Wir können auch anders - Marcus Leitschuh - E-Book

Wir können auch anders E-Book

Marcus Leitschuh

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Beschreibung

"Die Orden waren immer die Reißnägel auf dem Stuhl der verfassten Kirche" Sr. Franziska Dieterle OSF Beim Synodalen Weg lässt sich immer wieder beobachten, mit welcher ruhigen Klarheit gerade Ordensleute von längst erprobter Machtaufteilung, Mitbestimmung und Frauen in Leitungspositionen berichten. Dabei sind Ordensleute nicht die "bessere Kirche". Sie sind aber in vielen Facetten anders Kirche: kleiner und darum beweglicher, vielfältiger und doch verbunden, oft näher dran an den Fragen der Menschen und darum manchmal revolutionär, vielleicht gar subversiv – so subversiv wie das Evangelium, auf das sie sich alle berufen. Dieses Buch versteht sich daher als Beitrag zur aktuellen Reformdebatte in der katholischen Kirche. Hier kommen Ordensleute zu Wort, die am Synodalen Weg maßgeblich mitwirken. Klar und zukunftsweisend schreiben Sie über eine Kirche, die Vielfalt als Stärke sieht, sprachfähig ist und die Zeichen der Zeit erkennt.

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Seitenzahl: 176

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Marcus Leitschuh, Katharina Kluitmann (Hg.)

Wir können auch anders

Der Beitrag der Orden zum Synodalen Weg und für die Zukunft der Kirche

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022

ISBN 978-3-7365-0454-7

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022

ISBN 978-3-7365-0479-0

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Marlene Fritsch

Gestaltung und E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Worum es geht – Kernthemen des Synodalen Weges und der Kirche heute
Die Angst in der Kirche bröckelt – endlich!
Sr. Philippa Rath OSB
Der Stil Gottes ist bedingungslose Liebe
Br. Thomas Wierling im Gespräch mit Marcus Leitschuh
Gemeinsam ehelos
Sr. Dr. Katharina Kluitmann OSF
Dich immer größer sein lassen – Gespräch mit GOTT
Sr. M. Scholastika Jurt OP
Machtvoll Weggemeinschaft sein – Der Beitrag der Orden zum synodalen Weg
Orden waren immer die Reißnägel auf dem Stuhl
Sr. Franziska Dieterle OSF im Gespräch mit Marcus Leitschuh
Vorübergehend zu Hause
P. Manfred Kollig SSCC
Die Kirche muss zu ihrer Synodalität zurück
Sr. Bettina Rupp SSpS im Gespräch mit Kerstin Leitschuh
Machtvoll Weggemeinschaft sein – Eine Spurensuche auf benediktinisch-zisterziensischen Pfaden
Bruno Robeck OCist
»Sein wandernd Volk will leiten ...« – Kirche als Pilger:in unterwegs auf dem Synodalen Weg
Sr. Dr. Katharina Ganz OSF
Mitverantwortlich auf dem Synodalen Weg – Chancen der Orden
P. Dr. Hans Langendörfer SJ
Reden, miteinander – Perspektiven auf geistliche Dialog- und Streitkultur
Fr. Simon Hacker OP
Wandlungshelfer – Der Beitrag der Orden für die Zukunft der Kirche
Vom Tod zum Leben – Wie Maria Magdalena die Kirche zum Blickwechsel anregt. Eine biblische Betrachtung.
Sr. Nicola Maria Schmitt OSV
Kirche und Veränderung – weltweit
Sr. Daisy Panikulam SABS
Kirche braucht andere Priester:innen – Ermutigungen zur Reform des Priesterlichen aus Ordensperspektive
P. Stephan Ch. Kessler SJ
Wahlen und Amtszeitbegrenzung als Modell aus den Orden
Sr. Maria Stadler MC
Orden als Wandlungshelfer der Kirche
Marcus Leitschuh
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Vorwort

»Wir können auch anders«, titelt dieses Buch. Wer ist denn »wir«? Vielleicht »wir Ordensleute«? So kann man diesen Titel lesen, so kann man dieses Buch lesen, das (mit Ausnahme des männlichen Herausgebers) von Ordensleuten geschrieben worden ist. Klar: Ordensleute sind nicht die bessere Kirche. Ordensleute sind aber in vielen Facetten anders Kirche, leben ihr Kirchesein anders: kleiner und darum beweglicher, vielfältiger und doch verbunden, oft näher dran an den Fragen der Menschen und darum manchmal ein wenig revolutionär, vielleicht gar subversiv – so subversiv wie das Evangelium, auf das sie sich alle berufen.

Dass Orden katholisch sind, dass sie ein Teil der Kirche sind, steht dennoch außer Frage – obwohl sie anders sind. Und genau das lässt zu, dass der Titel auch auf eine zweite Weise verstanden werden kann: »Wir können auch anders«, wir Katholik:innen. Wir können in der gleichen Zeit anders, unterschiedlich leben, glauben, Liturgie feiern, Leitung organisieren, in Vielfalt und gegenseitiger Wertschätzung, wir, die Orden und die Verbände, die hierarchisch verfasste bischöfliche Kirche, die vielen verschiedenen Lebensformen und Charismen. Eine Anekdote: Im 16. Jahrhundert wohnten Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, und Philipp Neri, der fröhliche Heilige, der später das Oratorium gründete, nur wenige Häuser voneinander entfernt in Rom. Erzählt wird, das Philipp überlegte, bei den Jesuiten einzutreten, was Ignatius ihm verwehrte, damit er seine Gabe ganz anders umsetzen konnte. Wie weise!

Wir Katholik:innen können nicht nur in der gleichen Zeit anders, unterschiedlich leben. Auch im Lauf der Zeit verändert sich vieles. So war das immer, noch lange bevor es überhaupt die Idee zu einer katholischen Kirche im Sinn einer Konfession gab, immerhin mehr als die Hälfte der Kirchengeschichte lang, bis sich im 11. Jahrhundert die Ost- und die Westkirche trennten. Das katholische »allumfassend« ist viel weiter als manch eine ängstliche Enge uns glauben machen möchte. Kirche war nie einheitlich, Kirche war immer veränderlich, Kirche lebte gerade aus der Vielfalt und der Veränderung. Wer nur auf die vielen Orden schaut, sieht, dass das, was aktuell im Kloster als »normal« galt, morgen bereits einer neuen Form gegenüberstand. Manchmal wurde die alte Form von der neuen abgelöst, manchmal blieben Formen nebeneinanderstehen. Jedem das Seine, jeder das Ihre, für verschiedene Nöte und Bedürfnisse der Gläubigen verschiedene Gemeinschaften, Apostolate, spirituelle Schwerpunktsetzungen. Welch ein Reichtum!

Doch dieses Buch ist kein Buch über Orden. Es ist ein Buch von Ordensleuten, das sich als Beitrag zur aktuellen Reformdebatte in der katholischen Kirche versteht. Diese Reformdebatte ist nicht neu, aber sie hat neue Dringlichkeit bekommen durch das Offenbarwerden von tausendfachem sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche, der vertuscht und nicht ernst genommen wurde, bei dem der Schutz der Kirche über dem der Betroffenen stand – und leider zu oft immer noch steht. Systemische Ursachen sind in den Blick gekommen. Eine Welle von Kirchenaustritten, Initiativen wie Maria 2.0 und #OutInChurch rütteln die Kirche durch. Es ist Bewegung in der Kirche, hoffnungsvoll für die einen, beängstigend für die anderen, zu viel für die einen, zu wenig für die anderen.

Ordensleute sind in vielen Feldern engagiert, auch auf dem Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland. Zehn von ihnen wurden von der DOK, der Deutschen Ordensobernkonferenz, in die Vollversammlung entsandt, weitere sind aufgrund anderer Delegationen dabei, wieder andere arbeiten mit in den Foren. Die Erfahrung seit der Eröffnung am 1. Advent 2019 zeigt: Ordensleute treten mutig und kreativ auf, bringen ihre Ordenserfahrungen ein. Schon 2015 hatte die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem Wort »Gemeinsam Kirche sein« geschrieben: »Von den Orden kann man lernen, wie man gemeinsam den Willen Gottes suchen und finden kann; wie möglichst alle an Entscheidungen, die alle betreffen, beteiligt werden« (Gemeinsam Kirche sein, 5c).

So vielfältig wie die Orden und ihre Vertreterinnen und Vertreter, so vielfältig sind die Texte dieses Buches, in Textgattung und fachlichem Hintergrund, in durchscheinender Lebensform und in Nuancen. Sie, liebe Leser:innen, finden Theologisches und Spirituelles, Informatives und Beschreibendes, Fragen, Antworten, Provokationen, Deutungen, Dialoge und Spontanes. Wenn unser Buch das Gespräch untereinander anfacht und bereichert, hat es seinen kleinen, aber vielleicht entscheidenden Beitrag geleistet.

Sr. Dr. Katharina KluitmannMarcus Leitschuh

Worum es geht – Kernthemen des Synodalen Weges und der Kirche heute

***

Wir können auch anders.

Wie Benedikt von Nursia, der 529 das erste Benediktinerkloster gründete und mit seiner Regel »ora et labora« beten und arbeiten verband.

Wie stark steht der Glaube heute im Leben?

***

Wir können auch anders.

Wie Robert, Alberich und Stefan.

Es waren gleich drei Äbte, die an der Wende des 11. zum 12. Jahrhundert nacheinander das monastische Projekt »novum monasterium« – »Neukloster« starteten. Sie übersetzten die damals schon 600 Jahre alte Benedikts- regel in ihre Zeit und so entstand der neue Orden der Zisterzienser.

Glauben geht nur in Gemeinschaft, im Hören auf die Erfahrungen der Vergangenheit und im Annehmen der Herausforderungen der Gegenwart.

Wo und wie gelingt es heute, im Rückgriff auf die Vergangenheit gemeinschaftlich eine neue kirchliche Zukunft zu gestalten?

***

Wir können auch anders.

Wie Franz von Assisi, der 1209 Menschen zur Nachfolge Jesu und später zur Gründung des Franziskanerordens motivierte. Franziskus sah den Menschen als Teil der Schöpfung mit Schwester Wasser, Bruder Wind und Schwester Mutter Erde.

Wie wichtig ist uns heute die Bewahrung der Schöpfung?

***

Wir können auch anders.

Wie Klara von Assisi, die 1212 in Assisi die Klarissen gründete, die in Stille lebten und gleichzeitig mit Mut für ihren Glauben einstanden.

Wo finden wir heute Orte der Kontemplation?

***

Wir können auch anders.

Wie Dominikus, der 1215 den Dominikanerorden gründete und der Predigt als Ort der Verkündigung zur Blüte verhalf.

Wie wichtig ist uns heute, allen Berufungen zur Verkündigung Raum zu geben?

Die Angst in der Kirche bröckelt – endlich!

Sr. Philippa Rath OSB

Sr. Philippa Rath sagt über sich: »Ich bin Teil eines selbstbewussten Konvents mit großer Tradition. Die heilige Hildegard von Bingen, eine der bedeutendsten Frauengestalten der deutschen Geschichte, hat unser Kloster vor 850 Jahren gegründet. Unsere Abteien regeln ihre Angelegenheiten selbstständig und unabhängig. Das ist eine Position, die innerlich sehr frei macht. So kann ich vielleicht offener reden als manch andere. Ich bin nur Gott, meinem Gewissen und meiner Äbtissin gegenüber verantwortlich.« In dieser Weise meldet sie sich zu Wort. Sie beantwortet hier die FAQ (Frequently Asked Questions), die am häufigsten gestellten Fragen zur Zukunft der Kirche.

Sie haben in der ersten Vollversammlung des Synodalen Weges öffentlich erklärt, dass viele Menschen in der Kirche in Angst leben. Woran machen Sie das fest?

Ich begleite seit vielen Jahren Männer und Frauen in Krisen und Konfliktsituationen, darunter zahlreiche Menschen, die in kirchlichen Diensten arbeiten. Da ist mir im Lauf der Jahre bewusst geworden, wie viel Angst in unserer Kirche herrscht, existenzbedrohende Angst: vor Ausgrenzung, vor Diskriminierung, vor Abmahnung, vor Kündigung. Auch beim Synodalen Weg habe ich anfangs verschiedene Ängste wahrgenommen. Ich spürte, dass da Bischöfe, Weihbischöfe, Priester und pastorale Mitarbeiter:innen waren, die nicht wagten, sich öffentlich und frei zu äußern und offen zu sagen, was sie denken. Ich erlebte kluge und höchst kompetente Frauen, die für Reformen eintreten, aber nur bis zu einer bestimmten Grenze. Denn sie wissen um ihre Abhängigkeit vom Dienstgeber Kirche und fürchten den Entzug der Lehrerlaubnis. Gott sei Dank hat sich das inzwischen zumindest zum Teil geändert. Eine neue Kultur der Offenheit hat sich einen Weg gebahnt. Immer mehr Menschen befreien sich von der Angst. Den Anfang machten die Frauen, die sich zu ihrer priesterlichen und diakonischen Berufung bekannten, dann folgten die Priester, die trotz des römischen Verbots Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften segneten. Dann die 125 queeren Menschen, die mit der Aktion #OutInChurch den Schritt in die Öffentlichkeit und in eine neue Freiheit hinein gegangen sind. Inzwischen äußern sich auch immer mehr Priester, die die Ausgrenzung von Frauen und Queeren, von Andersdenkenden und Anderslebenden nicht weiter mittragen wollen und die Einhaltung der Menschenrechte in der Kirche fordern. Ja, die Angst bröckelt – endlich! Und das hat auch positive Auswirkungen auf den Synodalen Weg und die dortige Debattenkultur.

Was braucht es in der Kirche, damit die Angst endgültig verschwindet?

Mehr Souveränität, mehr Offenheit, mehr Mut und mehr Toleranz. Mehr Katholisch-Sein im besten Sinn, so wie wir es jetzt Schritt für Schritt erleben. Wir denken oft viel zu klein und zu eng. Das weite Herz Jesu zeigt, dass es auch anders geht. Meine Vision von Kirche ist, dass alle so leben können, wie es ihnen gemäß ist, dass alle ihre Meinung offen sagen können, ohne ausgegrenzt zu werden. Dass niemandem der Glaube und das Katholisch-Sein abgesprochen wird, weil er oder sie anders lebt oder andere und vielleicht unbequeme Vorstellungen hat. Dieser Traum von Kirche speist sich sicher auch aus meinem Ordensleben. Ich lebe in einer Gemeinschaft aus vier Generationen. Da gibt es natürlich sehr verschiedene Menschen und unterschiedlichste Auffassungen. Doch jede kann und darf diese äußern. Alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinsam und mit Mehrheit getroffen. Da sitzt keine Äbtissin, die sagt: Hier geht’s lang und ihr habt alle zu folgen. Da wird so lange miteinander gerungen, bis ein gemeinsamer Weg gefunden ist. Wir leben also bereits das, was wir uns als Synodale Kirche der Zukunft vorstellen.

Zu den »evangelischen Räten« gehört aber doch auch das Gelübde des Gehorsams?

Das ist richtig. Wir verstehen den Gehorsam heute so, dass wir gemeinsam auf den Willen Gottes für unsere Gemeinschaft und in dieser unserer Zeit hören und diesen dann auch tun. Es geht um einen dialogischen Gehorsam und nicht um Up-down-Entscheidungen der Verantwortungsträger:in­nen. Dieses Verständnis von Gehorsam setzt sich gottlob nach und nach durch. Das war nicht immer so. Das müssen wir selbstkritisch eingestehen. Auch ein Gelübde und vor allem das des Gehorsams kann missbraucht werden. Machtmissbrauch von oben und falsch verstandene Demut von unten sind in unseren Klöstern nicht selten eine unheilige Allianz eingegangen, was zu schweren Verwerfungen geführt hat. Dem Phänomen des spirituellen und geistlichen Missbrauchs kommen wir erst jetzt nach und nach auf die Spur. Da sind noch viel Mut zur Wahrheit, persönliches Umdenken und systemische Reformen notwendig.

In Ihrem Eingangsstatement zu Beginn des Synodalen Weges sprachen Sie davon, dass die Kirche von den Ordens-gemeinschaften lernen könne. Was meinen Sie damit genau?

Zum einen waren die Orden in der Geschichte der Kirche oft prophetische und radikale Reformbewegungen. Ohne sie hätte es eine Vielzahl von Veränderungsprozessen nicht gegeben. Sie waren immer ein Stachel im Fleisch der Kirche, haben an vergessene Werte erinnert und neue ins Blickfeld gerückt. Daran könnten wir meines Erachtens heute wieder anknüpfen. Zum anderen haben die Orden seit Jahrhunderten Erfahrung im Miteinander von Männern und Frauen: Der heilige Benedikt wäre nichts ohne die heilige Scholastika, der heilige Franziskus nichts ohne die heilige Klara, die heilige Teresa von Ávila nichts ohne den heiligen Johannes vom Kreuz und der heilige Vinzenz von Paul nichts ohne die heilige Luise von Marillac, um nur einige Beispiele zu nennen. Das Miteinander und die gegenseitige Inspiration der Geschlechter waren in den Orden also immer wichtig und fruchtbar. Vorbildlich scheint mir in den Orden auch, dass wir bereits seit langem Teilhabe aller an den Entscheidungen leben. Ebenso wichtig ist, dass in den Orden Leitung auf begrenzte Zeit übernommen wird. Diese Erfahrung zeigt, dass es der Autorität keinen Abbruch tut, wenn sie begrenzt ist. Ganz im Gegenteil eröffnen sich damit immer wieder neue Perspektiven und Spielräume. Und schließlich, was die Frauenfrage angeht, so gilt, dass Ordensfrauen seit 1500 Jahren Erfahrung in geistlicher, organisatorischer und auch wirtschaftlicher Leitung haben und sich gezeigt hat, dass sie dies genauso gut können wie Männer.

Könnten die Orden damit auch heute noch oder wieder eine Avantgarde der Kirche sein?

So weit würde ich nicht gehen. Dazu gibt es neben den genannten Vorbildfunktionen zu viele ungelöste Probleme in unseren Ordensgemeinschaften. Ideal und Wirklichkeit klaffen leider auch bei uns nicht selten auseinander. Da sind zum einen die rasant zurückgehenden Zahlen der Ordenseintritte und damit verbunden die Überalterung vieler Konvente. Zwar gibt es weiterhin ein großes Potenzial an gottsuchenden und spirituell aufgeschlossenen Menschen, aber immer weniger von ihnen wollen sich ihr Leben lang binden. Zum anderen ist da eine weit verbreitete Aversion gegen das Gehorsamsgelübde, das, wie bereits erwähnt, auch immer missbraucht werden kann, um eigene Machtfülle zu demonstrieren oder Menschen in ungute Abhängigkeiten zu bringen. Nicht vergessen dürfen wir natürlich auch, dass Ordensleute im Rahmen des Missbrauchsskandals nicht nur Opfer spiritueller und sexualisierter Gewalt waren, sondern auch Täter und Täterinnen. Da gilt es – wie in der Kirche insgesamt –, die eigene Schuldgeschichte wahrzunehmen und schonungslos aufzuarbeiten. Um wieder eine Vorreiterrolle in der Kirche zu übernehmen, müssen wir Ordenschristen uns zunächst einmal auf unser Ursprungs- und Gründungscharisma und auf unsere Ideale besinnen, sie in unsere Zeit hinein transponieren und sie auch wieder radikaler leben.

Derzeit fragen sich nicht wenige, wie die Orden auf die #OutInChurch-Kampagne und die Forderungen der LGBTQ+-Bewegung nach uneingeschränkter Gleichberechtigung reagieren. Wie denken Sie darüber?

Ich empfand den Schritt der queeren Menschen in die Öffentlichkeit als ungeheuer mutig und wichtig. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Angst in der Kirche wirklich bröckelt. Ich bin dankbar, dass sich so viele geoutet haben und damit zeigen, dass es viele Lebensmodelle gibt und mehr als das, was wir in der Kirche und in den Orden bisher als binäre Geschlechterordnung wahrgenommen und vorausgesetzt haben. Ich muss gestehen, dass ich selbst da gerade sehr viel hinzulerne. Diesen Lernprozess möchte ich auch der Kirche und unseren Orden als Ganzes zugestehen. Ich weiß, dass das Thema auf der Tagesordnung steht, denn es gibt nichtbinäre (inter, trans, agender, genderfluid ...) Menschen, die sich zum Ordensleben berufen fühlen. Deshalb müssen wir auf die Frage möglichst bald eine Antwort geben. Wichtig ist mir, dass wir die unantastbare Würde eines jeden Menschen unabhängig von seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität achten und verteidigen. Dass ein Ordensleben in Gemeinschaft die Bereitschaft zu zölibatärem Leben voraussetzt, ist klar.

Sie haben im Zusammenhang mit dem Synodalen Weg zwei Bücher herausgegeben, die für Aufsehen gesorgt haben: »Weil Gott es so will« und »Frauen ins Amt!«. Im ersten haben Sie 150 Lebenszeugnisse von Frauen gesammelt, die sich zur Diakonin oder Priesterin berufen wissen. Was bedeutet das »Frauenthema« für die Kirche?

Ich war und bin zutiefst davon überzeugt, dass die Frauenfrage die entscheidende Frage für die Zukunft unserer Kirche ist. Die Zeit ist reif, dass Frauen Zugang zu allen Ämtern und Diensten, auch zu den Weiheämtern, erhalten. Spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil warten wir hier auf grundlegende Veränderungen, doch de facto ist viel zu wenig passiert. Man kann heute keiner Frau mehr klarmachen, dass sie nur aufgrund ihres Geschlechtes von bestimmten Ämtern ausgeschlossen ist. Wenn die Lebens- und Erfahrungswirklichkeit der Frauen in der Kirche aber vollkommen anders ist als die im normalen Leben, dann passt das einfach nicht mehr zusammen. Viele Frauen und auch Männer quittieren das mit Kirchenaustritt oder damit, dass sie sich in Initiativen und Verbänden vernetzen und organisieren, die sich für Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche einsetzen. Mancherorts entwickeln sich neben der Kirche auch bereits Parallelstrukturen, denn die Ausgetretenen haben ja keineswegs ihren Glauben verloren, sondern suchen nun nach neuen Formen, ihre Spiritualität leben zu können. Zum anderen wollte ich den theologischen Diskussionen im Synodalen Forum »Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche« die konkrete Lebenswirklichkeit von Frauen an die Seite stellen. Authentische biografische Zeugnisse sind oftmals deutlich wirksamer und können Bewusstsein nachhaltiger verändern als theologische Argumentationen.

Können Sie gemeinsame Grundlinien, aber auch Unterschiede in den von Ihnen gesammelten Lebenszeugnissen der Frauen beschreiben?

Die Autorinnen sind Frauen aus vier Generationen und dem gesamten deutschsprachigen Raum, die sich zum großen Teil seit vielen Jahren in der Kirche haupt- und ehrenamtlich engagieren. Sie alle leiden unter Diskriminierung und Ausgrenzung, unter mangelnder Teilhabe und Mitverantwortung; daran, dass sie ihre eigenen theologischen und geistlichen Kompetenzen und Charismen zu wenig einbringen können und abhängig sind vom Wohlwollen der männlichen Amtsträger. Besonders aber leiden sie daran, dass ihre Berufungen allzu oft nur belächelt, nicht ernst genommen und gar nicht erst geprüft werden. Was die Unterschiede betrifft, so gibt es eine ganze Bandbreite an Einstellungen und Reaktionen: von Enttäuschung und Zorn über Resignation und auch Depression bis hin zu einem großen Hoffnungspotenzial und zu mutigem und kämpferischem Einsatz für Erneuerung und Veränderung in der Kirche. Viele Frauen – wie auch ich – wünschen sich, dass wir das einseitig männlich-klerikale und hierarchische Priesterbild überwinden und zu einem geschwisterlich gelebten, diakonischen Amtsverständnis kommen. Sie wünschen sich Hirten und Hirtinnen, die gemeinsam ausgebildet und ausgesandt werden, die zusammen mit den Menschen unterwegs sind, die mit allen Getauften und Gefirmten gemeinsam Ausschau halten nach den besonderen Charismen in den Gemeinden und diese fruchtbar werden lassen für den Aufbau des Reiches Gottes.

Würde es Frauen und Männer in der Kirche bereichern, wenn es Priesterinnen und Diakoninnen gäbe?

Ja, ganz sicher. Vielen Resonanzen auf unser Buch – von Männern und Frauen, Klerikern und Lai:innen – entnehme ich, dass dies so ist. Nicht wenige empfinden unsere »Männerkirche« als amputierte Kirche und wünschen sich ein gleichberechtigtes Miteinander der Geschlechter in allen Bereichen des kirchlichen Dienstes. Lassen Sie mich drei konkrete Beispiele nennen: Im Verkündigungsdienst vermissen viele die Perspektive der Frauen. Sie wünschen sich in den Gottesdiensten Predigten von Frauen, weil ihnen damit neue, bisher unbekannte Horizonte des Evangeliums eröffnet werden. Kranke und Sterbende leiden darunter, dass die zumeist weiblichen Krankenhausseelsorger:innen ihnen nicht die Krankensalbung spenden dürfen, obwohl sie ihnen zum Teil schon lange Zeit zur Seite gestanden haben. Schließlich fragen sich viele, die vielleicht jahrelang von einer Frau geistlich begleitet wurden, warum ihnen das Sakrament der Beichte vorenthalten wird, weil sie nicht bei ihr, sondern nur bei einem männlichen Priester beichten dürfen, sie dies aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht können oder wollen. Gerade dieses Letztgenannte erleben wir in unseren Klöstern sehr häufig, weil viele Frauen zu uns kommen, die im geistlichen Gespräch eine Lebensbeichte ablegen und sich natürlich dann auch nach der Absolution sehnen. Da diese Lossprechung aber bisher dem Bußsakrament – und damit allein den geweihten Männern – vorbehalten ist, müssen wir uns darauf beschränken, eine würdevolle und befreiende Segnung zu spenden. Es gibt also genügend gute Gründe, sich der Frage zu stellen – wie wir es im Synodalen Weg tun –, ob nicht bereits im Rahmen des geltenden Kirchenrechts eine Beauftragung von Frauen für den Predigtdienst längst überfällig wäre und ob Beauftragungen von Nicht-Geweihten für die Spendung einzelner Sakramente – Taufsakrament, Bußsakrament, Ehe-Assistenz, Krankensalbung – nicht ebenso möglich wären. Auch, um die sakramentale Struktur der Kirche überhaupt auf Dauer aufrechterhalten zu können, wäre dies ein wichtiger und notwendender Schritt. Gott sei Dank gibt es in verschiedenen Bistümern bereits Ansätze in diese Richtung. Es gibt im geltenden Kirchenrecht noch sehr viele Spielräume für eine stärkere Beteiligung der Frauen an Ämtern und Diensten, die bisher keineswegs ausgeschöpft sind. Ich möchte den Bischöfen deshalb ausdrücklich Mut zusprechen und sie darin bestärken, diese Gestaltungsräume noch mehr zu nutzen. Im zweiten Schritt gilt es dann natürlich, sich dafür einzusetzen, dass der Canon 1024 des Kirchenrechtes, wonach nur ein getaufter Mann gültig die Weihe empfangen kann, geändert wird.

Papst Johannes Paul II. hat am 22. Mai 1994 in dem lehramtlichen Schreiben »Ordinatio Sacerdotalis« betont, dass die katholische Kirche »keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden«. Auch die nachfolgenden Päpste Benedikt XVI. und Franziskus haben daran festgehalten.