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Seit über 15 Jahren treiben "Heimo vom Kunstdüngerschuppen" und seine skurrilen Jägerfreunde den Lesern der WILD und HUND die Lachtränen in die Augen. Im Gasthaus "Grüner Baum" regelmäßig die Jägerwelt rettend, haben die Originale längst Kult-Status erreicht. Lutz G. Wetzel hat nun die besten Erzählungen aus seiner Erfolgsserie "Wetzels Landleben" zusammengestellt. Brillante Cartoons von Jörg Mangold runden das Werk ab.
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Seitenzahl: 253
Inhalt
Vorwort
Mäuselnder Jungjäger außer Kontrolle
Wenn das Handy dreimal klingelt
Der Hubertus-Fluch
Dem Moped-Mörder auf der Spur
Baujagd mit Lagerfeld
Der Frischling in der Joggingbluse
Heimos wildester Ritt
Die Wühlmaus-Safari
Es geschah im Kuschelwäldchen
Jetzt kommt das Bio-Reh
SOKO Fallobst
Nur die Morcheln waren Zeuge ...
Tarzan und die Entenschärfe
Ein Keiler mit vier Pinseln
»... dann stirbt das Schweinchen«
Der eiserne Richter
Eine Frage der Ehre
Gefangen auf der Birkenleiter
Tod der Gurkenschnepfe
Lehrer Warmbeins Büffelwürger
Adventskalender für Wildschweine
Die Hose des Grauens
Der Försterzipfel
Der Grabfrevel
Neues vom Bratwurst-Retriever
Das Wildschweinseminar
Nur eine Scheibe Presskopf ...
Bumm, bumm, mein Schweinchen
Maunzi und seine Freunde
Oldenburger Pichelfieber
Heilschlaf für Nesträuber
Heute kocht Papi
Turbo-Dieter wundert sich
Neulich an der Katzenklappe
Tatort Kalter Grund
Gegrillte Fuchsrippchen
Wölfchens Wanderungen
Der Ehrenhirsch
Die Unterhosen-Theorie
»Onkel Bernd« ist wieder da
Opas Repetierer
Der fliegende Jägermeister
Rehe aus Bodenhaltung
Der Keiler auf dem Gnadenhof
Der Jagdmops
Die Bärenglatze
Der Krähenpapi
Das Claudia-Schiffer-Denkmal
Das Dingens mit dem Bumspunkt
Die Kirrungskatastrophe
Der geklaute Jägerwitz
Randale im SUV
Deutschland sucht den Supertreiber
Wenn das Reh Rücken hat
Förster in Gefahr
Die Schwiegermutter im Geisterhaus
Spurensuche im Schweinetaxi
»Kau und Schmatz« am Hundeplatz
Die Katzenpolizei
Mord durch Arschbombe
Wenn der Igel leise raschelt
Der Lohhäuser ist an allem schuld
Der Krieg ums Mettbrötchen
Veggie-Day für Wölfe
Der Karpatenblatter
Das Wunder vom Kunstdüngerschuppen
Vorwort
Der deutsche Jäger ist eine Lebensform, die vielen Menschen rätselhaft und verschlossen erscheint. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass er die Jagd nicht auf belebten Plätzen, bei Partygesellschaften und im Rahmen festlicher Events ausübt, sondern sich in die Waldeinsamkeit zurückzieht, mit seinem Schöpfer dort um die Grundfragen des Lebens ringt und im ernsten Zwiegespräch mit der Natur steht. In den letzten Jahren haben mich als des Schreibens halbwegs kundigen und gelegentlich auch nachdenklichen Waidmann deshalb immer wieder Menschen gefragt: »Wie ist der deutsche Jäger denn wirklich?«
Darauf eine Antwort zu finden, ist schwierig, denn Jäger entziehen sich solchen indiskreten Nachforschungen, indem sie noch heimlicher werden, lange in ihren Einständen verweilen und diese erst sehr spät und nach Einbruch der Dunkelheit verlassen. Nur langsam werden sie vertraut und gestatten dem Fremden Einblicke in ihre interessanten Lebensgewohnheiten und in ihre erstaunliche Gedankenwelt.
Ich habe nach solchen Begegnungen meine Beobachtungen ohne den Anspruch wissenschaftlicher Gründlichkeit aufgezeichnet. Es können deshalb nur Annäherungsversuche sein, das Wesen des deutschen Jägers in seiner fein verästelten Vielgestaltigkeit und in seinen zarten Ausprägungen darzustellen. Vielleicht sind diese Betrachtungen trotzdem geeignet, einiges von dem Dunkel zu erhellen, mit dem sich dieses scheue Mitgeschöpf umgibt. Möge dieses Buch dem Leser den deutschen Jäger näherbringen und zu seinem nicht immer leichten Verständnis beitragen!
Großenkneten, im September 2015 Lutz G. Wetzel
Mäuselnder Jungjäger außer Kontrolle
Fuchsfieber. Ein Härtefall
Jungjäger Hülsebeck liegt in der Kreisstadt im Krankenhaus. »Heilschlaf«, sagen die Ärzte, und am Stammtisch vom »Grünen Baum« muss besonders oft mit »Altem Lohhäuser« auf die rasche Genesung von Jungjäger Hülsebeck angestoßen werden.
Gastwirt Steffens ist an allem schuld. Er hatte nämlich im Frühjahr bei einer ausgiebigen Zusammenkunft der Jägerschaft anlässlich wichtiger Themen des deutschen Waidwerks zu später Stunde im Spaß zu Jungjäger Hülsebeck gesagt, er erinnere nur beiläufig an das alte, eherne Waidmannsgesetz, wonach man auf den ersten Bock nur dann waidwerken dürfe, wenn man zuvor einen Fuchs gestreckt habe.
Jungjäger Hülsebeck saß von da an in jeder freien Minute auf den Fuchs an. Erst hoffnungsvoll vergnügt an lauen Sommerabenden am Rand frisch gemähter Wiesen. Dann, von zunehmend finster entschlossener Passion erfüllt, nachts bei Vollmond. Später dann verzweifelt fröstelnd um vier Uhr früh im Morgengrauen an der alten Fuchsburg. Vergebens. Woche um Woche verstrich ohne Waidmannsheil.
Ungezählte Maulwurfshaufen wurden von ihm mit Schrotgarben atomisiert, weil sie sich in der Dämmerung in schnürende Füchse verwandelten. Feldhasen konnten nur durch unermüdliches Kegeln tödliche Verwechslungen vermeiden. Bauer Brockmann nahm aus ähnlichen Gründen sicherheitshalber seinen Fuchswallach von der Weide. Kitze durften sich nur in Begleitung Erziehungsberechtigter aus der Dickung wagen. Aus Ampferstauden wurden im letzten Büchsenlicht wimmelnde Gehecke, die mit Kaliber .22 beflammt wurden.
Jungjäger Hülsebeck legte einen Luderplatz von solchen Ausmaßen an, dass die Gewerbeaufsicht wegen des Verdachts eines illegalen Abdeckereibetriebs ermittelte. Hülsebeck quäkte nachts im Schlaf die Todesklage des Hasen, sodass seine entsetzte Mutter ihn mit Weihwasser besprengte, weil sie dachte, der Leibhaftige habe ihn in seinen Klauen. An seinem Arbeitsplatz im Kalksandsteinwerk konnte man Jungjäger Hülsebeck nur mit Mühe davon abbringen, nach den Worten »Fuchs kann immer kommen« die Flinte mit auf den Gabelstapler in die Lagerhalle zu nehmen. Er keckerte auf dem Abtritt und legte mit einem Brathähnchen Schleppen durch fremde Ziergärten und Treppenhäuser. Was immer an alten und neuen Fuchslockmitteln auf dem Markt zu erhalten war, wurde von ihm ausgestreut, sodass es im Revier roch wie auf einem orientalischen Basar in der Nähe des Männer-WCs.
Als die Dame Lara aus dem Etablissement »Bel Ami« mit ihrem Yorkshire-Terrier über die Dorfstraße wandelte, strich Jungjäger Hülsebeck die Hornet an der Fußgängerampel an und nur durch beherztes Eingreifen von Landmaschinenmeister Strübecke konnte eine jagdliche Tragödie vermieden werden. Vom Fuchsfieber gepackt, wurde Jungjäger Hülsebeck zu einem hochgradig passionierten Waidmann, aber er vernachlässigte dabei die Pflicht zur genauen Ansprache des Wildes. Und als sich eines Abends im »Grünen Baum« ein quartiersuchender, müder Reisender mit Namen »Reinecke« vorstellte, erhob sich Jungjäger Hülsebeck lautlos von seinem Platz, die Augen vom Wahn umflort, blutunterlaufen und den Solinger Stahl zum Abnicken in der Faust.
Die Jägerschaft beschloss daraufhin, Gastwirt Steffens grässlichen Scherz aufzuklären und Hülsebeck auch ohne Fuchs zur Bockjagd zu schicken.
Aber der vom verschärften Fuchsfieber Befallene fand sich vorerst nicht wieder in der Welt zurecht. Der Heilschlaf im Kreiskrankenhaus soll ihn nun kurieren. Gastwirt Steffens hat ihn am Nachmittag besucht. »Na, geht᾿s ihm denn besser?«, fragte Landmaschinenmeister Strübecke besorgt. »Nein«, antwortete Steffens betrübt. »Er mäuselt noch im Traum.«
Wenn das Handy dreimal klingelt
Mit Mobiltelefon auf dem Ansitz
Zahnarzt Jochimsen geht nur noch mit dem Handy ins Revier. Seit neulich seine Aktien blitzartig abgestürzt sind, hört er stündlich die Börsenkurse ab und grämt sich über die neu entstandenen Verluste.
Seine Mitjäger nehmen eifrig Anteil an diesem gehobenen Informationsbedürfnis und schicken ihm aus lauter Bosheit unwichtige Nachrichten: Landmaschinenmeister Strübecke meldet, wenn bei ihm eine Mistforke oder ein Güllefass günstig zu haben ist. Schlachter Ahrens teilt ihm ins Revier mit, dass Schälrippchen preiswert sind und Heimo vom Kunstdüngerschuppen gibt eilends durch, wenn ihm endlich wieder die Melodie von »Fiesta Mexicana« eingefallen ist. Gastwirt Steffens sagt eben Bescheid, wenn die Brauerei neue Bierdeckel geschickt hat und Dorfpolizist Immerblau berichtet von einem versuchten Fahrraddiebstahl im Wiehengebirge. – Zahnarzt Jochimsen kommt auf der Kanzel nicht zur Ruhe.
Vor einiger Zeit ergab es sich dabei, dass ihm beim Bockansitz der sehr starke, heimliche, ungerade Achter aus dem Nachbarrevier zustand, gerade als ihn Heimo am Telefon fragte, ob man selbstgebrauten Jagdkönig mit Viagra mischen könnte. Zahnarzt Jochimsen konnte nach dem Auflegen den Bock nur noch ansprechen und die Büchse einstechen, bevor er absprang. Seit drei Jahren träumten die Waidgesellen im weiten Umkreis davon, diesen Bock einmal vorzubekommen.
Tage später schnürten zwei Jungfüchse vor die Kanzel, als Gastwirt Steffens ihm eben telefonisch durchgab, dass Witwe Lührs gerade beim Frisör war. Die Füchse äugten eine Weile interessiert zu dem verzweifelt sein Handy knetenden Waidmann und zogen dann gemächlich weiter. Wütend schickte Zahnarzt Jochimsen ihnen eine doppelte Ladung »Waidmannsheil« hinterher. Daraufhin sprang ein Marderhund aus einem Holunderbusch unmittelbar vor der Kanzel und ging im eiligen Troll ab. Zahnarzt Jochimsen wollte schon das Handy nach ihm werfen, aber das klingelte gerade, weil ihm Schlachter Ahrens dringend einen Witz aus der Metzgerzeitung vorlesen musste.
Es kam der Abend, an dem Zahnarzt Jochimsen auf den Damhirsch ansaß. Heimo vom Kunstdüngerschuppen schickte eine Nachricht und gab durch, dass in selbstgebrauten Jagdkönig eingelegte Rindswürstel nach Lakritzkonfekt schmecken. Da brach es rechts neben der Kanzel und ein Hirsch vom mindestens siebten Kopf mit Brettern wie Schneeschieber zog auf zwanzig Meter breit vorbei. Zahnarzt Jochimsen mahlte mit dem Unterkiefer, dass seine Jacketkronen fast zerbarsten. Zu spät nahm er den Repetierer hoch. Denn da zog der Hirsch schon eilig in den Erlenbestand von Jagdnachbar Harry Weidloch. Kurz darauf fiel aus der Richtung ein Schuss.
Zahnarzt Jochimsen beschloss, nie wieder bei der Jagd zu telefonieren. Er verschenkte das Handy an Heimo vom Kunstdüngerschuppen und wollte Rache nehmen. Sobald Heimo im Revier war, rief er ihn an. Aber Heimo saß auf der Leiter im Krähenbusch und ließ das Handy klingeln. Zehnmal. Zwanzigmal. Da baumte ein Bussard neben ihm auf und verdrehte den Kopf in Richtung Handygepiepse. Ein Dachs kam aus dem Bau geschloffen und kegelte interessiert zu Heimo hinauf. Plötzlich sprengte der legendäre ungerade Achter aus dem Nachbarrevier heran, stand breit und lag zwei Sekunden später. Heimo konnte das Gespräch danach annehmen, Zahnarzt Jochimsen Bericht erstatten und ein knurriges »Waidmannsheil« entgegennehmen.
»Das Handyklingeln lockt das Wild an«, verkündete Zahnarzt Jochimsen beim nächsten Stammtisch im »Grünen Baum«. »Das Handy ist ein Superlocker. So einen Anlauf wie beim Telefonieren auf der Kanzel hatte ich noch nie. Bei Heimo hat es auch funktioniert.«
Und beim nächsten Mittagsansitz in der Damhirschbrunft hatte er wieder ein Handy dabei. Es klingelte prompt. Es war seine Sprechstundenhilfe. Sie weinte.
»Hier sind drei Herren vom Finanzamt. Die wollen alle Akten mitnehmen. Und die möchten Sie auch dringend einmal sprechen. Die Bankkonten sind alle gesperrt. Auch das in Luxemburg.«
Verbittert und in Weltschmerz erstarrt, schaute Zahnarzt Jochimsen dem starken Überläuferkeiler in die Lichter, der von unten neugierig zu ihm hochblinzelte und dann geschäftig seiner Wege zog. Minuten später fielen in diesem Revierteil drei Schüsse. Zweimal Schrot und einmal Kugel. Spaziergänger wunderten sich tags darauf über ein Handy, das in nahezu atomisiertem Zustand auf dem Waldweg nahe einer Jagdkanzel lag.
Der Hubertus-Fluch
Das Drama auf der Schweineleiter
Der »Blutige Rudi« spielt jetzt Golf. Sogar ganz passabel, wie zu hören ist. Am Jäger-Stammtisch vom Grünen Baum trinkt man deswegen in letzter Zeit öfter mal eine Extrarunde vom Alten Lohhäuser. Und es wird dabei ein besonderes Horrido auf Heimo vom Kunstdüngerschuppen ausgebracht. Wie es dazu kam?
Der Blutige Rudi hatte sich vor einigen Monaten überraschend im Nachbarrevier eingeschoben. Die kleine Bultmann᾿sche Eigenjagd war plötzlich freigeworden, und er hatte sie handstreichartig übernommen. Rudi ist Chefarzt im Kreiskrankenhaus. In keinem Revier ist er gerne gesehen. Rudi hält drauf. Bei der Ausübung des Weidwerks ist er ständig von Geschützlärm und von Pulverdampf umgeben, und wenn er auf Drückjagden eingeladen ist, benötigt er ein Nachsuchengespann für sich alleine. Er rollt in maßgeschneiderter englischer Jagdkleidung durchs Revier und seine Taschen hängen stets schwer von gefüllten Ersatzmagazinen.
Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis Landmaschinenmeister Strübecke zwei angeschweißte Überläufer fand, Schlachter Ahrens eine verendete führende Bache und Heimo ein Kitz mit Laufschuss. Die Stücke konnten nur aus dem Revier vom Blutigen Rudi gekommen sein. Krisensitzung im Grünen Baum. Heimo vom Kunstdüngerschuppen legte ein ausgefeiltes strategisches Konzept vor. Jungjäger Hülsebeck und Schlachter Ahrens mussten ihm bei der Verwirklichung assistieren. Geheime Kommandosache. Aber innerhalb von zwei Wochen sollte die Bultmann᾿sche Eigenjagd wieder befriedet und der Blutige Rudi vertrieben sein.
Es begann damit, dass Rudi beim ersten Mond von seiner Schweineleiter an der Kirrungsschneise zahlreiche Schüsse auf Schwarzwild abgab. Tags darauf begab er sich wehklagend zu Waffenhändler Raffke, um seine Büchse einschießen zu lassen. Kein Stück habe gelegen und nicht ein einziges Mal habe er Schweiß gefunden, sagte Rudi. Acht Schuss, gut abgekommen, und kein Tropfen Schweiß. Unglaublich, so was. Raffke empfahl ihm eine neue Ferlacher Doppelbüchse, ein anderes, viel größeres Kaliber und ganz neue Schweinemunition. Und dazu eine komplette neue Goretex-Ausstattung. Der blutige Rudi nahm das Angebot an.
Nachts darauf donnerten aus Richtung von Rudis Schweineleiter gewaltige Kanonaden. Im Altenheim »Abendfrieden« stand der pensionierte Oberst Lauritzen neben dem Bett stramm, weil er glaubte, Feldmarschall Hindenburg sei auferstanden und die Schlacht von Tannenberg würde wiederholt. Mit lautem »Hurra!«, die Unterarmgehhilfe im Anschlag, trieb er die Nachtschwester in den Sozialraum.
Der Blutige Rudi kehrte am anderen Morgen mit rot umränderten Augen in den Grünen Baum ein. Mindestens fünfzehn Stücke Schwarzwild habe er in der Nacht auf vierzig, fünfzig Meter vorgehabt, klagte er. Etliche Dutzend Schuss abgefeuert, auf jedem Stück gut drauf gewesen – und nichts. Keine Beute. Kein Tropfen Schweiß. Unglaublich. Unfassbar. Rudi nahm starke Beruhigungsmittel mit einem Wasserglas voller Weinbrand ein und bat zusätzlich Pastor Hühnchen um geistlichen Beistand.
Waffenhändler Raffke riet ihm zu dem neuen Blitzrepetierer von Huster mit dem speziellen Mondschein-Absehen aus den USA und Fünfzig-Schuss-Magazin. Und natürlich dazu eine professionelle Teflon-Ausstattung mit Filzstiefel-Protector-Optimierung. Das tragen sonst nur die erfolgreichen Berufsjäger. Rudi ließ sich überzeugen.
In der folgenden, mondklaren Nacht dröhnten immer wieder mörderische Salven aus der Richtung von Rudis Schweineleiter. Oberst Lauritzen im Altenheim weckte alle Insassen und erklärte feierlich, die sechste Armee unter General Paulus befreie sich soeben aus dem Kessel von Stalingrad. Die Insassen brachen in euphorische Hurra-Rufe aus und schwenkten die Gläser mit den Gebissen. Die Nachtschwester schloss sich in den Sozialraum ein.
Im Morgengrauen schleppte sich der Blutige Rudi durchs Dorf. Waffe und Rucksack schleifte er hinter sich her. Ein gebrochener Mann. Über hundert Schuss. Keine Beute. Kein Schweiß. Kein Schnitthaar. Nichts. Gastwirt Steffens eilte ihm mit der Weinbrandflasche entgegen.
»Sie müssen wissen ...«, flüsterte er dem Blutigen Rudi beflissen ins Ohr, »ganz vertraulich ... der Hubertus-Fluch ... unheimliche Dinge geschehen in dem Revier ... eine Bluttat aus alter Zeit ... ich darf eigentlich nicht darüber sprechen ...«
Wenig später stand die Bultmann᾿sche Eigenjagd zur Neuverpachtung an und der Blutige Rudi spielt fortan eben Golf. Im Grünen Baum wurde öfters mal eine Extrarunde vom Alten Lohhäuser eingeschenkt und ein donnerndes Horrido auf Heimo vom Kunstdüngerschuppen ausgebracht.
Und dann musste er zum hundertsten Mal davon erzählen, wie er mit Jungjäger Hülsebeck und Schlachter Ahrens drei Nächte lang strohgefüllte Kartoffelsäcke trickreich an langen Schnüren über die Kirrungsschneise vom Blutigen Rudi gezogen hat. Einer davon steht zerfetzt und zerschossen in einer Ecke vom Grünen Baum. Und mahnt an das zerrüttete Seelenleben des Blutigen Rudi und die unheimlichen Folgen des Hubertus-Fluchs.
Dem Moped-Mörder auf der Spur
Immer erfrischend: Städter im Revier
Eine Familie Bechtel ist ins Dorf gezogen. Herr Bechtel ist so ein Computerfachmann aus der Großstadt. Er fährt ein BMW Cabrio, hat einen feinen, hellgrauen Anzug an und raucht beim Fahren Zigarillos. Wenn seine Frau auf dem Weg zum Kaufmann an Brockmanns Misthaufen vorbeigehen muss, dann hält sie sich Parfüm von Calvin Klein vor die Nase.
Brockmann rief ihr neulich vom Trecker hinterher, er könne ihr gerne so einen Fuder Mist liefern für die Anpflanzung am neuen Haus. Zum Sonderpreis. Da rief Frau Bechtel nur »Sie perverses Schwein!« zurück. So welche sind die Bechtels. Bechtels stänkern auch immer gegen die Jäger.
Nach einer Woche kam Herr Bechtel zu Landmaschinenmeister Strübecke und beschwerte sich. »Ich habe gehört, das sind Ihre Tiere da im Wald?«, fragte er.
»Welche Tiere?«
»Na, so braun mit hinten Weiß. Und dünne Beine. Manche haben Hörner.«
»Das sind Rehe. Was ist mit denen?«
»Die Tiere rülpsen immer, wenn sie weglaufen. Meine Kinder ekeln sich davor. Sie müssen diese Tiere einsperren.«
Landmaschinenmeister Strübecke hält seither die Flasche mit den Herztropfen immer griffbereit.
Bechtel ging zum Bürgermeister und führte Klage, dass unflätige Gärtner in ihren Arbeitssachen abends spät in der Gaststätte »Grüner Baum« säßen und immerzu laut das »Haribo-Lied« sängen. Er träume davon schlecht. Der Bürgermeister erklärte ihm, dass das keine Gärtner seien, sondern die örtlichen Jäger, und dass das Lied nicht »Haribo«, sondern »Horrido« heiße und dass es sozusagen ein heiliges Lied der Waidmänner sei. Man könne es nicht verbieten. Bechtel will wegen des »Haribo-Lieds« eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Seit diesem Tag hat auch der Bürgermeister seine Herztropfen immer griffbereit.
Kurz darauf war Frau Bechtel beim Tierschutzverein und erstattete Anzeige gegen die Jäger. Wegen Qualzüchtungen. Sie sagte, die Jäger hätten solche buckligen Monstertiere ausgesetzt mit Glubschaugen, Riesenohren und Stummelschwänzen. Wahrscheinlich genmanipulierte Goldhamster. So ähnlich wie in Seveso. Die Tiere säßen ganz apathisch auf der Wiese, weil sie völlig krank wären. Erst im letzten Moment liefen sie weg. Sie bekomme Depressionen, wenn sie diese armen Tiere sähe.
Dass es Hasen wären, wollte Frau Bechtel nicht glauben. Sie sagte, Hasen seien rosa, liefen auf zwei Beinen und hätten kleine, weiße Hände: »Außerdem können sie sprechen. Ich weiß es aus dem Fernsehen ganz genau. Wir sind schließlich eine Familie von Naturfreunden.«
Es kam der Tag, an dem Herr Bechtel per Handy bei der Polizei meldete, er habe einen Moped-Mörder beobachtet. Ein bewaffneter Mann, der im Wald auf einem Moped mit Anhänger herumführe und Leichenteile vergrübe. Mit Blaulicht rückte die Polizei aus der Kreisstadt an. Heimo vom Kunstdüngerschuppen wurde am Luderplatz verhaftet, den Spaten noch in der Hand. Der Aufbruch vom Schmalreh wurde sichergestellt und zur Gerichtsmedizin gebracht. »Ich kenne den Mann«, gab Bechtel zu Protokoll, »der singt in der Kneipe auch immer das Haribo-Lied.«
Dann war Treibjagd. Als die ersten Schüsse fielen, kam Bechtel mit einer Pumpgun aus Plastik angerannt, mit der man Farbkleckse verschießen kann. Gleich stellte er sich zu den vorstehenden Schützen: »Voll geil, ein Survival-Spiel. Das kannte ich bisher nur aus dem Computer.« Dann zeigte er auf die Treiber: »Ihr müsst nur die Angreifer besser treffen.«
Landmaschinenmeister Strübecke erklärte ihm, dass das eine echte Treibjagd sei und dass man Tiere totschösse. So wie die Rebhühner, die er am Galgen hätte.
»Das ist ja sehr umständlich«, sagte Bechtel. »Die kriegt man auch, ohne zu schießen. Genau solche Vögel bringen nämlich unsere Katzen immer aus dem Feld mit nach Hause. Manchmal zappeln sie noch, dann werfen wir sie ins Klo, Spülung, und schwupp, sind sie weg. Wahrscheinlich Schädlinge, die den Bauern die Felder leerpicken.«
Gottseidank hatte Landmaschinenmeister Strübecke seine Herztropfen zur Treibjagd mitgenommen. So konnte er den anderen Mitjägern auch gleich welche abgeben.
Baujagd mit Lagerfeld
Harry Waidloch jagt feinstofflich
Der neue Jagdnachbar hat so einen schwierigen Namen. Den kann sich keiner merken. Deswegen nennen ihn alle Harry Waidloch. Das klingt so ähnlich. Harry Waidloch steht dem ökologischen Jagdverband nahe. Das heißt, er will möglichst kein Wild im Revier haben, trotzdem aber viel schießen. Das gelingt ihm nur in sehr seltenen Ausnahmefällen.
Von übermächtiger winterlicher Passion gepackt, hatte Harry Waidloch eine Baujagd angesetzt und dazu auch noch einen – aber nur einen – Fuchs zum Abschuss freigegeben. Zur Wahrung des ökologischen Prinzips wollte er dabei jedoch keinen scharfen Bauhund einsetzen: Der Fuchs sollte nicht durch rohe Gewalt, sondern trickreich durch den Einsatz von Intelligenz und moderner Jagdstrategie zum Springen gebracht werden.
Der erstaunten Jagdgesellschaft präsentierte Harry Waidloch dazu zwei Yorkshire-Terrier mit rosa Schleifen im Haar. Sie hießen »Urbi« und »Orbi« und sollten den Fuchs sprengen. Es waren die Hunde von Friseur Horstkotte, einem alleinstehenden Herrn mittleren Alters mit kleinen Brillanten im Ohr und Bauchnabel-Piercing, der stets in engen Hosen durchs Dorf tänzelt und auffallend viel Herrenbesuch erhält. Eigentlich heißt er Klaus-Jürgen, aber seine Freunde nennen ihn »Jean«. Und weil ihn im Dorf alle mochten, nannten ihn alle »Jean«.
»Haach«, hatte Jean gesagt, »jetzt sollen meine Hündchen auch noch Abenteuer mit wilden Tieren erleben, haach, wie aufregend.«
Harry Waidlochs Plan: Die Yorkshire-Terrier, die stets großzügig mit Eau de Toilette von Karl Lagerfeld einparfümiert waren, sollten allein durch ihre feinstofflichen Emissionswerte und sozusagen als Chemotherapie den Fuchs aus dem Bau treiben. Landmaschinenmeister Strübecke hatte angeregt, »Urbi« und »Orbi« aus Gründen der Waidgerechtigkeit (»Man jagt nicht mit einem Nuttenfiffi«) wenigstens olivfarbene statt rosa Schleifchen ins Haar zu binden. Harry Waidloch erklärte aber, dies könne den Fuchs das taktische Konzept dieser ökologischen Jagdvariante durchschauen lassen.
Urbi und Orbi schloffen in den ersten Bau ein, umgeben von einer atemberaubenden »Lagerfeld«-Wolke. Nur wenige Sekunden später sprang ein Jungdachs aus der Röhre, dessen Gesichtsausdruck nach glaubwürdiger Darstellung der abgestellten Schützen deutlich von Abscheu und Ekel geprägt gewesen sein soll.
Aus dem nächsten Bau entwich nach dem Einsatz der chemischen Keule namens Lagerfeld eine von Degout geschüttelte Kreatur in so hoher Flucht, dass sie nicht angesprochen werden konnte. Es konnte nur gesagt werden, dass es sich mit einiger Sicherheit nicht um Schalenwild, jedoch wohl um Haarwild handelte.
Urbi und Orbi hatten inzwischen lebhaftes Interesse an der Jagd gefunden, verstänkerten nach und nach das Revier und nahmen, frisch parfümiert, unter aufgeregtem Hecheln eine uralte, mächtige Fuchsburg an. Die Schützen warteten fünf Minuten. Eine halbe Stunde. Zwei Stunden. Aber nichts rührte sich.
Friseur und Bauhundbesitzer Jean blickte immer besorgter, legte sich schließlich verzweifelt in seinen hellblauen Designerjeans und der Jacke aus lila Ballonseide vor die Röhre und säuselte »Urbipüppi!« und »Orbipüppi!« ins Dunkle. Später versuchte er, die abtrünnigen Lieblinge mit Schoko-Crossies zu locken. Vergebens. Jean brach in hysterisches Schluchzen aus und wollte an der breiten Brust von Landmaschinenmeister Strübecke Trost suchen. Dem verlieh das jähe Entsetzen jedoch solche Kräfte, dass er sich im letzten Moment aus dem Doppel-Nelson des bindungsfreudigen Rüdemannes befreien konnte.
Nach drei Stunden holte man Hacke und Spaten. Einschlag. Stundenlange Wühlarbeit. Spät, sehr spät stieß man auf einen Kessel. Starke, frische Fuchswitterung stieg daraus hervor. Die Lichtkegel der Handlampen fielen auf zwei rosafarbene Schleifchen, die an blutigen Fetzen von Hundefell festgeknotet waren. Kleine, frisch abgenagte Knochen lagen daneben: die Überreste von Urbi und Orbi. Der Fuchs hatte sie möglichweise mit Kirrbrocken verwechselt.
Heimo vom Kunstdüngerschuppen hatte gottlob einen Schluck vom selbstgebrauten Jagdkönig zur Hand, sodass der umgesunkene Hundebesitzer Jean damit ins Leben zurückgeholt werden konnte.
Harry Waidloch erklärte dem in stabiler Seitenlage schwer atmenden Friseur, falls er sich wieder Yorkshire-Terrier zulege, sollte man die Baujagd vielleicht mit einer sandelholzbetonten Kopfnote erneut versuchen. Eventuell ein Parfüm von Calvin Klein. Bei der Fuchsjagd müsse man eben intelligent und flexibel vorgehen. Rüdemann Jean aber wandte sich nur wimmernd ab.
Harry Waidloch hatte nach der Karl-Lagerfeld-Baujagd monatelang kein Schalenwild im Revier, und kein Fuchsbau war mehr befahren.
»Das ist eben ökologische Jagd«, erklärte er bedeutsam beim Stammtisch im Grünen Baum. »Kluge Strategie und ein intelligentes Konzept.«
Landmaschinenmeister Strübecke hatte nachdenklich in seinen Bierseidel geschaut. »Ich meine«, sagte er, »lieber ohne Nuttenfiffi jagen, aber dafür im Revier vor Wild nicht mehr treten können.«
Der Frischling in der Joggingbluse
Wilderer im Visier
»Stille Zeit«, sagte Schlachter Ahrens. »Da kann ich jetzt schön mal was im Revier machen«.
»Stille Zeit«, sagte die Frau von Schlachter Ahrens, »da kannst du mal schön zu Hause bleiben und die Gartenpforte streichen.«
Noch ehe die beiden sich einigen konnten, kam die Sache mit Waidmann von Zwick dazwischen. Waidmann von Zwick aus der Kreisstadt, ein pensionierter Studienrat, saß im Grünen Baum und forderte dringend Unterstützung an. Von wegen der Wilderer. Waidmann von Zwick hatte ein Revier am Stadtrand. Vor lauter Radfahrern, Pilzsammlern, Reitern und Spaziergängern kam er nicht mehr zum Jagen.
Jetzt, so sagte er, seien sogar überall Wilderer im Revier. So südländische Typen. Aber auch Osteuropäer. Sogar weibliche Wilderer. Es würden geheimnisvolle Schüsse fallen. Und überall Schlingen. Man müsse unbedingt einmal alle Hochsitze besetzen und auf die Frevler passen. Dringend.
Schlachter Ahrens meldete sich als Erster. Natürlich schmerzte es ihn tief, dass die eigene Gartenpforte nicht gestrichen werden konnte. Aber wenn ein Jagdfreund wirklich in Not ist, dann muss man bereit sein, Opfer zu bringen.
An einem Samstagmorgen saß man bei Waidmann von Zwick zum ersten Mal auf Wilderer an. Niemandem fiel etwas Verdächtiges auf. Aber plötzlich hörte man den Revierinhaber kreischen: »Halt, stehenbleiben.« Alles eilte zu ihm hin.
Vor Waidmann von Zwick stand angstzitternd in der Morgenkühle ein beleibter Jogger. Waidmann von Zwick bellte ihn an: »Hab᾿ ich dich endlich, Wildfrevler«, und forderte ihn auf, den erlegten Frischling unter der Joggingbluse hervorzuziehen. Der Jogger zog die Sportbekleidung hoch und zeigte einen sich rosig wölbenden Beamtenschmerbauch.
Waidmann von Zwick räusperte sich. »Naja, heute mal gut getarnt. Aber beim nächsten Mal erwisch᾿ ich dich, Halunke.« Der Jogger eilte in hoher Flucht Richtung Neubausiedlung davon. »Das ist der Kopf des Wilderersyndikats«, sagte Waidmann von Zwick leise mit verkniffenen Augen, »er ist schlau. Aber nicht schlau genug.«
Am Sonntagmorgen saß man wieder auf der Lauer. Und wieder gellte es »Halt, stehenbleiben!«, durch den Forst. Waidmann von Zwick stand drohend vor einer im Schock schlotternden jungen Frau, die einen Kinderwagen schob.
»Her mit der Beute, ruchlose Wildererbraut«, rief Waidmann von Zwick und griff beherzt unter die Kissen des Kinderwagens. Was er hervorzog, war indes lediglich ein Säugling, der, seiner wärmenden Umhüllung beraubt, mit hochrotem Kopf auf das Kräftigste zu brüllen begann. »Ein Trick!«, schrie Waidmann von Zwick und nestelte suchend in den Kissen des Kinderwagens. »Wo ist die Waffe? Wo ist die Beute?«
Auf energisches Zureden der Jagdfreunde ließ er die junge Mutter und ihr Kind ziehen. Landmaschinenmeister Strübecke ging ihr einige Schritte hinterher und beruhigte die völlig aufgelöste Spaziergängerin. »Das war die Komplizin«, erläuterte Waidmann von Zwick listig lächelnd. »Wahrscheinlich hat sie das Wildbret schnell irgendwo versteckt.«
»Da kommt er«, flüsterte Waidmann von Zwick plötzlich. »Der Wildschütz. Ich erkenne ihn.« Alles duckte sich ins Unterholz. Es nahte, auf dem Waldweg gedankenverloren schlendernd, ein ausländischer Mitbürger mittleren Alters, der heiter eine nicht näher kenntliche Melodie vor sich hin pfiff. Als er auf der Höhe des in der Deckung befindlichen Waidmanns von Zwick angekommen war, stürzte sich dieser auf ihn und packte ihn am Kragen: »Stehenbleiben, elenderer Wilderer!« Der Mann hörte entsetzt auf zu pfeifen und erstarrte.
»Ihr habt es gehört!« rief Waidmann von Zwick den Jagdfreunden zu, »er hat gemäuselt! Ein Fuchswilderer!« Dem Beschuldigten entfuhr vor lauter Angst ein jämmerlich winselnder Wind. »Und jetzt auch noch die Hasenklage«, kreischte Waidmann von Zwick, »Ihr seid meine Zeugen! Der Mann ist auf frischer Tat ertappt! Abführen den Kerl!« Erst nach einem großen Schluck von Heimos selbstgebrautem Jagdkönig und gutem Zureden konnte der Spaziergänger seinen Weg fortsetzen, drehte sich aber immer noch furchtsam um.
Als die Jagdfreunde dann Waidmann von Zwick, freundschaftlich untergefasst, nach Hause geleiteten, wies er sie noch mit konspirativer Gestik auf ein zehnjähriges Mädchen hin, dass mit einem Springseil im Garten stand: »Da! Die Schlingenstellerin!« Und auf den Pastor deutend, der in der schwarzen Soutane zum Pfarrhaus schritt: »Camouflage. Ein Nachtjäger.« Klapprig zog ein Greis seiner Wege, unten am Krückstock einen dicken Gummipfropfen: »Der Pate der Wilderer. Geheimwaffe mit Schalldämpfer. So schießen sie mir das Revier leer.«
Die Frau des Waidmanns von Zwick nahm fassungslos ihren Gatten in Empfang: »Er darf doch schon seit Monaten nicht mehr jagen. Und die Waffen musste er auch abgeben. Sein Lebensbock ist im Wald von einer Motocross-Maschine überfahren worden. Das konnte er nicht verkraften. Seine Nerven. Er ist doch so sensibel.«
Auf das traurige Schicksal von Waidmann von Zwick wurde dann im Grünen Baum noch ein Doppelter vom Alten Lohhäuser zur Anwendung gebracht. Schlachter Ahrens wurde allerdings in der folgenden Zeit von seinen Jagdfreunden immer mal wieder aufgefordert, den Überläufer vorne unter der Lodenjacke hervorzuziehen. Und den Frischling hinten aus der Hose.
Heimos wildester Ritt
Ein Ferkelschwein auf Abwegen
Die Kinder von Bauer Brockmann halten sich seit fast zwei Jahren ein zahmes Ferkelschwein. Es heißt »Schneefuß« und läuft den Dorfkindern nach wie ein Hündchen. Fachleute schätzen es auf mittlerweile rund rosige einhundert Kilo.
Neulich war Schneefuß möglicherweise aus Gründen jahreszeitlich bedingter Reiselust aus dem befriedeten Bezirk des Dorfes entwichen und hielt sich an einem unbekannten Ort auf. Die Kinder liefen weinend durch das Revier und riefen nach ihm. Aber das Ferkelschwein hatte sich wahrscheinlich in einer sommerlichen Dickung eingeschoben und gab sich heimlich.
Jagdnachbar Harry Waidloch rief im Nachbarrevier sofort Schalenwildalarm aus und besetzte rund um die Uhr alle Sitze. Für Unruhe sorgte im Dorf, dass Heimo vom Kunstdüngerschuppen eine große Tiefkühltruhe vorbereitete und den Zerwirkhandschuh sowie eine Tüte Majoran danebenlegte. Von Bauer Brockmann auf diese merkwürdigen Umstände angesprochen, meinte Heimo allerdings nur, ihm habe geträumt, er würde bald seinen Lebensfrischling schießen. Und deshalb.
Aus dem Revier von Harry Waidloch war in den späten Abendstunden eines der folgenden Tage eine heftige Kanonade zu vernehmen, und die Kinder sprangen weinend aus ihren Betten in dem Glauben, Schneefuß sei gestreckt worden. Das ganze Dorf atmete jedoch erleichtert auf, als bekannt wurde, dass es sich bei dem Vorfall lediglich um eine von südländischem Temperament geprägte Schießerei zwischen verfeindeten Dönerbudenbesitzern gehandelt hatte.
Im Kreisblatt wurde ein Fahndungsfoto von Schneefuß veröffentlicht und die Kinder durften sogar im Radio auftreten. »Komm zurück, Schneefuß, wir brauchen dich!«, piepsten sie ins Mikrofon. Pastor Hühnchen sprach in seiner Predigt am Sonntag ganz unvermittelt in Richtung von Heimo vom Kunstdüngerschuppen und meinte, der liebe Gott halte auch über zahme Ferkelschweine seine schützende Hand und niemand dürfe aus Freude an Schweinebraten Kinderherzen traurig machen. Heimo schlug schuldbewusst die Augen nieder, denn in seinem inneren Kochbuch hatte er gerade die Seite »Grillhaxe, sehr knusprig« aufgeschlagen.
Bei einer dringlichen Sitzung im Grünen Baum beschlossen die Waidgesellen, an der Lösung der Schneefuß-Krise aktiv mitzuarbeiten. Heimo wurde deswegen feierlich im Namen der ganzen Dorfbevölkerung damit beauftragt, seine als legendär geltenden Kirrungskünste anzuwenden und das kinderliebe Ferkelschwein heimzuholen.
Heimo saß daraufhin missgestimmt zu den ungewöhnlichsten Zeiten mit Netz und Lasso im Revier und hatte an strategisch wichtigen Stellen derartige Köstlichkeiten zu Kirrungszwecken aufgehäuft, dass ahnungslose Spaziergänger schon mutmaßten, Bäcker Fackelmann sei dort nach Inhalation einer berauschenden Droge mit seinem Lieferwagen umgestürzt und habe die komplette Ware verloren.
Nach einer Woche glaubte niemand mehr an die Heimkehr des Ferkelschweins. Heimo hatte sowieso keine Lust mehr, auf ein zahmes Hybridschwein anzusitzen. Aber das Wunder geschah: An einem späten Abend kam ihm Schneefuß auf einer Kirrung von Frühkartoffeln und Zuckererbsen inmitten einer Frischlingsrotte auf gute Schussentfernung in Anblick.
Heimo streckte mittels einer sicherheitshalber mitgeführten Büchse zwei stramme Frischlinge, schwang sich dann samt Netz und Lasso auf sein Moped und knatterte in wildem Ritt hinter dem in lockerem Troll abgehenden Ferkelschwein hinterher. Wie John Wayne in seiner verwegensten Rolle hechtete Heimo auf einer Gerstenstoppel beherzt vom Zweirad, rang das gellend quiekende Schwein nieder und zwang ihm den Strick um den walzenförmigen Leib.
Die Abendsonne stand tief über der Dorfstraße. Aus ihrem roten Ball löste sich langsam ein Moped mit Anhänger. Ein dickes Ferkelschwein lag gefesselt auf dem Anhänger und blinzelte deprimiert in die Gegend. Aus Häusern und Gärten strömten die Menschen herbei und formierten sich jubelnd hinter dem Mopedgespann zu dem größten Triumphzug in der Geschichte des Dorfes. Heimo wurde als der Retter des Ferkelschweins Schneefuß gefeiert und auf Schultern zum Jägerstammtisch vom Grünen Baum getragen. Spärlich bekleidete Jungfrauen wollten ihm unentwegt Doppelte vom Alten Lohhäuser einschenken und reichten ihm mit zarter Hand warme Wildschweinfrikadellen auf weißestem Weißbrot. Die Frau von Schlachter Ahrens drückte eigenhändig die Senftube.
Aber Heimo winkte ab. »Ich habe nur meine Pflicht als deutscher Waidmann getan«, sagte er kernig, und in manch einem Auge sammelten sich Tränen ob solcher heldenmütiger Bescheidenheit.