Wenn wir uns trennen, lernen wir uns kennen - Sabrina Fox - E-Book

Wenn wir uns trennen, lernen wir uns kennen E-Book

Sabrina Fox

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Beschreibung

Trennung als Chance für persönliches Wachstum.

Wenn wir uns verlieben, zeigen wir uns dem Anderen, wie wir gerne sein möchten. Wenn wir uns trennen, zeigen wir uns, wie wir sind. Hochkommende Emotionen - zum Beispiel Ängste, Verletzungen oder Wut - wollen beachtet und beruhigt werden. Genau in dieser Zeit braucht es einen klaren Blick auf das, was da in unserem Leben hochkommt. Eine Trennung ist immer auch ein Test. Wir erkennen, ob wir das, was wir wissen, auch umsetzen können. Es gibt ein Erkennen der eigenen Verantwortung und ein Mitgefühl für den anderen, den man mal geliebt hat und vielleicht auch weiterhin lieben kann. Eine Trennung kann nicht außerhalb einer Beziehung gesehen werden und es braucht ein Erforschen der Anfänge. Je tiefer wir uns auf die inneren Prozesse einlassen, desto weiter der folgende Wachstumsschritt. Das gleiche nochmal? Das passiert eben nicht, wenn wir genau hinspüren und hinschauen. Und wenn beide es wollen, können die Krisenzeiten einer Trennung die Ehe oder Beziehung neu beleben und verändern.

Das Buch ist eingeteilt in drei Bereiche: Vorher. Während. Nachher. Nicht nur aus ihrer eigenen Erfahrung beschreibt Sabrina Fox was es zu einer liebevollen Trennung braucht - zu der es manchmal vielleicht auch nicht kommen muss.

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Seitenzahl: 506

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Sabrina Fox erforscht seit knapp 30 Jahren Meditation und persönliches Wachstum. Seit dieser Zeit schreibt sie Bücher, gibt Workshops, hält Vorträge und Online-Kurse und regt mit einer Mischung aus Offenheit, Wärme und Humor dazu an, den eigenen Seelenweg zu leben. Es ist ihr ein Anliegen, die eigene Weisheit, Intuition und Körperwahrnehmung als Kompass für ein erfülltes Leben zu erkennen. Sie absolvierte Ausbildungen als klinische Hypnosetherapeutin, Mediatorin, Konflikt-Coach, Rhythmustrainerin und studierte Bildhauerei und Gesang. Sie hat eine Tochter und zwei geschenkte Kinder und lebt mit dem Maler Stanko in und um München.

Wenn wir uns verlieben, zeigen wir uns dem Anderen, wie wir gerne sein möchten. Wenn wir uns trennen, zeigen wir uns, wie wir sind. Ängste, Verletzungen, Wut kommen hoch. Genau in dieser Zeit braucht es einen klaren Blick, ein Vertiefen in spirituelle Wahrheiten. Ein Erkennen der eigenen Ängste und Mitgefühl für den anderen, den man mal geliebt hat und vielleicht weiterhin lieben kann. Ein »Trennungsbuch« ist damit immer auch ein Beziehungsbuch, denn eine Trennung kann nicht außerhalb der Beziehung und den Anfängen der Beziehung gesehen werden. Ein sehr persönliches Buch von Sabrina Fox, die auch von ihren eigenen Trennungen und Erfahrungen als Beziehungscoach berichten kann.

Das Ende der Beziehung bedeutet nicht das Ende der Liebe.

Sabrina Fox

Wenn wir uns

trennen

lernen wir uns

kennen

Ein Beziehungsbuch

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Originalausgabe November 2019

© Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Bildnachweis: shutterstock/venimo

Lektorat: Ralf Lay, Mönchengladbach

SSt · Herstellung: cf

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-23598-7V002

www.goldmann-verlag.de

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In Dankbarkeit

Solano

LD Thompson

Es gibt einige Gründe, ein Trennungsbuch zu lesen

Vielleicht sind Sie gerade mitten in einer Trennung und wissen nicht, wohin mit dem Schmerz?Vielleicht wissen Sie nicht, wohin mit dem Zorn?Vielleicht überlegen Sie sich, ob Ihre Ehe, Ihre Beziehung oder eine Freundschaft zu Ende ist?Vielleicht trauern Sie über den Tod eines geliebten Menschen?Vielleicht sind Sie gerade dabei, alte Gewohnheiten und damit auch Verletzungen in Beziehungen aufzuarbeiten?Vielleicht trauern Sie um den Verlust Ihrer Beziehung?Vielleicht haben Sie sich gerade verliebt und möchten die »Fehler« von damals vermeiden?Vielleicht möchten Sie Freunden zur Seite stehen?Vielleicht sind Sie an Ihrem persönlichen Wachstum interessiert?Vielleicht finden Sie sich in einer Patchwork-Situation wieder und wissen nicht genau, wie Sie damit umgehen möchten?Vielleicht sind oder waren Sie die Geliebte und kommen mit der gegenwärtigen Situation nicht zurecht?Vielleicht fühlen Sie sich von Ihren Eltern oder Familienmitgliedern zu sehr in Anspruch genommen und suchen nach einer gesunden Form der Abgrenzung?Vielleicht hakt es bei Ihren Freundschaften, und Sie wissen nicht, wie Sie das lösen möchten?Vielleicht möchten Sie sich nur informieren?

Wenn wir uns in einer Beziehung verloren haben, ist für manche die Trennung der einzige Weg zurück zu sich selbst.

Inhalt

Vorwort

Vorab: Die spirituelle Basis

Das Beste, was wir tun können, ist, uns Zeit zu nehmen

Die Partnerwahl

Ein Beispiel – meines

Über die Liebe – und andere Gefühle

Und was machen wir jetzt mit unseren Gefühlen?

Eine Trennung ist kein Versagen

Vor der Trennung

Während der Trennung

Trennungsrituale

Die zehn Gebote für Trennungen

Nach der Trennung

Die zehn Gebote für Trennungen und eine neue Familiengestaltung

Trennungen mit Kindern und Patchwork

Kein Bedauern – kein Schmerz

Nachwort und Dank

Anhang

Interview mit der Rechtsanwältin und Mediatorin Dr. Birgit Schoeller

Interview mit dem Beziehungscoach Wolfram Zurhorst

Interview mit Annette Habert vom »Flechtwerk 2+1«

Hilfreiche Interviews für Patchworkfamilien

Briefe an Eltern, Familie, Freunde und Kolleginnen

Fragen, Rituale, Übungen und Meditationen

Quellen und Anmerkungen

Bisherige Bücher, Online-Kurse und weitere Infos

Eigene Notizen

Vorwort

Wenn wir das Wort »Trennung« hören, klingt das nach Abschied, Trauer oder danach, etwas nicht geschafft zu haben. Und doch ist jede Trennung auch ein Neuanfang. Ohne Trennungen – von unseren Milchzähnen, unserer Schule, von manchen ungesunden Angewohnheiten – gäbe es kein Wachstum und keine weitere Lebensgestaltung. Wir würden in alten Gewohnheiten verharren, und das ist im Leben nicht wirklich vorgesehen.

Dieses Buch möchte dabei unterstützen, eine Trennung als Chance zu sehen. Manche von uns haben das Gefühl verloren, in ihrem Leben eine Wahl zu haben. Sie fühlen sich eingeengt und bedrängt. Je mehr wir bereit sind, uns selbst zu erkennen, desto klarer wird uns, warum wir uns für oder gegen etwas entschieden haben.

Eine Trennung kann auch wieder rückgängig gemacht werden. Das allerdings nur dann erfolgreich, wenn beide ihre »Hausaufgaben« gemacht haben und wenn wieder zusammenzukommen auch wirklich zu unserem gemeinsamen Wohl und nicht aus Angst vor der Freiheit entstanden ist.

Selbsterkenntnis entsteht durch interessiertes Erforschen. Und wie beim Nachdenken ist das kein geradliniger Prozess. Es gibt Gedankengänge und Abzweigungen, die unseren Blick mal nach rechts und links schweifen lassen. Wir versinken gelegentlich in Aspekten, um sie dann wieder ins Ganze zu integrieren. So gibt es auch in diesem Buch manche Kurve, die etwas weiter ausholt, um zusätzlich Wichtiges unterzubringen.

Normalerweise schreibe ich in Kapiteln und Abschnitten. Doch dieses Buch wollte anders geschrieben werden. Es gibt Sätze, die beim Schreiben mit einer Wichtigkeit gekommen sind und eine Sonderstellung bekommen wollten. Deshalb mag die Einteilung dieses Mal beweglicher sein, als man es von meinen Büchern sonst gewohnt ist. Die Struktur ist der eines Baums nicht unähnlich: Der Stamm ist das Thema, und manche Äste bewegen sich weit bis in die Spitzen der kleineren Zweige – um dann wieder zum Stamm zurückzukehren.

Dieses Buch ist im Laufe des Schreibens zum Arbeitsbuch geworden. Wenn wir etwas lesen, dann mag uns das vielleicht einleuchten, aber erst wenn wir uns etwas selbst erarbeiten, vertiefen wir es. Deshalb möchte ich Sie dazu einladen, sich auf diesen Versuch des Ausprobierens einzulassen.

Dazu gibt es hinten im Buch einige freie Seiten für persönliche Notizen.

Da es jetzt ein Arbeitsbuch ist, landete ich auch bei der Frage nach der Anredeform. Gerade in den letzten Jahren hat sich einiges getan, was unser Miteinander betrifft. Vieles geht automatisch ins Du über. Manchmal finde ich das völlig selbstverständlich, manchmal erlebe ich es als überraschend.

Das Buch hatte ich zuerst in der Sie- beziehungsweise Wir-Form geschrieben. Alle meine Bücher sind so, denn mir gefällt am »Sie«, dass ich damit meinen Respekt ausdrücken kann.

Bei meinen Workshops einigen wir uns aufs Du, und meine Online-Kurse sind auch – nach längerem Nachdenken – in der Du-Form entstanden. Aber ein Buch? Ich tat also das, was ich in solchen Fällen gern tue: Ich fragte meine Leserinnen und Leser in meinen Social-Media-Kanälen: »Du oder Sie?«

Neunzig Prozent sprachen sich für das persönliche Du aus, und so habe ich das Buch nochmal umgeschrieben. Ich bitte um Ihr beziehungsweise jetzt dein Verständnis.

Da der überwiegende Teil meines Lesepublikums weiblich ist und da die männliche grammatische Form in der deutschen Sprache gern überwiegt, habe ich mich entschlossen, in diesem Buch bei allgemeinen Nomen und Pronomen häufig die weibliche Form zu wählen. Ich bitte die lesenden Männer, großzügig die maskuline Variante mit zu erspüren – wie wir Frauen das umgekehrt ja auch schon eine ganze Weile üben – und zu wissen, dass sie selbstverständlich auch angesprochen sind. Jeder von uns hat ja beides: weibliche wie männliche Aspekte, Yin und Yang. Was wir besonders auch an Trans-Mitmenschen erkennen können.

In diesem Buch nenne ich einige Beispiele. Diese beschreibe ich ohne Namensnennung und in Details verändert, sachlich sind sie jedoch authentisch. Sie kommen aus meinen Workshops, Coachings oder aus dem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis.

Wir schauen uns mithilfe dieser Beispiele auch die Zeit vorher, während und nach einer Trennung an. Es braucht den Blick auf den Anfang und auf die Entscheidungen während einer Beziehung, um sie in ihrer Tiefe zu begreifen.

Ich beleuchte unterschiedliche Bereiche: Paartrennungen mit Kindern, Trennungen ohne, Freundschaften, Ursprungsfamilien, Tod.

Besonders liegt mir der Blick auf die Kinder am Herzen. In Trennungen mag einiges passieren, was den gemeinsamen Kindern mehr Schmerzen zufügen kann. Das muss nicht sein. Es ist möglich, diese Zeit für die Kinder anders zu gestalten.

Jeder von uns hat das Recht und die Wahl, sich zu verbinden und sich auch wieder zu trennen. Wäre es nicht für vieles erleichternd (Liebesbeziehungen, Freundschaften, Kündigungen), wenn wir das grundsätzlich akzeptieren könnten?

Eine Trennung ist kein Versehen und kein Fehler. Sie ist Teil unseres Lebens. Wie wir etwas gestalten, liegt in unserer Hand – und hoffentlich auch in unserem Herzen.

Je bewusster und wacher wir mit uns selbst und unseren Herausforderungen umgehen, desto angenehmer gestalten wir unser Leben.

Ich hoffe sehr, dass das Buch dir und euch Unterstützung sein kann.

Wir haben nichts falsch gemacht. Wir haben uns nur entschieden.

Von Herzen

Sabrina Fox

München, im Juni 2019

Vorab: Die spirituelle Basis

Dieses Buch über Beziehungen und Trennungen hat eine spirituelle Basis. Deshalb möchte ich gern ein paar Begrifflichkeiten klären. Selbstverständlich gilt, was in allen meinen Büchern gilt: Ich schreibe über meine Erfahrungen und teile Erlebnisse und Ansichten mit. Wie du auch bilde ich mir meine Meinung aufgrund meiner Erfahrungen oder weil mir etwas einleuchtet.

Für mich gilt Folgendes: Ich habe keine Seele, sondern meine Seele hat mich. Ich, als Seele, habe mir eine Persönlichkeit (Sabrina) und einen Körper erschaffen, um hier in diesem Leben Erfahrungen zu sammeln. Ich empfinde die Wiedergeburt als wahr, und wir entschließen uns deswegen für ein neues Leben, um diverse Erfahrungen zu sammeln, damit wir uns zu weiterem Verstehen entwickeln.

Die Seele hat den Überblick über mein jetziges Leben, wie eine Regisseurin den Überblick über ein Theaterstück hat.

Die Seele ist nicht die Psyche. Das Wort »Seele« wird häufig benutzt, um die sensible Seite unseres Wesens zu benennen. Für mich ist das keine zutreffende Beschreibung. Meiner Meinung nach kann die Seele nicht krank werden. Denn dazu braucht es Gefühle, und das sind Aspekte meiner Persönlichkeit. Die Seele hat keine wechselnden Gefühle, denn sie braucht sie nicht. Die Seele ist. Ihr Zustand ist Liebe und Wohlwollen. Die Persönlichkeit hingegen braucht Gefühle, weil sie sich dadurch über den Status des eigenen Erwachens und des Wohlfühlens informiert.

Wenn wir die Seele mit einem Apfelbaum vergleichen, dann würde sich das ungefähr so anhören: Der Apfelbaum hat Blüten, die dann Äpfel werden. Der Baum weiß um die Äpfel. Er weiß, dass sie heranwachsen werden. Weiß, dass sie eventuell von Würmern befallen werden. Weiß, dass sie im Sturm vielleicht abfallen werden. Weiß, dass sie letztendlich herunterfallen und der Arterhaltung dienen. Weiß, dass sie Menschen schmecken und sie zur Nahrung verwendet werden. Der Baum ist. Selbst wenn es keine Äpfel mehr gibt, gibt es trotzdem noch den Baum.

Jede von uns hat Begabungen, Talente und Vorlieben. Wie in einem Samen die Basis für eine blühende Pflanze gelegt wurde, so liegt es auch in unserem Ursprung, zu wachsen und zu erblühen. Allerdings gilt auch für uns, was für den Samen gilt: Damit sich Potenzial entfalten kann, braucht der Samen bestimmte Wachstumsbedingungen: Wasser, Licht, Erde und liebevolle Zuwendung. Wenn wir unsere Pflanze nicht gießen, ihr niemals frische Erde zuführen, sie nicht ausreichend Licht bekommt, wenn wir sie nicht liebevoll beobachten und betreuen, dann wird sie verkümmern. Das ist bei uns nicht anders: Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns um unsere Samen kümmern, damit sie zu einer blühenden Pflanze werden können. Unser Wachstum liegt in unserer Hand.

Wachstum. Eine interessante Sache. Wir verstehen es völlig, dass wir uns vom Säugling zum Kind, zum Teenager und dann zum Erwachsenen entwickeln. Und dann glauben viele, das Wachstum sei abgeschlossen.

Mit 21 Jahren? Das ist gerade mal ein Viertel oder ein Fünftel unseres Lebens. Die darauf folgende Zeit bis zu unserem Abschied vom Körper ist weniger dem körperlichen Wachstum gewidmet als dem zu mehr Weisheit. Dabei gibt es einige Fragen: Lasse ich mich durch äußere Einflüsse von meinen eigenen Möglichkeiten abbringen? Hetzen mich meine Gefühle, Ziele, Sehnsüchte und Sorgen durch mein Leben? Verlasse ich die Gegenwart und lebe gedanklich in der Vergangenheit oder Zukunft?

Liebe ich mich überhaupt? Verstehe ich meine Intuition? Weiß ich eigentlich, was mir guttut? Habe ich mich meiner Umgebung angepasst? Lege ich mich mit der Realität an? Reagiere ich auf Unvorhergesehenes mit Gelassenheit? Erfreue ich mich an meinem Leben?

Es ist unsere innere Sehnsucht, wacher zu werden und das eigene Leben so zu gestalten, damit wir uns darin wohlfühlen. Alles, was passiert, hat einen Sinn – für unser Wachstum. Wir erkennen durch die Art unserer Erlebnisse und wie wir darauf reagieren, was wir schon an Weisheit angesammelt haben – und was uns noch fehlt.

Wenn wir die Welt durch die Augen unserer Seele betrachten, erkennen wir, dass niemand Fehler macht, sondern jede von uns Erfahrungen sammelt. Alle geben immer ihr Bestes – je nach dem persönlichen Erfahrungs- und Wissensstand.

Sehen wir die Welt nur durch die Augen unserer Persönlichkeit, gibt es Zufälle, Glück und Pech, Richtig und Falsch und – jede Menge Idioten.

Das Beste, was wir tun können, ist, uns Zeit zu nehmen

Die meisten werden von einer Trennung emotional durchgeschleudert. Und das ist kein Wunder. Wir sind traurig, besorgt, verletzt, wütend, einsam, ängstlich, pleite, rachsüchtig, verloren, entsetzt, überfordert, gelähmt, schuldig oder befreit, erleichtert, ungebunden, endlich wieder glücklich. Was immer sich da in uns abspielt, zeigt uns, dass es wahrscheinlich auch um uns herum stürmisch zugeht.

Wir brauchen

Zeit, um das stürmische Wetter weiterziehen zu lassen,Zeit, um die Wunden verheilen zu lassen,Zeit, um zu trauern,Zeit, um neu anzufangen,und es braucht Zeit, um allen Beteiligten einen Raum zu geben, damit sie das Ganze »verdauen« und sich mit der neuen Situation zurechtfinden können.

Gerade während Trennungen fällt es uns enorm schwer, das Erlebte mit Distanz zu betrachten. Wir sind mittendrin! Das ist anstrengend. Emotional. Wir werden hin und her geschleudert. Es gibt diverse Ratschläge, die wir erhalten, die sich häufig widersprechen oder die Situation aufheizen, statt sie zu beruhigen. Wir wünschen uns Rache oder Ruhe und wissen nicht, wie wir das eine oder andere erreichen können. Wenn das nur alles schon vorbei wäre! Wir hoffen auf einen Rat, der alles löst. Bei dem entweder Frieden einkehrt oder wir mit unserer Rache jemanden wirklich getroffen (manchmal auch zerstört) haben.

Wir alle haben uns schon mal an einem Knoten abgemüht. Die Kette, der Strick, die Schnur – was immer es ist – liegt vor uns und ist so nicht mehr zu benutzen. Schmeißen wir das weg, oder dröseln wir das auf? Es ist leichter und schneller, eine Schere zu nehmen und den Strick einfach durchzuschneiden. Dann ist das Ding zwar eventuell nicht mehr lang genug, aber das reicht vielleicht. Es ist sehr viel komplizierter und langwieriger, den Knoten aufzukriegen. Aber befriedigender.

In Beziehungen etwas aufzulösen bringt uns Klarheit darüber, wie wir überhaupt zu diesem Punkt gekommen sind. Denn selbst wenn die Beziehung, in der wir gerade über Trennung sprechen, nicht mehr zu retten ist, gibt es doch eine Beziehung, die danach kommt. Und die hätten wir wahrscheinlich gern wacher.

Das Aufdröseln einer Schnur beginnt mit der genauen Betrachtung: »Ah, hier ging die Schlinge dadurch. Da muss ich das lockern. Hier was umdrehen …« Wir sehen diese Verknotung aufmerksam an. Wir alle haben dabei aber auch schon den Frust erlebt: »Krieg ich das Sch…ding denn nie auf? Wieso ist das überhaupt so verknotet? Wer hat das nicht ordentlich aufgewickelt?« Und ab und zu möchte man das Teil einfach entsorgen. Doch dann versuchen wir, uns selbst zu beruhigen, indem wir uns eine Pause gönnen. Wir stehen auf, gehen an die frische Luft und versuchen es später nochmal. Jetzt sind wir ruhiger, geduldiger und probieren es erneut. Und voilà! Der Knoten ist auf.

Bei der verknoteten Schnur wie bei der verknoteten Trennung braucht es Zeit. Erst wenn wir eine Situation mit einer gewissen Distanz betrachten, erkennen wir gesunde Lösungsmöglichkeiten.

Am Ende einer Beziehung trauern wir auch um eine Zukunft, die jetzt nicht mehr stattfinden wird. Wir haben vielleicht enorm viel Zeit und Kraft investiert. Haben gemeinsam Kinder bekommen oder/und uns um die geschenkten Kinder des Partners gekümmert, ein Haus, eine Wohnung zusammen gekauft oder eingerichtet, vielleicht unsere gewohnte Umgebung verlassen, unseren Job aufgegeben, uns irgendwie angepasst. Oder wir haben Schuldgefühle, dass wir diese Zukunft jetzt nicht mehr stattfinden lassen oder dass wir zu wenig oder zu viel gefordert haben. Vielleicht haben wir uns neu verliebt, oder wir wurden vom Tod eines geliebten Menschen erschüttert.

Das gilt natürlich auch für Freunde, Kolleginnen, Gemeinschaften. Auch dort haben wir Zeit, Liebe und Aufmerksamkeit investiert. Manche Beziehungen bestehen vielleicht sogar seit Kindertagen. Wir haben viel miteinander erlebt und sind uns beigestanden. Manche Gemeinschaften haben wir vielleicht mit aufgebaut und viel dafür getan.

Wir haben uns mal für eine gemeinsame Zukunft entschieden, und jetzt stellen wir fest, dass sich die Spielregeln geändert haben. Wir erkennen, dass wir dabei sind, Weggefährtinnen beziehungsweise Weggefährten aufzugeben.

Entscheidungen, die in dieser Trennungszeit – also jetzt, in diesem wogenden Gewitter – getroffen werden, scheinen uns vielleicht in ein paar Wochen oder Monaten, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat, unpraktisch. Dinge, die wir uns im Eifer des Gefechts an den Kopf geworfen haben, unpassend und ungerecht.

Wir müssen uns in den wirklich seltensten Fällen sofort entscheiden. Viele Entscheidungen lassen sich durch eine Zwischenlösung entschärfen. »Wir haben noch nicht entschieden, wie wir als Familie mit den Umständen umgehen wollen, aber für die nächsten vier Wochen probieren wir mal das aus.« Oder: »Ich habe das Gefühl, als ob sich unsere Interessen gerade auseinanderdividieren würden. Ich brauche etwas Abstand, um zu schauen, was das in mir auslöst.«

Das reicht erst mal. Wie wir wissen, erkennen wir oft erst, wenn wir es ausprobieren, ob eine Situation stimmig ist. Da hilft es, sich Zeit zu nehmen.

Manche von uns wünschen sich eine sofortige Entscheidung, damit die Unsicherheiten und das Nachdenken ein Ende haben. Aber Entwicklungen brauchen Zeit. Das sind Prozesse, und es ist wenig sinnvoll, sie zu verkürzen – manchmal gänzlich unmöglich. Genauso wenig, wie wir unsere Pubertät verkürzen konnten, können wir Wachstumsschübe verkürzen.

Sie dauern, solange sie dauern.

Innere Prozesse suchen keine schnellen Lösungen

Sie erfordern einen achtsamen Umgang. Deshalb kann man die Zeit nutzen, sich zu informieren, nachzudenken, sich einzuspüren und sich mitzuteilen. Je länger und intensiver ein innerer Prozess dauert, desto größer ist der Entwicklungssprung. Darin liegt ein Trost, wenn wir uns von der Dauer überanstrengt fühlen. Es lohnt sich. Langfristig gesehen.

Wenn sich der Sturm gelegt hat, beginnen verschiedene Gedankenprozesse. Stehen wir vor dem Ende einer Beziehung, dann entwickelt sich in uns eine Sehnsucht. Nach unglücklichen Beziehungen wünschen wir uns so etwas nie wieder. Nach glücklichen trauern wir um das Verlorene.

Ein »Trennungsbuch« ist immer auch ein Beziehungsbuch. Wenn wir erkennen, warum wir uns gerade in diese Person verliebt haben beziehungsweise sie ausgewählt haben und welche Gewohnheiten wir mitgebracht oder dazugewonnen haben, dann heilen wir nicht nur das Alte, sondern sind in der Lage, in Zukunft klarer und weiser zu entscheiden.

Deshalb beginnt dieses Buch nicht mit dem Zeitpunkt der Trennung, sondern wir beleuchten den Anfang der Beziehung. Nach jeder Beziehung schauen wir irgendwann einmal aufmerksam zurück, und es beginnt eine Erkenntnis darüber in uns zu reifen, wie die Beziehung gestaltet worden ist. Da gibt es Bereiche, die uns gefielen, und Situationen, mit denen wir nicht so umgegangen sind, wie wir das heute machen würden. Wir haben die Phase der Verteufelung wie die der Glorifizierung verlassen, und wir schaffen es jetzt, uns das Ganze mit klarerem Blick anzuschauen: Was war da eigentlich passiert?

Die Partnerwahl

Passiert ist erst einmal, dass wir unsere Wahl getroffen haben. Wir haben zu einem Partner oder einer Partnerin Ja gesagt (außer du bist zwangsverheiratet worden, aber davon gehe ich jetzt mal nicht aus).

Meistens haben wir uns verliebt. Das gilt ähnlich natürlich auch für Freundschaften oder Gemeinschaften: Da hat uns etwas angezogen – ein Interesse, eine Neugier, der Wunsch nach Nähe. Auch bei Freundschaften »verlieben« wir uns in die andere Person. Wir finden sie interessant und spannend.

Dieses Gefühl kann langsam aufgeblüht sein, erst durch Annäherung beziehungsweise Freundschaft entstanden sein, oder es traf uns wie ein Blitz – als die berühmte »Liebe auf den ersten Blick«.

Jetzt beginnt das Glücksgefühl: Wir fühlen uns großartig! Nie war die Welt schöner! Wir finden uns gegenseitig toll. Wir empfinden uns als angekommen. Wir spiegeln uns in den Augen des anderen und genießen die Bewunderung. Alles Übrige ist erst mal in den Hintergrund gedrängt, denn ab jetzt beginnt das Leben im Paradies. Wir hoffen, dieses Mal hält die Beziehung und mit ihr dieser Glückszustand »ewig«.

Es gibt natürlich auch eine Partnerwahl, die ganz ohne das bezaubernde Verliebtsein auskommt. Manche haben sich aus Sicherheitserwägungen für einen Partner entschieden. Manche, weil sie dazu gedrängt wurden. Andere aus Angst davor, allein zu sein oder zu bleiben. Manche aus Statusdenken. Einige wollten gesellschaftlich »nach oben« heiraten. Nicht wenige wollten emotional oder aus finanziellen Gründen versorgt sein. Manche, weil sie jemanden »retten« wollten oder selbst gerettet wurden (aus einer anstrengenden Kindheit, aus einer schwierigen Beziehung). Einige, weil sie das Gefühl brauchten, unersetzbar zu sein. Manche eben auch einfach zu früh, entweder aus dem ersten Liebesgefühl heraus oder weil sie »aufgeräumt« sein wollten. Das ist bei neuen Freundschaften oder einer neuen Gemeinschaft nicht viel anders.

Und das bietet dir eine wunderbare Gelegenheit, einmal selbst zu schauen, welche Entscheidungen du damals getroffen hast. Bitte nimm dir die Zeit, und sieh dir die aktuelle/letzte Beziehung an. Erlaube dir, dich zurück zu erspüren an den Anfang der Beziehung.

Fragen zur aktuellen/letzten Beziehung

Was hat mich zu meiner letzten Beziehung besonders hingezogen? (Erscheinung, Begabungen, körperliche Anziehung, Status, Wohlstand, Auftreten, Charme, Witz, Tiefe, Vertrautheit und so weiter.)

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Aus welchen Gründen bin ich die Beziehung eingegangen? (Die Antwort »Ich habe mich verliebt« reicht nicht.)

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Eine Anregung:

Wenn ich ein Buch lese, dann fällt es mir oft schwer, das Angeregte auch umzusetzen. Also in diesem Fall die Fragen auch ausführlich zu beantworten. Früher dachte ich: »Das mache ich später«, oder ich »schluderte« so drüber hinweg. Mittlerweile weiß ich, dass ein Buch mir nur dann nützlich ist, wenn ich es ab und zu weglege und über das gerade Gelesene nachdenke. Vielleicht geht es dir ähnlich. Ein Aspekt von uns ist neugierig, wie es weitergeht, und bevorzugt es weiterzulesen (Persönlichkeit), ein anderer möchte darüber nachdenken (Seele).

Es gab eine Anziehung, und die hatte ihre Gründe.

In Liebesbeziehungen gibt es zwei:

die hormonelle und

die spirituelle Anziehung

Die hormonelle kennen wir wohl alle. Der Kerl da an der Bar – das weiß unser Verstand, wenn er denn mitspielen dürfte – wird uns nicht guttun. Aber Himmelherrgott, er sieht einfach zu gut aus, und alles in uns fängt zu beben an, wenn er uns nur lang genug in die Augen schaut. Oder für die Frau da drüben, bei der man den Blick kaum aus ihrem Ausschnitt herausbekommt, würde man sofort alles aufgeben, wenn sie nur Ja sagte. Das andere Wesen zieht uns so stark an, dass wir befürchten, ohne sofortige Berührung auf der Stelle einzugehen.

Hormonelle Beziehungen – wenn das ihre einzige Basis ist – sind meistens stürmisch. Alles kreist um das andere Wesen, und jede Sekunde ohne diese Nähe ist verlorene Zeit. Das Wort »Sehnsucht« kommt mit drei Ausrufezeichen daher, und wenn man sich in einsamen Stunden vorstellt, dass man es verlieren könnte, hätte das Leben keinen Sinn mehr. Das ist die große Liebe, und alles vorher war Kindertennis. Das ist jetzt der Deckel zu meinem Topf, die Liebe meines Lebens, das Ein und Alles, und es ist – natürlich – für immer.

Irgendwann darf allerdings auch mal wieder der Verstand mitspielen, und man erkennt, dass man zwar in dem Moment der Nähe im siebten Himmel schwebt, aber den Rest der Zeit auf unterschiedlichen Planeten lebt:

Sie kam gerade von Peru zurück. Zwei Jahre lebte sie dort mit dem peruanischen Musiker zusammen, den sie auf einem Festival kennengelernt hatte. Sie spürte damals gleich, dass er etwas ganz Besonderes war, vor allem auch, weil er mit ihrem Mann zu Hause, einem Versicherungsmakler, so gar nichts gemeinsam hatte. Immer wenn er Flöte spielte, schaute er nur sie an, und die Musik erreichte ihr Herz wie nichts sonst vorher. Endlich ein Mann, der etwas anderes im Sinn hat als das sichere finanzielle Standbein!

Der Peruaner (wie sie ihn nannte) war jeden Abend umringt von weiblichen Fans, und als er die Hand nach ihr ausstreckte, fühlte sie sich gesehen. Sie muss schon etwas Besonderes sein, wenn er gerade sie aus dem Kreise der anwesenden Bewunderinnen auswählte.

Sie sah angestrengt aus, als sie zwei Jahre später wieder in Österreich ankam. Von der Begeisterung von damals war nicht mehr viel übrig geblieben. Der Peruaner reiste viel, und immer öfter spürte sie, dass er sie zwar erwählt hatte, aber sonst auch weiterhin gern wählte. Seine finanzielle Situation war ein Desaster, und sie hörte sich langsam wie ihr früherer Mann an. Sie erlebte sich als fremd in Peru, besonders weil sie hoch auf den Bergen lebten und sie noch nie gern gewandert ist. Natürlich war ihr klar, dass es nicht so schnell gehen würde, sich hier einzuleben, aber wenn die stürmischen Nächte vorbei waren, fragte sie sich immer öfter, ob sie wirklich so leben will. Was sie am Anfang als Freiheit betrachtet hatte – die vielen Reisen, die neuen Menschen, das neue Land –, empfand sie jetzt als Anstrengung. Ihre Spanischkenntnisse reichten zu einem tieferen Austausch nicht aus, und es frustrierte sie enorm, dass sie ihre eigenen Talente und Begabungen nicht mehr zum Einsatz brachte, sondern sich zur Assistentin eines Künstlers degradiert hatte. Als sie gemeinsam in Montreal auf einem weiteren Festival war, sah sie eine Frau, die ebenfalls von »ihrem« Peruaner angezogen war, und sie hatte so etwas wie ein außerkörperliches Erlebnis: Er war fast, als würde sie sich selbst vor zwei Jahren beobachten, und als sie in den Augen des Peruaners die gleiche Aufmerksamkeit wie damals bei ihr sah, ging sie ins Hotel zurück, packte weinend ihre Sachen und flog nach Hause.

Spirituelle Beziehungen sind nicht das Gegenteil von hormonellen – das wäre ja auch schade –, sondern sie vereinen beides, und sie haben das Potenzial zur Tiefe und Innigkeit. Beide Liebenden sind zwar auch manchmal im siebten Himmel, aber auch sonst auf demselben Planeten.

Was ist eine spirituelle Beziehung? Hier geht es um mehr als um körperliche Anziehung. Sie hat ein hohes Potenzial zum gemeinsamen Wachstum und ist mit der Bereitschaft zum Austausch und einer tiefen Nähe verbunden. Meistens gekoppelt mit dem Gefühl einer Vertrautheit, die sich mit dem Verstand nicht erklären lässt, denn man hat sich ja gerade erst kennengelernt. Oft geht sie einher mit der Hoffnung, einen »Seelenpartner« gefunden zu haben.

Und damit hängen diverse Illusionen zusammen: Wenn wir den richtigen Seelenpartner oder die richtige Seelenpartnerin gefunden haben, dann werden wir gemeinsam ewige Flitterwochen erleben. Wir werden uns ohne Worte verstehen. Niemand anders wird jemals verlockender sein. Jede Berührung ist zutiefst erfüllend. Wir hoffen auf ein Leben ohne Partnerprobleme.

Doch auch das ist höchst illusorisch: Jede Partnerschaft mit Wachstumspotenzial hat ihre Herausforderungen. Seelenpartner hin oder her. Wir wollen lernen, und das gelingt uns nicht, wenn wir die nächsten Jahre eng umschlungen mit einem Glas Champagner am Strand sitzen. Da lernen wir nichts, da holen wir uns höchstens einen Sonnenbrand.

Wie wir uns unseren

Partner aussuchen

In einer Partnerschaft oder Freundschaft wählen wir einen Partner innerhalb von vier Kategorien: einmal jemanden, der sich so verhält, wie es uns vertraut ist. Jemanden, der eine Eigenschaft hat, die wir auch gern hätten. Einen Partner, der uns fasziniert oder wir möchten dazugehören.

Vertraut ist uns das Verhalten der Menschen, mit denen wir aufgewachsen sind oder die uns umgeben. Ab und zu treffe ich Männer, die rührend um ihre Frauen besorgt sind und sie auf Händen tragen. Als Reaktion darauf ernten sie häufig aber nur ein kaltes Schulterzucken. Diese Männer haben eine enorme Geduld und Leidensfähigkeit, und das nicht – wie ich früher dachte –, weil diese Frauen besondere außergewöhnliche Fähigkeiten oder Eigenschaften besäßen. Wenn ich nachfrage, erwächst in mir der Eindruck, dass diese Männer es gewohnt sind, um die Liebe der Mutter betteln zu müssen. Viele wurden mit Liebesentzug bestraft, wenn sie nicht folgsam waren. Deshalb fühlen sie sich von Frauen angezogen, die die gleichen Angewohnheiten haben. Eine Frau, die herzlich ist, die ihre Liebe nicht alle fünf Minuten zurückzieht und ihren Mann schätzt – das sind diese Männer nicht gewohnt, und sie bleiben mit stoischer Verlässlichkeit in solchen Beziehungen.

Oder manche Frauen erspüren sich nur als lebendig und wichtig, wenn sie ihre Weiblichkeit einsetzen. Sie verführen. Vielleicht ist dies entstanden aus einem kindlichen Umgarnen des Vaters, bei dem sie als Mädchen dann bekamen, was sie wollten, einer frühen Sexualisierung in der Kindheit (eventuell missbräuchlich) oder dem Gefühl, das sei das »einzige« Mittel, das sie zur Verfügung haben, um etwas zu bekommen. Da geht es im erwachsenen Sein nicht um eine sinnliche Spielerei, sondern um eine als Machtmittel eingesetzte Sexualität. Es ist eine Art, sich aufzudrängen. Sei es durch Gesten, Worte oder Kleidung. Es ist häufig auf Konkurrenzdenken aufgebaut und entspringt der Auffassung, nur in Verbindung mit einem Mann wichtig zu sein. Er wird zur Trophäe. Es macht stolz, »ihn gekriegt zu haben«. Sein Status, seine Darstellung nach außen, vielleicht auch sein anfängliches Desinteresse oder die Tatsache, dass er schon anderweitig liiert ist, reizen: »Den will ich haben!« – »Ich nehme mir, was mir gefällt, selbst wenn er bereits in einer anderen Beziehung ist.« – »Ich bin besser/schöner als sie, und das weiß ich nur, wenn er sie für mich verlässt.« Oder es treibt sie die Verzweiflung: »Ich brauche Versorgung und/oder Schutz.« Manchmal auch entstanden aus dem schmerzlichen Gefühl, ohne aufgesetzte sexuelle Attraktivität nicht wichtig zu sein.

Dahinter steckt oft ein enormer Schmerz. Das Gefühl, nur als »Fassade« erlebt zu werden, irritiert uns als Seele. Wir wollen wahrgenommen werden in unserem ganzen Sein – aber wir zeigen uns als lebendige Barbie-Puppe. Die Außenwahrnehmung ist die Nahrung, die das Ego braucht, und wir – als Seele – spüren die Leere dahinter.

Natürlich ist Sexualität in jungen Jahren immer auch ein Ausprobieren. Wir machen Erfahrungen und treffen Entscheidungen:

Die Mutter fand die handgeschriebenen Zettel ihrer fünfzehnjährigen Tochter an ihre beste Freundin, als sie ihre Bettwäsche in die Waschmaschine stopfte. »Ist das nicht toll, dass wir die Jungs so verrückt machen können?«, konnte sie auf einem lesen. Und als sie noch ein paar von diesen Zetteln fand, zeigte sich ein Bild von zwei jungen Mädchen, die ausprobierten, was es denn braucht, um Jungs »verrückt« zu machen. An diesem Abend setzte sie sich zu ihrer Tochter und legte ihr den Zettel hin.

Bevor es zu irgendwelchen Erklärungen kam, gab ihre Mutter ihr eine dieser Grußkarten zu lesen, die sie mal vor Jahren gefunden hatte und die sie lustig fand. Es gab eine Vorder- und eine Rückseite.

Auf der Vorderseite stand: »Wie verführe ich eine Frau? Bring ihr Blumen. Sag ihr, wie schön sie ist. Lad sie zum Essen ein. Hör ihr zu. Mach ihr Geschenke. Schreib ihr Liebesbriefe. Bring sie zum Lachen. Überrasch sie.«

Die Tochter schaute sie erstaunt an. Die Mutter drehte die Karte um. Auf der anderen Seite stand: »Wie verführe ich einen Mann? Bring Bier. Zieh dich aus.«

Die Mutter sagte dazu: »Einen jungen Mann zu verführen ist nicht so schwer. Jede Frau kann das. Das ist aber nicht das Ziel. Du benutzt ihn, damit du dich besser fühlst. Und du hast keinen Respekt vor seinem Herzen. – Und auch nicht vor deinem. Überlege dir, ob du das weiter machen willst. Wie gesagt, jede Frau kann das.«

Ihre Tochter schaute etwas enttäuscht, als hätte man ihr gerade das Taschengeld gekürzt.

Welche Eigenschaften hätte ich denn gern?

Angenommen, wir sind hektisch veranlagt und sehnen uns nach Ruhe. Dann fühlen wir uns möglicherweise zu einem Mann hingezogen, der gelassen und entspannt ist. Und genau diese Ruhe und Entspannung wird uns nach ein paar Jahren oder schon Monaten sehr wahrscheinlich auf die Nerven gehen.

Umgekehrt ist es ähnlich: Jemand sucht sich eine Partnerin mit mehr Temperament, weil er selbst mehr Begeisterung in seinem Leben haben möchte. Doch auch hier besteht die Gefahr, dass genau dieser Elan den anderen nach einer Weile unglaublich anstrengt.

Wenn wir »wach« sind, wissen wir, warum wir vom anderen angezogen werden: »Wach« erfreuen wir uns daran, dass wir jemanden in unserem Leben haben, der ein Talent hat, das wir (noch) nicht ausgebildet haben. Dazu erschaffen sich beide in einer gesunden Liebesbeziehung gemeinsam ein Gleichgewicht: Nur temperamentvoll ist anstrengend. Nur ruhig ist langweilig.

Im Idealfall lernen wir voneinander und schätzen die Begabungen des anderen. Derjenige, der »zu« entspannt ist, lernt jetzt, häufiger den Hintern auch mal hochzukriegen. Er wird mitgerissen von den Ideen und Vorschlägen und öffnet sich für Gelegenheiten, die für ihn ungewöhnlich sind.

Diejenige, die »zu« temperamentvoll ist, lernt, auch mal innezuhalten. Nicht gleich jeder Idee zu folgen. Entspannter zu sein. Vorher darüber nachzudenken, ob sie sich wirklich ein Klavier kaufen will, nur weil sie gerade ein schönes Pianostück gehört hat.

Beide betrachten ihre Partnerschaft bewusst und wissend, was es zu besprechen und auszugleichen gibt. Es geht um Balance und die Fähigkeiten, die Einzigartigkeit des jeweils anderen zu erkennen und ihn nicht zu einer Kopie von sich selbst machen zu wollen. Wenn das gelingt, werden beide sich gegenseitige, verlässliche Unterstützung sein. Das bedeutet, dass es vorher ein Gespräch gegeben hat, in dem wir uns ausgetauscht und uns gegenseitig versichert haben, dass wir die Angewohnheiten des anderen schätzen und uns einander Unterstützung sein wollen. Also die Temperamentvolle bittet zum Beispiel den entspannten Partner, sie in Zukunft zu warnen, falls sie wieder schnell, schnell was entscheiden will, was sie dann später bedauern könnte:

Der Entspannte: »Liebste, wolltest du nicht mit Weiterbildungen etwas warten, bis du das jetzige Projekt beendet hast?«

Die Temperamentvolle: »Ja, stimmt. Da wäre ich doch beinah wieder in mein altes Muster reingehüpft. Und ich habe sowieso noch so viel um die Ohren. Danke!«

Oder andersherum:

Die Temperamentvolle: »Schatz, komm! Lass uns das jetzt machen.«

Der Entspannte: »Ja. Ich muss mich nun wirklich entscheiden. Ich habe da jetzt lange genug darüber nachgedacht. Danke, dass du mich da anschiebst.«

Der Wunsch, den anderen erziehen zu wollen, ist weit verbreitet. Das kenne ich nur zu gut. Damit kann man sich das Leben gegenseitig schwer machen. Es gilt vielmehr, die jeweiligen Talente zu erkennen und sie dann dort einzusetzen, wo sie nützlich sind. Wenn jemand nicht gut darin ist, etwas zu organisieren, ist es eher unpraktisch, wenn er den Urlaub planen soll. Wenn jemand ungern kocht, macht es keinen Sinn, dass er sich in die Küche stellt. Ein Aspekt von uns wünscht sich dann das Versagen des anderen, denn sonst würden wir nicht darauf bestehen, dass er etwas macht, wofür er keine Begabung hat. Möchte er oder sie das lernen, ist das eine andere Sache.

Du faszinierst mich

Manchmal treffen wir auf Menschen, die so völlig anders leben als wir, was eine große Faszination auf uns ausüben kann:

Sie ist in einem gutbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen und trifft auf den Globetrotter mit Gitarre.Seit Jahren ist sie mit einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmer verheiratet und verliebt sich in den ewigen Studenten.Ihr Mann ist Versicherungsmakler, und dann kommt der Musiker aus Peru.Sie ist Börsenmaklerin und er freischaffender Künstler auf Bali.

Wir betrachten unser altes Leben und ordnen es als gewohnt und langweilig ein. Wir sehen plötzlich die Möglichkeit, ein neues Leben an der Seite von jemandem zu verbringen, der darin Erfahrung hat. Es braucht also nicht ganz so viel Mut, das eigene Leben zu verändern, weil wir es an der Seite von jemandem wagen, der offensichtlich »weiß, wie es geht«. Die hormonelle Anziehung tut ihr Übriges, und schon fliegen wir in seine Arme. Manchmal allerdings nicht für lange.

Wenn wir die bisher besprochenen Anziehungsmöglichkeiten betrachten, dann haben wir die Anziehung durch Gewohnheit, die durch Interesse an neuen Qualitäten und jetzt auch an einer faszinierenden, weil neuen Lebensphilosophie.

Ich möchte endlich dazugehören

Auch das ist ein Grund für die Wahl einer Beziehung: Wir möchten wissen, wo wir dazugehören. Welche Familie ist meine? Welche Gruppe ist mir vertraut? Wo kann ich mich endlich mal entspannt anlehnen? Besonders tritt das ein, wenn wir als Kinder dieses Zugehörigkeitsgefühl sehr vermisst haben. Da kann eine geschlossene Gemeinschaft mit klarem Gefüge, festen (nicht selten starren) Regeln und vorgegebenen Strukturen eines gewünschten Benehmens beruhigen.

Dieser Wunsch nach Zugehörigkeit ist übrigens auch der unterschwellige Grund für viele Abwehrhaltungen gegen andere (fremde) Rassen, andere (fremde) Herkunftsländer, andere (fremde) sexuelle Orientierungen oder eine andere (fremde) Kultur: »›Das‹ kennen wir nicht«, »›Die‹ gehören nicht zu uns!« … Wenn wir dringend Sicherheit brauchen, irritiert uns Fremdes. Wir wollen nur Vertrautes um uns haben. Und als vertraut werten wir, was uns ähnlich zu sein scheint. Auch hier sieht man die anderen durch die Augen der Persönlichkeit und nicht durch die Augen der Seele. Der Grund dafür ist die Angst vor dem Unbekannten.

Fragen zur Anziehungskraft eines Partners

Betrachte deine jetzige beziehungsweise die letzte Beziehung. Ich möchte dich bitten, dazu ein paar Fragen zu beantworten: Hat dich die Vertrautheit angezogen, gab es Eigenschaften, die dir noch fehlten, war es das faszinierend Neue oder der Wunsch irgendwo dazu zugehören?

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Welche Vertrautheit hat dich angezogen?

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Welche besondere Eigenschaft hat dich angezogen?

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Welches Neue hat dich angezogen?

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Andersherum: Was war deinem (vorherigen) Partner vertraut an dir?

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Welche Eigenschaft von dir hat deinen Partner angezogen?

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Warst du im Vergleich zu seinen vorherigen Erfahrungen neu und faszinierend?

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Warst du in der Lage, seine Eigenschaften als Geschenk zu sehen, oder gingen sie dir eher auf die Nerven? Welche Eigenschaften störten dich besonders?

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Es ist normal, dass Eigenschaften von anderen uns ab und zu irritieren. Deshalb sind es ja andere Eigenschaften. Dennoch: Verhält sich dein(e) Partner(in) »normal« für seine/ihre Persönlichkeit?

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Kannst du das akzeptieren?

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Die Wachheit einer Beziehung erkennt man daran, dass man bei anderen Ansichten oder Verhaltensweisen trotzdem noch interessiert bleibt: Ist das, was dein Gegenüber gesagt oder gemacht hat, vielleicht nützlicher als das, was du dir denkst? War dir das möglich?

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Kannst du wirklich wissen, dass deine Idee die bessere ist?

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Glauben wir, immer alles besser zu wissen, dann stecken wir bis zum Hals in Arroganz und sind weit davon entfernt, jemanden so zu akzeptieren und zu sehen, wie er ist. Wir bewerten, und wir bewerten hart.

Ein Beziehungsproblem entwickelt sich erst dann aus den unterschiedlichen Begabungen und Verhaltensweisen, wenn wir glauben, der/die andere sei dumm oder unfähig. Deshalb ist es äußerst hilfreich, sich daran zu erinnern, dass wir nicht gleich fühlen und handeln. Das Ziel ist nicht, immer nachzugeben und das zu tun, was uns der andere vorschlägt. Das Ziel ist zuzuhören, ohne gleich abzuwehren, und die Idee zu nehmen, die besser ist. Und so lange weiterzuforschen, bis es etwas gibt, was gemeinsam erfreut.

Wenn wir also davon ausgehen, dass wir uns entwickeln, dass wir uns auf gleichem Schwingungsniveau unsere Partnerinnen und Freundinnen aussuchen, dann wird klar, warum es für langfristige Beziehungen wichtig ist, dass sie sich auch weiterhin zugewandt entwickeln. Sie müssen sich nicht gleich entwickeln, aber es braucht eine Entwicklung beziehungsweise eine Vertiefung. Und eine Vertiefung entsteht nur durch Austausch: Austausch von Gedanken, Austausch von Berührungen, Austausch von Aufmerksamkeit. Austausch von liebevollem Betrachten und Annehmen.

Entwickelt sich nur eine, beginnt das ganze Gebilde zu wackeln. Das ist zwar am Anfang unangenehm, aber grundsätzlich nichts Schlechtes. Denn alles ist Bewegung, und auch in Beziehungen braucht es Bewegung. Wenn allerdings eine sich konstant weigert, an dieser Bewegung teilzunehmen, dann kracht das Gebilde irgendwann einmal zusammen. Die eine hat sich für eine Entwicklung, die andere für das Vertraute entschlossen.

Wir alle wählen. Wir sagen Ja oder Nein oder … gar nichts. Auch das ist eine Wahl. Wir wollen keine eigene Entscheidung treffen, treffen aber damit doch eine Entscheidung. Häufig stellen wir dann irgendwann einmal fest, dass wir uns beim Folgen selbst verloren haben. Auf Seelenebene bedeutet dies, dass es jetzt Zeit ist, uns wieder auf den Weg zu uns selbst zu machen. Entweder innerhalb oder nach einer Partnerschaft.

Ein Beispiel – meines

Es fällt uns am leichtesten, ein Leben gelassener zu betrachten, wenn es nicht unser eigenes ist. Deshalb biete ich meines an. Es gibt dir die Möglichkeit, bestimmte Gewohnheiten, Entscheidungen und Lernprozesse von außen zu betrachten.

Die Vergangenheit ist wie ein fremdes Land

Dinge wurden dort anders gemacht. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich vorgestern zum Abendessen hatte, und ich will mich genau daran erinnern können, was in meiner Kindheit war? Das ist nicht möglich. Wir glauben, uns an Sätze zu erinnern, an bestimmte Momente, aber auch diese haben wir damals durch die Augen unseres früheren Entwicklungsstands gesehen. Als Erwachsene begreifen wir, dass Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen werden können, und so sind eben auch unsere Erinnerungen aus dem Zusammenhang gerissen. Dann haben wir diese Fragmente wiederholt und anderen erzählt. Anschließend ist Zeit vergangen. Wir haben uns vielleicht festgebissen oder etwas falsch verstanden und darüber eine Story aufgebaut. Das ist die Quintessenz unserer Vergangenheit: Sie ist eine zumindest zum Teil konstruierte Geschichte.

Wenn wir aber durch die Augen der Seele sehen, dann erkennen und betrachten wir das als eine Erinnerung – und nicht als ein Fakt –, die sich möglicherweise so abgespielt hat. Eventuell ist das also nur ein Fragment, das zwar so gewesen sein kann, aber eben vielleicht auch nicht. Durch diese Sichtweise weicht die Verbissenheit und macht einer leichteren Schwingung Platz.

Meine Erinnerungen sind schwammig geworden, und meine Gefühlswelt ist heute eine völlig andere. Meine damaligen Beweggründe verstehe ich zwar noch (meistens), aber bei vielem wundere mich über mich selbst. Das ist natürlich ein normaler Vorgang. Schließlich haben wir Erfahrungen gesammelt und dazugelernt. Unsere Wahrnehmung hat sich verfeinert.

Selbstverständlich möchte ich auch mit Achtung über meine früheren Beziehungen schreiben, mich aber trotzdem wahrhaftig mitteilen. Deshalb nenne ich keine Namen. Das ist ja kein Enthüllungsbuch, sondern es soll Beispiel sein. Warum helfen Beispiele? Weil wir uns bei allem, was wir von anderen aufnehmen, immer auch gleichzeitig selbst betrachten.

Oft erleben wir Ähnliches. Erspüren verwandte Schwierigkeiten. Und können durch das Miterleben auch selbst unsere eigenen Erfahrungen klarer sehen. Und: Es schafft die nötige Distanz, die wir für das eigene Leben vielleicht ganz gut gebrauchen können. Das würde ich mir wünschen.

Sätze, die dich ebenfalls betreffen, die dich berühren, die bei dir irgendetwas antriggern, möchtest du vielleicht in irgendeiner Form markieren oder hinten im Buch notieren? Und dann, wann immer du Zeit und Lust hast, nimm dir diese Sätze, und erlaub dir, tiefer hineinzugehen. Gerade wenn sich Widerstand meldet, ist das ein Zeichen nachzuforschen. Wohin führen dich deine Gedanken, deine Gefühle, dein Körper? Was kommt da hoch an Erinnerungen, an Klarheit, an eigener Weisheit?

Ein Leben ist immer auch eine Art Reise

Manche von uns reisen länger, manche kürzer. Manche erleben viel, manche lieben es überschaubarer. Egal wie wir diese Reise erleben, sie wird von uns gestaltet. Wenn wir uns wünschen, andere Erfahrungen zu machen, dann braucht es erst einmal die Sehnsucht nach einem anderen Leben und die Ahnung oder Hoffnung, dass es möglich ist, anders zu leben. Wie bei einer Reise entscheiden wir uns für eine andere Gegend, ein andere Klimazone, eine andere Sprache, eine andere Kultur.

Ich habe in meinem Leben eine komplette 180-Grad-Wende gemacht. Anfang dreißig stellte ich mich und mein Verhalten durch eine berufliche Krise infrage. Ich verließ den Standpunkt meiner Persönlichkeit und öffnete mich für die Möglichkeit, durch die Augen meiner Seele zu sehen.

Das schreibt sich so leicht, und doch war es ein jahrelanger Prozess. Besonders wichtig war es, meine Ängste zu betrachten. Sie zeigten mir genau, wo ich noch hinschauen musste. Die meisten Ängste entstehen in unserer Kindheit. Wir erleben etwas, was uns schmerzt, und wir treffen die Entscheidung, dieses Gefühl nicht mehr haben zu wollen. Und so versuchen wir, es zu vermeiden, indem wir beschließen, Situationen aus dem Weg zu gehen, die den Schmerz wieder hochholen können. Dieses Vermeiden begleitet uns oft ein ganzes Leben lang, und die daraus resultierenden Überreaktionen können sehr gut durch die »Innere-Kind-Arbeit« verstanden und gelöst werden: In Krisensituationen kommen in der Kindheit entwickelte Emotionen hoch, die uns zu Entscheidungen drängen, welche wir – wenn wir klarer sähen – jetzt nicht mehr träfen. Indem wir uns unsere früheren Entscheidungen anschauen, begreifen, verstehen und updaten, beginnen wir, unser Verhalten zu verändern.

Ich habe früher viel gelogen und wurde ehrlich. Ich war kleinlich und wurde großzügig. Ich war nachtragend und wurde verständig. Ich war nach außen orientiert und orientiere mich jetzt nach innen. Ich hatte viele Geheimnisse und habe keine mehr. Ich war verängstigt und fühle mich heute frei.

Wer mir dabei geholfen hat? Meine Bereitschaft zum genauen Hinschauen, meine Begeisterung für mein Wachstum und meine Beziehungen. Jede einzelne davon hat meinem Wachwerden beigestanden. Durch jede Krise durfte ich erfahren, wer ich gerade im Moment war. Ich lernte zu verstehen, was mir wichtig war und was nicht. Ich merkte, was mir guttat und was ich loswerden möchte. Ich erkannte, wo ich schon klüger wurde und wo es mir noch an Wissen, Klarheit und Weisheit fehlte.

Erst durch meine Beziehungen wurde ich wacher.

Beziehungen: Ein Spielfeld für Erfahrungen

Die erste Ehe meines Lebens war die Ehe meiner Eltern. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals gesehen zu haben, dass meine Eltern liebevoll miteinander umgegangen wären. Mit den Jahren wurde mein Vater Alkoholiker – und damit unser Familienleben nicht nur für unsere Mutter, sondern auch für uns drei Töchter anstrengend.

Schon als kleines Mädchen verwirrte mich diese Ehe, und ich dachte mir: »Das muss besser gehen.« Unser Familienleben fühlte sich so an, als würden wir in einem schwankenden Boot sitzen. Gleichzeitig traf ich eine Entscheidung: »So will ich mal nicht leben.«

Die Stimmungen meines Vaters wechselten ohne ersichtlichen Grund, und das irritierte mich. Als Kind (an das Alter kann ich mich nicht mehr erinnern) wollte ich meine Mutter nach einem lautstarken Streit mit meinem Vater trösten, und mir war klar, was nun geschehen müsse: Sie sollte sich von unserem Vater trennen, damit wir zu Hause Frieden hätten. Ich wusste, es hatte etwas mit Geld zu tun, deshalb bot ich an, auf mein Taschengeld zu verzichten, damit sie sich scheiden lassen konnte. Meine Mutter schaute mich weinend an und meinte: »Aber ich liebe ihn doch!« Diese Antwort schenkte mir zwei Lektionen:

Wenn das Liebe ist, dann will ich das nicht.Ich muss später eigenes Geld verdienen können, um bloß nicht von einem Mann abhängig zu werden.

Es gab in meinem Umfeld keine Ehe, die ich als Vorbild hätte nehmen können. Alle schienen irgendwie eingeschlafen zu sein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich als Kind verheiratete Paare getroffen hätte, die öffentlich zärtlich miteinander waren. Klar wurde mal gelacht und auch gefeiert, aber dauerhaft zugewandte Ehepaare hatte ich nicht erlebt. Damals war es natürlich auch so, dass man sich »nicht zeigte«. Die Generation meiner Eltern war zum Gehorsam erzogen worden. Die relevanten Erziehungsbücher warnten vor zu viel Nähe mit dem Kind, denn das würde sie zu Tyrannen erziehen. Der Wille des Kindes sollte gebrochen werden. Nähe wurde nicht gefördert. Das machte es nicht leichter.

Die Ehe erschien mir eine Notwendigkeit, um erwachsen zu werden. Nicht zu heiraten bedeutete damals noch, »nicht ausgesucht« worden zu sein.

Ich hatte meine Eltern damals in Gut und Böse eingeteilt. Natürlich kann man als Kind die komplexen Lebensentscheidungen nicht einordnen. Erst später wurde mir klar, wie unglücklich mein Vater gewesen sein muss, und konnte Verständnis für ihn in meinem Herzen finden. Ebenfalls begriff ich, allerdings erst als ich selbst Mutter wurde, dass es meiner Mutter nicht gelang, uns zu schützen.

Natürlich hatte sie dafür ihre Gründe: Sie hatte nicht gelernt, sich zu wehren. Sie war als junge Frau von ihrem Chef vergewaltigt worden, und sie befürchtete, niemand würde ihr glauben. Sie war zur Anpassung erzogen worden. Ihre Meinung wurde nicht geschätzt. Sie hatte kein eigenes Geld. Deshalb ist das keine Schuldzuweisung, sondern nur eine Erkenntnis. Jeder gestaltet sein Leben so gut, wie er es eben kann.

Die Vorteile einer

unglücklichen Kindheit

Ohne meine unglückliche Kindheit wäre ich jetzt nicht glücklich. Denn eine solche Kindheit kann eben auch ein Antrieb sein. Ein Antrieb, es anders, es wacher zu machen.

Jede unglückliche Kindheit hat auch ihre lichten Momente. Meine Mutter tröstete sich und uns durch Musik und Gesang. Ein Geschenk, das ich täglich zu schätzen weiß. Mein Vater zeigte mir durch seine Sprachlosigkeit, wie wichtig es ist, sich mitzuteilen. Ebenfalls ein Geschenk, für das ich enorm dankbar bin.

Und wir hatten die Möglichkeit, verzeihen zu lernen. Auch sehr nützlich. Meine Eltern gaben ihr Bestes.

Wir haben in unserer Familie viel geheilt. Wenn wir jetzt gemeinsam über unsere Erfahrungen von damals sprechen, haben wir oft Tränen in den Augen – vor Lachen.

Eine Kindheit ist dann geheilt,

wenn wir mit Leichtigkeit darüber sprechen können

Ich war als Kind schüchtern und fühlte mich einsam. Unpassend. Eigenartig. Ich betrachtete meine Umgebung, wie eine Wissenschaftlerin etwas unter dem Mikroskop betrachtet: Was die anderen zu empfinden schienen, empfand ich nicht. Wenn ich ein Geschenk bekam, spürte ich keine großen Gefühlsregungen. Ich beobachtete, wie die anderen sich gaben, und versuchte, das Gleiche zu tun. Seltsam unbeteiligt. Irgendwie schauspielernd. Anders und fremd.

Die Schlussfolgerung daraus: Mit mir stimmt was nicht. Die anderen sind anders als ich. Ich muss mich anpassen.

Eine weitere Erfahrung meiner Kindheit sollte mich mein Leben lang begleiten: Ich wurde oft unterbrochen. Wenn ich las, wenn ich in etwas versunken war, wenn mich etwas völlig vereinnahmte, dann wurde ich gestört: meistens mit Pflichten wie Abtrocknen, Aufräumen oder die Beaufsichtigung meiner jüngeren Schwestern.

Das war keine böse Absicht meiner Mutter, um mir meine Freuden zu nehmen, sondern auch ihre Gewohnheit: »Nur rumzusitzen« gab es nicht in ihrer Kindheit und so zwangsläufig auch nicht in meiner. Mittlerweile 92 Jahre alt erzählt sie immer noch mit lobender Stimme, dass sie mich als Vierjährige mit dem Kinderwagen meiner neugeborenen Schwester vor einem Laden stehen lassen konnte und ich mich nicht vom Fleck rührte.

Nimm dir bitte die Zeit und erforsche die Erinnerungen deiner Kindheit und wie du sie erlebt hast:

Fragen zu deiner Kindheit

Gab es Nähe und Zärtlichkeit?

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Durftest du so sein, wie du warst?

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Fühltest du dich ausgegrenzt, wenn du dich anders als die anderen verhalten hast?

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Gab es eine »äußere Instanz«, die bemüht wurde (zum Beispiel: »Was sollen denn die Nachbarn sagen?«)?

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Musstest du dich anpassen?

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Hat man dir zugehört?

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Fühltest du dich geliebt?

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Hattest du das Gefühl, du musstest zwischen deinen Eltern vermitteln?

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Haben sich die erwachsenen Eltern beziehungsweise Bezugspersonen bei dir angelehnt?

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Wie hat sich das für dich angefühlt? Fühltest du dich erwachsen, und warst du teilweise »stolz« darauf, oder fühltest du dich überfordert – oder irgendwas dazwischen?

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Es geht bei alldem nicht um Schuldzuweisungen. Es geht um das Gefühl und das Erleben im Kindesalter. Den Eltern mag es nicht aufgefallen sein, dass wir uns ungehört vorgekommen sind. Trotzdem ist es wichtig, diesen Aspekt zu erkennen. Weil diese frühen Erfahrungen – und anschließenden Entscheidungen, die wir dabei getroffen haben – uns bis ins Erwachsenenalter hinein begleiten und unsere Beziehungen beeinflussen.

Es gibt Familien, die ein gesünderes Miteinander gestaltet haben. Um gesund und ungesund einordnen zu können, möchte ich dir die Beavers-Scale für Familienwachstum vorstellen. Frei nach dem Psychiater W. Robert Beavers werden die Familiendynamiken in fünf Stufen eingeteilt:1

Schwer gestört: keine Regeln. Niemand ist unter Kontrolle. Wir befinden uns in einer Art Anarchie, die von Verzweiflung und Zynismus geprägt ist. Als Kind kann man sich auf nichts und niemanden verlassen. Es gibt keine Ordnung und keine Regeln, an denen wir uns orientieren können.Grenzwertig: Hier gibt es eine Person, einen Despoten, der die Kontrolle übernimmt. Wir leben in strengen SchwarzWeiß-Kategorien: Es gibt keine Zwischentöne, keine Flexibilität. Nicht nur das Benehmen, sondern auch die Gefühle sollen kontrolliert werden. Es entsteht ein häufiger Wechsel zwischen chaotischem und tyrannischem Verhalten: Wutausbrüche, emotionale Distanz und Depressionen.Mittelwertig: Es gibt zwar keinen Tyrannen als »Chef«, aber immer einen Schiedsrichter, der bestimmt, wie wir uns zu verhalten haben, zum Beispiel: »Was sollen denn die Nachbarn sagen?« Negative Emotionen sind nicht erlaubt, und es gibt emotionale Erpressung: »Wenn du mich liebst, dann machst du das für mich.« Verhält man sich anders als die anderen, wird man unter Druck gesetzt. Obwohl die Kommunikation in dieser Phase klarer ist, bedeutet lieben jemanden zu kontrollieren.Ausreichend: Man wird bis auf gelegentliche Machtkämpfe durch Schuldgefühle so akzeptiert, wie man ist. Emotionen können ausgesprochen werden, und zwar ohne die Liebe zu verlieren.Optimal: Teamwork wird großgeschrieben. Kinder fühlen sich geliebt mit all ihren Stärken und Schwächen, und es wird akzeptiert, wenn man anders ist als der Rest der Familie. Es gibt keine Machtkämpfe, sondern fähigen, kommunikativen und klaren Austausch. Individuelle Wünsche und Persönlichkeiten werden respektiert und geschätzt. Wärme, Nähe und liebevoller Humor sind Basiseigenschaften.

In vielen Fällen prägen mehr als einer dieser Level den Familienalltag. Wenn du die Beziehung deiner Eltern oder deiner Versorgerfamilie (wie auch immer sie gestaltet war) genauer betrachtest, dann erkennst du, welche Glaubenssätze du über Beziehungen ins Erwachsenenalter mitgenommen hast:

Fragen zu Vorbildern für Beziehungen

Was sind die drei Dinge, die du als gutes und gesundes Vorbild in deiner Kindheit über Beziehungen erfahren hast?

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Was sind die drei ungesunden Dinge, die du in deiner Eltern- beziehungsweise Versorgerfamilie in Hinblick auf Beziehungen erfahren hast?

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Solche Antworten sagen dir einiges über dich aus. Manches wirst du schon betrachtet haben, manches ist vielleicht neu. Plötzlich verstehen wir möglicherweise einen Zusammenhang, der uns bisher noch nicht aufgefallen war …

Die Liebesfähigkeit unserer Ursprungsfamilie – die Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben – schwingen selbstverständlich auch schon in unser erstes Verliebtsein ein.

Das Ausprobieren von Liebe

Jungs im Allgemeinen waren für mich ein fremdes Land, so wie mein Vater für mich ein fremdes Land war. Als ich einen ersten Freund hatte – später als alle Gleichaltrigen, die ich kannte –, war ich erleichtert und froh, endlich auch zur Gruppe von Mädchen zu gehören, die von einem Jungen gewollt wurden. Man musste damals warten, bis »man« gefragt wurde. Die ersten Küsse, einen neuen Menschen und einen neuen Status zu bekommen, das war aufregend, und ich fühlte mich erwachsen.

Ich bin im sozialen Wohnungsbau aufgewachsen, und da gibt es nicht viel zum Angeben. Deshalb gab man mit Erfahrungen an. Was konnte man vor den anderen vorweisen? Langes Ausbleiben. Sex. Drogen. Drogen interessierten mich nicht, denn ein Kontrollverlust war mir enorm suspekt. Ich hatte genug Erfahrung mit einem alkoholisierten Vater gemacht, der sich nicht in der Gewalt hatte. Und für überlanges Ausbleiben war ich zu brav. Also blieb nur Sex übrig. Und dafür war ich, gemessen an meinem Umfeld, schon ziemlich spät dran. Ich wollte meinen Jungfrauenstatus verlieren, wie man einen Schnupfen loswerden will.

Als junges »Paar« verbrachten wir kaum Zeit allein. Wir waren in einer Freundesgruppe eingebunden, die vieles gemeinsam machte. Ich war im Schauspielerinnenmodus, und er war … still. Nicht unähnlich dem, was ich von zu Hause kannte. Da wurde auch nicht über Gefühle gesprochen. Was ich fühlte, was mich bewegte und was ich dachte, behielt ich für mich.

Als ich ihm gestehen musste (so empfand ich es damals), dass ich Jungfrau war, stöhnte er und meinte: »Immer ich.« Und obwohl ich daraufhin annahm, dass er etwas davon verstand, musste ich feststellen … nein.

Damals dachte ich: Sexualität ist halt so. So sprachlos, so schmerzhaft, so ohne Zärtlichkeit oder Vorbereitung, und ich spürte bei keinem unserer Zusammenkünfte körperlich Angenehmes. »Vielleicht bin ich ja frigide?«, war meine stumme Frage.

Mein Freund verließ mich mit den Worten »Wir sollten uns trennen, bevor wir uns streiten«. Ich weiß nicht, ob er diesen Satz wirklich so formuliert hat, aber da ich ihn in den folgenden 45 Jahren immer mal wieder wiederholt hatte, wenn ich von meinem ersten Freund sprach, hat er sich fest in mir eingeprägt.

Damals war ich … ja, was war ich? Ich glaube, mich zu erinnern, dass ich gekränkt war. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich endlich einen Freund hatte, und dass ich ihn schon nach sechs Wochen (mit meiner Jungfernschaft) verlieren sollte, kam dann doch etwas unvermittelt. Ich fühlte mich damals in meinem Körper nicht wohl. Ich empfand mich als unförmig, war übergewichtig und trug eine dicke Brille. Kein Wunder, dachte ich.

Ein paar Wochen später kam er mit einer neuen Freundin in unserer Clique an, und sie war deutlich hübscher, deutlich erwachsener und deutlich klüger.

Tja.

Mir fehlte jegliche Möglichkeit gesunder Kommunikation. Mich mitzuteilen hatte ich nicht gelernt. Ich wusste um Manipulation. Obwohl ich mich nach Wahrheit sehnte. Wenn ich meinen Vater um etwas bitten wollte, instruierte mich meine Mutter zu warten, bis er in guter Stimmung war. Das fand ich nicht richtig, denn ich spürte, dass es nicht mehr um die klare Beantwortung meiner Frage ging, sondern die Zustimmung oder Ablehnung hing nur von der Laune des Vaters ab.

Am Ende meiner ersten Beziehung probierte ich Rache aus. Ich erfand eine Schwangerschaft. Fast jedem Teenager fehlt die Möglichkeit der Voraussicht und das korrekte Einschätzen von Reaktionen, aber so weit war ich dann allerdings schon, um zu wissen, dass bei einer Schwangerschaft auch irgendwann einmal ein Kind kommen muss …

Meine Lügen waren sehr konkret in der Planung, denn zu lügen war ich gewohnt. So musste auch bei der erfundenen Schwangerschaft ein passender Schluss her. Dieses Mal ein überraschender Abgang. Als ich davon traurig erzählte, redeten mir Freundinnen ins Gewissen. Sie glaubten mir nicht.

Was ich daraus erkannte?

Vielleicht sollte ich doch bei so großen Sachen wie Schwangerschaften vorsichtiger mit dem Erfinden sein, und … Rache ist unpraktisch. »Er« nämlich zeigte überhaupt keine Reaktion – zumindest keine, an die ich mich erinnern kann. So hätte ich mir das ganze Drama sparen können.

»Eigentlich« wollte ich nicht lügen. Mein Mund öffnete sich, mein Gehirn schubste etwas nach vorn, und dann kam … die Übertreibung, die Story, eine Aussage, von der ich annahm, dass sie »besser« war als das, was wirklich passierte. Bei der ich mich nicht schämen musste. Etwas, was mehr Eindruck machte. Mich in einem besseren Licht stehen ließ. Mich wichtiger machte. Mir Aufmerksamkeit oder Mitgefühl brachte. Ich spürte eine hohe Dringlichkeit, sofort etwas sagen zu müssen. Ich erkannte aber auch, dass die frühen »Lügen« als Kind mein Versuch waren, mir eine andere, schönere Kindheit herzufantasieren, indem ich zum Beispiel von einem Pferd im Keller erzählte.

Wenn man mir nicht glaubte, war es mir unmöglich, meine Lüge zu korrigieren. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, ertappt worden zu sein. Den Gesichtsausdruck meiner Freundinnen voller Zweifel. Den fragenden, kritischen Blicken, denen ich ausweichen wollte. Das Bemühen, mein Gesicht so hinzuarrangieren, dass man mir glaubte.

Die anderen spürten gelegentlich, dass ich log. Und wenn ich aufgefordert wurde, doch endlich die Wahrheit zu sagen, dann fühlte sich das an, als ob ich mich ausziehen müsste. Ich konnte es einfach nicht zugeben. Da gab es eine enorme innere Blockade. Daraus habe ich Verständnis entwickelt, wie schwer es sein kann, Lügen zuzugeben.

Fragen zur ersten Beziehung

Wie war deine erste Erfahrung? Wenn wir unsere erste Beziehung eingehen, dann ist die erste Liebe ähnlich der zu einem unserer Eltern. Bei mir war es der Vater. Mein erster Freund war ähnlich schweigsam, zurückgezogen und teilte sich nicht mit.

Wie war das bei dir? Hatte deine erste Liebeserfahrung Eigenschaften, die du einem Elternteil zuordnen kannst?

Mutter:

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Vater:

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Andere Erziehungsberechtigte (Patchwork-, Pflegeeltern und so weiter):

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Ich erkannte, dass ich wohl weder interessant noch attraktiv war, weil man mich so schnell verlassen kann. Das entsprach meiner Selbstwahrnehmung. Ich musste also besser werden.

Vor Jahren schrieb ich das Theaterstück »Blütenstaub«, und ich interviewte dazu Frauen und Männer zu ihrer Entjungferung. Ich wollte durch das Theaterstück mehr Aufmerksamkeit darauf legen, wie prägend dieses »erste Mal« ist. Von den befragten knapp hundert Personen war es für ein Drittel ein wunderschönes Erlebnis, ein weiteres Drittel machte gemischte Erfahrungen, und für ein Drittel war es unangenehm bis verletzend.

Einige Frauen hatten zärtliche Jungs, die mit Rosenblättern, dem Lieblingsgetränk und Duftkerzen aufwarteten. Andere harte Vergewaltigungen, nach denen sie erst später erleben durften, dass nicht alle Männer »so« sind. Ein Freund von mir wurde von seinem Vater ins Bordell geschickt – mit zwei Damen, die ihn bedienten. Dadurch hatte er später immer das Gefühl, dass mit nur einer Frau eine fehlte.