Wenn Verlangen die Vernunft besiegt - Maureen Child - E-Book

Wenn Verlangen die Vernunft besiegt E-Book

Maureen Child

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Beschreibung

Ihr letzter Kuss war so lang her, dass die Empfindungen sie fast überwältigten. Sie konnte nicht mehr denken. Selbst wenn sie ihren Mund von seinem lösen würde, bekäme sie kein Wort über die Lippen. Eigentlich ist Bestsellerautor Micah Hunter in Utah, um für seinen neuesten Roman zu recherchieren. Nicht, um eine Affäre mit seiner sexy Vermieterin anzufangen. Doch die attraktive Kelly geht ihm einfach nicht aus dem Kopf. Der Milliardär begehrt sie wie noch nie eine Frau zuvor. Dabei widerstrebt dem notorischen Einzelgänger nichts mehr, als sich zu binden. Als Kelly ihn überraschend bittet, ihren Verlobten zu spielen, stimmt Micah dennoch zu. Schließlich ist ja alles nur vorgetäuscht. Oder nicht?

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Seitenzahl: 208

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Maureen Child Originaltitel: „Fiancé in Name Only“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2050 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Jennifer Thomas

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733724047

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Tut mir echt leid“, sagte Micah Hunter. „Ich mochte dich wirklich gern, aber du musstest einfach sterben.“

Er lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück und überflog die letzten Zeilen der Szene, die er gerade geschrieben hatte. Einer seiner bekanntesten Charaktere war nun tot. Zufrieden seufzte er und klappte den Laptop zu.

Vier Stunden hatte er schon gearbeitet, und es war höchste Zeit für eine Pause. Während er ans Fenster trat und auf die Straße hinaussah, murmelte er vor sich hin: „Das einzige Problem ist, dass ich hier nirgendwo hingehen kann.“

Gelangweilt zog er sein Handy aus der Tasche und tippte auf die Kurzwahl. Es klingelte ein oder zwei Sekunden, bevor ein Mann am anderen Ende abhob.

„Wie konntest du mich nur überreden, sechs Monate hierzubleiben?“

Sam Hellman lachte. „Ich freue mich auch, von dir zu hören, Micah.“

„Ja, ja.“ Klar, dass sein Freund sich über ihn lustig machte. Wäre er nicht in dieser amerikanischen Kleinstadt gestrandet, würde Micah es auch witzig finden. Allerdings war ihm gerade nicht nach Scherzen zumute. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah sich die sogenannte „herrliche Aussicht“ an.

Das Haus, das er gemietet hatte, war ein echtes viktorianisches Herrenhaus. Es lag an einer breiten Straße, die gesäumt war von riesengroßen, vermutlich sehr alten Bäumen. Die Blätter leuchteten in Rot und Gold, ein letztes Aufbäumen vor dem Winter. Der Himmel war strahlend blau, und die Herbstsonne lugte hinter dicken weißen Wolken hervor. Es ist still, dachte Micah, so still, dass es fast unheimlich ist.

Da die spannungsgeladenen Horrorromane, für die er bekannt war, regelmäßig auf Platz eins der New-York-Times-Bestsellerliste landeten, kannte er sich mit dem Unheimlichen gut aus.

„Ich meine es ernst, Sam. Ich stecke hier noch für vier Monate fest, weil du mich überredet hast, den Mietvertrag zu unterschreiben.“

Sam lachte. „Du sitzt da fest, weil du dir eine Herausforderung niemals entgehen lassen würdest.“

Hart, aber wahr, dachte Micah. Niemand kannte ihn in der Hinsicht besser als Sam. Kennengelernt hatten sie sich als junge Männer auf einem Schiff der US Navy, als sie dort ihren Dienst angetreten hatten. Sam war damals vor seiner reichen Familie und deren Erwartungen an ihn geflohen, er selbst vor seiner Vergangenheit, die er in verschiedenen Pflegefamilien verbracht hatte. Dieses Leben war voll mit Lügen und nicht eingehaltenen Versprechen gewesen. Irgendwie hatten sie einen Draht zueinander gefunden und waren in Kontakt geblieben, nachdem ihr Dienst vorbei gewesen war.

Damals war Sam nach New York zu der Literaturagentur zurückgekehrt, die sein Großvater gegründet hatte. Die Distanz hatte ihn erkennen lassen, dass er tatsächlich gerne in das Familiengeschäft einsteigen wollte. Währenddessen hatte Micah sämtliche Jobs auf Baustellen angenommen und in jeder wachen Minute an einem Roman gearbeitet.

Schon als Kind hatte Micah gewusst, dass er Bücher schreiben wollte, und als er endlich damit anfing, flossen die Worte schneller aus ihm heraus, als er sie aufschreiben konnte. Bis tief in die Nacht hinein tippte er und verlor sich in der Geschichte, die sich auf seinem Bildschirm entfaltete. Nach Beendigung seines ersten Romans hatte er sich wie ein Marathonläufer gefühlt – erschöpft, zufrieden und siegreich.

Den ersten Entwurf hatte er Sam geschickt, der ihm noch Millionen von Vorschlägen zur Verbesserung gemacht hatte. Niemand mochte es, wenn ein Text, den man vorher schon für sehr gut gehalten hatte, noch mal auf den Kopf gestellt wurde, aber Micah war so entschlossen gewesen, den Roman zu einem Erfolg zu machen, dass er die meisten Änderungen akzeptierte. Das Manuskript hatte er sofort für einen bescheidenen Vorschuss an den Mann gebracht. Nie zuvor war er so stolz auf einen Verdienst gewesen.

Und das Buch sollte nur der Anfang gewesen sein. Sein zweiter Roman wurde durch Weiterempfehlungen zu einer Sensation, die sich so rasant ausbreitete wie ein Virus und sich auf Anhieb auf die Bestsellerlisten katapultierte. Ohne es zu ahnen, wurden seine Träume allmählich zur Realität. Seitdem hatten Sam und Micah zusammengearbeitet und gaben ein großartiges Team ab. Und gerade weil sie so gute Freunde waren, wusste Sam genau, womit er Micah locken konnte.

„Das ist die Rache für letzten Winter, weil ich bei dem Snowboard-Rennen gewonnen habe, stimmt’s?“

„Hältst du mich für so nachtragend?“, fragte Sam lachend.

„Oh ja!“

„Na ja, okay, vielleicht“, gab Sam zu. „Aber du warst derjenige, der die Wette angenommen hat, für sechs Monate in einer Kleinstadt zu leben.“

„Auch wieder wahr.“

Wie schlimm kann es schon werden? Micah erinnerte sich, dass ihm diese Frage durch den Kopf gegangen war, bevor er den Mietvertrag mit der Eigentümerin Kelly Flynn abgeschlossen hatte. Jetzt, zwei Monate später, wusste er die Antwort auf diese Frage.

„Immerhin geht es um Recherche“, bemerkte Sam. „Das aktuelle Buch spielt nun mal in einer Kleinstadt. So kannst du Erfahrungen aus erster Hand sammeln.“

„Schon mal was von Google gehört?“ Micah lachte. „Und was ist mit dem Buch, das in Atlantis gespielt hat? Was glaubst du, wie die Recherche dazu ausgesehen hat?“

„Darum geht’s doch gar nicht. Also, Jenny und ich mochten das Haus, als wir vor ein paar Jahren da waren. Na gut, vielleicht ist Banner eine Kleinstadt, aber es gibt dort leckere Pizzen.“

Da konnte Micah nur zustimmen. „Pizza Bowl“ hatte schon eine Kurzwahl auf seinem Telefon bekommen.

„Ich hab’s dir schon gesagt: Warte noch einen Monat, dann sieht die Welt anders aus“, meinte Sam. „Dann genießt du den Pulverschnee in den Bergen, und alles ist vergessen.“

Micah war sich da nicht so sicher, aber er musste zugeben, dass das Haus wirklich toll war. Er schaute sich in dem Zimmer im ersten Stock um, das er vorläufig zum Büro erklärt hatte. Alle Zimmer waren groß mit hohen Decken, und der Ausblick auf die Berge war fantastisch. Das ganze Haus besaß viel Charme, aber wenn er durch das riesige Gebäude lief, kam er sich vor wie ein Gespenst. So viel Platz hatte er noch nie für sich allein gehabt, und er musste sich eingestehen, dass es ihm ab und zu unheimlich vorkam.

Außerdem gab es sonst in jeder verdammten Stadt, egal in welcher, Lichter, Menschen, Geräusche. Doch hier waren die Nächte dunkler als an allen anderen Orten, die er kannte. Selbst bei der Navy an Bord eines Schiffes gab es ausreichend Licht, sodass die Sterne am Nachthimmel nur schwach leuchteten. Die Stadt Banner in Utah allerdings stand auf der internationalen Liste der Lichtschutzgebiete. Sie lag direkt hinter einer Bergkuppe, die jeden Lichtschein, der aus Salt Lake City herüberstrahlte, verschluckte.

In Banner konnte man bei Nacht die Milchstraße und eine wahre Explosion an Sternen erkennen, bei deren Anblick man nicht nur staunte, sondern sich auf einmal auch sehr klein vorkam. Noch nie hatte Micah einen solchen Sternenhimmel gesehen, und irgendwie entschädigte ihn die Schönheit für das Gefühl, einsam und verlassen mitten im Nirgendwo zu sitzen.

„Wie geht es mit dem Buch voran?“, fragte Sam unvermittelt.

Der Themenwechsel brachte Micah kurz aus dem Konzept, trotzdem war er dankbar dafür. „Gut. Ich habe gerade den Bäcker umgebracht.“

„Schade eigentlich. Es ging doch nichts über den guten alten Bäcker.“ Sam lachte. „Wie ist er gestorben?“

„Auf ziemlich grausame Art und Weise“, sagte Micah. „Der Mörder hat ihn im heißen Fett der Donut-Fritteuse ertränkt.“

„Micah … das ist ja grauenvoll.“ Sam seufzte. „Wahrscheinlich werde ich nie wieder Donuts essen.“

Gut zu wissen, dass der Mord, den er sich ausgedacht hatte, den Leser gruselte.

„Das hält bestimmt nicht lange an“, meinte Micah.

„Dem Lektor wird wahrscheinlich schlecht beim Lesen, aber deine Fans werden es lieben“, versicherte Sam ihm. „Und wo wir gerade von Fans sprechen … Ist schon irgendjemand in der Stadt aufgetaucht?“

„Bisher nicht, aber das ist nur eine Frage der Zeit.“ Argwöhnisch ließ Micah den Blick über die Straße schweifen und erwartete beinahe, jemanden mit einer Kamera vor dem Haus zu sehen, der hoffte, ein Foto von ihm zu bekommen.

Ein Grund, warum er sich nie lange an einem Ort aufhielt, war, dass seine größten Fans ihn immer irgendwie aufspürten. Sie kreuzten dann in seinem Hotel auf, in der Annahme, er würde sich freuen, sie zu sehen. Die meisten waren natürlich harmlos, aber er wusste nur zu gut, wie schnell aus einem Fan ein Fanatiker werden konnte. Ein paar von ihnen waren sogar schon irgendwie in sein Hotelzimmer gelangt oder hatten sich ohne Einladung beim Abendessen zu ihm an den Tisch gesetzt und so getan, als wären sie entweder alte Freunde oder ehemalige Liebhaberinnen.

Den Social-Media-Diensten hatte er es zu verdanken, dass immer irgendjemand postete, wo er sich versteckt hielt oder zuletzt gesehen worden war. Deswegen reiste Micah weiter, sobald er ein Buch fertiggestellt hatte. Meistens suchte er sich große Städte aus, wo er in der Masse der Menschen unterging, und Fünf-Sterne-Hotels, die genügend Sicherheit boten. Bis jetzt.

„Niemand wird dich in dieser winzigen Stadt in den Bergen suchen“, sagte Sam.

„Das habe ich damals auch gedacht, als ich in dem Hotel in der Schweiz war“, erinnerte Micah ihn. „Bis dieser Typ aufgetaucht ist, der mich zusammenschlagen wollte, weil seine Freundin in mich verknallt war.“

Sam lachte wieder, und Micah schüttelte nur den Kopf. Okay, im Nachhinein war es vielleicht ganz lustig, aber dass ein Fremder ihm in der Hotellobby auflauerte, musste er nicht noch mal erleben.

„Es war die richtige Entscheidung, nach Banner zu gehen“, meinte Sam. „Ein Privathaus wird die Fans eher fernhalten als ein Hotel.“

„Ja, sollte es. Jedenfalls hält es mich fern von allem.“ Micahs Blick verfinsterte sich. „Es ist einfach viel zu ruhig hier.“

„Soll ich dir eine Tonaufnahme vom Verkehr in Manhattan schicken? Du könntest sie beim Schreiben abspielen.“

„Sehr witzig“, sagte Micah und wollte nicht einmal sich selbst eingestehen, dass die Idee gar nicht so dumm war. „Warum habe ich dich eigentlich noch nicht gefeuert?“

„Weil ich uns einen riesigen Haufen Geld einbringe, mein Lieber.“

Erwischt, dachte Micah. „Stimmt. Ich wusste, da war was.“

„Und weil ich charmant und witzig bin und der einzige Mensch auf der Welt, der mit deiner bescheuerten Einstellung zurechtkommt.“

Jetzt musste auch Micah lachen. Das war ein gutes Argument. Von Anfang an, schon als sie sich auf dem Flugzeugträger begegnet waren, auf dem sie beide ihren Dienst geleistet hatten, war Sam ein Freund für ihn gewesen – eine seltene Erfahrung für Micah. Da er in Pflegefamilien aufgewachsen und ständig umgezogen war, hatte er nie genügend Zeit gehabt, Freundschaften zu schließen. Und wahrscheinlich war es so auch ganz gut gewesen, denn nie hätte er es geschafft, die Freunde bei den ständigen Ortswechseln zu halten.

Er war also froh, dass es Sam gab – auch wenn der ihm manchmal den letzten Nerv raubte. „Klasse. Vielen Dank.“

„Kein Problem. Was hältst du eigentlich von deiner Vermieterin?“

Micah missfiel diese Frage, denn er versuchte krampfhaft, nicht an Kelly Flynn zu denken. Bisher funktionierte es zwar nicht, aber er gab noch nicht auf.

In den letzten zwei Monaten hatte er alles getan, um die Distanz zu wahren. Es gab wahrscheinlich keinen Mann, der sich nicht zu ihr hingezogen fühlte. Trotzdem konnte er eine Affäre gerade nicht gebrauchen. Er wollte noch vier Monate hierbleiben. Wenn er etwas mit Kelly anfing, würde das alles nur … verkomplizieren.

Im Falle eines One-Night-Stands wäre sie hinterher bestimmt zickig, und er müsste sie dann vier Monate ertragen. Und bei einer längeren Affäre würde sie die Zeit in Anspruch nehmen, die er zum Schreiben brauchte, und sich vermutlich eine gemeinsame Zukunft zurechtspinnen, die niemals eintreten würde. Auf so ein Drama konnte er verzichten. Das Einzige, was er wollte, waren Zeit und ein Platz zum Schreiben, damit er schnell wieder aus dieser winzigen Stadt verschwinden und zurück in die Zivilisation gehen konnte.

„Hm“, machte Sam. „Dein Schweigen sagt schon alles.“

„Es sagt gar nichts“, erwiderte Micah in dem Versuch, sowohl Sam als auch sich selbst zu überzeugen. „Und da läuft auch nichts.“

„Bist du krank?“

„Warum?“

„Komm schon“, sagte Sam, und Micah konnte sich lebhaft vorstellen, wie Sam sich in seinem Schreibtischstuhl zurücklehnte und die Füße auf die Ecke seines Schreibtisches legte. Vermutlich schaute er aus dem Fenster auf Manhattan hinaus. „Zum Teufel noch mal! Ich bin verheiratet, und sie ist mir trotzdem aufgefallen. Sie sieht klasse aus! Solltest du das Jenny erzählen, werde ich es übrigens leugnen.“

Micah sah in den Garten hinunter, wo Kelly gerade arbeitete, und schüttelte den Kopf. Die Frau kam nie zur Ruhe. Sie war immer in Bewegung, hatte immer etwas zu tun und bestimmt zehn unterschiedliche Jobs. Wobei sie offensichtlich trotzdem noch die Zeit fand, um Laub zu harken und in Säcke zu stopfen. Er sah zu, wie sie eine ganze Schubkarre mit Säcken belud und dann auf den Gehweg zusteuerte.

Ihr langes rotblondes Haar hatte sie im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Sie trug ein dunkelgrünes Sweatshirt und eine verwaschene Jeans, die ihren Po und ihre langen Beine zur Geltung brachte. Arbeitshandschuhe verbargen ihre Hände, und ihre Stiefel waren voller Kratzer und vom jahrelangen Tragen ganz abgewetzt.

Obwohl sie mit dem Rücken zum Haus stand, wusste Micah genau, wie ihr Gesicht aussah. Zarte Haut und Sommersprossen auf Nase und Wangen, grüne Augen, um die sich beim Lachen feine Fältchen bildeten, und ein breiter Mund, bei dem er sich jedes Mal fragte, wie sie wohl schmeckte.

Er sah, wie sie die Säcke auf dem Gehweg ablud und einer Nachbarin auf der gegenüberliegenden Straßenseite zuwinkte. Bestimmt lächelte sie. Er konnte es sich genau vorstellen. Schnell drehte er dem Fenster den Rücken zu, verbannte das Bild von Kelly aus seinem Kopf und ging zurück zu seinem Stuhl. „Ja, sie ist ganz hübsch.“

Sam lachte. „Ich kann deine Begeisterung geradezu spüren.“

Oh, Begeisterung ist schon vorhanden, dachte Micah. Zu viel Begeisterung. Und genau das war das Problem. „Ich bin nicht hier, um Frauen aufzureißen, Sam. Ich bin hier, um zu arbeiten.“

„Das ist aber traurig.“

Da musste er Sam recht geben. „Danke. Warum genau hast du mich noch mal angerufen?“

„Micah! Du solltest echt mal ’ne Pause machen. Du hast mich doch angerufen!“

„Ach ja, stimmt.“ Micah raufte sich die Haare. Vielleicht brauchte er wirklich eine Pause. Die letzten zwei Monate hatte er fast nonstop durchgearbeitet. Kein Wunder, dass er trotz der Größe des Hauses allmählich Platzangst bekam. „Gute Idee. Ich werde mal eine Spritztour machen. Den Kopf freikriegen.“

„Nimm die Vermieterin mit“, drängte Sam. „Sie könnte dich ein wenig herumführen. Ich gehe mal davon aus, dass du das große, alte Haus seit deiner Ankunft kaum verlassen hast.“

„Da hast du recht, aber ich brauche keine Touristenführerin.“

„Was brauchst du dann?“

„Das sage ich dir, wenn ich es herausgefunden habe.“ Micah legte auf.

„Und wie geht es unserem berühmten Autor so?“

Kelly grinste ihre Nachbarin an. Sally Hartsfield war der neugierigste Mensch auf dem gesamten Planeten. Sie und ihre Schwester Margie waren alleinstehend und um die neunzig Jahre alt. Die meiste Zeit verbrachten die beiden damit, vom Fenster aus zu beobachten, was in der Nachbarschaft vor sich ging.

„Ich schätze, er ist sehr beschäftigt“, antwortete Kelly und warf einen flüchtigen Blick hinauf zum Fenster im ersten Stock, wo sie Micah noch vor ein paar Minuten entdeckt hatte. Er war nicht mehr da. Etwas enttäuscht wandte sie sich wieder Sally zu. „Als er eingezogen ist, hat er gesagt, er kann sich vor Arbeit kaum retten und will nicht gestört werden.“

„Hm …“ Auch Sally linste kurz hinauf zum Fenster. „Nach seinem letzten Buch hatte ich Albträume. Da fragt man sich schon, wie er es aushält, die ganze Zeit allein zu sein, während er sich so unheimliches Zeugs ausdenkt …“

Kelly musste ihr recht geben. Sie selbst hatte nur einen von Micahs insgesamt sieben Romanen gelesen, weil sie danach so ängstlich gewesen war, dass sie zwei Wochen nur mit Licht hatte einschlafen können. Wenn sie las, wollte sie unterhaltsame Zuflucht finden und nicht in panische Angst versetzt werden. „Ich glaube, er fühlt sich ganz wohl“, sagte sie.

„Nun ja, jeder ist anders“, bemerkte Sally. „Und dafür sollten wir dankbar sein. Stell dir nur mal vor, was für ein langweiliges Leben wir hätten, wenn wir alle gleich wären.“ Zur Bekräftigung schüttelte sie den Kopf, aber ihre mit Haarspray verklebten Locken bewegten sich keinen Millimeter. „Und dann gäbe es auch nichts, worüber wir reden könnten.“

Für Sally wäre das die wahre Tragödie, so viel wusste Kelly. Diese Frau würde sogar einem Stein noch wertvolle Informationen entlocken.

„Aber er ist ein gut aussehender junger Mann, nicht wahr?“, fragte Sally lauernd.

Gut aussehend? Micah Hunter war viel mehr als das. Auf der Rückseite seiner Bücher war ein Foto von ihm abgedruckt, das ihn grüblerisch und ein wenig bedrohlich zeigte. Vermutlich war das Absicht. Begegnete man ihm allerdings persönlich, konnte man so viel mehr in ihm sehen.

Seine dichten braunen Haare waren ständig zerzaust, als wäre er gerade erst aufgestanden. Seine Augen hatten die Farbe von schwarzem Kaffee, und wenn er sich ein oder zwei Tage nicht rasierte, erinnerte er an einen Piraten. Er hatte ein breites Kreuz, schmale Hüften und war groß genug, dass sogar Kelly mit ihren eins fündundsiebzig neben ihm klein wirkte.

Sobald Micah Hunter einen Raum betrat, zog er die gesamte Aufmerksamkeit sofort auf sich, egal, ob er es darauf anlegte oder nicht. Kelly konnte sich gut vorstellen, dass sämtliche Frauen, die ihn kannten, ab und an in Tagträume verfielen. Wie es schien, galt das sogar für Sally Hartsfield, deren Enkel im gleichen Alter wie Micah war.

„Er sieht ganz okay aus“, sagte Kelly, als sie bemerkte, dass Sally sie immer noch abwartend ansah.

Die alte Dame seufzte und stemmte die Hände in die Hüften. „Kelly Flynn, was ist nur mit dir los? Das mit Sean ist nun schon vier Jahre her. Wenn ich so alt wäre wie du …“

Bei der Erwähnung ihres verstorbenen Ehemanns versteifte Kelly sich automatisch und nahm eine abwehrende Haltung ein. Sally musste es bemerkt haben, denn sie brach ab, lächelte sie an und wechselte das Thema.

„Wie auch immer, ich habe gehört, du zeigst das Haus der Polks heute Nachmittag einem Pärchen, das extra anreist – ausgerechnet aus Kalifornien.“

Beeindruckt, aber auch ein wenig verärgert sah Kelly die alte Dame an. Den Termin hatte sie doch erst am Tag zuvor gemacht. „Woher weißt du das?“

Sally winkte ab. „Ach, ich habe da so meine Quellen.“

Schon lange vermutete Kelly, dass Sally und ihre Schwester eine Armee an Spionen beschäftigen mussten, die in ganz Banner verteilt waren. Diese Aussage bestärkte sie darin. „Du hast recht, Sally. Ich gehe jetzt wohl besser. Ich muss mich noch duschen und umziehen.“

„Natürlich, Schätzchen, nur zu.“ Sie sah wieder zum Fenster hinauf, und Kelly merkte ihr die Enttäuschung an, als sie Micah wieder nicht entdecken konnte. „Ich habe selbst noch einiges zu erledigen.“

Kelly beobachtete, wie sie über die Straße eilte. Sie trug rosa Sneakers, die auf dem Laub besonders hervorstachen. Die alten Eichen, die die Straße säumten, streckten ihre knorrigen Zweige so weit aus, dass sie über der Straße beinahe einen Bogen aus goldroten Blättern bildeten.

Die Häuser in ihrer Straße sahen alle unterschiedlich aus. Von kleinen Häuschen aus Naturstein bis hin zu dem erhabenen Gebäude im viktorianischen Stil, in dem Kelly aufgewachsen war, gab es hier alles. Jedes war mindestens hundert Jahre alt, aber alle wurden gut instand gehalten, und auch die Grünflächen sahen gepflegt aus. Menschen, die einmal in Banner lebten, blieben hier. Sie wurden hier geboren, wuchsen auf, heirateten und verbrachten ihr Leben hier, bis sie starben.

Diese Beständigkeit hatte Kelly immer beruhigt. Seitdem sie acht Jahre alt war, wohnte sie in Banner. Nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, war sie zu ihren Großeltern gezogen und zum Mittelpunkt ihrer Existenz geworden. Als dann auch ihr Großvater starb, war Granny nach Florida gezogen und hatte das große viktorianische Herrenhaus und das benachbarte kleinere Häuschen für den Hausverwalter in Kellys Obhut gelassen. Da es keinen Sinn ergab, alleine in diesem riesigen Haus zu wohnen, vermietete Kelly es und lebte stattdessen in dem kleinen Cottage.

In den letzten drei Jahren hatte das Haus nur selten leer gestanden. Wenn es nicht gerade an Urlauber vermietet war, wurde das Grundstück gerne für Hochzeiten und große Feste genutzt. Letztes Jahr hatten ein paar Pfadfinderinnen im großen Garten hinter dem Haus eine riesige Grillparty für die ganze Stadt veranstaltet.

Sie selbst verwandelte die Vorderfront des Hauses jedes Jahr an Halloween in ein Spukhaus. Darum sollte ich mich bald mal kümmern, dachte Kelly. Es war schon der erste Oktober, und wenn sie nicht langsam anfing, würde der Monat zu schnell an ihr vorbeiziehen.

Als sie gerade den halben Weg zum Haus zurückgelegt hatte, öffnete sich die Haustür, und Micah trat heraus. Kellys Herz machte einen Sprung, und in ihrem Bauch kribbelte es. Oh Mann! Vier Jahre waren vergangen, seitdem ihr Mann Sean gestorben war. In der ganzen Zeit hatte sie nicht allzu viele Dates gehabt, was ihre extreme Reaktion auf Micahs Anwesenheit vermutlich erklärte.

Er trug eine schwarze Lederjacke über einem schwarzen T-Shirt, das in der schwarzen Jeans steckte. Ganz offensichtlich war das seine Lieblingsfarbe. Schwarze Boots vervollständigten den düsteren Look, und während sie das Gesamtpaket bewunderte, pochte ihr Herz so laut, dass das Echo ihr in den Ohren widerhallte.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte er und nickte mit dem Kopf zu der Schubkarre, an der sie sich nun festhielt.

„Was? Ach so. Nein.“ Toll, Kelly. Drei Worte. Wie wär’s mit einem ganzen Satz? „Ich meine, sie ist leer, so schwer ist sie nicht. Ich wollte sie nur hinters Haus fahren.“

„Okay.“ Er kam die breiten Stufen herunter und ging den Backsteinweg entlang, an dessen Rand Chrysanthemen in leuchtenden Herbstfarben wuchsen. „Ich mache gerade eine Pause und dachte, ich fahre mal ein bisschen herum – die Umgebung erkunden.“

„Nach zwei Monaten?“, fragte sie lächelnd. „Das wird dann aber auch Zeit.“

Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. „Irgendeinen Vorschlag, welche Richtung ich nehmen könnte?“

Sie setzte die Schubkarre ab, warf ihren Pferdeschwanz zurück und dachte kurz nach. „Fast jedes Viertel hier ist schön. Wenn du aber ein Ziel haben willst, kannst du durch den Canyon runter fahren. Dort gibt es einige Marktstände. Du könntest mir ein paar Kürbisse mitbringen.“

Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sie. Er schien sich zu amüsieren. „Habe ich denn gesagt, ich würde einkaufen gehen?“

„Nein“, sagte sie lächelnd. „Das war nur ein Vorschlag.“

„Oder du könntest mitkommen und dir selbst Kürbisse aussuchen.“

„Okay. Oder nein“, sagte sie. „Moment. Nein, lieber doch nicht.“

Er runzelte die Stirn.

Dass ihr jemand dabei zusah, wie sie mit sich selbst rang, war ihr ein bisschen peinlich. An Micahs Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass er sie nicht wirklich dabeihaben wollte. Und genau aus diesem Grund wollte sie gerne mit. Aber eigentlich sollte sie es lieber lassen. Sie hatte genug zu tun, und Zeit mit Micah Hunter zu verbringen, war vielleicht nicht die klügste Entscheidung. Immer wieder schaffte er es, sie innerlich aufzuwühlen.

Aber konnte sie sich dann die Gelegenheit entgehen lassen, ihn genauso zu verunsichern?

„Ich meine … klar komme ich mit!“, sagte sie plötzlich. „Ich komme mit, aber ich muss in ein paar Stunden wieder zurück sein. Heute Nachmittag habe ich einen Besichtigungstermin für ein Haus.“

„Ich versichere dir, dass ich nicht zwei Stunden an einem Kürbisstand verbringen werde.“ Lässig schob er die Hände in die Jackentaschen. „Also, kommst du jetzt mit oder nicht?“

Sie begegnete seinem Blick, und in den dunklen Tiefen seiner braunen Augen sah Kelly, dass er immer noch hoffte, sie würde Nein sagen. Also hatte sie keine Wahl.

„Sicher.“

2. KAPITEL

„Wozu kaufst du Kürbisse, wenn du eigene anbaust?“

Sie hatten bereits die Hälfte der engen, kurvenreichen Straße durch den Canyon zurückgelegt. Zu beiden Seiten ragten die Berge auf, und überall standen Kiefern wie Soldaten in Reih und Glied. Dazwischen sprenkelten Eichen, Ahornbäume und Birken das dunkle Grün mit bunten Herbstfarben.

„Könntest du diese Dinger nicht auch irgendwo in der Nähe kaufen?“, fragte Micah weiter.

Sie betrachtete ihn von der Seite. „Natürlich könnte ich das, aber die ganz großen Kürbisse gibt es nur an den Marktständen.“

Kelly hätte schwören können, dass sie