Where the Heart Is. Nelly und Fynn - Johanna Rau - E-Book
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Where the Heart Is. Nelly und Fynn E-Book

Johanna Rau

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Beschreibung

»Warm und weich liegen seine Lippen auf meinen. Sie schmecken nach Sommer und ein klein wenig nach frischem Kirschsaft.«  Nach ihrem Schulabschluss beginnt die achtzehnjährige Nelly ihr Praktikum beim Magazin »Shiny« und freut sich auf das hippe Leben in der Großstadt. Doch anders als geplant soll sie ausgerechnet in der tiefsten Provinz für einen Artikel über das Landleben recherchieren. In Roseville angekommen, trifft sie auf den überheblichen Fynn, der sie erst mal fast überfährt. Zu allem Überfluss ist sie auch noch auf der Farm seiner Eltern untergebracht – da sind knisternde Wortgefechte natürlich vorprogrammiert. Nachdem sie am ersten Abend frustriert ihren Artikelentwurf abschickt, lernt sie allerdings nicht nur die Schönheit der Natur zu schätzen, sondern kommt zwischen dem Stallausmisten und Sternebeobachten auch Fynn immer näher – bis dieser etwas entdeckt, das ihn vollkommen aus der Bahn wirft … Irgendwo im Nirgendwo Zwei Menschen, ein Zeitungsartikel und die Weite der Natur: der perfekte Liebesroman für Fans von lauen Sommerabenden und Grillenzirpen am Lagerfeuer. Vorsicht Suchtpotenzial! //»Where the Heart Is. Nelly und Fynn« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Johanna Rau

Where the Heart Is. Nelly und Fynn

»Warm und weich liegen seine Lippen auf meinen. Sie schmecken nach Sommer und ein klein wenig nach frischem Kirschsaft.« 

Nach ihrem Schulabschluss beginnt die achtzehnjährige Nelly ihr Praktikum beim Magazin »Shiny« und freut sich auf das hippe Leben in der Großstadt. Doch anders als geplant soll sie ausgerechnet in der tiefsten Provinz für einen Artikel über das Landleben recherchieren. In Roseville angekommen, trifft sie auf den überheblichen Fynn, der sie erst mal fast überfährt. Zu allem Überfluss ist sie auch noch auf der Farm seiner Eltern untergebracht – da sind knisternde Wortgefechte natürlich vorprogrammiert. Nachdem sie am ersten Abend frustriert ihren Artikelentwurf abschickt, lernt sie allerdings nicht nur die Schönheit der Natur zu schätzen, sondern kommt zwischen dem Stallausmisten und Sternebeobachten auch Fynn immer näher – bis dieser etwas entdeckt, das ihn vollkommen aus der Bahn wirft …

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© privat

Johanna Rau wurde 1995 im Ruhrgebiet geboren, wo sie zusammen mit ihrer Familie lebt. Zurzeit studiert sie Jura an der Ruhr-Universität Bochum. Schon immer hat sie gerne gelesen und sich kleinere Geschichten ausgedacht. Während der Arbeit an ihrem Debütroman ist ihr Feuer fürs Schreiben dann endgültig entfacht. Wenn sie nicht gerade Musik macht, rezensiert sie außerdem gerne Bücher auf ihrem Buch-Blog „Unendliche Geschichte“.

Für meine Schwester, die immer an die Geschichte von Nelly und Fynn geglaubt hat

1. KapitelIrgendwo im Nirgendwo

Die Junisonne steht hoch oben am tiefblauen Himmel und strahlt, als gäbe es irgendeinen Anlass zum Strahlen. Durch die Stöpsel in meinen Ohren singt Ed Sheeran ein schmalziges Liebeslied, das den Irrtum, dieser Tag wäre nicht mein persönlich wahr gewordener Albtraum, auf trügerische Weise verstärkt.

Wie einen Schirm halte ich eine Hand über meine Augen, um trotz des Gegenlichts meine Umgebung genauer wahrnehmen zu können. Unweigerlich entfährt mir ein theatralischer Seufzer. Kaum zu glauben, dass das hier gerade wirklich passiert, dass ich nun wirklich hier bin. Es sieht einfach alles viel zu klischeehaft aus, um echt zu sein. Viel zu nah dran an den zahlreichen Romanen und Filmen, in denen es die Protagonistin auf schicksalhafte Weise in irgendein Kaff auf dem Land verschlägt. Und diese Protagonistin soll nun plötzlich ich sein? Ich sehe schon den Titel in geschwungenen Lettern vor mir: Ein Kuhdorf für Nelly – oder so ähnlich.

Erschöpft von der langen Fahrt in einem furchtbar stickigen Fernbus, der mich hierher ans Ende der Welt gebracht hat, stelle ich meinen Koffer neben mir auf dem Bürgersteig ab. Entweder muss ich mich in einem früheren Leben schwer versündigt haben, wofür das Universum sich nun lebenslänglich mit defekten Klimaanlagen auf Bus- und Bahnreisen rächt, oder aber meine pure körperliche Anwesenheit sendet bereits irgendein Störsignal. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum ich Klimaanlagen im Sommer grundsätzlich nicht an- und im Winter nicht ausstellen kann, sodass ich mein Reiseziel regelmäßig entweder schweißüberströmt oder mit Eiszapfen an der Nase erreiche.

Durch meinen Laptop und – zugegeben – ein oder zwei Paar Schuhe und Bücher zu viel ist mein Koffer so schwer, als hätte ich gerade eine Bank überfallen und wäre mit fünfzig Goldbarren auf der Flucht. Was den endlos lang erscheinenden Fußweg von der Bushaltestelle bis hierher nicht gerade angenehmer gestaltet hat. Zu meiner Verteidigung kann ich jedoch anbringen, dass mich die Frage, welche Art von Outfit ich in den nächsten Wochen brauchen werde, auch erheblich überfordert hat. Schließlich habe ich noch mit Barbiepuppen gespielt, als ich mit meinen Eltern Urlaub auf dem Land gemacht habe und das letzte Mal für längere Zeit so weit ab von der Zivilisation und funktionierenden Handymasten war. Dieser Urlaub war auch der letzte gemeinsame mit meinen Eltern. Aber darüber lohnt es sich nicht mehr nachzudenken.

Viel schlimmer: Ich habe schon auf der Fahrt hierher das Schwinden der Empfangsbalken beobachten können, je näher ich meinem Reiseziel gekommen bin.

Das ist also Roseville. Mein vorübergehendes Zuhause, bis meine Chefin Erbarmen mit mir hat und mich von diesem Albtraum erlöst. Doch damit brauche ich, selbst mit ganz viel Optimismus, nicht vor Ende Juli zu rechnen, sodass ich definitiv für eine viel zu lange Zeit hier festsitzen werde.

Kein Wunder, dass sich niemand um diesen Job gerissen hat, denn hier scheint nicht einmal der Hund begraben zu sein. Wahrscheinlich weil in Roseville selbst für die letzte Ruhestätte zu wenig los ist. Und wer kommt für einen Job infrage, den kein anderer machen will? Klar, die Praktikantin, die einem eh ein Klotz am Bein ist. Denn so weiß man diese wenigstens für die nächsten Wochen beschäftigt und ist sie zunächst einmal wieder los.

Dem ersten Eindruck nach zu urteilen, hat die Redaktion bei Google nach dem Dorf mit den wenigsten Einwohnern und dem höchsten Altersdurchschnitt gesucht. Für einen Artikel über das Leben auf dem Land hätten sie wohl keinen besseren Ort finden können, denn augenscheinlich steht alles hier in einem krassen Kontrast zu der Großstadt, in deren schicken klimatisierten Büros meine Kollegen gerade kaffeeschlürfend sitzen.

Die kleine Straße, auf der ich stehe, verdient diese Bezeichnung kaum, weil ich bezweifele, dass je schon einmal ein Fahrzeug über ihren steinigen Untergrund gerattert ist. Sie wird von mehreren kleinen Häuschen gesäumt. Manche sind in die Jahre gekommene, aber gut erhaltene rot oder weiß gestrichene Holzhäuser, andere wurden aus Stein gebaut mit hübschen kleinen Veranden. Und dabei sieht keines aus wie das andere. Insgesamt wirkt alles viel sauberer als in der Stadt und ein bisschen wie eine nett dekorierte Spielzeugwelt.

Von der Bewahrheitung meiner schlimmsten Befürchtungen ziemlich gefrustet wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Die Tage werden immer heißer und auch wenn ich den Sommer mag, bin ich von meinen körperlichen Voraussetzungen wohl eher der Frühlings- und Herbsttyp. Mit meinem schicken weißen Sonnenhut wedele ich mir etwas Luft zu, setze ihn jedoch direkt wieder auf, denn dank meiner hellen, sommersprossigen Haut und meiner rotblonden Haare bin ich ansonsten erfahrungsgemäß binnen kürzester Zeit nicht nur innen gar, sondern auch außen schön knusprig.

»Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, würde meine Grandma jetzt sagen, könnte sie mein Sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht sehen. Natürlich ist da ein Fünkchen Wahrheit dran und ich will mich auch gar nicht beschweren, dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass dieser Spruch auch wirklich noch niemandem geholfen hat. Ich für meinen Teil habe mir den Einstieg in die große weite Redaktionswelt jedenfalls deutlich glamouröser vorgestellt.

Der Plan war, den Sommer über in einer angesagten Metropole Latte Macchiato und Cocktails zu schlürfen und den Duft des Erfolgs zu schnuppern. Stattdessen sitze ich nun hier in einem winzigen Dorf irgendwo im Nirgendwo fest, wo man sich die Milch für den Kaffee wahrscheinlich direkt von der Kuh zapft und methanverpestete Landluft atmet. Gut, wahrscheinlich ist der Großstadtmief für die Ozonschicht deutlich schädlicher, aber Autoabgase sind mir wenigstens vertraut und zehnmal lieber als die tierischen Düfte, die hier meine Sinne vernebeln, seit ich aus dem Bus gestiegen bin.

Aber wenn ich ganz ehrlich sein darf: Wann hat bisher überhaupt je einer meiner Pläne funktioniert? Eigentlich wäre dieser wirklich der erste. Herzlich willkommen in meinem Leben!

Gerade jetzt in diesem Moment, da mir die ganze Tragweite meines Dilemmas bildlich vor Augen geführt wird, bin ich nur noch ein einziges Ausweichmanöver um mitten auf der Straße liegende Pferdeäpfel von einem dramatischen Heulkrampf entfernt. Doch ich entscheide mich dagegen. Die Fliege, die seit einigen Minuten penetrant um meine Nasenspitze kreist und trotz der deutlichen Signale meiner defensiv wedelnden Hand weiter beharrlich Kontakt zu mir herzustellen versucht, wäre dafür einfach kein würdiges Publikum.

Plötzlich ertönt unmittelbar hinter mir der ohrenbetäubend laute Klang einer Hupe und reißt mich aus meinem Selbstmitleid. Erschrocken drehe ich mich um und kann mich nur mit einem olympiareifen Hechtsprung zur linken Seite rechtzeitig vor einem riesigen Traktor auf den schmalen Bürgersteig retten.

Unsanft lande ich auf meinem Hinterteil und beim Versuch, mich abzufangen, schrappen meine Handinnenflächen schmerzhaft über den heißen Asphalt.

Als ich mich vom ersten Schock erholt habe und genauso ungalant wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt, versuche vom Boden aufzustehen, rauscht das Blut wild in meinen Ohren. Durch die Schnappatmung hebt und senkt sich meine Brust hektisch und unregelmäßig. Ein Blick auf meine zitternden Hände verrät mir, dass meine Haut, abgesehen von ein paar feinen Kratzern, weitestgehend verschont geblieben ist.

Ein paar Meter weiter kommen die gigantischen Räder des Traktors schließlich zum Stehen und ein junger Typ ungefähr in meinem Alter springt schwungvoll vom Fahrersitz.

Mit zügigen Schritten kommt er auf mich zu. Er trägt kniehohe dunkelgrüne Gummistiefel, eine ausgewaschene Jeans und ein groß kariertes rotes Hemd, für das er von der Fashion-Polizei eigentlich verhaftet gehörte. Sicher hat er ein schlechtes Gewissen und macht sich Sorgen, ob bei mir alles in Ordnung ist. Und das sollte er auch. So mörderisch, wie er hier um die Ecke gebogen ist, muss er sich jetzt schon eine echt gute Entschuldigung einfallen lassen.

»Sag mal, geht’s noch?«, fragt er stattdessen wider meinen Erwartungen, als er schließlich vor mir steht, und ich muss aufpassen, dass mir nicht vor Verblüffung meine Augen aus dem Kopf fallen.

Der hat sie ja wohl nicht mehr alle!

»Wie bitte? Wenn mich nicht alles täuscht, hast du mich gerade beinahe platt gefahren!« Ich kann förmlich spüren, wie sich hektische Flecken gigantischen Ausmaßes an meinem Hals bilden, so wie sie es leider immer tun, wenn ich richtig sauer bin.

»Keine Ahnung, wo du herkommst, Mädchen …«, beginnt er mit einem derart selbstgefälligen Tonfall, dass ich den Drang verspüre, ihm mit viel Schwung auf den Fuß zu treten.

Allein wie er das Wort »Mädchen« betont hat, lässt die emanzipierten Alarmglocken in meinem Kopf energisch Sturm läuten. »… aber hier bei uns benutzen Fahrzeuge die Straße und Fußgänger den Gehweg … oder sie laufen zumindest am Rand.« Lässig pustet er sich eine Strähne seines dunklen, leicht welligen Haares aus der Stirn, das perfekt zu seinen kastanienbraunen Augen passt. »Außerdem …« Er schnippt mit seinen Fingern das Kabel meiner Ohrstöpsel durch die Luft. Die Dinger müssen mir bei meiner halsbrecherischen Stunt-Einlage aus den Ohren gefallen sein.

Verärgert weiche ich einen Schritt von ihm zurück.

»Außerdem ist mein 6-Zylinder nicht gerade ein Elektroauto.«

Einfach unglaublich. Jetzt kommt der mir auch noch mit irgendwelchen technischen Details. Sehe ich so aus, als würde ich regelmäßig Autoquartett spielen?

»Soll heißen, der Traktor ist selbst für meine schwerhörige Grandma kaum zu überhören«, fügt er erklärend hinzu, wahrscheinlich weil ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen verständnislos anstarre.

Mit Verrenkungen, auf die sicher jede Ballerina neidisch wäre, versuche ich vergeblich einen Blick auf meinen Po zu erhaschen. Mit den Fingern kann ich tatsächlich an einer Stelle meine bloße Haut fühlen. Verfluchter Mist!

»Schau dir an, was du angerichtet hast!«, rufe ich frustriert und strecke ihm demonstrativ mein Hinterteil entgegen.

Dämlich grinsend runzelt er die Stirn und betrachtet völlig ungeniert ausgiebig meinen Po, als könne er sich diese Chance nicht entgehen lassen.

»Mann!« Genervt davon, dass er meinen vielleicht nicht ganz eindeutig formulierten Befehl so bereitwillig als Angebot zum Abscannen meines Hinterns missverstanden hat, rolle ich mit den Augen und deute auf das eigentlich unübersehbare Loch.

»Wenn mich nicht alles täuscht, sind Cut-Outs doch gerade total modern, oder? Meine Schwester schneidet sich ihre Hosen jedenfalls immer extra kaputt.«

Mit Daumen und Zeigefinger umfasse ich meinen Nasenrücken, nicht sicher, wie weit meine Nerven heute noch strapazierbar sind. Am liebsten würde ich mir meinen Koffer schnappen, auf dem Absatz kehrtmachen und diesem Dorf mit seinen offenbar nicht bloß geschmacksverirrten, sondern auch gemeingefährlichen Einwohnern »Ciao«, »Goodbye« und »Auf Nimmerwiedersehen« sagen. Aber der Gedanke daran, dass ich damit auch meine Karrierechancen in den Wind schießen würde, lässt mich meine gesamte Energie bündeln, um es nicht zu tun.

Offensichtlich missdeutet er mein verzweifeltes Schweigen als Gesprächsende, denn kurz drauf dreht er sich einfach um und schlendert wieder auf seinen Traktor zu, als wäre nichts passiert.

»Äh, hallo?«, rufe ich ihm hinterher, völlig fassungslos über so viel Dreistigkeit, doch er ignoriert mich komplett. Unentschlossen stehe ich da und kann mich nicht entscheiden, ob ich ihm folgen oder lieber zurücklaufen soll, um meinen Koffer zu holen. »Das Gespräch war noch nicht beendet! Du schuldest mir eine neue Hose!«, rufe ich ihm aufgebracht hinterher.

Bevor er wieder einsteigt, dreht er sich noch einmal zu mir um und grinst schon wieder unverschämt breit. »Für solche Dinge fehlt mir leider die Zeit. Setz dich doch mit meiner Sekretärin in Verbindung oder am besten direkt mit meinem Anwalt.« Mit diesen Worten steigt er ein, startet den Traktor und lässt mich restlos verdattert stehen.

***

»Entschuldigen Sie bitte!«, spreche ich schließlich eine alte Dame an, nachdem ich eine Weile mit meinem Adresszettel in der Hand umhergeirrt bin. Möglicherweise liegt es daran, dass ich meine erste Begegnung mit diesem unhöflichen Dorfbewohner noch immer nicht verkraftet habe, dass ich völlig orientierungslos gefühlt zum hundertsten Mal wieder an dem kleinen sandsteinfarbenen Springbrunnen in der Mitte des noch kleineren Platzes angekommen bin. Er soll wohl so etwas wie den Stadtkern von Roseville darstellen.

Memo an mich selbst: Nie wieder darüber beschweren, dass die Innenstadt zu Hause für Jugendliche nicht attraktiv ist!! Meine Heimatstadt ist zwar einwohnertechnisch keine echte Großstadt, aber schlimmer geht ganz offensichtlich immer.

Die Dame führt einen stark übergewichtigen Kläffer an der Leine, der eher an das Innenleben eines Hotdogs als an einen echten Hund erinnert, und mustert mich von oben bis unten, als wäre ich eine Außerirdische.

»Wissen Sie, ob es hier irgendwo offenes WLAN gibt?«, frage ich, ihren Röntgenblick ignorierend, und hebe dabei mein Smartphone in die Luft. Einen Moment überlege ich angestrengt, ob ich vielleicht nur WLAN gedacht, aber versehentlich »Ethylenglykol« oder irgendein anderes Fachchinesisch – mein Dad ist Chemiker! – von mir gegeben habe, so verständnislos, wie die ältere Dame aus der Wäsche guckt und das Smartphone in meiner Hand fixiert. Darum beschließe ich mit einem Seufzer, dass es vertane Zeit wäre ihr weiter zu erklären, dass ich unbedingt Google-Maps laden muss, um zu gucken, wo genau dieses verdammte Hotel liegt, in dem man ein Zimmer für mich gebucht hat. Die Energie wäre sicher vergeudet und meine Energiereserven sind nicht nur aufgrund der Hitze gerade beängstigend gering.

»Da kann ich Ihnen nicht helfen, junge Dame. Aber Anne aus dem Supermarkt weiß vielleicht mehr.« Sie hebt den Arm und deutet zu einem Geschäft auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes, vor dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift »Heute im Angebot: Knusprige Meat Balls« steht. Lecker … Das ist doch genau das richtige Gericht für dreißig Grad im Schatten. Obwohl, vielleicht werde ich als Vegetarierin hier ja endlich die drei Bonuskilos wieder los, die ich mir während der Abschlussprüfungen in Form von weißer Schokolade mit Crisp angefuttert habe. Denn während andere in Stresssituationen keinen Bissen herunterbekommen, verwandele ich mich in einen Zombie, der völlig willenlos jeden Winkel des Hauses nach etwas Essbarem absucht. Auch wenn meine beste Freundin Claire behauptet, dass mein Po in den unfreiwillig knallengen Jeans viel besser aussieht.

Nachdem die alte Dame mir noch einen letzten skeptischen Blick zugeworfen hat, zieht sie die Hotdog-Wurst weiter, die nur widerwillig ihren Platz im Schatten des Brunnens aufgibt, wo sie gerade faul alle viere von sich gestreckt hat.

Wegen der Bezeichnung des kleinen Geschäftes als »Supermarkt« müsste die alte Dame den Preis für die Übertreibung des Jahrtausends verliehen bekommen.

Nachdem mich eine Glocke über der Tür angekündigt hat, betrete ich einen angenehm kühlen Raum, der kaum größer ist als mein Zimmer zu Hause. Durch das große Schaufenster fällt trotz der Markise helles Sonnenlicht, das den gesamten Laden durchströmt. Dadurch wirkt er auf Anhieb einladend und freundlich. Außerdem riecht es überraschend gut. Gar nicht nach den angepriesenen Fleischbällchen, sondern nach süßen Früchten und irgendetwas, das ich nicht näher definieren kann, das mich aber auf Anhieb an Kindheitstage bei Grandma und Grandpa erinnert. Neben ein paar Regalen gibt es eine kleine Kühltheke und eine gemütlich aussehende Sitzecke mit einem Tisch und zwei Stühlen. Mit einem flüchtigen Blick über die Produkte stelle ich fest, dass es kaum Marken gibt, die mir bekannt vorkommen, sondern fast ausschließlich regionale Produkte. Gut, dass ich noch eine Extrapackung meines Seidenglanz-Shampoos eingepackt habe, das ich hier garantiert nicht bekommen würde. Rote Haare wollen gerade im Sommer gepflegt sein.

Hinter dem Verkaufstresen steht eine junge Frau etwa in meinem Alter mit langen und glatten hellbraunen Haaren. Wenn meine Shampoo-Vorräte zur Neige gehen, muss sie mir auf jeden Fall ihren Geheimtipp verraten. Unsicher lächelt sie mich an. Ihre Augen leuchten in einem auffallend intensiven Grün und ihr zartes, bildhübsches Gesicht wirkt beinahe puppenhaft.

»Hi. Mein Name ist Lucy«, sagt sie, nachdem ihr ein Blick auf meinen Koffer offenbar verraten hat, dass ich nicht von hier bin. Wie sie sich beim Sprechen nervös eine Haarsträhne hinter das Ohr streicht und es vermeidet, mir direkt in die Augen zu sehen, wirkt sie ungewöhnlich schüchtern für ein so gut aussehendes Mädchen. Während meiner Schulzeit habe ich eigentlich die Erfahrung gemacht, dass die Arroganz einer Frau proportional zu ihrer Schönheit zunimmt. Allerdings unterscheidet sich Lucy auch sonst stark von den Beautyqueens an meiner Schule. Statt teuer aussehender Markenklamotten trägt sie ein einfaches hellblaues T-Shirt mit einem stark ausgewaschenen Aufdruck und dazu einen schlichten Jeansrock. Das Oberteil der Schürze hat sie – wahrscheinlich aufgrund der Temperatur – von der Taille nach unten geschlagen.

»Hi Lucy, ich bin Nelly.« Während ich spreche, merke ich, dass ich nicht annähernd so freundlich klinge, wie ich es eigentlich tun sollte. Diese junge Frau hier hat mir ja schließlich nichts getan. Aber die Hitze treibt mich einfach in den Wahnsinn und dieser elende Blödmann von vorhin hat den Rest dazu beigetragen, dass mein Puls nach wie vor ungesund stark über dem Normalwert liegt. Und wenn ich gereizt bin, vergesse ich schnell alles andere.

»Wie kann ich dir helfen?«, fragt Lucy, als ihr klar wird, dass ich für heiteres Geplauder gerade eher nicht in der Stimmung bin.

»Ich suche diese Adresse.« Hastig halte ich ihr den Zettel hin, den ich noch immer in der Hand halte.

In dem Moment betritt eine zweite Frau, die etwa im Alter meiner Mom zu sein scheint, durch eine Tür hinter dem Tresen den Raum. Sie nimmt ihre Brille aus dem Haar und setzt sie sich auf die Nase. Über Lucys Schulter hinweg wirft sie ebenfalls einen Blick auf den durch meine schwitzigen Hände und meine Wut mittlerweile leicht lädierten Adresszettel. Vermutlich handelt es sich bei der Frau, die Lucy bei genauerer Betrachtung ziemlich ähnlich sieht, um besagte Anne, die Eigentümerin des Ladens. Sie hebt ihren Kopf wieder und lächelt mich freundlich an. Ihr Blick wirkt herzlich, aber irgendwie auch müde und erschöpft.

»Das trifft sich gut, Schätzchen.« Mit der Hand deutet sie hinter mich. »Da kauft sich gerade deine Mitfahrgelegenheit eine Coke.« Irritiert sehe ich zwischen den beiden Frauen hin und her, doch ehe ich nachfragen kann, ruft Anne bereits: »Fynn, könntest du die junge Dame mitnehmen? Sie sucht die Meadowlane!«

2. KapitelUnter einem Dach

Irgendwie hatte ich geahnt, wer hinter mir steht, noch bevor ich mich überhaupt umgedreht habe. Das Schicksal ist mir eben meistens nur bei unglücklichen Wendungen gewogen. Diese böse Vorahnung hilft mir jedoch auch nicht, als ich jetzt in zwei mir bekannte kastanienbraune Augen starre. Für den Bruchteil einer Sekunde drohen meine Gesichtszüge zu entgleisen, dann atme ich tief durch und reiße mich geistesgegenwärtig zusammen. Denn dieser nervtötende Traktor-Typ, dessen Name nach neuem Erkenntnisstand also Fynn ist und der mich mindestens ebenso entgeistert anstarrt wie ich ihn, ist offensichtlich mein Direktticket zu einer lang ersehnten kalten Dusche und einem kühlen Zimmer. Und wenn man etwas von jemandem will, muss man eben manchmal in den sauren Apfel beißen, auch wenn es sich bei diesem Jemand um einen gemeingefährlichen Hinterwäldler handelt, dem eigentlich der Führerschein entzogen gehört.

»Sicher, Anne«, antwortet Fynn in knurrigem Tonfall, ohne dabei seinen bohrenden Blick von mir abzuwenden.

»Kennst du Nelly bereits?«, fragt Anne an Fynn gewandt, sieht dabei jedoch zwischen ihm und mir zweifelnd hin und her. Scheinbar ist sie – nicht ganz unverständlicherweise –irritiert davon, wie sich zwei fremde Menschen bei ihrer ersten Begegnung ein Blickduell liefern können, das sich für eine Liveübertragung im Fernsehen eignen würde.

»Nelly«, wiederholt er meinen Namen so, als wäre er ein Schimpfwort, während er provokant langsam auf mich zuschlendert.

Keine Ahnung warum, aber einfach alles an ihm provoziert mich.

»Nelly, hm …« Er lacht abschätzig auf, was das Brodeln in mir nur noch verstärkt.

Meine schwitzigen Hände ballen sich zu Fäusten, sodass ich meine Gel-Nägel in der Handinnenfläche spüren kann. Extra für das Praktikum habe ich letzte Woche noch schnell einen Termin in meinem Lieblingsnagelstudio ausgemacht. Das Geld hätte ich mir auch wirklich sparen können.

»Sag’s doch am besten noch ein drittes Mal, es ist ja auch wirklich kein einfacher Name.« Trotzig verschränke ich die Arme vor meiner Brust und versuche angestrengt mit meinen Augen Blitze auszusenden. So viel zum Plan mit den sauren Äpfeln.

Fynn bleibt direkt vor mir stehen. Er ist so viel größer als ich, dass ich meinen Kopf leicht in den Nacken legen muss, um ihm weiter in die Augen schauen zu können. Aber ich werde dieses Blickduell nicht verlieren.

Schließlich gibt er auf. Abschätzig und in aller Seelenruhe mustert er mich von oben bis unten, während ich leicht nervös von einem Fuß auf den anderen trete.

»Passt irgendwie zu dir. Der Name klingt so …« Er macht eine dramatische Pause, bevor er grinsend weiterspricht. »So zickig.«

Wütend schnaube ich auf und es würde mich nicht wundern, wenn Dampf aus meiner Nase stiege. Dabei versuche ich das kleine Grübchen zu ignorieren, welches das Grinsen auf seine linke Wange zaubert. Zickig? Von wegen! Doch bevor ich etwas entgegnen kann, zum Beispiel, dass Fynn auch nicht gerade ein Hammer-Name ist, macht er auf dem Absatz kehrt und lässt mich zum zweiten Mal einfach stehen.

»Schreibst du es auf, Anne?«, fragt er über seine Schulter hinweg mit einem unerwartet charmanten Lächeln, das wohl ein so seltenes Gut ist, dass er es sich nur für bestimmte erlesene Frauen aufhebt. Dabei hält er eine Dose Coke hoch. Dann verschwindet er, begleitet vom unharmonischen Geläut des Türglockenorchesters, nach draußen. Einen kurzen Moment bin ich sprachlos und unfähig mich zu bewegen. Dann beginnen die Zahnräder in meinem Gehirn wieder zu arbeiten.

»Vielen Dank«, rufe ich Lucy und Anne kurzatmig zu, während ich mir hektisch meinen Koffer schnappe und unkoordiniert hinter Fynn her stolpere.

***

Entgeistert starre ich auf den Traktor, mit dem ich heute ja schon unfreiwillig Bekanntschaft machen durfte.

»Tut mir leid, dass ich nicht mit dem Cabrio hier bin, aber wenn du mitgenommen werden möchtest, musst du dich wohl oder übel damit abfinden.« Schadenfroh sieht Fynn mich an und setzt die Coke-Dose an seine geraden, strahlend weißen Zähne an. Einen Zahnarzt scheint es hier in der Einöde offensichtlich zu geben. Natürlich ist mir klar, dass er den Traktor nicht absichtlich genommen hat, um ein unwissendes Stadtmädchen zu ärgern. Aber trotzdem scheint ihm diese zufällige Entwicklung zu seinen Gunsten doch sichtlich Freude zu bereiten und ganz eindeutig tut es ihm so was von überhaupt nicht leid.

»Also genau genommen ist es ja ein Cabrio. Zumindest ist der Traktor oben offen.« Belustigt schüttelt Fynn den Kopf. Wenigstens findet er selbst seinen Witz komisch, denn mir ist gerade wirklich nicht zum Lachen zumute. Eher stehe ich, zum wiederholten Mal an diesem Tag, schon wieder kurz vor einer emotionalen Eskalation irgendwo zwischen Wutausbruch und Heulkrampf. Ohne mein jahrelanges wenig professionelles, aber zumindest leidenschaftliches Yogatraining, das mich Nervenbündel sogar halbwegs unversehrt durch die Abschlussprüfungen gebracht hat, hätte mich die Polizei von Roseville bestimmt längst verhaftet und ich würde in einer schäbigen Gefängniszelle darauf warten, dass meine Mom mich herausboxt. Sie ist nämlich Partnerin in einer der renommiertesten Anwaltskanzleien »auf internationalem Spitzenniveau«, wie es in ihrem Flyer steht, von dessen Foto sie und ihr anzugtragender Kollege einen mit einem unnatürlich weißen Zahnpastalächeln anstrahlen. Der Versuch einer Blitzmeditation, um wenigstens ohne schwerere Gesetzesverstöße aus dieser Begegnung mit Fynn herauszukommen, scheitert bedauerlicherweise kläglich. Aber wenigstens kann ich mich genug sammeln, um den blöden Cabrio-Witz zu ignorieren.

»Und wie soll ich da bitte hochkommen?« Genervt ziehe ich die Augenbrauen hoch und stampfe ungeduldig mit dem Fuß auf dem heißen Asphalt auf. Durch den für unsere Breitengrade ungewöhnlich heißen Sommer kocht der Boden fast, sodass ich mir einbilde, die Hitze durch die Sohle meiner Sandalen zu spüren. Und da soll es doch allen Ernstes Menschen geben, die den Klimawandel leugnen. Ich meine, ich würde mir beispielsweise auch wünschen, dass Schokolade nicht dick macht. Aber nur weil ich das Gegenteil behaupte, wird diese tragische Tatsache ja leider nicht weniger wahr.

Einen Vorteil hat die Hitze. Wenn ich ganz großes Glück habe, ist dieser Fynn einfach nur eine Fata Morgana. Doch leider spielt das Glück ja momentan lieber im gegnerischen Team.

»Du musst auf den Reifen steigen«, antwortet Fynn und deutet so selbstverständlich auf die beängstigend gigantischen Dinger, von denen ich noch gerade eben beinahe platt gefahren worden wäre, als wäre nichts leichter als diese akrobatische Meisterleistung. Doch tatsächlich macht er es mir absolut mühelos vor und sitzt binnen weniger Sekunden in schwindelerregender Höhe auf dem Fahrersitz.

»Also wenn du es nicht schaffst, kann ich natürlich von Anne aus dem Laden eine Trittleiter holen.« Fynn grinst süffisant.

So weit kommt’s noch. Diese Blöße würde ich mir ausgerechnet vor diesem Blödmann nicht geben.

Ziemlich mühsam, aber mit einem möglichst unangestrengten Gesichtsausdruck klettere ich auf den Reifen. Zwar bin ich im Fitnessstudio angemeldet, aber abgesehen von Yoga hatte ich es mit Sport noch nie so wirklich. Zu meiner Schande gehöre ich wohl eher zu denen, die bloß nach Weihnachten und vor dem Sommerurlaub auf eine einmalige Stippvisite im Gym vorbeischauen, um mit möglichst geringem Aufwand zu retten, was noch zu retten ist. Meine Muskeln jedenfalls rufen gerade: »Geschieht dir recht!«

Doch Fynn macht keine Anstalten, mir irgendwie behilflich zu sein. Stattdessen schaut er mir belustigt zu.

»Soll ich dir noch Popcorn bringen?«, knurre ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und ignoriere, dass der Schweißtropfen, der sich gemächlich den Weg meinen Rücken hinuntergewagt hat, nun an einer sehr unangenehmen Stelle angekommen ist.

»Danke, ich bin versorgt.« Meinen Sarkasmus ignoriert Fynn einfach und hält dabei seine mittlerweile halb leere Coke-Dose in die Höhe. Er hätte mir ja auch ruhig mal einen Schluck anbieten können.

Dann bin ich jedoch endlich oben angekommen und lasse mich auf den kleinen Zusatzsitz fallen, der nur für Size-Zero-Hintern gemacht zu sein scheint und unter meinem Gewicht beängstigend nachgibt. So muss es sich anfühlen, den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Ohne Atemgerät.

»Ha!« Triumphierend grinse ich ihn an. Doch ein Triumph meinerseits passt einfach nicht zu diesem Unglückstag und ist dementsprechend nicht von langer Dauer.

»Willst du ohne deinen Koffer fahren?«

Mein Blick fällt auf das Riesending, das noch immer auf dem Asphalt steht. Für einen filmreifen Moment starre ich Fynn einfach nur an. Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Wie weggewischt sind alle Vorsätze, mein bisher unbeschriebenes Strafregister nicht für Fynn aufzugeben. Ich bringe diesen Kerl um!

***

Kies knirscht unter den Reifen des Traktors, als wir durch einen Torbogen aus dunklem, leicht verwittertem Holz in einen großen Innenhof rollen.

Wie ein Scheinwerfer wirft die mittlerweile tiefer stehende Sonne von Westen einen Spot auf ein großes altes Bauernhaus, das von mehreren Scheunen umrahmt wird. In den Kästen vor den Fensterbänken blühen Hunderte Blumen in herrlichen Rosa- und Lilatönen und vor der großen Eingangstür steht eine kleine Holzbank, die zwar mal wieder einen neuen Anstrich vertragen könnte, aber dennoch ziemlich gemütlich aussieht.

»Ich dachte, du fährst mich zum Hotel?«, frage ich verwirrt, als der Traktor vor der Scheune zum Stehen kommt und Fynn den Schlüssel aus dem Schloss zieht.

Auf der Fahrt hierher habe ich irgendwann einfach abgeschaltet, weil ich schon nach wenigen Minuten die Orientierung komplett verloren hatte. Nachdem wir den Ortskern verlassen hatten, hat irgendwie alles nur noch gleich ausgesehen. Alles gleich grün. Außerdem musste ich mich ziemlich darauf konzentrieren, nicht von dem kleinen Beifahrersitz zu fallen. So eine Traktorfahrt ist nämlich eine ganz schön wackelige Sache. Meine Mom bezahlt im Fitnessstudio viel Geld für diesen Rütteleffekt.

»Das Plaza war leider schon komplett ausgebucht!«, sagt Fynn mit einem selbstgefälligen Grinsen und springt hinunter auf den staubigen Boden.

Zwei tiefe Atemzüge lang schließe ich erneut für eine Blitzmeditation meine Augen – in dem verzweifelten Versuch, nicht durchzudrehen. Dann lasse ich mich hastig und wahrscheinlich mächtig ungalant ebenfalls von meinem Sitz gleiten und versuche Fynn zu folgen, der schnurstracks auf das Haus zuläuft. Als ich ihn einhole, hat er fast die Haustür erreicht, weil ich noch einmal zurücklaufen und meinen Koffer von der kleinen Ladefläche des Traktors hieven musste. Auch auf dem Land sind die echten Gentlemen offenbar längst ausgestorben. Obwohl: Habe ich von Fynn etwas anderes erwartet?

Unsanft fasse ich ihn bei der Schulter, sodass er sich zu mir umdrehen muss.