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Die tschechische Autorin Dora Kaprálová erforscht in ihrem
Winterbuch der Liebe mit sprachlicher Leichtfüßigkeit und spielerischer Dreistheit die Beziehung zum anderen, der sich ihr überall im Leben zeigt. Sie schrieb es als literarische Reaktion auf
Eine Frau des ungarischen Schriftstellers Peter Esterházy. Einen Winter lang verfasste sie jeden Tag eine Vignette über einen Mann, mit dem Gedanken daran, dass sich P.E. eines Tages an den Texten erfreuen würde. (Das tat er auch.)
Es ist ein Buch über Männer, aber vielleicht auch nur über einen einzigen, facettenreichen und schwer fassbaren Mann, denn es geht um Liebe.
Dass manchmal Ungeheuerlichkeiten zur Sprache kommen, tut der Autorin verständlicherweise sehr leid. Sie weiß, dass ohne sie einigen der kleinen Szenen die innere Wahrheit fehlen würde. Denn lebensspendende Energie kommt nicht nur vom gewöhnlichen Sex, sondern auch von einer überirdischen Sehnsucht. Das spüren auch die Rehe, wenn sie nach der Jagdsaison schweigend am Salz lecken.
Freigeistig, flirtend, flirrend. Einfach ein großer Lesespaß.
„Winterbuch der Liebe erzählt beglückend grausam über Anziehung und Fliehkraft. Ein verächtlich liebestoller Text von existentieller Leichtigkeit.“ Elisabeth R. Hager
„Vorsicht! Diese als Fingerübungen getarnten Textminiaturen, die scheinbar immer aufs Neue ansetzen, entwickeln sogartig ein logisches Ganzes, das einiges mehr ist als eine merkwürdige Liebesgeschichte. Wir Leser werden mitgerissen von einer Erzählstimme, die das Surreale unserer Wirklichkeit aufdeckt und deren ehrliche Widersprüchlichkeit man nach der Lektüre nicht mehr vergisst.“ Martin Jankowski
„Ich habe das Buch mit großem Vergnügen gelesen. Danke!“ Péter Esterházy
„Das Vergnügen, das im Erzählen stattfindet, geschieht in der Sprache: Es rebelliert gegen Klischees, ruhiges Dahinleben und lauwarme Gefühle. Es lacht mitfühlend über Männer, die nicht rebellieren wollen, aber vor allem wahrscheinlich über das Genre des Liebesgeständnisses.“ Ivana Myšková
„Dora Kaprálová ist eine außergewöhnliche Autorin. Radikale Zärtlichkeit, subtiler Feminismus, brutale Ehrlichkeit.“ Jáchym Topol
Dora Kaprálová wurde 1975 in Brno, Tschechien, geboren, und lebt mit ihren zwei Töchtern in Berlin. Die Journalistin und Autorin studierte Dramaturgie und Drehbuch an der Janáček Akademie für Darstellende Künste in Brno und veröffentlichte bisher eine Reihe von Texten über Migration, Integration, Exil, kommunistisches Erbe, tschechische und europäische Literatur und zeitgenössische Poesie. Ihre Arbeiten wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, davon zweimal mit dem deutsch-tschechischen Journalistenpreis (2016, 2017). Ihr Kinderbuch
Herr Niemand und die weiße Finsternis (Balaena-Verlag, 2023) stand auf der Shortlist für das beste tschechische Kinderbuch. Im gleichen Verlag erschienen bisher auch ihr
Berliner Notizbuch (2019) und der Erzählband
Inseln (2021).
Winterbuch der Liebe ist ihr Debüt bei mikrotext.
Nataša von Kopp wurde 1974 in Baden-Baden geboren und wuchs in Deutschland, Japan und der Tschechoslowakei auf. Seit 2008 arbeitet sie als unabhängige Filmemacherin, Fotografin sowie als Dozentin für Film und Filmgeschichte. Sie macht mit Kindern Film- und Fotoworkshops, vor allem an der Akademie der Künste in Berlin, und übersetzt seit einigen Jahren Literatur vom Tschechischen ins Deutsche.
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Seitenzahl: 85
DORA KAPLAROVAWINTERBUCH DER LIEBE
Die vorliegende Übersetzung wurde mit einem Perewest-Stipendium des Freundeskreises zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. gefördert.
Originalausgabe erschienen bei Verlag Archa, Zlín 2014; Neuauflage Druhé město, Brno 2024
Cover und Coverillustration: Inga Israel
Coverfoto: Kirill Pershin / unsplash
Satz: Sarah Käsmayr
Schriften: Gentium Book Plus, AttentionPro
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ISBN 978-3-948631-56-7
Alle Rechte vorbehalten.
© mikrotext 2024
Inhalt
Das Buch
Die Autorin
Die Übersetzerin
Widmung
Winterbuch der Liebe
Über den Verlag
Das Buch
Die tschechische Autorin Dora Kaprálová erforscht mit sprachlicher Leichtfüßigkeit und spielerischer Dreistheit die Beziehung zum anderen, der sich ihr überall im Leben zeigt. Ein Kellner, der TV-Koch Jamie Oliver, ein Guinnessbuch-Rekordhalter, eine Jugendliebe, ein Formel-1-Rennfahrer, einer, mit dem sie zusammenlebt …
Dass manchmal Ungeheuerlichkeiten zur Sprache kommen, tut der Autorin verständlicherweise sehr leid. Sie weiß, dass ohne sie einigen der kleinen Szenen die innere Wahrheit fehlen würde.
Denn lebensspendende Energie kommt nicht nur vom gewöhnlichen Sex, sondern auch von einer überirdischen Sehnsucht. Das spüren auch die Rehe, wenn sie nach der Jagdsaison schweigend am Salz lecken.
Die Autorin
Dora Kapralová wurde 1975 in Brno, Tschechien, geboren, und lebt in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen auf Tschechisch. Ihre zwei Erwachsenenromane und ein Kinderbuch sind im Balaena-Verlag in deutscher Übersetzung erschienen. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem zweimal mit dem Tschechisch-Deutschen Journalistenpreis (2016, 2017).
Die Übersetzerin
Nataša von Kopp wurde in Baden-Baden geboren und wuchs in Deutschland, Japan und der Tschechoslowakei auf. Seit 2008 arbeitet sie als unabhängige Filmemacherin, Fotografin sowie als Dozentin für Film und Filmgeschichte. Sie macht mit Kindern Film- und Fotoworkshops, vor allem an der Akademie der Künste in Berlin, und übersetzt seit einigen Jahren Literatur vom Tschechischen ins Deutsche.
Dora Kaprálová
Winterbuch der Liebe
Aus dem Tschechischen vonNataša von Kopp
In Liebe P. E. gewidmet, dessen Buch Eine Frauich nie zu Ende gelesen habe.
Jeden Tag schreibe ich jetzt einen kurzen Text über einen Mann, so wie Sie und P. E. (Péter Esterházy) es mir empfohlen haben.Danke. Es ist eine schöne, ruhige Wintergewohnheit.
Es gibt einen Mann. Ich liebe ihn. Er ist alt wie Methusalem, und wenn er sich streckt, knirschen seine Knochen. Er hasst mich mit dem wilden Hass armer alter Männer. Er behauptet, es käme eine Zeit mautfreier Brücken. Ist das irgendetwas über den Tod? Goethe? Ich verstehe kein Wort, und des halb liebe ich ihn so sehr. Am liebsten trinke ich mit ihm Russische Schokolade, und dann denken wir über Fontane nach, der ist nämlich schon lange tot und als Thema mehr oder weniger neutral. Ich sage ihm: „Mein Herz zerspringt nur ganz gewöhnlich. Ihre Nüchternheit ist die Flagge meines kleinen Bootes. Laufen Sie Schlittschuh? Ich liebe Sie. Aber es ist schwer, solchermaßen und so sehr!“ Er schweigt ein wenig hochmütig. Dann schreibt er mir in Schönschrift auf die Rechnung: Was nervst du mich ständig?
Es gibt einen Bund. Ich liebe ihn. Er heißt Gender. Er hasst mich. Behauptet, ich könne nicht, ich könne einfach nicht im rosa Negligé und mit rotem Bärtchen schreiben.
Es gibt einen Mann. Ich hasse ihn. Und er tut mir auch leid. Im Bahnhofsrestaurant Zur Kleinen Lokomotive beugt er sich über mich. Er ist ein dicker Kellner mit schütterem Haar und mit Brillengläsern, beschlagen vom Küchendunst. Ich sage ihm: „Herr Ober, ich nehme eine Russische Schokolade. Mit Sahne.“ Sein Mund verzieht sich und er stottert: „Und da-da-das ist, bitte, was?“ Er stinkt säuerlich, dieser Mund. Geduldig erkläre ich ihm, dass es sich um eine gängige habsburgisch-monarchistische Gepflogenheit handelt, Wien ist nicht weit. Deswegen sollte es in jedem netten mährischen Bahnhofsrestaurant Russische Schokolade geben. Doch ich verliere meine Sicherheit und, ja, ich entschuldige mich sogar, entschuldige mich. „Wir sind hier nicht im Ritz, da musst du schon ins Ausland“, zischelt er und sein Nationalismus-Pfeil trifft. Denn vor einer kurzen Weile war ich im Ausland und blickte auf zu … Vor den schmutzigen Fenstern fahren schmutzige Schnellzüge und Regionalbahnen vorbei, in denen schmutzige Kinder und Mütter in weißen Jacken sitzen mit Flecken auf ihren hellen Jeans, schon seit der Stadt Olomouc verärgert darüber, dass auch sie schmutzig sind, so traurig, so hoffnungslos schmutzig. Zur Kleinen Lokomotive wird nicht geheizt, oder es wird geheizt, aber nur so, dass man sich nicht beschweren kann, also eher nicht geheizt. Die Heizung ist lauwarm und drei einsamen Trinkern steigt die Atemluft vor ihren Mündern auf. Januar, Schneeregen. „Also einen Beuteltee-Grog“, notiert sich der Kellner. Im Radio fragt eine Moderatorin, wie sich Männer ihre ideale Frau vor stellen. Und schon treffen die Antworten ein, werden in den Äther geworfen. „Also“, sagt die Moderatorin, „die ideale Frau sollte sagen: ‚Leg mich dreimal täglich flach, aber zuerst bügel ich dir deine Hemden und Shorts‘, oder: ‚Liebling, der Braten steht im Ofen, dein Bier im Kühlschrank, in der Glotze läuft Fußball, und danach, da …‘, während“, lacht die Frau mit einer Stimme, die anfangs kein klares Gefühl erkennen lässt, nun aber schon, denn während sie spricht, versagt ihr die Stimme nach und nach. Vielleicht war sie einmal ein anständiges katholisches Mädchen aus Rimavská Sobota, bis sie als Volontärin beim Radiosender Břeclavský šuhaj anfing. Viel leicht war sie bis zu diesem stummen Aufschrei eine fröhliche Cheerleaderin der Kreisklasse, bekannt vor allem in der Gegend um Rimavská Sobota, doch dann hat sie mir nichts, dir nichts mit ihrem Leben was Nützlicheres anstellen wollen, weiß jetzt aber nicht genau was, also unterdrückt sie für den Anfang zumindest die Tränen … Auf dem Bahnsteig läuft eine alte Frau, schlurft dort auf Krücken entlang und bringt den Toilettenschlüssel zurück. Ihr Zug fährt inzwischen ab.
Wir sind Sklaven unserer Sehnsucht, sage ich im Städtchen O. zu meinem lethargischen Grog und trinke ihn nicht einmal aus. Ich steige in eine schmutzige Regionalbahn, dann in einen Schnellzug, dann in eine Rakete, ich muss nur schnell ein Abteil ohne eine Mami in weißer, schmutziger Jacke finden, die ihrem Mann sagt: „Dein Bier steht im Kühlschrank, in der Glotze läuft Fußball …“ Ohne eine liebe und gleichgültige Mami, die später draußen über ihr Leben nachdenkt und sich wundert: verlassen! Dann lamentiert diese Mami in weißer, schmutziger Jacke; und solcherlei Mamis gibt es en masse. Sie sind reinlich, waschen, bügeln, backen, der Ofen ewig warm, das Bier ewig kalt; und lieb sind sie, nicht so wie ich.
Gerade mit denen möchte ich jetzt nicht im Abteil sitzen. Ich habe einen anderen Plan: Russische Schokolade. So eine, die es nicht gibt.
Es gibt einen Bund. Ich liebe ihn. Er nennt sich Femen. An einem Tag kämpfen seine Mitglieder im eiskalten Davos. Sie haben ihre Brüste mit Parolen zum Thema Frauenrechte bemalt. Sie sind gottgesandt. Sie kämpfen gegen die Kirche, doch Gott liebt sie, denn falls Gott ein Mann sein sollte – und Gott ist ein Mann –, dann liebt er ihre sorgfältig zurechtgemachten Frisuren, das ausrasierte Schamhaar, die roten Lippen und nackten Brüste, diese militante Entschlossenheit, die Müdigkeit und das präzise Marketing. Sogar ein paar Frauen und Männer lieben Femen. Am meisten die feministischen Anwälte, die für Femen gegen Macho-Anwälte kämpfen, und dann dieser Mafiaboss, der das alles heimlich lenkt. Es gibt einen Bund. Seine Mitglieder weinen in die Kameras der Welt, feilen ihre Nägel, färben sich das Haar und hecken nebenher in der Sauna Strategien aus. Es ist ein sehr lächerlicher und sehr wichtiger Bund; stärker noch als der Feminismus, stärker als Gender, stärker als Facebook, stärker als Öko, stärker als Veganismus, stärker als ein Workshop über Sexismus, stärker als maskuline Unsicherheit, stärker als eine Metapher, stärker als die Liebe.
Das ist Sextrismus. Kindlich und grausam wie ein Märchen aus den Karpaten.
Es gibt einen Mann. Im Haushaltswarenladen stehe ich ihm gegenüber. Ich bin um einen Kopf größer. Er misst also geschätzte 163 cm. Er trägt einen blauen Geschäftsführerkittel, hat eine Glatze, eine rote Nase, leichtes Übergewicht und in der Brusttasche einen Kugelschreiber. Er ist zuvorkommend. Er stößt mich ab. Ich liebe ihn, als ich fünf Jahre alt bin und er sieben. Blonde Locken, blaue Augen, ein Engel. Mit seinen Eltern fahren wir im Trabi zur Datsche raus. Der Schnee schmilzt, im Fluss treiben Eisschollen. Wie lässt man einen Jungen die Kraft seiner Liebe spüren? Während der Fahrt schaue ich auf seine Schuhe, höher nicht, höher würde ich mich schämen, höher hat er nämlich sein Gesicht, Augen und auch einen Mund, und irgendwo in der Mitte seinen Pimmel, der mich in diesem Moment aber nicht interessiert, dann schon eher seine Seele. Wir sind am Haus. Seine Eltern schicken uns mit einer Metallgießkanne zum Fluss Wasser holen. Wir gehen. Im Wald sagt mir dieses Bürschchen, es langweile sich mit mir, ich sei blöd und solle allein gehen. Ich gehe. Und schon bin ich am Fluss, schon beuge ich mich mit der Gießkanne zum Wasser hinunter. Der Strom ist stark, er reißt die Kanne mit sich. Ich springe der Kanne hinterher, ich liebe ihn. Und deswegen liebe ich auch diese Kanne, denn sie gehört dem Chef des Haushaltswarenladens, aber das weiß ich nicht, das kann ich ja noch nicht wissen, dass er der Chef wird.
Der Strom des Flusses reißt mich mit, ich greife nach einem Stock. Die Gießkanne treibt davon, bleibt erst am Wehr hängen. Ich ertrinke nicht, kehre nur nass mit diesem Stock in der Hand und ohne Kanne zurück. Meine Strumpfhose trocknet über dem Ofen, ich bin in eine Decke gewickelt und sein Papa droht mir: „Du, wenn deine Eltern keine Versicherung haben, dann weiß ich nicht, mit dieser Gießkanne, du …“ „Du“, sage ich dem Chef des Haushaltswarenladens, „habt ihr eine 250-Watt-Glühbirne? Aber keine Sparlampe, sondern eine richtige, so groß?“ Er strahlt. Unter seinem Kittel schwillt ihm die Eichel. Er beißt sich auf die Zunge. Er heißt Lojza und ist dreifach geschieden.
Es gibt einen Mann. Ich liebe ihn. Er liebt mich. Es ist mein Mann. Ich stehe ihm in Strumpfhosen gegenüber, es ist Nacht, ich bin schwanger, und zwar sehr. Und dann mache ich mir plötzlich in die Hose. Er ist angeekelt. Ich jedoch liebe dieses unverhoffte Gefühl der nassen Strumpfhose. Ich lächele dümmlich, es ist ja nichts Persönliches, nichts gegen unser Zusammensein. Doch er liebt Hygiene. „Wer soll denn das waschen?“, so seine verärgerte Frage.