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"Wir sind die Menschen. Wir sind weder Moralpächter und Correctness-Klugscheißer noch rechtsdrehende Ratten für die diesbezüglichen Fänger. Wir sind die Bewohner dieser schönen Gegend. Wir sind die Bürger. Wir sind die Menschen." "Der Wahrheit die Ehre" zu geben, gegen Fake News, Lügen, Ignoranz und Gleichgültigkeit einzustehen, das ist Heinz Rudolf Kunzes Anliegen. In den 200 Zeitgeschichten seines neuen Buches "Wenn man vom Teufel spricht" finden seine Besorgnis über die politischen Entwicklungen und die Bedrohung der Freiheit ebenso wortgewandt und scharfsinnig Platz wie der Spaß am Absurden und Geschichten über Liebe, Schmerz und das kleine Glück im Leben.
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Seitenzahl: 242
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HEINZ RUDOLF
KUNZE
WENN MAN VOM TEUFEL SPRICHT
200 ZEITGESCHICHTEN
Vorwort von Oliver Kobold
Der Mensch oder sein Klischee
Es ist vorbei
Also ich finde
Terror in Nizza
Musik ist
Ich weiß einfach nicht, was es ist
Du bist nicht ich
Wolken
Was bastelt der da
Ich du er
Wohin ist ganz egal
Können und Wollen
Stehenzubleiben für immer
Dazwischen
Das ist doch zu einfach
Mein Leitstern
Die Nacht aushalten
Serienschauspieler
649
Armer Odysseus
Lisa mit a
Ich kenne dich nicht
Strandkörbe
Der Gekreuzigte
Treuepunkte
Der Pechbringer
Ich kann nicht mehr
Ich bin die Beatles
Über den Schatten
Totenschädel
Kopf aus Glas
Bartels Notizen
Die Barfüßler
Der Lampenschirm
Die Gemeinheit der Bücher
Deutsche Wurzeln
Schöne Grüße vom Schicksal
Sorgen um ihn
Die falschen Hände
Vom Leben
Leben und Sterben
Anstaltsleiter Richter
Ich vertrau dir
Immer allein
In den Himmel
Früher war alles viel früher
Jeder und jede
Junge Leute
Das Spiel ist vorbei
Mitleid mit Popkünstlern
Nicht mehr zusammen
Gedicht ohne Menschen
Thementage in der Küchenschlacht
Ich und Ich
Probesarg
Sterben ist nur ein kurzes Blinzeln
Hefte raus und Klassenarbeit
Mutter ohne Nase
Herr Bundeskanzlerin
Aufwachen – einschlafen – aufwachen
Schlimme Dinge
Tätigkeitsbericht
Nach Drehschluß
Herr Hut und die Rechtschreibung
Erlebnispark Alltag
Korrekturtaste
Das Volk der Leser
Der Unmut der Verzweiflung
Eine Regenschachtel
Auf Augenhöhe
Herr Hut und der Irrsinn
Sommer 1973
Zur Sprache gebracht
Veranstaltungshinweise
Lebensfeldweg
Schön, daß ich da bin
Diese Anhalterin
Ohne jedes Risiko
Geschnetzeltes
Nicht zu Deutschland
Sprachlos
Die Verhexung
Gerade eben
Vater, mach Licht
Die Bewerbung
Der große Schlagzeuger
Meine liebe Scholla
Mehr ist nicht vorgesehen
Neues Spiel, neues Unglück
Gar nicht
Frauen für Trump
Es klingelt
Das Bad im Meer
Während des Diktats verreist
Die schlimmste Geschichte der Welt
Marcel Proust weiß es auch nicht
Der Schall der Platten
Kleine Welt was nun
Eltern
Alles muß neu sein
Gegend und Heimat
Freundchen
Wie wollen wir leben
Das wird schön
Einsiedlerkrebse
Nichts gegen Spanier
Unter dem Gewicht der Lügen
Armes Kind
Lackierte Nägel
Nieder mit den Abweichlerinnen
Übermorgen ist Weltuntergang
Weil man vernünftig ist
Einigen wir uns so
Das kann schon passieren
Donald und Brett
Im Glashaus
Unfertig
Schlimm kommen
Schluß sein
Ich bin ein Star
Der Rücktritt
Die Lebenden und die Toten
Lieber Photograph
Gott hat Humor
Verkrachte Existenz
Gregor Sumsum
Einspruch abgewiesen
Sprachen verstehen
Das Böse
Liebe für immer
Ihr Kapitän
Das Geschlechtliche
Diese wunderbare Krankheit
Suchen und Finden
Der Urknall und der Negerkuß
Arschloch Freiheit
Delmenhorst
Volle Deckung Spielverderber
Wiederholung ist Veränderung
Auch nur Menschen
Moloch
Ausgewechselt – eingewechselt
Hallo Dekadenz
Fehlerkultur
Meine Waage
Die Indianer
Alle wollen weg
Falls
Schönen Dank auch
Das gibt mir was
Der Güterzug des Grauens
Heute bin ich dankbar
Fallende Würfel
An jeden, der mir nahesteht
Ismen
Listige Innerlichkeit
Meine Zwangsvorstellung
Gesinnungsvegetarier
Hitler TV
Das Problem mit der Wahrheit
Werdet Elite!
Härter durchgreifen
Danke, Rudolf
Das Glück ist
In Teufels Küche
Brillenputztuch
Plötzlich
Supergau(di) im Kabinett
Doppelspitze
Mein unsichtbarer Super-Adler
Durchgestrichen
Soulfuck
Herr Seelenverkäufer
In der verbleibenden Zeit
Immer Nazi
Musiker auf Partys
Mephisto
Der schlafende Hund
Überall Mitte, sonst nichts
Unschädlich machen!
Das ist Demokratie
Schmierenkomödie
Dein Gedanke sein
Ich langweile mich
Sag deinen Satz
Zuwachs-Raten
Wir sind die Menschen
Zum letzten Mal glücklich
Hase und Igel
’ne andere Zeit
Wenn man vom Teufel spricht, dann … ja, was eigentlich? Dann kommt er? Aber er ist doch längst schon da. Beileibe nicht als „man of wealth and taste“, sondern als der, der er immer war. Nach dem Rauswurf aus Eden übernahm Mephisto. Diabolisch, nichts anderes meint das griechische Wort, handelt, wer die Dinge durcheinandergeraten lässt, die Tatsachen leugnet, die Wahrheit beugt. „Gott fragte: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.“ Was er dabei gesehen hat, dürfte ihm gefallen haben. Heinz Rudolf Kunze nennt es „die unendliche Beerdigung namens Gegenwart“, und in diesen Texten ist er ihr Chronist. Kein nüchtern-bilanzierender allerdings. Die Zeiten sind nicht danach, den Rädern gelassen beim Rollen zuzusehen.
Worum geht es? Ums Spucken von Gift und Galle. Ums Beschimpfen, Klagen, Haare-Raufen. Ums Deuten auf den Verfall, häufig in lustvoller Drastik, manchmal aber auch einfach nur fassungslos. Die umschreibenden Bezeichnungen für den Teufel, früher noch wirksamer Abwehrzauber, funktionieren mittlerweile so umstandslos wie Klarnamen, heißen Trump oder AfD.
Worum geht es? Ums Spucken von Gift und Galle. Ums Beschimpfen, Klagen, Haare-Raufen. Ums Deuten auf den Verfall, häufig in lustvoller Drastik, manchmal aber auch einfach nur fassungslos. Die umschreibenden Bezeichnungen für den Teufel, früher noch wirksamer Abwehrzauber, funktionieren mittlerweile so umstandslos wie Klarnamen, heißen Trump oder AfD.
Kunze verschriftet die Gegenwart. Er kehrt den Sprachschutt, der sich zum Himmel türmt, zusammen und macht aus ihm Collagen des alltäglichen Irrsinns. „Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete“ (Adorno) oder: Willkommen im Erlebnispark Alltag – Terror, Hetze, Dummheit, Unfähigkeit, Verrohung, Sprachverhunzung, Trash-TV, Gesamtschulwetter und die Irrwege politischer Korrektheit inklusive.
Freilich bleibt es nicht beim bloßen Abbild. Das Gefundene wird mit Subjektivität aufgeladen und dadurch verwandelt. Dem Ich, das in diesen Texten laut wird, steht ein ganzes Arsenal an Formen zur Verfügung, wenn es darum geht, den Stoff zu bändigen. Der Gattungsbezeichnung zum Trotz: Es sind eben nicht nur Zeitgeschichten. Neben sie tritt Gereimtes, in Strophen und Rhythmus Gebrachtes und kühn Gesetztes, mithin lyrisches Sprechen, mithin Zeitgedichte.
Penibel ist dabei jedem Text der Tag seiner Entstehung mitgegeben. Im Datum findet das in Sprache Gefasste seine Signatur, gibt sich zu erkennen als zugehörig zu einem ganz bestimmten Tag. Das könnte zum nachforschenden Blick in den Kalender verleiten. Warum entstand wann was? Doch wird man dem konkreten Schreibanlass wohl nur selten auf die Spur kommen. Viel gewonnen wäre dadurch ohnehin nicht. Es bliebe ein Lesen, das die Macht poetischen Verschiebens und Verfremdens verkennte. Literatur hat ihre eigene Zeit und ihr eigenes Recht oder sie ist keine. Nur Banausen ficht das nicht an. Die werden wie je Zeilen aus allem Zusammenhang reißen, sie als Beute präsentieren und dabei entweder „Jawohl!“ oder „Verrat!“ krakeelen, je nachdem, wie es ihnen in ihren trüben, abgestandenen, weltanschaulichen Kram passt.
Lange schon haben Kunzes Bücher den Charakter von Lied-Sammlungen abgelegt. Wer in ihnen Songtexte sucht, wird nicht mehr fündig. Und doch hat sich dadurch die Engführung beider Ausdrucksformen nicht erledigt. Platten und Bücher verweisen aufeinander, ergänzen sich und funktionieren als wechselseitiger Kommentar, ohne dabei jedoch ihre Unabhängigkeit preiszugeben. Fast könnte man von einem Gesamtwerk sprechen, von einem Textgeflecht auf alle Fälle. In ihm rückt das Ferne plötzlich wieder nah, erläutert das Neue ein Früher, das wiederum die Zukunft bereits vorweggenommen hat. Kein Kunze-Hörer, der beim Lesen von „Gegend und Heimat“ nicht an den Song „Vertriebener“ von 1985 denkt. Und „Lisa mit a“ evoziert das (fast) gleichnamige Lied von Kunzes erstem Live-Album und bestätigt so, dass all die Zeit tatsächlich noch etwas unerledigt geblieben ist. Dass das mit Lisa eben doch Liebe war. Von Cohen besungene, von Nietzsche bespöttelte, wunderbare, unerfüllte Liebe.
So einige der in diesem Buch enthaltenen Texte wurden in den vergangenen Jahren schon vor Publikum vorgetragen. Keineswegs sind sie als bloße Einleitung, als schnöde Ansage gar zum im Konzert jeweils folgenden Lied misszuverstehen. Stattdessen verhalfen sie ihm zu mehr und häufig auch zu anderer Bedeutung – und umgekehrt. So wenn bei den vorerst letzten Auftritten mit Band die Verwünschungsorgie „Gar nicht“ den Doo Wop des anschließenden „Komm mit mir“ fast schon hörbar machte. Oder der Song „Der Vogel, der nach Süden zieht“ durch das vorausgeschickte „Sprachen verstehen“ ins Hoffnungsvolle gewendet wurde. Und auf einmal hielt man es doch wieder für möglich, dass es einen Aufschub geben kann. Dass der Winter und das Vergessen noch etwas auf sich warten lassen.
Kunzes Schreiben kann als bannendes begriffen werden. Indem es dem Schrecken nicht ausweicht, hält es ihn stets um ein Winziges in Schach. Gerade in der Absage an alle Patentrezepte zur Weltenrettung deutet es auf das, was fehlt. Der Utopie, alles könne sich noch fügen, wird die Treue gehalten. So werden Texte, poetische zumal, zum „Abwehrkampf gegen die Bestialität“, so bieten sie der „Zernichtung die Stirn“.
In den Lücken, die der Teufel lässt – schon Alexander Kluge wusste das –, wohnen die Menschen und tun, was sie können, um Antworten auf die alten, die großen Fragen zu finden: das Leben, die Liebe, das Altern, den Tod. Ihnen sind einige der ergreifendsten Texte dieses Buches gewidmet. Etwa die gar nicht so sachliche Romanze „Das Bad im Meer“. Oder das Vergänglichkeits-Schwarzbild „Die Nacht aushalten“. „Lebensfeldweg“ spricht gar von den allerletzten Dingen: Am Ende der einem zugedachten Zeit wird der Horizont nur noch kriechend erreicht.
Aber davor, immer wieder, „momenthafte Wärmeschübe von Glück“. Ein Licht, das von weit her kommt und die Dinge in ihrer Schönheit erst sichtbar macht. Snapshots des fraglosen Gelingens, auch das sind diese Texte. Manchmal wird die Wand, hinter der man ausgeharrt hat, gläsern, und es kommt zu der Begegnung, nach der man sich lange gesehnt hat.
Im vergangenen Jahr hat Kunze einhundert Songs von Bruce Springsteen ins Deutsche übertragen, darunter auch „This Hard Land“. Dessen Schlusszeilen „Stay hard, stay hungry, stay alive“ tauchen nun noch einmal auf, ins Eigene gewendet. Als Version mit Brille. Der Glaube an die deutende, oft auch heilende Kraft der Literatur hört niemals auf: „Seid klug. Seid belesen. Seid gelassen.“ Vielleicht hat der Teufel doch nicht die besten Lieder.
Oliver Kobold
Na losna komm
mach das was man erwartetna los
come onget ready and get started
mach den lustigen Bimbo mit den rollenden Augenmach die brunzdumme Schlampe wo nur die Titten was taugen
mach den reuigen Sünder aus der tiefbraunen Szeneden zerrütteten Junkie mit dem Pieker in der Vene
na kommna los
sei schrill und kurios
Mach den gläubigen Sozi mit dem Anspruch auf Kanzlermach den Obdachlosen vor Berlins Café Kranzler
mach die Leseratte auf der Frankfurter Messemach den Poetry Slammer mit der hackdummen Fresse
na losna komm
frisch frei und bloß nicht fromm
Mach den Innenminister auf dem rechten Auge blindmach das überhaupt gar nicht erziehbare Kind
mach den tatternden knatternden notgeilen Greismach uns allen was vor und den meisten was weis
wir wollen nichts verstehenwir wollen Lügen sehen
mach die mickrige Mutter die im Haushalt versauertmach den neureichen Dödel der die Armen bedauert
mach den piefigen Pastor mit der Selbstfindungsgruppemach den Heizdeckenschwindler mit der Frührentnertruppe
Mach das Öko-Mädchen mit null Bock auf Schulemach den Dönerbuden-Macho mit voll Haß auf Schwule
mach das was man erwartetget ready and get started
come onna los
dann ist der Jubel groß
Mach den Schweinepriester mit der Hand im Ferkelmach den Hoffnungsträger für das Amt von Merkel
mach den Klimaleugner und den Haßprophetenmach den Unfallgaffer und den Schlagerproleten
Die giftigste Frage auf der ganzen Weltdie sich einfach immer wieder stellt
lautet: Was tut eigentlich richtig wehist es der Mensch oder sein Klischee
es ist wohl der Mensch in dem das Böse keimt
mit dem er seinesgleichen leimt heimtückisch zynisch abgefeimtder Mensch auf den sich nach wie vor
im Deutschen nicht ein einziges Wörtchen reimt
20.06.2019
Es wird nie wieder gedacht werdenempfunden gespürt gefühlt werden
geschrieben komponiert gemalt gezeichnet gebildhauert werdenwie früher
es ist vorbeiund es wird auch nicht anders besser werden
sondern nur immer so weiter schlechter als es schon istes ist aus und vorbei mit allem was gut war
und es wird auch nie wieder geliebt werdenvon gefickt ganz zu schweigen
es wird nie wieder getrunken geraucht getanzt und gefeiert werdenwie früher
aus dem einfachen Grunddaß ich zu alt dafür bin
die ganze Welt geht unaufhaltsambeharrlich Schritt für Schritt den Bach runter
und keine andere Welt geht ihn raufes gibt nur die eine
meinees gibt keine Hoffnung
nur abnehmenden Spaßschwindende Begeisterung
verblassende LebenslustErlöschen
VerfunzelnVerdorren
VermickernVerkümmern
die Sekunden fressen an mir wie Termiten
die Tage schleifen mich ab wie die Nordsee die norwegische Küstees ist vorbei
es ist wie es ist und es ist vorbeiaus und hinüber gelaufen gestorben
schon jetztzu Lebzeiten
Nochlebzeiten Dahinvegetierzeitenman sieht wie es ist
man weiß wie es kommtund man ahnt wie es war
denn mehr ist es nicht nur eine leiseimmer leiser werdende Ahnung
denn das was war schreibt sich definitiv ohne Hsoviel ist sicher mehr aber auch nicht
in absehbarer Zeit wird der Vorhang fallenund dich unter sich begraben
und niemand da um sich zu fragenwo der überhaupt befestigt war
in dieser großen Leere
07.07.2016
Also ich finde da muß man doch irgendwas tunDinge wie diese die läßt man nicht auf sich beruh’n
Dinge wie diese die fordern uns alle herausTaten gefragt und nicht Worte so sieht es doch aus
Also ich finde so langsam mir reißt die Geduldbald ist der Zeitpunkt erreicht da wird Warten zur Schuld
jeder der wegschaut gefährdet die Demokratie
nein die ist nicht selbstverständlich das war sie noch nie
Also ich finde wir hauen jetzt hart auf den TischGleichgültigkeit paßt zu uns wie das Fahrrad zum Fisch
jeder von uns hat doch sicherlich schon mal gedacht:Wann haben wir die entscheidenden Fehler gemacht
Wann und warum genau fuhr unser Traum vor die Wandänderte vieles sich doch nur das Falsche im Land
haben wir unsere Kinder so gründlich versautdaß man sie kaum nach der Uhrzeit zu fragen sich traut
Früher da gab es im Osten den Schwarzen Kanalwestlich davon den verhetzenden Rick Löwenthal
da war die Welt noch in Ordnung die Sache war klarvollkommen logisch wofür und wogegen man war
Heute ist alles voll Zwielicht wohin wir auch schau’nHit der Saison ist die gräuliche Tarnfarbe Braun
unsere Zukunft wird gar nicht politisch korrektwenn sich bewahrheitet was in der Gegenwart steckt
Sinn wird vergeudet verschwendet verschenktlächerlich wird an den Pranger gestellt wer noch denkt
Abschaum ist Maßstab der Pöbel allein triumphiertbald ist der letzte Politiker volltätowiert
Nur zwischen Pest und der Cholera wird noch gewähltnur noch betrogen wird wer sich zur Wahlurne quält
ehe die Sintflut kommt wird er noch ruhiggestelltWerbegeschenke sind teuer – was kostet die Welt
Reden ist Dummheit und Schweigen ist auch ziemlich blödwirklich ich frag mich wie lange das hier noch so geht
Trottel regieren Idioten und andersherumlängst ist schon Nachspielzeit – auch die ist irgendwann um
Also ich finde es Zeit daß man Farbe bekenntdaß man das Kind mit dem Bade beim Vornamen nennt
deswegen sage ich deutlich und laut jetzt und hier:Hallo Herr Ober ich hätte gern noch so ein Bier
08.07.2016
Wohin nur könnten wir denn gehenum nicht so hoffnungslos zu sein
die Trauer läßt uns Monstren sehenwie Nägel wachsen sie uns ein
Und ohne jeden Rat zu wissenertragen wir den nächsten Tag
von fast gewohntem Schmerz gebissenwie Kreisel einst vom Peitschenschlag
Das Herz verlangt nach blinder Rachewie neunmalklug bremst der Verstand
das Richten sei nicht unsre Sacheder Anspruch fordert allerhand
Man sieht die Opfer blutig liegenvom Zufall zynisch ausgesucht
bestialisch tönt der Feind vom Siegenin Ewigkeit sei er verflucht
Ich will hier keine Gnade kennenich will daß es die Hölle gibt
ich will was Feind ist auch so nennenund nicht daß ihn ein Herrgott liebt
Vertilgt gehören Kreaturenauf deren Stirnen Morden steht
verwischt für immer ihre Spurenegal ob ihr das anders seht
Schon morgen scheint’s wie ein Versehenwir schicken uns vergessend drein
wohin nur könnten wir denn gehenum nicht so hoffnungslos zu sein
16.07.2016
Musik ist der Versuchmit bloßen Händen einen Strumpf zu stopfen
Musik ist das Bedürfnisseinem Hund Rosinen in den Kopf zu stecken
Musik ist sehr sehr wichtig
Musik ist eine Kältewallungist das Gefühl kurz vor der Ziellinie umkehren zu müssen
und den Lauf von vorn zu beginnenist wie ein langweiliger Film über Architektur
bei dem man trotzdem nicht wegschauen kann
Musik ist sehr wichtigaußerordentlich wichtig
vielleicht ist es auch gar nicht Musiksondern Sexualität
aber egal
Es ist das wasdurch das Gitter der Sterne tropft
das was Flocken bildetMuster im Sand
Konfessionen
Mein Gott ich weiß ja nicht was ich redeaber genau das
ist Musiknicht wahr
genau das
Musik ist das was die Zungezu einem Geschlechtsteil macht
und die Fußsohle zu einem Denkorganist das was man hinterher ahnt
ohne schlauer geworden zu sein
Und es kann nicht seines kann einfach nicht sein
daß es keine Musik gäbeohne den Menschen
das ist unmöglich
Es gäbe Musikauch ohne den Menschen
das ist so gewißdas ist so sicher wie das Erröten
Gottes
24.07.2016
Ich weiß nicht, was es ist. Ist es Angst? Ist es Langeweile? Keine Ahnung. Ein blinder Photograph fährt mich zur Bank. Ich soll den Scheck der Ehefrau einlösen, mit dem sie den Entführern ihres Gatten danken will. Ich mache das gern, wenn ich helfen kann. Aber dennoch mit diesem Gefühl im Bauch, von dem ich nicht weiß, was es ist.
Ein Bad wäre schön. Ein feiges, unentschlossenes, lauwarmes Bad. Jetzt, hier im Auto, das mit hundertachtzig Sachen auf dem Mittelstreifen balanciert. Alle kennen dieses Gefühl. Man spricht nicht gern darüber. Aber oft, wenn wir es finden, werden wir es nicht gefunden haben. Und wenn wir es nicht gefunden haben werden, wird es zu spät sein. Ist es jetzt so weit, unwiderruflich, daß dieses Ding in der Hose nur noch zum Pinkeln taugt? Und selbst das nur bedingt. Und hauptsächlich nachts.
„Kann schon sein“, grinst der blinde Photograph. „Bitte recht freundlich, aber ohne zu lächeln. Stell dir einfach vor, du bist ein Entführer.“
Ich weiß nicht, was es ist, und fühle mich eher wie der Entführte. Und ich schäme mich so, weil so viele Engländer schlechte Zähne hatten nach dem letzten Krieg, denn es gab keine Orangen, sagt der blonde, nein, der blinde Photograph, der aus London stammt. Und schuld daran waren irgendwie wir Deutschen. Also an den Orangen, beziehungsweise an den keinen Orangen. Nicht daran, daß er aus London stammt. Und am meisten schäme ich mich, weil ich gar keine Orangen mag, nie mochte und nie mögen werde.
Vielleicht ist es das.
27.08.2016
Du bist der Jäger, der loszieht, um ein Reh zu schießen, und heimkehrt mit einem Tiger. Du bist der Prediger, der glaubt, nur einen Größeren anzukündigen. Doch deine Hörer wissen: Du bist es selbst. Du bist das Prickeln auf der Haut beim Anblick einer nackten jungen Frau, die nichts zu befürchten, nichts zu erdulden, nichts zu bereuen hat. Du bist genau das, was ich suche. Du bist nicht ich.
Du bist der Käpt’n in der Südsee, der sich die Meuterei zu eigen macht und anführt. Du bist der Einsiedler im Packeis, der, wenn er seinen Fluchtpunkt verlassen würde, der mächtigste Mann der Welt sein könnte. Du bist alles das, was ich ersehne. Du bist nicht ich.
Du bist der Slide-Gitarrist, der Robert Johnson, Elmore James und Brian Jones vergessen läßt und den Blues neu über die Erde ausgießt. Wie einen Heiligen Geist. Du weißt, wie man die Lebensform der Familie ins nächste Jahrtausend retten kann. Wie man Warzen bespricht und wie die europäische Idee nicht sterben müßte. Du bringst jeden Terroristen zum Lachen. Du bist genau das, was ich brauche. Das, was wir alle brauchen. Du bist nicht ich.
Du würdest niemals eine Rasierklinge an den Himmel halten, denn die Wolken könnten Blut verlieren. Und du würdest niemals bezweifeln, daß selbst das kleinste Ding auf der Welt einen Namen hat und eigentlich verdient, daß man ihn kennt und nennt. Eine Aufgabe, die das Menschenmögliche übersteigt. So wie alles Wertvolle. So wie du, der ich nicht bin. Denn ich bin nur der, der ich bin.
01.09.2016
Wolken sehen aus wie Kontrabässe,waagerecht ins Himmelblau gelegt …
allerdings statt braun von fahler Blässe,und dazu ein bißchen ungepflegt.
Oder wie historische Gesichter,die man nicht recht unterbringen kann:
„Ist das ein Gelehrter? Oder Dichter?Mensch, woher bloß kenn ich diesen Mann?“
Wind kommt auf. Und mit ihm seine Eile,fratzenartig wird das Konterfei,
karikiert sind alle Einzelteile,das Aha-Erlebnis ist vorbei - - -
Manche Wolke weigert sich zu gaukeln,will nichts andres sein als Wolke bloß –
weigert sich die Schaukel, uns zu schaukeln,gibt die Phantasie ihr einen Stoß!
Und wir sehen Mumien und mituntereine schöne unverhüllte Frau …
nur bei Tage machen Wolken munter.In der Nacht sind alle Wolken grau.
04.09.2016
Was bastelt der dawas wird da gebaut
geklopft und gehämmertmal leise mal laut
was bastelt der dawas wird hier gespielt
der will uns doch foppenbewußt und gezielt
ein Schuppen im Gartengleich hinter dem Haus
kein einziges Fenstersieht unheimlich aus
da werkelt er heimlichbis tief in die Nacht
was geht da bloß vor sichwas wird da gemacht
was bastelt der daalso wirklich ich denke
bestimmt nichts für Osternoder Weihnachtsgeschenke
was bastelt der daaus Eisen und Stahl
was führt der im Schildezum Teufel noch mal
noch niemand war drinnener läßt keinen rein
wie soll man bei sowasnicht mißtrauisch sein
nach außen hin wirkt ernormal und mausgrau
hat anderthalb Kindereine häßliche Frau
fährt morgens zur Arbeitkommt pünktlich zurück
perfekt ist die Tarnungein ganz fieses Stück
was bastelt der dawas hat der im Sinn
wenn keiner ihn aufhältsind wir irgendwann hin
jetzt kommt er herüberund er klopft an die Tür
keinen Mucks halt die Luft anwir sind einfach nicht hier
Ach Sie öffnen den Schuppen?Ach Sie laden uns ein?
Ja wo denken Sie hin!Unsre Antwort ist Nein!
was bastelt der dawas bastelt der da …
07.09.2016
Du bist der einzige Menschzu dem ich Ich sage
zu mir sage ich Erund zum Rest sag ich sie
großgeschrieben Sieoder kleingeschrieben sie
aber du bist der einzige Menschzu dem ich Ich sage
so gut kennen wir michda ist er sich ganz sicher
und du bist es mir auchwenn du aufgerufen wirst beim Jüngsten Gericht
als Zeugin oder Angeklagtedann wirst du mit Ich antworten
also mit ihmund der Höchste Richter wird wissen
wer gemeint istund er wird dich freisprechen von jeder Anklage
und er wird dich entbinden von jeder Zeugenpflichtund er wird es dir überlassen
ob du aus völlig freien Stückenetwas aussagen möchtest über ihn
der Höchste Richter wird es ganz in deine Hand legenob du ihn belastest
oder ob du ihn entschuldigstund er ist sich absolut sicher
daß das der Moment sein wird wo du sagen wirst:Ich liebe ihn
ihn der von sich selbstimmer nur als Er sprach
und von diesem Augenblick anwerde ich endlich Du sagen können und sagen:
Jaich liebe dich auch
16.09.2016
Also laß uns gehen, Liebste, es ist unsres Bleibens nicht länger hier. Fast scheint es so, als wären wir niemals willkommen gewesen. Als hätten wir nur etwas mißverstanden.
Lange haben wir ausgeharrt, Liebste. Auf Zeichen gewartet. Menetekel. Orakel. Aber nichts, einfach gar nichts geschah. Ich habe um dich mit den Gauklern gewürfelt. Schneeweiße ausgeschlagene Zähne rumpelten im Becher. Und du hast um mich mit den Weibern getanzt, nachts an den Feuern, bis es Fußsohlen sengte und Haare. Nicht immer haben wir einander gewonnen. Nicht immer unsere Namen behalten. Das nahmen wir hin, aber kaum je zur Kenntnis.
Doch jetzt ist es Zeit, daß wir gehen, mein Goldstück. Die Schausteller falten die Buden zusammen. Der hagere Norbert läßt die Luft aus der Geisterbahn. Die einbeinige Mechthild fischt die Geldscheine aus ihrem Straps. Und der Himmel ist grau von der Asche der Flammen.
Wie man es wendet und dreht, meine Liebste, vorbei ist der Rummel. Runtergerissen der letzte Schleier. Der Zauber hat sich entmummt. Sie packen zusammen und gehen. Und keiner, Liebste, keiner von ihnen wird es nötig finden, sich nur ein einziges Mal umzudrehen zu uns beiden. Auch wir sollten sehen, daß wir Land gewinnen. Irgendwo Boden unter den Füßen. Wo man uns braucht. Wo man uns wahrnimmt. Wo man sich etwas von uns erhofft.
Wir haben ja so viel gestaunt, meine Liebste. Wir waren die dankbarsten Zuschauer, die sich ein drittklassig lustiger Tölpel nur vorstellen kann. Sie haben es uns nicht gedankt. Das Ganze war ein Irrtum, Liebste. Und zwar ganz unsererseits. Sie haben getan, was sie mußten. Wir haben getan, was wir wollten. Und gelassen, was wir sollten.
Laß uns aufbrechen, Liebste. Nutzen wir die letzte Chance, auf die es keine Garantien gibt. Und wenn sie kommt, kein Umtauschrecht. Es dämmert schon. Die dunkelste Stunde ist vorbei. Laß uns balancieren auf dem ersten Sonnenstrahl. Egal wohin. Nur weg von hier. Wohin ist ganz egal.
17.09.2016
Früher wollten wir, daß der Spaß zur Pflicht wird. Heute wollen wir, daß die Pflicht Spaß macht.
Früher schlugen wir uns den Bauch voll und hatten keinen. Heute haben wir den Salat und haben einen.
Früher näherten wir uns schockierend der Schallgrenze und waren Fußball-Ultras. Heute nähert sich uns der Vertrauensarzt mit der Glitschcreme und dem Kolben der Ultraschalluntersuchung, der aussieht wie ein Elektroschocker.
Früher stellten wir uns die Nachrichtensprecherinnen nackt vor. Heute sehen wir keine Nachrichten mehr.
Früher war die Selbstbefriedigung ein warmes Gefühl in der rechten Hand. Heute lassen wir sie kühl links liegen.
Früher waren wir überzeugt von jedem Wetter. Heute haben wir immer den Verdacht, daß der Sonnenschein trügt und daß das Blaue am Himmel gelogen ist.
Früher schnupften wir den Schnee, als gäbe es kein Morgen. Heute ist er der von gestern.
Früher waren wir hinterher völlig hin. Heute sind wir schon vorher meistens weg. Und dabei immer diese fast schon schmerzhafte Gewißheit, daß es gerade die Löcher in unserem Gedächtnis sind, in denen sich etwas Drittes verbirgt, das den Unterschied ausmachen könnte zwischen früher und heute auf der einen Seite und etwas ganz anderem.
Eigentlich möchte man fließend rückwärts sprechen können, um sich all das Entschwundene wiederzuholen. Herbeizubeschwören. Ach, man würde freudigen Herzens alles dafür hergeben, um das wenige zurückzubekommen, das so viel mehr war als alles, was sich danach zu einem sogenannten Leben auftürmte. Dieses Leben, das uns das Können schon weitgehend genommen hat und nun hart daran arbeitet, uns auch noch das Wollen zu nehmen.
Willkommen bei der unendlichen Beerdigung namens Gegenwart. Nicht zu verwechseln mit der Beerdigung des Unendlichen namens Zukunft.
06.10.2016
Den einen Satznoch nicht gefunden,
an dem zu feilen tagelangFlaubert
der Mühe wert erachtete.
Weder seinennoch meinen.
Gleich und sogar weniger gleichAltrige bereits gestorben –
Wegbereiter dort,wo nichts
und niemand mehrein Verb benötigt.
Wieder und wieder der Wunsch,wieder und wieder wild entschlossen
stehenzubleiben für immerbei Grün.
04.11.2016
Meine besten Mitteilungen sind die, die ich nie abgeschickt, sondern gelöscht, zerrissen, weggeworfen habe. Meine allerbesten Mitteilungen sind die, die ich überhaupt nicht schrieb. Und das Allerallerbeste ist: Ich habe überhaupt noch niemals an Mitteilungen gedacht.
Auf diese und nur auf diese Weise kommt man der Wahrheit nahe. Der Wesentlichkeit oder meinetwegen dem Stadium der Heiligkeit. Es ist fragil. Es ist instabil. Es ist in seiner Existenz weitaus gefährdeter als eine Seifenblase im Sturm. Und erreichbar nur im Aggregatszustand des Ungedachten, ja des Undenkbaren.
Das Leben im Zitat, sagt Thomas Mann, ist eine Form der Freiheit. Das Existieren in einer hellen bewußten sich selbst genügenden Leere, sage ich, und ich glaube, Leonard Cohen hätte dazu genickt, ist die einzig mögliche Form einer Reflexion des dunklen Spiegels des Göttlichen.
Derartige Überlegungen mögen viele für schwer verständlich halten. Für verstiegen. Für obskur. Sie sind es auch. Aber wenn es uns gelingt, dies alles nun Wort für Wort, Silbe für Silbe, rückwärts umzustoßen wie Dominosteine, bis es unsichtbar wird, unhörbar, unlesbar, wenn auch nicht ungeschehen, dann könnte dies ein Hinweis sein, wie man zur Einsicht gelangt. In die Akten der Unendlichkeit.
Denn man muß hinaufsteigen auf einer Leiter, angelehnt an nirgendwas. Denn nirgendwas ist nicht nichts. Auch nicht das Gegenteil. Sondern irgendwas dazwischen.
11.11.2016
Morgen für Morgen, und das mit den Jahren früher und früher, die Augen aufschlagen. Wie ein Buch, leer bis auf ein paar Sandkörner und zwei drei Fettflecke Licht. Und das zerknickte Lesezeichen der Träume fällt heraus und trudelt erratisch wie eine Feder auf den Fußboden neben die Hausschuhe: Das ist doch zu einfach.
Da trügt doch der Schein. Das ist zu einfach.
So einfach kann es doch wirklich nicht sein.Schlurfend dann ins Badezimmer torkeln wie verschleppter Jazz. Die Blase befreien von den Rauschrückständen des gestrigen Abends im wortkargen Garten Gethsemane. Die Zähne schrubben wie die Deckplanken der Titanic, damit man nicht irgendwann auf dem Zahnfleisch dem Eisberg entgegengeht:
Das ist doch zu einfach. Da lauert doch todsicher eine Falle.
Da steckt doch was dahinter. Und irgendwann erwischt es sicher alle.