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Jeff Tweedy ist einer der gefeiertsten Songwriter seiner Generation. Seit über 30 Jahren lieben ihn die Kritiker und Fans seiner Bands Wilco oder zuvor Uncle Tupelo. Aber wie funktioniert das eigentlich, einen Song schreiben, womöglich ein Lied für die Ewigkeit? In seiner bekannt eigenwilligen und auch selbstironischen Art hat Tweedy ein Manifest über die Kunst und den kreativen Prozess beim Songschreiben geschrieben, mitsamt Schritt-für-Schritt-Anleitung für Neueinsteiger.
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Seitenzahl: 147
Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel HOW TO WRITE ONE SONG bei Dutton, an imprint of Penguin Random House, LLC
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Copyright © 2020 by Jeffrey Scott Tweedy
Song lyrics © Words Ampersand Music, administered by BMG Rights Management
Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Lektorat: Markus Naegele
Redaktion: Thomas Brill
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, Memmingen
unter Verwendung des Originalumschlags von Archer Prewitt
Umschlagfotografie: Whitten Sabbatini
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-29039-9V001
Inhalt
Dieses hoffnungsfrohe kleine Buch ist allen Songs gewidmet, die noch kommen werden. Deinen und meinen. All den Augenblicken, in denen sich uns Möglichkeiten bieten, die wir niemals erwartet haben. All den Liedern, die wie Fenster sind. Die uns ein Stück weit offen stehen, gerade weit genug, um uns die Flucht zu ermöglichen. Fenster, die geschlossen sind, in denen wir uns im schummrigen Licht spiegeln können. Die uns zeigen, wer wir sind. Keiner dieser Songs wird uns auf Dauer retten können. Aber solange wir weiter schreiben, Geduld haben und das Leben beobachten, wird es sich uns langsam, im Laufe der Zeit, offenbaren. Jeder Song, jeder Akt der Kreativität, ist auch ein Akt des Trotzes in einer Welt, die sich scheinbar unaufhaltsam selbst zerstört. Und deshalb werden die Lieder, die noch zu schreiben sind, immer bedeutsamer sein als die, die wir bereits gesungen haben. Mit Sicherheit jedoch sind sie bedeutsamer als die, die wir niemals ans Licht bringen werden. Und so hoffe ich, dass du, liebe Leserin, lieber Leser, dieses Buch in dem Geiste sehen wirst, in dem es geschrieben wurde – als eine demütige Aufforderung, deinen einen Song zu schreiben. Heute, morgen und an jedem weiteren Tag. Wir haben die Wahl: Entweder stehen wir auf der Seite der Schöpfung, oder wir ergeben uns den zerstörerischen Kräften.
VORWORT
Wahrscheinlich ist genau das auch der Grund, warum das Songwriting von dieser Aura des Mystischen umgeben ist – wenn Leute sich darüber unterhalten, fallen stets Sätze wie: »Ich bin nur ein Medium« oder »Das Universum hat mir dieses Lied geschenkt«. Na ja, wenn sie meinen …
Dabei bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass ICH es bin, der die Arbeit erledigt. Vielleicht gibt es ja tatsächlich irgendeine Art von Verbindung zwischen Unterbewusstsein und Gehirn, und wenn alles glattläuft, verschwimmen die Grenzen dazwischen. Ich jedenfalls weiß nie so wirklich, wer gerade am Drücker ist.
Jemandem das Schreiben von Songs beizubringen, ist so, als würde man jemandem erklären, wie man denkt. Oder wie man auf Ideen kommt. Denn für mich sind Songs eher Gedanken als Kunstwerke. Schwer einzufangen, vergänglich wie ein Stoß frischer Luft. Als würden sie sich durch die Zeit einfach hindurchbewegen. Im einen Moment noch hier, dann wieder weg … und doch bleiben sie bei uns, für immer in unserem Gedächtnis. Oder sie reißen uns völlig unvorbereitet aus unseren Gedanken. Andere Kunstformen, Gemälde oder Bücher beispielsweise, haben physische Gestalt und Beständigkeit. Aber fällt dir irgendein Bild ein, von dem du ein paar Takte vor dich hinsummen kannst?
Insofern betrachten wir Songs oft als etwas, das man eher heraufbeschwört als einfach niederschreibt. Und es ergibt durchaus Sinn, zu glauben, man könne das Songwriting niemandem so ohne Weiteres beibringen. Natürlich gibt es einen schrittweisen Ansatz für den handwerklichen Aspekt – Musiktheorie, traditionelle Abläufe, Taktformen –, aber meiner Erfahrung nach ist das höchstens die grobe Struktur. Wie bringt man jemandem bei, einen Song zu schreiben, der wiederum jemand anders zu einem weiteren Song inspiriert? Ein Lied, in das man sich verlieben kann, das sich gar so anfühlt, als könnte es dich auch lieben? Kann man so etwas vermitteln? Ich hab da so meine Zweifel.
Allerdings beschleicht mich auch manchmal das Gefühl, dass das Problem an der Sache noch ein ganz anderes ist. Nämlich, jemandem beibringen zu wollen, wie man von jetzt an und für alle Zeiten Songs schreibt. Warum also nicht fürs Erste mit EINEM Song anfangen? Hilfe zur Selbsthilfe – in Form eines Liedes.
Um eins gleich mal klarzustellen: Für mich ist diese Unterscheidung nicht einfach nur ein kleiner semantischer Trick. Sie ist wichtig und außerdem um einiges deutlicher, was die Aufgabenstellung angeht. Schließlich kann man Songs überhaupt nicht in der Mehrzahl schreiben. Erst schreibt man einen, dann den nächsten. Außerdem hat man das Ziel ständig vor Augen. Oder besser gesagt das, was meiner Ansicht nach das Ziel sein sollte: sich komplett darin zu verlieren. Unser Konzept von Zeit in Rauch aufgehen zu lassen. Zumindest einmal im Leben einen Moment zu verspüren, in dem man nicht versucht, etwas zu tun oder darzustellen. In dem man einfach nur ist.
Kapiert? Gut, denn darum geht’s hier … um etwas, das in der Mehrzahl einfach nicht funktioniert. Etwas, das nur dann passiert, wenn man sich voll und ganz darauf einlässt, einen Song zu schreiben.
Teil I
KAPITEL 1
WARUM?
Oder: Braucht es einen Grund, einen Song zu schreiben?
Warum ich Songs schreibe
Kommt dir das alles irgendwie bekannt vor? Gefällt dir die Vorstellung, jemand zu sein, der Lieder schreibt? Ist das deine Antwort auf die Frage »Was willst du einmal machen, wenn du groß bist?« Ziemlich schräge Wendung, von »Ich glaube, Feuerwehrmann … oder lieber Cowboy … keine Ahnung … vielleicht irgendwas im Bereich Feuerbekämpfung, aber wenn möglich auf einem Pferd …« zu einem wild entschlossenen »Songwriter! Nächste Frage, Opa!« Möglicherweise sagst du dir aber auch bloß: »Eines Tages würde ich wirklich gerne Lieder schreiben können.« Okay. Lass mich eins gleich mal klarstellen: Du bist ein Songwriter! Kein Zweifel – genau wie ich, bevor ich mit dem Schreiben anfing. Puh. Das hätten wir also geklärt. Vielen Dank, dass du mein Buch gekauft hast.
Kleiner Scherz am Rande. Ha! Zum Totlachen.
Sorry. Lass es mich aus einem anderen Blickwinkel versuchen, der dem Kern meiner Philosophie vielleicht am nächsten kommt. Am besten fange ich noch mal anders an. Um ehrlich zu sein, die Antwort auf die Frage, was ich sein möchte, fällt mir mit den Jahren immer schwerer. Obwohl ich immer schon den klaren Wunsch hatte, Gedichte und Songs zu schreiben und Musik zu machen, fiel es mir immer schwer, mich selbst als »Dichter« oder »Songwriter« oder gar »Künstler« zu bezeichnen. Manchmal fühlt sich das immer noch falsch an. Eine Nummer zu groß. Woher kommt das? Falsche Bescheidenheit? Ich glaube nicht. Heutzutage erscheint mir mein Ego durchaus gefestigt genug, diese Art von Selbstverherrlichung auszuhalten.
Wahrscheinlich kann ich der Vorstellung, immer etwas darzustellen zu müssen, einfach wenig abgewinnen. Für mich zählt mehr, etwas zu tun. Ersteres fühlt sich einfach nicht wirklich echt an. Und hat nicht sowieso jeder ein eigenes Bild im Kopf, wenn es um Songwriter geht? Deiner trägt eine Baskenmütze, oder? Wusste ich’s doch! Hey, wenn du das mit der Baskenmütze durchziehst, dann kannst du auch definitiv schreiben. Wie dem auch sei, mein Songwriter trägt niemals eine Baskenmütze. Er betrachtet sich überhaupt nicht als Songwriter, es sei denn, er schreibt gerade einen Song. Schon wieder ein wichtiger Grund, warum ich mich auch im Titel dieses Buches auf EINEN Song beziehe. Während des kreativen Prozesses, wenn du dich voll und ganz auf diesen einen Song fokussierst, kannst du hinter deiner Sicht auf die Dinge vollkommen verschwinden – ganz so, wie es unserer eingangs genannten Wunschvorstellung entspricht. Du musst dich nicht mehr an dem Bild, das andere von dir haben, messen lassen. Selbst das Bild, das du von dir selbst hast, kann eine Verschnaufpause einlegen.
Du willst also ein Star werden?
Es mag klischeehaft klingen, aber konzentriere dich auf Taten, nicht auf Worte – darauf, was du machen willst, nicht, was du sein willst.
Und mach’s nicht zu kompliziert. Du willst gehört werden, wie wir alle. Egal, wie blöd sich das jetzt anhört, aber dafür musst du erst mal nichts weiter tun, als einen Klang zu erzeugen. So viele Songwriter vor dir wollten bereits der nächste Bob Dylan sein, mich eingeschlossen. Ein überambitioniertes Vorhaben? Ja und nein. Wollte ich denn wirklich Bob Dylan sein? Nein, ich wollte tun, was Bob Dylan tut, und auf dem niedrigsten Level gab es auch nichts, was mich davon abhalten konnte. Was nicht heißt, dass ich genauso gut Gitarre spielen, singen oder Lieder schreiben kann. Es heißt einfach nur, dass ich einen Klang erzeuge. Ich schreibe einen Song und singe ihn. Zumindest ich selbst kann mich nun hören. Wenn du jetzt also von mir wissen willst, wie du es schaffst, wie ich zu klingen oder zu sein … na ja, da fühle ich mich natürlich geschmeichelt. Aber du wirst überrascht sein, wie gut es sich anfühlt, dich selbst deinen eigenen Song singen zu hören.
Wird ein Song denn reichen?
Nach etwas zu streben ist eine wundervolle Sache! Und ich finde, man sollte groß träumen. Man muss sich etwas ausmalen, um es erschaffen zu können. Deshalb solltest du – wann immer die Gelegenheit sich bietet – einfach die Augen schließen und dir etwas Großartiges vorstellen. Aber schauen wir uns doch zunächst mal an, was du dir vorgenommen hast – das ist deine »Leistung«. Muss es denn gleich ein ganzes Oeuvre sein? Oder tut’s nicht auch erst mal nur ein Song? Einfach um zu sehen, wie sich das überhaupt anfühlt?
Denn mehr als ein Lied ist nicht nötig um eine Verbindung herzustellen. Und meiner Meinung nach ist diese Verbindung das Größte, was man erreichen kann. So wie ich das sehe, sind Songs und Kunst im Allgemeinen ansonsten ziemlich wertlos. Jedem kreativen Akt liegt im Kern dieses kraftvolle, impulsive Verlangen zugrunde, sich zu verbinden – mit anderen, mit sich selbst, mit etwas Heiligem, ja, vielleicht sogar mit Gott. Wir alle wollen uns ein bisschen weniger alleine fühlen, und wenn du mich fragst, dann ist das gesungene Lied der größte künstlerische Ausdruck von menschlicher Wärme in der Kunst.
Sicher hast du das als Hörer auch schon gespürt, denn diese Wärme wirkt in beide Richtungen. Unsere Auswahl der Kunst – der Musik, die wir hören – ist unsere Suche danach. Aber wie um alles in der Welt bringt man einen solchen Song zustande? Wie kann man diese Art der Verbindung erreichen? Ich finde, wir müssen bei uns selbst anfangen. Uns der eigenen Gedanken und Gefühle wirklich bewusst werden.
Bevor mein Vater starb, fragte er mich: »Wie alt bist du eigentlich?« Pops war nie der aufmerksamste Vater, also erklärte ich ihm, ich sei fünfzig Jahre alt. Er meinte: »Großartig. Die Jahre zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig waren die produktivsten meines Lebens.« Woraufhin ich mir dachte: »Was meint er denn bitte mit produktiv?« Sein ganzes Leben lang hatte mein Dad für die Eisenbahn gearbeitet. Ich glaube, er war dort für mehr Sicherheit und höhere Leistungsfähigkeit zuständig. Vielleicht hat er auch mal die Computer im Stellwerk neu konfiguriert. Mit Elektronikkram kannte er sich jedenfalls gut aus. Wie dem auch sei, jedenfalls war er der Meinung, er hätte etwas Produktives mit seinem Leben an-gestellt.
Und doch habe ich mich immer gefragt, ob er nicht vielleicht etwas anderes damit meinte. Die Genetik ist schon ein interessantes Feld: Mit dem Alter beginnt man, sich selbst in seinen Verwandten und seiner Familie zu sehen. Mein Vater hatte durchaus den künstlerischen Antrieb, sich hinzusetzen und Gedichte zu schreiben. Von Zeit zu Zeit ging er in den Keller, meist wenn er wegen irgendetwas aufgebracht oder verärgert war. Irgendwann kam er dann angetrunken wieder die Treppe hinauf und trug uns ein simples, sich schwerfällig reimendes – aber nicht unbedingt schlechtes – Gedicht über die Alton & Southern Eisenbahngesellschaft vor. Oder über einen Nachbarn, der gerade verstorben war. Oder was auch immer ihn sonst gerade umtrieb.
In unserem Haus gab es nicht viele Bücher, zu Lesen hielt man bei uns für aufgesetztes Getue. Hochtrabende Gedanken waren in unserer Familie nicht allzu weit verbreitet. Dad war frühzeitig von der Highschool abgegangen, genau wie meine Mutter. Für mich jedoch waren die beiden hochintelligent, ich meine, echt verdammt clever. Irgendwann muss meinem Dad wohl eingefallen sein, dass er manchen Dingen nur in Reimform die nötige Tiefe verleihen konnte. »Hmmm … ein Gedicht. Jede Wette, dass ich das auch hinkriege.« Wahrscheinlich schrieb er sie bei der Arbeit, nur in seinen Gedanken. Es bleibt mir jedoch ein Rätsel, wie er das Ganze vor sich selbst rechtfertigte. Schon klar, auch andere Leute dichten nebenher vor sich hin. Allerdings schreiben die wenigsten ihre Ergüsse tatsächlich nieder und tragen sie vor. Sicherlich half das Bier seinem Selbstvertrauen auf die Sprünge und sorgte für eine Art inneren Antrieb, der seine spätabendlichen Aufführungen befeuerte. Wenn er sich aber ans Schreiben machte, tat er das immer gleich nach der Arbeit – stocknüchtern ritt er auf seiner Welle der puren Inspiration.