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Dass WingTsun sehr effizient zur Selbstverteidigung eingesetzt werden kann, ist allgemein bekannt. In diesem Buch werden die biomechanischen Prinzipien beleuchtet, die hinter der reinen Technik stehen. Es handelt sich um eine biomechanische Analyse basierend auf universellen Prinzipien und den aktuellsten anatomischen Erkenntnissen. Diese biomechanischen Erkenntnisse sollen WingTsun-Praktizierenden aber auch Interessenten anderer Kampfkünste helfen, ihre Kampfkunst zu einer Kampfkunst der Mitte weiterzuentwickeln. Eine Kampfkunst die in letzter Vollendung gewaltlos sein kann. Dem Gegner wird keine Angriffsfläche geboten. Die Kraft des Angreifers wird geschickt neutralisiert oder abgeleitet, wodurch er stets gegen sich selbst arbeitet.
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Seitenzahl: 176
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Christian Bärenklau für Grafik u. Fotobearbeitung
Stefan Bösch für Fotos
Michael Elser für Illustrationen
für Korrekurlesen grammatisch:
Beatrix Bärenklau
2. Auflage:
Yvonne Schori
für Korrekturlesen grammatisch und fachlich:
GM Dr. K.R. Kernspecht
Meister Tibor Farago
für Inspiration und den Unterricht in den vergangenen Jahren:
GM Dr. K.R. Kernspecht (mein Si-Gung)
GM G. Schembri (mein Si-Fu)
Keith R. Kernspecht ist wahrscheinlich einer der größten Kampfkünstler aller Zeiten und mit Sicherheit einer der größten Großmeister des WingTsun. Keiner hat diese Kampfkunst in den vergangenen fünfzig Jahren geprägt wie er.
Er ist der Vater des WingTsun in Europa. Ohne ihn könnten wir diese geniale Kampfkunst heute in der westlichen Welt nicht überall lernen. Sein Verband, die EWTO, umfasst allein schon über 2000 Schulen in Europa, wobei auch die meisten anderen WingTsun-Verbände in Europa in irgendeiner Form aus der Lehre von GM Kernspecht hervorgegangen sind.
GM Kernspecht hat durch sein unermüdliches Forschen und Arbeiten eine einzigartige Evolution dieser Kampfkunst ermöglicht. Dank seinem Bestreben nach wissenschaftlicher Analyse konnte er die Kampfkunst WingTsun bis zum universitären Studium bringen, wo interessierte Kampfkünstler heute Bachelor und Magister-Studiengänge in Sportpädagogik, mit der Hauptrichtung WingTsun absolvieren können.
Seine zahlreichen Bücher dienen mir, aber auch der gesamten WingTsun-Welt als reiche Quelle der Inspiration. Sein Klassiker „Vom Zweikampf“ ist wahrscheinlich in jeder WingTsun-Schule der westlichen Welt zu finden. Für sein Lebenswerk verdient er von der gesamten Kampfkunstwelt größten Respekt. Ich möchte mich hiermit von ganzem Herzen bei GM Kernspecht bedanken.
Großmeister Schembri ist seit fünfzehn Jahren mein direkter Lehrer. Alles, was ich über WingTsun weiß, habe ich von ihm gelernt. Er war und ist mir aber nicht nur die Kampfkunst betreffend ein Vorbild. Auch auf menschlicher Ebene durfte ich sehr viel von ihm lernen.
GM Schembri hat mich inspiriert, immer an mir selbst zu arbeiten, und zwar nicht nur das WingTsun betreffend. Durch sein vorbildliches Verhalten hat er mich ermuntert, ein besserer Mensch zu werden. Si-Fu bedeutet bekanntlich Vaterlehrer. Da mein leiblicher Vater schon sehr früh (während meiner Pubertät) gestorben ist, fehlte mir in meiner späten Jugend ein Vorbild, wodurch ich auf Abwege geriet. Als ich mit WingTsun angefangen und meinen Si-Fu kennengelernt hatte, füllte er für mich persönlich diese Lücke. Er hat immens viel dazu beigetragen, dass ich mich zu dem entwickelt habe, was ich heute bin.
GM Schembri ist mein Vater-Lehrer im wahrsten Sinne des Wortes. Auf Kampfkunstebene brennt sein Herz für diese Kampfkunst und für die EWTO. Er schafft es wie kein anderer immer wieder, seine Schüler und Seminarteilnehmer mit diesem Feuer anzustecken und das nicht nur in jedem Training und bei jedem Seminar, sondern auch neben der Trainingsfläche, beim gemütlichen Zusammensitzen und im persönlichen Gespräch.
Die Kampfkunst WingTsun wird von Lehrer zu Lehrer weitergegeben. Jeder setzt es gemäß seinem Verständnis um und entwickelt es im besten Fall weiter. Mein eigener Lehrer, Si-Fu Dr. GM Keith R. Kernspecht, Leiter und Gründer der EWTO, ist ständig daran, zu erforschen und zu verbessern, seit ich ihn kenne. Er hat WingTsun auf ein sehr hohes Niveau gebracht. Dies hat mich angespornt, auch an mir zu arbeiten und WingTsun selbst genaustens zu erforschen. Für diese Inspiration bin ich meinem Si-Fu sehr dankbar.
Mich persönlich zwang speziell meine Statur zur Erforschung und Optimierung meiner Bewegungen. Mein Si-Fu und die meisten meiner Trainingskollegen waren und sind größer als ich. Sie konnten ihre Größe und Kraft nutzen, um gegen mich erfolgreich zu sein. Darum habe ich schon vor vielen Jahren angefangen, selbst zu experimentieren, wie ich trotz meines Nachteils betreffend Größe und Kraft erfolgreich sein kann. Ich habe meine Vorgehensweise an meine Körpergröße angepasst. Ich habe festgestellt, dass ich immer von mir selbst ausgehen muss, damit WingTsun für mich funktioniert. Für meine Statur ist es wichtig, dass ich mich leicht und entspannt bewege, damit ich nicht viel Kraft in meiner Bewegung brauche. Indem ich meinen Körper leicht und flexibel bewege, kann ich sehr effizient auch gegen größere und kräftigere Angreifer bestehen, gerade weil diese sich auf ihre Größe und Kraft verlassen. Mit wenig Aufwand viel erreichen lautet meine Devise. Ich kümmere mich fast ausschließlich um mich selbst und bringe mich stets aus der Gefahrenzone. Was das Gegenüber macht, wird nebensächlich.
Dabei ist es nicht der Kampf, der mich schon über vierzig Jahre mit Herzblut beim WingTsun hält. Es ist die Freude, mit dem eigenen Körper zu arbeiten, immer mehr Leichtigkeit zu entwickeln und Wege zu finden, alles, was auf mich einwirkt, zu beruhigen und zu neutralisieren. Die Kraft soll nicht mehr auf mich einwirken und mich nicht mehr stören können. Daran arbeite ich.
Als Lehrer ist es für mich wichtig, dass WingTsun für jeden machbar wird. Ich versuche, auf die körperliche Voraussetzung jedes Einzelnen einzugehen, und ihm zu zeigen, wie er sich leicht und effizient verteidigen kann. Dabei ist es spannend zu sehen, ab welchem Punkt die Schüler beginnen, sich selbst über ihr WingTsun Gedanken zu machen, über das, was sie tun und auch wie sie es tun. Dies ist ein wichtiger Schritt für die eigene Entwicklung. Für mich als Lehrer ist es wesentlich, diesen wichtigen Prozess zuzulassen und bestmöglich zu unterstützen. Am Ende hat jeder sein eigenes WingTsun, genau auf sich abgestimmt. WingTsun heißt, sich der Situation anzupassen und dabei seinen eigenen Weg zu gehen.
Es freut mich sehr, dass ich meinen Schüler, Sifu Samuel Lutz 5. MG WingTsun, anregen konnte, sich ins WingTsun zu vertiefen. Als langjähriger Physiotherapeut arbeitet er täglich mit den unterschiedlichsten Menschen und kennt sich mit dem Bewegungsapparat sehr gut aus. Er weiß nicht nur, wie sich ein Körper bewegen lässt, sondern auch, wie man einem Körper Bewegungen am effizientesten beibringen kann. Letzteres hat ihm als WingTsun-Lehrer und dadurch auch seinen Schülern sehr weitergeholfen.
Samuel Lutz beleuchtet in seinem Buch seine geometrische und biomechanische Sicht auf WingTsun. Als Neurophysiotherapeut versteht er genau, wie der Körper sich optimal bewegen kann, und hat dieses Wissen in jahrelanger praktischer WingTsun-Arbeit für sich erschlossen. Es ist sehr spannend, in seine wissenschaftlich gestützte Sichtweise des WingTsun einzutauchen. Vielen Dank, Samuel, dass Du deine Erkenntnisse mit uns teilst. Mögen sie den Lesern helfen, ein analytisches Verständnis für die Funktionsweise von WingTsun zu entwickeln.
Ich wünsche Euch allen viel Freude beim Lesen.
GM Giuseppe Schembri
Der Weg zu diesem Buch
Heilige Geometrie
Die Platonischen Körper
Die Platonischen Körper und die Elemente
Dualität
Das Pentagramm
Der kleine Dodekaederstern
Der Goldene Schnitt
Der Goldene Schnitt und das Pentagramm
Weitere interessante Fakten zum Goldenen Schnitt
Der Goldene Winkel
Das Maß des Universums als Maß des Menschen
Der Tetraeder
Das Vectorequilibrium (VE)
Die isotrope Vectormatrix
Zusammenfassung VE, Struktur des Vakuums
Der Torus
TaiChi
Die Prinzipien des Bewegungsapparates
Das Grundproblem der Anatomie
Tensegrity
Biotensegrity
Stehen / Hängen / Floaten
Tensegrity auf zellularer Ebene
Das Gewichtsproblem und Flexibilitätsproblem
Alles ist eins
Der Jitterbug nach Buckminster Fuller
Das Vectorequilibrium als geometrischer Grundbaustein für Gewebe
Alles ist gleich – Alles ist eins Von der Architektur des Bindegewebes
Grundbausteine des Bindegewebes
Die gewebebildenden Zellen
Die Matrix
Kollagene Fasern
Aufbau
Ausrichtung der Fasern im Gewebe
Elastische Fasern
Funktion
Grundsubstanz / Wasser
Funktion
Zusammenfassung
Ernährung des Bindegewebes
Natürliche Be-und Entlastung
Fehlen von physiologischer Belastung
Abschließend zum Gewebeaufbau – Zusammenfassung
Ein vielschichtiger Wackelpudding
Hinterfragen anatomischer und sportmedizinischer Paradigmen
1. Knorpel als Stoßdämpfer
2. Arthrose
3. Der Mythos der Reibung
4. Muskulatur
Das Pyramidenprinzip des Skelettes
Ermöglichung von Verschraubung
Das Prinzip der rotatorischen Verschraubung
Rotatorische Verschraubung architektonisch
Rotatorische Verschraubung funktionell
Rotatorische Verschraubung im Bein
Rotatorische Verschraubung im Arm
Jeder Muskel arbeitet dreidimensional
Zusammenfassung
Das Prinzip von stabilisierender und mobilisierender Muskulatur
Die primär stabilisierende Muskulatur (Marathonläufer)
Die primär mobilisierende Muskulatur (Sprinter)
Das Prinzip des Alignment
Corestability
Die beteiligten Muskeln
Das Geheimnis der ökonomischen Bewegung
Der makrokosmische Energiekreislauf der Muskulatur
WingTsun als Kampfkunst der Mitte
Die Idealvorstellung eines gewaltlosen WingTsuns
Das Erklärungsmodell eines WingTsun der Mitte
Das VE als sphärisches Modell für ein WingTsun der Mitte
Der IRAS als Basis des Ganzkörper-Vectorequilibriums (der Ganzkörpersphäre)
Die Fußlänge als Maßeinheit im menschlichen Körper
Das kleine Vectorequilibrium des Oberkörpers (KVE)
Die Stabilitätsgrenzen
Gedanken Zum Durchstrecken des Ellbogens in Form und Kampf
Die Vorkampfstellung und der universelle Bauplan
Die Stabilitätsgrenzen sind nicht im energetischen Gleichgewicht
Die funktionale Nutzung des Vectorequilibriums als kampfrelevante Sphäre
Der WingTsun Jitterbug
Vom VE zum Ikosaeder
Vom Ikosaeder zu Oktaeder
Die absoluten Grenzen – absoluten Pole
Der IRAS
Die Angriffsvariante – das Absenken des Beckens
Die Verteidigungsvariante – sich von der Mitte aus zusammenziehen
Umgang mit gegnerischer Kraft
Vom Boden wegspringen, ohne hochzuspringen
Die Kraft aus dem Boden holen
Der Boden ist nur Kontaktpunkt, nicht unser Partner
Das Erforschen der Mitte des Beckens Schaukeln
SaoChong
Die Schwere fühlen (Fallingstep)
Das Öffnen der Füße
Das Schließen der Füße bis zu sechzig Grad
Gedanken zur Beinspannung
Der WingTsun-Jitterbug als Ganzkörperbewegung
Theoretische und praktische Konsequenzen aus dieser neuen biomechanischen Betrachtungsweise
Unspezifische und spezifische Adaptation
Die Arme betreffend
Den ganzen Körper betreffend
unspezifische Adaptation vor spezifischer Adaptation!
Der Jitterbug im ChiSao
Was bedeutet potenziell gewaltlos?
Erkenntnisse zum Vorwärtsdruck
Der Jitterbug im LatSao – Bei der Kontaktaufnahme mit dem gegnerischen Angriff
Die Illusion der Kontrolle
Schrittarbeit aus der Mitte
Die Gewichtsverlagerung
Die Masse hineinbringen
Zusammenziehen des GVE vom DanTien - der Motor für den Vorwärtsschritt
Der Gratisschritt im Stand
Die SiuNimTau
Der nullte Satz
Punkt 1: Das Etablieren der Mitte vorne-hinten / rechts-links:
Das Gleichgewicht im Fuß
Punkt 2: SaoChong – Das Zurückziehen der Ellbogen
SaoChong als Zugbewegung
SaoChong als Position
SaoChong aus sensomotorischer Sicht
Punkt 3: Etablieren der Mitte oben / unten:
Kontrolle der IRAS-Position:
Der erste Satz
Der zweite Satz
Zum selektiven Ansteuern der Armgelenke
HuenSao
Der dritte Satz
Energetisch sphärische Betrachtung WuSao-FookSao-Zyklus
Der PakSao – Erkennen der seitlichen Stabilitätsgrenze
Der vierte Satz
Der fünfte Satz
Der sechste Satz
Der siebte Satz
Gedanken zum BongSao
Der achte Satz
Schlusswort und Vorankündigung
In den letzten neunzehn Jahren habe ich meine ganze Energie in die Erforschung von zwei sehr unterschiedlichen und doch so verbundenen Feldern investiert. Zum einen lebte ich mit Leib und Seele für die Kampfkunst, indem ich durchschnittlich zwanzig Stunden pro Woche mit Üben und Unterrichten von WingTsun verbrachte.
Nicht weniger intensiv befasste ich mich als Physiotherapeut mit dem menschlichen Bewegungsapparat. Ich wollte dessen Funktionen, Zyklen und Prinzipien verstehen. Jetzt, wo ich hier sitze und diese Zeit reflektiere, erkenne ich, dass sowohl in der Kampfkunst als auch im therapeutischen Bereich alles auf der rein körperlichen Ebene begann. Ich wollte Kampfkunst lernen, um mir und meinem Umfeld etwas zu beweisen. Ich wollte beweisen, dass ich stark bin. Dass ich nicht mehr rumgeschubst werden kann, wie ich es in meiner Kindheit nur zu oft wurde. Ich war der Junge, der immer dabei war, aber nie richtig dazugehörte. Stark zu sein, nie wieder gemobbt zu werden und es allen anderen zu zeigen, das war am Anfang die treibende Kraft in meiner Kampfkunstkarriere.
Auf therapeutischer Ebene war meine Grundausbildung zum Physiotherapeuten aufgrund des schulmedizinischen Hintergrundes sehr wissenschaftlich, mechanisch und alles andere als ganzheitlich. Dies störte mich am Anfang meiner therapeutischen Laufbahn keineswegs. Im Gegenteil. Als ein sehr logisch denkender Mensch war ich fasziniert von den wissenschaftlichen Facts und dem naturwissenschaftlichen, medizinischen Wissen, mit dem ich gefüttert wurde und welches ich zum großen Teil erfolgreich anwenden konnte. Wo es nicht funktionierte, reagierte ich, wie ich es gelernt hatte, und tat die Problematik des Patienten als psychosomatisch ab. Eine grundlegende Reaktion der Schulmedizin, wenn deren Ansatz nicht zum Erfolg führt.
Aber mit zunehmender Berufserfahrung begann ich mir selbst Fragen zu stellen. Kann das, was ich im schulmedizinischen Bereich gelernt habe, wirklich alles sein? Warum bessern sich Beschwerden bei manchen Patienten lange Zeit nicht und verschwinden dann ohne Zutun, längst nachdem die Therapie beendet wurde? Was ist mit all den Spontanheilungen? Sind wir wirklich biologische Maschinen oder ist da noch mehr? Die Frage: „Ist da noch mehr?“ beschäftigte mich schon früh in meinem Leben. Ich bin katholisch aufgewachsen und war nie besonders gläubig. Mir war die spirituelle Welt aber auch nie wirklich fremd. Als ich fünfzehn war, starb mein Vater bei einem tragischen Unfall. Diese Tragödie veränderte mein Leben schlagartig.
Ich fing an, mir Fragen über den Sinn des Lebens zu stellen. Ich begann, Texte von unterschiedlichen spirituellen Lehren zu lesen, und wurde zum Suchenden nach Sinn und Wahrheit. Manch ein Leser mag sich wohl fragen, was das alles mit Biomechanik und Kampfkunst zu tun hat.
In Wahrheit ist der spirituelle Aspekt für die kommenden Ausführungen fundamental. Nein, dieses Buch ist kein spiritueller Wegweiser. Es geht hier um Biomechanik, Kampfkunst, die Natur des menschlichen Bewegungsapparates und somit des menschlichen Potentials. Spätestens, als ich in den vergangenen zwei Jahren anfing, mich mit der Quantenphysik auseinanderzusetzen, durfte ich erkennen, dass Spiritualität und Wissenschaft zwei Sprachen sind, die versuchen, dasselbe zu beschreiben.
Die moderne Wissenschaft findet ihren Anfang in einer Zeit, wo die alleinige Macht bei der Kirche lag. Nur durch die klare Trennung vom Materiellen und vom Geistigen wurde es für die naturwissenschaftlichen Pioniere überhaupt möglich, ihre Forschungen durchzuführen, ohne als Ketzer an den Pranger gestellt und hingerichtet zu werden. Es ging also bei der Trennung von Materiellem und Geistigem um Macht und Kontrolle. Diese Zeiten sind längst vorbei. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns öffnen, und mit offenem Herzen und Verstand an die Arbeit machen, um Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft wieder zusammenzuführen. Denn letzten Endes ist alles eins und es gilt, was Hermes Trismegistos vor 4000 Jahren schon lehrte:
„Wie oben, so unten“.
Und so danke ich mutigen Wissenschaftlern wie Nassim Haramein oder Bruce Lipton, die diese Zusammenhänge nicht nur erkannt haben, sondern auch den Mut fanden, ihre Ansichten in der Öffentlichkeit zu vertreten, auch wenn sie mehr Hohn als Würdigung von ihren Kollegen erhielten. Aber auch Galileo Galilei wurde nicht ernst genommen, als er sagte, die Erde drehe sich um die Sonne. Nein ich bin nicht von Hochmut befallen und möchte mich nicht in einem Atemzug mit den großen Denkern und Wissenschaftler nennen.
Dennoch habe ich in den vergangenen Jahren viel gearbeitet und fühle intuitiv, dass ich einer höheren Wahrheit näherkomme. Eine Wahrheit, die sowohl die Welt der Therapeuten als auch die Welt der Kampfkünstler bereichern kann. Eine Wahrheit, die Wissenschaft und Mystik vereint, die uns hilft, die alten Philosophien und Lehren besser zu verstehen und mit den modernen Erkenntnissen der Wissenschaft zusammenzuführen. Dies ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch schreibe.
Persönlich glaube ich an die Theorie der Einheit – also daran, dass wir alle eins sind, und dass ich, wenn ich jemandem anderen Schaden zufüge, auch mir selbst schade. Ich spreche mich aus tiefster Überzeugung gegen jegliche Gewalt aus, es sei denn, sie geschieht aus Notwehr zur Selbstverteidigung. Aber auch in dieser Situation ist es mein Endziel, den Angreifer zu schonen und nicht unnötig zu verletzen. Wie mein Si-Fu immer so schön sagt:
„Der Angreifer ist mein Freund, er hat es nur vergessen.“
In diesem Buch zeige ich biomechanische Prinzipien auf, die auf der Heiligen Geometrie basieren. Diese Prinzipien können es dem Kampfkünstler ermöglichen, selbst in der körperlichen Auseinandersetzung „gewaltlos zu bleiben“.
Mit „gewaltlos“ meine ich hier, dass man dem Gegner keine Angriffsfläche gibt und diesen stets gegen sich selbst arbeiten lässt. Ziel ist es, die Kraft des Gegners ins Leere laufen zu lassen oder sofort zu beruhigen. Mein Si-Fu GM Schembri benutzt das schöne Bild vom Wasserfall, welcher in den Bergsee fließt. Das Wasser kommt mit großer Wucht vom Wasserfall heruntergestürzt. Sobald es den See erreicht, wird diese Energie vom See aufgenommen und sofort beruhigt.
Die in diesem Buch beschriebenen geometrischen und biomechanischen Grundlagen liefern dem Übenden eine Möglichkeit, mit der gegnerischen Kraft genau gleich umzugehen wie der Bergsee mit dem Wasserfall. Die Kraft des Gegners wird sofort neutralisiert, wodurch gewaltfreies Siegen möglich wird. Jeder wache Geist, der sich durch diese Zeilen inspiriert fühlt, wird dabei helfen, das Verständnis vom WingTsun als potenziell gewaltfreie Kampfkunst zu vertiefen. Deswegen möchte ich Dir an dieser Stelle bereits danken, dass Du dieses Buch zur Hand genommen hast. Ob Du mit dem Nachfolgenden einverstanden bist oder nicht, ist für mich sekundär. Denn es geht nicht darum, ob ich recht habe. Ich glaube fest daran, dass es verschiedene Wege und somit auch verschiedene Wahrheiten gibt und dass es sowas wie die absolute Wahrheit gar nicht gibt.
Der Untertitel sagt eigentlich schon alles über den Inhalt. Am Anfang erkläre ich einige Grundlagen der Heiligen Geometrie, auch hermetische Geometrie genannt. Dieses Basiswissen hilft, die anschließenden biomechanischen und architektonischen Prinzipien des Bewegungsapparates zu verstehen. Ungefähr die Hälfte des Buches werde ich diesen beiden Themen widmen. Mit diesen neuen Ideen und Blickwinkeln werden wir anschließend die Biomechanik eines WingTsun der Mitte untersuchen. Einem WingTsun, welches in letzter Vollendung zumindest theoretisch gewaltfrei sein könnte. Für den Leser, der sich bisher noch nie mit der Heiligen Geometrie auseinandergesetzt hat, bieten die ersten Seiten alle Grundlagen, welche zum Verständnis der biomechanischen Analyse notwendig sind. Danach führe ich in einige anatomischen Prinzipien ein, welche für viele Leser neu sein werden, weil sie nicht in der Schule und in der medizinischen Grundausbildung behandelt werden. Auch diese anatomischen Prinzipien bilden die Grundlage für die biomechanische Analyse des Kampfgeschehens.
Viel Spaß beim Lesen!
„Auch wenn ich all das durchgemacht habe, was ich durchgemacht habe, bereue ich die Schwierigkeiten nicht, in die ich mich begeben habe, weil sie es sind, die mich dorthin gebracht haben, wohin ich zu gelangen wünschte. Jetzt ist alles, was ich besitze dieses Schwert und ich übergebe es jedem, der seinen Pilgerweg gehen möchte.
Ich trage die Spuren und Narben der Kämpfe. Sie sind Zeugen dessen, was ich erlebt und Belohnungen für das, was ich errungen habe. Diese Spuren und Narben sind es, die mir die Tore zum Paradies öffnen werden.
Es gab eine Zeit, in der ich Geschichten von Heldentaten lauschte. Es gab einmal eine Zeit, in der ich nur lebte, weil ich leben musste. Aber jetzt lebe ich weil ich ein Krieger bin und weil ich eines Tages an der Seite derer sein möchte, für die ich so sehr gekämpft habe.“
Paulo Coelho Handbuch des Kriegers des Lichts
Die Heilige Geometrie, auch hermetische Geometrie genannt, ist die Lehre vom Aufbau der Welt. Sie beschreibt die geometrischen Gesetze, auf denen sowohl die physische wie auch die metaphysische Welt basiert. Sie verbindet Geist und Materie, Wissenschaft und Spiritualität. Diese geometrischen Muster und Gesetze finden sich überall.
Der Glaube, dass Gott oder die Götter das Universum nach einem perfekten geometrischen Plan erschaffen haben, ist uralt und in allen Kulturen verbreitet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Grundlagen der Heiligen Geometrie mit ihren Proportionen und Figuren in den Bauwerken des alten Ägyptens, Griechenlands und Roms in die Architektur einflossen und als Symbole immer wieder auftauchen. Ob antike Tempel im Himalaja, die auf Mandalas basieren, oder mittelalterliche europäische Kathedralen, welche die Prinzipien der hermetischen Geometrie benutzen – überall auf der Welt scheinen alte Kulturen dieses Wissen unabhängig voneinander entdeckt und diese Geometrie sowohl in ihre Mystik wie auch in ihre Architektur integriert zu haben.
Die Heilige Geometrie besagt, dass alles im Universum aus denselben Grundmustern besteht. Nicht nur die physische, tastbare Welt, sondern auch unsere Emotionen und Gedanken unterliegen ihren Prinzipien. Die Heilige Geometrie strebt danach, die mathematischen Verhältnisse, Proportionen und Schwingungen zu studieren, die der gesamten Schöpfung zugrunde liegen, und so die Sprache zu entschlüsseln, mit der das „Göttliche“ mit uns kommuniziert. Das Wissen und die Zusammenhänge der Heiligen Geometrie wurden von Wissenschaftlern lange als esoterische Spielereien abgetan. Die klare Trennung von Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft war zu Zeiten der Herrschaft der katholischen Kirche überlebensnotwendig für die Naturwissenschaften. Ohne diese Trennung bestand für die frühen Wissenschaftler und Denker eine reelle Gefahr, als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Das Beschränken auf tote Materie, die Negierung einer höheren Ordnung und somit auch das Paradigma, dass alles dem Zufall unterliegt, war die einzige Möglichkeit für die Wissenschaft, neben der Kirche zu überleben und zu wachsen.
Die hermetische Geometrie ist für sich schon ein unerschöpfliches Gebiet, worüber zahlreiche Bücher geschrieben und publiziert wurden. Es gibt einige Aspekte der Heiligen Geometrie, die für das Verständnis meiner nachfolgenden Ausführungen über die Biomechanik eines WingTsuns der Mitte wichtig sind. In diese Themenbereiche gebe ich deshalb hier eine gezielte Einführung.
Die Platonischen Körper Quelle: geometric desings.ch