Wieder besseres Wissen - Jochen Malmsheimer - E-Book

Wieder besseres Wissen E-Book

Jochen Malmsheimer

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Beschreibung

In "Wieder besseres Wissen" fragt sich Jochen Malmsheimer, ob Humor als Wegweiser oder Rezept zur Errettung der Welt versagt hat, welchen Sinn oder Unsinn Kunst dabei hat, und ob er und seine humorarbeitenden Kolleg*innen zu einer besseren Welt beitragen können. Sein neues Buch ist dann der sehr unterhaltsame Beweis, dass Humor eben doch "ein treuer Freund, ein Gehilfe, eine Gehhilfe, ein Tröster, eben ein Begleiter durch die Fährnisse des Alltags" (Malmsheimer) sein – und damit die Welt wesentlich verbessern – kann. Mit manchem Schachtelsatz und sich einiger Regeln der neuen Rechtschreibung widersetzend stellt Jochen Malmsheimer Homers Odyssee richtig (Das Buch Herpes), beschreibt Heinrichs des IV Gang über die Alpen nach Canossa (Zwei Füße für ein Halleluja) und zeigt auch in "Statt wesentlich die Welt bewegt, hab ich wohl nur das Meer gepflügt …", dass er ein kunstvoller Meister des epischen Kabaretts und des gehobenen Unsinns ist. Und erschafft damit ein weiteres Vademecum der guten Laune. "Wieder besseres Wissen – des Vademecums zwoter Teil" ist der zweite Band der "Gedrängten Wochenübersicht – ein Vademecum der guten Laune".

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Jochen Malmsheimer

Wieder besseres Wissen

Des Vademecums zwoter Teil

Schnurren und Possen

Inhalt

Vorwort

Hystorisches

Zwei Füße für ein Halleluja – des Kaisers neues Tagebuch

Präambel

Exorsus

Pars secunda

Die Odyssee – eine Richtigstellung

Richtigstellung

Das Buch Herpes

Protasis

Epitasis I

Epitasis II

Peripetie

Katastrophe

Statt wesentlich die Welt bewegt, hab ich wohl nur das Meer gepflügt …

Teil eins: Was war

Teil zwo: Was bleibt

Über den Autor

Gedrängte Wochenübersicht – ein Vademecum der guten Laune

in Liebe für Heide, Aaron und Jakob, ohne die sich für mich kein Gedanke lohnt,

gedacht zu werden

© 2024 WortArtisten GmbH, Köln

1. Auflage 2024

Lektorat: Renate Kampmann, Bernadette Joos

Layout und Satz: Friedemann Weise

Satz eBook: Gero Reimer

Umschlaggestaltung: Friedemann Weise

Umschlagabbildung: Jochen Malmsheimer privat

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

ISBN Print: 978-3-946207-91-7

ISNB eBook: 978-3-946207-96-2

Vorwort

Soviel steht ja wohl fest: Humor hat als Anleitung, Wegweiser oder Orientierung, als Geländer, Stütze oder Krücke, als Mittel, Werkzeug oder Rezept zur Weltrettung elendiglich versagt, was den Bemühungen professioneller Humorarbeiter:innen:eusen:anten und damit auch mir zwar ein Zeugnis ausstellt, aber eben nur eines allgemeiner Armut.

Oder sitzen, stehen, liegen wir hier grundfalsch und sollten hier eben nicht die allgemeine Lachzunft des Versagens zeihen und die fruchtlosen Bemühungen der Mineure im Witzbergwerk des Herrn geißeln, sondern doch eher vielleicht das Publikum?

Und dessen überspannte Erwartung in die ordnenden und heilenden Kräfte des Humors, in dessen Fähigkeit zur intellektuellen Renovierung – also wenn da vorher was war –, in die Öffnung von Herz und Verstand, in die Durchlüftung der Seele und die Salbung des Charakters, kurz: in die Besserung des Menschen und damit in die Rettung der Welt?

Aber ja doch!

Uns bessern und die Welt retten müssen wir schon selbst!

Humor kann und will beides nicht.

Arschgeigen bleiben Arschgeigen, selbst wenn sie über das Richtige und an richtiger Stelle lachen, und Satiren gegen den Klimawandel retten die Atmosphäre nicht, obwohl sie sie natürlich im Detail verbessern können.

Wenn aber Humor das alles nicht kann, was kann er denn dann?

Nun, er kann ein Freund sein, ein Gehilfe, eine Gehhilfe, ein Tröster, eben ein Begleiter durch die Fährnisse des Alltags und nichts anderes meint der Begriff „Vademecum“, es ist die Bitte dessen, der Begleitung wünscht: Geh mit mir.

Und nur deshalb auf Latein benamt, weil es zum einen schöner klingt, zum anderen aber schon durch die Jahrhunderte ein Büchlein meint, das, in der Tasche, dem Hosen- oder Knappsack verstaut, über Stock und Stein und jede Unwegbarkeit mitgeführt, am Abend zur Rast, im Lampen- oder Feuerschein, gleichermaßen Trost und Erbauung, Unterhaltung und Erquickung spendete.

Und nichts anderes soll dieses kleine Büchlein tun. Was an sich ja schon keine Kleinigkeit ist! Gelt?

Ob es das schafft, müssen allerdings Sie entscheiden. Nehmen Sie es also mit, in der Mantel- oder Reisetasche und probieren Sie es aus; abends, bei einem Glase, dessen Inhalt einzunehmen sich lohnt, in der Gesellschaft dessen oder derer, die einem gut tut oder tun, was man übrigens auch sehr gut selbst sein kann, und teilen Sie mir mit, ob’s geklappt hat, wenn wir uns sehen.

Das sollte mich freuen!

Ach, und noch etwas, um das mich der Verlag, zur Entlastung des eigenen E-Mail-Postfaches, bat: Rechtschreibung ist eine Konvention, was wieder Latein ist und eine Übereinkunft meint, ein Regelwerk also, das vor allem die Lektüre vereinfachen soll und keinesfalls dazu ersonnen wurde, Erbsenzählern im Falle strengen Erbsenmangels eine Alternative zu bieten. Sie, die Rechtschreibung, stößt allerdings an ihre Grenzen, wenn sie das ausgeprägte ästhetische Sensorium ihres Verwenders verletzt oder die Kreativität bei der Erschaffung eigener Begriffe zur Erhöhung der Darstellungsgkraft beschneidet, einengt oder gar regelmäßig unterbindet. Hier muß Widerstand geleistet werden, was meiner umfassend beschlagenen und unbeirrbaren Korrektorin, der wunderbaren Bernadette Joos, viel, sehr viel Geduld abverlangte und deren Verständnis für meine bisweilen doch verqueren Vorstellungen auf eine besondere Probe gestellt wurde.

Die sie mit Bravour bestand.

Ich danke dafür sehr und nachhaltig; alle im Text verbliebenen Schwachsinnigkeiten jeglicher Observanz sind also mein Wille und sollen da sein, wo sie und aussehen, wie sie sind und bedürfen daher keiner, wie immer gearteten Meldung an den Verlag oder gar mich.

Genießen Sie einfach still! Oter ergern Zih sicč epen.

Dieses Buch, wie sein Geschwister, die »Gedrängte Wochenübersicht«, gäbe es so oder auch in anderer Form nicht, wenn nicht Renate Kampmann mit der ihr eigenen Sorgfalt und Liebe fürs große Ganze, wie fürs Winzigstedetail, auch gegen sich bisweilen auftürmende Widrigkeiten, den Schaffenden, also mich, ermutigt, gelobt, bewegt, gepflegt, getröstet, ermuntert und damit zum Besseren geführt hätte, was unserem Buch sicherlich, aber besonders mir, sehr, sehr gutgetan hat.

Dafür bedanke ich mich sehr.

Und nun wünsche ich uns allen von Herzen bessere Tage, und zwar: zack, zack!

Gegeben an den Ufern eines kleinen schwedischen Sees, am 26ten Junius AD MMXXIV

Hystorisches

Zwei Füße für ein Halleluja – des Kaisers neues Tagebuch

Präambel

Wobei es sich hier um eine Niederschrift jenes mediävistisch-musikalisch-linguistischen Vortrages handelt, den Jochen Malmsheimer (t) und Uwe Rössler (p) vor einer historisch interessierten Öffentlichkeit hielten und bis heute halten.

Die musikalischen Anteile fehlen, dem gewählten Medium geschuldet, in diesem durchgängig ausschließlich schriftlichen Protokoll, was dem Interessierten jeglicher generischen Observanz den livehaftigen Besuch dieses Ereignisses nahelegt, will man in den Genuß seiner irrlichternden, pianeusen Musikanz, seiner beeindruckenden Phrasiatur und überraschenden Instrumentose gelangen.

Will man beim Lesen des Untrigen einen Hauch Lebendigkeit verspüren, sollte bei jeder Erwähnung des Namens »Anno« mit dem (eigenen) Munde oder anderen dafür geeigneten Teilen der Persönlichkeit das Geräusch eines widrigen Windes produziert werden, was den Fluß der Erzählung erheblich befördert.

Doch dies nur am Rande. Am Saum.

Exorsus

Ein herzliches Willkommen, Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, durch Uwe von Rössel und meine Wenigkeit, die wir Sie hier zu diesem besonderen Abend begrüßen dürfen, einem Abend, der sehr gut unter dem Motto »900 Jahre vor Carl Carstens – Wandern für den guten Zweck« stehen könnte, das aber nicht tut, sondern vielmehr »Zwei Füße für ein Halleluja – mit einem Regenten unterwegs« heißt. Zu Beginn gestatten Sie uns, Ihnen, wie bei solch musealen Veranstaltungen ja nicht unüblich, einige Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg zu geben:

Zu Ihrer aller Sicherheit übertreten Sie weder die gelben, die grünen noch die roten oder sonst irgendwelche Linien, lehnen Sie sich nicht über die Absperrungen, leisten Sie den Anweisungen des Sicherheitspersonals, kenntlich an den dunklen Anzügen, bitte unbedingt Folge, auch wenn diese Sie in Mittelhochdeutsch, Kirchenlatein, oberitalischen Mischdialekten oder Niederphönizisch ansprechen und berühren Sie bitte die Exponate auf der Bühne nicht, sie gefährdeten damit unersetzliche Kulturgüter und die konservatorischen Anstrengungen von Generationen.

Herrn von Rössel und mich können Sie, nach vorheriger Absprache, natürlich berühren, da Sie damit, zumindest in meinem Fall, keinerlei konservatorische Anstrengungen gefährden.

Das Photographieren mit künstlichen Aufhellgeräten, sogenannten Blitzlichtern ist im Laufe der Veranstaltung leider untersagt.

Die Anfertigung von Kaltnadelradierungen, Holz- und Linolschnitten, Tusch-, Feder- und Pastellzeichnungen, Rötelskizzen und Aquarellen, sowie klassischen Ölgemälden und Lithographien unterliegt hingegen keinerlei Beschränkungen.

Des Weiteren bitte ich Sie jetzt, die Ihnen eigene Funktelephonie, sowie jede Art von elektronisch betriebener Unterhaltungstechnik, wie CD-Player, Mp3-Geräte oder digitale Hörhilfen auszuschalten.

Coronare Impulsgeber, sogenannte Herzschrittmacher, können in Betrieb bleiben, solange sie nicht durch mißliebige Arbeitsgeräusche oder Störungen unserer Übertragungs- und Überwachungstechniken auffallen.

In diesem Fall muß der Träger entweder sofort den Raum verlassen oder, nach Abschalten des Gerätes durch ein von mir ausgelöstes hochfrequentes Störsignal, ein 90-minütiges Kammerflimmern billigend in Kauf nehmen.

Da dieser Abend sich insofern nicht von anderen abhebt, als daß er ohne das Zutun Dritter in zwei Hälften zerfällt, verbleibt in der Bruchstelle, die der Laie Pause zu nennen sich angewöhnt hat, Zeit im Überfluß, wesentliche Telephonate mit der Aufsicht der Nachgeborenen oder mit der Gattin, die Sie auf einer Besprechung ohne Begleitung wähnt, zu führen.

Im Anschluß an diese inhaltliche Fraktur ereignet sich dann die zwote Abteilung dieses Abends, welche sich hernach ohne weitere Verwerfungen im Schlusse endigt.

Herr von Rössel und meine Kleinigkeit sind der Hoffnung voll, möchten wir sprechen, daß Sie, unter steter Beachtung des obigen Regulariums einen erhellenden Abend verleben möchten, ja wir versteigen uns sogar zu der Annahme, daß Sie einem besonderen Abend beizuwohnen sich anschicken, denn eine Enthüllung exquisitester Qualität harret Ihrer.

Wir behaupten, daß die Geschichte des frühen Mittelalters nach Ablauf dieser denkwürdigen Veranstaltung in gänzlich anderem Lichte dastehen wird, ja vielleicht sogar in den Scriptorien der Gelehrsamkeit kapitelweise umgeschrieben zu werden streng erheischt.

TUSCH

Ich sehe …

TUSCH

»Herr Rösler, was machen Sie da?«

»Ich akzentuiere Ihren Vortrag.«

»Das ist noch nicht der Vortrag.«

»Bitte.«

»Danke.«

In wenigen Tagen nun jährt sich zum (hier möge der/ die/das geneigte Leser/in/al den entsprechenden Wert einsetzen, ausgehend vom obwaltenden Lesedatum und dem des Ereignisses A. D. MLXXVII ausgehend. Bei der Niederschrift jenes Textes galt:) 930. Male jenes Datum, an dem der Teutschen König Heinrich, gezählt der Vierte, sich barfüßig aufmachte gen Italien, um dort jenen Hildebrand zu treffen, welcher unter dem Namen Gregor, gezählt der Siebte, sich eben vom Stuhle Petri erhoben und gen Norden zustrebte, sich mit den teutschen Fürsten zu vereinen und dem exkommunizierten und damit aus dem busenwarmen Würgegriff der Mutter Kirche unter Schimpf entlassenen Heinrich den Prozeß zu machen und diesen damit auch ein für alle Mal vom Throne des Reiches zu entfernen.

Auf der Feste Mathildens von Tuszien im norditalienischen Canossa kam es dann Ende Januar im 1077. Jahre des Herrn zu jener Begegnung, derer wir itzt gedenken.

Herr von Rössel und meine Winzigkeit bekamen den Auftrag, Material für einen informativen Abend zu diesem Thema zusammenzutragen, einen Auftrag, dem wir freudig nachkamen, freudig in Sonderheit, weil es uns nun gestattet ist, die wahrhaft atemberaubenden Ergebnisse unserer forschenden Bemühungen endlich auch einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Uwe von Rössel, der vom Feuilleton, der Kritik wie vom Publikum gleichermaßen verehrte Generalmusikdirektor des erstaunlichen Tiffany-Ensembles, weilte zu jener Zeit auf seinem Sommersitz im sehr ostdeutschen Brülle an der Taubnitz, dem ehemaligen Übungsgelände Peter Schreiers, um sich auf seine, den Hörern von WDR 4 sicherlich nicht unbekannte, im vierteljährlichen Rhythmus publizierte, Sendereihe mit dem Titel »Scheißmusik des Barock« vorzubereiten, deren Junisendung er zur Gänze dem Schaffen von Johann Gottlieb Pfusch widmen wollte, einem selbst seiner Familie weithin unbekannt gebliebenen Tonkünstler des ausgehenden 16. Jahrhunderts, Komponist ebenso bekannter wie unbedeutender Opern, als da wären: »Das Lederhaus«, »Die Verführung bis ins Detail«, »Kaiser und Küfer«, »Das magische Fagott« und »Iphigenie in Hameln«.

Meine Geringfügigkeit nahm zu jener Zeit an einer Ausgrabungskampagne in der Krypta der Wormser Klosterkirche Unserer Lieben Frau Ihrer Mutter teil, im Zuge derer man hoffte, mehrere, seit Konstantins Zeiten verloren geglaubte, altlateinische Verben endlich wiederzuentdecken.

Allein die Verbenausgrabung als solche stellt ja bekanntermaßen, auch für archäologisch Gebildete, ein äußerst heikles Unterfangen dar, sind Verben doch höchst fragile Gebilde, sehr kälte- und feuchtigkeitsempfindlich und in ihrer Zerbrechlichkeit allein nur noch von Muranoglas übertroffen.

Will man jedoch die geborgenen Verben nach ihrer Freilegung auch noch flektieren, also beugen, um in den Genuß ihrer vielfarbigen Schönheit in Indikativ und Konjunktiv, Präteritum und Futur zu gelangen, grenzt solch ein Wunsch ans Unmögliche, ja spielt gar deutlich hinein.

Dies alles wollte ich mir um keinen Preis entgehen lassen, wohl wissend, dass sich König Heinrich, um dessen Leben und Wirken meine Gedanken in meiner knapp bemessenen Freizeit natürlich unaufhörlich kreisten, vielfach in Worms aufhielt.

Die Ausgrabung erfolgte natürlich unter der streng wissenschaftlichen Aufsicht namhafter Sprach- und Beugungsexperten aus drei ebenso namhaften europäischen Sprachinstituten, darunter kein geringerer als Herr Prof. Dr. Giselher Landunter-Treutlein vom Institut zur »Reanimation toter Sprachen mit den Mitteln der Ersten Hilfe«, der als erster versucht hatte, Verben unter dem Einsatz heißen Wassers zu beugen, einer Technik, die wir sonst nur dem Küferhandwerk zuschreiben.

Anwesend war ferner Herr Prof. Dr. Heribert Acker-Landmann, Dekan der linguistisch-misanthropischen Fakultät des sprachtheoretischen Institutes der Universität Upsala, vielleicht der weltweit bekannteste Vertreter der Fraktion der Verbstrecker, die, in scharfer Abkehr von der Technik des Beugens, im Strecken die einzig richtige Form der Verbbehandlung sehen.

Ihm ist es als Erstem überhaupt gelungen, das Verbum »brollern«, welches jene Bedeutungsfelder abdeckt, die das Verb »dömeln« außer Acht läßt, auf eine auch international beachtete Länge von immerhin 73 cm zu strecken, wenn auch nur unter Laborbedingungen.

Die Leitung dieser Unternehmung lag in den Händen von Privatdozent Dr. Paul Kroll, Lehrstuhlinhaber für Linguaphobie am Massachusetts Institute for Massachusetts und Schöpfer der in Fachkreisen nicht beachteten und darüber hinaus auch vom interessierten Publikum keineswegs zur Kenntnis genommenen Vorlesungsreihe: »Einsilbigkeit im Alltag: Chance in der Silbenflut oder: Taubheit – ein Segen?«

Kroll steht der Stiftung »Wenig Sprechen – wenig Hören« vor und ist Träger des güldenen Verdiensttonbandes der »Vereinigung der Kriegstauben mit Gräbervorsorge in Holstein«.

Bei den in der Krypta vermuteten Verben handelte es sich, dies sei für diejenigen unter Ihnen, die des Lateinischen mächtig sind, nur kurz erwähnt, um die Infinitivformen »zosse«, »pisse«, »busse« und »tasse« – Verben also, deren Vorkommen vielfach in so manchem Experiment zwar nicht bewiesen werden konnte, deren Vorhandensein aber zwingend vorhergesagt wurde.

Diese so genannte »erste Wilamowitz’sche Vermutung«, benannt nach dem großen Altphilologen Tycho von Wilamowitz-Moellendorf, sollte durch Auffindung dieser bis dato so schmerzlich vermißten Verben endlich zur Gewißheit werden.

Jetzt also könnte es so weit sein.

Ich stand in der Gruppe der anwesenden Experten in atemloser Spannung über die kleine Grube gebeugt, welche man unter der eigens dafür angehobenen Sandsteinplatte im Boden der Krypta ausgehoben hatte.

Die schlechte Beleuchtung ließ zunächst keine Einzelheiten erkennen, doch endlich hob Grabungsleiter Dr. Kroll eine kleine versiegelte Kiste ans Büchsenlicht. Die Anspannung stand jedem Einzelnen in Gotisch- Fraktur, 18-Punkt, ins schweißnasse Antlitz gepunzt. Sollte der für die Konjugation »pim, piss, pit, pimus, pitis, pint« so wichtige Infinitiv »pisse« endlich geborgen werden können?

Doch welche Enttäuschung!

Statt der erhofften Verben barg die Kassette nur ein in grünes Leinen eingebundenes schmales Bändchen, offensichtlich weit jüngeren Datums und in schlechtem Erhaltungszustand. Die Koryphäen der internationalen Linguistik und Konjugationsforschung wandten sich enttäuscht ab, um ihre kontinentale Frustration in einem nahegelegenen Stehausschank durch die Aufnahme dazu geeigneter Substanzen zu sedieren, während ich, als einzig am Grabungsort Verbliebener, das Bändchen einer schnellen, wiewohl nach meiner Maßgabe gewissenhaften Prüfung unterzog.

Nur nach Minuten wußte ich, daß ich einen Schatz in Händen hielt, der zwar die internationale Flexionsforschung nicht tangieren, die nationale Mediävistik allerdings elektrisieren dürfte.

Das schmale Büchlein wies auf dem Einband handschriftlich drei lateinische Großbuchstaben auf: ein H, ein I und ein V, deren Bedeutung sich mir natürlich umgehend erschloß.

Ein kurzes Mobiltelephonat mit einer Hamburger Hochglanzbroschüre, welche sich selbst als Nachrichtenmagazin fühlt und über Erfahrung mit der schnellen Zertifizierung plötzlich aufgetauchter Druckwerke verfügt, schaffte allsogleich Klarheit.

HIV! Henricus Quartus. Heinrich der Vierte!

Für den »Stern« bestand kein Zweifel, dies waren die Tagebücher Heinrichs des Vierten, des glücklosen Saliers, dessen bewegte Geschichte wir nur aus wenigen erhaltenen Briefen, aus den vielen Zeugnissen seiner Gegner und den seltenen seiner Befürworter kennen. Ich halte die von einer Redaktion, welche schon früher bewies, wie sattelfest sie in der Erkennung von Originalen ist, als echt beglaubigten Tagebücher Königs Heinrichs des IV., König und später Kaiser der Teutschen, in den Händen!

Herr von Rössel, mit Verlaub, dies wäre jetzt der Moment für einen

TUSCH

TUSCH

Die Einträge beginnen in den ersten Monaten des Jahres 1055, Heinrich war zu dieser Zeit knapp fünf Jahre alt, konnte aber wohl schon schreiben, wenn sich auch große Teile der ersten Einträge jeder Lesbarkeit entziehen. Als Beispiel möge hier der Eintrag vom 14. Februar 1055 dienen, unter dem es heißt: »Grz.«

Erst Monate später, das Schriftbild gewinnt an Deutlichkeit, lassen sich neben diesen eher kryptischen Zeichenfolgen auch die Begriffe »Roggen«, »Gerste« und mit einiger Sicherheit auch »Hafer« entschlüsseln.

Dazwischen immer wieder, so auch am 26. August 1055 das merkwürdige »Grz«, welches aber in der Lebenswelt des Fünfjährigen doch wohl eine herausragende Rolle gespielt haben muß.

Graphologen und Mediävisten, denen ich diese Einträge zu Beginn meiner Übersetzungsarbeit zugänglich machte, überboten sich in ihrer Ratlosigkeit oder farbigen Phantastereien ohne jede Spur der Nachvollziehbarkeit. Einer schlug gar vor, bei »Grz« handele es sich um das vokallose Rudiment des Wortes »gratia«, also »Dank«, wie es halt ein nachlässiger fünfjähriger Sprecher ohne tief empfundene Begeisterung für das Lateinische lustlos zwischen solitären Milchzähnen hervorstoße. Was aber der daraus entstehende Unfug: »Dank, Hafer, Dank, Roggen, Dank Gerste« dann bedeuten solle, erschloß sich dem Tippgeber in keiner Weise.

Erst zu Jahresbeginn 1056 klärt sich das Schriftbild, die Einträge jedoch bleiben weiter kurz und verborgen, wie am 21. März 1056 »Grz, Grz, Grz! Gerste, Hafer, Hafer, Roggen. Grz-Tag.«

Rätselhaft.

Dann endlich, im Oktober, Heinrich weilt mit seinem Vater in der Pfalz in Bodfeld im Harz, löst sich das Rätsel in erstaunlicher Weise, dort lesen wir in einer noch nicht ganz sicheren aber durchaus charaktervollen Handschrift:

5. Oktober 1056

Zum Frühstück Grütze, gegen halb sieben. Was soll man von einem Tag erwarten, der um halb sieben mit Grütze beginnt und gegen halb elf mit Grütze endet? Grütze, Grütze, Grütze! Jeden vermaledeiten Tag Grütze!

Hafergrütze, Gerstengrütze, Weizengrütze, Roggengrütze, warm, kalt, fast warm, ganz kalt, Grütze, Grütze, Grütze, der Koch kann nur Grütze!

Selbst wenn er ein Wildschwein zubereiten sollte, würde es wahrscheinlich Grütze, Wildschweingrütze! Zum Teufel damit! Was nützen einem alle Privilegien, wenn es ansonsten nur zu Grütze reicht?

Dreimal täglich? (unleserlich, dann ein Fleck) ... und ständig bricht die verwünschte Feder ab oder wird nach drei Sätzen auf diesem rauen Pergament zum Borstenpinsel, gleich dem, was hinten so am Schweine baumelt! Was hat man davon, wenn man des Schreibens kundig ist, es aber nicht funktioniert? Auf dieser alten Zeltplane? Auf der schon der Vater meines Vaters Vater seinen Grützeverbrauch notierte und das ich mühsam mit Bimsstein freigerubbelt habe. Ein Palimpsest sagt mein Lehrer, der dicke, schwitzende Anno von Köln, der aus dem Mund riecht wie das Loch in der Mauer, durch das er mindestens fünfmal täglich in den Burggraben scheißt! Kein Wunder bei der Menge Grütze, mit der er seine Hohlräume zu füllen sucht. Ein Palimpsest!

Ein Scheiß, ein Grützscheiß ist es! Auf diesem Dreck kann man nicht schreiben, aber man kann damit die Fliegen totschlagen, die auf den Resten der Abendgrütze in der Holzschale sitzen. Selbst die Fliegen macht die Grütze siech. Aber so lernen sie immerhin die Macht des Geschriebenen kennen.

Die Macht des Geschriebenen! Auch so ein Gesichtsfurz von Anno!

Anno! Anno von Köln! Erzbischof Anno von Köln! Wie das schon klingt! Anno! Als ob ein Blechnapf die Kellertreppe runter poltert. Und auch noch von Köln! Ausgerechnet Köln, dieses hochfahrende Nest an einem verdreckten Siel, voller lärmender, aufgeblasener, dünnbiersaufender, grützkackender Wichtigtuer, das sich auch in tausend Jahren nicht ändern wird!

Und wie der Name Anno klingt, so ist er auch: Hohl und übelriechend wie eine Heringstonne, aber voller Ehrgeiz und hochfliegender Pläne ist er, und so alt und so dick und so alt, die Zeit spielt nicht mehr auf seiner Seite, Anno von Köln, mein Lehrmeister und Wegweiser auf dem Pfad durch das dichte Unterholz höfischer Pflichten. Die alte Schweinsblase!

Ich stehe kurz vor meinem sechsten Geburtstag, bin also schon fast ein Mann! Ich kann schon Vaters Schwert heben, also wenn es auf dem Boden liegt, was es nur tut, wenn Vater es dort hingelegt hat, was er selten tut, weil er König ist. Aber nun liegt er auf den Tod, wahrscheinlich Schlagfluß ... oder ein stumpfer Gegenstand ... Er ist ja auch schon 39, also steinalt! Älter ist nur Anno, aber der ist schon alt auf die Welt gekommen, steinalt, wahrscheinlich hatte er gar keine Mutter, sondern wurde bei der Sauhatz gefunden, weil die Hunde sich vertan hatten und auf sein Aroma hereinfielen! Mein Gott, er stinkt wie zwei Fässer Jauche, sicher wegen der Grütze, der Scheißgrütze, dem Grützdreck, was wollte ich eigentlich ... die verkommene Kackgrütze bringt mich immer so auf, daß ich den Faden ... nun weiß ich’s wieder, ich bin fast sechs, aber schon König! Na?

Und seit einem halben Jahr verlobt! Das ist wie verheiratet, aber sie übernachtet woanders.