Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Inhalte, Symbole und Rituale des christlichen Glaubens – gerade in der katholischen Form hat sich ein ganzer Kosmos an Traditionen und Zeichen entwickelt, die ein hohes Grundvertrauen ins Leben zum Ausdruck bringen. In sieben mal sieben kurzen Kapiteln bringt Erfolgsautorin Julia Knop anschaulich auf den Punkt, worum es beim Glauben geht und wie sich in manchmal kleinen Zeichen etwas Großes zeigt – wenn man sie denn zu "lesen" versteht. Ohne Vorwissen vorauszusetzen gibt sie hier eine verlässliche und am Leben entlang buchstabierte Einführung in die verschiedenen Aspekte des Glaubens und seiner Ausdrucksformen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 197
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Julia Knop
Wie geht katholisch?
Eine Gebrauchsanleitung
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Umschlagmotiv: Fenster aus der Kirche Sagrada Familia, Barcelona
© Niko Guido / gettyimages
ISBN (E-Book) 978-3-451-80051-1
ISBN (Buch) 978-3-451-33250-0
Inhalt
Zu diesem Buch
Gott sei Dank! – Horizonterweiterung
1. … der Himmel und Erde erschaffen hat: Gott, der Schöpfer
2. Als Abbild Gottes schuf er ihn Der Mensch: Gottes geliebtes Geschöpf
3. Mit Gott auf Du und Du Offenbarung und Glaube
4. Glauben lernen. Prinzip Überlieferung
5. Die Bibel: Buch der Bücher
6. Im Zweifel für Gott Glaubensnot und Gottesnot
7. Hoffnung im Angesicht des Todes
Im Namen des Vaters – Glauben und Beten
8. Vater unser im Himmel
9. Credo: Ich glaube
10. Jesus Christus ist der Herr!
11. Vater, Sohn und Heiliger Geist
12. Im Zeichen des Kreuzes
13. Beten: Loben, Danken, Bitten
14. Körpersprache: Stehen, Sitzen, Knien
Zeichen und Fristen – Christliche Zeitrechnung
15. Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang: Der Tag
16. Der Sonntag: Tag des Herrn
17. Hauptsache bunt? Das Kirchenjahr und seine Farben
18. Feste feiern, wie sie fallen: Christliche Zeitrechnung und katholische Festkultur
19. Ein Kind ist uns geboren! Advent und Weihnachten
20. Kehr um! Glaube an das Evangelium! Die Fastenzeit
21. Christus ist erstanden, halleluja! Ostern und Pfingsten
Von der Wiege bis zur Bahre – Sakramente
22. Höchstpersönlich: Die Feier der Taufe
23. Das Siegel des Heiligen Geistes: Die Feier der Firmung
24. Leib Christi! Die Feier der Eucharistie
25. Ich verspreche dir die Treue: Die Ehe
26. Ich bin bereit! Die Weihe
27. Die Chance des Neubeginns: Das Sakrament der Versöhnung
28. Heil und Heilung: Das Sakrament der Krankensalbung
Sinn und Sinnlichkeit – Kirche zum Anfassen
29. Ein Haus des Gebets: Der Kirchenraum
30. (Weih-)Wasser und Taufbecken
31. Der Glaube kommt vom Hören: Der Ambo
32. Mitte der Versammlung: Der Altar
33. Kerzen und Weihrauch
34. Apostel und Heilige, Ikonen und Reliquien
35. Glocken, Orgel und Gesang
Vor Ort glauben – weltkirchlich denken
36. Kirche zu Hause: Die Familie
37. Kirche im Dorf und in der Stadt: Die Pfarrgemeinde
38. Katholisch vor Ort: Das Bistum
39. In Gemeinschaft mit dem Papst: Die Weltkirche
40. Ora et labora: Orden und Gemeinschaften
41. Mit allen Engeln und Heiligen: Kirche durch die Zeiten
42. Gemeinschaft in Glaube und Sakrament: Kirche und Ökumene
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen – Christsein als Lebensstil
43. Habt keine Angst! Gottvertrauen leben
44. Vor-Bilder: Heilige und die Berufung aller Christen, heilig zu werden
45. Hungrige speisen, Traurige trösten, Lästige ertragen, Tote begraben: Die Werke der Barmherzigkeit
46. Licht der Welt und Salz der Erde: Kirche im Dienst an der Gesellschaft
47. Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade! Die Botschaft des Engels
48. Ihr werdet meine Zeugen sein: Missionarisch Kirche sein
49. Jesus Christus: Alpha und Omega, A und O
Stichwortverzeichnis
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Christentum ist keine trockene oder abstrakte Theorie, sondern eine Art zu leben und sein Leben zu gestalten. Menschen, die sich zu dieser Glaubensgemeinschaft zählen, interpretieren »Gott und die Welt« aus einer bestimmten Perspektive heraus: aus der Perspektive des Glaubens an Jesus Christus, den Sohn Gottes, der starb und auferstand, damit wir das Leben haben. Davon handelt dieses Buch.
Es ist eine Einführung in die katholische Gestalt des Christentums. Es geht um einschlägige Zeichen und Symbole, um grundlegende Gebete und Bekenntnisse, um Gottesdienst und Kirchenraum, um typische Haltungen und Lebensformen. Die einzelnen Kapitel dechiffrieren die Formensprache des Katholizismus unserer Tage und in unseren Breiten. Manches davon ist »typisch katholisch«, anderes gehört zum christlichen Gemeingut und ist darum so oder ähnlich auch in den anderen Konfessionen zu finden. Manches ist, zumindest auf den ersten Blick, altbekannt und selbstverständlich. Anderes gehört zu den Dingen, deren Hintergrund und Bedeutung man gegenwärtig neu entdeckt.
Dieses Buch richtet sich an alle, die mehr über die katholische Lesart des christlichen Glaubens wissen möchten: an Katholiken, die sich mit ihrem eigenen Glauben auseinandersetzen wollen, und an Menschen, die sich für diesen Glauben und seine Ausdrucksformen interessieren, ohne selbst darin zu Hause zu sein. Lesern, die sich, weil ihr Kinderglaube nicht mehr trägt, als erwachsener Christ in Glaubensdingen neu aufstellen möchten, bietet es Information und Anregung. Wer als Eltern oder als Erzieher, Lehrerin oder Katechetin (zum Beispiel in der Begleitung eines Erstkommunion- oder Firmkurses), als Pfleger oder Seelsorger andere Menschen auf ihrem Glaubensweg begleitet, kann in diesem Buch ebenso fündig werden wie jemand, der sich auf die eigene Taufe oder die seines Kindes vorbereitet oder kirchlich heiraten möchte. Man kann es am Stück lesen oder, da alle Kapitel in sich abgeschlossen sind, anhand des Inhaltsverzeichnisses oder des Stichwortverzeichnisses gezielt etwas nachschlagen. Es gibt sieben große Teile, die in jeweils sieben Kapitel untergliedert sind:
Der erste Teil spannt den großen Horizont des Glaubens auf. Hier geht es ganz grundsätzlich um Gott und die Welt, um Basics der Glaubensüberlieferung und um das Potenzial, das ein Leben in den Koordinaten Gottes angesichts von Leid und Tod, Sorge und Zweifel bieten kann.
Der zweite Teil führt ins Zentrum des christlichen Glaubens: zu Jesus Christus und zum christlichen Bekenntnis Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gebete, Bekenntnisse, Zeichen und Vollzüge, die von alters her Identitätsmerkmale des Christentums sind, erschließen diese Mitte: das Vaterunser und das Credo, aber auch das Kreuzzeichen und die Art und Weise, wie gläubige Christen beten.
Der dritte Teil fragt nach Tag und Stunde, Fest und Alltag; danach, wie Katholiken Zeit wahrnehmen und Zeit gestalten und was es mit Weihnachten, Ostern und Pfingsten auf sich hat.
Der vierte Teil nimmt die sieben Sakramente in den Blick, die in der katholischen Kirche gefeiert werden: die Feiern von Taufe, Firmung und Eucharistie, Ehe und Weihe sowie die Sakramente der Versöhnung und der Krankensalbung.
Der fünfte Teil thematisiert die sinnliche Dimension, die Zeichensprache des Glaubens – das, was man im Kirchenraum und im Gottesdienst sehen und hören, riechen und berühren kann: Kerzen und Weihrauch, Glocken und Gesang, aber auch die wichtigsten Orte im Kirchenraum: Altar, Ambo und Taufbecken.
Der sechste Teil informiert darüber, wie und wo Kirche erfahrbar wird. Denn Kirche gibt es aus katholischer Sicht ganz klein und ganz groß: in der Familie und in der Pfarrgemeinde, als Bistum und als Weltkirche und sogar quer durch die Zeiten.
Der siebte Teil fragt nach typischen christlichen Haltungen. Woran zeigt sich, woran könnte sich zeigen, dass jemand vom Geist Jesu Christi getroffen, von ihm inspiriert ist? Wozu ist Kirche da und was ist ihre Aufgabe in unserer Gesellschaft? Wie wird Christsein lebendig?
Wenn Ihr Interesse geweckt wird, der einen oder anderen Frage nachzugehen, hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Julia Knop
»Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn – der Himmel und Erde erschaffen hat.« Wer einmal Ministrantin oder Ministrant war, kennt diese Worte aus den Psalmen der Bibel (vgl. Ps 121,2; Ps 124,8). Es handelt sich um ein kurzes Wechselgebet, das Priester und Messdiener sprechen, bevor sie aus der Sakristei in den Kirchenraum einziehen, um dort zusammen mit der ganzen Gemeinde Messe zu feiern. Bei diesem Gebet machen sie ein Kreuzzeichen.
Aber was soll das heißen – »… der Himmel und Erde erschaffen hat«? Für viele klingt das ganz schön altbacken. In Amerika streiten Eltern, Biologie- und Religionslehrer um die Wahrheit des ersten biblischen Schöpfungsberichts (vgl. Gen 1,1–2,4a). Wer hat Recht – die Bibel, die von der Schöpfung als Erschaffung der Welt in sieben Tagen spricht, oder die moderne Naturwissenschaft, die von vielen Millionen Jahren, von einem bis heute andauernden Prozess der Evolution ausgeht?
Eine einfache Überlegung kann diesen Streit beilegen. Ein Konflikt entsteht eigentlich nur dann, wenn man die beiden Perspektiven – die religiöse und die naturwissenschaftliche – als alternative Antworten auf dieselbe Frage versteht, beispielsweise auf die Frage, wie lang es gedauert hat, bis der Mensch auf der Erde aufgetreten ist. Dann muss eine Antwort falsch sein – in diesem Fall eindeutig die religiöse. Der Mensch ist nicht am sechsten Tag des Universums aufgetaucht. Damit ist das Thema aber noch nicht vom Tisch. Schaut man genau hin, erkennt man nämlich, dass nicht dieselbe, sondern zwei sehr verschiedene Fragen gestellt und beantwortet werden. Den Naturwissenschaftler interessiert die Entstehung und Entwicklung des Kosmos. Er fragt nach dem »Wann?« und dem »Wie?«. Dazu rekonstruiert er biochemische Abläufe und ihre Ursachen. Liest er mit dieser Frage die Bibel, bekommt er keine Antwort – natürlich nicht! Denn die Bibel ist kein Protokoll der ersten Wochen des Universums. Sie ist ein Buch, in dem Menschen das, was sie erfahren haben, im Horizont ihres Glaubens deuten. Man versteht die Texte der Bibel dann richtig, wenn man ihre Sprache und ihr Anliegen kennt und ernst nimmt. Das ist bei jedem Text so – um zu verstehen, was gemeint ist, muss man in seine Perspektive einsteigen. In den Schöpfungserzählungen der Bibel geht es nicht um naturwissenschaftliche Theorien, sondern um existenzielle Fragen wie diese: Warum gibt es diese Welt überhaupt? Wer wollte, dass sie sei? Was ist der Mensch? Wer wollte, dass es ihn gibt? Wozu sind wir hier auf der Erde? Hat das alles einen tieferen Sinn?
Die Bibel gibt im Bild der sieben Schöpfungstage (vgl. Gen 1–2,4a) bzw. der Erschaffung von Mann und Frau im Paradies (vgl. Gen 2,4b–25) der Überzeugung Ausdruck, dass unsere Welt ihren letzten Grund in Gott findet; dass Gott Ursprung und Ziel, Sinn und Maßstab unseres Lebens ist. Die Schöpfungserzählungen beantworten also nicht die Frage nach dem »Wie?« der evolutiven Welt-Entstehung, sondern die Frage nach dem »Warum?« all dessen, was ist. Die Antwort der Bibel lautet: Es gibt diese Welt, weil Gott sie wollte und will. Weil er jeden von uns liebt und in seine Gemeinschaft ruft. Weil er alle Geschöpfe gutheißt. Denn was Gott will, das entsteht. Und was Gott gutheißt, das segnet er.
Wenn Christen sich zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, bekennen und ihren Gottesdienst mit den Worten »Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn – der Himmel und Erde erschaffen hat« beginnen, dann nehmen sie genau diese Perspektive ein: Sie stellen sich in den Horizont des guten und allmächtigen Schöpfers. Sie bekennen, dass nicht sie Herrscher der Welt sind, sondern dass dies einzig und allein Gott zukommt. Sie nehmen ihre Verantwortung für diese Welt an als eine Aufgabe, für die sie Gott gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Das bedeutet der Herrschaftsauftrag aus Gen 1,28: dass der Mensch vor Gott verantwortlich ist in seiner Sorge für Mensch und Tier, für soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt.
Wer Gott mit den Schöpfungserzählungen der Bibel als Schöpfer bekennt, verlässt sich auf eine Jahrtausende alte Erfahrung: auf die Erfahrung, dass es sich in den Koordinaten Gottes gut leben lässt und dass es in ihnen eine Dimension gibt, die die Maßstäbe dieser Welt überschreitet. Es ist die Dimension der Hoffnung und des Vertrauens auf den Gott, der seine Schöpfung liebt und sie einmal zur Vollendung führen wird.
→ VGL. AUCH KAPITEL 2, 13, 16, 43.
Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (Ps 8,5f.). In diesen Zeilen aus Psalm 8 kommt zunächst eine grundmenschliche Erfahrung zum Ausdruck: das Wissen darum, wie unbedeutend man selbst aufs Ganze gesehen eigentlich ist. Unmittelbar darauf aber folgt das Erstaunen darüber, dass Gott das offenbar ganz anders sieht: dass er den Menschen gutheißt, dass er ihn hochschätzt und »mit Herrlichkeit krönt«.
Auf den ersten Seiten der Bibel wird das mit dem Wort »Abbild« oder »Ebenbild« ausgedrückt: »Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie« (Gen 1,27). Im historischen Kontext dieser Zeilen war sofort verständlich, was damit gemeint ist: Ebenbild zu sein bedeutet, Repräsentant, Stellvertreter, Treuhänder, Verantwortlicher im Namen seines Herrn zu sein. Im Laufe der Zeit wurde diese eher funktionale Beschreibung der Gottebenbildlichkeit zu einer Wesensbeschreibung: Der Mensch – und zwar jeder Mensch, nicht nur Könige und Herrscher! – ist mit dieser Würde ausgestattet. Dass jeder Mann und jede Frau als Mensch von Gott gewollt und geschaffen wurde – das ist es, was uns besonders macht. Aus der Perspektive des Gläubigen trägt jeder Mensch das Antlitz Gottes – unabhängig davon, ob er eine besondere Begabung hat oder für seine Umgebung von besonderem Nutzen ist, unabhängig davon, welche »Lebensleistung« er erbringt oder wenigstens erhoffen lässt, unabhängig davon, wie hilfsbereit oder wie hilfsbedürftig er ist.
Säkulares Gegenstück dieser Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen ist der Gedanke der Menschenwürde, der heute die entscheidende Bezugsgröße moderner Rechtsordnungen darstellt. Auch hier geht es um den Wert und die Würde eines jeden Menschen unabhängig von seiner Herkunft und seinen Fähigkeiten, unabhängig vom Stand seiner Entwicklung und von seiner Gesundheit, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner religiösen und nationalen Zugehörigkeit. Jedes Lebewesen, das menschliche Eltern hat, ist vom Beginn seiner individuellen Existenz an Träger dieser Menschen-Würde. Deshalb muss man ihm Achtung entgegenbringen, ganz gleich, ob er schon geboren ist oder noch im Leib der Mutter lebt, ob er für sich selbst eintreten kann oder nicht, ob er seine Umgebung wahrnimmt oder nicht. Seine Rechte als Person, allen voran sein Recht auf Leben, sind zu achten, zu schützen und gegebenenfalls zu verteidigen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Nicht die Gesellschaft verleiht sie als Bestätigung oder Prämie für bestimmte Eigenschaften – z. B. für einen bestimmten Intelligenzquotienten, für ein Mindestmaß an Sozialkompetenz oder Wirtschaftsleistung. Die Würde des Menschen ist keine Auszeichnung für besondere Verdienste. Allein die Tatsache, Kind menschlicher Eltern zu sein, begründet den Anspruch darauf, als Person geachtet zu werden.
Die Würde des Menschen ist die Basis der Menschen- und Grundrechte. Zu ihnen zählt auch die Freiheit, sich religiös zu betätigen oder nicht. Niemand darf zu einem religiösen Bekenntnis gezwungen oder von einer religiösen Praxis abgehalten werden. Das religiöse Bekenntnis der Bürgerinnen und Bürger eines Landes ist keine Staatsangelegenheit, sondern deren ureigene Angelegenheit. Ein Glaubensbekenntnis kann man nicht verordnen oder verbieten. Es betrifft die Person in ihrem Innersten. Es ist allerdings auch keine bloße Privatsache in dem Sinn, dass Religion außerhalb der eigenen Wohnung keine Rolle spielen dürfte. Beim Schutz der Religionsfreiheit geht es darum, Zwang in Sachen Religion auszuschließen – den Zwang, ein bestimmtes Bekenntnis zu teilen ebenso wie den Zwang, ein solches aufzugeben. Religionsfreiheit aber deshalb nicht, dass religiöse Praxis in der Gesellschaft unsichtbar werden müsste. Im Gegenteil: Gerade da, wo die verschiedenen Bekenntnisse der Menschen in unserer Gesellschaft sichtbar gelebt werden, wird Austausch möglich. Dann bleiben wir ansprechbar füreinander. Dann kann auch religiöse Bildung wachsen: das Wissen um den anderen und um das, was ihm wichtig ist, genauso wie Erfahrung in der eigenen religiösen Tradition.
→ VGL. AUCH KAPITEL 1, 25, 47.
Namen spielen eine große Rolle (nicht nur) in der Bibel. Namen machen erkennbar, mehr noch: Sie machen ansprechbar. Namen eröffnen Beziehung. Die Geschichte des Volkes Israel ist, wie die Schriften des Alten Testaments zeigen, eine Geschichte mit Gott, der sein Volk begleitet und schützt. Es ist die Geschichte eines Volkes mit einem Gott, der sich genau diesem Volk zu erkennen gibt. Das tut er, indem er ihm seinen Namen offenbart: »Ich bin der ›Ich-bin-da‹« (Ex 3,14). So sprach Gott zu Mose. »Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen« (Ex 3,15). Dieser Gottesname ist Programm: Der Gott Israels ist der »Ich-bin-da«. Und der verheißene Retter heißt »Immanuel«. Das bedeutet »Gott mit uns« (Jes 7,14; vgl. Mt 1,23). Der Gott Israels – und das ist kein anderer als der Gott Jesu Christi – lässt sich beim Namen nennen. Er macht sich erkennbar und ansprechbar. Und er tritt in Beziehung zu den Seinen, er kennt auch ihre Namen. Gott sagt: »Ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen« (Ps 91,14), heißt es im Buch der Psalmen. Und vom Propheten Jesaja ist dieses Gotteswort überliefert: »Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir … Ich, der Herr, bin dein Gott. Ich, der Heilige Israels, bin dein Retter« (Jes 43,1–3). Im Philipperbrief des Neuen Testaments spricht Paulus von Jesus Christus als dem Höhepunkt der Namenskundgabe Gottes: Ihm verlieh Gott »den Namen, der größer ist als alle Namen«, auf dass alle Welt in ihm den Herrn und Erlöser erkenne – »zur Ehre Gottes, des Vaters« (Phil 2,9 –11).
Der Gott der Bibel ist ein Gott, der sich zu erkennen gibt, indem er sich den Seinen zuwendet und ihnen seinen Namen kundtut. Damit enthüllt er sein Wesen. Das ist Offenbarung. Das ist das Entscheidende. Das menschliche Gegenstück dazu heißt Glaube: dem zu vertrauen, der seinen Namen kundgibt; den zu glauben und auf den zu hoffen, der auch meinen Namen kennt und mich bei meinem eigenen Namen ruft.
Manch ältere theologische Abhandlung, auch manch älterer Katechismus, erweckt den Eindruck, Gott habe das, was man über ihn sagen und von ihm wissen kann, der Kirche wie eine Sammlung von Lehrsätzen übergeben, die man bloß auswendig lernen müsse. Eine Paketlösung gewissermaßen: Ein für allemal sei alles gesagt, nun sei man hinreichend informiert. Jetzt gehe es (nur noch) darum, diese Liste von Glaubenswahrheiten abzuarbeiten und ohne Abstriche zu verbreiten. Wer glaubt, würde in diesem Modell (lediglich) die entsprechenden Sätze über Gott und die Welt sowie eine Reihe von Geboten kennen und gehorsam praktizieren.
Problematisch an dieser Vorstellung ist nicht die Überzeugung, dass man überhaupt etwas über Gott und sein Verhältnis zur Welt aussagen kann und dass Religion auch etwas mit Moral und Ethik zu tun hat. Beides ist im jüdischen und christlichen Kontext unverzichtbar. Problematisch ist allerdings die Vorstellung, Gott würde sich in erster Linie in Merksätzen ausdrücken und der Glaube bestehe vornehmlich darin, solche Sätze für wahr zu halten und bestimmte Gebote (blind) zu befolgen. Das lässt Gott wie einen Schulmeister und das Glaubensleben moralinsauer erscheinen. Außerdem erweckt dieses Bild den Anschein, dass es ebenso leicht sei zu glauben wie Vokabeln zu lernen und einer Vereinssatzung Genüge zu tun.
Aber der Gott der Bibel ist mehr und anderes als ein Schulmeister oder Moralapostel, übrigens auch mehr und anderes als ein blindes Schicksal oder eine geistige Macht. Gott diktiert nicht einfach Regeln, sondern er eröffnet echte Beziehung. Er gibt sich selbst. Seine Offenbarung, also die Kundgabe seiner selbst, seines Namens, und unsere menschliche Antwort darauf, also unser Glaube – das ist nicht Information und Moralin, sondern Kommunikation und Beziehung. Der ganze Mensch ist mit Herz und Verstand gefragt und angesprochen und herausgefordert, in diese Gottesbeziehung einzutreten.
An Gott zu glauben macht das Leben nicht unbedingt einfacher. Manches wird sogar komplizierter. Vieles wird anspruchsvoller. Denn der Glaube eröffnet eine neue Dimension, die das Leben reicher und den Horizont weiter macht. Der Horizont, den der Gottesglaube aufspannt, umgreift das ganze Leben: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst – eben alles, was unser Leben ausmacht. All das kann die Farbe des Glaubens annehmen, kann im Horizont Gottes gedeutet und verstanden werden. Gottesglaube ist nicht nur etwas für die eine Stunde am Sonntag, wenn man Gottesdienst feiert. Auch die vielbeschworene Not, die angeblich beten (oder doch eher betteln) lehrt, führt normalerweise nicht zu einer tragfähigen Gottesbeziehung. Von Elias Canetti stammt eine Wendung, die nachdenklich stimmt: »Das Schwerste für den, der an Gott nicht glaubt: dass er niemanden hat, dem er danken kann. Mehr noch als für seine Not braucht man einen Gott für Dank« (Die Fliegenpein, München 1992, 64).
→ VGL. AUCH KAPITEL 6, 9, 17, 43.
Wie kommt ein Mensch zum Glauben? Was bedeutet das eigentlich: glauben?
Biographisch kommen die meisten zum Glauben, indem sie in den religiösen Alltag ihrer Umgebung – der Eltern oder Großeltern – hineinwachsen. Das kann man mit dem Erwerb einer Sprache vergleichen: Seine Muttersprache erlernt ein Kind, indem es die Laute, Worte und Sätze der Umgebung imitiert, indem es den anderen nach-spricht. Mit der Zeit wird es selbständiger: Es erfasst die Regeln dieser Sprache, es kennt immer mehr Worte und kann immer souveräner mit ihnen umgehen. Ein Jugendlicher oder Erwachsener, der sich eine Fremdsprache aneignet, tut dasselbe, nur bewusster, reflektierter und mit gezielten Übungen und Wiederholungen. Aber das Prinzip bleibt gleich: Man lernt eine Sprache durch allmähliche Aneignung dessen, was jene tun, die mit ihr bereits vertraut sind.
So ist es auch mit dem Glauben. Ob man nun als Kind oder als Erwachsener glauben lernt – eine Erfahrung wird vermutlich jeder Glaubende machen: »Mein eigener Glaube fällt nicht einfach so vom Himmel. Es gibt bereits Glaubende vor mir. Ich bin nicht der erste, der glaubt. Was ich glaube und wie ich das tue, habe ich mir nicht ausgedacht, sondern ich habe es von anderen gelernt: durch ihren Glauben und ihr Leben. Das hat mich überzeugt. Das wollte ich auch können.«
Grammatische Feinheiten, Wortspiele, Poesie und Fachbegriffe einer Sprache begreift man normalerweise erst später. Man kann sie erst dann selbst erklären, wenn man in der betreffenden Sprache schon einigermaßen zu Hause ist. Auch hier gibt es Parallelen zum Glauben: Was das Vaterunser im Einzelnen bedeutet, wie manch biblische Geschichte zu verstehen ist, warum das Credo so aufgebaut ist, wie es überliefert wird – das erschließt sich normalerweise nicht zu Beginn, sondern erst in einem fortgeschrittenen Stadium des Glaubenslebens. Und auch für den, der sich schon bewusst mit seinem Glauben auseinandergesetzt hat, wird es Phasen geben, in denen er scheinbar gar nichts mehr begreift, und andere, in denen sich ihm der tiefere Sinn von Dingen, die ihm von klein auf vertraut waren, plötzlich erschließt.
Das Nachdenken über den Glauben, erst recht die bewusste Entscheidung für ein bestimmtes Bekenntnis, ist in aller Regel erst der zweite Schritt. Am Anfang steht normalerweise das selbstverständliche Hineinwachsen in eine Glaubenstradition, sei es in der eigenen Familie, sei es in selbst gesuchten und gefundenen Kontexten, in denen vertraute Menschen Glauben leben. Bewusst für den Glauben kann sich entscheiden, wer bereits eine Strecke in diesem Glauben zurückgelegt hat: wer die erlernte Praxis bewusst überdenken und einschätzen kann. Neutralität ist deshalb gerade keine Voraussetzung des Glaubens. Eine 14-Jährige, die nie ein religiöses Bekenntnis von innen heraus erlebt und erlernt hat, wird sich kaum für ein solches entscheiden können, auch wenn sie formal religionsmündig geworden ist. Die erwachsene, mündige Entscheidung für oder gegen ein Bekenntnis wird allerdings auch dem nicht abgenommen, der die Chance hatte, es von innen heraus kennenzulernen. Wer religiös aufwächst, ist als Erwachsener nicht automatisch gläubig. Aber er hat die Chance, es zu sein. Das macht den Unterschied: Er weiß, wovon er spricht, und er kennt, was er ablehnt oder annimmt.
Glaube wächst durch Nachahmen und Weitergeben. Dieses Prinzip gilt auch, wenn man nicht auf den Einzelnen, sondern auf die lange Geschichte des Christentums schaut: Die Jungen eignen sich an, was die Alten überliefern. Sie übersetzen es in ihre Sprache, in ihre Welt und Kultur, um es den noch Jüngeren weiterzugeben, die es weiter fortschreiben werden. Das ist das Prinzip Überlieferung, auf dem das Christentum von alters her fußt. Glaube und Kirche heißen deswegen »apostolisch«, weil sie auf die Überlieferung und auf den Glauben der Apostel bezogen sind, von der sie ihre Kraft, aber auch ihre Legitimität schöpfen. Vor diesem Hintergrund ist »Tradition« also nichts Altbackenes und kein blinder Konservativismus, sondern etwas sehr Lebendiges. Wirklich »tradiert«, d. h. überliefert, ist nämlich nur das, was auch im Leben der Jüngeren ankommt. Das geht nicht ohne Übersetzung des Alten in die eigene Sprache. Wo Glaube und Gottesdienst eingefroren werden auf ein bestimmtes Stadium der Kirche, in dem vermeintlich »alles besser war«, werden sie nicht überliefert, sondern künstlich archiviert.
→ VGL. AUCH KAPITEL 5, 9, 31, 34, 41.