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Wie kam Hans Fallada zum Schreiben? Offen und unverstellt erzählt er, wie er erst Landwirt und dann Zeitungsvertreter wurde, ehe er schließlich das tun durfte, was er am besten konnte und am meisten wollte: schreiben. Er erinnert sich, wie es zu "Kleiner Mann – was nun?" und "Jeder stirbt für sich allein" kam und welche Mühen er mit seinen Erfolgsromanen hatte. Am Ende bleibt ihm die einfache wie tiefe Erkenntnis, dass jeder eine Berufung in sich trägt – und man nur das tun muss, was einen freut, um sie zum Leben zu erwecken.
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Seitenzahl: 81
Hans Fallada
Reclam
2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: zero-media.net
Coverabbildung: Lesser Ury, Berlin. Unter den Linden (um 1925). – akg-images
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2022
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962053-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011425-4
www.reclam.de
Wie ich Schriftsteller wurde
Zu dieser Ausgabe
Nachwort
Ich will Ihnen davon erzählen, wie ein Mensch zum Schriftsteller wird. Aber hier schon halte ich inne. Denn, frage ich mich, wird man denn ein Schriftsteller? Ist dies etwas, das man sich vornimmt, auf das man hinsteuert, zielbewusst, und das man dann schließlich mit Fleiß, mit Ausdauer, mit Glück erreicht, um es von da an zu sein –?
Ich möchte Ihnen gleich sagen, dass ich daran nicht glaube. Ich glaube nicht daran, dass man ein Schriftsteller wird, sondern dass man einer ist, vom Beginn des Lebens an. Es kann sehr lange dauern, bis man es erkennt, ich zum Beispiel war 37 Jahre alt, als ich meinen ersten richtigen Roman schrieb. Bis dahin hatte ich mich im Allgemeinen mit sehr andern Dingen beschäftigt als mit Romanen.
Die Umstände hatten es so mit sich gebracht, dass ich nicht mein Abitur machte, ich machte es nie. Ich wurde krank in der Oberprima, ich wurde aufs Land geschickt, und als ich wieder laufen und lernen konnte, stellte sich heraus, dass von meinen schon früher recht lückenhaften Kenntnissen in der höheren Mathematik nichts und von meinem Griechisch nur noch sehr wenig vorhanden war. Es hätte Jahre gebraucht, um das Verlorene nachzuholen, und es waren damals noch Zeiten, in denen alles rechtzeitig zu geschehen hatte, d. h. man machte sein Abitur mit achtzehn oder neunzehn Jahren, und nicht mit zwei- oder dreiundzwanzig, das allein war Ordnung. Alles andere war Unordnung, und Unordnung, also aus einem zu späten Abiturienten konnte nie im Leben ein richtiger Student werden! So war das damals wirklich!
Die Familientradition war nun also doch einmal durchbrochen: Ich, der älteste Sohn, konnte kein Jurist werden, wie das nun schon seit vier oder fünf Generationen in unserer Familie üblich gewesen war. Aber was konnte aus dem Jungen sonst werden? Ich weiß es nicht mehr, wer es eigentlich beschlossen hat, dass ich Landwirt werden sollte. Landwirtschaft lag ganz außer dem Familien-Üblichen. In meiner Familie war man Jurist oder Geistlicher, also Beamter in irgendeiner Form. Und nun wurde ich Landwirt – entweder weil die Ärzte die Landluft für mich zuträglich hielten, oder weil ich grade damals auf dem Lande lebte und überall Güter um mich herum lagen, oder weil mein lieber Vater sonst nichts mit mir anzufangen wusste, oder vielleicht sogar weil ich’s selber wollte.
Ein Gutsbesitzer, ein Herr Rittergutsbesitzer war bequem zur Hand, der bereit war, mich gegen ein gutes Kostgeld zum Eleven zu nehmen, und so stand ich denn eines Morgens um drei Uhr im Kuhstall als Oberaufseher über 120 Kühe und etwa ein Dutzend Melker, und von dem Tage an hatte ich jeden Morgen meines Lebens um drei Uhr im Kuhstall zu stehen und darauf zu achten, dass die Kühe auch sauber ausgemolken wurden, dass die Melker nicht grob mit ihnen umgingen, dass sich nicht zu viel milchlüsterne Katzen herumtrieben – und ich war so müde!
Der Tag ging weiter, war endlich die Milch zum ersten Morgenzug geschickt, wurde ich nach kurzem Frühstück aufs Feld geschickt, zum Pflügen etwa, oder zum Zuckerrübenakkord, oder, was noch immer am besten war, in den Wald. Denn da durfte ich ein bisschen für mich bummeln, ehe ich zu den Holzbauern kam, sonst hatte ich den ganzen Tag hinter Leuten zu stehen und sie zur Arbeit anzutreiben, denn nie taten die Leute nach Ansicht meines direkten Vorgesetzten, des Inspektors Schönekerl, genug. Und nie leistete ich genug im Antreiben.
War dann der Abend gekommen, die Pferde abgefüttert, war ich müde zum Umsinken, so begann mein hoher Chef mit seinen Stehkonventen. Er hatte spiegelnde Reitstiefel an und in ihnen wie ein Turm stehend begann er die Wirtschaft zu besprechen, wie er es nannte, während ich in meinen mageren Gamaschenbeinen vor Müdigkeit leise hin und her schwankte und ganz blöde im Kopfe war. Ich weiß es nicht, warum mein hoher Chef diese Besprechungen immer so lange ausdehnte, ich sah die Knechte vom Füttern nach Haus gehen, später schloss der Hofmeister die Scheunen und Böden ab, mit einem Riesen-Schlüsselbunde rasselnd, es wurde dämmrig, die Mamsell jagte das letzte Geflügel in die Ställe, es wurde dunkel, und immer noch wurde die Wirtschaft besprochen: Chilesalpeter auf den Weizen, der Mist ist zu ungleich gestreut auf Schlag 7, da muss noch mal durchgegangen werden, was ich noch sagen wollte: Auf dem Klinkecken ist mir der Boden doch zu tonig für Zuckerrüben, wenn wir stattdessen lieber noch einmal Weizen nähmen, mit Luzerneuntersaat –?
Endlos, immer weiter, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Denn wenn später auch die Güter wechselten, die Probleme blieben immer die gleichen, immer holte der Beamte nicht genug Arbeit aus den Leuten heraus, immer hatte alles Gelungene der Chef angeordnet, alles Missratene der Beamte verpatzt. Immer war der Tag zu lang, der Lohn zu gering. Sie müssen es mir zugeben, ich war damals ziemlich weit von der Schriftstellerei ab, und ich kann es Ihnen auch versichern, ich dachte auch mit keinem Gedanken an so etwas wie Bücher. Immer war ich müde, immer hatte ich Hunger (denn meist hatten meine Chefinnen auch die Neigung, uns Beamte etwas spärlich zu beköstigen), und wenn ich sonntags einen Brief nach Haus schreiben musste, seufzte ich über die Schreiberei.
Und doch habe ich all diese Zeit – das aber erfuhr ich erst Jahrzehnte später – gelernt, gelernt, für das, was ich einmal werden sollte: ein Schriftsteller. Ich war nämlich fast immer mit Menschen zusammen, ich stand hinter den endlosen Reihen der schwatzenden Frauen beim Rübenhacken, beim Kartoffelbuddeln, und ich hörte die Frauen und die Mädels schwatzen, von morgens bis abends ging das. Abends schwatzte dann der Chef, und auch die Schweizer im Kuhstall schwatzten, wie die Knechte beim Füttern im Stall. Ich konnte ja nicht anders, ich musste zuhören, ich lernte, wie sie reden und was sie reden, was sie für Sorgen haben, was ihre Probleme sind. Und da ich ein sehr kleiner Beamter war, der auf keinem Pferd herumritt, sondern höchstens der Zeitersparnis halber das Dienstrad benutzte, so hatten die Leute auch keine Hemmungen, mit mir zu reden, ich habe es damals gelernt, mit jedem Menschen zu schwatzen. Wenn man ein halbes Jahr lang fast keine Stunde von dem verdammten Zuckerrübenacker herunterkommt, so gehört man eben zur Kolonne, man mag noch so sehr aus einem behüteten stillen Bürgerhause kommen, jetzt ist man so eine Art Feldarbeiter geworden. Und wenn man auch zehnmal Beamter ist und das Kommando hat, die Leute wissen es doch, der muss ja schimpfen, oder der hat heute seinen schlechten Tag, man gehört dazu. Sehen Sie, das ist es, was mir meine Landwirtszeit eingetragen hat, dass ich aus der Vereinzelung herausgerissen wurde, dass ich mit zu allen gehörte, zu ihren Sorgen, Freuden und Nöten.
Und das war eigentlich sehr gut für mich, denn wäre ich den gewöhnlichen Weg unserer Familie über Abitur und Studiererei und Juristerei gegangen, ich wäre vielleicht nie ein Schriftsteller geworden, und das wäre schade gewesen, da ich heute noch es für das Schönste auf der Welt halte, einen Roman zu schreiben, sich vor Papier zu setzen und eine Welt zum Leben zu rufen, die vorher nicht da war, dass nicht nur ich sie sehe, das können wir alle, wenn wir träumen, sondern dass auch für andere meine Träume wirklich werden. Doch davon noch später.
Jetzt nur noch ein Wort über die Vereinzelung, in der ich als junger Mensch gelebt hatte und aus der mich dann mein Landwirtsdasein holte. Ich war ein kränklicher Junge gewesen und ein recht mäßiger Schüler, der oft Wochen und Wochen fehlen musste, weil er im Bett zu liegen hat. Nun, was tut man, wenn man lange im Bett liegen muss? Man liest! Mein guter Vater glaubte an den Satz von Jean Paul, dass Bücher zwar nicht gut oder schlecht, doch aber wohl den Leser besser oder schlechter machen, und weil er an diesen Satz glaubte, hielt er ein wachsames Auge auf seine Bücherschränke und teilte mir meine Lesekost genau zu. Aber Krankentage sind lang und vom Papa ausgewählte Bücher oft langweilig, so musste ich mir schon selbst helfen. Mein Vater besaß aus früheren Zeiten noch eine sehr reichhaltige Auswahl in Reclambändchen, die er der Ordnung halber in großen Kartons wahrte und deren Fehlen er darum nicht merkte. Aus diesen Kartons stillte ich nun meinen Lesehunger, und den guten Papa wäre wohl ein Grausen angekommen, wenn er gesehen hätte, was der gute Junge da alles las: Zola und Flaubert, Dumas und Scott, Sterne und Petöfy, Manzoni und Lie, die ganze Weltliteratur kunterbunt durcheinander und in keiner Weise ausgewählt und gereinigt. Ich darf es hier wohl sagen, dass ich nicht glaube, mir mit meinem wahllosen [Lesen] irgendeinen Schaden getan zu haben, was ich noch nicht verstand, darüber las ich fort, und vieles, was ich später erst schätzen lernte, hat in meinen Jugendjahren gar keinen Eindruck auf mich gemacht.