Sie sind die Kinder. Sie spielen ihre Spiele.Haben einen Kreis geschlagen auf einer Landkarte der Zeit,sind hineingesprungen, haben die Kompassnadel angehoben und gelacht.Ich werde dir eine orangefarbene Katze schenken, und ein Schwein, das Mandarine heißt.Der Vogel der Freude schlägt mit den Flügeln gegen undurchsichtiges Glas.Da ist ein weißer Vogel, oben im Wipfel des Baums.Sie lassen ihre Spiele zurück, und sie ziehen vorbei.
Muriel Rukeyser, Fourth Elegy: The Refugees
Nachwort
Von Ruth Franklin
Der Großteil von White Bird spielt in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs, aber am Anfang des Buches gibt es eine Szene, die sich so auch heute in jeder Schule abspielen könnte. Sara, die Künstlerin werden möchte und während des Unterrichts zeichnet, lässt ihr kostbares Skizzenbuch fallen. Ihr Sitznachbar, der es aufhebt, nachdem die anderen Schüler die Klasse verlassen haben, ist ein Junge, dessen Beine durch seine Kinderlähmungserkrankung beeinträchtigt sind – wegen seines schiefen Ganges nennen seine Mitschüler ihn Tourteau – Krabbe. (Sein echter Name lautet, wie die Leserinnen und Leser inzwischen wissen, Julien.) Sara schließt sich ihnen zwar nicht an, versucht aber auch nicht, sich mit ihm anzufreunden oder ihn öffentlich zu verteidigen: Sie ist eine Mitläuferin. Als er sich ihr auf seinen Krücken nähert, beginnen ihre Freundinnen zu flüstern. »Uh. Was will der denn?« »Ich rieche ihn bis hierher.« (Juliens Vater arbeitet in der Kanalisation.) Sara dankt ihm zwar für das Skizzenbuch, erhebt aber keinen Einspruch gegen die Grausamkeit ihrer Freundinnen.
Jeder, der den Julian-Teil in Wunder – Julian, Christopher und Charlotte erzählen gelesen hat, in dem die Autorin R. J. Palacio die Hintergrundgeschichten einiger Figuren ihres Romans Wunder vertieft, wird sich an den Jungen erinnern und an die Rolle, die er nicht nur im Leben von Sara, sondern auch in dem ihres Enkels Julian spielt, der schließlich sein Namensvetter ist. White Bird setzt diese Geschichte nicht nur fort, sondern erweitert sie. Die Handlung beginnt mit einem FaceTime-Anruf, bei dem der Julian von heute seine Großmutter bittet, ihm mehr von ihren Erfahrungen als jüdisches Mädchen in Frankreich während des Krieges zu erzählen. Durch ihre Augen sehen wir die Bedrohung durch die Nationalsozialisten, die immer deutlicher wird: Die Hakenkreuzfahnen, die an den Gebäuden hängen, die Gesetze, die Juden den Zugang zu gewissen Orten verwehren und sie zwingen, den gelben Judenstern zu tragen, die ersten beängstigenden Razzien und Deportationen. Doch für Sara, die mit ihrer Familie in der sogenannten freien Zone lebt, geht das Leben beinahe normal weiter – bis Nazis in ihre Schule kommen, um alle jüdischen Kinder abzuholen.
Wie Lois Lowrys Buch Wer zählt die Sterne ist auch White Bird fiktiv – die Geschichte von einem Kind, das sich verstecken muss, und vom Heldentum derjenigen, die ihm zu Hilfe kommen. Bemerkenswerterweise wird der Roman nicht aus der Perspektive der nicht-jüdischen Helfer erzählt, sondern aus der des sich versteckenden Kindes. Auch die Botschaft von White Bird ist sehr spezifisch. »Das Böse wird sich nur aufhalten lassen, wenn gute Menschen sich dazu entschließen, ihm ein Ende zu setzen«, sagt Vivienne, Juliens Mutter. Sara wiederum muss ihr eigenes moralisches Versagen begreifen und zutiefst bedauern, nicht gegen ihre Klassenkameraden eingeschritten zu sein, als sie Julien gemobbt haben.