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In diesen Erzählungen erkennen die Leserinnen und Leser ihre eigenen Lebenssituationen wieder, erinnern sich an Frohes oder auch an Trauriges, fühlen sich verstanden und ermutigt oder einfach wohl.
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Seitenzahl: 115
„Wie bei uns! Genau so ist das bei uns!“ rief eine Zuhörerin bei einer Lesung im Herbst 2019 in der Selbsthilfegruppe für Schlaganfall und Aphasie in Bernkastel-Kues spontan aus, nachdem sie die erste Geschichte (es war „Der kleine Spaziergang“) gehört hatte.
Genau so sind die kleinen Erzählungen gedacht: die Leserinnen und Leser erkennen sich bzw. ihre Lebenssituationen darin wieder, erinnern sich an Frohes oder auch an Trauriges, fühlen sich verstanden und ermutigt oder einfach wohl. Die hier gesammelten Geschichten entstanden in der Zeit von Dezember 2017 bis Januar 2021. Es sind teils erfundene, teils erlebte Begebenheiten aus dem ganz normalen Leben, für das wohl viele Menschen Dankbarkeit verspüren, wenn sie im Alltäglichen entdecken können, dass nichts selbstverständlich ist.
Beate Hannen, geboren 1963 in Kirchen/Sieg. Abitur am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Betzdorf-Kirchen. Studium in Siegen, Referendariat in Fulda, Schuldienst an einem Gymnasium an der Mosel. Verheiratet, zwei Kinder. Oberstudienrätin i.R.
Altbewährtes und Neues
Kleine Hoheiten unterwegs
Der Heimtrainer
Ein Kostüm für Karneval
Nachtumzug
Kinderkappensitzung
Der kleine Spaziergang
Ein Konzertbesuch
Ohne Auto unterwegs
Kaffeeklatsch bei Mathilde
Hauptsache
Der Vogelschirm
Bücher sind Lebensmittel
Wolkenbilder
Goldene Hochzeit
Ein Schulranzen für Antonia
In Verbindung bleiben
Patronatsfest
Klavierspiel
Papierflieger
Lieblingsfarbe Gelb
Früh am Morgen
Etwas Bargeld
Ohne Schuhe
Lebensenergie
Ein Sonntagsausflug
Sommergewitter
Urlaub im Garten
Spielende Kinder
Freitagnachmittag
Ein Autounfall
Selbstgebackenes Brot
Im Wartezimmer
Herbsthimmel
Herbsttag im Stadtpark
Urlaubsgefühl
In der Kirche
Martinslichter
Alte Bücher
Suchen und finden
Weihnachten nach Hause
Der erste Schnee
Sendungsverfolgung
Der klingende Adventskalender
Auf dem kleinen Regal im Badezimmer stand ein Kalender mit humorvollen Sprüchen. Es handelte sich um unterhaltsame Lebensweisheiten, die als stille Impulse in den Tag geeignet und meist witzig illustriert waren. Nicht immer blätterte sie morgens um, manche Denkanstöße passten und gefielen so gut, dass es mehrere Tage dauerte, bis ihr Mann oder eines der Kinder oder sie selbst weiterblätterte. Heute war zu lesen: „Glück ist eine warme Decke.“ Die Zeichnung dazu zeigte einen kleinen Hund, der nicht in seiner Hundehütte, sondern auf deren Dach lag und mit einer karierten Decke zugedeckt war, während um ihn herum Schneeflocken fielen. Das kuriose Bild wirkte sehr friedlich. Glück ist, nicht frieren zu müssen, ja, dachte sie. Da ihr Mann öfter unter kalten Füßen litt, nahm er gern ein warmes Fußbad und legte sich abends zusätzlich eine Wolldecke an das Fußende seines Bettes. Sie selbst hatte ihre alte, blaue Decke, die ihr immer etwas zu fest oder steif vorgekommen war, kürzlich beiseite geräumt und durch eine moderne Fleecedecke ersetzt. „Plüschdecke“ stand auf dem Etikett, Mikrofaser, hundert Prozent Polyester. Die Decke, die ganz preiswert gewesen war, konnte in der Waschmaschine gewaschen werden und trocknete schnell wieder, war sehr weich und tat ihr gute Dienste, zumal sie sich mittlerweile öfter den Luxus einer Mittagsruhe erlaubte. Wenn die Hausarbeit erledigt war und kein Termin anstand, genoss sie es, ein wenig zu ruhen – eine halbe Stunde Mittagsschlaf, länger brauchte die Pause nicht zu sein, und auch wenn sie nicht einschlief, sondern nur ruhte, verfügte sie danach wieder über Energie.
Nun kuschelte sie sich auf dem Sofa in ihre neue Decke, nachdem sie mit weit geöffneten Fenstern ordentlich durchgelüftet hatte. Auch im Winter musste schließlich gelüftet werden! Sie versuchten vernünftig zu heizen und ebenso vernünftig und konsequent auf das Lüften zu achten. Die frische Luft war wichtig und tat gut, aber jetzt war es wirklich sehr kühl im Raum geworden. Wenn man in Bewegung war bei der Hausarbeit, beim Putzen oder beim Bügeln, wurde einem ja schnell wieder warm, beim Kochen oder Backen sowieso, aber jetzt beim Ausruhen klappte das irgendwie nicht. Sie fröstelte. Da half es auch nicht, dass die Decke einen schönen dunkelroten Farbton hatte, der Wärme symbolisierte. Nach einigen Minuten legte sie die Kuscheldecke beiseite und holte ihre alte Wolldecke hervor. Hundert Prozent Schurwolle, diese Information war auf dem etwas verblassten Etikett noch zu erkennen. Seit Jahrzehnten besaß sie diese Decke, die sie als junge Frau aus ihrem Elternhaus hatte mitnehmen dürfen, als sie ausgezogen war. Sie deckte sich zu. Doch noch immer wurde ihr nicht warm, fühlte sich das Ruhen nicht gemütlich an. Ob sie vielleicht eine Erkältung erwischt hatte? Ihr Mann hatte gestern mehrmals kräftig geniest, auch gehustet, vielleicht hatte sie sich bei ihm angesteckt? Sie wartete ein paar Minuten, dann holte sie die weiche Fleecedecke zurück, kuschelte sich hinein und deckte sich zusätzlich mit der Wolldecke zu.
Ganz allmählich spürte sie eine angenehme, wohltuende Wärme und fühlte sich geborgen. Glück ist eine warme Decke, aber manchmal braucht man zwei, murmelte sie und dachte: Glück ist, wenn altbewährte und neue Dinge sich ergänzen. Dann schlief sie tatsächlich ein und schlummerte gemütlich ihre halbe Stunde.
Es war ein wirklich ungemütlicher Morgen, kühl und regnerisch, als die Kinder sich Anfang Januar auf den Weg machten. Die drei waren in schöne Gewänder gehüllt und trugen selbstgebastelte goldene Kronen. Sie hielten einen langen Stab mit einem großen Stern in den Händen, außerdem Kreide, um den Segen anzuschreiben, und eine Dose, um Spenden einzusammeln. Sie waren also eindeutig als Sternsinger zu erkennen. Weil diese drei allerdings zum ersten Mal mitgingen, fühlten sie sich etwas unsicher und waren froh, dass ein älterer Jugendlicher sie als Betreuer begleitete. Alleine wäre ihnen doch mulmig zumute gewesen. Aber zusammen würde es schon klappen!
Am Vorabend hatte sich das irgendwie besser angefühlt. Da waren nämlich viele Kinder und Jugendliche in der Kirche bei der Aussendungsfeier dabei gewesen, mehrere Kirchenbänke hatten sie gefüllt, eine richtig große Gruppe, und sowohl der Pastor als auch die Gemeindereferentin hatten die Kinder und Jugendlichen für ihr Engagement gelobt. Zuvor hatten sie am Nachmittag bei der Vorbereitung einiges über die alljährlich stattfindende Aktion erfahren, und hilfsbereite Frauen aus der Pfarrgemeinde hatten die königlichen Hoheiten sowohl mit Gebäck und Getränken versorgt als auch beim Verteilen der unterschiedlichen Gewänder und beim Ankleiden geholfen. Für die Dreiergruppen hatten die Betreuer aufgeschrieben, wer durch welche Straßen zu gehen hatte, so dass es am nächsten Morgen gleich losgehen konnte. Nun klingelten sie also mit gemischten Gefühlen am ersten Haus. Mit leisen Stimmen und noch etwas zögernd sagten die drei als Caspar, Melchior und Balthasar ihren Text auf, der Betreuer schrieb mit der Kreide den Segen über die Haustür, die Besuchten steckten Geld in die Spendendose und gaben den Kindern noch Süßigkeiten als Belohnung, dann ging es weiter. Beim zweiten und dritten Haus wurden die Kleinen schon sicherer, die Stimmen klangen etwas kräftiger, und ab dem vierten Haus klappte es richtig gut. Der Betreuer lobte sie dafür, und die Kinder strahlten: „Das ist ja gar nicht langweilig!“ - „Das macht sogar richtig Spaß!“- „Und ich bin noch gar nicht müde!“
Manche der Besuchten schauten genauer, ob sie die Kinder kannten oder fragten nach, wen sie da vor sich hatten, doch die meisten hörten einfach zu, was die Kinder aufsagten, und dankten für den Segen. Bis alle vorgesehenen Straßen abgearbeitet waren, vergingen fast drei Stunden. Zum Glück hatte es irgendwann aufgehört zu regnen, sonst hätten die schönen Kronen und Gewänder doch vielleicht Schaden genommen oder die Kinder hätten sich übel erkältet. In der Mittagszeit kamen sie etwas müde, aber zufrieden wieder im Pfarrheim an. Dort versammelten sich alle Kinder, die als Sternsinger durch den Ort gegangen waren, legten die gesammelten Süßigkeiten auf einen großen Tisch und gaben die Spendendosen den Betreuern. Die Betreuer teilten die Süßgkeiten unter den Kindern auf und zählten das gesammelte Geld. Wieviel würde wohl diesmal gespendet worden sein? Als das Ergebnis feststand, reagierten die Kinder unterschiedlich. Während die einen etwas kritisch anmerkten, dass sie weniger als im Vorjahr gesammelt hatten, waren die anderen erstaunt, wie viel doch zusammengekommen war.
Die Gemeindereferentin fasste zusammen: „Liebe königliche Hoheiten, wir danken euch für euren Einsatz! Und es wäre schön, wenn ihr nächstes Jahr wieder dabei seid!“ - „Klar mach ich wieder mit“, murmelte manche kleine Hoheit müde.
Am Jahresanfang standen sie wirklich in jedem Werbeprospekt: Trainingsgeräte unterschiedlicher Art, zum Fahrradfahren etwa oder zum Rudern. Wahrscheinlich hatten gerade jetzt viele Leute gute Vorsätze, wollten sich der Gesundheit zuliebe mehr bewegen und waren bereit, dafür Geld auszugeben. Auch ich spielte mit dem Gedanken, ein solches Gerät zu kaufen, um unabhängig vom Wetter meine Ausdauer trainieren zu können. Zurecht erinnerte mein Mann mich allerdings daran, dass ich mich in der Reha bei diesen Trainingseinheiten stets gelangweilt hatte! Das stimmte. Die zehn oder zwanzig Minuten Ergometer, die regelmäßig auf meinem Plan gestanden hatten, waren mir endlos und irgendwie auch wenig sinnvoll erschienen. Während andere Patienten sich mit sportlichem Ehrgeiz abrackerten, hatte ich mich müde bemüht, die Minuten wenigstens irgendwie durchzuhalten. Also verwarf ich den Gedanken wieder. Nach einiger Zeit jedoch überlegte ich erneut, sprach auch mit meiner Physiotherapeutin, die mich darin bestärkte, dass diese Art der Bewegung für mich gut wäre. Die Angebote hatte ich verpasst. Sollte ich im Internet suchen? Eine Bekannte riet mir, mich an einen Fahrradhändler zu wenden, was ich per Telefon tat.
Nein, er führe solche Geräte nicht mehr, weil die Leute ja lieber billig kaufen wollten, er könne aber gern einen Heimtrainer für mich bestellen. Wieviel ich denn ausgeben wolle? Als ich meine Preisvorstellung nannte, bedauerte er, da müsse er mich leider doch an die Discounter-Angebote verweisen, denn was er bestellen würde, wäre deutlich teurer. Nach kurzem Überlegen ergänzte er, er wisse Leute, die ein gebrauchtes, gutes Gerät zu dem von mir genannten Preis verkaufen wollten. Es seien ältere Leute, die ihr Gerät nicht mehr so nutzten – das wäre doch vielleicht etwas für mich! Der hilfsbereite Händler nannte mir die Telefonnummer. Ich rief dort an, erklärte mein Anliegen und erfuhr die Adresse. Das Dorf war mir völlig unbekannt. Alleine könnte ich so einen Heimtrainer wohl nicht transportieren, aber zu zweit wäre es kein Problem. Wir verblieben so, dass ich mich nach Rücksprache mit meinem Mann wieder melden würde, um einen Termin zu verabreden. Mein Mann war einverstanden, und schon am nächsten Tag konnten wir hinfahren. Dank Navi fanden wir das Dorf. Für die Adresse mussten wir zwar noch die Hilfe eines Passanten in Anspruch nehmen, aber schließlich standen wir vor dem richtigen Haus. Ein freundlicher, alter Herr bat uns herein, aus dem Hintergrund kam eine freundliche, alte Dame dazu. Sie seien jetzt beide 91, und da müsse man sich nicht mehr abstrampeln, sagte sie und ging eine Treppe hinauf. Wir folgten ihr, ich durfte probesitzen und ausprobieren, die Dame gab mir sogar noch die Bedienungsanleitung.
Der Heimtrainer war bequem und gut, ich war schnell entschlossen: Ja, ich möchte ihn kaufen! Mein Mann und ich trugen das Gerät die Treppe hinunter und zum Auto. Während er es im Kofferraum verstaute, ging ich nochmals ins Haus und bezahlte den vereinbarten Betrag. Als ich mit allerlei guten Wünschen verabschiedet wurde, sagte ich noch: „Sie sind beide 91. Mein Mann und ich sind auch gleich alt, wir sind jetzt beide 55!“ Daraufhin stellte die alte Dame energisch fest: „55? In Ihrem Alter waren wir noch beritten!“
Eine Formulierung wie aus einer anderen Zeit. Die kleine Begegnung hat mich sehr beeindruckt.
So viel Werbung! Stapelweise flatterten die Prospekte ins Haus. In den Wochen vor Karneval gab es scheinbar unendlich viele Angebote von Kostümen und Zubehör, immer neue bunte Verkleidungen für Erwachsene und für Kinder, teils schön, teils eher verrückt – und geradezu erschreckend billig! Sicherlich wurde das meiste unter üblen, ungerechten Bedingungen hergestellt, in Fernost oder anderswo. Prinzessinnen und Ritter, Feen und Piraten, Tiere und Filmhelden: für ein paar Euro ein ganzes Kostüm?!
In den Kindergarten durften die Kinder am Donnerstag verkleidet kommen. Etwas Billiges kaufen wollte die Mutter dafür nicht, viel Geld ausgeben aber auch nicht. Da traf es sich gut, dass die Freundin Kleidung vorbeibrachte, aus der ihre beiden Töchter mittlerweile herausgewachsen waren: Jeans und T-Shirts, eine Jacke, zwei Sommerkleider, auch ein Karnevalskostüm sei dabei, das vielleicht jetzt passen würde, hatte sie angekündigt. Kleider und Kostüm hatte Oma Hilde sogar selbst genäht!
Neugierig packte die Mutter mit ihrer kleinen Tochter die geschenkten Kleidungsstücke aus, sie probierten, ob schon etwas passte – und bestaunten das Karnevalskostüm: ein farbenprächtiges Gewand für einen Clown, aus glänzendem Satinstoff, sehr sorgfältig gearbeitet. Das Mädchen schlüpfte in Hose und Oberteil, ja, die Verkleidung passte, es fehlte nur noch ein lustiger Hut. Den bastelten sie aus Fotokarton und selbstklebender Glanzfolie. Die Kleine schien zufrieden, obwohl sie beim Blättern in den Prospekten mit verträumtem Gesichtsausdruck die Prinzessinnen betrachtete. Das Clownskostüm war hübsch, außerdem hatte die Tochter von Mamas Freundin es auch getragen, und mit diesem großen Mädchen verstand sie sich richtig gut!
Am Donnerstagmorgen zog die Kleine stolz das Kostüm an, ließ sich ein wenig schminken, setzte den Hut auf, der mit einem dünnen Gummiband auf dem Kopf hielt, und hüpfte fröhlich an der Hand der Mutter den Weg zum Kindergarten. Dort angekommen verschwand sie rasch im lebhaften Getümmel.
Mittags holten Mütter und Väter ihre kleinen Karnevalsgecken wieder ab. Mit fröhlichen, wenn auch müden Gesichtern liefen die Cowboys, Indianer oder Ritter, die Prinzessinnen oder Feen den Eltern in die Arme. Schließlich kam auch ein Clownsmädchen mit tieftraurigem Gesicht aus der Tür. Was war denn passiert? Hatte sie sogar geweint? Die Kleine schüttelte den Kopf, schien aber mit den Tränen zu kämpfen. Sie wollte nichts sagen, nur schnell nach Hause.
Zuhause erzählte sie schluchzend, fast alle Mädchen seien Prinzessinnen gewesen, hätten so wunderschöne, glitzernde Kleider angehabt, wie sie selbst sie in den Prospekten gesehen hatte. Nur sie habe als doofer Clown daneben gesessen! Schnell zog sie das Kostüm aus und normale Kleidung an, Karneval war für sie vorbei. „Und nächstes Jahr will ich Prinzessin sein!“ sagte sie entschlossen.