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Dieser Band enthält folgende Western Geschichten: Pete Hackett: Tot oder lebendig Alfred Bekker: Zum Sterben nach Sonora Alfred Bekker: Der Regenmacher Alfred Bekker: Die wilde Brigade Pete Hackett: Marshal Logan und der verschollene Bruder Pete Hackett: McQuade und die Bande der Gebrandmarkten Thomas West: Ein Stadt voll Abschaum Alfred Bekker: Keduan Pete Hackett: Der Unerbittliche Max Brand: Die Rache des Ranchers Nach dem Ende des Bürgerkriegs will Texaner Jim, der auf der Südstaaten-Seite kämpfte, sich nur in Ruhe und Frieden eine neue Existenz aufbauen, doch er gerät von einem Schlamassel in den nächsten. Ein Glück nur, dass er ebenso gut schießen wie reiten kann. Und er gewinnt etwas noch viel Wichtigeres hinzu: wahre Freunde. Doch werden sie ihm helfen können, als er den sicheren Tod vor Augen hat?
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Wildwest mal 10 September 2023
Copyright
Tot oder lebendig
Zum Sterben nach Sonora
Der Regenmacher
Die wilde Brigade
Marshal Logan und der verschollene Bruder
McQuade und die Bande der Gebrandmarkten
Eine Stadt voll Abschaum
Keduan
Mustang-Jim
Der Unerbittliche
Die Rache des Ranchers
Dieser Band enthält folgende Western Geschichten:
Pete Hackett: Tot oder lebendig
Alfred Bekker: Zum Sterben nach Sonora
Alfred Bekker: Der Regenmacher
Alfred Bekker: Die wilde Brigade
Pete Hackett: Marshal Logan und der verschollene Bruder
Pete Hackett: McQuade und die Bande der Gebrandmarkten
Thomas West: Ein Stadt voll Abschaum
Alfred Bekker: Keduan
Pete Hackett: Der Unerbittliche
Max Brand: Die Rache des Ranchers
Nach dem Ende des Bürgerkriegs will Texaner Jim, der auf der Südstaaten-Seite kämpfte, sich nur in Ruhe und Frieden eine neue Existenz aufbauen, doch er gerät von einem Schlamassel in den nächsten. Ein Glück nur, dass er ebenso gut schießen wie reiten kann. Und er gewinnt etwas noch viel Wichtigeres hinzu: wahre Freunde. Doch werden sie ihm helfen können, als er den sicheren Tod vor Augen hat?
Ein Mann namens Burt Durham ist in Tucson aufgetaucht, der falsche Versprechungen macht. Er bietet jungen Frauen an, Karriere als Tänzerin oder Schauspielerin im Osten zu machen. Aber in Wirklichkeit hat er ganz andere Dinge im Sinn. Auch Bonny Menard, die zu Besuch auf der Circle C-Ranch ist, fällt auf diese Versprechen herein und unterschreibt den Vertrag. Durham glaubt, damit leichte Beute zu machen – aber da hat er nicht mit Matt Jackson, dem Vormann der Circle C-Ranch gerechnet. Er wird alles tun, um diesen heimtückischen Betrug zu entlarven!
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© Roman by Author /COVER WERNER ÖCKL
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Es war schon dunkel. Harrison McQuinn zügelte vor dem Silver Moon Inn sein Pferd und saß ab. Lärm trieb ihm aus dem Saloon entgegen. Aus der Tür und den beiden Frontfenstern fiel Licht auf den Gehsteig und ein Stück in die Main Street. Harrison McQuinn stellte seinen Braunen in die Reihe der anderen Pferde am Haltebalken und knotete die Leine fest. Dann schob er sich den breitrandigen Hut in den Nacken, rückte seinen Revolvergurt zurecht und stieg die drei Stufen zum Vorbau hinauf. Mit beiden Händen drückte er die Batwings auseinander. Schlechte Luft voll Tabakqualm und Schweißgeruch schlug ihm entgegen. Er betrat den Inn. Hinter ihm schwangen die Türflügel knarrend aus.
Im Saloon war der Teufel los. Es war Wochenende, genau gesagt Samstagabend. Die Mannschaft der Brazos-River-Ranch bevölkerte den Inn. Aber auch einige Small Rancher vom California Creek hatten sich eingefunden. Einige der Kerle waren schon angetrunken. Sie grölten und johlten und brüllten voller Ungeduld nach Bier oder Brandy. Die drei Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. Zwei Keeper und der Salooner selbst standen hinter dem Schanktisch, um einen schnellen Service zu bieten.
Harrison McQuinn wurde erkannt. Einige der Small Rancher begrüßten ihn lauthals. Die Männer von der Brazos-River-Ranch allerdings beachteten ihn nicht. Sie waren mit den Animiermädchen oder ihren Karten beschäftigt.
Harrison steuerte einen der Tische an. Er hob die rechte Hand zum Gruß. „Hallo, Ben, habt ihr noch einen Platz frei für mich?“
Ben Walker wies einladend auf einen unbesetzten Stuhl. „Setz dich nieder, McQuinn. Schön, dass du dich wieder mal blicken lässt in der Stadt. Dachte schon ...“
Er brach ab, als jemand wild schrie: „Sieh an, der Kuhbauer, dessen Rinder immer auf meine Weide laufen und meinen Kühen das Gras wegfressen. Heh, McQuinn, wann willst du endlich einen Zaun ziehen? Heute habe ich wieder ein Rudel Rinder mit deinem Brandzeichen zurücktreiben müssen. Zur Hölle mit dir, McQuinn! Ich dulde diesen Zustand nicht länger!“
Die Geräusche versickerten. Harrison, der gerade im Begriff gewesen war, sich zu setzen, richtete sich wieder auf. Sein Blick suchte den Sprecher und heftete sich schließlich auf ihn. Harrison rief mit spröder Stimme: "Warum ziehst du keinen Zaun, Bancroft. Ich war vor dir da. Meine Rinder fragen nicht nach Weidegrenzen. Du willst nicht, dass sie auf dein Stück Land rennen. Also hindere sie daran und baue einen Zaun.“
„Sei vorsichtig, McQuinn“, warnte Walker. Er sprach es zwischen den Zähnen. „Bancroft ist schon ziemlich angetrunken und in diesem Zustand unberechenbar. Außerdem hält er sich stark an Dexter, und der zählt gewiss nicht zu den Freunden der Small Rancher und Siedler.“
Ein großgewachsener Mann mit roten Haaren, der neben Bob Bancroft am Tresen stand, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Bancroft nickte, dann heftete er seine vom übermäßigen Alkoholgenuss geröteten Augen wieder auf Harrison. Seine Lippen sprangen auseinander, er rief: „Du stinkst mir, McQuinn. Es sind deine Rinder, die auf mein Land rennen. Also liegt es auch an dir, sie davon abzuhalten. Aber das habe ich dir schon zigmal gepredigt. Ich glaube, es ist an der Zeit, es dir mit den Fäusten in dein Spatzenhirn hineinzuhämmern.“
Bancroft setzte sich in Bewegung. Der Mann, der lässig neben ihm am Tresen lehnte und in der Linken sein Whiskyglas drehte, grinste herablassend, vielleicht sogar zufrieden.
Stuhlbeine scharrten über die rauen Dielen, Männer erhoben sich und bildeten eine Gasse. Harrison atmete tief ein und blickte Bob Bancroft entgegen. Von seinem gestrafften Gesicht war nicht abzulesen, was hinter seiner Stirn vorging. Aber in seinen Mundwinkeln hatten sich zwei tiefe Kerben gebildet. Zeichen dafür, dass ihm diese Entwicklung nicht gefiel. Als Bancroft zwei Schritte vor ihm anhielt, sagte er grollend: „Ich bin nach Stamford gekommen, um mich zu amüsieren, Bancroft und will mich nicht mit dir raufen. Außerdem bist du betrunken. Du weißt wahrscheinlich gar nicht, was du anzettelst. Merkst du denn nicht, dass du dich vor den Karren der Brazos River Ranch spannen lässt, wenn du ...“
„Darum geht es nicht, McQuinn!“, fauchte Bancroft ungeduldig und stur. „Es geht um die Verletzung meiner Weidegrenze. Es ist ein Zustand, den ich nicht leide, und da du nicht bereit bist, für Abhilfe zu sorgen, werde ich dir jetzt die Birne weichklopfen. Was von dir übrig bleibt, werde ich auf die Straße werfen.“
Bancroft riss sich die Jacke herunter und warf sie einem der in der Nähe Stehenden zu. Er begann, sich die Hemdsärmel hochzukrempeln.
„Hör auf mit dem Unsinn, Bancroft!“, mischte sich Ben Walker ein. „Wenn wir Kleinrancher anfangen, uns gegenseitig zu zerfleischen, braucht Big John am Ende nur noch einzukassieren, worauf er schon lange scharf ist - nämlich unser Land. Hast du dich vielleicht mit ihm verbündet, nachdem du schon den ganzen Abend mit seinem Vormann an der Theke stehst?“
„Du hältst dich raus, Walker!“, knurrte Bankroft, hob die Fäuste und winkelte die Arme an. „Das ist eine Sache zwischen mir und McQuinn. Du kannst dich wieder bei mir melden, wenn ich mit McQuinn fertig bin. Jetzt aber solltest du zur Seite treten.“
Er schien richtig begierig darauf zu sein, Harrison zurechtzustutzen. Seine geröteten, wässrigen Augen funkelten kriegerisch. Trotzig hatte er das Kinn vorgeschoben. Wilde Entschlossenheit ging von ihm aus wie etwas Animalisches.
Im Schankraum war es jetzt still. Voll gespannter Erwartung ruhten die Blicke der Gäste auf den beiden Männern, insbesondere auf Harrison. Dieser sagte abgehackt: „Warum ziehen wir nicht gemeinsam einen Zaun, Bancroft? Das wäre doch eine Lösung, nicht wahr? Fangen wir übermorgen gleich an, indem wir Draht bestellen. Was hältst du davon?“
„Nichts!“, grollte Bancroft und machte einen Schritt auf Harrison zu. „Ich habe mir vorgenommen, dich zu verprügeln, und das mache ich jetzt. Pass auf, McQuinn!“
Mit dem letzten Wort stieß er sich ab. Harrison wurde von dem Angriff überrascht. Er stürzte rücklings auf den Tisch, an dem noch Walker und zwei andere Kleinrancher saßen. Gläser fielen zu Boden und zerbrachen. Wie Stahlklammern umschlangen Bancrofts Arme Harrisons Oberkörper, pressten ihm die Arme dagegen und ließen keine Bewegung zu. Es war, als wollte Bancroft ihn zerquetschen.
Und tatsächlich spürte Harrison, wie ihm langsam aber sicher die Luft aus dem Körper gepresst wurde. Bancrofts Whiskyatem streifte sein Gesicht. Nur zwei Handbreit war das hässliche, breitflächige Gesicht vor seinem Blick. Bancrofts Züge waren verzerrt von der Anstrengung, in seinen Augen glühte der Vernichtungswille. Harrison sah es, und es traf ihn wie ein eisiger Guss ...
*
Ben Walker sprang auf, als er seine Lähmung überwand. Seine rechte Hand wühlte sich in Bancrofts Haare. Unerbittlich zerrte Walker an den Haaren den Kopf des Schlägers in den Nacken. Bancroft brüllte wie am Spieß. Seine Umklammerung lockerte sich. Er stand jetzt, griff mit beiden Händen über seinen Kopf hinweg und packte Walkers Handgelenk. Der Schmerz von seiner Kopfhaut ließ seine Augen tränen.
„Du Narr! Du gottverdammter Narr!“, presste Walker zwischen den Zähnen hervor und ließ nicht locker. „Du machst dich zum Werkzeug Big Johns und seiner Kettenhunde. Die Pest an deinen Hals, Bancroft!“
Indessen tauchte Harrison zur Seite weg und atmete tief durch. Seine Lungen füllten sich mit lebenserhaltendem Sauerstoff, er spürte, wie sich sein Körper mit neuen Energien auflud. Und erspürte noch mehr: Da war der lodernde Zorn auf Bob Bancroft, der in seinen Eingeweiden wühlte und der ihn in heißen, giftigen Wogen durchrann. Sein Organ grollte heiser: „Lass ihn los, Ben. Er will den Kampf, also soll er ihn haben. Lass ihn los.“
„Das würde ich dir auch raten, Walker!“, tönte es vom Schanktisch her. Es war der große, rothaarige Bursche, der es mit stahlharter Stimme rief. „Es ist Bancrofts und McQuinns Sache, und du solltest dich heraushalten. Oder muss ich es dir auf die raue Tour klarmachen lassen?“
Einige Männer in Cowboykleidung an den Tischen hatten sich erhoben. Aus der Reihe der Gäste an der Theke traten ebenfalls Männer, die den Sattel der Brazos River Ranch drückten. Sie alle nahmen eine drohende Haltung ein.
„Ich denke, dass du hinter diesem schmutzigen Spiel steckst, Dexter!“, rief Ben Walker. „Es ist mir nicht entgangen, dass du den ganzen Abend über schon Bancorft mit Schnaps abfüllst. Was bezweckst du damit? Handelst du im Auftrag Big Johns? Was steckt letztendlich dahinter?“
In diesem Moment riss Bancroft sich los. Er wirbelte herum und schlug nach Walker, der seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Flint Dexter, den Vormann der Brazos River Ranch, gerichtet hatte. Seine rechte Faust krachte gegen Walkers Kinn und drückte seinen Kopf auf die Schulter. Und da landete auch schon Bancrofts Linke auf seinem Ohr. Walker taumelte mit einem erschreckten und schmerzhaften Aufschrei zur Seite, stieß gegen einen Tisch, krümmte sich nach vorn und stützte sich im letzten Moment mit beiden Armen ab, ehe er stürzte.
Nun trat wieder Harrison in Aktion. Seine Hand verkrampfte sich in Bancrofts Schulter, er riss den Schläger herum, und ehe Bancroft sich versah, knallte ihm Harrison die Faust mitten ins Gesicht. Es klatschte grässlich. In Bancrofts Brust kämpfte sich ein gurgelnder Ton hoch, erreichte die Kehle und erstickte. Blut sickerte aus seiner Nase. Aus glasigen Augen, mit dem Ausdruck des stupiden Nichtbegreifens starrte er Harrison an, und es wurde deutlich, wie sehr dieser Schlag ihn erschüttert hatte.
Es wäre Harrison jetzt ein Leichtes gewesen, Bancroft den Rest zu geben. Aber er schaffte es nicht, die Hemmschwelle, die den Namen Fairness trug, zu überschreiten. Es entsprach einfach nicht seinem Naturell, die momentane Schwäche des Gegners auszunutzen. Und so wartete er ab, die Fäuste wie ein Faustkämpfer erhoben, den Gegner fixierend, mit angespannten Muskeln und aktivierten Sinnen.
Bancroft schüttelte seine Benommenheit ab. Er schaute Harrison an wie ein Erwachender, wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Oberlippe, ein gefährliches Grollen, das tief in seiner Kehle entstand, kam aus seinem Mund – dem Grollen eines zornigen Kampfhundes nicht unähnlich -, und plötzlich stieß er voll Leidenschaft hervor: „Ich werde dich jetzt zerschmettern, McQuinn, ich werde dich in tausend Stücke schlagen.“
Es war ein tödliches Versprechen. In seinen Augen funkelte es tückisch.
Zwei Schritte weiter kämpfte Ben Walker gegen seine Not an. Langsam zog sich der Kreis aus Gaffern und den Männern der Brazos River Ranch zusammen.
Bancroft hatte seine Schwäche überwunden. Er kam mit katzenhafter Behändigkeit näher. Seine klobigen Fäuste erinnerten an Schmiedehämmer. Er wirkte ausgesprochen konzentriert, seine Trunkenheit schien verflogen zu sein.
Harrison warf sich ihm entgegen. Bancrofts Fäuste flogen auf ihn zu. Er tauchte unter ihnen hinweg, konnte aber nicht verhindern, dass Bancrofts Linke schmerzhaft an seiner Schläfe entlangradierte. Mit dem ganzen Gewicht seines Körpers prallte er gegen den Small Rancher, rammte ihn mit der Schulter.
Bancroft taumelte zurück und ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu halten.
Harrison verlor keine Zeit. Er setzte nach und ließ seine Rechte fliegen. Im letzten Moment konnte Bancroft den Kopf zur Seite reißen. Harrisons Haken streifte nur seine Wange.
Bancroft prallte gegen einen Tisch und verschob ihn. Gläser und Flaschen kippten um, klirrten auf die Dielen, Bier und Whisky versickerte in den Ritzen zwischen den Dielen.
Gierig sog Bancroft Sauerstoff in seine Lungen. In seinen Augen schimmerte glühender Hass. Mit aller Kraft stieß er sich ab, flog förmlich auf Harrison zu, versuchte ihn mit beiden Händen zu fassen und zu umklammern. Ein Schwinger, der blitzschnell und ansatzlos aus der Hüfte kam, fing ihn ab, und einen Herzschlag lang schien er die Orientierung zu verlieren. Tapsig drehte er sich halb um seine Achse. Harrison zog blitzschnell die Linke in die Höhe, um Bancroft mit einem wuchtigen Haken gegen den Kinnwinkel zu fällen, aber sein Gegner wich instinktiv aus. Doch da schickte Harrison schon die Rechte auf die Reise und knallte sie Bancroft mit Wucht gegen die Rippen.
Aus dem Mund des Getroffenen drang ein abgehackter Schrei. Sofort schlug Harrison eine Doublette. Es gab dumpfe, trockene Geräusche, als er Bancroft zweimal traf. Der Small Rancher verdrehte die Augen. Der verbissene, rabiate Ausdruck verschwand aus seiner Miene und machte grenzenlosem Erstaunen Platz. Seine Beine knickten ein wie morsche Zaunlatten, er sank auf die Knie, sein Oberkörper neigte sich langsam nach vorn, und er konnte den Fall auf das Gesicht gerade noch im letzten Moment mit den vorgestreckten Armen abfangen. Er lag auf allen vieren am Boden. Sein Kopf kippte nach unten und pendelte wie haltlos nach unten. Bancroft atmete rasselnd. Speichel und Blut tropften von seinen Lippen.
Harrison ließ die Arme sinken. Seine Knöchel schmerzten, sein Atem ging stoßweise. Er verspürte Bitterkeit. Denn er verabscheute diesen Kampf, von dem er genau wusste, dass er gesteuert wurde, dass Bancroft auf ihn gehetzt worden war, dass System dahinter steckte.
Plötzlich waren Flint Dexter, der Vormann der Brazos River Ranch, und die Cowboys da. Harrison war unvermittelt zwischen ihnen eingekeilt, und ehe er sich versah, packten ihn kräftige Fäuste und zerrten ihn herum.
Flint Dexters rohes Gesicht war unversehens ganz dicht vor seinem. Eine metallische Stimme erklang im Hintergrund: „Walker, Faithfull, Hogan! Haltet euch zurück! Wenn ihr euch einmischt, kriegt ihr es, dass ihr auf allen vieren aus der Town hinauskriecht.“
„So billig kommst du nicht weg, McQuinn!“, fauchte Dexter, und Harrison bog den Kopf zurück, weil ihm der Whiskyatem des Vormanns voll ins Gesicht schlug. Es war übelkeitserregend. Der Magen krampfte sich Harrison zusammen.
Links und rechts wurde er festgehalten. Unerbittliche Fäuste pressten ihm die Arme auf den Rücken. Er war nicht fähig, sich zu rühren. Und plötzlich tauchte Bancroft neben Flint Dexter auf.
„Er gehört mir“, brach es unheilschwanger aus ihm heraus. Sein blutverschmiertes Gesicht erinnerte an eine groteske Maske des Bösen. Die Besessenheit in seinem Blick sagte Harrison mehr als tausend Worte. Die Verzweiflung begann in Harrison hochzukriechen. Er begriff, dass seine Ranchnachbarn von der Brazos River-Mannschaft ausgeschaltet worden waren. Er war in diesen Sekunden der einsamste Mann auf Erden, und dieser Gedanke ließ ihn innerlich erschauern.
Bancrofts Faust zuckte hoch. Harrison wollte instinktiv ausweichen, aber der Griff der B.R.-Reiter, die ihn festhielten, lockerte sich nicht. Der unbarmherzige Schlag traf Harrison. Sein Kopf ruckte in den Nacken. Der Schmerz wehte wie ein heißer Wind durch sein Bewusstsein und lähmte sein Denken.
Bancrofts Schläge kamen schnell und sicher. Bald nahm Harrison die vierschrötige Gestalt und das kantige Gesicht nur noch wie durch Nebelschleier wahr. Er wankte zwischen den Kerlen, die ihn gepackt hielten. Die Schwäche kroch wie flüssiges Blei durch seinen geschundenen Körper.
Für einen Augenblick flackerte das Feuer des Widerstandes noch einmal in ihm auf. Er zerrte und riß und warf sich hin und her. Aber es gelang ihm nicht, sich den stahlharten Fäusten zu entwinden. Ein wuchtiger Schlag traf ihn.
Er spürte nicht mehr, wie sie ihn losließen und er schwer auf dem Fußboden landete, wie sie ihn an den Beinen hinausschleiften und in den Staub der Main Street warfen. Eine gnädige Ohnmacht umfing ihn.
Einer der Weidereiter lachte ironisch, spuckte in den Sand und sagte mitleidlos: „Der hat schätzungsweise für alle Zeit genug. Wahrscheinlich schleicht er sich aus dem Land wie ein geprügelter Straßenköter, und wir werden nie wieder etwas von ihm sehen. An solchen Prügeln zerbricht jeder Mann.“
Sie gingen wieder hinein.
*
Als Harrison zu sich kam, umfing ihn tiefe Dunkelheit. Sein Kopf drohte zu zerspringen, und in seinem Körper jagten sich Wellen ziehender und bohrender Schmerzen.
Es dauerte eine ganze Zeit, bis er seine wirbelnden Gedanken geordnet hatte. Die Dunkelheit vor seinen Augen lichtete sich. Die Konturen einiger Männer zeichneten sich vor seinem Blick ab. Er setzte sich auf. Die Erinnerung setzte ein. Er ächzte und stöhnte, und selbst das Atmen strengte ihn an. Wie aus weiter Ferne vernahm er Ben Walkers Stimme: „Wir konnten nichts für dich tun, McQuinn. Die eine Hälfte der Brazos River-Crew hielt uns mit ihren Waffen in Schach, während die andere Hälfte dich in die Zange nahm und Bancroft unterstützte. Es tut mir leid, McQuinn. Sie haben dich brutal zusammengeschlagen. Und wir mussten zusehen. Hätten wir uns widersetzt, wäre die Gewalt sicherlich eskaliert. Und was dabei herausgekommen wäre, wollte keiner von uns verantworten.“
„Schon gut, macht euch keine Gedanken“, röchelte Harrison. Ziehende Schmerzen durchströmten seinen Körper. Er fühlte sich wie gerädert. Die Haut in seinem Gesicht spannte sich vom eingetrockneten Blut.
Einer seiner Ranchnachbarn reichte ihm eine Flasche. „Trink“, sagte der Mann. Sein Name war Cole Faithfull. „Es wird dir helfen.“
Harrison nahm einen Schluck. Die scharfe Flüssigkeit brannte in seinem Hals. Aber sie belebte ihn auch. Er atmete durch und hatte das Empfinden, als löste sich ein innerer Druck.
„Der Teufel weiß, was in Bancroft gefahren ist“, hörte er Faithfull sagen. „Die Sache mit den Rindern, die auf sein Weideland gelaufen sind, kann doch nicht der wahre Grund dafür gewesen sein, dass er derart ausrastete.“
Harrison räusperte sich den Hals frei. „Big John setzt uns Kleinranchern und auch den Siedlern am Brazos seit Wochen zu. Er will unser Land. Vielleicht will Bancroft diesem Weidepiraten gefallen, indem er Partei gegen uns ergreift. Möglicherweise ist er naiv genug, zu glauben, dass Big John ihn verschont, wenn er erst aus seinem Schafpelz kriecht und sein wahres Gesicht zeigt.“
„Es stinkt zum Himmel!“, kommentierte Dave Hogan, der dritte der Kleinrancher. „Lasst uns aus Stamford verduften, ehe sich die Schufte noch mehr betrinken und sich auf uns besinnen. Wir wollen doch nichts herausfordern.“
Walker und Faithfull halfen Harrison auf die Beine. Schwankend, auf weichen Knien, stand er zwischen ihnen. Jeder Atembezug bereitete ihm Qualen. Heiser sagte er: „Thanks. Es geht schon. Ich kann alleine stehen.“
Es kostete ihm alle Überwindung, auf den Beinen zu bleiben. Er fühlte den pochenden Schmerz, der durch sein Gehirn raste und kämpfte verzweifelt gegen die Benommenheit an, die gegen sein Bewusstsein anbrandete. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Auf unsicheren Beinen ging er zu seinem Pferd am Hitchrack. Er löste die Leine vom Balken, dann musste er sich sekundenlang gegen das Pferd lehnen, um der aufkommenden Übelkeit Herr zu werden.
„Geht es wirklich?“, fragte Ben Walker besorgt.
„Yeah.“
Harrison nahm all seinen Willen zusammen, biss die Zähne zusammen und stieg in den Sattel. Das Pferd unter ihm tänzelte. Er drängte es aus der Reihe der anderen Tiere. Auch seine Ranchnachbarn saßen auf. Sie verließen die Stadt in östliche Richtung. Dort lag der California Creek, und an dem Fluss hatten sie ihre Ranches gegründet.
*
Es war Mitternacht vorbei, als Harrison in den Ranchhof ritt. Das Mondlicht lag auf den Dächern und funkelte auf den Fensterscheiben. Sein Ranchhaus verfügte nur über zwei Räume. In einem kleinen Anbau befand sich die Küche. In einem zweiten, flachen Gebäude hausten Tex Dooley und Slim Winslow, die beiden Cowboys, die beide um die fünfzig Jahre alt waren und auf keiner anderen Ranch Arbeit gefunden hatten.
Es waren dankbare und treue Burschen. Sie wären für Harrison durchs Feuer gegangen. Jetzt schliefen sie.
Harrison war fix und fertig. Als er absaß, brach er fast zusammen. Er führte das Pferd in die Fence, nahm dem Tier Sattel und Zaumzeug ab und überließ es sich selbst. Dann ging er zum Tränketrog, kniete davor nieder und steckte seinen Kopf ins Wasser. Es war kalt und wusch ihm Staub, Schweiß und Blut aus dem Gesicht. Das Brennen in den kleinen Platz- und Schürfwunden endete. Prustend hob Harrison den Kopf wieder in die Höhe. Sein Verstand arbeitete nun klarer. Er drückte sich hoch. Mit den gespreizten Fingern strich er sich die nassen Haare aus der Stirn. Über den Hof trieb eine mürrische Stimme: „Bist du das, Harrison?“
Es war Tex Dooley, der es gerufen hatte. Er hatte den pochenden Hufschlag vernommen, sich notdürftig angekleidet, und stand nun im Türrechteck. Die absolute Finsternis in der Unterkunft sog seine Gestalt auf. Harrison konnte von dem Cowboy nichts sehen.
„Ja. Leg dich wieder hin, Tex. Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt haben sollte.“
„Vor dem Morgen haben wir dich nicht zurückerwartet, Harrison“, rief Tex. „Was ist geschehen?“
Harrison hatte sich aufgerichtet und ging nun mit schleppenden Schritten auf das Ranchhaus zu. „Bancroft hat verrückt gespielt. Er ging auf mich los. Als sich aber abzeichnete, dass er den Kürzeren zieht, mischten die Schufte von der B.R. mit. Du wirst mich morgen bei Tageslicht kaum wiedererkennen, Tex. Ich sehe wahrscheinlich aus, als wäre eine Stampede über mich hinweggedonnert.“
Tex Dooley zerkaute eine Verwünschung. Spontan rief er dann: „Ich komme hinüber und sehe es mir an, Harrison. Hat dich schon jemand verarztet?“
„Ich schaffe das schon, Tex. Schlaf ruhig weiter.“
„Kommt nicht in Frage.“
Harrison betrat das Haus und machte Licht. Im Schein der Laterne sah sein Gesicht zum Fürchten aus. Die Augen waren fast zugeschwollen. Die Unterlippe war dick und aufgeplatzt. Dunkle Blutergüsse verfärbten die Haut.
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und seufzte. Seine Unterarme lagen auf den Oberschenkeln. Seine Hände baumelten zwischen den Knien. Die Handknöchel waren aufgeschlagen. Er vermittelte den Eindruck eines geschlagenen Mannes. Das trübe Licht zeichnete düstere Schatten in seine entstellten Züge.
Tex Dooley kam. Er trug ein Päckchen Verbandszeug. Ihm folgte Slim Winslow auf dem Fuße. Es waren krummbeinige, hagere und falkenäugige Burschen, die die Erfahrungen eines langen Lebens geprägt hatten und die auf den ersten Blick erkannten, ob ein Mann nur angeschlagen oder für alle Zeiten zerbrochen war.
Dooley knurrte: „Big John beginnt also, Nägel mit Köpfen zu machen, wie. Und er spannt unsere eigenen Leute vor seinen schmutzigen Karren. Pfui Teufel! Das ist an Niedertracht kaum zu überbieten.“
„Man müsste Bancroft teeren und federn!“, giftete Slim Winslow.
Harrison hatte das Gesicht gehoben. „Es ist alles so durchsichtig, so durchschaubar. Big John fängt mit mir an, weil mein Land zwischen seiner Nordweide und dem Creek liegt. Auf seiner Nordweide stehen die meisten Longhorns. Weiter südlich gibt es kleine Nebenflüsse und Bäche. Hier im Norden aber braucht er ungehinderten Zugang zum Fluss. Darum will er mich zuerst aus dem Weg räumen, ehe er sich Walker, Faithfull und Hogan widmet.“
„Und dann kommen die Siedler am Brazos River dran, nicht wahr?“, bellte grimmig Tex Dooleys Organ. „O verdammt! Der alte Despot ist drauf und dran, einen Weidekrieg vom Zaun zu brechen.- Hol mal die Flasche Whisky aus der Anrichte, Slim.“
Slim Winslow brachte die Flasche. Tex Dooley machte sich daran, die kleinen Wunden in Harrisons Gesicht zu versorgen. Als er sie mit dem scharfen Schnaps auswusch, stöhnte Harrison. Winslow ging ihm zur Hand. Dann klebten eine Menge Pflaster in Harrisons Gesicht. Slim fragte: „Wirst du die Prügel auf dir sitzen lassen, Harrison? Oder ziehst du Bancroft zur Rechenschaft? Ich würde ihn durch Sonne und Mond prügeln. Und ich würde nicht eher locker lassen, als bis er mir reinen Wein einschenkte, was ihn bewog, sich auf die Seite der Brazos River Ranch zu schlagen.“
„Ich weiß nicht, was ich tue“, versetzte Harrison. „Ich will darüber schlafen. Morgen sieht alles wahrscheinlich schon wieder ganz anders aus. Möglicherweise war es wirklich nur wegen der Rinder, die immer wieder auf Bancrofts Weide laufen. Vielleicht sollten wir wirklich einen Zaun ziehen, um künftigen Verdruss zu vermeiden.“
Die beiden Oldtimer musterten ihn, als zweifelten sie an seinem Verstand. Dann schluckte Tex Dooley fast krampfhaft, und es entrang sich ihm hastig: „Sollte ich mich am Ende in dir getäuscht haben, als ich vorhin zur Tür hereinkam, Harrison? Da sah ich einen Mann, der zwar eine Schlacht verloren hat, der aber deswegen noch lange nicht die Flinte ins Korn wirft. Haben Sie vielleicht doch alles das, was einen Mann ausmacht, in dir zertrümmert? Wenn das so ist, dann brauchst du dir wegen eines Zaunes keine Gedanken mehr zu machen. Dann solltest du aufgeben und das Land verlassen, um irgendwo neu anzufangen. Denn der Zaun wird Big John und seine Sattelstrolche nicht abhalten, über dich zu kommen wie der Bussard über das Wiesel. Und du wirst ihm nichts entgegenzusetzen haben.“
Sekundenlang herrschte betroffenes, drückendes Schweigen in dem spartanisch eingerichteten Raum. Doch dann schlug Harrison einem jähen Impuls folgend die flache Hand auf den grobgezimmerten Tisch. Er hatte sich von einem Augenblick zum anderen entschieden. Und als er sprach, lag in seiner Stimme ein abschließender, endgültiger Tonfall. Er sagte: „Du hast recht, Tex. Wir haben es nicht nötig, klein beizugeben. Du hast dich nicht getäuscht. Ich bin entschlossen, Big John und seinen Handlangern die Stirn zu bieten. Und morgen reite ich hinüber zu Bancroft. Mal sehen, wie weit es mit ihm her ist, wenn ihm nicht ein Dutzend B.R.-Schufte den Rücken stärken.“
„Das ist der Harrison McQuinn, wie ich ihn kenne!“, knurrte Tex Dooley zufrieden.
Slim Winslow nickte wiederholt und unterstrich damit Dooleys Aussage.
*
Bob Bancroft verließ sein Haus. Auch seine Ranch lag am California Creek. Alles wirkte grau in grau, heruntergekommen und abgewirtschaftet. In Bancrofts Zügen hatte die vergangene Nacht unübersehbare Spuren hinterlassen. In seinem vom regelmäßigen Alkoholgenuss aufgedunsenem Gesicht zeigten sich erste Anzeichen von Verwahrlosung und Lasterhaftigkeit.
Harrisons Fäuste hatten Schwellungen, Blutergüsse und Platzwunden hinterlassen. Und sicherlich befand sich Bancroft in einer ähnlich schlechten körperlichen Verfassung wie Harrison, der sich erst der Übermacht geschlagen geben musste.
Bancroft war verkatert. Seine Augen waren gerötet und wässrig. Mundhöhle und Hals waren trocken wie Wüstensand. Am Holm stand noch das Pferd unter dem Sattel. Es ließ müde den Kopf hängen und peitschte mit dem Schweif nach den blutsaugenden Bremsen.
Es war bereits heller Vormittag. Die Sonne hatte den Morgendunst vertrieben. Die Hitze brütete über dem Land. Vögel zwitscherten im Ufergebüsch. Bancroft streckte und dehnte sich, leckte sich über die rissigen, trockenen Lippen, und ging zum Brunnen. Er zog die Füße durch den Staub wie ein alter Mann, der keine Kraft mehr hatte. Seine Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, von keinem bewussten Willen gesteuert. Bancroft fühlte sich ausgehöhlt wie eine faule Nuss.
Die Winde knarrte rostig, als Bancroft einen Eimer voll Wasser in die Höhe hievte. Er stellte ihn auf der gemauerten Brunneneinfassung ab und griff mit beiden Händen hinein.
Da peitschte der Schuss. Bancorft verspürte einen furchtbaren Schlag zwischen den Schulterblättern. Die Wucht des Treffers warf seinen Oberkörper über den Brunnenrand und ließ ihn nach unten pendeln. Die Detonation stieß über Bancroft hinweg. Der Knall wurde zwischen die Hügel und Felsen getragen und verebbte nach und nach.
Als gegen Mittag Harrison auf der Bancroft-Ranch auftauchte, um Rechenschaft zu fordern, fand er nur noch einen Toten. Voll zwiespältiger Gefühle schaute er sich um. Er konnte nichts entdecken, was einen Schluss auf den heimtückischen Schützen zuließ. Über dem Leichnam hing eine schwarze Wolke von Stechmücken, angelockt vom süßlichen Blutgeruch.
Harrison war ziemlich ratlos. Angestrengt dachte er nach. Indes er nach einer Lösung suchte, nahm er Bancrofts Pferd Sattel und Zaumzeug ab und tränkte das arme Tier. Dann trieb er es in die Fence zu einem kleinen Rudel weiterer Pferde.
Als ferner, rumorender Hufschlag an sein Gehör drang, wurde er sich bewusst, dass er ein riesiges Problem am Hals hatte. Nach der vergangenen Nacht kam nur einer als Bancrofts Mörder in Frage, und das war er. Also war es besser, wenn er hier nicht gesehen wurde. Harrison lief zu seinem Pferd, war mit einem Satz im Sattel und trieb es auf den Fluss zu. Er verschwand hinter dem Ufergestrüpp und folgte dem Creek nach Nordosten.
Zehn Minuten später zügelten ein halbes Dutzend Reiter im Hof der Bancroft-Ranch ihre Pferde. Kaum die Lippen bewegend presste Flint Dexter, der rothaarige Vormann Big Johns, hervor: „Ich ahnte es! McQuinn hat Bancroft eine blutige Rechnung für die Tracht Prügel von gestern Abend präsentiert. Bei Gott, dafür wird McQuinn hängen. – Legt Bancroft auf ein Pferd. Wir bringen ihn in die Stadt und erstatten Anzeige. Jetzt ist das Gesetz gefordert.“
Als seine Begleiter von den Pferden sprangen und er sich unbeobachtet fühlte, verzog sich sein dünnlippiger Mund zu einem zynischen Grinsen. Es mutete an wie die teuflische Grimasse eines Fauns ...
*
Es war dunkel. Auf dem langgezogenen Hügel westlich des California-Creek zügelten fast ein Dutzend Reiter die Pferde. Das Hufgeräusch verklang. Nur noch Hufestampfen, das Klirren der Gebissketten und das Knarren des Sattelleders war zu vernehmen.
Es war ein Aufgebot aus Stamford. Sheriff Jim Hickock führte es an. Mit ihm ritten Flint Dexter und eine Handvoll Reiter von der Brazos River Ranch. Der Sheriff war nicht glücklich darüber, er hatte aber auch nicht ablehnen können, nachdem man ihm den toten Small Rancher servierte und Dexter anbot, mit seinen Männern das Aufgebot zu verstärken, um den Mörder dingfest zu machen.
Sheriff Jim Hickock wartete, bis die Männer des Aufgebots ihre Posten eingenommen hatten, dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: „Man hat mir Bob Bancroft gebracht, McQuinn. Er hat eine Kugel zwischen den Schulterblättern. Es sieht ganz so aus, als hättest du ihn umgebracht, denn er hat dich schlimm zusammengeschlagen und du bist nicht der Mann, der das auf sich sitzen lässt. Ergib dich, McQuinn! Deine Ranch ist umstellt. Du hast keine Chance, wenn du jetzt nicht herauskommst, wird es schlimm für dich.“
Seine Stimme verhallte.
Unten rührte sich nichts. Jim Hickock fluchte. Dann setzte er noch einmal an: „Ich garantiere dir auch eine faire Untersuchung und gegebenenfalls einen ebenso fairen Prozess, McQuinn. Mein Wort darauf.“
Er ließ die Hände sinken und zog die Winchester aus dem Sattelhalfter.
„Verdammt!“, rief Flint Dexter ungeduldig. „Was halten wir uns mit langen Reden auf, die sowieso nichts bringen? Wir wissen, dass er Bob Bancroft eine Kugel zwischen die Schulterblätter geknallt hat. Und das reicht aus, um McQuinn am Halse aufzuhängen. McQuinn weiß das und darum wird er kämpfen bis zum letzten Atemzug. Er hat nichts mehr zu verlieren und Worten nicht zugänglich. Also stürmen wir einfach den Bau und räuchern den Schuft aus.“
In diesem Moment ertönte es aus dem Ranchhaus: „Ich habe Bancroft nicht umgebracht, Sheriff. Das war jemand, der mir den Mord in die Schuhe schieben will. Und jeder, der die Verhältnisse hier kennt, kann sich an fünf Fingern abzählen, von wem ich rede. Also wendet euch an ihn und lasst mich in Ruhe.“
„Mit mir sind ein Dutzend Männer hergekommen, McQuinn!“, tönte es durch die Nacht. „Alles spricht gegen dich. Also komm mit uns in die Stadt. Wenn du unschuldig bist, wird sich das herausstellen. Im Moment aber bist du der Hauptverdächtige. Wenn du dich zur Wehr setzt, wird kein Mensch der Welt Verständnis dafür aufbringen. Du würdest alles nur noch viel schlimmer machen.“
„Heavens, ich war es nicht“, antwortete Harrison laut und deutlich. „Als ich heute Vormittag auf die Bancroft-Ranch kam, war Bob schon tot. Er hing über der Brunneneinfassung, das Blut auf seinem Rücken war schon eingetrocknet. Frag doch mal Big John oder seinen Kettenhund Dexter, wer Bancroft die Kugel aus dem Hinterhalt servierte, Hickock. Big John schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Bancrofts Ranch war schon seit langer Zeit — ebenso wie mein Besitz und all die anderen Ranches den Fluss hinunter — Big John ein Dorn im Auge, denn durch unsere Weiden war ihm der Zugang zum California Creek versperrt. Also beginnt Big John, die unliebsamen Nachbarn nach und nach auf die Seite räumen. Mit Bancroft hat er heute angefangen. Er scheut vor keinem noch so niederträchtigen und schmutzigen Mittel zurück.“
„Du warst also auf der Bancroft-Ranch, McQuinn?“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Hickock.
„Yeah. Ich wollte Bancroft einige Fragen wegen seiner plötzlich völlig veränderten Einstellung zur Brazos River Ranch fragen. Aber jemand hat ihm vor mir einen Besuch abgestattet. Wahrscheinlich waren es seine neuen Freunde von der B.R.“
„Das ist eine dreckige Unterstellung!“, brüllte Flint Dexter mit überschnappender Stimme. „Ich werde dir dafür mit der Peitsche das Fleisch von den Knochen schlagen, ehe ich dich dem Gesetz überlasse, McQuinn!“
„Aaah, Big Johns erster Kettenhund!“, kam es wild und sarkastisch von Harrison. „Ich hätte es mir ja denken können! He, Sheriff, glaubst du wirklich, dass ich lebend die Stadt erreiche, wenn ich mich ergebe?“
Darauf gab der Gesetzeshüter keine Antwort. Er rief stattdessen: „Du behauptest, dass Big John Bob Bancroft ermorden ließ und den Verdacht auf dich lenkte?“
„Ich bin davon überzeugt!“
Der Sheriff biss die Zähne zusammen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Es war deutlich, dass ihm widerstrebte, wozu ihn in diesem Fall sein Stern verpflichtete. Er schnappte grimmig: „Okay, McQuinn, du willst es nicht anders. Wir stürmen jetzt deine Ranch. Und rechne nicht damit, dass wir dich schonen.“
„Das wäre Big John auch gar nicht recht, Hickock“, klang es sarkastisch zurück.
„Ausschwärmen!“, befahl der Sheriff. Mit einem Ruck repetierte er seine Winchester. Aus schmalen Augen starrte er auf die kleine Ranch in der Senke, die in der Finsternis lag. Die Schatten zwischen den Gebäuden versprachen Unheil.
*
Harrison hatte sich in der Wohnstube des Ranchhauses verschanzt. In der Mannschaftsunterkunft befanden sich Tex Dooley und Slim Winslow. Harrison blickte hangaufwärts, von wo die Stimme des Sheriffs gekommen war. Oben auf dem Hügel saßen die Reiter ab. Er sah sie im Mondlicht ihre Gewehre aus den Scabbards ziehen und geduckt nach den Seiten davonhuschen. Harrison konnte gut die dahingleitenden Schemen durch die Dunkelheit wahrnehmen. Unaufhaltsam näherten sie sich.
Zäh verrannen die Sekunden, wurden zu Minuten.
Die Angreifer eröffneten schlagartig das Feuer. Sie waren schon sehr nahe. Das verrieten die Mündungsblitze, die wie glühende Speere in die Finsternis stießen. Die Kugeln klatschten gegen die Hauswand, bohrte sich knirschend in Holz, jaulten als Querschläger davon. Krachen erfüllte die Nacht mit infernalischem Lärm.
Harrison riss den Kolben der Winchester an die Schulter, jagte einen Schuss hinaus, repetierte, schoss erneut. Er stand beim Fenster. Geschosse pfiffen an ihm vorbei. Der Fensterrahmen wurde zerfetzt. Kalte Ruhe erfasste von ihm Besitz. Kugel um Kugel jagte er hinaus, jeweils in das Aufblitzen ihrer Schüsse hinein. Ein Mann schrie auf.
Unvermittelt brach das Schießen ab. Harrison wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Angestrengt lauschte er nach draußen. Unheimliche Stille lag über der Ranch. Hart umklammerten seine Hände Kolbenhals und Schaft der Winchester. Gepresst atmete er. Vom Hügelkamm drang das Wiehern eines Pferdes herunter.
Plötzlich wirbelte Harrison herum. War da nicht draußen auf dem Flur ein Geräusch gewesen? Oder narrten ihn schon seine Sinne? Sein Herz hämmerte in wildem Rhythmus. Er schluckte unwillkürlich, hob das Gewehr und brachte es in Hüftanschlag.
Knarrend öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Tex Dooley raunte: „Nicht schießen, Harrison. Ich bin’s. Slim hält in der Unterkunft die Stellung. Grundgütiger, warum hast du uns verschwiegen, dass du auf der Bancroft-Ranch nur noch einen Toten angetroffen hast.“
„Was hättet ihr wohl von mir gedacht, wenn ich euch erzählt hätte, dass Bancroft tot und sein Mörder längst über alle Berge war, als ich auf der Ranch ankam? Es ist doch tatsächlich so, dass niemand außer mir einen Grund hatte, Bancroft das Tor zur Hölle aufzustoßen.“
„Was sollen wir jetzt von der Sache halten?“, fragte Tex grollend und zweifelnd. „Du hast uns angelogen als du uns erklärtest, dass von Bancroft weit und breit nichts zu sehen war, als du auf seiner Ranch ankamst. Beim Henker, Harrison, wenn du es wirklich nicht warst, der ihm das Stück Blei verpasste, dann hast du dich verdammt dumm verhalten.“
„Mag sein. Aber du musst es mir glauben, Tex: Bancorft war längst tot, als ich seine Ranch betrat.“
Mit Nachdruck beteuerte es Harrison.
„Na schön. Du bist kein Mörder, Harrison. Ich weiß das, und deshalb glaube ich dir. Es sieht schlecht aus – sehr schlecht. Und ich zerbreche mir den Kopf nach einem Ausweg. In die Hände darfst du ihnen nicht fallen. Denn dann bist du verraten und verkauft. Mag man zu Sheriff Hickock eingestellt sein wie man will, er wird sich höheren Interessen zu beugen haben. Und am Ende hängt man dich für einen Mord, den ein anderer begangen hat.“
„Was schlägst du vor, Tex?“
„Du musst verschwinden und versuchen, dem wahren Mörder die Maske vom Gesicht zu reißen. Noch hast du Zeit. Sie befinden sich alle vor dem Haus. Schleich dich in Richtung Fluss davon und versuche, dich zu Walker durchzuschlagen. Er kann dir ein Pferd, Proviant und all die Dinge geben, die du brauchst, um einige Zeit in der Versenkung verschwinden zu können. Slim und ich werden diese Narren da draußen lange genug beschäftigen, um dir einen guten Vorsprung zu sichern.“
Im Hof wurde wieder das Feuer eröffnet. Harrison warf sich herum, nahm wieder seinen Platz neben dem hochgeschobenen Fenster ein. Projektile sirrten an ihm vorbei in den Raum, zersplitterten Möbel und Wände. Sie schossen wie von Sinnen und hielten ihn mit ihren Schüssen in Deckung. Harrison und Tex konnten nicht wagen, auch nur ihre Nasenspitzen zu zeigen.
Pulverrauch wogte über den Ranchhof, gierig leckten die Mündungszungen aus den Läufen.
Und wieder brach das Schießen abrupt ab. Das Echo der Schüsse verhallte in der Ferne.
„Verschwinde endlich!“, knirschte Tex.
„Ich kann euch nicht einfach ...“
Tex Dooley unterbrach Harrison ungeduldig und drängend: „Mach dir unseretwegen keine Sorgen, mein Junge. Jim Hickock ist kein schlechter Sheriff. Er lässt nicht zu, dass sie uns ein Haar krümmen. Wenn wir der Meinung sind, dass du dich in Sicherheit befindest, strecken wir die Waffen. Sie werden uns vielleicht davonjagen - aber sie werden uns sicher nicht über die Klinge springen lassen.“
In Harrison war der Zwiespalt eines Mannes, der hin und her gerissen wurde zwischen Gefühl und Verstand. Das Gefühl sagte ihm, dass er die beiden Oldtimer sozusagen den Wölfen zum Fraß vorwarf, wenn er sie im Stich ließ. Der Verstand aber hämmerte ihm ein, dass es selbstmörderisch war, sich dieser Übermacht zu stellen, wohlwissend, dass die meisten dieser Männer da draußen von seiner Schuld überzeugt waren und keinen Grund hatten, ihn mit Samthandschuhen anzufassen.
„Ist das nicht ein Schuldanerkenntnis, wenn ich fliehe?“, entrang es sich ihm heiser. „Wird man mich nicht als Mörder jagen wie einen tollwütigen Hund und ein Kopfgeld auf meinen Kopf aussetzen? By Gosh, Tex, ich weiß nicht, was richtig ist.“
„Aber ich weiß es, Junge! Verschwinde, ehe sie dir den Hintern bis zum Kragen hinauf aufreißen. Sie sind von deiner Schuld überzeugt, die Sache ist frisch und beschäftigt die Gemüter, und die Emotionen kochen leicht über. Außerdem wird Flint Dexter alles tun, um gegen dich Stimmung zu machen. Wichtig ist, dass du für’s erste den Hals aus der Schlinge ziehst. Du musst aus der Schusslinie verschwinden. In einigen Tagen wird Ruhe einkehren. Und dann sehen wir weiter.“
Harrison entschied sich, dem Verstand zu folgen. „Okay“, murmelte er schwer. „Gebe Gott, dass du und Slim nicht ausbaden müsst, was sie mir zugedacht haben. Ich lasse euch Nachricht zukommen, Tex. Der Himmel sei mit euch!“
„Farewell, Junge“, wünschte Tex Dooley, dann nahm er Harrisons Platz am Fenster ein und begann mit zäher Verbissenheit zu schießen. „Zeigen wir’s ihnen, Slim!“, brüllte er. „Wir wissen, dass Harrison unschuldig ist. Vorwärts, Slim!“
Aus einem Fenster der Mannschaftsunterkunft begann Slim Winslow zu feuern. Er schoss auf alles, was sich bewegte. Sogleich tobte wieder der Kampf.
Innerlich total zerrissen lief Harrison geduckt zum Fluß. Zwischen dem Aufgebot und ihm befanden sich die Gebäude der Ranch, und so wurde er nicht bemerkt. Außerdem lieferten die beiden Oldtimer den Angreifern eine Abwehrschlacht, die deren ganze Konzentration auf sich zog.
Bis zu Ben Walkers Ranch betrug die Entfernung etwa fünf Meilen. Im Schutz des Ufergebüsches folgte Harrison dem Fluss nach Südwesten. Der Kampfeslärm wurde leiser. Harrison war randvoll mit gemischten Gefühlen. Die Sorge um Tex und Slim verzehrte ihn nahezu. Manchesmal war er nahe daran, umzukehren, um in den Kampf einzugreifen. Der Gedanke, dass die beiden Oldtimer für ihn ihre Haut zu Markte trugen, war ihm fast unerträglich.
Aber dann echoten wieder Tex Dooleys Worte durch seinen Verstand, und der Selbsterhaltungstrieb peitschte ihn voran. Du musst deine Unschuld beweisen, Harrison!, durchzuckte es ihn. Im Moment spricht alles gegen dich. Und wenn sie dich kriegen, ist der Rest nur eine Farce. Andererseits aber ...
Harrisons Herz übersprang einen Schlag. Eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Gehirn ließ ihn taumeln. Was war, wenn er dem wahren Mörder nicht die Maske vom Gesicht reißen konnte? Er würde den Rest seines Lebens als Verfemter, als Gebrandmarkter durchs Land ziehen, und jeder, der ihn erkannte, würde ihn ohne Vorwarnung über den Haufen schießen dürfen.
Finster wie ein Höllenschlund lag die Zukunft vor Harrison. Der wilde und gefährliche Sturm der Vorsehung trieb ihn. Das Rauschen des Nachtwindes im Ufergebüsch mutete ihn an wie höhnisches Gelächter. Und er hatte plötzlich das Empfinden, dass ihm die Schlingen und Schläge eines tückischen Schicksals nach und nach den Todesstoß versetzten.
*
Flint Dexter kroch an der Längsseite des Ranchhauses entlang. Immer wieder hielt er an, um zu wittern wie ein jagender Puma. Aus dem Fenster in der Giebelseite spuckte mit monotoner Gleichmäßigkeit ein Gewehr Feuer, Rauch und Blei. Bei jedem Aufglühen des Mündungsfeuers wurde das Fensterrechteckt für einen Sekundenbruchteil aus der Dunkelheit gerissen.
Dexter vermutete Harrison an diesem Fenster. Er hatte das Gewehr zurückgelassen. Sein Colt steckte im Holster. Vorsichtig bewegte er sich weiter. Über ihm harkten Geschosse in die Wand. Querschläger quarrten grässlich. Der Lärm war ohrenbetäubend und nervenzermürbend. Der ätzende Geruch von verbranntem Pulver lag in der Luft und der Nachtwind vermochte ihn nicht zu vertreiben.
Der Vormann hatte keine Angst, von den Kugeln seiner Begleiter getroffen zu werden. Er hatte dem Sheriff seinen Plan unterbreitet, und dann ging es von Mund zu Mund, dass sich Dexter Einlass ins Haus verschaffen wollte und dass sie ihre Kugeln so platzieren sollten, dass er auf keinen Fall gefährdet war. Also klatschten die Bleistücke hoch über ihm in die Hauswand und gefährdeten ihn nicht. Und sie erzielten den Effekt, den sie erreichen sollten: Tex Dooley und Slim Winslow hatten nur Augen für die Mündungslichter, die zwischen den Gebäuden oder hinter irgendwelchen Deckungen lohten.
Der Sheriff war auf Flint Dexters Vorschlag eingegangen, denn er wollte dem sinnlosen Kampf ein Ende bereiten. Er hatte dem Vormann das Versprechen abgenommen, nur zu schießen, wenn es sich nicht umgehen ließ – nur wenn Harrison nicht Vernunft annehmen sollte und es die Notwehrsituation erforderte.
Dexter hatte keine Skrupel, es dem Sheriff in die Hand zu versprechen. In Wirklichkeit aber wollte er nur töten. Er erreichte die Tür, richtete sich vorsichtig auf, seine Hand ertastete den Türknopf. Er drehte ihn. Langsam schwand die Tür nach innen auf. Dexter stand in dem engen, stockfinsteren Flur, der die beiden Wohnräume voneinander trennte. In dem Raum rechterhand befand sich der Schütze, den der Vormann für Harrison McQuinn hielt.
Dexter wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er konnte den Eingang zu dem Raum ausmachen. Seine Hand legte sich auf die Türklinke. Krachend flog die Tür auf.
Als Tex Dooley die Gefahr erkannte und die Sekunde, die zwischen Erkennen und Begreifen liegt, überwunden hatte, war es für ihn zu spät. Der Mann auf der Schwelle schoss in rasender Folge. Der Oldtimer, der noch halb herumgewirbelt war, spürte die Einschläge in seinem Körper, ächzte und taumelte. Krampfhaft versuchte er, die Winchester abzudrücken. Aber aus seinem Körper floh bereits das Leben. Seine Waffe fiel zu Boden. Wie durch Nebel nahm Dooley den großen Mann in der Tür wahr, dunkel und drohend. Und dann hauchte Tex Dooley sein Leben aus. Er sank zu Boden, streckte sich, seine Gestalt erschlaffte.
Flint Dexter ließ die Hand mit dem Colt sinken. Mitleidlos und ohne jede Regung starrte er auf die reglose Gestalt am Boden. Dann stieg er über den Toten hinweg und trat neben das Fenster. Er brüllte: „Aufhören! Ich habe McQuinn. Der Narr schoss auf mich. Nun, es ist nicht zu ändern.“
Der Lärm riss ab. Nur noch vereinzelte Schüsse fielen. Und schließlich schwiegen die Waffen. Dexter riss ein Streichholz an. Vager Lichtschein breitete sich aus und geisterhafte Reflexe zuckten über den Mann am Boden hinweg.
Flint Dexter durchrann es wie ein Stromstoß. Unwillkürlich entfuhr ihm ein lästerlicher Fluch. „Gottverdammt!“
Er sah nur die grauen Haare und wusste, dass er einen von Harrisons Cowboys erschossen hatte. Draußen erklang die barsche Stimme des Sheriffs: „Was für ein Teufel hat euch geritten, Winslow, als ihr – du und Dooley -, die Waffe nahmt, um einen Mordverdächtigen vor dem Gesetz zu beschützen. Weißt du, was das heißt? Weißt, was für eine Strafe darauf steht?“
„Du verblendeter Narr!“, keifte Slim Winslow. „Merkst du denn nicht, dass du dich zum Werkzeug der B.R. machst?“
Flint Dexter ließ das Schwefelholz fallen, als er sich fast schon die Finger verbrannte. Er stieß mit einer wütenden Bewegung seinen Colt ins Holster, dann ging er hinaus. Die Männer aus der Stadt und von der Brazos River Ranch hatten sich im Hof versammelt. Einige Fackeln loderten und verbreiteten trüben Lichtschein, der jedoch schon wenige Yards im Umkreis endete.
Vor der Eingangstür blieb Dexter stehen. Er ließ seine metallische Stimme erklingen: „Die beiden alten Narren haben sich für McQuinn geopfert! Drin liegt Dooley. Ich musste ihn in Notwehr erschießen. Sie haben Harrisons Flucht gedeckt.“
Er setzte sich wieder in Bewegung und näherte sich dem Pulk, der sich um Slim Winslow herum zusammengerottet hatte.
Sheriff Jim Hickock stieß hervor: „Heraus mit der Sprache, Winslow. Wohin ist McQuinn geflohen?“
„Keine Ahnung“, näselte der Oldtimer. Das unwirkliche Licht, das die Fackeln verbreiteten, schien die Linien und Furchen in seinem Gesicht zu vertiefen. Im ständigen Wechselspiel von Licht und Schatten funkelten seine Augen wie Glasstücke.
Obwohl Slim Winslow alles andere als ein Angsthase war, spürte er angesichts der versteinerten, unversöhnlichen Mienen ringsum doch ein mulmiges Gefühl. Es bereitete ihm fast körperliches Unbehagen. Nach außen hin aber zeigte er sich furchtlos und unerschrocken.
„Wir können es aus ihm herausprügeln!“, fauchte einer der Männer im Pulk.
Flint Dexter war heran. „Ein Pferd konnte sich McQuinn nicht nehmen“, gab er zu verstehen. „Er musste zu Fuß fliehen. Die nächste Farm ist die von Ben Walker. Fünf Meilen den Fluss hinunter. Und er hat allenfalls eine Viertelstunde Vorsprung. Mike, Hank und Joe, holt unsere Pferde. Wir folgen ihm.“
Die drei Aufgerufenen eilten davon und verschwanden in der Dunkelheit.
An den Sheriff gewandt sagte Dexter: „Sperr Winslow ein, Hickock. Er hat mit der Waffe in der Faust die Flucht eines Mörders gedeckt und wird sich vor Gericht verantworten müssen. Kümmert euch auch um den Toten im Haus. Die Arbeit mit McQuinn nehmen meine Männer und ich euch ab. Wir liefern ihn bis zum Morgengrauen bei dir ab, Sheriff. So oder so. Es wird ganz an ihm liegen.“
Sekundenlang hing Schweigen zwischen Dexter und dem Sheriff. Es war, als müsste Hickock die Antwort auf dieses Ansinnen erst in seinem Kopf vorformulieren. Schließlich erwiderte er schroff: „Es ist genug Blut geflossen, Dexter. Außerdem ist McQuinns Schuld nicht erwiesen. Sicher, der Anschein spricht gegen ihn, der Beweis allerdings ist nicht erbracht. Und solange er nicht schuldig gesprochen ist, gilt er vor dem Gesetz als unschuldig. Darum reite ich mit euch, damit Recht und Ordnung gewahrt werden, falls euch McQuinn in die Hände fällt.“
„Du traust uns also nicht!“, schnarrte Dexter. Seine Worte fielen wie Peitschenhiebe. „Ist die Saat, die McQuinn in deinen Verstand gestreut hat, aufgegangen? Denkst auch du, dass wir von der B.R. Dreck am Stecken haben? Sprich es schon aus, Hickock! Der Verdacht, den McQuinn äußerte, ist bei dir auf fruchtbaren Boden gefallen.“
Er nahm eine herausfordernde Haltung ein – eine Haltung, die ebenso herausfordernd war wie seine Worte.
„Ich vertrete das Gesetz“, antwortete Hickock fast gelassen. „Und ich dachte darauf, dass alles mir rechten Dingen zugeht. Was ich denke und glaube, das musst du schon meine Sache sein lassen, Dexter.“
Der Sheriff wandte sich nach diesen Worten ab. Er rief: „Harrison, Turner und Tucker, ihr bringt Winslow nach Stamford und sperrt ihn ein. Nehmt auch den Toten mit und liefert ihn beim Undertaker ab. Wir anderen reiten den Fluss hinunter. Es ist wahrscheinlich so, dass McQuinn tatsächlich zu Walker flieht, um sich dort ein Pferd auszuleihen und sich mit allem Notwendigen für seine weitere Flucht zu versorgen.“
Die Pferde wurden herangeführt.
Und schon wenig später hatte Harrison ein Rudel unversöhnlicher Jäger auf seiner Fährte sitzen.
*
Er hörte sie kommen. Der Hufschlag rollte vor ihnen her durch die Nacht. Die Füße brannten Harrison schon in den engen Reitstiefeln. Für den Weg bis zur Walker-Ranch hatte er anderthalb Stunden eingeplant gehabt. Nun war eine halbe Stunde seit seiner Flucht vergangen. Irgendwann war der Schusslärm weit hinter ihm im Rauschen der Blätter und dem Gurgeln des Flusses zu seiner Rechten versunken.
Die Hoffnung, dass Tex Dooley und Slim Winslow kein Leid zugefügt worden war, beherrschte sein Denken. Doch die Sorge um die beiden ließ sich nicht verdrängen. Und jetzt galt es, die eigene Haut zu retten. Denn Harrison sagte sich, dass seine Häscher nicht lange fackeln würden, wenn er ihnen vor die Läufe kam. Sie würden erst schießen und dann die Fragen stellen.
Das Hufgetrappel wurde deutlicher und prallte heran wie eine Botschaft von Unheil und Verderben. Sie kamen direkt auf seiner Fährte. Harrison schlug sich ins Ufergebüsch. Zweige zupften an seiner Jacke, peitschten sein Gesicht, er stolperte in der Finsternis über eine Wurzel und stürzte um ein Haar. Auf dem Fluss spiegelte sich das Mondlicht. Harrisons Hände saugten sich regelrecht am Gewehr fest.
Nach nicht ganz zehn Minuten schälte sich der Trupp aus der Nacht. Unwillkürlich duckte Harrison sich. Er zog den Kopf zwischen die Schultern. In diesen Sekunden stand er unter einer ungeheuren inneren Anspannung und Erregung.
Aber das Aufgebot zog vorüber. Der Hufschlag wurde leiser und leiser und verklang schließlich. Der Aufruhr der Gefühle in Harrison legte sich. Er verließ seine Deckung und setzte seinen Weg fort. Er war hellwach und auf ansatzlose Reaktion eingestellt. Und er fragte sich unablässig, was wohl aus Dooley und Winslow geworden war. Allein der Gedanke, dass sie seinetwegen vielleicht der gnadenlosen Stimmung einiger aufgebrachter, auf Rache erpichter Männer zum Opfer gefallen waren, war ihm unerträglich. Und er quälte sich mit Zweifeln, die auf ihn einstürmten und ihm unbarmherzig einhämmerten, dass es ein Fehler gewesen war, die beiden Oldtimer der rücksichtslosen Horde zu überlassen.
Seine Füße brannten bald wie Feuer. Er schätzte, dass er die halbe Strecke zurückgelegt hatte. dass sein Plan, sich zu Walker durchzuschlagen, durchschaut worden war, wusste er. Darum wollte er sich der Ranch erst nähern, wenn er sicher sein konnte, dass die Luft rein war. Er setzte darauf, dass sie sich bei Walker nicht aufhalten würden, wenn sie ihn nicht fanden.
Harrison zog die Stiefel aus. Die Blasen, die er sich an den Fersen und Zehen schon gelaufen hatte, waren zum Teil bereits aufgeplatzt und stachen, als würde sich ihm glühender Stahl ins Fleisch bohren. Er knüpfte die Stiefel zusammen und hängte sie sich über die Schulter. Auf Socken ging er weiter. Er trat auf einen spitzen Stein und stöhnte vor Schmerz.
Und dann sprang ihn eine höhnische Stimme an: „Ich habe es geahnt, McQuinn. Du hast uns gehört und an dir vorbeireiten lassen. Darum haben wir uns von den Dummköpfen aus der Stadt verabschiedet und sie alleine weiterziehen lassen. Der Sheriff denkt, dass wir uns auf dem Weg zur B.R. befinden. Wir aber haben uns hier auf die Lauer gelegt.“
Ein blechernes Lachen folgte. Gewehre wurden mit hartem Knacken durchgeladen.
Harrison war wie erstarrt. Seine Gedanken wirbelten und überschlugen sich. Im Ufergebüsch steckten die Kerle von der Brazos River Ranch, und die hohntriefenden Worte eben waren aus Flint Dexters Mund gekommen.
Und jetzt erklang wieder Dexters Stimme: „Lass deinen Schießprügel fallen, McQuinn, und schnall den Revolvergurt ab. Du solltest es ohne Hintergedanken tun, denn auf dich zielen ein halbes Dutzend Gewehre, und du bist gut auszumachen im Mond- und Sternenlicht. Wenn wir abdrücken, verwandeln wir dich in ein Sieb.“
Hart stieß Harrison die Luft durch die Nase aus. Die Lähmung, die die letzte Faser seines Körpers erfasst hatte, konnte er überwinden. Mit dem Gedanken, sich ihnen auf Gedeih und Verderb auszuliefern, wollte er sich nicht abfinden. Alles in ihm wehrte sich dagegen. Sicher, das Unabänderliche seiner Lage wurde ihm voll und ganz bewusst. Aber er war nicht der Mann, der sich wie ein Hammel zur Schlachtbank führen ließ.
Von einem Augenblick zum anderen schien er sich in eine große, gefährliche Raubkatze zu verwandeln. Das Feuer der Auflehnung, der Selbsterhaltungstrieb und der Gedanke an die eigene Unschuld ließ Harrison alle Bedenken über Bord werfen. Er stieß sich ab, hechtete in das Gestrüpp, Dornen zerkratzen sein Gesicht und seine Hände, ein Schuss krachte, ein zweiter ...
„Aufhören!“, brüllte einer erschreckt. „Um ein Haar hätte mich die Kugel getroffen! Verdammt, hört auf, blindlings herumzuballern!“
Harrison robbte durch die Büsche, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken. Er achtete nicht darauf, dass er sich Hände, Knie und Gesicht blutig riss, dass zurückschnellende Zweige verrieten, wo er sich befand. Sein ganzes Bestreben war nur darauf ausgerichtet, den Fluss zu erreichen. Nur im Fluss konnte er ihnen entkommen.
Um ihn herum war die Nacht voll von den typischen Geräuschen, die ein halbes Dutzend Männer verursachen, die durch dichtes Zweiggespinst eine Hetzjagd veranstalteten. Trockene Äste zerbrachen unter harten Stiefelsohlen, Sporen klirrten, Blattwerk raschelte.
Der Fluss lag vor Harrison. Ein Stück weiter oben brach in diesem Moment einer seiner Häscher aus dem Gebüsch. Geduckt stand er da, in seine, Harrisons, Richtung starrend. Harrison visierte ihn kurz an und drückte ab. Das rechte Bein wurde dem Burschen vom Boden weggerissen, er stürzte und brüllte Schmerz und Schreck hinaus.
Harrison schnellte hoch, überwand mit einem Satz den schmalen Ufersaum und stürzte sich kopfüber ins Wasser. Es schlug über ihm zusammen. Die Stiefel rutschten von seiner Schulter und versanken. Alle Geräusche, die ihn bisher umgaben, waren wie abgeschnitten. In seinen Ohren war nur noch das Brausen der Fluten. Harrison glitt unter der Wasseroberfläche dahin. Er war ein ziemlich guter Schwimmer. Die Strömung ergriff ihn, und er wusste, dass er sich in der Flussmitte befand.
Er musste auftauchen. Wie der Überdruck aus einem Dampfkessel entwich die verbrauchte Luft seinen strapazierten Lungen. Der Druck, der sich in seinem Kopf zu bilden begonnen hatte, ließ nach. Nach wie vor hielt er das Gewehr in der Hand. Sein suchender Blick glitt über das Ufer. Wie eine schwarze, undurchdringliche Wand mutete das Ufergebüsch an. Die Handvoll Gestalten waren vor dieser Kulisse kaum auszumachen. Dennoch entgingen sie Harrison nicht. Er ahnte, dass sie sich nach ihm die Augen ausschauten.
Er legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Doch einer der Kerle am Flussufer schien über den scharfen Blick einer Eule zu verfügen. Er brüllte: „Dort ist er! In der Flussmitte! Er lässt sich von der Strömung flussabwärts tragen.“
Sie eröffneten das Feuer. Glühender Schmerz durchzuckte Harrison, als eine Kugel seinen Oberschenkel durchschlug. Sekundenlang war er wie betäubt, und in diesem Moment erfasste ihn ein Strudel, wirbelte ihn herum, zog ihn unter Wasser und ließ ihn nicht mehr los. Die Luft wurde ihm knapp. Seine Lungen begannen zu schmerzen, der Kopf drohte ihm zu zerplatzen. Er kämpfte verbissen gegen die unwiderstehliche Kraft an, die ihn unter Wasser drückte, verlor das Gewehr, ruderte verzweifelt mit den Armen, und spürte endlich Untergrund unter den Füßen. Kraftvoll stieß er sich ab. Und aufs Neue durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche. Mit schwindelerregender Vehemenz füllten sich seine Lungen mit frischem Sauerstoff.
Am Ufer rannten die B.R.-Schießer entlang. Flint Dexter brüllte mit sich überschlagender Stimme:
„Schießt, Leute, haltet drauf! Schießt ihn in Stücke!“
Das Wasser spritzte unter den Einschlägen. Harrison pumpte seine Lungen voll Sauerstoff und ließ sich wieder wegsacken. Die Erkenntnis, dass er ihnen zunächst entkommen war, beflügelte ihn. Weit holten seine Arme aus, die kraftvollen Schwimmstöße und die Strömung brachten ihn schnell flussabwärts.
Irgendwo, weitab, trieb ihn die Strömung ans flache Ufer. Erschöpft blieb er liegen. Die Finsternis hüllte ihn ein wie ein Mantel. Und seine Einsamkeit wurde ihm bewusst. Verlorenheit senkte sich in sein Gemüt, und dazu gesellte sich die Verzweiflung, die dem Wissen entsprang, dass innerhalb weniger Stunden sein bisheriges Leben zerstört worden war. Er folgte dem Fluss nach Südwesten. Zerschunden, blutend und triefend vor Nässe setzte er mechanisch einen Fuß vor den anderen, die Schusswunde mit beiden Händen umklammernd, den Schmerz verbeißend.
Bald überfiel Harrison bleierne Erschöpfung. Sein eingefallenes, von Blutverlusten und Schmerz gezeichnetes Gesicht verzerrte sich. Aber unermüdlich kämpfte er sich vorwärts. Die Schübe der Benommenheit kamen schneller, die Abstände zwischen ihnen wurden immer kürzer.
Wie ein Betrunkener wankte er dahin. Sie werden nicht ruhen, bis sie dich haben!, durchpeitschte eine unbarmherzige Stimme sein Gehirn. Sie jagen dich, bis sie dich Big John tot vor die Füße legen können. Du bist allein, unbewaffnet, am Ende...
Er ächzte. Immer wieder knickte das zerschossene Bein unter ihm weg. Die Blutung kam nicht zum Stillstand. Er nahm sein Halstuch ab und schlang es um das Bein. Die Angst, dass er es nicht schaffen könnte, durchrann ihn wie ein Fieberschauer. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er fror erbärmlich. Seine Zähne schlugen wie im Schüttelfrost aufeinander.
Der Fluss gurgelte und rauschte. Harrison lag im Ufersand. Wasser umspülte seine Beine. Er brauchte Hilfe. Und Hilfe konnte er nur auf der Walker-Ranch erhalten. Anderthalb, vielleicht sogar noch zwei Meilen! Es war aussichtslos. In seinem Zustand konnte er diese Entfernung nicht mehr bewältigen. Er würde irgendwo umfallen, und wenn er nicht verblutete, würden ihn Big Johns Sattelfalken finden.
Harrison starrte auf den Fluss. Und dann fasste er einen Entschluss: Schwimmen! Nun, wenn er infolge seines Blutverlustes die Besinnung verlor, dann ertrank er eben. Ein jämmerlicher Tod, aber immer noch gnädiger, als von ihnen abgeknallt zu werden wie ein räudiger Hund oder am Ende eines Lassos elend zugrunde zu gehen.
In jähem Entschluss erhob er sich. Er watete ins Wasser, verlor den Boden unter den Füßen. Die Strömung packte ihn. Er legte sich auf den Rücken, sah weit über sich den Nachthimmel, ließ sich dahintragen. Neue Hoffnungen beflügelten seine Gedanken.
Die dunklen, drohend anmutenden Buschgruppen am Ufer schienen vorbeizuhuschen. Hin und wieder warfen ihn unvermutete Stromschnellen herum, zerrten tückische Wirbel an ihm, aber mit wenigen kräftigen Ruderbewegungen der Arme befreite er sich. Der Fluss wurde breiter und ruhiger. Harrison schwamm zum Ufer, kroch auf allen vieren die Uferböschung hinauf und ruhte kurze Zeit zwischen den dichten Büschen aus. Dann schlug er sich hindurch. Verschwommen zeichneten sich die Gebäude der Walker-Ranch durch die Dunkelheit ab. Es gab neben dem flachen Wohnhaus einen Pferdestall, einige Schuppen, zwei Stangencorrals und einen hohen Turm mit einem Windrad beim Brunnen. Das Windrad dreht sich knarrend im Nachtwind.
Ruhig lagen die Gebäude vor Harrison im silbrigen Mondlicht. Nirgends brannte Licht. Walker und seine Familie schienen zu schlafen. Harrison konnte sich nicht entschließen. Die Ruhe hier kam ihm unecht und trügerisch vor. Schwer hing die Kleidung an ihm. Der Schmerz, den er im Wasser kaum wahrgenommen hatte, kam mit Macht zurück.
Hatten der Sheriff und der Rest des Aufgebots die Ranch bereits wieder verlassen?
Er fand keine Antwort auf diese bohrende Frage. Sie konnten ihre Pferde im Stall untergebracht und sich auf der Ranch verschanzt haben. Weit im Norden glaubte Harrison das Pochen von Hufen zu hören. Er war sich nicht sicher. Vielleicht spielten ihm auch die überreizten Sinne einen Streich. Wahrscheinlicher aber war, dass Flint Dexter und seine Revolvercowboys dort oben durch die Nacht ritten, auf der Suche nach ihm, den Entschluss in den Gemütern, ihm ein weiteres Mal keine Chance mehr zu lassen.
Da schlug Walkers Hund an. Sein wütendes Bellen erfüllte die Nacht. Die Kette, die ihn hielt, rasselte. Harrison staute den Atem. Da erklang auch schon Ben Walkers Stimme: „Bist du da draußen, McQuinn?“
Harrison schwieg.
Der Hund gebärdete sich wie verrückt. Mit scharfem Tonfall gebot ihm Walker, still zu sein. Das wütende Gekläffe endete. Drängend rief Walker: „Der Sheriff war hier, Harrison. Wir wissen, was sich zugetragen hat. Wenn du da draußen bist, dann zeig dich. Komm ins Haus.“
Schwer trug Harrison an seiner Unschlüssigkeit. Unrast ließ sein Herz schneller schlagen. Er war am Ende. Schließlich überwand er sich. „Seid ihr alleine, Ben? Sind der Sheriff und das Aufgebot schon weitergeritten?“
„Ja. Hickock erzählte uns, dass auf deiner Ranch ein Kampf stattgefunden hat. Dexter hat Dooley erschossen. Winslow wurde verhaftet und in die Stadt gebracht. Bist du in Ordnung, Harrison?“
Die Nachricht von Dooleys Tod hallte durch Harrisons Bewusstsein wie höllisches Geläut. Es wollte ihm nicht in den Kopf. Ächzend entrang es sich ihm: „Gütiger Gott, Dooley ist tot? Dexter hat ihn erschossen! Dieser verdammte Bastard! Er hat Dooley abgeknallt, nachdem dieser meinen Platz am Fenster einnahm ...“
Seine Stimmbänder versagten. Denn plötzlich spürte Harrison etwas, das stärker war als alle Erschöpfung und Schmerzen, die ihn quälten: Hass, grenzenlosen Hass. Er kam in rasenden, giftigen Wogen und überwältigte ihn.
„Komm ins Haus, Harrison“, rief nun eine Frauenstimme. Sie gehörte Kathy, Walkers Frau.
Es gelang Harrison, seinen Hass auf Dexter zu unterdrücken. „Ich bin verwundet, außerdem sitzen mir Dexter und seine Reiter im Genick!“, rief er und humpelte auf das Haus zu. „Ich will euch auch keine Umstände oder Ärger bereiten. Aber ich brauche eure Hilfe.“
Knarrend wurde die Haustür aufgezogen. Ben Walker trat ins Mondlicht. Der Hund fiepte leise. Die beiden Männer trafen aufeinander. „Leg deinen Arm um meine Schultern“, murmelte Walker. „Ich helfe dir ins Haus.“
„Sattle mir ein Pferd, Ben, gib mir außerdem ein Gewehr und Munition und Proviant für ein paar Tage. Ich bezahle dir alles, wenn ich meine Unschuld bewiesen habe und wieder auf meine Ranch zurück kann.“
„Du kriegst alles, was du brauchst. Jetzt komm erst mal ins Haus. In deinem Zustand kippst du nach einer Meile aus dem Sattel.“
Kathy erwartete sie mit einer Laterne in der Hand unter der Tür. In der Küche drückte Walker Harrison auf einen Stuhl. Harrison zitterte leicht. Es war nicht zu erkennen, ob aus Schwäche und Erschöpfung oder Hass auf Flint Dexter. Tiefe Linien zogen sich von seinen Nasenflügeln bis zu seinen Mundwinkeln. Seine Augen glühten wie im Fieber. Er war bleich, scharf zeichneten sich die Backenknochen unter der Haut ab.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, murmelte Harrison lahm. „Ich muss fort sein, wenn die Schufte von der B.R. hier aufkreuzen.“
Eine Woge der Benommenheit spülte ihn hinweg und ebbte dann ab. Nur unterbewusst nahm er wahr, dass hinter ihm eine Tür geöffnet wurde. Ein kühler Luftzug streifte ihn. Ein Mann sagte rau:
„Ich verhafte dich wegen Mordverdachts, Harrison. Heb die Hände und unternimm nichts, was mich zwingen würde, abzudrücken.“
Müde drehte Harrison den Kopf. Aus den Augenwinkeln sah er Sheriff Jim Hickock. Drei Männer drängten hinter ihm aus der Tür zum Nebenraum. Sie alle hielten die Colts in den Fäusten.
Ben Walker und Kathy traten zur Seite.
Harrisons Verstand blockierte. „Du hast mich also verraten, Ben“, presste er hervor, und das war alles, was er an Reaktion zeigte.
*
Jim Hickock baute sich vor Harrison auf. Jemand zog ihm den Colt aus dem Holster. Nachdenklich musterte ihn der Gesetzeshüter. Plötzlich sagte er zu einem der anderen Männer: „Geh hinaus, Matt, und pass ein wenig auf. Ich will nicht, dass uns Dexter und sein schießwütiger Anhang eine böse Überraschung bereiten.“
Der Mann verließ das Haus.
„Nun zu dir, McQuinn. Ich weise dich darauf hin, dass alles, was du jetzt sagst, vor Gericht gegen dich verwendet werden kann. Erzähle uns, was geschah, als du auf der Bancroft-Ranch ankamst.“
Kathy Walker mischte sich ein. Sie sagte: „Sie versprachen, fair zu Harrison zu sein, Sheriff. Er ist verwundet, hat wahrscheinlich viel Blut verloren und ist sicher nicht im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte. Lassen Sie mich seine Wunde versorgen, und geben Sie ihm die Zeit, die er benötigt, um wieder klar denken zu können.“
Harrisons Kinn war auf die Brust gesunken. Seine Lider flatterten. In seinem Gesicht zuckten die Nerven.
„Meinetwegen“, murmelte der Sheriff und senkte die Hand mit dem Colt. Von Harrison ging im Augenblick keine Gefahr aus. „Hilf deiner Frau, Ben. Hast du Whisky im Haus? Er wird McQuinn auf die Beine bringen.“
Kathy holte Verbandszeug und eine Flasche Brandy. Ben schlitzte mit einem Messer das Hosenbein Harrisons auf. Die Kugel hatte den Oberschenkel glatt durchschlagen, ohne ein lebensnotwendiges Gefäß zu zerfetzen. Der Knochen war unverletzt geblieben. Es war eine schmerzhafte und stark blutende Wunde, im Grunde aber war sie harmlos.
„Warum, Ben?“, fragte Harrison mit schwacher, verlöschender Stimme, als sich Walker über ihn beugte, um die Wunde in Augenschein zu nehmen.