Wintermord mal 5: Krimi Paket - Alfred Bekker - E-Book
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Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Burmester kriegt das Schaf im Wolfspelz: Hamburg Krimi (Walter Appel/Chris Heller) Der Kommissar und die blutigen Hände (Alfred Bekker) Maulwurfjagd (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und der Motorradmörder von Marseille (Alfred Bekker) Die Waffe (Alfred Bekker) In Berlin geht ein Serienmörder um, dessen Taten eine ganz bestimmte Handschrift tragen. Er beschmiert die Hände seiner Opfer mit Blut - denn in der Vergangenheit spielten Blutige Hände eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Kommissar Kubinke und sein Ermittler-Team machen sich auf die Spur des Wahnsinnigen…

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Alfred Bekker, Chris Heller, Walter Appel

Wintermord mal 5: Krimi Paket

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Inhaltsverzeichnis

Wintermord mal 5: Krimi Paket

Copyright

​Burmester kriegt das Schaf im Wolfspelz: Hamburg Krimi

Der Kommissar und die blutigen Hände

Maulwurfjagd

​Commissaire Marquanteur und der Motorradmörder von Marseille

Die Waffe

Wintermord mal 5: Krimi Paket

Alfred Bekker, Chris Heller, Walter Appel

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Burmester kriegt das Schaf im Wolfspelz: Hamburg Krimi (Walter Appel/Chris Heller)

Der Kommissar und die blutigen Hände (Alfred Bekker)

Maulwurfjagd (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und der Motorradmörder von Marseille (Alfred Bekker)

Die Waffe (Alfred Bekker)

In Berlin geht ein Serienmörder um, dessen Taten eine ganz bestimmte Handschrift tragen. Er beschmiert die Hände seiner Opfer mit Blut - denn in der Vergangenheit spielten Blutige Hände eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Kommissar Kubinke und sein Ermittler-Team machen sich auf die Spur des Wahnsinnigen…

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

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​Burmester kriegt das Schaf im Wolfspelz: Hamburg Krimi

Burmester kriegt das Schaf im Wolfspelz: Hamburg Krimi

Kriminalroman von Walter Appel & Chris Heller
Ingo Tabbert will sich unbedingt mit dem Hamburger Privatdetektiv Aldo Burmester an einem außergewöhnlichen Ort treffen. Doch als der dort eintrifft, muss er mit ansehen, wie zwei Killer sich Ingo Tabbert greifen und ihn vor seinen Augen umbringen. Dem Toten kann Burmester nicht mehr helfen, denn die Killer haben auch den Detektiv im Visier ...
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Aldo Burmester ist eine Erfindung von Alfred Bekker
Chris Heller ist ein Pseudonym von Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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1.
Hamburg 1991…
“Hey, Sie!”
Aldo Burmester versuchte, die grell geschminkte Frau zu ignorieren. Aber das sollte ihm nicht gelingen.
“Sag mal, hast du Bohnen in den Ohren! Ich red mit Ihnen!”
Sie benutzte du und Sie durcheinander.
Aber das passte zu der etwas rustikalen Art und Weise, in der sie sich ausdrückte.
Aldo schätzte sie auf Ende zwanzig. Sie sah hübsch aus. Abgesehen von ihrem Gesicht, das vermutlich auch hübsch ausgesehen hätte, hätte sie es nicht mit zuviel Schminke ruiniert. Zuviel vom Guten war eben auch nicht unbedingt besser. Man musste immer wissen, wann man besser aufhörte.
Aber sie hatte sehr schöne Brüste.
Und davon zeigte sie auch eine Menge.
Ihr Dekollete war nämlich sehr tief ausgeschnitten.
Glücklicherweise hatte sie diesen Bereich im Naturzustand belassen und nicht geschminkt. Und auch noch nicht operiert.
Eine Nutte, dachte Aldo Burmester.
Zweifellos.
Aldo hatte nichts gegen Nutten.
Aber im Moment war der Hamburger Privatdetektiv mit einer Observation betraut. Und da konnte er sich nicht leisten, dass er irgendwie auffiel. Das wäre dann nämlich wohl auch der zu beschattenden Zielperson aufgefallen. Und das wiederum musste Aldo um jeden Preis vermeiden, sonst war der Auftrag im Eimer.
Und einen Auftrag in den Sand setzen, das konnte sich Aldo einfach nicht leisten.
Auch Privatdetektive waren nicht unbedingt auf Rosen gebettet.
Man musste sich nach der Decke strecken.
Und da nahm Aldo Burmester auch mal Aufträge wie diesen an. Eine große mittelständische Firma hatte ihn beauftragt, einen leitenden Mitarbeiter zu beschatten, weil der sich verdächtig oft krankschreiben lief. In Wahrheit verzockte er offenbar aber sein Geld auf der Reeperbahn. Unter anderem in Strip-Clubs wie diesem, in den Aldo den Kerl verfolgt hatte.
“Ich kenn dich doch, du bist der Burmester!”, sagte die Frau.
“Sie müssen mich verwechseln”, sagte Aldo. “Wir sind uns noch nie begegnet.”
“Das kann schon sein, aber ich erkenne dich trotzdem.”
“Sie entschuldigen mich jetzt bitte…”
“Nein, so einfach kommst du mir nicht davon! Nicht nach dem, was mir passiert ist. Wir haben nämlich eine Rechnung offen, wir zwei!”
Aldos Zielperson drehte sich jetzt um.
Der Mann blickte genau in Aldos Richtung.
Der Privatdetektiv hatte es im Gefühl, was das bedeutete. Er war aufgeflogen.
Die Zielperson kam jetzt auf Aldo zu.
Mit einem Champagnerglas in der Hand.
“Hier, das ist für Sie”, sagte der Mann. “Damit Sie auch etwas Spaß haben. Ansonsten wünsche ich Ihnen viel Vergnügen dabei, mich weiter zu beschatten. Ich kann mir auch denken, wer dahintersteckt. Ich tue nichts Ungesetzliches, und wenn man mich wegen irgendwelcher Vorwände aus der Firma schmeißen will, dann soll mir das Recht sein. Mein Anwalt freut sich darauf, über eine Abfindung zu verhandeln. Das können Sie der Gurkentruppe ruhig ausrichten, die Sie mir hinterhergeschickt hat. Haben wir uns verstanden?”
“Nun…”
“Sehr schön. Ich dachte schon, Sie wären ein begriffsstutziger Hilfsschüler. Guten Tag!”
Damit ging der Mann, der eigentlich Aldos Zielperson sein sollte wieder davon. Und Aldo blieb zurück, mit einem Champagnerglas in der Hand. Seine Zielperson wurde von zwei barbusigen jungen Frauen in Empfang genommen, die sich an ihn schmiegten und viel kicherten.
Auftrag vermasselt, dachte der eigentlich sonst immer total smarte Privatdetektiv.
Und zwar vollends.
Das war ihm schon lange nicht mehr passiert.
Schließlich war Aldo Burmester ja auch kein Anfänger mehr.
Aber heute war anscheinend einfach nicht sein Tag.
Er reichte das Champagnerglas an die Dame weiter, die ihn so wenig damenhaft angesprochen hatte.
“Kann ich Ihnen damit eine Freude machen und Ihre üble Laune etwas aufhellen?”, fragte er.
Sie nahm das Champagnerglas und leerte es in seinem Einzug.
“Und jetzt hörst du dir mal an, was ich dir zu sagen habe”, flötete die die grell geschminkte Frau dann.
“Nun, ich sagte schon…”
“Schöne Grüße vom schönen Udo aus dem Knast.”
Aldo runzelte die Stirn.
“Der schöne Udo? Ist das dein Zuhälter?”
“Der Schöne Udo sitzt jetzt im Knast. Das ist vielleicht eine Kacke! Und du bist Schuld daran.”
“Ich würde sagen, der Schöne Udo sitzt völlig zu Recht im Knast und bleibt da hoffentlich auch noch eine Weile. Der wollte mich nämlich umbringen, hat mir mit seinen Kerlen beim Joggen im Park Planten und Bloemen aufgelauert und dann seinen Kampfhund auf mich losgelassen, damit der mich zerfleischt. Ich würde sagen, das Urteil, das er dafür gekriegt hat, war noch ziemlich milde.”
“Du hast seinen Hund getötet, du Unmensch.”
“Hätte ich mich zerfleischen lassen sollen?”
“Der ist doch ganz lieb und tut nichts.”
“Den Eindruck hatte ich nicht.”
“Und davon abgesehen: Weißt du eigentlich, was du angerichtet hast? Weißt du, was es für mich bedeutet, dass der Schöne Udo jetzt im Knast seine Zeit abbrummen muss? Niemand hält mir den Rücken frei! Ich kann meine Arbeit nicht machen wie sonst und muss mich von allen möglichen blöden Ärschen dumm anpupen lassen, die sich das nie trauen würden, wenn der Schöne Udo auf freiem Fuß wäre. Nie!”
“Tut mir Leid für dich!”
“So einer wie du ist doch so ein rücksichtsloses Arschloch. Du erschießt den Hund und bringst einen hart arbeitenden Geschäftsmann in den Knast und ich habe es auszubaden! Jawohl, ich! Aber das kümmert solche Schnösel wie dich ja nicht!”
“Ich habe mein Leben verteidigt!”
“Ach komm mir nicht auf die Tour! Weißt du eigentlich, was du dem Schönen Udo damit angetan hast?”
“Ich soll ihm was angetan haben?”
“Weil du seinen Hund umgebracht hast!”
“Hör mal…”
“Der Schöne Udo ist nämlich sehr sensibel, weißt du. Und jetzt muss er einmal die Woche zum Knastpsychologen, weil er schlecht träumt. Und das ist erst so gekommen, seitdem sein Hund tot ist! Selbst wenn der jetzt rauskommt, das wird ein anderer Mensch sein. Ein gebrochener Mann.”
“Wäre schön, wenn er ein anderer geworden ist, wenn er rauskommt”, sagte Aldo. “Ich glaube, sowas nennt man Resozialisierung. Ich habe da allerdings wenig Hoffnung.”
“Du machst dir wirklich gar keinen Kopf, oder?” Sie schüttelte nur den Kopf und betrachtete Aldo Burmester mit einem Gesichtsausdruck, der ihre tiefe Abscheu zum Ausdruck brachte.
Aldo Burmester fragte dann:
“Bist du so doll geschminkt, um ein paar blaue Flecken zu verdecken?”
“Was?”
“Stimmt doch, oder?”
“Quatsch nicht herum!”
“Ich kenne mich mit blauen Flecken etwas aus.”
“Ach, so?”
“Ab und zu gerate ich mit üblen Typen aneinander und habe manchmal selbst ein paar.”
“Ach, du Ärmster!”
“Die blauen Flecken, die du verdeckst, müssten ungefähr so alt sein, dass sie noch vom Schönen Udo stammen könnten, als er noch auf freiem Fuß war.”
“Er hat einen manchmal etwas hart angepackt, aber tief in seinem Inneren, da ist er eine sensible Seele!”
“Und wenn der Schöne Udo rauskommt, dann wird er vermutlich dich als Erstes verprügeln, nicht wahr?”
“Du hast mein Leben zerstört, weißt du das?”
“Dir ist nicht zu helfen.”
“Wer sagt denn, dass du mir helfen sollst? Du verdammter Arsch!”
Sie schrie das so laut, dass sich jetzt alle in dem Lokal nach ihr umdrehen. Selbst die Musik verstummte und die Stripperin hörte mit ihrer Darbietung auf.
Alle starrten in ihre Richtung.
Ein Rausschmeißer kam.
“Gibt es irgendwelche Probleme?”
“Ich wollte gerade gehen”, sagte Aldo. “Ansonsten sollten Sie mal überprüfen, ob irgend etwas in dem Champagner drin ist, den Sie hier ausschenken. Der scheint nämlich schlechte Laune zu machen.”
*
Der Langenfelder Wasserfall brauste und toste. Die Gischtflocken wehten bis zu den Wanderern, die sich dicht hinter dem Geländer aneinanderdrängten. Zu gewaltig war dieses Schauspiel, denn es hatte in den letzten Wochen viel geregnet, so dass Unmengen von Wasser den hohen Hang in die Tiefe herunterstürzten.
Ingo Tabbert, ein bulliger Mittvierziger mit Stirnglatze, schaute unbehaglich drein.
In dem Getöse verstand man sein eigenes Wort nicht. Tabbert wartete auf Aldo Burmester, mit dem er sich hier verabredet hatte. Er sah einen hochgewachsenen, in eine Ölhaut gehüllten Mann auf ihn zukommen.
Das musste Aldo Burmester sein. Tabbert winkte ihm zu.
Da packten ihn die zwei neben ihm stehenden Männer im Genick und unter den Achseln. Mit einem Ruck, ehe Tabbert sich wehren konnte, warfen sie ihn übers Geländer.
Die Zuschauer standen vor Schreck wie gelähmt. Das ungeheure Getöse verschlang Tabberts Todesschrei glatt. Wie eine Puppe flog der große, kräftige Mann in den Dunst, der einem Schleier ähnelte. Todesangst krampfte Tabbert die Eingeweide zusammen.
Gegen die zurzeit tobenden Elemente war er total ohne Chance. Gepackt und herumgewirbelt, spürte er schmetternde Schläge und einen entsetzlichen, alles verschlingenden Schmerz, als ihn die Kraft des Wassers gegen die Felssteine knallte.
Dann war da nichts mehr. Tabberts zerschmetterte Leiche würde wohl irgendwo flussabwärts auftauchen.
Die Mörder schauten grinsend dorthin, wo ihr Opfer verschwunden war. Als ein Mann auf sie zutrat, zog der größere Killer eine 45er Colt Combat Commander.
Die Geste sagte mehr als alle Worte. Der im Affekt handelnde Zuschauer wich zurück.
Da griff Aldo Burmester ein. Aldo Burmester war zu spät erschienen, um den Mann zu retten, mit dem er sich treffen wollte. Doch seine Mörder wollte er nicht entkommen lassen.
Aldo feuerte einen Warnschuss über die Köpfe der Killer.
»Hände hoch!«, schrie er. »Waffen fallen lassen!«
Der Killer mit der Pistole feuerte sofort auf den noch auf der Treppe stehenden Privatdetektiv.
Aldo duckte sich. Die Kugel traf eine Stahlstrebe und jaulte als Querschläger davon.
Aldo konnte nicht zurückschießen, um die Wandergruppe am Geländer nicht zu gefährden. Die Menschen dort schrien auf und drängten sich schutzsuchend zusammen. Sie standen ohne Deckung über den brausenden Wassern. Flucht vor den Killern, von denen auch der zweite eine Schusswaffe gezogen hatte, war ihnen nicht möglich.
Der zweite Killer, ein stämmiger Bursche mit dunklem Teint und Nussknackerkinn, hielt eine abgesägte Mehrlader-Schrotflinte in seinen klobigen Fäusten.
Sein Kumpan war schmaler als er, blass und mit einer gezackten Narbe auf der linken Wange, wo ihm ein Konkurrent mal mit dem Stilett die Meinung ins Gesicht geschnitzt hatte.
Die Killer flohen zur anderen Seite des Wasserfalls hinüber, weg von dem Geländer. Aldo rannte mit federnden Sprüngen hinterher.
Er ließ die Menschengruppe zurück, die hier eine besondere, keineswegs schöne Attraktion erlebt hatte. Aldo hielt sich nicht auf.
Nach Tabbert brauchte er nicht mehr zu sehen. Sein potenzieller Auftraggeber hatte ein Begräbnis besonderer Art erhalten.
Die Killer erreichten das untere Ende des Wasserfalls. Der Aufpasser dort war geflohen. Er stand sowieso mehr zur Dekoration da. Auf schießwütige Killer war er nicht vorbereitet.
Aldo holte auf. Dann trieben ihn Schüsse zurück.
Der Privatdetektiv schlitterte auf dem feuchten Untergrund zurück und duckte sich. Die Killer, in vor Nässe glitzernde schwarze Umhänge gehüllt, Gestalten wie Totengräber, flankten über einen umgestürzten Baum.
Sie rannten an der Höllenmühle vorbei, die sich am unteren Ende des Wasserlauf befand, und flüchteten weiter.
Aldo schoss hinter ihnen her, diesmal gezielt. Doch die Entfernung war zu groß. Er traf nicht.
Über dem Wasserfall flogen Hubschrauber mit Touristen, die sich einen besonderen Blick auf die Sehenswürdigkeit gönnen wollten. Die Hubschrauberinsassen waren auf die Schießerei auf der oberhalb des Wasserfalls aufmerksam geworden. Die Polizei war bereits verständigt, dass ein Mord geschehen war und Männer bei den Fällen herumschossen.
Doch bis die Polizei eintraf, konnten die Killer längst über alle Berge sein. Sie liefen, als ihnen uniformierte Sicherheitsleute den Weg versperrten, durch den angrenzenden Wald und erreichten eine Lichtung, die sich unweit des nun reißenden Flusses befand.
Ein Hubschrauber donnerte nieder. Der Luftwirbel seiner Schraube zauste die Killer und ließ sie sich ducken. Doch nicht lange.
Die Riot-Gun des einen Mörders spukte Feuer und traf die Unterseite des Hubschraubers.
Funken sprühten, Öl spritzte aus einer durchlöcherten Versorgungsleitung.
Der Hubschrauberpilot besann sich, dass Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit sei, und drehte schleunigst ab.
Die Gangster wussten, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Doch sie legten die gelassene Ruhe ausgekochter Profis an den Tag. Auch als sie endlich den befestigten Weg neben dem reißenden Fluss erreichten. Sie waren die Herren und kontrollierten es mit Waffengewalt unbeschränkt. Die paar Leute, die sich dort aufhielten, verkrochen sich oder waren schon geflüchtet.
»Wo bleibt unser Boot?«, fragte der bleiche Killer mit dem Narbengesicht. Sein Blick flackerte unstet.
»Wird schon noch kommen«, antwortete sein stämmiger Komplize und umklammerte die schwere Coltpistole. Er spuckte aus. »Wer ist der Typ, der unserem Opfer zu Hilfe eilte? Der Große, der auf uns geschossen hat, und wo steckt er jetzt?«
»Frag mich was Leichteres, Dirk! Unser Auftraggeber hat mir die Hintergründe nicht verraten.« Der Stämmige blickte sich um und sah auf die Uhr.
»Jetzt würde es Zeit für die Abholung.« Da tauchte Aldo Burmester auf.
2.
Aldo hatte die den Seitenweg verlassen und war an einem schmalen Felsband über dem reißenden Wasser entlanggeklettert. Dabei hatte er auf dem glitschigen, nassen Band sein Leben riskiert.
Jetzt erschien er an einer Stelle, wo ihn die Killer nicht erwartet hatten, schob den Kopf über die Felskante und hob die Automatic.
»Flossen hoch!«, brüllte Aldo durch das immerwährende Getöse der Fälle.
Die Killer stutzten. Das Narbengesicht mit der Zuchthausfarbe schoss von der Hüfte aus mit der Riot-Gun. Die Schrote fegten über Aldo Burmester weg, und er schoss zurück und traf den Gangster in die Schulter.
Der Killer gab einen erstickten Laut von sich, taumelte zurück und ließ die Riot-Gun fallen. Aldo grinste. Doch zu früh. Als er den zweiten Gangster mit einem knapp am Kopf vorbeigefeuerten Schuss ermuntern wollte, die Pistole fallen zu lassen, versagte seine Automatic.
Die Nässe und Gischt wirkten sich negativ aus. Die Patrone zündete nicht.
Der stämmige Gangster erfasste die Sachlage, packte seine Kanone mit beiden Händen und schoss auf Aldo.
Um nicht erschossen zu werden, ließ Aldo sich von der Felskante hängen. Der Stämmige jagte die letzte Kugel aus dem Lauf und stürmte zur Kante vor.
Er lud nicht nach, sondern war fest entschlossen, Aldo zu einem tödlichen Absturz zu verhelfen.
Aldo steckte die im Moment nutzlose Pistole in die Tasche. Da war der Gangster schon da. Wie ein Berg ragte er auf, eine wuchtige dunkle Gestalt, und trampelte mit seinen Fallschirmspringerstiefeln auf Aldos Finger. Der Privatdetektiv sollte loslassen.
Er sah die verzerrte Fratze des Killers unter dessen Lederhut. Aldo glaubte, seine Finger würden zermalmt. Die der rechten Hand wurden taub und gefühllos.
Der Privatdetektiv packte den Gangster am Fußgelenk. Doch genauso gut, wie ihn umzuwerfen, hätte er versuchen können, ein bronzenes Denkmal vom Sockel zu stürzen.
Der Killer trat nach Aldos Gesicht. Der Privatdetektiv riss den Kopf weg. Da bückte der Gangster sich und schlug mit dem Pistolengriff auf Aldo Burmester ein.
Aldo schützte den Kopf mit dem Arm, so gut es ging. Er musste Hiebe einstecken.
»Willst du wohl loslassen, du Aas?«, keuchte der Gangster über ihm.
Aldo sah jede Pore in seinem Gesicht. Er würde es nie vergessen.
»Dirk, lass uns abhauen, das Boot ist da!«, hörte Aldo da ganz schwach.
Der von ihm angeschossene Komplize des Killers meldete sich. Doch der Stämmige war wild entschlossen, seinen Gegner zu killen. Sein Killerinstinkt und die mörderisch-rasende Wut gingen mit ihm durch.
Er beugte sich vor, während Aldo, den er schon für fast erledigt hielt, sich zusammenduckte.
Aldo sah seine Chance.
Wie eine Kralle schoss seine Rechte vor und packte den Killer am Kragen. Mit einem Ruck brachte er ihn aus dem ohnehin instabilen Gleichgewicht.
Der Gangster ließ die Pistole fallen, die er am Lauf festgehalten hatte. Er erkannte zu spät, dass er zu viel gewagt hatte. Jetzt fuchtelte er in der Luft herum, um sein Gleichgewicht zurückzuerhalten, was ihm jedoch nicht gelang. Er neigte sich vor.
Sein letzter Versuch, festen Stand zu erhalten, scheiterte.
Er stürzte über Aldo weg. Sein schwarzer Regenumhang flatterte grotesk. Der Gangster stürzte aufbrüllend in den reißenden Fluss.
Aldo sah ihn ins Wasser klatschen. Der Killer tauchte noch einmal auf. Er versuchte, zum Ufer zu schwimmen. Aber dazu war ein Mensch viel zu schwach. Das Wasser riss ihn mit. Mit letzter Kraft klammerte sich der Verzweifelte an einen Felsen, den die tosende Flut umspülte. Die Hilfeschreie des Gangsters waren nicht zu vernehmen.
Doch sein verzweifeltes Winken mit einer Hand sah Aldo deutlich. Obwohl es ein Mörder war, hätte Aldo ihn gerettet, wäre es ihm möglich gewesen. Doch dazu hatte er keine Chance.
Jetzt fuhr ein Boot um die Biegung und hielt, obwohl es riskant war, auf den Verbrecher zu.
Der Gangster krallte sich mit letzter Kraft an dem Felsen fest. Oben zog Aldo sich über die Felskante. Das Narbengesicht war verschwunden. Der Gangster musste in das Boot gestiegen sein, das ihn und seinen Kumpan abholen sollte.
Aldo Burmester schaute nach unten. Das Boot mit den Sicherheitsleuten wurde von seinem starken Außenborder-Motor auf der Stelle gehalten. Ein Uniformierter hielt das Steuer.
Sein Kollege warf dem an dem Felsen klebenden Killer einen Rettungsring an einer Leine zu. Der Rettungsring klatschte gegen den Felsen. Der Gangster war schon zu schwach und zudem zu klamm von dem eisigen Wasser, um ihn zu packen. Damit vergab er die letzte Chance.
Der Uniformierte zog den Rettungsring ein und holte zum zweiten Wurf aus. Doch der Gangster konnte sich nicht mehr halten. Die Kräfte verließen ihn. Irgendwann war damit Schluss, da nutzten auch Wille und Todesangst nichts.
Die starke Strömung zog den Gangster weg. Blitzschnell wurde er in den Schlund des reißendes Flusses gerissen und forderte an diesem Tag schon sein zweites Todesopfer.
Genau wie seinem Opfer Ingo Tabbert, so erging es jetzt dem Mörder Jonny. Gegen die Felsen geschleudert, über scharfe Felssteine gerissen, zermalmte und zermahlte ihn das Wasser mit Urgewalt.
3.
Die Sicherheitsleute fuhren mit dem Boot von der gefährlichen Stelle zurück. Der eine Beamten bekreuzigte sich. Das Gesicht des anderen war wie aus Stein gemeißelt.
Inzwischen rannte Aldo schon zu der Bootsanlegestelle, auf die ihn ein Tourist heftig winkend hinwies. Ein Motorboot mit dem narbengesichtigen Killer an Bord entfernte sich schon. Aldo konnte nicht mal hinterher schießen.
Er fluchte und winkte ein Touristenboot herbei, dessen Insassen für seine Begriffe viel zu langsam an Land stiegen. Der Bootsführer, ein grauhaariger, unwahrscheinlich ruhiger Mann, bestand darauf, weiter am Ruder zu bleiben.
»Die kriegen wir schon«, sagte er um seinen Priem herum. »Sie fahren den Fluss runter.«
Aldo war an Bord gesprungen. Der aufgetunte 320-PS-Außenborder des Boots brummte auf. Der Skipper nahm Kurs auf. Dazu gehörten ebenso stählerne Nerven wie große Erfahrung, dieses Gewässer zu befahren. Aldo vermied daran zu denken, was ihnen blühte, wenn etwa der Motor aussetzte.
Das Boot mit dem verletzten Killer und seinem Fluchthelfer an Bord war in der Gischt kaum zu sehen. Es hatte einen guten Vorsprung.
Aldos graubärtiger Skipper wich den Felszacken aus, die er mehr ahnte als sah.
Das Boot mit dem fliehenden Narbengesicht-Killer hatte das Ende des Höllenbachs fast erreicht. Da raste ein Polizeiboot aus dem Ellerbach, der in den Höllenbach übergeht, mit Blaulicht und Radarantenne auf dem Kajütdach. Der Motorkreuzer schnitt dem Gangsterboot den Weg ab.
Aldo jubelte. Der Killer war in der Klemme.
Doch der Jubel des Privatdetektivs verkehrte sich rasch in das Gegenteil. Der Narbengesichtige fuchtelte mit seiner Pistole und bedrohte seinen Skipper, einen langhaarigen jungen Mann. xxx
Dieser junge Hippie schüttelte heftig den Kopf, konnte sich aber nicht durchsetzen. Sein Fahrgast, den er nie an Bord genommen hätte, hätte er den weiteren Verlauf gekannt, zwang ihn, Vollgas zu geben.
Das Polizeiboot mit drei Uniformierten am Deck waren auf diese Aktion nicht gefasst. Das Boot schoss wie eine Rakete auf das Polizeiboot zu, so dass man schnell manövrierte, um einen Crash zu vermeiden. Doch nun folgte man den Flüchtenden – wenn auch nur zögernd.
In der Luft donnerte abermals ein Hubschrauber heran. Er hielt jedoch respektvollen Abstand, nachdem der erste Hubschrauber sich den Treffer mit der Riot-Gun eingefangen hatte.
Das Narbengesicht drohte mit einer 45er zu dem Bell-Copter hoch, dessen gischtbesprühte Plexiglaskanzel in der Sonne glitzerte. Der Gangster hielt sich trotz des Schulterschusses aufrecht. Er war notdürftig verbunden worden und zäh.
Das Boot mit dem Killer fuhr weiter den Fluss hinunter, der nun steiniger und flacher wurde. Wer sich hier nicht auskannte, musste damit rechnen, dass sein Boot kentert. Für zu schwere Wasserfahrzeuge war der Fluss hier nicht passierbar. Das Polizei-Kajütboot blieb nun zurück..
Aldo schrie seinem Skipper ins Ohr:
»Wir können den Lumpen doch nicht so einfach entkommen lassen, oder?«
Der Bootsführer schüttelte den Kopf. Er kniff die Augen zusammen und suchte sich seine Fahrrinne.
Längst hatte Aldo das verfolgte Boot aus den Augen verloren. Er klammerte sich am eisernen Handlauf fest. Gischt sprühte und schäumte über das Boot und seine Insassen wie eine voll aufgedrehte Dusche.
Das Getöse des reißenden Wasser war auch hier ohrenbetäubend.
Es stellte einen gewaltigen Unterschied dar, dieses Naturschauspiel als Betrachter zu genießen, oder unter Lebensgefahr durch einen reißenden Fluss zu fahren.
Aldo hatte Berichte gelesen, dass Verrückte sich sogar in hölzernen Tonnen auf derartige Flüsse gewagt hatten und es überlebt hätten, jedenfalls einige davon.
Dem Privatdetektiv reichte die Bootsfahrt. Alles hing davon ab, ob der Skipper die richtige Route erwischt hatte oder nicht. Aldo hatte den Eindruck, die Fahrt würde Ewigkeiten dauern.
Das Brausen und Tosen wollte nicht enden. Abwärts ging es in sausender Fahrt. Aldo fielen seine sämtlichen Todsünden ein. Er biss die Zähne zusammen und erwartete jeden Moment, dass das Motorboot entweder kentern oder voll gegen einen Felsen krachen und zerschmettern würde.
Doch dann endete diese Höllenfahrt doch. Heftig schwankend fuhr das Boot durch Strudel und Neere, zu denen Aldo erschüttert schaute.
Er konnte es sich kaum vorstellen, von dort oben hinuntergefahren zu sein.
Der Skipper schrie etwas, das Aldo nicht verstand. Weit voraus trieb das verfolgte Boot. Es war schon aus dem Bereich des aufgewühlten Wassers heraus. Es musste einen Motorschaden oder eine sonstige Panne haben.
Aldo winkte seinem Skipper zu, dem manövrierunfähigen Kahn zu folgen. Jetzt rechnete er sich die beste Chance aus, den Killer zu fassen, der gehetzt zu ihm zurückschaute.
Der 320-PS-Motor des Außenborders brummte auf. Das Boot schoss durch die Wellen. Der Killer schien keine Chance mehr zu haben.
Doch da schwebte ein sechssitziger Hughes-Cayuse-Hubschrauber von Norden hinzu. Noch ehe Aldo etwas dagegen unternehmen konnte, verharrte der Hubschrauber knapp über dem Boot mit dem Killer. Im Cockpit des Hughes-Copters saßen zwei Männer mit Helm und Schal vor der unteren Gesichtshälfte.
Der Copilot ließ eine Strickleiter herunter. Der narbengesichtige Killer war eisenhart. Er feuerte auf Aldo und das Verfolgerboot. Die Schüsse krachten leise durch die Geräuschkulisse des Wassers.
Dann stieg der Killer die Leiter hoch, mühsam und mit zusammengebissenen Zähnen, doch trotz seiner Verwundung recht schnell. Aldos Skipper drehte das Gas auf, dass der Außenborder aufheulte und das Bootsheck sich hoch aus dem Wasser hob.
Doch es war zu spät, den Fliehenden noch zu fassen. Er verschwand in der Kabine. Die Tür klappte hinter ihm zu.
Der Cayuse stieg in den blauen Himmel und drehte in Richtung Norden ab. Aldo konnte nur hinterher fluchen und hoffen, die Polizei oder eine andere Einheit würden den Fluchthubschrauber erwischen.
Er selber konnte es nicht.
Der Skipper fuhr zu dem havarierten Fluchtboot des Killers. Der langhaarige Bootsführer reckte die Hände so hoch wie er konnte.
»Ich konnte nichts dazu«, versicherte er. »Er hat mich gezwungen.«
»Klar doch«, erwiderte Aldo. »Besonders, ihn von dort oben abzuholen.«
»Die beiden Männer bestellten mich dorthin. Ich dachte, es handelt sich um den Sonderwunsch von zwei spleenigen Kerlen. Wie sollte ich denn wissen, dass so was dahintersteckt?«
»Erzähl das der Polizei«, antwortete Aldo. »Wie hießen die beiden Männer, die du abholen solltest?«
Der Langhaarige kannte von dem einen nur den schönen Decknamen Müller.
Aldos Skipper nahm das Fluchtboot, dessen Schraube an einem Felsen abgerissen war, ins Schlepp. Er fuhr damit weiter flussabwärts. Den reißenden Höllenbach hoch konnte er ganz gewiss nicht mehr.
Aldo war ins Boot des Langhaarigen hinübergestiegen, der für ihn keine Bedrohung darstellte. Von ihm konnte Aldo nichts mehr erfahren. Der Privatdetektiv hatte sich nach der Höllenfahrt wieder beruhigt. Er saß am Heck auf der Bank, die Automatic im Schoss, und schaute dem Langhaarigen im Ölzeug zu, der das Ruder bewegte. Das war auch im Schlepp notwendig.
In Oldendorf erwartete eine ganze Rotte von Polizisten und Kommissare verschiedener Polizeieinheiten die beiden Boote.
Von der Polizei erfuhr Aldo, dass das Narbengesicht mit dem Cayuse-Helikopter entkommen war.
»Haben Sie eine Ahnung, was hinter der Sache steckt?«, fragte ein Polizeimeister Aldo Burmester.
»Noch nicht. Aber das werde ich bald«, lautete die Antwort.
4.
Nachdem er verhört worden war, fuhr Aldo mit seinem Wagen nach Hamburg zurück. Dort hatte der Fall mit einem Anruf Ingo Tabberts begonnen, der Aldo dringend zu dem Langenfelder Wasserfall bestellte.
Das war erst am Vormittag geschehen. Aldo hatte sich abhetzen müssen, um den Termin einzuhalten. Er war ziemlich sauer auf Tabbert gewesen und hatte schon geglaubt, er wäre einem Spinner aufgesessen.
Der 326-PS-Achtzylindermotor sprang sofort an und lief rund. Während er Richtung Norden die A2 und dann die A7 befuhr, dachte er über Tabbert nach, warum er sich unbedingt mit Aldo dort am Wasserfall treffen wollte.
Es war kurz nach 23 Uhr in einer milden Mainacht, die sich sogar in Hamburg auswirkte und der sonst harten Stadt Ecken und Kanten nahm.
Reger Verkehr herrschte auch um die Zeit noch. Auf den Bürgersteigen flanierten an diesem Wochenende bildhübsche Mädchen, die viel vorzeigten, mit ihren Begleitern, und waren Cliquen unterwegs. Leider nicht nur harmlose Personen.
Zahllose Lichter strahlten.
Aldo fuhr in die Tiefgarage des Gebäudes, in dem sich sein Büro als auch sein Apartment befand. Der champagnerfarbene, schnittige Roadster wirkte im Neonlicht unwirklich schön.
In seinem Büro erwartete Jana Marschmann, Aldos ebenso hübsche wie tüchtige Assistentin, ihn. Im weißen Ledermini, mit frecher Frisur und einer modischen Sonnenbrille war Jana ein Magnet für Männerblicke.
Aldo fragte Jana nach ihren Ergebnissen in Sachen Ingo Tabbert.
Jana wusste schon aus den Nachrichten, was bei dem Langenfelder Wasserfall geschehen war.
»Tabbert gehörte zum engsten Mitarbeiterstab von Josef Schein«, berichtete Jana.
Sie lehnte sich in ihrem bequemen Schreibtischsessel zurück.
»Des Fernsehpredigers?«, fragte Aldo.
Jana nickte. Sie nannte ihrem Chef die Daten von Tabbert: Absolvent der Hamburger Uni und Public-Relations- und Bilanzbuchhaltungsfachmann, eine eher seltene Kombination. Zweiundvierzig Jahre alt, geschieden, in geordneten Verhältnissen lebend, nicht vorbestraft, keine Leidenschaften und Laster bekannt.
»Tabbert hat nicht mal falsch geparkt, wette ich, so ordentlich war er«, meldete Jana Marschmann. »Er hatte keinerlei Feinde.«
»Das kann nicht stimmen. Sonst wäre er nämlich nicht umgebracht worden.«
»Stimmt, Chef.«
»Gibt es Verwandte, Freunde, Bekannte?«
»Da wäre zuerst seine Nichte Denise Tabbert, fünfundzwanzig, die ebenfalls für die Erweckung-Freikirche von Schein arbeitet. Und zwar als Buchhalterin. Du weißt sicher, dass die Kirche ihren Hauptsitz in Hamburg hat und nachgewiesenermaßen eine riesige Glaubensgemeinde umfasst.«
»Wie schön für Schein. Hatte Tabbert vielleicht Schulden? Oder teure und aufwendige Hobbys?«
»Schulden? Niemals. Das wäre für ihn eine Sünde gewesen. Er galt als ausgesprochen religiös und gehörte zu einem Bibelforschungskreis, was ich aber kein Hobby nennen würde.«
»Jedenfalls ist es kein teures, es sei denn, dass er sich grundsätzlich nur jahrtausendealte Urschriftrollen gekauft hat.«
Aldo überlegte, was Tabbert ihm hatte sagen wollen und weshalb er von Profikillern umgebracht worden war. Der aufwendige, ausgeklügelte Fluchtplan der Mörder gab Aldo ebenfalls zu denken. Der Stämmige und das Narbengesicht waren keine kleinen Nummern.
Wer sie bezahlte und einsetzte, musste schwerwiegende Gründe haben.
In seinem Büro nahm Aldo noch einen Drink mit Jana, während er die Post überflog und den Anrufbeantworter abhörte.
Jana schaltete den Fernseher ein und flippte mit der Fernbedienung auf einen bestimmten Kanal.
»Da tritt Schein jetzt auf«, sagte sie. »Er hat seine Mitternacht-Erweckungsstunde.«
»Da würde es langsam Zeit, erweckt zu werden«, brummte Aldo. »Andere Leute stehen um halb sechs Uhr früh auf. Mit diesem Schein werde ich demnächst mal ein paar Takte reden.«
Aldo sah den weiß gekleideten Prediger auf dem Bildschirm. Schein lächelte milde und war aufgekratzt wie drei gedopte Rennpferde zusammen. Er lief in seinem Studiobethaus vor seinen dort versammelten Anhängern hin und her, presste die Hand aufs Herz und schaute des Öfteren hoch zum Himmel, respektive der Studiodecke.
Aldo studierte Scheins Gestik und sein Auftreten, wozu er kurzfristig den Ton abstellte.
»In der zweiten Reihe links, die bildschöne Brünette in dem Sommerkleid ist übrigens Denise Tabbert, Ingo Tabberts Nichte«, teilte Jana Aldo Burmester mit. »Ich erkenne sie nach einem Foto, das ich von ihr gesehen habe.«
Aldo schaute zu der zwischen anderen Gläubigen Sitzenden.
Denise Tabbert war mittelgroß, schlank und so schön, dass es ihm den Atem verschlug.
Aldo wäre noch viel mehr von den Socken gewesen, hätte er gewusst, dass sich in der Studio-Kapelle gegenüber vom dem Bürogebäude ein Attentäter aufhielt.
Er hatte es auf Josef Schein abgesehen.
5.
Die Kapelle befand sich im 8. Stock eines Hochhauses, in dem Studios und zwei Sender untergebracht waren. Ein Sender gehörte der Erweckung-Freikirche. Mit modernsten Mitteln ausgestattet, war die Kapelle ein technisches Wunderwerk. Das scheinbar betont schlichte Interieur hatte Schein selbst mit einem Stab von Innenarchitekten entworfen.
Verschiedene Kameras konnten jede Bewegung verfolgen und die Totale genauso wie Groß- und Zoomaufnahmen bringen. Die Orgelmusik war genauso elektronisch gesteuert, wie die versenkbare Bühne und der auswechselbare Altar.
Im Regieraum, den die in der Kapelle Versammelten nicht sahen, und am Mischpult hatten der Regisseur sowie Tonmeister und Beleuchter jeweils ein Stück Arbeit.
Die Elektronik musste überwacht werden. Schein duldete keine Pannen.
Schein wurde in einem Atemzug mit Evangelisten wie Billy Graham, Jerry Falwell, Oral Roberts und anderen genannt. Er war um die Fünfzig, hochgewachsen und hatte nicht zu langes, an den Schläfen ergrautes Blondhaar.
Mitreißend predigte er seiner Gemeinde: »Nicht ich bin der Star der Erweckungsstunde, Gott ist es, wie schon in Ewigkeit. Ich bin nur sein Werkzeug. Durch Seine Kraft und in Seinem Auftrag spreche ich zu euch. Mein höchstes Ziel ist es, Seinen Willen immer recht zu erkennen und auszulegen. – In diesem Land leben viele in Sünde. Die Dämonen der Drogensucht, der krassen Geldgier, der Hurerei und Völlerei! sind stärker denn je. In einer Hemmungslosigkeit sondergleichen taumelt unser Land einem Abgrund entgegen, in dem Satan lauert – die alte Schlange.«
Schein ging in die Knie und streckte abwehrend, mit verstörtem Gesicht, die Hände vor.
»Gibt es überhaupt noch eine Rettung vor den immensen Gefahren, die nicht nur Deutschland, nein, die auch die ganze Welt bedrohen?«
Schein betonte jedes Wort überdeutlich. Er lieferte seiner in zahllosen Haushalten vor dem Bildschirm sitzenden Gemeinde eine perfekte Show, damit sie nicht von ihm weg zu einem Spätfilm umschaltete, oder der x-ten Wiederholung von »Rauchende Colts«.
»Gibt es noch Rettung, ehe Satan die Welt endgültig übernimmt?«, fragte Schein abermals flüsternd, was jedoch durch Hochleistungsmikrophone selbst in den letzten Winkel noch übertragen wurde.
Die Mitglieder der Erweckung-Freikirche gingen gespannt mit und hingen an seinen Lippen. Sie wiederholten die Frage ihres Oberhaupts. Gleichzeitig verdüsterte sich das vorher helle Licht in der Kapelle. Dunkelheit umfing den in goldenem Schein strahlenden Altar mit dem Gekreuzigten, vor dem Schein stand.
»Es gibt sie!«, rief er mit Donnerstimme. »Gott ist die Rettung! Ihr seid die Rettung. Glaube und Gebet sind es, und der Strom der Spenden und Liebesgaben von euch draußen vorm Bildschirm, die ihr den rechten Weg sucht. Hier auf Kanal 23 der Erweckung-Freikirche wird er euch gezeigt. Hier ist das Tor zum Heil! Hier ist der schmale und steinige Pfad, der zur Erlösung führt, während draußen die Straßen und U-Bahnen die Hölle sind!«
Scheins Publikum brauchte solche Töne. Marktanalysen hatten es bewiesen.
Die elektronische Orgel brauste auf. Der Altar strahlte in grellem Licht, das wie Lanzen ins Dunkel stach.
Wer genau hinschaute, konnte flatternde Schatten unterm Kapellendach und aus den Winkeln weichen sehen. Das war keine Täuschung, sondern ein Hollywood-Trickeffekt.
Schein steppte umher, während der Halleluja-Chor aufbrauste und es die Studiogemeinde nicht mehr auf den Sitzen hielt.
»Bevor ich mit den Heilungen und Fürbitten beginne, verlese ich eine Grußbotschaft unseres Präsidenten«, verkündete der Prediger schließlich.
Es handelte sich um ein paar Zeilen von dem Büro für Öffentlichkeitsarbeit, das die patriotischen Bemühungen der Erweckung-Freikirche anerkannte. Sie waren eher hölzern und so abgefasst, dass sie nicht zu viel aussagen sollten.
Schein trug sie mit Donnerstimme und einer Gestik vor, die den Effekt umkehrte, und schloss gleich ein Gebet für die politischen Führer des Landes an.
Danach verlas er ein Schreiben einer Frau Laura Kalkbrenner aus Bremen. Darin bedankte sie sich herzlich bei Schein für die Linderung und, wie sie optimistisch glaubte, in Kürze bevorstehende völlige Heilung ihres Rheumas.
»Beim letzten Auftritt der begnadeten Wunderheilerin Dolly Tyron in Ihrer Gebetsstunde legte ich die Hand auf den Bildschirm, wie es Frau Tyron verlangte, sprach ihr nach und glaubte ganz fest«, las Schein. »Da spürte ich eine unerklärliche Kraft, die über die Fernsehwellen auf mich überströmte, war im Nu schmerzfrei und fühlte mich so wohl wie schon seit Jahren nicht mehr. Seitdem haben sich meine Beschwerden so wesentlich gebessert, dass die Kapazitäten, bei denen ich in Behandlung bin, staunen. Ich bedanke mich vielmals, werde weiterhin regelmäßig am Bildschirmgottesdienst teilnehmen und sende anbei eine Spende in Höhe von tausend Mark fürs Konto der Erweckung-Freikirche zur Verbreitung der Heilsbotschaft. – Eure Schwester im Herrn.«
Der volle Name folgte.
Schein tönte: »Ist das nicht wunderbar? Schwester Laura in Bremen, wir grüßen dich ganz, ganz herzlich und schließen dich heute Abend extra in unser Gebet ein. – Doch jetzt zu den anderen Mühseligen und Beladenen. Kommet zu mir, ich will euch erquicken, spricht der Herr.«
Im Kontrollraum außerhalb der Kapelle zündete sich der Feature-Regisseur eine Zigarette an.
»Big C ist wieder ganz groß in Form«, sagte er und blies den Rauch durch die Nasenlöcher. »Demnächst wird er noch barfuß über die Elbe gehen.«
»Sei nicht so zynisch, Klaus«, widersprach die Regieassistentin. »Ohne ihn hätten wir keine Arbeitsstelle. Der Prediger hat uns von der Straße weggeholt und errettet. Wo wären wir ohne ihn?«
»Er zahlt ver... elend schlecht. Dafür, dass wir einmal gestrauchelt sind und froh sein mussten, einen Job zu erhalten, nutzt er uns ganz schön aus. Christlich finde ich das nun nicht.«
Dem Regisseur war im letzten Moment eingefallen, dass er nicht fluchen durfte. Dazu, wie auch zu anderen Auflagen, mussten sich Scheins Mitarbeiter jeweils schriftlich verpflichten. Ein wiederholter Verstoß zog die Entlassung nach sich, nachdem eine Anprangerung des Übeltäters am Schwarzen Brett der Gemeinde und danach eine öffentliche Rüge erfolgt war.
Der Regisseur war groß und dürr, seine Assistentin eine kleine Farbige in einem braven Sommerkleid. »Big C« oder »der Prediger« lauteten die internen Namen für Josef Schein.
Die beiden beobachteten den Fortgang des Erweckungsgottesdienstes auf dem Bildschirm. Auf den Monitoren konnten sie jeden einzelnen Besucher des Gottesdienstes sehen.
Der zynische Regisseur Klaus, ein ehemaliger Alkoholiker und Spieler, der auch heute noch seine Probleme damit hatte, schüttelte den Kopf.
»Das ist wieder mal eine Sammlung, Roxanne. Schau dir den mal an!«
Per Knopfdruck zoomte er einen spitzbärtigen jungen Mann in einer speckigen Jacke mit Pelzkragen auf den Bildschirm. Im Gesicht jenes Mannes zuckte es heftig. Er wiegte den Oberkörper hin und her.
»Ein Junkie«, sagte der Feature-Regisseur.
»Ich bin auch süchtig gewesen«, wandte die Assistentin ein. »Ich habe Heroin gespritzt und Crack geraucht und bin dafür sogar auf den Strich gegangen. Wenn der Prediger sich nicht um mich gekümmert hätte, wäre ich zugrunde gegangen. – Halleluja.«
»Die Wohlfahrt hat sich um dich gekümmert, und du hattest eine staatliche Entzugstherapie. Danach hat Schein dich eingestellt, weil er dich gebrauchen konnte, Mädchen. Genauso war es bei mir auch.«
»Du darfst nicht so schlecht von ihm sprechen. Geld ist nicht alles.«
»Stimmt. Außerdem gibt es noch Aktien, Obligationen und sonstige Wertpapiere, Edelmetalle und Immobilien. Davon scheffelt Schein ganz ordentlich.«
»Schäme dich! Wir tun hier das Werk des Herrn. Gott wird es uns vergelten.«
Der Regisseur verkniff sich die Rückmeldung, dass der Gotteslohn eine wohlfeile Währung sei. Zudem inflationssicher. Bloß im Geschäftsleben schlecht umzusetzen. Er beklagte, dass Scheins Gesundbeterei bei hartgesottenen Junkies wenig bis nichts nützte.
Die Regieassistentin Roxanne widersprach ihm heftig. Während des Disputs überwachten die beiden Scheins perfekt inszenierten Showgottesdienst. Manchmal mussten sie individuelle Umschaltungen vornehmen, damit der Bildschirmgemeinde möglichst viel geboten wurde.
»Gott hat die Kraft, jeden zu erlösen, auch einen Süchtigen«, sagte Roxanne. »Das siehst du an mir.«
Der Regisseur seufzte. Er sagte nichts mehr. Damit hätte er höchstens seinen Job gefährdet und sich Probleme bereitet.
Inzwischen war in der Kapelle eine pummlige Schwarzhaarige vor Schein hingetreten. Sie warf sich vor ihm auf die Knie und umschlang seine Beine mit den Händen.
»Bruder Josef, die Dämonen der Wollust suchen mich heim. Rette mich, oder ich bin verloren! Jedes Mal, wenn ich einen attraktiven Mann sehe, überkommt es mich. Ich kann nicht dagegen ankommen. In schmierigen Motelzimmern, auf Autorücksitzen und sogar unter freiem Himmel habe ich mich meinen Liebhabern hingegeben, obwohl ich einen guten und treuen Mann zu Hause habe, der mir jeden Wunsch von den Augen abliest, und drei kleine Kinder.«
Die Mitglieder der Studiogemeinde beugten sich vor, um ja nichts zu verpassen. Auch die Bildschirmgemeinde horchte auf. Dieses Bekenntnis erregte Aufsehen.
Der Prediger legte der schluchzenden Schwarzhaarigen die Hand auf den Kopf.
»Ich will für dich beten, Schwester. Wir alle wollen für dich beten. Bereust du dein Tun? Willst du dich wirklich ändern?«
»Ja, Bruder Josef, von ganzem Herzen. Aber ich kann nicht gegen diese Veranlagung ankommen.«
Schein kniete mit der Nymphomanin vor dem Altar nieder. Er betete laut. Die Gemeinde fiel ein. Dann umarmte und küsste der Prediger die schwarzlockige Frau und half ihr, sich von den Knien zu erheben.
»Sei getrost! Gott wird dir die Kraft geben, wenn du es wirklich willst und ihn darum bittest. – Halleluja.«
Ein Arzt würde sagen, der Nächste bitte, ging es dem Regisseur durch den Kopf. Er gähnte hinter der vorgehaltenen Hand, während seine Assistentin das Geschehen in dem halbdunklen Kontrollraum gespannt verfolgte. Die Schwarzhaarige kehrte hoch erhobenen Hauptes, wenn auch mit verheulten Augen, auf ihren Platz auf der Kirchenbank zurück.
Sie hatte im Mittelpunkt des Interesses gestanden und war stolz darauf. Schein hatte sich bei seiner Fürbitte ein Hintertürchen offen gelassen. Wenn die mannstolle Frau ihren Trieb auch weiter nicht bändigen konnte, konnte der Prediger jederzeit angeben, ihr sei es mit der Bekehrung nicht ernst gewesen. Dafür konnte ihn keiner belangen. Er brauchte keine Erfolgsgarantie zu geben.
Eine Reihe von weiteren Bekennern, die sich von Schein Hilfe erhofften, war angetreten. Zu ihr gehörte auch der spitzbärtige junge Mann in der für den vollklimatisierten Raum viel zu warmen Jacke.
Er stand weiter hinten in der Reihe. Mit stieren Augen schaute er den Prediger im weißen Anzug an, der seinen betont verklärten Gesichtsausdruck zeigte und wie von hunderttausend Volt Energie gespeist auftrat.
Schein beschimpfte den Satan, lobte Gott, umarmte die Hilfesuchenden und hatte für jeden das rechte Wort, jedenfalls nach seinem Dafürhalten. Er war der Nachfolger der Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts, die Zeltgottesdienste veranstalteten oder unter freiem Himmel predigend durchs Land gezogen waren. Nur dass Schein heute ganz andere Möglichkeiten hatte.
Im Kontrollraum erwähnte die Assistentin, die noch immer über den Spott des Regisseurs verstimmt war, dass der Betrieb des Senders eine Menge Geld verschlang. Dazu kamen Scheins Missionsreisen mit Hallengottesdiensten in großen Städten Deutschlands.
Selbstverständlich wurden diese Veranstaltungen, zu denen Schein mit einem Gulfstream-Privatjet anreiste, im Fernsehen übertragen.
»Dafür braucht er das viele Geld, und für wohltätige Zwecke.«
Der Regisseur schwieg. In der Kapelle war jetzt der spitzbärtige Junkie an der Reihe. Schein trat zu dem Zitternden, der aussah, als ob ihn ein Windstoß umpusten könnte. Er schaute ihm in die Augen.
»Ich sehe, was du für ein Problem hast. Der Dämon der Drogensucht zerfleischt deine arme Seele. Er hat dich geknechtet. Doch Jesus Christus ist stärker. – Knie nieder und bete mit mir, Bruder!«
Der Junkie zögerte.
»Was ist, Bruder?«, mahnte ihn Schein sanft.
Plötzlich riss der junge Mann einen 32er Revolver aus der Jackentasche. Er richtete ihn auf Schein. Der Prediger wich zurück.
»Ich handle im Namen des Satans!«, fauchte der Junkie mit verzerrter, grollender Stimme. »Du sollst ihm nicht länger Seelen entreißen, die ihm gehören. – Stirb!«
Ein Aufschrei gellte durch die Studiogemeinde. Ehe jemand eingreifen konnte, krachten die Schüsse. Schein griff sich an die Brust, wankte und brach zusammen.
Der Junkie rannte vor zum Altar und lachte irr.
Da stürzten zwei bullig gebaute Bodyguards des Predigers aus einer seitlichen Tür. Mit brutalen Schlägen streckten sie den Revolverschützen nieder und entrissen ihm seine Waffe.
Die Studiokapelle verwandelte sich in ein Tollhaus. Scheins Gläubige jammerten und schrien, rauften sich die Haare und drängten vor zu ihrem gefallenen Idol.
Auch die Zuschauer vor den Bildschirmen zu Hause riss es von den Stühlen. Selbst Aldo Burmester und Jana Marschmann waren geschockt.
Im Kontrollraum schaltete der Regisseur rasch auf einen Bibelstellenspot um. Ihm sollte die Aufzeichnung von einer Gebetsstunde folgen. Die Live-Übertragung war unterbrochen.
»Er ist tot! Sie haben ihn erschossen wie Martin Luther King und Robert Kennedy!«, rief die Regieassistentin Roxanne fassungslos.
Doch da geschah wieder etwas Unvorhergesehenes. Mittlerweile drei Leibwächter schützten den wehrlos in ihrem Griff hängenden Attentäter vor aufgebrachten Gläubigen der Erweckung-Freikirche.
Ein Arzt beugte sich über den Fernsehprediger, der auf dem Rücken lag und zwischen dessen Fingern Blut hervorsickerte.
Frauen und Männer von Scheins Gemeinde schluchzten fassungslos und erschüttert. Da bewegte sich Schein. Die Umstehenden glaubten zunächst, es würde sich um letzte Zuckungen bei ihm handeln. Doch das war nicht der Fall.
Der Fernsehprediger erhob sich, unsicher zuerst. Er schüttelte den Kopf, um seine Benommenheit loszuwerden, und stand dann fest und sicher. Atemlose Stille breitete sich aus.
Alle wichen vor Schein zurück, an dessen Anzug Blutflecken zu sehen waren.
»Der Herr hat mich errettet!«, verkündete der Fernsehprediger theatralisch. Er ging zu dem Attentäter und umarmte ihn. »Ich verzeihe dir, Bruder. Du wusstest nicht, was du tust.«
Jetzt erst erwachte der Regisseur im Kontrollraum aus seiner Erstarrung.
Überzeugt, dass sich ihm hier eine einmalige Chance bot, sich zu profilieren, schaltete er abermals um.
Die Kameras hatten jedes Detail von Scheins Wiederauferstehung gefilmt. Der Regisseur brachte die Szenen, wobei er mit zitternden Fingern sein Handwerk erledigte. Er sendete die erregenden Szenen nach und schaltete dann wieder auf Liveübertragung um.
Der jetzt folgende Hexenkessel in der Studiokapelle war noch wüster als der vorherige. Schein hatte Mühe, Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen.
Schein stellte sich in seinem blutbefleckten Anzug mit erhobenen, ausgebreiteten Händen hin.
»Der Herr hat mich errettet!«, verkündete er. »Die Kugeln des Attentäters ritzten mir nur die Haut. Lasset uns danken! Dies ist ein klarer Beweis, dass meine Mission auf dieser Welt noch nicht erfüllt ist, und dass der, der mich führt, stärker ist als der Satan.«
»Ein Wunder!«, riefen Gemeindemitglieder Scheins. »Ein wahres, ein großes Wunder!«
6.
Aldo Burmester sah das in seiner Detektei völlig anders. Der Privatdetektiv boxte mit der Rechten in die offene linke Handfläche.
»Das gibt es nicht!«, rief er. »Der Schütze hat so dicht vor ihm gestanden, dass ihm das Mündungsfeuer den Anzug versengte. Auf die Entfernung kann niemand vorbeischießen. Schein trägt eine kugelsichere Weste.«
»Aber er blutet doch«, wandte Jana Marschmann ein.
»Wer weiß, ob das sein Blut ist.«
»Aber welchen Zweck sollte ein solches Betrugsmanöver haben?«
»Frag mich was Leichteres, Jana! Es muss auf jeden Fall mit dem Mord an Tabbert zusammenhängen. Ich fahre gleich zu dem Sender und sehe dort nach. Du kannst nach Hause fahren.«
»Kommt nicht in die Tüte, Chef! Ich halte hier die Stellung. Verständige mich, wenn es Neuigkeiten gibt!«
Kurz darauf stoppte Aldo mit seinem 500 SL gegenüber vom Bürogebäude.
Hier war ein Auflauf im Gang. Das Attentat auf Josef Schein hatte so viele Sensationslüsterne und Neugierige auf den Plan gerufen, dass die Polizei das Hochhaus mit den vier Etagen der Erweckung-Freikirche absperren musste.
Aldo sah seinen alten Freund und Kampfgenossen Kriminalhauptkommissar Dankwers mit seiner Mordkommission vorfahren und in der Tiefgarage verschwinden. Zwar hatte kein Mord stattgefunden, sondern nur ein Mordanschlag. Trotzdem fiel das in dem Fall in Sven Dankwers' Zuständigkeit.
Aldo berief sich bei den Beamten an der Sperrkette auf seine Bekanntschaft mit Kriminalhauptkommissar Dankwers. Nachdem ein Polizist über Funk rückgefragt hatte, durfte der Privatdetektiv die Sperrkette passieren.
Seinen Mercedes ließ Aldo in der Tiefgarage auf einem Besucherparkplatz. Er klopfte dem noch sehr neuen Superschlitten beim Aussteigen automatisch auf die Kühlerhaube.
Der Lift beförderte Aldo Burmester in die 8. Etage, wo sich Scheins Gemeinde mit Danksagungen für die Errettung ihres Oberhaupts vor den Mörderkugeln nicht genug tun konnte. Aldo hatte keine Gelegenheit, Josef Schein zu sprechen, der für den nächsten Tag eine Pressekonferenz ankündigte und sich über seinen Sender ausführlich zu dem Attentat äußern wollte.
Stattdessen gelangte Aldo zu seinem alten Freund Kriminalhauptkommissar Dankwers. Der stiernackige Leiter der Mordkommission Hamburg-Mitte hatte nur ganz wenig Zeit.
»Der Attentäter ist ein Junkie namens Martin Pankratz, der schon mehrmals in der Nervenklinik war und nicht mehr ganz richtig im Kopf ist durch seinen Drogenmissbrauch. Er behauptet, eine innere Stimme hätte ihn zu dem Attentat angestiftet, nämlich die des Teufels.«
»Er macht also auf unzurechnungsfähig?«, bemerkte Aldo.
Dankwers zuckte die Achseln.
»Ob er simuliert oder nicht, müssen die Fachärzte feststellen. Was kann ich sonst noch für dich tun?«
»Gibt es irgendwelche Hinweise für unlautere Machenschaften innerhalb der Erweckung-Freikirche?«
»Das hat mich deine Mitarbeiterin Jana Marschmann heute auch schon gefragt. Ich kann dir nur das Gleiche antworten wie ihr: Mir ist nichts bekannt.«
»Welche Verletzungen hat Schein?«
»Keine Ahnung. Er hat nicht mal den Polizeiarzt an sich herangelassen, sondern nur seinen eigenen Doktor. Der sagt, er hätte Streifschüsse.«
Damit entschuldigte sich Sven Dankwers und lief aus dem Zimmer in der 8. Etage. Aldo schaute sich weiter um und begegnete Mitgliedern der Erweckung-Freikirche und Polizisten und Kommissare. Bei der Erweckungsfreikirche herrschte eine aufgekratzte Stimmung, die ihre Mitglieder so schnell nicht zur Ruhe kommen ließ.
Dann sah Aldo in einem Versammlungsraum ein bekanntes Gesicht: Denise Tabbert, die Jana ihm auf dem Bildschirm gezeigt hatte. Aldo trat in dem allgemeinen Betrieb und Gedränge an die bildschöne Brünette heran. Er zeigte ihr seine Detektivlizenz.
»Ich wollte heute Vormittag Ihren Onkel Ingo bei dem Langenfelder Wasserfall treffen. Sie wissen schon, was mit ihm passiert ist?«
Denise Tabberts trauriger Blick sagte Aldo alles.
»Ja.«
Aldo fragte sie, ob sie die überfüllte Cafeteria nicht verlassen könnten.
Denise – mit weißer Jacke, durchgeknöpftem, dazu passendem Rock und wenig Schminke und Schmuck – führte den Privatdetektiv in ein Büro.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich frage mich, weshalb Ihr Onkel ermordet wurde. Er war ein leitender Mitarbeiter von Josef Schein, auf den heute ebenfalls ein Mordanschlag verübt worden ist. Ob das ein Zufall ist?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Die Erweckungsfreikirche hat jedenfalls nichts zu verbergen. Jedenfalls was finanzielle Dinge betrifft. Ich muss es wissen, denn ich bin die Buchhalterin.«
»Welche Meinung haben Sie von Josef Schein als Mensch?«
»Für mich ist er ein Heiliger«, antwortete die schöne Denise enthusiastisch. »Er geht auf im Wirken für andere Menschen. Dabei opfert er sich auf. Es gibt nichts Schöneres für ihn, als anderen zu helfen und dabei das Wort Gottes zu verkünden. Hätte er früher gelebt, wäre er ein großer Heidenmissionar geworden.«
»Heiden gibt es heute genauso wie früher. Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Wenn es vertretbar ist, warum nicht?«
»Ich möchte von einer Insiderin wissen, was in der Erweckungsfreikirche vorgeht. Halten Sie Ihre Augen und Ohren offen! Hier geschieht etwas, was schon zwei Menschen das Leben kostete – nämlich Ihren Onkel und einen seiner Mörder – und weshalb heute Abend der Mordanschlag auf Josef Schein stattfand.«
Denise Tabbert versprach, Aldo zu helfen. Er ging dann, weil er zur Erweckungsfreikirche zurzeit nichts Neues mehr erfahren konnte.
Er würde Denise wiedersehen.
Als Aldo Burmester in seinem metallic-champagnerfarbenen 500 SL zu seiner Detektei zurückfuhr, folgte ihm ein dunkelblauer Ford Mondeo. Der Fahrer rauchte nervös. Er hatte eine handliche Mac-10-MP unter einer Zeitung zugedeckt auf dem Beifahrersitz liegen und war bereit, sie zu gebrauchen.
Aldo Burmester tappte in dem Fall noch im Dunkeln. Doch sein Engagement störte bereits verschiedene Leute, die ihm deshalb ans Leder wollten.
7.
Am nächsten Tag erkundigte sich Aldo bei verschiedenen Stellen über Josef Schein, den die Medien wie einen wiederauferstandenen Messias feierten. Aldo hörte solche Lobeshymnen, dass ihm die Ohren klingelten.
Mittags ging er mit Jana Marschmann bei Domenico's, einem Feinschmeckerlokal, essen. Auch Jana lobte den Fernsehprediger in den höchsten Tönen.
»Er ist ein vorbildlicher Familienvater – mit seiner Frau Clara schon seit über zwanzig Jahren verheiratet. Drei Kinder, von denen zwei schon studieren und die eine Haschzigarette nicht mal anschauen würden. Schein sollte schon mal zum Mann des Jahres gewählt werden und steht in diesem Jahr wieder auf der Liste.«
»Weißt du was?«, fragte Aldo seine hübsche Assistentin. »Ich kann ihn nicht ausstehen. Der Bursche ist mir einfach zu gut und zu sauber. So was gibt's einfach nicht.«
»Weshalb nicht? Du bist nur dadurch verdorben, dass du ständig mit Verbrechern zu tun hast und deshalb überhaupt nicht mehr an das Gute im Menschen glaubst, Chef. Denk mal an Mutter Teresa.«
»Wir sind hier nicht in Kalkutta, Jana.«
Jana lachte fröhlich.
»Du siehst Gespenster, Chef.«
Aldo aß von seinem Filet Mignon.
»Ja. Den Geist von Ingo Tabbert zum Beispiel. Schein arbeitet mit den modernsten Marketing-Methoden. Er verkauft seinen Glauben wie andere Markenartikel.«
»Heutzutage können Missionare nicht mehr vorgehen wie zur Zeit der Apostel«, verteidigte die Blondine Jana den Prediger, dessen Charisma sie stark beeindruckt hatte. »Auch der heilige Paulus würde heute im Fernsehen predigen, statt mühsame Missionsreisen zu unternehmen.«
»Wie du meinst, Jana.«
Aldo gab es auf, seine Mitarbeiterin überzeugen zu wollen. Nachdem er das Essen bezahlt hatte, fuhr er zum Polizeihauptquartier in Hamburg-Mitte..
Im Büro der Mordkommission traf er einen schwitzenden, missgelaunten Sven Dankwers an.
»Du hast mir gerade noch gefehlt«, hörte Aldo zur Begrüßung. »Hast du wieder Leichen im Koffer?«
»Nein. Was hörst du vom Tabbert-Fall und von Schein?«
Sven Dankwers hatte sich wegen der Vorfälle bei dem Langenfelder Wasserfall informiert.
»Der in den Fällen ertrunkene Gangster heißt Jonny Vetter, sein narbengesichtiger Komplize Micki Westhagen. Beide waren als die Horrible Two, die Schrecklichen Zwei, bekannt. Sie haben eine Vorstrafenliste so lang wie mein Arm. Die Piloten des Cayuse-Helikopters, mit dem Westhagen türmte, und der Hubschrauber selbst sind noch nicht identifiziert worden.«
»Wie das? Ihr werdet doch wohl noch einen Hubschrauber finden?«
»Hast du eine Ahnung, wie viele Hubschrauber es gibt und wo man sie überall verstecken kann?«
»Was ist mit dem Bürschchen los, das letzte Nacht auf Schein schoss? »
»Da kann ich dir absolut nichts Neues verraten. Der Typ plappert in der Psychiatrie vor sich hin. Er behauptet noch immer, vom Teufel persönlich beauftragt worden zu sein. Der Leibhaftige wäre ihm im Park erschienen und hätte ihm Crack und den Auftrag gegeben. Er hätte fürchterlich nach Schwefel gestunken und geknattert.«
Aldo schwante etwas.
»Darf ich mal das Protokoll lesen?«
»Du bringst mich noch mal in des Teufels Küche. Wenn das der Chef erfährt, fliege ich raus.«
Trotz seines Knurrens rückte Sven Dankwers das Protokoll heraus. Aldo las die verworrenen Angaben des Süchtigen.
»Danke, Kollege«, sagte er dann zu Sven Dankwers, denn er hatte mal mit ihm zusammen bei der Hamburger Polizei angefangen. Dankwers' baumlanger Stellvertreter Ronald Meier trampelte herein. Für den Kriminalhauptkommissar und Leiter der Mordkommission war das ein Anlass, den Aktenordner »W« aus dem Schrank zu holen.
Er enthielt eine verstaubte Flasche Chivas Regal Whisky. Die drei Männer prosteten sich aus Pappbechern zu. Nachdem sie sich noch die neuesten Witze erzählt hatten, verließ Aldo das Polizeigebäude wieder.
Es regnete, und ein Regenbogen stand über den Hochhäusern von Hamburg-Mitte.
In seinem 500 SL hörte Aldo übers Autotelefon eine Meldung von Jana Marschmann, dass eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen wollte, in der Detektei für ihn angerufen hatte.
So vorsichtig, wie sie sich da geäußert hatte, musste es Denise Tabbert sein. Sie wollte Aldo auf der Aussichtsterrasse des Restaurants vom Einkaufscenter, das sich neben dem Hochhaus mit dem Studio des Predigers Schein befand, treffen.
»Höre ich da Eifersucht in deiner Stimme?«, fragte Aldo seine Assistentin.
»Nein, die Sorge um deine schlanke Linie, wenn du schon wieder in so ein Schlemmerlokal gehst.«
Aldo grinste sich eins und fuhr los. Er klapperte die einschlägigen Adressen ab, wo er Hinweise auf Micki Westhagen zu erhalten hoffte.
Bei einem versoffenen Unterwelt-Arzt in der Brockstraße hatte er Glück. Er traf dessen Lebensgefährtin in der Hinterhofpraxis an, deren sanitäre Zustände jeder Beschreibung spotteten. Die Frau war noch jung und zudem schön. Was sie in diesen Sumpf und zu dem Unterwelt-Arzt Spyros Kamanis trieb, wussten die Götter.
»Ja, Spy hat so einem Burschen einen Schulterschuss verarztet«, erklärte die Frau, die keine war, Aldo Burmester, der Westhagen beschrieben hatte.
Damit wusste er schon besser über ihre Motive Bescheid, sich in dieser Umgebung niederzulassen. Sie war schlichtweg nicht die Hellste und glaubte Aldo unbesehen, dass er ein guter Freund ihres Doktor Spy und des Verletzten sei.
»Schön.«
Aldo tat, als ob er sich freuen würde.
»Dann kann ich Micki ja das Geld geben, das ich ihm schulde, wenn ich ihn treffe. Du sagtest, Spy weiß, wo er ist? Wo finde ich Spy?«
»Wo wird er schon sein? In seiner Stammkneipe, dem Onkel Klabautermann.«
Der Rote Hahn lag um die Ecke. Es handelte sich um ein Kellerlokal, in dem sich einige hundert Jahre Zuchthaus zusammenfanden, eine typische Gangsterbar von der miesen Sorte.
Aldo sah ein paar bekannte Gesichter – Zuhälter, Schläger, Erpresser, Flittchen und Taschendiebinnen.
Auch er wurde erkannt, was nicht zu seinem Vorteil war.
Der Wirt sah aus wie von einem Gorilla mit einer Kugelstoßerin-Walküre gezeugt. Er brummte mit Bierbass, was es denn sein dürfte. Aldo bestellte Coke in der Flasche, weil der Wirt daran nicht herumgepanscht haben konnte. Den Kaschemmenwirt schockte es, ein solches Getränk ausschenken zu müssen.
»Da hast du das Gesöff. Was willst du sonst noch? Ein feiner Pinkel von deiner Sorte verirrt sich nicht zufällig hierher.«
Aldo trug ganz normale Kleidung. Aber im Onkel Klabautermann galt jeder, der sich öfter als zweimal im Monat den Hals wusch, als Stutzer.
»Ich suche Doktor Spy.«
»Er liegt im Hinterzimmer auf dem Billardtisch und schläft seinen Rausch aus.«
Ein geschätzter Stammgast also, der ein besonderes Privileg genoss. Aldo begab sich ins Hinterzimmer.
Der Unterwelt-Doktor war ein aufgeschwemmter Mittfünfziger mit verwüstetem Gesicht. Er stank nach Fusel wie eine Destille.
Aldo holte einen halben Eimer Wasser aus der Herrentoilette und schüttete es ihm ins Gesicht. Kamanis fuhr hoch und prustete.
»He, Mann, das ist ja Wasser! Willst du mich vergiften? Gerade habe ich von der Insel Kreta geträumt, wo ich ein Teil meiner Jugend verbrachte.«
»Sag mir, wo ich Micki Westhagen finde. Dann kannst du weiterträumen.«
»Westhagen, Westhagen, kenne ich den?« Trotz seiner Sauferei hatte der Arzt noch ein fixes Köpfchen und war vor allem misstrauisch. »Wie sieht er denn aus?«
»Er hat ein Kugelloch in der Schulter, das er mir verdankt, und wird von der Polizei wegen Mord gesucht. Entweder du steckst mir jetzt, wo ich ihn finden kann, oder ich nehme dich mit zur Polizei, wo du verhört wirst.«
»Wer bist du?«
»Aldo Burmester.«
»Du glaubst, dass du mich so einfach mitnehmen kannst?«
»Das glaube ich nicht, das weiß ich.«
»Da weißt du was Falsches«, sagte eine Stimme, kalt wie ein Eiszapfen. Das Schloss einer Maschinenpistole klirrte. »Ich bin ein guter Freund von Micki Westhagen und kannte auch Jonny Vetter. Ich lege dich um, Aldo Burmester!«
Aldo schaute über die Schulter. Ein mittelgroßer, modisch gekleideter Mann mit kalten blauen Augen stand in der Tür, die er lautlos geöffnet hatte. Die Mac-10-MP in seiner Hand, ein mörderisches kleines Schießeisen, zielte auf Aldos Magen.
Der Killer verzog keine Miene. Ganz langsam krümmte er den Finger am Abzugsbügel.
8.
Denise Tabberts Stöckelschuhe klapperten über den langen Korridor. Die Buchhalterin der Erweckung-Freikirche kam gerade aus der Kantine und suchte wieder ihren Arbeitsplatz auf. Im Sieben-Personen-Büro hatte sie am Computer eine Menge zu tun.
Josef Schein setzte sie nicht nur für die Buchhaltung ein, sondern überall dort, wo Not am Mann oder der Frau war. Denise hatte es schon öfter bedauert, dass sie so vielseitige Kenntnisse hatte. Andernfalls wäre sie weniger verwendbar gewesen.
Freizeit war für sie inzwischen ein Fremdwort. Da waren die vielfältigen Zahlungsein- und -ausgänge zu verbuchen, die Anrufe nach den Fernsehpredigten und Missionsauftritten des Predigers zu katalogisieren und zu erledigen.
Dafür gab es ein eigenes Computerprogramm, das bei den Anrufern die Spreu vom Weizen zu trennen hatte. Während jedem Fernsehauftritt Scheins nahmen geschulte Mitarbeiterinnen die Flut der Anrufe zum Ortstarif entgegen. Mit scheinbar mitfühlenden, ausgeklügelten Fragen brachten sie eine Menge über die Anrufer heraus.
Die weitere Analyse oblag dem Programm. Schon der Tonfall und der Akzent verrieten eine Menge.
Die Telefon-Hostessen dankten für jeden Anruf und versprachen, dass der Anrufer oder die Anruferin bei der nächsten Erweckungsmesse ins Gebet eingeschlossen würde. Für eine Spende ab fünfzig Mark wurde die betreffende Person bei der Fürbitte namentlich erwähnt.
Zudem gab es einen Handel mit Jordanwasser, das Schein extra aus Israel einfliegen ließ, wie er jedenfalls behauptete.
Denise ging mal wieder die Spenden durch. Die Geldflut war auf verschiedenen Konten und teils auch bei Auslandsbanken unterzubringen. Schein tat sich nämlich schwer mit dem Steuerzahlen, was ihm Denise Tabbert bisher nachgesehen hatte.
Sie plauderte, während sie ihren Job erledigte, mit einer jüngeren Kollegin, Patricia Weiß, die ihr gestand, dass Schein ihr großer Schwarm sei.
»Bei ihm wirst du nicht landen können«, spottete Denise gutmütig. »Er ist seiner Frau absolut treu.«
»Wirklich?«, flötete Petra, eine großbusige Zwanzigjährige im Minirock und mit enger Bluse. Als Denise sie fragend anschaute, versicherte sie gleich: »Natürlich ist er das. Jeder weiß es.«
Denise kam nicht dazu, weiter nachzufragen. Ihr fielen wieder die Sammelüberweisungen an die Presbyterianischen Kirche von Ghana und weitere kleinere Kirchengemeinden auf, die allesamt den Status der Steuerfreiheit hatten.
Dadurch erhielt die Erweckung-Freikirche hohe Abschreibungen, leistete ein gutes Werk, weil sie kleinere Pfarreien unterstützte, und machte sich außerdem einen guten Namen. Wer unterstützte sonst schon die kleinen Gemeinden? Kein anderer Evangelist tat das jedenfalls.
Trotzdem gefielen Denise diese Überweisungen nicht so recht, die von Mal zu Mal zunahmen und deren Verbleib und Verwendung kaum nachzuprüfen waren.
Zudem fiel der Buchhalterin auf, dass bei Kontentransferierungen jeweils Differenzen von wenigen Cents auftraten. Einen Laien hätte das nicht gestört. Doch Denise wurde wachsam. Sie erinnerte sich, was sie an der Berufshochschule von ihrem Lehrer gehört hatte.
»Die kleinen Beträge sind es, die Riesenschiebungen aufdecken. Denn sie beweisen, dass manipuliert wurde. Wenn in einer Bilanz hunderttausend Mark fehlen, mache ich mir keine Sorgen. Dann weiß ich, dass etwas vergessen wurde oder ein Fehler vorliegt. Doch wenn es ein paar Pfennig sind, die ich nirgends einordnen kann, bereitet mir das Kopfzerbrechen. Dann stimmt nämlich was nicht.«
Denise ließ sich die Fehlbeträge ausdrucken.
Bei den Überseeüberweisungen lag es im Argen.
Schein unterstützte Bibelgesellschaften in obskuren Ländern und teils recht eigenartige Prediger.
Der Summer ertönte.
»Frau Tabbert zum Prediger«, ertönte es aus der Sprechanlage.
Denise beeilte sich. Schein wartete nicht gern und war, wenn er nicht vor einer laufenden Fernsehkamera stand, überhaupt nicht so menschenfreundlich und nett wie bei dieser Gelegenheit.
Denise Tabbert eilte in sein mit religiösen Motiven geschmücktes Großraumbüro. Scheins persönlicher Stab, der aus sechs Personen bestand, war zu einer Konferenz bei ihm.
Clara Schein, eine flachbrüstige Frau im Chanel-Kostüm, gehörte mit zu dem Gremium. Böse Zungen behaupteten, der Fernsehprediger würde seine bessere Ehehälfte mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser. Das mochte stimmen oder auch nicht.
Clara Schein war klein und so hart und giftig wie der Zahn einer Klapperschlange. Dabei konnte sie zuckersüß auftreten.
Schein fragte ungeduldig nach Belegen, die Denise Tabbert über den Computer abrief und ihm vorlegte.
Frau Schein musterte die bildschöne Brünette giftig. Ihre Missgunst gegenüber hübscheren Geschlechtsgenossinnen war allgemein bekannt.
»Ist nicht Ihr Onkel ums Leben gekommen, Schwester Denise?«, fragte sie.
»Doch. Leider. Er wurde ermordet.«
»Vermutlich nicht ohne Grund«, schnappte Clara Schein. »Dann sollten Sie aber schwarze Trauerkleidung tragen.
»Die Trauer ist eine Frage des Herzens und nicht der Kleidung, Schwester Clara.«
»Beides ergänzt sich gut«, erwiderte die Gattin des Fernsehpredigers und Kirchenoberhaupts säuerlich. »Ich finde, dass Sie sich zu auffallend kleiden und überhaupt zu sehr nach den Männern sehen. Mit wem haben Sie denn in der vergangenen Nacht gesprochen, nachdem das schändliche Attentat auf meinen Mann erfolgte? Ich meine diesen großen, stattlichen Mann, den ich hier zum ersten Mal gesehen habe.«
»Da waren viele große und stattliche Männer zum ersten Mal da«, konnte sich Denise nicht verkneifen zu erwidern. »Manche in Uniform, andere ohne.«
Clara Schein schnappte nach Luft. Ihr Mann schlichtete die Rivalitätsszene zwischen den beiden Frauen, die sich nicht leiden konnten.
»Was soll das? Wir wollen Gott danken, dass er seine schützende Hand über mich hielt, als gestern die Schüsse fielen. Ich bin verwundet und schwach. Die wenige Kraft, die ich übrig habe, will ich nicht mit Unnützem vergeuden.«
Er hatte seine Belege erhalten und schickte Denise an ihre Arbeit zurück.
Als sie die geringen Differenzbeträge erwähnte, die sie stutzig machten, winkte der Prediger ab.
»Darum kann ich mich jetzt nicht kümmern. Sie sind die Buchhalterin.«
»Deswegen melde ich ja meine Bedenken an«, erwiderte Denise, die auf Josef Schein große Stücke hielt.
Sein Charisma nahm sie gefangen. Wenn sie in seine strahlenden blauen Augen mit den goldenen Punkten in der Iris schaute, zitterten ihr die Knie, und sie empfand ein Gefühl wie bei keinem anderen Mann.
Vermutlich spürte Clara Schein das und giftete Denise deshalb so an.
Schein zog seine Geldbörse aus der Tasche und zeigte Denise sein Kleingeld.
Unwirscher, als es sonst bei ihm der Fall war, sagte er: »Da, nehmen Sie sich bitte die Cents, die Ihnen fehlen, und zahlen Sie sie in die Kasse ein! Damit wird das erledigt sein. Ich muss doch sehr bitten.«
Denise lehnte natürlich ab. So einfach war es nicht. Ein Fehlbetrag war ein Fehlbetrag und bedeutete, dass mit der gesamten Buchhaltung etwas nicht stimmte. Die Buchhalterin verließ das Konferenzzimmer.
Sie war nachdenklich und wollte mit Aldo Burmester über die Sache sprechen, von dem sie sich mehr Verständnis erhoffte.
9.
Im Onkel Klabautermann schaute Aldo in die MP-Mündung. Der tänzelnde Modelaffe vor ihm grinste ihn an und summte dabei. Er stand zweifellos unter Strom, nämlich Rauschgift. Doktor Spyros Kamanis wälzte seinen aufgedunsenen Körper von dem Billardtisch und plumpste wie ein Sack zu Boden.
Aldo wandte den urältesten Trick an, der ihm einfiel, und schrie: »Schlag ihm eins über den Schädel!«
Dabei schaute er über die Schulter des Killers, als ob jemand hinter ihm stehen würde.
Der MP-Mann zuckte zusammen, genug Zeit für Aldo, um sich fallen zu lassen. Die Mac 10 spuckte Feuer. Die 223er Geschosse fetzten über Aldo, der sich gegen die Beine des Killers rollte, weg in die Wand.
Aldo brachte den Gangster zu Fall. Er packte ihn bei der Kehle, hielt die heißgeschossene Mini-MP fest, an der er sich die Finger verbrannte, und drückte dem Mann auf die Halsschlagader. Der Blutstrom zum Gehirn stockte.
Der Gangster verlor das Bewusstsein. Aldo sprang auf, schnappte sich die MP und holte dem Killer auch gleich ein Magazin aus der Tasche.
Da schwang Doktor Spy den Billardqueue mit dem dicken Ende gegen Aldo Burmester. Der Unterweltarzt rollte bedrohlich die Augen und schnaufte wie kurz vor dem Herzinfarkt.
»Mach dich nicht unglücklich, Dicker!«, ermahnte ihn Aldo. »Du willst dich doch wohl nicht wirklich mit mir schlagen?«
Doch Spy besann sich und legte den Queue weg. Seine Kampfzeiten lagen viele Jahre und zahlreiche Hektoliter Alkohol zurück. Der Unterweltarzt senkte ergeben den Kopf.
»Ist ja schon gut, Herr Burmester. Ich sage Ihnen, was Sie wissen wollen.«
»Moment.«
Vor der Tür regte sich was. Aldo ging mit der MP hinaus. Der Kaschemmenwirt, jener King-Kong-Verschnitt, und einige von seinen Gästen standen da und schauten. Drei Ganoven hielten Schießeisen in der Hand.
Aldo winkte ihnen mit der MP.
»Wollt ihr es auf eine Knallerei ankommen lassen, Jungs?«
Die drei wollten nicht. Doch eine Wasserstoffblondine, die auch zu den Gaffern gehörte, giftete um die Ecke und nannte sie feige Schweine.
»Halt deine Klappe, Brigitte«, sagte ein Oberzuhälter, den Aldo flüchtig kannte, »oder du kriegst eine drauf.«
Der branchenübliche Hinweis fruchtete. Brigitte verstummte. Der Red-Rooster-Wirt und seine Stammgäste trollten sich, nachdem Aldo sie eindringlich gewarnt hatte, sich lieber nicht mit ihm anzulegen.