WIEDERHERSTELLUNG - Thomas Bänziger - E-Book

WIEDERHERSTELLUNG E-Book

Thomas Bänziger

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Beschreibung

In zwölf Kapiteln nimmt uns Thomas Bänziger mit auf eine Erkundungstour durch das Esra-Nehemia-Buch und arbeitet aus dem biblischen Text Lektionen für Erweckung und Reformation heraus. Von dieser alttestamentlichen Zeit der Wiederherstellung können wir für die Gegenwart inspiriert werden. Nicht nur Beispiele aus der Kirchengeschichte illustrieren die Prinzipien, sondern der Autor erzählt auch aus seinem Leben und von seiner ganz persönlichen Reise körperlicher Wiederherstellung. Ein Buch, das Hunger nach einem Aufbruch in unseren Leben und unseren Gemeinden weckt! Fragen an jedem Kapitelende laden zur eigenen Reflexion oder zum Austausch in Kleingruppen ein. "Gespickt mit eigenen geistlichen Träumen und Erfahrungen ist diese Lektüre ein spannender Mutmacher und Wegweiser, dem Feuer der Erweckung und der Liebe zum Reich Gottes in uns und durch uns Raum zu schaffen." Geri und Lilo Keller

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Seitenzahl: 336

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Thomas Bänziger

Wiederherstellung

12 Lektionen aus Esra-Nehemia zu Erweckung und Reformation

© 2021 Thomas BänzigerWiederherstellung12 Lektionen aus Esra-Nehemia zu Erweckung und Reformation

1. Auflage Juli 2021© Schleife Verlag, Pflanzschulstrasse 17, CH-8400 Winterthur, SwitzerlandTel. +41 (0)52 2322424E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-905991-52-9Bestellnummer 120.170

E-Book ISBN 978-3-905991-68-0E-Book Bestellnummer 120.170E

Die Bibelstellen sind, wenn nicht anders vermerkt, der Zürcher Bibel (Ausgabe 2007) © Theologischer Verlag Zürich entnommen.

Die mit «LUT» gekennzeichneten Stellen beziehen sich auf die Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Mit «w» (für «wörtlich») versehene Passagen wurden vom Autor selbst übersetzt.

Lektorat: Judith Petri, Katharina BänzigerUmschlaggestaltung und Illustrationen: Samuel SchuhmacherSatz und eBook-Erstellung: Nils Großbach

Alle Rechte vorbehalten, auch für auszugsweise Wiedergabe und Fotokopie.

Esra liest vor dem Volk aus der Tora: Illustration nach einer Plastik auf der Knesset-Menora in Jerusalem (siehe Seite 55).

Inhalt

Stimmen zum Buch

Vorwort

Prolog: Meine persönliche Reise der Wiederherstellung

Kapitel 1

Erweckung beginnt im Herzen Gottes

Kapitel 2

Am Anfang war das Wort – Erweckung aus Gottes Wort

Kapitel 3

Der Altar – weshalb alles beim Kreuz beginnt

Kapitel 4

Der Tempel – die Gemeinde als Schlüssel

Kapitel 5

Die Gesellschaft, die Mauer und die Stadt – Reformation umfasst alle Bereiche des Lebens

Kapitel 6

Umgang mit Widerständen

Kapitel 7

Prophetie – weshalb wir Gottes Reden im Alltag brauchen

Kapitel 8

Das Gebet – ein Schlüssel

Kapitel 9

Der Bund – weshalb wir in Bundesbeziehungen leben

Kapitel 10

Von Festen und von Herrlichkeit – der Rhythmus des Lebens und Gottes Gegenwart

Kapitel 11

Israel – Gottes Heilsgeschichte verstehen

Kapitel 12

Das Beste kommt noch – Ambivalenzen in Esra-Nehemia und weshalb Hoffnung notwendig ist

12 Thesen aus Esra-Nehemia zu Erweckung und Reformation

Epilog: Der Schrei – ein Traum

Anhang: Einleitende Bemerkungen zu Esra-Nehemia

Anmerkungen

Stimmen zum Buch

In seinem Erstling gelingt es Thomas Bänziger wunderbar, tief aus seinem theologischen Fundus zu schöpfen und die Bedeutung der Bücher von Esra und Nehemia in prophetischer Schau für unsere Zeit zu übersetzen. Gespickt mit eigenen geistlichen Träumen und Erfahrungen ist diese Lektüre ein spannender Mutmacher und Wegweiser, dem Feuer der Erweckung und der Liebe zum Reich Gottes in uns und durch uns Raum zu schaffen.

Geri und Lilo Keller, Gründer der Stiftung Schleife

Wer nicht nur den Inhalt des Buches verstehen, sondern auch einen Einblick in das Herz des Autors erhalten möchte, dem sei ­zuerst die Lektüre des Vorworts und des Epilogs nahegelegt. Es ist der Sound dieses Herzens, welcher die 12 Thesen zu ­Erweckung und Reformation zu einem stimmigen Klangbild formt, das unseren Lauf der Nachfolge stärken und beflügeln wird. So erstaunlich es auch klingt: Thomas glaubt, was er schreibt, und er lebt, was er verkündigt. Ich schätze seine hervorragende und doch sehr lebensnahe Hermeneutik, die nicht nur theologisch Arbeitende, sondern gleichermassen «das Volk» mit auf den Weg zu nehmen vermag. Ich lade Sie als Leserin und Leser ein, in das «Wasserbad des Wortes» einzutauchen und sich zugleich der «Kraft des Geistes» auszusetzen, die Sie auf den folgenden Seiten antreffen werden. Ja, es gibt sie, diese Kombination! Ein Zimmermann von Nazareth ist uns darin einst vor vielen Jahren vorausgegangen.

Andreas Keller, Gesamtleiter der Stiftung Schleife

Wenn man anfängt, das Buch von Thomas Bänziger zum Thema Wiederherstellung zu lesen, der Wiederherstellung, die stattfand, als der Überrest der Juden nach 70 Jahren der Gefangenschaft aus Babylon zurückkehrte, wird einem bewusst: Hier schreibt jemand, dessen Verständnis über Wiederherstellung geprägt ist von dem Wiederherstellungsprozess, den er in seinem eigenen Leben durchlaufen hat. Das macht den entscheidenden Unterschied. Wenn wir zwischen dem, was wir in der Schrift lesen, und den Herausforderungen des Lebens sowie den Prüfungen des Glaubens einen Zusammenhang herstellen können, ist auf eine sehr konkrete Weise das Wort Gottes in uns Fleisch geworden. Diese Thematik, die im Leben des Autors real ist, wird dann auch für den Leser des Buches greifbar.

Benjamin Berger, messianischer Leiter in Jerusalem

Ich liebe die demütige, scharf analytische, tiefgründige und humorvolle Art von Thomas Bänziger! Diese ist gepaart mit enormem Wissen und einer persönlichen Lebensgeschichte, welche durch durchlebte Tiefen mit herrlichen, himmlischen Schätzen angereichert wurde. Das Buch «Wiederherstellung» ist Ausdruck seiner Geschichte, seiner Liebe zur praktischen Anwendung des Alten Testaments (in diesem Fall Esra-Nehemia) und ein Geschenk an uns alle, die Wiederherstellung für uns, unser Umfeld und Land suchen.

Matthias «Kuno» Kuhn, Leiter G-Movement

Mit einem Paukenschlag, der den Leser gleich wachrüttelt, beginnt der Autor seine Ausführungen. Man wird von einer beschaulichen Betrachtung des Themas weggeführt, hinein in die persönliche Betroffenheit. Denn schon zu Beginn klopfen die ersten Berichte biografischer Erfahrungen von Thomas Bänziger an der Herzenstüre des Lesers mit der Frage: «Wo bin ich der Wiederherstellung in meinem Leben schon begegnet und wann werde ich die nächste Lektion lernen?» Nicht verwunderlich, richtet doch der Autor in seinen 12 Lektionen immer wieder seelsorgerliche Fragen an den Leser. Denn es ist Gottes Absicht, das wird bald klar, sein Volk aus dem Exil heraus in eine Lebenshaltung der Anbetung zu führen. Also ist unter Wiederherstellung weit mehr zu verstehen als die blosse Rückkehr in das eigene Land. Für jeden «Wüstenwanderer» ist das ein entscheidender Hinweis, trotz widriger Umstände Gott anzubeten, um schlussendlich an Gottes Ziel anzukommen.

Werner Tanner, Mitgründer der Stiftung Schleife, Aufbau Seelsorgearbeit und Familienwerkstatt

Im Buch von Thomas Bänziger begegnet mir eine äusserst sympathische Mischung von wissenschaftlicher Kompetenz und Freude am eigenen Zeugnis. Thomas Bänziger gelingt es, im manchmal als zweitrangig zurückgestuften Esra-Nehemia-Buch Perlen der Wahrheit freizulegen. Seine Thesen zu Erweckung und Wiederherstellung sind griffig. Die präzisen Fragen zum Schluss jedes Kapitels schlagen die konkrete Brücke in unseren Alltag. Darum eignet sich das Buch für Hauskreise, Kleingruppen und Arbeitsgruppen.

Edi Pestalozzi, evang.-ref. Pfarrer, zuletzt Leiter der Stadtmission Basel

Thomas Bänziger ist es gelungen, eine alte biblische Quelle für heutige Leser neu zu erschliessen. Speziell ist die Verbindung von fundierter Interpretation des Esra-Nehemia-Buches mit Beispielen aus der Kirchengeschichte und aus dem Leben des Autors. Ein Leseabenteuer mit guten Anregungen für die eigene Glaubenspraxis!

Ernst Gysel, evang.-ref. Pfarrer, zuletzt in Frauenfeld TG

Thomas Bänziger hat den Spaten in beide Hände genommen und tief, sehr tief gegraben. Was für herrliche Goldnuggets hat er doch für uns ans Tageslicht befördert. Dabei bleibt’s nicht, in seinem Buch finden Menschen wie ich, die eine Sehnsucht für Wiederherstellung und Erweckung in sich tragen, genug Brennstoff, um aus dem inneren Brennen wieder ein ganzes Feuer anzufachen! Und ja, sein Zuruf wird noch lange in mir wiederhallen: «Aber hallo! Wir haben einen Gott der Wiederherstellung.»

Johannes Wirth, Leiter GvC Bewegung, Gründer Quellenhofstiftung

Vorwort

«Jesus. Ihn muss der Himmel beherbergen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge» (Apostelgeschichte 3,20–21).

Die christliche Kirche ist eine wartende Kirche – sie erwartet Christus, den Messias. Dabei sind wir nicht allein, sondern wir warten gemeinsam mit dem jüdischen Volk. Der jüdische Gelehrte Schalom Ben Chorin bemerkt, dass «die Gemeinde Jesu daher gemeinsam mit den Juden, gleichsam im Wartesaal der Geschichte, den Anbruch des Reiches im Gebet erbittet, im ‹Unser Vater› der Kirche und im ‹Kaddisch› der Synagoge.»1 Petrus erklärt in Apostelgeschichte 3,21, der Anbruch des Reiches, das Kommen des Königs, stehe in Verbindung mit den «Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge».

Interessanterweise stellt die letzte im Alten Testament beschriebene Epoche eine Zeit der Wiederherstellung dar: die Restaurationsbewegung nach dem Babylonischen Exil, die uns das Esra-Nehemia-Buch schildert. Die nächste heilsgeschichtliche Station in der Bibel, die ausführlich erzählt wird, ist bereits das Leben Jesu im Neuen Testament.

Können wir von dieser alttestamentlichen «Zeit der Wiederherstellung», die dem Kommen Jesu voranging, für die «Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge», die gemäss Petrus mit dem erneuten Kommen Jesu in Verbindung stehen, lernen? Ich glaube ja! Deshalb sollten wir uns meiner Meinung nach mit der im Esra-Nehemia-Buch geschilderten Restaurationsbewegung auseinandersetzen. Ich schrieb während der letzten zwei Jahre am Manuskript für dieses Buch, und es waren zwei bedeutungsschwangere Jahre: 2019 feierten wir bei uns in der Schweiz 500 Jahre Reformation, da Zwingli seine Stelle in Zürich am 1. Januar 1519 antrat. Die Reformatoren suchten einen Weg zurück zur Bibel und waren bestrebt, auch die Kirche im Bild der Bibel neu zu formieren, zu re-formieren. Genauso ist die in Esra-Nehemia geschilderte Rückkehrbewegung aus dem Exil eine Zeit der Reformation.

Das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen der Corona-Pandemie, einer weltweiten Krise. Dabei wurde auch die Krise der Kirche, der Mitgliederschwund, die Säkularisierung (besonders bei uns im Westen), sichtbar. Damit verbunden ist die Frage, wie eine neue Generation und eine individualisierte, digitalisierte Welt neu mit dem Evangelium erreicht bzw. von der Relevanz des Evangeliums überzeugt werden kann. Ist das noch möglich? Stellen «Erweckung» und «Reformation» nur Wunschziele dar oder ist ein Aufbruch in unserer Zeit realistisch? Krisenzeiten sind immer auch Chancen!

Die Zerstörung Jerusalems und die Exilszeit, die der Wiederherstellung in Esra-Nehemia voranging, war eine Zeit der Krise. Mitten in der Krise startete diese Reformationsbewegung. Anhand des Esra-Nehemia-Buches leitete ich zwölf Thesen zu Erweckung und Reformation ab. Mein Wunsch ist es, dass wir davon für unsere Zeit inspiriert werden und daraus Hoffnung schöpfen.

Persönlich beschäftige ich mich seit 2003 mit dem Esra-Nehemia-Buch, zuerst im Rahmen meiner Doktorarbeit2, dann in weiteren wissenschaftlichen Publikationen3, Vorlesungen mit Studierenden, Predigten und Vorträgen im kirchlichen Umfeld. Die nachexilische Zeit empfinde ich als höchst spannend und ich hoffe, dass in den zwölf thematischen Kapiteln ein Funke der Begeisterung für das Esra-Nehemia-Buch überspringt.

Insgesamt wollen wir jedoch nicht nur in Esra-Nehemia ­blicken; ich habe auch Beispiele aus vergangenen Erweckungs- und Reformationszeiten sowie aus meinem eigenen Leben in dieses Buch eingeflochten. «Wiederherstellung» wurde für mich zu einem Lebensthema. Während ich mich damitbefasste, musste ich mehrere Phasen der existenziellen Wiederherstellung durchleben, als ich an Krebs erkrankte, einen geplatzten Blinddarm überlebte und mir schliesslich fast den Daumen abschnitt. Ich beginne deshalb mit meiner ganz persönlichen Wiederherstellungs-Geschichte, um die Aktualität des Themas aufzuzeigen. Dabei möchte ich dich zur Frage animieren, in welchen Bereichen deines Lebens du dich nach «Wiederherstellung und Reformation» sehnst.

«Ecclesia semper reformanda», die Kirche befindet sich in einem kontinuierlichen Reformationsprozess; das war ein Grundsatz der Reformatoren. Übrigens war bereits den Kirchenvätern dieses Konzept der «Wiederherstellung aller Dinge» sehr wichtig.4 Gott möchte in unserer Zeit seine Kirche wiederherstellen, aber das beginnt mit uns ganz persönlich. Für mich war es mehrmals schlicht und einfach die physische Wiederherstellung meines Körpers. Während der zehn Jahre Gemeindedienst in der Landeskirche und jetzt bei unserer Arbeit in der Stiftung Schleife, in der ich mit ganz verschiedenen Gemeinden in Kontakt komme, liegt mir die Erneuerung der Kirche am Herzen.

Ich weiss nicht, wo du in deinem Leben «Wiederherstellung» benötigst, innere oder äussere, in Beziehungen, im Beruf oder in den Bereichen der Gesellschaft, in welchen du tätig bist oder welche dir am Herzen liegen. Die Reformation im Esra-Nehemia-Buch umfasste alle Bereiche der Gesellschaft.

Es ist sicher hilfreich, vor oder während der Lektüre dieses Buches Esra-Nehemia in der Bibel zu lesen – am besten in grösseren Abschnitten oder sogar gleich von vorne bis hinten am Stück, um den Zusammenhang zu kennen. Wir hangeln uns anhand dieser zwölf Thesen nicht linear durch Esra-Nehemia, sondern behandeln thematische Längsschnitte. Am Ende von jedem der zwölf Kapitel finden sich Fragen zur Anregung und Vertiefung, die sich auch für ein Gespräch in der Kleingruppe oder im Hauskreis eignen. Die Fragen können zur Selbstreflexion oder als Gesprächsleitfaden für den Austausch mit Freunden hilfreich sein.

Ich habe den Text so einfach wie möglich gehalten und hebräische Ausdrücke in Umschrift angegeben, damit sie für alle lesbar sind. Die eigene Übersetzung des Bibeltextes liess ich dort einfliessen, wo es mir wichtig erschien, noch genauer an der hebräischen Ausdrucksweise zu bleiben (diese Stellen sind mit «w» für «wörtlich» gekennzeichnet), in der Regel folge ich aber der Zürcher Bibel. Interessierte finden Literaturangaben und weiterführende Erklärungen in den Endnoten im Anhang.

Ich danke unserem Team des Schleife Verlages und unserer versierten Lektorin Judith Petri für den grossen Einsatz. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Katharina, meiner ersten Leserin, die meine Mitstreiterin in allen Belangen ist und mich immer wieder für Projekte wie dieses freisetzt. Ich bin auch meinen Freunden, die das Manuskript gegengelesen haben, und meinem Vater für die Unterstützung beim Schlusslektorat sehr dankbar. Und letztlich soll diese Botschaft über «Wiederherstellung» ein Zeugnis sein für unseren Gott, der ein Gott der Wiederherstellung ist und bei dem es immer und für jede Situation Hoffnung gibt!

Winterthur, Ostern/Pessach 2021, Thomas Bänziger

Prolog: Meine persönliche Reise der Wiederherstellung

I.

«Nein, Sie bleiben hier im Spital, Sie dürfen nicht gehen», die tiefblauen Augen des Arztes im Traum blickten mich durchbohrend an. «Doch heute findet das Examen statt, ich muss bei der Prüfung sein», erwiderte ich. Ich verstand diese Konversation erst später. Im Sommer 2002 befand ich mich kurz vor den Schlussprüfungen des Theologiestudiums. Gleichzeitig planten Katharina und ich unsere Hochzeit. Alles würde zeitlich aufgehen, vor der Heirat die schriftlichen Prüfungen in Basel, ein paar Wochen danach das mündliche Examen in Zürich.

Drei Wochen vor unserer Hochzeit stellte ich unter der Dusche eine Abnormität an meinem Hoden fest. Unser Biologielehrer hatte uns am Gymnasium vor dem häufigsten Krebs junger Männer gewarnt, und als ich damals – zufälligerweise – einen Arzt fragte, wie dieser Tumor denn feststellbar sei, informierte er mich über die Symptome. Und was ich hier unter der Dusche ertastete, war irgendwie besorgniserregend. Der Hausarzt bestätigte meine Befürchtung: «Verdacht auf Hodentumor». Es war nicht nur der Inhalt der Aussage, die mich traf. «Es sind die Augen aus dem Traum», durchzuckte es mich, als mir der Arzt in die Augen schaute. Und tatsächlich: Ich wurde am 1. Juli 2002 operiert, dem ersten Tag der schriftlichen Schlussprüfungen. Ich konnte nicht hinfahren, sondern musste in der Klinik bleiben. Die Sätze aus der Traumsequenz einige Monate zuvor bewahrheiteten sich.

Alles war plötzlich unklar: Würden in meinem Körper bereits Metastasen gefunden werden? Würde ich überleben und falls ja: Würde ich jemals Kinder zeugen können? Eine Woche vor unserer Hochzeit kamen die Ergebnisse: Der Tumor konnte operativ entfernt werden, es gab keine Ableger! Die Erleichterung war natürlich gross, ich würde sicher überleben. Ich glaube, ich muss nicht beschreiben, dass unsere Hochzeit nach dem mir ganz neu geschenkten Leben zu einem besonderen Fest wurde.

Die Prüfungen konnte ich übrigens nachholen. Doch eine Bestrahlung des Bauchbereiches war aufgrund des Operationsbefundes damals noch üblich. So unterzog ich mich frisch verheiratet und auf die Prüfungen lernend diesem täglichen Prozedere. Als ich nach der ersten Behandlung mit an eine indianische Kriegsbemalung anmutenden Markierungen auf dem Bauch nach Hause kam, war meine Frau schockiert: Wochen zuvor – vor meiner Erkrankung – hatte sie von meinem genau in dieser Weise (mit rotem wasserfesten Filzstift) bemalten Bauch geträumt, konnte sich aber keinen Reim drauf machen …

Auch wenn es sich durch die Diagnose der plötzlichen und heimtückischen Krankheit anfühlte, als würde uns der Boden unter den Füssen weggezogen, waren wir uns in allem stets der Nähe Gottes gewiss. Die Auswirkung der Gebete unserer Familien und Freunde war teilweise beinahe physisch spürbar. Gottes Hand war in allem drin. Von der Bestrahlung geschwächt trat ich meine Vikariatszeit in der Thomaskirche, einer Basler Landeskirche, an. Bei der ersten Kurswoche meinte der Leiter des gesamten Vikariatskurses: «Thomas, deine Krankheitszeit wird eines Tages zu einem Kapital in deinem Leben werden.»

Diese Perspektive einzuüben versuchte ich durch alles hindurch. Bisher war mein Leben ziemlich gradlinig verlaufen. In einer Nacht, als mich das Unverständnis über den gesundheitlichen Einbruch übermannte, erzählte mir meine Frau die Geschichte von dem Sandkorn, das in die Muschel eindrang. So sehr sich die Muschel dagegen wehrte, es entstand daraus eine kostbare Perle. Rückblickend kann ich in diesen für mich herausfordernden Abschnitten die Perlen erkennen. Im März 2005 traten meine Frau und ich gemeinsam eine Pfarrstelle in der Thurgauer Landeskirche an.

Wir zogen in ein grosses Pfarrhaus ein und freuten uns, hier Platz für eine eigene Familie zu finden. Die Schatten der Krankheitszeit hatten sich zwar allmählich aus meiner Seele verzogen, doch es wunderte mich, dass meine Frau auch nach einigen Monaten nicht schwanger geworden war. Kurz vor dem Umzug trafen wir in Israel auf eine Frau, die, wie sie sagte, ein prophetisches Wort für uns hatte. «Du kannst keine Kinder haben, doch Gott macht etwas und ich sehe diesen Samuel», erläuterte sie mir auf Hebräisch. Ich konnte das Wort nicht annehmen. Der Arzt in Basel hatte mich doch für gesund und zeugungsfähig erklärt …

Frisch im Pfarramt, einige Monate nach der Begebenheit in Israel, wurden wir von der Stiftung Schleife zusammen mit anderen Pfarrpersonen auf eine Reise zu den Mennoniten in die USA eingeladen. Es war eine Folgeveranstaltung der Täuferkonferenz im Jahr 2003, wo die Schleife die Versöhnung zwischen den Landeskirchen in der Schweiz und den Amischen und Mennoniten in den USA, die viele schweizerische, deutsche oder österreichische Vorfahren hatten, thematisierte. Durch meine Beschäftigung mit der Täufergeschichte während des Studiums waren wir in diese Sache quasi «reingerutscht».

Auf jeden Fall trafen wir kurz nach der Ankunft in Lancaster auf einen jungen Mann. Er hatte ein Wort für uns und meinte, Gott hätte ihm gezeigt, dass wir keine Kinder haben könnten, er uns aber trotzdem Kinder schenken wird. Später spezifizierte er, wir hätten zwar zehn Monate gewartet, es würden aber keine elf werden. Sprich: Im nächsten Monat würde Katharina schwanger sein. Was für eine Zusage! Ich war erst skeptisch, wurde dann aber hellhörig und kontaktierte kurz nach der Reise meinen Urologen in Basel. Ich fragte ihn nach den Werten des letzten Spermiogramms, die ich nie erhalten hatte.

«Ich kann nicht reden», meinte er am Telefon, «ich habe einen Patienten bei mir. Rufen Sie in einer Stunde an.» Es war eine der bangsten Stunden meines Lebens. Ich wusste, dass seine Auskunft nichts Gutes bedeutete. Tatsächlich bekam ich kurze Zeit später zu hören, mein Spermiogramm sei so schlecht gewesen, dass ich auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen könne. «Wenden Sie sich an das andrologische Labor, die können Ihnen noch helfen», sagte er aufmunternd, «aber verschwenden Sie keine Zeit auf natürlichem Weg.»

Für uns stand nun Aussage gegen Aussage. Auf der einen Seite die medizinische Diagnose, auf der anderen die beiden Worte, die wir auf zwei Kontinenten erhalten hatten, ohne überhaupt über meine Unfruchtbarkeit im Bild zu sein. Am selben Abend, als ich den Bescheid bekam, waren wir im Dienstag-Gottesdienst der Stiftung Schleife zu Besuch. Den Arztbericht legten wir zusammen mit einer Seelsorgerin symbolisch in die Hand Gottes. Wir baten um einen «Tausch am Kreuz»: seine Worte gegen die natürliche, menschliche Perspektive.

Ich kann heute relativ unbeschwert und dankbar über diese Geschehnisse schreiben, damals trafen sie uns existenziell. Fragen der Leute wie: «Wollt ihr denn keine Kinder haben?», trafen uns in diesen Jahren sehr. Wir lebten nach dem Bericht aus Basel in einem Wechselbad der Gefühle, doch wir entschieden uns, Gott zu glauben. Der Rest ist schnell erzählt: Katharina war tatsächlich im nächsten Monat schwanger. «Kleine Wunder geschehen häufiger, grössere seltener», meinte der neue Urologe, der für meine Nachkontrollen zuständig war, etwas lakonisch zu unserer Geschichte. Für uns war es ein grosses Wunder! Unser Samuel kam auf die Welt. Zwar hatte meine Frau während der Schwangerschaft besorgniserregend hohe Toxoplasmose-Werte und auch die Geburt war dramatisch, die Ärzte fürchteten schon um das Leben unseres Kleinen. Doch in allem drin wussten wir: Gott wird diesen «Samuel», diesen «Erbetenen», gesund auf die Welt bringen.

Heute sind wir glücklich, (ohne Hilfe des andrologischen Labors!) trotz meiner Hodenkrebsgeschichte vier Kinder zu haben – für uns ist das ein eindrückliches Beispiel von Wiederherstellung. Auf Fragen, wie sie mich in der damaligen Zeit bewegten, werden wir auch in der Beschäftigung mit Esra-Nehemia stossen: Vertraue ich auf Gottes Wort, auf seine Zusagen? Glaube ich, dass Gott auch heute noch zu uns spricht? Wie gehe ich mit Herausforderungen um?

II.

Vier Jahre später, kurz vor der Geburt unseres dritten Kindes, folgte die zweite Herausforderung, welche die erste an Dramatik fast noch überstieg. Während der Seniorenferienwoche unserer Kirchgemeinde grassierte ein Magen-Darm-Infekt. Als gegen Ende der Woche bei mir Bauchschmerzen einsetzten, ging ich davon aus, dass es mich nun auch erwischt hatte. Meine Frau holte mich etwas früher aus der Woche in Österreich ab, weil ich am Samstag zurück in der Schweiz eine Trauung durchzuführen hatte. Ich fühlte mich auf der Autofahrt so elend, dass ich meine hochschwangere Frau den ganzen Weg fahren liess. Am Samstagmorgen waren die Bauchschmerzen unterdessen so stark geworden, dass ich kaum mehr stehen konnte. Der Arzt, von dem ich mir eine Art «Doping» für die Hochzeit erhoffte, schickte mich auf dem schnellsten Weg in die Klinik, wo sich der Verdacht auf eine Blinddarmentzündung erhärtete. So hielt meine Frau die Trauung, während ich operiert wurde.

Zum Zeitpunkt der Operation war der Blinddarm schon geplatzt – nicht zuletzt deshalb, weil mir der Gedanke an eine mögliche Blinddarmentzündung schlicht und einfach nicht in den Sinn gekommen war. Der Arzt erzählte mir, dass sich viel Flüssigkeit im Bauchraum befunden und die Operation sich nicht einfach gestaltet habe. Ich schlief schlecht im Klinikbett und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Als sich meine Entzündungswerte einigermassen normalisierten, wurde meinem Wunsch nach Entlassung aus dem Spital Folge geleistet. Zu Hause hatte ich einen seltsamen Traum.

Ich befand mich darin in einem Gewässer, wurde aber plötzlich durch ein Rohr in die Tiefe gezogen. Unterwegs realisierte ich, dass ich wohl in eine Art Kläranlage geraten sein musste, da ich mich in einer ekligen schmutzigen Brühe voller Fäkalreste wiederfand. Ich hatte keinerlei Einfluss auf die eingeschlagene Richtung, da die Strömung so stark war. Vor einer Weggabelung wusste ich, dass links Tod und rechts Leben bedeutete. Mich spülte es nach rechts und ich landete in einem ganz niedrigen Becken, wo ich auf dem Rücken in nicht einmal knietiefem Wasser wie in einer Art Sanatorium liegen blieb. Als ich erwachte, kam mir der Gedanke, dass Urinstoff ja auch heilende Wirkung haben kann.

Ich tat den Traum als nächtliche Bewältigung des Erlebten ab. Ich hatte zwar diese «Sauce» in meinem Bauch gehabt, doch wurde ich nun wieder ins Leben gespült. Schon ein, zwei Tage später machten sich erneute Bauchschmerzen bemerkbar. Der Hausarzt überstellte mich schnurstracks wieder ins Spital. Die Radiologen meinten nach der Untersuchung meines Bauchraumes, da befinde sich eine Eiteransammlung «so gross wie eine Orange». Gute Freunde von uns erschienen in dieser Notfallsituation, um vor der nächsten Operation für mich zu beten und bei meiner Frau zu sein. Ich spürte die Kraft der Gebete und der Traum gab mir innerliche Gewissheit, dass ich durch alles hindurch überleben würde.

Der Operateur meinte nach dem Eingriff, die Menge an Eiter – die zum Glück in einem Abszess abgekapselt war – hätte eher der Grösse einer Pomelo als einer Orange entsprochen. Dann wurde dieser leitende Arzt sehr ernst: «Wir haben gemacht, was wir tun konnten. Wie es weitergeht in Ihrem Bauch – da können Sie nur hoffen und beten.» Ich wusste, was diese Wortwahl aus dem Mund eines Chirurgen bedeutete. War der Bauchraum einmal entzündet, stellte das eine reale Gefahr für Leib und Leben dar, die ich in den kommenden Tagen auch spürte. Aus der Perspektive meiner Frau war ich kaum ansprechbar – ich erinnere mich rückblickend an Tage grosser körperlicher und emotionaler Müdigkeit.

Durch alles hindurch trug mich nicht nur die Nähe Jesu, sondern auch die Zuversicht, dass ich wiederhergestellt werden würde. Ein Pfarrfreund, der mich im Spital besuchte, hatte mich in einem inneren Bild wieder hüpfen sehen. Ich war nach dem grossen Bauchschnitt angebunden ans Spitalbett, jede Bewegung oder Erschütterung schmerzte stark. Der Gedanke ans Hüpfen lag mir zwar noch fern. Doch ich wusste, dass der Eindruck stimmte. Gott würde mich wiederherstellen!

Da die Geburt unserer Tochter anstand, witzelten die Stationsschwestern, sie würden mich mit dem Spitalbett in den Kreissaal schieben, wenn es losgehe. So weit kam es aber nicht, ich war vor der Geburt wieder zu Hause. Die Zeit der Wiederherstellung zog sich jedoch lange hin. Im Jahr 2010 eiterte die Wunde ca. zehn Wochen und die Bauchdecke wuchs nicht richtig zusammen. Zwei Narbenbrüche mussten im Folgejahr operativ behoben werden. Obwohl ich mich nicht noch einmal unters Messer begeben wollte, gab es keine Alternative. Wiederum gab mir ein Traum Wegweisung, als mich darin ein Arzt fragte, weshalb ich nicht in die Klinik käme, eine der besten Zeiten meines Lebens würde mir bevorstehen. Tatsächlich erlebte ich den Eingriff sehr gnädig und auch die Wochen der Rekonvaleszenz waren gefüllt mit einer besonderen Gottesnähe. Ich verstand nicht, weshalb ich diesen Weg gehen musste und Gott die Bauchdecke nicht einfach zuwachsen liess.

Doch offensichtlich hatte er mir durch diese besonderen «Zeiten der Wiederherstellung» etwas mitzuteilen.

III.

Ein letztes Beispiel möchte ich noch kurz erwähnen, um die Kraft der Hoffnung zu illustrieren. Ich hatte mir im Jahr 2016 durch ungeschicktes Hantieren an einer alten Fensterscheibe am rechten Daumen die Sehne und einen Nerv durchtrennt. Ein Handchirurg brachte in nächtlicher Operation die Sache chirurgisch wieder in Ordnung. Ich hatte mir vorher nie überlegt, wie komplex eine Beugesehne an den verschiedenen Punkten eines Fingers eingebettet ist und wie kompliziert es ist, einen durchtrennten Nerv wieder zusammenzufügen, damit die ursprüngliche Funktion zurückerlangt wird …

Auch in diesem Fall bereitete mich ein seltsamer Traum vor. Ich hörte in der Nacht vor dem Zwischenfall den Satz: «Ihr müsst lernen, euch radikal auf eure Schwachheiten zu verlassen.» Natürlich dachte ich an das Pauluswort «Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig», wo es im Anschluss heisst: «Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne» (2. Korinther 12,9; LUT). Ich diskutierte die Aussage mit meiner Frau und erläuterte ihr, dass ich den Traum nicht einordnen könne. Als ich am nächsten Tag in der Klinik vergeblich versuchte, mit der linken Hand den Kaffeerahmdeckel zu öffnen, wurde ich an das Wort aus dem Traum erinnert … Zu lernen, mich radikal auf meine Schwachheiten zu verlassen, bedeutete, immer mehr aus der Kraft Gottes heraus das Leben zu gestalten.

Meine Frau und ich waren gerade in der Woche vor dem Unfall als Leiter der Schleife Gemeinschaft eingesetzt worden. Wie am Daumen der Priester bei der Einsetzung im Alten Testament, so klebte an meinem rechten Daumen nun Blut (vgl. 2. Mose 29,20; 3. Mose 8,23–24). Ich sehe die Narbe in S-Form, die sich über den Finger zieht, noch heute jeden Tag und muss daran denken, dass der «Sieg» immer nur aus Gottes Kraft heraus geschehen kann, nicht durch meine eigene Stärke. In meiner Schwachheit kann Gott stark sein, das war die Lektion, die ich zu lernen hatte.

Der Wiederherstellungsprozess der Sehne und des Nervs meines Daumens erwies sich als äusserst delikat. Anfänglich machte der Heilungsprozess gute Fortschritte. Die Probleme begannen, als ich eines Tages im Auto – von meiner Frau chauffiert – meinen Finger anschaute und plötzlich Zweifel an dessen Heilung bekam. Würde ich ihn je wieder beugen oder gar Klavier spielen können? Zweifel über die Wiederherstellung ergriffen mein Herz. Die Ergotherapeutin musste beim Lernprogramm einen Gang langsamer schalten. Sie wunderte sich, weshalb der Prozess ins Stocken geraten war.

Der Termin beim Handchirurgen brachte die Wendung. Ich eröffnete ihm in der Sprechstunde, dass ich Zweifel daran hätte, je wieder über einen funktionstüchtigen rechten Daumen zu verfügen. Seine Antwort rüttelte mich wach: «Aber hallo, was denken Sie eigentlich, weshalb ich das Ganze wohl gemacht habe?!» Der Chirurg wurde aus dem Bett gerüttelt, hatte mich zwischen ein und drei Uhr nachts zusammengeflickt und dabei sein ganzes chirurgisches Handwerkszeug in die Waagschale geworfen. Voller Hingabe hatte er zu nächtlicher Stunde meinen Nerv unter dem Mikroskop mikrochirurgisch zusammengenäht, die Sehne kunstvoll repariert und ihre ursprünglichen Bahnen eingefädelt – und nun wollte ich seine Fähigkeit zur Wiederherstellung in Frage stellen?

Dieses ärztliche «Aber hallo!» wirkte in mir nach. Sprunghaft stieg die Kurve meines Heilungsverlaufs wieder an und ich holte das Versäumte schnell auf. Die neu gewonnene Hoffnung auf Wiederherstellung, die nun in mir aufkeimte, hatte einen im wahrsten Sinn des Wortes wunderbaren Einfluss auf den Heilungsprozess. Heute kann ich mit dem Daumen nicht nur die Tastatur bedienen, während ich diese Zeilen schreibe, ich spiele auch wieder Klavier und kann meine Hand praktisch uneingeschränkt benutzen.

Ich bin nach diesen drei eben geschilderten Geschichten immer noch am Leben, ich habe Kinder und mein Körper ist wieder funktionstüchtig. Für mich ist das ein ganz existenzielles Wunder der Wiederherstellung.

Wenn wir nun gemeinsam ins Esra-Nehemia-Buch gehen, bitte ich dich, mit diesem «Aber hallo!» im Hinterkopf die Seiten zu lesen. «Aber hallo!», wir haben einen Gott der Wiederherstellung. Er kann Dinge in den verschiedenen Bereichen unseres Lebens wieder in Ordnung bringen. Ich spreche im Folgenden vom Esra-Nehemia-Buch, da unsere Bücher Esra und Nehemia in der Hebräischen Bibel ursprünglich ein Buch bildeten (Näheres dazu am Buchende unter den «Einleitenden Bemerkungen zu Esra-Nehemia»).

Kapitel 1

Erweckung beginnt im Herzen Gottes

(Esra 1–2)

Sehnen wir uns nach einem neuen Erwachen, einer Reformation oder «Erweckung» in unseren Ländern? Bezeichnenderweise beschreibt das erste konjugierte Verb im Esra-Nehemia-Buch, wie Gott «erweckte» (Esra 1,1): «Und im Jahr eins des Kyros, des Königs von Persien, erweckte der HERR, damit sich das Wort des HERRN aus dem Mund des Jeremia erfülle, den Geist des Kyros, des Königs von Persien, und dieser liess einen Aufruf durch sein ganzes Königreich ergehen, auch schriftlich.» Die Initiative geht von Gott aus. Er ist Subjekt des ersten Satzes, er setzt die ganze Bewegung der Wiederherstellung in Gang. Das ist ein sehr entspannender Gedanke zu Beginn unserer Reise: Letztlich sehnt sich Gott nach Wiederherstellung und Erweckung, er bringt den Stein ins Rollen.

Kyros II., König von Persien

Die Erweckungsbewegung beginnt nicht bei den Priestern, nicht einmal unter dem jüdischen Volk, sondern im Herzen des Perserkönigs! Gott benutzt die realpolitischen Umstände des Perserreiches, um seine Pläne zu verwirklichen; er kann das Herz der Könige leiten (vgl. Sprüche 21,1). Die Erweckung kommt nicht nur «von oben», vom König, sondern «von ganz oben», von Gott! Er entschliesst sich, eine schillernde Figur als Initiator für die Rückkehrbewegung zu gebrauchen: Kyros II., den König von Persien. Er entstammte der von Achaimenes (700–675 v. Chr.) gegründeten «achämenidischen» Dynastie, die sich später in die Königshäuser Mediens und Persiens aufteilte.

Kyros II., seit 559 v. Chr. König der Perser, schaffte es durch einen genialen Schachzug, indem er den Mederkönig, seinen ­eigenen Grossvater (!), gefangen nahm, die beiden Königshäuser wieder zu vereinen. Zu dieser Zeit hatten immer noch die Babylonier die Vorherrschaft im Orient inne. Doch im Jahr 539 v. Chr. entsandte Kyros II. eine Armee nach Babylon, um die Stadt einzunehmen.5

Der Moment war günstig: Nabonid, der letzte babylonische König, war ein eifriger Verehrer des Mondgottes Sin und gerade daran, Haran, das uns aus der Abrahamgeschichte bekannt ist, ein Zentrum der Sin-Anbetung, wieder aufzubauen. Die Einwohner der Stadt Babylon, die in erster Linie den Gott Marduk verehrten, schienen das als Vernachlässigung empfunden zu haben. Auf jeden Fall gelang es den Truppen des Kyros, die Stadt kampflos zu erobern.6

Kyros beschreibt das auf einem Zylinder, der gefunden wurde und dessen Original – ein kleiner, mit akkadischen Schriftzeichen versehener Tonzylinder – im British Museum in London zu begutachten ist: «Ich, Kyros, der König des Weltreichs, der grosse König, der mächtige König, König von Babel, der König von Sumer und Akkad, der König der vier Weltsektoren, Sohn des Kambyses, des grossen Königs, des Königs von Anschan …» usw., die Liste geht noch weiter. Dann fährt er fort: «[A]ls ich friedlich in Babel eingezogen war, schlug ich unter Jubel und Freude im Palaste des Herrschers den Herrschaftssitz auf. Marduk, der grosse Herr, hat …»7

Kyros, dem Begründer des persischen Grossreichs, mangelt es nicht an Selbstbewusstsein; er bezeichnet sich als König «der vier Weltsektoren». Mit dieser schillernden Gestalt, die durch geschicktes Taktieren Medien-Persien vereinigt und zur Vormachtstellung im Orient gebracht hat, beginnt die Geschichte der Wiederherstellung. Kyros bewilligt den im Exil lebenden Juden, in die Heimat zurückzukehren. Sein Edikt finden wir in Esra 1,2–4:

So spricht Kyros, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat mir der HERR, der Gott des Himmels, gegeben, und er selbst hat mir aufgetragen, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Juda liegt. Wer immer von euch aus seinem Volk ist – sein Gott sei mit ihm, und er ziehe hinauf nach Jerusalem, das in Juda liegt, und er baue das Haus des HERRN, des Gottes Israels; das ist der Gott, der in Jerusalem ist. Und jeden, der übrig geblieben ist an irgendeinem Ort, wo er sich als Fremder aufhält, den sollen die Männer seines Orts mit Silber und mit Gold unterstützen und mit Gütern und mit Vieh, ausserdem mit den freiwilligen Gaben für das Haus des Gottes in Jerusalem!

Fokus Anbetung

Der Tempelbau in Jerusalem ist der Beweggrund für Kyros, die Menschen zur Rückkehr aus dem Exil zu bewegen. Schon beim Auszug aus Ägypten, sozusagen bei der Rückkehr aus dem «ägyptischen Exil», war die Anbetung Gottes ein Fokus. Bei der Berufung Moses trägt Gott Mose auf, vor dem Pharao anzukündigen, das Volk ziehe hin, um Gott Opfer darzubringen (vgl. 2. Mose 3,18). Als erstes Argument nennen Mose und Aaron deshalb ein Fest in der Wüste (2. Mose 5,1): «Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern.» Am Beginn des Auszugs steht der Wunsch, Gott anzubeten.

In der Wüste empfängt Mose die Instruktion zum Bau der Stiftshütte, dem Prototypen für den späteren Tempel (vgl. 2. Mose 25–31 und 35–40). Und zu Beginn des zweiten Exodus steht der Auftrag zum Wiederaufbau des Tempels. Die Unterschiede zwischen den beiden Rückkehrbewegungen aus den Exilen im Westen (Ägypten) und Osten (Babylon) zeigen sich auch in aller Deutlichkeit: Während der Pharao der Exoduserzählung die Israeliten knechtet und nicht in die Freiheit entlassen will, ist Kyros in Esra 1 nicht Opponent, sondern gar Initiant des neuen Exodus. Freilich wird in Esra 1,1 bereits Gott als Hauptagent genannt, der den Geist des Kyros erweckte. Doch der weltliche König steht diesmal am Beginn der Rückkehrbewegung.

Er ermutigt sein Volk, den Tempelbau in Jerusalem mit Silber und Gold und weiteren Gütern zu unterstützen. Es ist sogar die Rede von «freiwilligen Gaben» (Esra 1,4). Wieder tritt ein Unterschied zum Exodus aus Ägypten zutage. Damals haben die Israeliten ihre ägyptischen Nachbarn um Kostbarkeiten gebeten (vgl. 2. Mose 3,21f.; 11,2; 12,35f.), diesmal geht die Initiative vom Perserkönig aus. Das Volk bekommt sogar freiwillige Gaben. Der hebräische Ausdruck dafür lautet nedābāh. Als ich in Israel lebte und als «Volontär» arbeitete, war die Bezeichnung dafür «Mitnadef», was von derselben Wortwurzel (ndb) kommt. Diese Freiwilligkeit sticht ins Auge. Die Gunst Gottes über dem Projekt ist gross.

Schon bei der Berufungsgeschichte von Mose erwähnt Gott die Schätze Ägyptens, die dem Volk Israel beim Auszug mitgegeben werden (vgl. 2. Mose 3,21f.). Hier werden die Güter, die aus dem Perserreich nach Jerusalem fliessen, gleich zu Beginn in den Fokus gerückt. So wie aus den Reichtümern Ägyptens in der Wüste die Stiftshütte gebaut werden konnte, so werden die aus dem Babylonischen Exil zurückgebrachten Kostbarkeiten dem Tempelbau dienen. Aus den Schätzen der Nationen wird das Heiligtum zur Anbetung Gottes gebaut. Ist das nicht interessant? Damit ist der Blick auf die Nationen geöffnet. Der Prophet Sacharja, auf den wir noch zu sprechen kommen, zieht die Linie bis weit in die Zukunft hinein. Eines Tages, in den Zeiten des kommenden Friedensreiches, werden die Nationen jährlich nach Jerusalem kommen (vgl. Sacharja 14,16), und auch er spricht vom «Reichtum aller Nationen» (Vers 14).

Die Reaktion im jüdischen Volk auf das Kyros-Edikt wird in den folgenden Versen beschrieben (Esra 1,5–6):

Und die Familienhäupter Judas und Benjamins und die Priester und die Leviten, alle, deren Geist Gott erweckt hatte, machten sich auf, um hinaufzuziehen und das Haus des HERRN in Jerusalem zu bauen. Und alle, die um sie herum waren, stärkten ihre Hände mit Geräten aus Silber, mit Gold, mit Gütern und mit Vieh und mit Kostbarkeiten, abgesehen von allen freiwilligen Gaben.

Die Erweckung weitet sich auf das Volk aus: Gott erweckt den Geist von Familienhäuptern, Priestern und Leviten. Die Stosskraft geht wieder von Gott aus, doch es braucht eine Reaktion der Menschen: «Sie machen sich auf.» «Sich aufzumachen» ist die erste Reaktion des Volkes auf die von Gott initiierte «Erweckung». Das Aufstehen ist nötig, um in die Pläne Gottes hineinzukommen. Wir können uns hier überlegen, in welchen Bereichen in unserem Leben ein inneres Aufstehen wichtig wäre.

Das Ziel ist der Bau des Hauses Gottes in Jerusalem. Es ist der Punkt, den der Prophet Haggai später dem Volk ankreiden wird, denn es baut die eigenen Häuser, nicht den Tempel Gottes (vgl. Haggai 1,4ff.). Doch der Tempelbau war das erste Ziel. Jesus spricht davon, dass uns alles dazugegeben werde, wenn wir «zuerst» nach dem Reich Gottes trachten (Matthäus 6,33). Die Anbetung Gottes steht bei dieser Erweckung von Anfang an im Zentrum.

Ein Gott der Zeiten

In den letzten Versen des ersten Kapitels werden die Tempelgeräte erwähnt (Esra 1,7–11):

Und König Kyros gab die Geräte des Hauses des HERRN heraus, die Nebukadnezzar aus Jerusalem fortgeschafft und in das Haus seines Gottes getan hatte. Und Kyros, der König von Persien, händigte sie Mitredat, dem Schatzmeister, aus, und dieser zählte sie Scheschbazzar vor, dem Fürsten von Juda. Und dies war ihre Zahl: Goldschalen: 30; Silberschalen: 1000; Ersatzstücke: 29; Goldschälchen: 30; Silberschälchen der anderen Art: 410; andere Geräte: 1000. Alle Geräte aus Gold und aus Silber zusammen: 5400. Dies alles brachte Scheschbazzar mit hinauf, als die Verbannten aus Babel nach Jerusalem hinaufgeführt wurden.

Wir können uns fragen, weshalb den Tempelgeräten durch die detaillierte Auflistung zu Beginn des Buches ein so grosses Gewicht beigemessen wird. Nach meinem Verständnis müssen wir dazu den ersten Vers noch einmal genauer unter die Lupe nehmen: «Und im Jahr eins des Kyros, des Königs von Persien, erweckte der HERR, damit sich das Wort des HERRN aus dem Mund des Jeremia erfülle, den Geist des Kyros, des Königs von Persien.»8Gott erweckte den König Kyros, um das Wort des Propheten Jeremias zu erfüllen.

Durch die Erwähnung des Propheten Jeremias gleich im ersten Vers des Buches werden die Lesenden eingeladen, das Folgende im Licht der Verheissungen dieses Prophetenbuches zu lesen. Damit wird die Bedeutung des prophetischen Wortes für die Lektüre eines biblischen Buches auf eine Art und Weise betont, die im Alten Testament einzigartig ist.9 Esra-Nehemia lässt offen, welche Passagen aus Jeremia insbesondere herbeigezogen werden sollen.

Die letzten Verse der Chronik (2. Chronik 36,22–23) stimmen mit den ersten Versen des Esra-Nehemia-Buches (Esra 1,1–3) überein. In der Chronik wird – im Gegensatz zu Esra-Nehemia – erläutert, in welchem Sinn der Vergleich mit Jeremia intendiert sei, nämlich «damit das Wort des HERRN durch den Mund Jeremias erfüllt werde: bis dem Land seine Sabbate ersetzt werden. Die ganze Zeit der Verwüstung lag es brach, bis siebzig Jahre erfüllt waren» (2. Chronik 36,21). In diesem Kontext ist klar, dass auf das Wort der 70 Jahre in Jeremia 25,11f. und 29,10 angespielt wird. In diesen beiden Stellen gibt der Prophet Jeremia die Länge des Exils mit 70 Jahren an.

Die «Sabbatruhe» des Landes dauert nach Jeremia 25 und 29 zehn Zyklen von Sabbatjahren, also zehn mal sieben Jahre.10 Diese 70 Jahre spielen auch im Propheten Daniel eine Rolle. In Daniel 9,2 heisst es, Daniel habe auf die 70 Jahre geachtet, über welche Gott zu Jeremia sprach. Gemäss den Angaben in Daniel 1,1 wurde Daniel bereits im Jahr 605 v. Chr. nach Babylon deportiert, während der ersten von vermutlich drei Deportationswellen ins Exil.11

Das Kyrosedikt fand im Jahr 538 v. Chr. statt, die erste Rückkehrbewegung unter Jeschua und Serubbabel erfolgte wohl im Jahr 536 v. Chr. Der Tempelbau wurde nach Ankunft der Exulanten begonnen, verzögerte sich aber anschliessend. Er wurde erst im Jahr 520 v. Chr. wieder an die Hand genommen (Esra 5) und 515 v. Chr. beendet. Wir haben damit aber auf geheimnisvolle Weise eine doppelte Erfüllung der 70 Jahre: Einerseits fand die erste Rückkehrbewegung aus Babylon ziemlich genau 70 Jahre nach der ersten Deportationswelle aus Jerusalem statt. Und zweitens war der Tempel ziemlich genau 70 Jahre zerstört und «ausser Betrieb»:

Erste Deportationswelle (605 v. Chr.)▲ca. 70 Jahre▼Erste Rückkehrbewegung (536 v. Chr.)

Tempelzerstörung (586 v. Chr.)▲ca. 70 Jahre▼Tempeleinweihung (515 v. Chr.)