasis für die Behörden – und ich sage Ihnen, es ist sehr viel angenehmer, mit dem Gefühl zu arbeiten, jederzeit die Brocken hinwerfen zu können, wenn einem etwas gegen den Strich geht.“
„Konnte die Tote schon identifiziert werden?“, fragte Yancey an Sheriff Masterson gewandt.
Dieser schüttelte den Kopf.
„Nein. Meine Männer haben gleich die Umgebung abgesucht, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, das uns einen Hinweis geben könnte. Sie hatte keine Handtasche und keine Papiere dabei – und in dem Bereich, den wir absuchen konnten, fand sich auch nichts dergleichen.“
Ich ging in die Hocke und sah mir die Tote genauer an. Ihre Augen waren geschlossen. Die Züge wirkten beinahe entspannt, friedlich. Auch das sprach dafür, dass sie betäubt worden war.
„Selbstmord ist definitiv auszuschließen“, sagte Dr. Claus. „Die Schnitte an den Armbeugen und den Handgelenken hätte sie sich natürlich auch selbst beibringen können – aber bei dem Bauchschnitt halte ich das für vollkommen ausgeschlossen.“
„Wir hätten dann auch die Tatwaffe finden müssen“, stellte Sheriff Masterson klar.
„Mit was für einen Täter haben wir es Ihrer Meinung nach zu tun?“, fragte ich an Jeannie McNamara gerichtet.
„Er ist männlich, wahrscheinlich zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahre alt. Er dürfte von eher zurückhaltendem, introvertiertem Charakter sein und war vielleicht wegen einer Psychose in ärztlicher Behandlung. Vielleicht nimmt er bis heute Psychopharmaka, die ihn stabilisieren. Ich könnte mir vorstellen, dass er ein ziemlich unauffälliges Leben führt, einen Job gewissenhaft erfüllt. Kein Beruf, der Kreativität erfordert, sondern eher etwas... wie soll ich mich da ausdrücken?“
„Langweiliges?“, hakte ich nach.
Jeannie McNamara nickte. „Buchhalter, Handelsvertreter, Prokurist. Vielleicht war er auf der High School ein gewissenhafter Streber mit sehr guten Beurteilungen in den schriftlichen Fächern – und vor allem bei Tests im Multiple Choice Verfahren. Aber spätestens auf dem College, wo mehr Selbstständigkeit gefragt ist, dürfte er ins Mittelfeld abgerutscht sein.“
„Sie reden über den Täter, als wäre er Ihnen persönlich bekannt“, staunte Sheriff Masterson.
„In gewisser Weise ist er das auch. Seit Jahren sehe ich mir die Tatorte an, die er hinterlassen hat und versuche mich in seine Situation hineinzudenken. In die Situation, die ihn dazu gebracht hat, so grässliche Dinge zu tun und Frauen wie geschächtete Tiere ausbluten zu lassen...“
„Handelsvertreter ist vielleicht gar kein schlechter Gedanke“, meinte Yancey. „Schließlich sind doch alle Taten an einer der wichtigsten Verkehrsadern von New York State verübt worden, die unser Mann offenbar regelmäßig benutzt.“
„Ein Trucker scheidet aus?“, fragte Masterson. „Ich meine, diese Strecke ist eine der vielbefahrensten Verkehrsrouten, auf der die großen Trucks manchmal Schlange stehen. Alles, was vom New Yorker Hafen rauf Richtung Kanada geschafft wird, geht diesen Weg...“
„Ich nehme an, College-Absolventen werden nicht unbedingt Trucker“, meinte ich.
„Trotzdem würde ich die Trucker nicht von vornherein ausschließen“, sagte Jeannie McNamara. „Wir suchen schließlich jemanden, der wahrscheinlich beruflich unter seinen Möglichkeiten geblieben ist, weil er zu zurückhaltend war und sich nicht gut genug verkaufen konnte.“
„Und das alles erkennen Sie aus diesem Tatort“, wunderte sich Jay Kronburg.
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht aus diesem Tatort allein. Aber wenn man alle Tatorte dieser Serie zusammen betrachtet, ergibt sich dieses Bild.“ Jeannie McNamara atmete tief durch. Ihre Augen verengten sich ein wenig. Sie hatte bis dahin einen sehr kontrollierten Eindruck auf mich gemacht, aber in diesem kurzen Moment konnte man erkennen, wie sehr sie dieser Fall beschäftigte und wie wenig sie es verwinden konnte, dass der Killer noch immer frei herumlief.
Aber das war nicht verwunderlich.
Dies war schließlich kein Fall wie jeder andere.
„Der Mann, den wir suchen, hat kein sexuelles Motiv“, war sie plötzlich überzeugt.
„Auch nicht in sublimierter Form?“
„Nein. Es ging dem Täter auch nicht darum, Macht und Dominanz auszuüben oder um das Ausleben sadistischer Triebe. Im Gegenteil, er war sehr rücksichtsvoll. Schließlich hat er das Opfer vorher betäubt und sie getötet, bevor sie erwachte.“
Ich müsste dich nicht vorher betäuben, dachte ich. Du hättest keine Chance, wenn ich mich verwandeln würde.
Irgendwie mochte ich diese Jeannie nicht.
Ich weiß nicht warum.
Vielleicht war es ihr arrogantes Auftreten.
Ihre Hochnäsigkeit.
Etwas juckte auf meiner Stirn.
Ein einzelnes Wolfshaar.
War nicht so schlimm, vermutlich würde es niemand bemerken. Zumindest, wenn es bei diesem einen Haar blieb, was ich nicht garantieren konnte.
Ruhig bleiben. Ruhig werden. Zivilisiert bleiben.
Diese Gedanken wiederholte ich wie ein Mantra.
Und das half.
Ein bisschen.
„Andernfalls würde sie wohl nicht so friedlich daliegen“, stimmte ich ihr also zu. „Trotzdem. Der Begriff Rücksicht im Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen...“ Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, das passt für mich nicht so richtig zusammen, wenn Sie verstehen, was ich meine!“
„Das verstehe ich durchaus – und genau so widersprüchlich sieht es in der Psyche des Täters aus. Er wollte diese Frauen töten...“
Ich bemerkte jetzt auch ein paar Haare zwischen meinen Fingern.
„Sie bestrafen?“, echote ich.
Ich bemühte mich unwillkürlich, dabei nicht den Mund allzusehr zu öffenen. Sie wissen schon: Wegen der Zähne! Ich fürchtete, dass sie schon etwas gewachsen waren.
Jeannie schüttelte den Kopf.
Sie tat das auf eine Weise wie jemand, der jeden anderen, außer sich selbst, als Idioten ansieht. So war sie. Das war eben ihr Charakter. Ich bemerkte, dass auch Jeannie McNamara schöne Brüste hatte. Fast so schöne wie Lydia. Unter anderen Umständen hätte ich mich für Jeannie also vielleicht interessiert. Aber schöne Brüste wiegen leider niemals einen fiesen Charakter auf. Wirklich niemals. Und diesen Charakter hatte sie mir glücklicherweise gleich in den ersten Momenten unserer Zusammenarbeit offenbart.
So ist das eben.
Wir geben alle ständig kleine Stichproben unseres Charakters, unser wahren Natur. Man muss nur darauf achten und diese Zeichen zu lesen verstehen, dann wird man kaum je von einem Menschen in negativer Hinsicht überrascht.
Ist vielleicht eine Cop-Krankheit, die Welt so zu sehen.
Die Welt. Und die Menschen.
„Nein, sich ihrer entledigen. Das trifft es besser. Aber er hat sie dabei sehr schonend behandelt, was mich zu folgender Theorie geführt hat: Die Frauen starben stellvertretend für eine Person, die ihm sehr nahe stand.“
„Die Mutter?“
„Es kann auch eine Geliebte oder Ehefrau gewesen sein. Jedenfalls sind seine Gefühle dieser Person gegenüber sehr ambivalent. Er liebt sie – daher die Rücksicht. Aber sie muss etwas getan haben, was ihn zutiefst verletzt oder bedroht hat und daher der Hass und die Notwendigkeit, sie zu töten.“ Ein Ruck durchlief ihren Körper. Sie drehte das Gesicht in meine Richtung und sah mich an. „Ich bin überzeugt davon, dass auf den Täter genau diese Merkmale zutreffen.“
Ich sah, dass ihr Blick auf meiner Stirn ruhte und durch irgendetwas irritiert wurde. Das Wolfshaar?
Ich versuchte cool zu bleiben.
Die Falte auf ihrer Stirn ignorierte ich.
Ich wandte den Kopf.
Hoffentlich waren da nicht inzwischen schon ein paar mehr Haare zu sehen.
Du. Darfst. Dich. Nicht. Verwandeln!
Nicht!
Ich tat so, als würde ich eine Fliege von der Stirn vertreiben. Da war nichts, stellte ich fest. Da war nichts mehr! Offenbar hatte ich die Kontrolle über meinen Werwolf-Metabolismus zurückerlangt. Gut so.
Sie sagte: “Die Merkmale, von denen ich sprach, sind für mich fixe Größen in dem Fall.”
„Nur hat diese Einsicht bisher nicht dazu geführt, den Kerl zu fassen“, gab ich zu bedenken.
Sie nickte. „Aber das liegt daran, dass er – abgesehen davon, dass er Frauen umbringt – vermutlich ein sehr unauffälliges Leben führt.“
“Hm.”
“Jemand, der unerkannt uns ein unauffälliges Leben lebt und...”
“...in Wahrheit ein Monster ist?”
“Ja.”
“Das kann ich mir gut vorstellen”, sagte ich.
“Wie bitte?”
“Nichts.”
“Ist irgendetwas mit Ihnen, Agent Pendor?”
“Nein.”
Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was sie beschrieben hatte. Der Killer, den wir suchten war jemand, der auf gewisse Weise so war, wie ich.
Der Gedanke mutete im ersten Moment seltsam an.
Aber dann stand er in meinem Hirn und ging nicht wieder weg.
Der Gedanke blieb dort.