Wer nicht lieben will, muss fühlen - Cara Feuersänger - E-Book + Hörbuch

Wer nicht lieben will, muss fühlen Hörbuch

Cara Feuersänger

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Beschreibung

Einmal Glück mit Nordseebrise … Der turbulente Liebesroman »Wer nicht lieben will, muss fühlen« von Cara Feuersänger jetzt als eBook bei dotbooks. Taucht der eigene Freund in fremden Betten auf, ist es Zeit für einen Neuanfang. Nach dem abrupten Ende ihrer Beziehung beschließt Joanne, zu ihrer Cousine Cate nach Hamburg zu ziehen. Vielleicht weht die steife Brise ja den ein oder anderen Traummann herbei? Und womöglich weiß Cate mehr über den Tag, als Joannes Mutter spurlos verschwand und ihre kleine Tochter einfach zurückließ. Doch Joannes Neuanfang hat Startprobleme. Im Dating-Dschungel hangelt sie sich von einer Panne zur nächsten. Und auch die Spur ihrer Mutter verläuft im Sand. Bis ausgerechnet Dating-Flop Chris den Glückskurs wechselt: Der stille IT’ler mit den tiefblauen Augen schlägt einen Segeltörn entlang der Nordseeküste vor. Mit an Bord? Ein ganz besonderes Crew-Mitglied … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der spritzige Nordseeroman »Wer nicht lieben will, muss fühlen« von Cara Feuersänger ist der zweite Roman ihrer »Ankerherzen«-Reihe, in der jedes Buch unabhängig lesbar ist. Fans von Ali Hazelwood und Petra Hülsmann werden begeistert sein. Das Hörbuch und die Printausgabe sind bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:5 Std. 59 min

Sprecher:Carolin-Therese Wolff
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Über dieses Buch:

Taucht der eigene Freund in fremden Betten auf, ist es Zeit für einen Neuanfang. Nach dem abrupten Ende ihrer Beziehung beschließt Joanne, zu ihrer Cousine Cate nach Hamburg zu ziehen. Vielleicht weht die steife Brise ja den ein oder anderen Traummann herbei? Und womöglich weiß Cate mehr über den Tag, als Joannes Mutter spurlos verschwand und ihre kleine Tochter einfach zurückließ. Doch Joannes Neuanfang hat Startprobleme. Im Dating-Dschungel hangelt sie sich von einer Panne zur nächsten. Und auch die Spur ihrer Mutter verläuft im Sand. Bis ausgerechnet Dating-Flop Chris den Glückskurs wechselt: Der stille IT’ler mit den tiefblauen Augen schlägt einen Segeltörn entlang der Nordseeküste vor. Mit an Bord? Ein ganz besonderes Crew-Mitglied …

»Wer nicht lieben will, muss fühlen« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Cara Feuersänger hat eine ausgeprägte Leidenschaft für den Norden und das Meer. Kein Wunder also, dass ihre Figuren bei der Suche nach dem Happy End am liebsten frische Seeluft schnuppern.

Die Autorin bei Instagram: instagram.com/cara_feuersaenger/ und instagram.com/alster.ahoi//

Bei dotbooks veröffentlichte Cara Feuersänger ihre »Ankerherzen«-Reihe mit den Romanen »Gleichung mit zwei Unbekannten« und »Wer nicht lieben will, muss fühlen«; auch als Printausgaben und Hörbücher bei SAGA Egmont erhältlich.

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eBook-Ausgabe Juli 2024

Copyright © der Originalausgabe 2024 Cara Feuersänger und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-137-7

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Cara Feuersänger

Wer nicht lieben will, muss fühlen

Roman, Ankerherzen 2

dotbooks.

Widmung

Für meine »Stegfamilie«

Only Crew Love Is True Love

Kapitel 1

Freitagabend und Feierabend! Dank der angespannten Personalsituation hier im Pflegeheim war es das erste freie Wochenende seit längerer Zeit. Und ich war fest entschlossen, diese Freiheit zu genießen. Zufrieden zog ich das Haargummi aus meinem Zopf, so dass mir die Locken über meine Schultern fielen.

»Joanne? Könntest du noch kurz nach Frau Flanagan schauen? Ein kleines Missgeschick …«, vernahm ich die hektische Stimme meiner sonst recht ausgeglichenen Kollegin Fiona. Ich seufzte nach einem Blick auf die Uhr, die am Ende des Flurs hing. Pünktlich würde mein Feierabend also nicht starten. Aber wenn es ein »kleines Missgeschick« gab, konnte ich mein Team nicht im Stich lassen und unsere Bewohnerin schon gar nicht.

Besonders Frau Flanagan war mir im Laufe der letzten Monate während meiner Aushilfstätigkeit ans Herz gewachsen. Sie trotzte ihrem vierundneunzigjährigen Körper, der von Monat zu Monat weniger leistungsfähig wurde, und freute sich über kleine Erfolge: Wenn sie an guten Tagen noch ein paar Schritte mit ihrem Rollator hinbekam, oder wenn sie sich fit genug fühlte, um eine Weile in der Sonne zu sitzen, dann funkelte in ihren treuen Augen eine echte Lebensfreude.

»Na klar, ich geh nochmal nach ihr schauen«, rief ich Fiona zu und band meine derzeit lilagefärbten Haare unterwegs schnell wieder zusammen.

Das kleine Missgeschick im Zimmer der Seniorin war entgegen meiner Befürchtung überschaubar. Es handelte sich nicht um einen Notfall im Badezimmer, sondern nur um ein heruntergefallenes Essenstablett. Trotzdem war Frau Flanagan ziemlich außer sich und wippte nervös in ihrem Stuhl hin und her. Begleitet von einem sich wiederholenden »Ach Kindchen, es tut mir so leid«.

Dabei musste ihr nichts davon leidtun und sie sollte sich schon gar nicht schlecht dabei fühlen. Behutsam streichelte ich ihre unruhige Hand.

»Ist schon in Ordnung, Frau Flanagan. Ich hebe das auf, und dann besorge ich Ihnen etwas Frisches aus der Küche – und bestimmt finde ich dabei auch noch einen Erdbeer-Nachtisch«, zwinkerte ich ihr zu.

Dabei war es auch für mich ein Moment, in dem ich mir ein paar Tränen verkneifen musste. Es tat weh, die lebensfrohe alte Dame so traurig in ihrem Stuhl sitzen zu sehen und zu wissen, dass ein neues belegtes Brot, ein paar kleine Beilagen und einige Erdbeeren alles waren, was ich heute für sie tun konnte. Schnell bückte ich mich und sammelte das ein, was von dem Tablett unserer Bewohnerin auf den Boden gefallen war.

»Ich bin in wenigen Minuten wieder da, okay?«, murmelte ich noch und trug die Essensreste aus dem Zimmer, bevor Frau Flanagan darauf bestehen würde, dass sie die nun angestaubten Tomaten und Gurkenscheiben trotzdem essen würde.

Bescheiden, wie sie war, hätte sie das sonst vorgeschlagen. Doch sie hatte ein Abendessen in Würde verdient, weshalb ich ihr in der Küche einen neuen Teller zusammenstellte.

»Du bist einfach die Beste!«, kommentierte Fiona, als ich schnellen Schrittes zurück über den Flur huschte.

»Danke, aber ich versuche einfach nur, das hier gut zu machen und …«, wich ich aus.

Hoffentlich wirkte das Abendessen, das ich für Frau Flanagan neu zubereitet hatte, nicht völlig deplatziert. Einen Mund aus Erdbeeren, ein Augenpaar aus Gurken und eine riesige Nase mit einem belegten Salamibrot waren schließlich eher für eine jüngere Zielgruppe geeignet. Deshalb beeilte ich mich umso mehr, um zurück zu meiner Bewohnerin zu kommen, und dort wurden meine kurzen Selbstzweifel schnell von einem breiten Lächeln zerstreut.

»Joanne«, kam von Frau Flanagan, die sich in dem Moment wieder an meinen Namen erinnerte, »das ist wunderbar. Und die Erdbeeren erst. Weißt du, dass ich Erdbeeren so gerne mag?«

Schmunzelnd setzte ich mich neben sie und schaute zu, wie die alte Frau genussvoll die Erdbeeren aß, bevor es an den restlichen Teil ihres Abendessens ging. Als sie mir zum Abschluss die einzig noch übrig gebliebene Erdbeere überlassen wollte, schüttelte ich meinen Kopf und flunkerte etwas von wegen Kreuz-Allergie. Es hätte mir das Herz gebrochen, ihr diese letzte Erdbeere wegzuessen, und ich war froh, dass Frau Flanagan mir die Allergie abkaufte und mit einem zaghaften Lächeln auf ihrem Gesicht das letzte Obststück aß. Ich vergewisserte mich, dass sie satt war, und schaltete den von ihr bevorzugten TV-Sender ein, um das Abendprogramm sicherzustellen, ehe ich mich für diesen Abend von Frau Flanagan verabschiedete.

»Viel Spaß mit der Flimmerkiste und schlafen Sie später gut«, murmelte ich. Wobei sie mich vermutlich gar nicht mehr hörte, weil sie schon längst auf den Fernseher und ihre Telenovela konzentriert war, während ich nun das Tablett mit dem leergegessenen Teller Richtung Küche trug.

»Danke, dass du nochmal eingesprungen bist – ähm, ist alles okay bei dir?«

Mist. Jetzt hatte Fiona mich doch noch erwischt. Ich mochte sie, doch als Leiterin unseres Teams und als Mensch mit einem ausgeprägten Feingefühl entging ihr nur selten etwas – und ich war gerade nicht sonderlich gut darin, mich auf eine solche Unterhaltung einzulassen. Irgendwie fehlte mir dafür der Elan, obwohl ich vorhin noch voller Tatendrang gewesen war und mich so auf mein freies Wochenende gefreut hatte. Das war untypisch für mich. Normalerweise konnte ich viel besser abschalten.

»Na klar, Frau Flanagan ist gut versorgt. Ihr ist nur der Teller runtergefallen, schon gut«, versuchte ich positiv zu bleiben und spürte den kurzen Händedruck auf meiner Schulter.

»Ich weiß, dass ich mich absolut auf dich verlassen kann, wenn es um die Pflege unserer Bewohnenden geht. Mir geht es um dich. Du wirkst seit Tagen so, als bedrücke dich etwas. Ist es wegen der Absage von neulich oder wegen deines Freunds?«

Wenig überzeugend schüttelte ich meinen Kopf. Denn so genau wusste ich ja selbst nicht, was mich davon gerade mehr enttäuschte. Zumal das nicht alles war, was mir Kopfzerbrechen bereitete. Die Absage auf eine lieblos von mir geschriebene Jobbewerbung hatte mich wider Erwarten getroffen. Eine Organisation, die schwer erziehbaren Jugendlichen durch verschiedene Projekte neue Perspektiven aufzeigte, hätte sicherlich von mir profitiert. Und mir hätte diese Arbeit Spaß gemacht. Für solche Themen hatte ich schließlich Soziale Arbeit studiert und meinen Master vor wenigen Monaten abgeschlossen. Trotzdem fühlte es sich momentan falsch an, mich schon auf einen Vollzeitjob festzulegen. Lange genug hatte ich auf meinen Uniabschluss hingearbeitet und nun kam es mir vor, als sei meine Studentenzeit viel zu schnell vergangen, weshalb ich mir mit der Bewerbung bisher kaum Mühe gegeben hatte. Bereute ich meine Schludrigkeit nun? So sicher war ich mir nicht.

»Schon okay mit der Bewerbung. Ich muss eigentlich vorher noch ein paar familiäre Dinge klären und so«, wich ich aus und bemühte mich, mein Gute-Laune-Gesicht anzuknipsen. »Weißt du was, Fiona? Ich habe gerade überhaupt keine Lust auf diese Schlechte-Laune-Themen«, seufzte ich und zuckte mit den Schultern. »Schließlich hilft das kein Stück weiter, und da kommt mir das Wochenende recht. Feiern ist viel besser als Trübsal blasen! Willst du nicht einfach mitkommen? Du könntest nach dieser Arbeitswoche sicherlich auch mal ein bisschen Ablenkung gebrauchen.«

»Höre ich da etwas von Feiern und Ablenkung?«

»Cillian! Bist du auch dabei?«

Diesmal war mein Lächeln aufrichtig. Wenn mein Kollege Cillian, der sich lautlos angeschlichen hatte, mit am Start war, dann konnte aus diesem Abend definitiv etwas werden. Cillian war seit kurzem Praktikant im Pflegeheim, konnte echt gut mit den alten Menschen umgehen und wusste definitiv, wie man einen entspannten Abend verbrachte. Also genau das Richtige in meiner Situation. Sein »Klar bin ich dabei« war daher Musik in meinen Ohren und schnell war der Plan geschmiedet. Wir würden in meinem Lieblings-Pub jenseits der touristischen Viertel starten und uns später ins Getümmel von Templebar stürzen.

»Wir treffen uns also in einer Stunde im Cobblestone, okay? Ich muss nochmal nach Hause und mir Klamotten holen.«

»Klar, das passt!«

»Hört sich gut an, bis später«, bestätigte auch Fiona. »Ach und bringst du deinen ominösen Freund heute endlich mal mit?«

Ich seufzte.

»Zu gern würde ich ihn euch vorstellen, aber er ist dieses Wochenende unterwegs auf einem Kongress.«

Auf welchem Kongress Neil genau war, hatte er mir gar nicht erzählt. Mein Freund war oft unterwegs. Umso schöner war es, wenn ich Zeit mit ihm verbringen konnte. Es war unbeschwert mit Professor Dr. Neil Cronin. Die Ungezwungenheit war genau mein Ding. Bloß dass er das wohl noch mehr schätzte als ich. Seit einem knappen Jahr waren wir zusammen und seit Monaten erinnerte ich ihn regelmäßig daran, dass wir unsere Beziehung nicht mehr verheimlichen wollten. Schließlich war ich jetzt nicht mehr seine Studentin und außerdem hatte ich sowieso nur ein Modul bei ihm belegt. Seit ebenso vielen Monaten wich Neil mir aus, wenn ich auf das Thema zu sprechen kam. Ein Grund mehr, diesen Freitag nicht Trübsal zu blasen, sondern den Abend mit Cillian und Fiona zu verbringen. Auch wenn die beiden nur Teammitglieder waren und ich meine Freunde vermisste, die sich seit dem Uniabschluss in alle möglichen Richtungen verstreut hatten, freute ich mich nun auf diese Ablenkung. Die Aussicht auf das Cobblestone, in dem gute Musik gespielt wurde, und eine anschließende Tour würde nach dem unterschwelligen Frust der letzten Tage bestimmt herrlich sein.

»Also, bis später!«

***

Endlich konnte ich die eintönige Arbeitskleidung auf den Boden meines WG-Zimmers fallen lassen und in ein farbenfroheres Outfit schlüpfen. Mein geliebter roter Cordrock passte meiner Meinung nach hervorragend zu dem Hoodie mit der »The Cranberries«-Aufschrift, deren Musik ich auch Jahre nach Auflösung der Band noch sehr gern mochte. Auch heute wählte ich ein Paar ausgetretene Sneaker dazu. Zwar würden sich ein paar Absätze bei meinen zierlichen 1,63 Meter auch gut machen, doch die waren mir schlichtweg zu unbequem! Kurz streifte ich über meinen Knöchel, über welchem sich mein neustes Tattoo befand: »Stronger«. Auf dem Weg ins Bad hörte ich Stimmen aus dem Zimmer meiner Mitbewohnerin Keeva. Ziemlich eindeutige Stimmen, die mich grinsen ließen. Keeva war nett, studierte Grundschullehramt an meiner alten Uni und gehörte eindeutig der Mauerblümchen-Fraktion an. Lebhafte Flirts waren bei ihr die absolute Ausnahme. Genau genommen konnte ich mich nicht an eine einzige Männergeschichte erinnern, seitdem wir vor einigen Semestern Mitbewohnerinnen geworden waren. Anfangs hatte ich sie ein paar Mal mit zu Unipartys genommen und irgendwann die Tatsache akzeptiert, dass es sich bei uns um den Inbegriff der Zweck-WG handelte. Umso erstaunter war ich deshalb, als es in ihrem Zimmer nun ziemlich wild zugehen musste. Meine Mitbewohnerin hatte also endlich mal richtig Spaß! Ob sie mir später davon erzählen würde? So ein bisschen neugierig war ich ja schon, was es für ein Kerl war, der sie verführte. Vielleicht konnte ich ihr ja ein paar Storys entlocken, überlegte ich, während ich mit meinem Make-up begann. Ich war kein Fan von übertrieben viel Farbe im Gesicht, doch mit einem guten Kajal und genug Wimperntusche funkelten meine Augen wie eine grüne irische Wiese im Sonnenuntergang. Jedenfalls behauptete Neil das manchmal. Vielleicht würde ich ihm nachher ein paar Selfies aus dem Pub schicken und ihn fragen, wann wir uns endlich mal wiedersehen konnten. Wo auch immer er heute bei seiner Konferenz herumschwirrte. Wobei ich das direkt jetzt tun konnte. Lächelnd schnappte ich mir die Ohrringe, die er mir neulich geschenkt hatte, setzte sie ein und zückte mein Handy, um in die Frontkamera zu grinsen. Mit meinen sechsundzwanzig Jahren war ich eigentlich zu alt, um Selfies im Badezimmer zu machen, fiel mir dabei auf. Grundsätzlich waren mir solche Regeln egal, aber möglicherweise gefiel es Neil eher, wenn ich zumindest mein Zimmer als Hintergrund wählte, schließlich war er ungefähr zwanzig Jahre älter als ich – was man ihm sonst nicht anmerkte – und würde einen neutralen Hintergrund sicherlich geschmackvoller finden als die Badezimmerfliesen. Ich war fast schon spät dran, wenn ich mir von Cillian keinen Spruch über meine Unpünktlichkeit anhören wollte, aber so viel Zeit musste sein. Deshalb beeilte ich mich auf dem Weg in mein WG-Zimmer, war unaufmerksam und stieß gegen jemanden.

»Holy shit!«, fluchte ich, als ich einen Ellenbogen zwischen meinen Rippen spürte, und krümmte mich kurz nach unten, während ich versuchte, ein paar tiefe Züge Luft zu holen. Ich sah nackte Männerfüße, Beine und … ein nicht zu verachtendes Exemplar von geballter Männlichkeit, als ich meinen Kopf anhob, während der Schmerz langsam nachließ. Irgendetwas war hier faul, schoss es mir durch den Kopf, als sich der mir ziemlich vertraute Körper abwandte.

»NEIL??!!«

Kapitel 2

»Joanne, hör zu, ich …«, stotterte Neil unbeholfen, während er versuchte, nicht allzu viel von seinem Körper preiszugeben.

Das war an Lächerlichkeit ja wohl kaum zu überbieten! Wir waren seit einem Jahr zusammen und nun schämte sich dieser Mann, mit dem ich zahlreiche ziemlich intensive Nächte verbracht hatte, vor mir. Nichts war übrig von seinem sonst so verschmitzten Lächeln. Normalerweise hatte er diesen sportlichen Surfer-Look, der ihn jünger aussehen ließ als Mitte vierzig. Jetzt stand ein armseliges Würstchen vor mir, feige durch und durch. Mit schwitzigem Oberkörper und angeklatschten strähnigen Haaren. Noch nie hatte mich Neil dermaßen angeekelt. Deshalb konnte ich ihn nur anstarren, war unfähig, irgendetwas zu sagen.

»Das ist nicht so, wie du denkst.«

WUMMS!

Die Ohrfeige hatte gesessen. Fassungslos blickte ich auf meine rechte Hand, die noch mehr zitterte als der Rest meines Körpers. War das gerade wirklich passiert? Noch niemals in meinem Leben hatte ich einem Menschen ins Gesicht geschlagen. Dem erschrockenen Gesichtsausdruck von Neil zufolge hatte ich es soeben getan, entgegen sämtlicher Überzeugung. Tränen der Überforderung bahnten sich stumm ihren Weg über meine Wangen und mein Blick haftete auf diesem Mistkerl. Plötzlich konnte ich nicht anders, ich gluckste kurz auf und fing dann schallend an zu lachen.

»Du solltest dich mal sehen! Wie du da stehst. Du solltest mal in den Spiegel gucken. Du müsstest dich mal selbst angucken«, prustete ich unkontrolliert los. »Du erschrockenes Häschen, das nötig hat, meine Mitbewohnerin zu vögeln, die so spießig ist, dass sie nicht einmal den Weg in einen Pub findet und keine einzige Bar in ganz Dublin kennt!«

»Lass Keeva da raus!«, grollte Neil mit tiefer Stimme.

Wow! So weit waren die beiden schon, dass er sie verteidigte? Vor mir? Ich war diejenige, die versucht hatte, Keeva ein bisschen was vom Studentenleben beizubringen und sie aus ihrem grauen Schneckenhaus zu locken. Dass sie das ausgerechnet nutzte, um mit meinem Freund in die Kiste zu steigen, das war die Höhe. Was um alles in der Welt stellte Neil sich also vor, wie ich reagieren sollte? Zumal die beiden auch noch die Dreistigkeit besaßen, ihr Schäferstündchen hier in dieser WG durchzuführen. Mein kurzer Lachflash ebbte ab und mein Kopf war wie leergefegt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, was ich schreien oder sagen sollte. Die Situation tat fast körperlich weh. Zumindest war ich nach meinem ersten Ausbruch unfähig, irgendetwas zu tun oder mich vom Fleck wegzubewegen. Meinem Impuls, die Wohnung fluchtartig zu verlassen, folgte ich nicht.

Und dann kam Keeva aus ihrem Zimmer geschlichen. Ihre aschblonden Haare waren notdürftig zu einem Dutt hochgebunden. Im Gegensatz zu Neil war ihr Körper verdeckt – mit dem großen blauen T-Shirt, das Neil gehörte. Sie sah aus wie ein kleiner unscheinbarer Geist. Dieser Geist hatte mit meinem Freund geschlafen. Unscheinbarkeit definierte ich üblicherweise anders.

»Wie kannst du es wagen …?!«, fauchte ich zornig in Keevas Richtung. Am liebsten wäre ich ihr an die Gurgel gegangen oder hätte ihr klischeehaft an den Haaren gezogen und mit den Fingern ihren Unterarm zerkratzt. Nur unserem ziemlich schmalen Flur und der Tatsache, dass Neil zwischen uns beiden stand, war zu verdanken, dass uns dieses lächerliche Szenario erspart blieb. Nein, nochmal würde mir die Hand nicht ausrutschen. Ansonsten verdienten die beiden jedoch Klartext:

»Du bist die längste Zeit meine Mitbewohnerin gewesen! Überleg dir schon mal gut, wohin du ziehen willst. Aus guten Quellen weiß ich nämlich, dass die Situation in der Wohnung des Herrn Professor schwierig sein und er da nicht so viel Platz haben soll, um jemanden aufzunehmen!«, donnerte ich los, während mein Blick abwechselnd Keeva und Neil taxierte.

»Ich bin hier die Hauptmieterin«, kam frech von Keeva. »Auch wenn Neils Wohnung durchaus ihren Reiz hat, so gibt es für mich gar keinen Grund, hier überstürzt abzuhauen.«

Bäm!

Dieser Satz traf mich vermutlich härter, als Neil von meiner Ohrfeige getroffen worden war. Ich hatte seine Wohnung während der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal gesehen. Hotelzimmer und Restaurants waren für ihn aufregender gewesen oder der Wochenendtrip an den Ring of Kerry, den wir gemeinsam unternommen hatten. Manchmal war er auch hier gewesen, in dieser Wohnung – ein Zimmer weiter. Es konnte unmöglich wahr sein, dass Keeva sein Zuhause kannte. Oder bluffte sie? Selbst wenn sie das tat, war da keine Spur der Reue. Kein »es tut mir leid«. Immerhin auch kein erbärmliches »das ist nicht so, wie du denkst«. Stattdessen Hohn und Spott von diesem Mauerblümchen und das setzte dem Theater die Krone auf.

»Mir wird schlecht, wenn ich dir zuhöre und wenn ich euch so ansehe«, schluchzte ich auf, auch wenn ich mir diese Blöße nicht geben wollte. »Keeva, tu mir diesen einen Gefallen und verzieh dich auf dein Zimmer, und Neil, zieh dir einfach was an, ich will verdammt nochmal mit dir allein reden, aber nicht so. In fünf Minuten, in der Küche.«

Meine Stimme war jämmerlich und bestimmt nicht überzeugend. Trotzdem entfaltete sie immerhin so viel Wirkung, als dass die beiden in Keevas Zimmer verschwanden. Sekundenlang blieb ich noch wie erstarrt im Flur stehen, war wieder versucht, aus der Wohnung zu rennen, stürzte letztendlich jedoch in mein Zimmer, wo ich mich der Länge nach aufs Bett warf und auf meine unschuldige Decke eindrosch, die so gar nichts für diese Situation konnte. Mit zitternden Händen zerrte ich anschließend die Ohrringe von meinen Ohrläppchen, bloß um sie dann in eine Zimmerecke zu schleudern. Es war okay, wenn sie in dem Klamottenchaos, in das sie hineingeflogen waren, für immer verloren blieben. Was hatte ich mir hingegen bei der Ansage gedacht, in fünf Minuten mit Neil reden zu wollen? Das war eine völlig sinnlose Idee. Ich hatte genug gesehen und gehört von den beiden, was sollten Worte da noch ausrichten? Trotzdem stand ich nach einigen Minuten wieder von meinem Bett auf, wischte mir über die Augen, weil ich Neil nach dieser Erniedrigung nicht noch meine Tränen zeigen wollte. Wobei das dürfte sowieso zu spät sein, denn meine Mascara hatte sich sicherlich längst in alle Himmelsrichtungen verteilt und meine Augen dürften gut gerötet sein. Trotzdem richtete ich mich auf, hob das Kinn an und ging mit entschlossenen Schritten in die Küche. Wider Erwarten saß Neil an dem kleinen Tisch, während von Keeva nichts zu sehen war. Mit verschränkten Armen blieb ich im Türrahmen stehen. Mein Blick glitt über die Küchenzeile, in der Reste eines Auflaufs neben Dessertschälchen und zwei Kerzen standen. Daneben lagen sogar Servietten. Normalerweise gehörten die nicht zu der Ausstattung unserer WG-Küche. Da hatte Keeva richtig Gas gegeben, bemerkte ich und wünschte, ich wäre einfach gegangen. Das war jetzt zu spät, diese Blöße würde ich mir nicht geben.

»Was soll dieser Mist? Du hast monatelang versprochen, dass wir das mit uns offiziell machen, und stattdessen schläfst du ausgerechnet mit meiner Mitbewohnerin?!«

»Ach Joanne, schau dich mal an. Du bist noch immer die Studentin, die du warst, als wir uns … kennengelernt haben. Was hat sich denn seitdem verändert?«

Verachtung sprach aus dem Mund von dem großen Herrn Professor. Woher nun dieser Sinneswandel kam, nachdem er eben noch hilflos gestammelt hatte, war mir ein Rätsel. Offensichtlich verstand ich vieles nicht, was Neil anging.

»Zufälligerweise habe ich im letzten Herbst mein Masterstudium beendet und gar nicht mal so schlecht abgeschlossen. Ich bin keine Studentin mehr. Wir hätten alle Freiheiten gehabt!«

»Du lebst wie eine Studentin. Nach wie vor hast du dir keine feste Arbeitsstelle gesucht und jobbst weiterhin in diesem Pflegeheim, so wie die letzten Semester zuvor.«

»Danke für diese Erinnerung«, grummelte ich. »Es ist eine wertvolle Arbeit, die ich da tue, und ich suche mir eine Stelle, wenn ich bereit dazu bin. Abgesehen davon ist das die denkbar blödeste Ausrede, die dir einfallen kann. Wenn du keine Lust auf eine Studentin hast, ist Keeva eine denkbar ungeschickte Wahl!«

Wieso ließ ich mich überhaupt auf diese Diskussion ein? Und warum rechtfertigte ich mich vor Neil? All diese Fakten hatten nichts mit uns als Paar zu tun – oder als Affäre. Wie man unsere Beziehung bezeichnete, spielte wohl kaum mehr eine Rolle, und was ich für meine Zukunft plante, war mein Ding. Es war mein Leben, es waren meine Entscheidungen. So lange hatte ich darauf gewartet, die jahrelang erlernte Theorie endlich in die Praxis umzusetzen und mit Menschen arbeiten zu können, die meine Hilfe brauchten. Natürlich war das in meinem Nebenjob auch der Fall, aber der war nur ein Übergang gewesen, um mein Studentenleben zu finanzieren. Mir lag es an den Projekten, die Organisationen anboten. Um diese Zukunft hatte ich mich seit meinem Uniabschluss tatsächlich noch nicht gekümmert. Richtig gefeiert hatte ich auch nicht. Eigentlich wäre diese Übergangsphase hervorragend gewesen, um eine Reise zu unternehmen. Mit dem Rucksack quer durch Asien beispielsweise. Oder mich einfach in ein Flugzeug setzen und schauen, wo es mich hintrieb. Denn ich hatte keine Angst vor Kakerlaken, großen Spinnen und liebte das Chaos, das in gemischten Zehn-Personen-Schlafsälen herrschte. Voll von Leuten, die das Abenteuer suchten und für kleines Budget möglichst viel von dieser Welt sehen wollten. Leider war das Abenteuer bislang ausgeblieben und ich hing hier in Dublin fest. So hatte ich mir das ja auch nicht vorgestellt! Trotzdem stand es Neil nicht zu, dass ausgerechnet er mich daran erinnerte.

»Abgesehen davon …«, setzte ich trotzdem zu einer weiteren Rechtfertigung an, »… habe ich meine Mutter noch nicht gefunden. Wie soll ich das tun, wenn ich erstmal fest in einem Job bin und dann mal spontan verreisen muss?«

»Wow, du hast dich ja wahnsinnig ins Zeug gelegt, was diese ominöse Suche angeht«, spottete Neil.

Wie blind ich gewesen war! Ich erkannte meinen Freund – oder nun Ex-Freund – oder Ex-Affäre nicht wieder. Natürlich hatte er auch zuvor ständig alles besser gewusst, egal ob es um Themen an der Uni, Reisen oder ganz simple Alltagsfragen gegangen war. Nur hatte es mich bislang nicht sonderlich interessiert und er hatte es netter, oft mit einem kleinen Witz oder einem Schmunzeln verpackt.

»Du hast keine Ahnung von meiner Familie und die Details gehen dich einen feuchten Dreck an«, stammelte ich.

Was meine Familie betraf, hatte ich glücklicherweise auf mein Gefühl gehört und Neil nicht sonderlich viel von dieser Suche erzählt. Leider hatte er, was diesen Punkt anging, jedoch recht. Viel erreicht hatte ich in den letzten Monaten nicht. Auch wenn ich viele anstrengende Gespräche mit meinem Vater geführt hatte. Von diesen wusste Neil jedoch nichts und jetzt würde ich ihm garantiert nicht mehr davon berichten.

»Dieser Tonfall ist nicht in Ordnung, junge Dame.«

»Was bildest du dir ein, so mit mir zu reden?! Hier ist sowieso überhaupt nichts mehr in Ordnung – alter Mann!«

Noch immer war ich wie im Türrahmen festgewachsen und starrte Neil an. Sämtliche Wörter und Rechtfertigungsversuche waren zwecklos, so wie ich es zuvor schon geahnt hatte. Er würde mir nur weitere Vorwürfe machen, die meinen persönlichen Weg anbelangten und mit uns beiden überhaupt nichts zu tun hatten. Auf eine Entschuldigung würde ich vergeblich warten und was interessierte mich noch eine Begründung? Wollte ich überhaupt wissen, wie das mit Keeva losgegangen war? Abgesehen von verlogenen Streitereien war dieses Unterfangen auf jeglicher Ebene gescheitert und gerade diese Konstellation tat verdammt weh. Den Menschen, den man liebte, derart zu hintergehen, das war für mich ein No-Go und Neil hatte mir diese Liebe vorgespielt. Ich hatte ihn geliebt und war auf ihn reingefallen. Eine Tatsache, für die ich mich nun fast schämte. Wie hatte ich bloß so naiv sein können? Ich passte sonst keineswegs in das Bild einer naiven jungen Frau. Offensichtlich war mir der Glaube an das Gute im Menschen jedoch in diesem Fall zum Verhängnis geworden. Ich hatte die von mir so verabscheute rosarote Brille aufgesetzt und Neil vertraut. Der wollte schon wieder ansetzen, irgendetwas zu sagen, aber mit einem eiskalten Blick brachte ich ihn zum Schweigen.

»Ich will Keeva und dich nie wiedersehen. Es ist aus und vorbei«, sprach ich das aus, was ohnehin offensichtlich war.

Doch so war immerhin ich diejenige, die dieses letzte bisschen Ehre in dieser unwürdigen Situation behielt. Schwungvoll drehte ich mich um und versuchte, das Brennen in meinen Augen zu ignorieren. Neil versuchte nicht einmal, mich aufzuhalten. Natürlich nicht. Zittrig huschte ich in mein Zimmer. Während meine Klamotten wild durcheinanderlagen, hatte Neil ein kleines Fach meines Kleiderschranks belegt. Fein säuberlich lagen einige Kleidungsstücke und sein Waschbeutel dort. Ich unterdrückte meinen Impuls, mit diesen Dingen zurück zur Küche zu laufen und sie ihm um die Ohren zu donnern. Stattdessen warf ich das Päckchen unkommentiert in den Flur, ehe ich meine Tür von innen abschloss. Während ich noch unschlüssig und überfordert in der Raummitte stand, vibrierte mein Handy. Cillian versuchte, mich telefonisch zu erreichen. Mist, ich war zu spät. Wobei das an einem solchen Tag auch nichts mehr ausmachen durfte.

*Sorry, es gab eine Verzögerung. Komme später.*

Schnell versendete ich die Nachricht, statt ihn zurückzurufen. Ich brauchte jetzt erstmal eine Pause, bevor ich wieder mit anderen Menschen sprechen konnte. Andererseits war meine Entscheidung somit gefallen, denn später anzukommen bedeutete eben nicht, gar nicht zu unserem vereinbarten Treffen zu gehen. Richtig gut fühlte sich das nicht an. Hier zu Hause wollte ich trotzdem nicht bleiben, und Fiona und Cillian würden mir bestimmt zuhören und mich vielleicht ein bisschen ablenken können. Außerdem brauchte ich dringend jemanden, um über ein paar konkretere Ideen zu sprechen. Denn wenn ich nicht länger hier mit Keeva zusammenwohnen wollte, dann musste ich eine neue Unterkunft finden. Da Dublin eine beliebte Stadt war, brauchte man viel Glück, um schnell eine neue Unterkunft zu finden, die idealerweise auch noch irgendwie bezahlbar war. Oder man benötigte gute Kontakte. Vielleicht hatten die beiden ja eine Idee und kannten jemanden, bei dem ich vorübergehend unterkommen konnte.

Seufzend suchte ich meine Sachen wieder zusammen, warf den nötigsten Kram in meinen kleinen Rucksack, schminkte mich mit ein paar Tüchern ab und trug zumindest Kajal und Mascara neu auf, um nicht gänzlich zerlegt auszusehen.

Hoffentlich würde der Spaziergang zum Cobblestone ausreichen, um nachher wieder ein bisschen frischer zu wirken und einen klaren Kopf zu bekommen.

Kapitel 3

Es war ein lauer Juniabend und der hatte zur Folge, dass halb Dublin auf den Beinen war. Ein Umstand, der mir an einem normalen Freitagabend gefallen hätte. Zumal frühsommerliche Abende derzeit Mangelware waren und es schön war, endlich mal wieder ohne Jacke rausgehen und das Leben entspannt genießen zu können. Allerdings wollte ich jetzt keinem mehr begegnen, aber das war natürlich ein unmögliches Unterfangen, wenn ich gleichzeitig am Liffey entlanggehen wollte. Um zumindest ein bisschen ungestörter zu sein, wechselte ich schon bei der O’Connell Bridge das Flussufer. So konnte ich vermeiden, quer durch die Menschen- und Touristenmassen in Templebar zu laufen. Mitten auf der Brücke blieb ich stehen, um einem Straßenmusiker zu lauschen, und lehnte mich mit meinen Ellenbogen auf das Brückengeländer. Unten auf dem Wasser herrschte reges Treiben. Zwei Boote der Flussrundfahrt fuhren aneinander vorbei und weiter in Ufernähe paddelten einige Menschen mit ihren Kajaks. Ein Stück weiter hinten wurde ein Hausboot abgeschleppt, das seine besten Tage längst hinter sich hatte. Nachdenklich starrte ich auf den Rumpf, der vor vielen Jahren sicherlich strahlend türkis gewesen war. Nun war die Farbe an vielen Stellen abgeplatzt und lauter rostige Flecken zierten das Boot stattdessen. Eine Glasscheibe war zerbrochen. Überhaupt sah das gesamte Hausboot so kaputt aus, wie ich mich in diesem Moment fühlte. Zittrig wischte ich mir übers Gesicht. Hatte ich schon wieder angefangen zu weinen? Es musste wohl so sein, denn der irische Regen blieb heute aus. Nicht einmal das Wetter zeigte sich solidarisch und weinte gemeinsam mit mir.

»Jetzt übertreibe ich«, seufzte ich vor mich hin.

Neil hatte keine einzige weitere Träne von mir verdient. Schlimm genug, dass ich ihm meine Zeit geschenkt hatte und nun tief gefallen war, was diese Möchtegern-Beziehung anbelangte. Mehr Beachtung sollte ich diesem Mann nicht schenken, aller Enttäuschung und aller zerbrochenen Hoffnungen zum Trotze. Es war vorbei. Wahrscheinlich würde ich noch ein paar Tage brauchen, um das, was heute passiert war, zu realisieren. Unbestritten war Neil bereits jetzt Geschichte. Ein kurzer Fehltritt in meinem Leben, der mich nicht weiter beschäftigen sollte. Was half es schon, der Vergangenheit nachzuheulen? Vielleicht war die Wut auf ihn und die Enttäuschung sogar ein guter Antrieb. Anders als das kaputte Hausboot da unten würde ich mich nicht aufgeben. Ich sollte anfangen, die Suche nach meiner Mutter zu intensivieren, und dann schauen, wohin es mich treiben würde, anstatt mich weiter hängen zu lassen. Entschlossen wischte ich die Tränen aus meinen Augen weg und drehte mich um in Richtung des Straßenmusikers. Ich warf ihm ein zaghaftes Lächeln zu und machte mich zügiger als zuvor auf den Weg. Denn wenn ich Fiona und Cillian nicht völlig verärgern wollte, sollte ich nun einen Schritt zulegen.

***

Schon außerhalb meines Lieblingspubs Cobblestone war die Musik zu hören, die ich so liebte. Lachende Menschen und viele Unterhaltungen mischten sich zwischen die traditionellen irischen Klänge. Verschiedene Flöten, Geigen und eine Harfe hörte ich heraus, demzufolge war die Music-Session des Abends bereits in vollem Gange. Vermutlich würden die Musiker und Musikerinnen weit bis nach Mitternacht spielen. Alle waren willkommen und die Instrumente fanden nach und nach zusammen zu bekannten irischen Liedern und Melodien. Automatisch wippte ich mit meinem Fuß mit, als ich mich zunächst an den Rand des Geschehens stellte und die Musik auf mich wirken ließ. Die Atmosphäre entspannte mich. Früher hatte ich häufiger an Music-Sessions teilgenommen und die bekannten Lieder gesungen. Jetzt war die Rolle als Zuhörerin für mich genauso schön.

»Welch Überraschung, du bist auch hier?«, vernahm ich plötzlich eine grinsende Stimme.

Cillian hatte sich den Weg zu mir durchgebahnt und zog mich direkt mit weiter hinten in eine Ecke, in der Fiona einen kleinen Tisch freihielt. Frisch gezapftes Guinness stand auch schon bereit. Den leeren Gläsern zufolge hatten die beiden schon ohne mich losgelegt, was ich ihnen nicht verübeln konnte. Ich war fast anderthalb Stunden später als vereinbart angekommen.

Fiona hob ihr Glas:

»Slàinte!«

»Slàinte!«, kam gleichzeitig von Cillian und mir, bevor wir anstießen und einige Schlucke tranken.

»Und welche deiner legendären Verzögerungen hat es denn heute gegeben?«

»Ach, lasst uns erstmal etwas trinken. Außerdem habe ich tierischen Hunger, fällt mir ein«, lenkte ich ab.

Das mit dem Hunger stimmte. Seit meiner Mittagspause heute hatte ich gar nichts mehr gegessen und das Sandwich war nicht gerade reichhaltig gewesen. Da passte es gerade perfekt, einen Dublin Coddle zu bestellen, auch wenn der saftige Eintopf aus Würstchen, Bacon, Kartoffeln und einer würzigen Biersoße sonst eher an kalten Tagen beliebt war. Jetzt war er hingegen auch perfekt, und während ich es mir schmecken ließ, machten die beiden anderen einige Scherze, die ich nur am Rande verfolgte, wohl wissend, dass ich mich nicht den ganzen Abend lang aus der Unterhaltung ausklinken konnte.

»Was hast du gesagt?«, nuschelte ich, als Fiona mich anstupste.

»Du guckst so grimmig. Was ist denn los? Vorhin war noch alles okay, dann schreibst du was von Verzögerung und sprichst jetzt gar nicht mehr mit uns. Ist irgendetwas passiert nach Feierabend?«

»Ich hatte Stress mit meinem Freund«, murmelte ich und korrigierte mich direkt: »Ex-Freund.«

Dieser Unterschied war elementar wichtig, auch wenn es mir nicht passte. Leider hatte ich damit das Interesse der beiden geweckt.

»Hast du vorhin nicht etwas von einem Kongress erzählt, auf dem er ist?«

»Was ist denn so plötzlich passiert?«

Es half wohl nichts, ich würde die Geschichte nicht totschweigen können. Dabei gab es viele andere Dinge, die gerade wichtiger waren als Neil Cronin.

»Ich dachte ja auch, dass er auf einem Kongress sei. Das war die offizielle Ansage. Dass er auf einmal zu Hause nackt vor mir steht, war dann eine unerwartete Überraschung.«

»Gibt Schlimmeres als unverhofften Sex.«

»Mensch, Cillian«, warf Fiona augenrollend ein.

»Kommt drauf an, wie man die Sache sieht. Wenn er scharf auf mich gewesen wäre, hätte ich darüber möglicherweise anders geurteilt. Aber die Tatsache, dass der Herr Professor es vorgezogen hat, mit meiner Mitbewohnerin zu schlafen, wirft ein anderes Licht auf den Sachverhalt.«

»Professor?? Dein ominöser Freund …«

»Ex-Freund!«

»Dein Ex-Freund ist Professor?!«

»Jupp. Und wenn ihr es genau wissen wollt. Er ist knapp zwanzig Jahre älter als ich und ich hatte ein Seminar bei ihm, weshalb er unsere Beziehung erst nach meinem Masterabschluss öffentlich machen wollte. Er hat fachlich was drauf und performt leider himmlisch im Bett, scheint an anderer Stelle aber auch nicht gerade kopfgesteuert unterwegs zu sein und deshalb ist er die längste Zeit mein Freund gewesen. Braucht ihr noch weitere Details oder passt das so weit?«

Es tat mir leid, die beiden nun mit dieser Laune zu behelligen. Aber was war schon dabei, dass Neil ein Professor war. Irgendeinen Job mussten Menschen schließlich machen und es hatte mir keinen Vorteil an der Uni gebracht, weshalb ich mir Luft machen musste:

»Jedenfalls kann ich mir jetzt eine neue Wohnung suchen, weil ich keinen Tag länger mit Keeva in einer WG wohnen werde und schon unverblümt darauf aufmerksam gemacht wurde, wer die Hauptmieterin ist. Abgesehen davon fehlt mir ein Vollzeitjob und ich muss ein paar familiäre Dinge klären. Beides ist wichtiger als dieser Mistkerl.«

Cillian hatte während meines Schimpfens irgendwoher Schnaps besorgt, den er uns nun hinhielt. Wozu brauchten wir jetzt Schnaps?