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Clowns und Kinder – eine ideale Kombination, etwas fürs Herz. Clowns und kranke Kinder – das berührt uns noch mehr. Doch jenseits spontaner Zustimmung bleiben Fragen: Was genau bewirken Klinik-Clowns bei den Kindern? Unterstützen sie die Kinder beim Gesundwerden? Haben sie einen Effekt auf die ganze Station, also auch auf Ärzte und Pflegekräfte? Und: Was geht in den Menschen vor, die als Clowns diese Arbeit machen? In diesem Buch führt Ulrich Fey Erkenntnisse aus vielen Forschungszweigen mit seinem Erfahrungswissen aus knapp zwei Jahrzehnten als Klinikclown zusammen. Er versucht ein differenziertes Bild von dieser Arbeit zu geben und stellt dazu die in den Mittelpunkt, die bei den vielen verdeckten Ängsten der Beteiligten und all dem Kostendruck aus dem Blick geraten sind: die kranken Kinder.
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Seitenzahl: 261
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Ulrich Fey war erst Lehrer und Redakteur ehe er Clown wurde. Er absolvierte die Vollzeitausbildung der Clownschule TuT in Hannover und besucht seit 1999 als Mitglied der Clown-Doktoren Kinderkliniken im Rhein-Main-Gebiet. Zudem ist er als Clown Albert seit 2003 in Altenheimen unterwegs. Über diese Arbeit hat er das Buch geschrieben „Clowns für Menschen mit Demenz“, das im Mabuse-Verlag bereits in dritter Auflage erschienen ist. Seine Erfahrungen als Clown in Klinik und Altenheim gibt seit langem in Vorträgen und Kursen weiter: www.clownsundmehr.de
Dietmar Bertram ist zu erreichen unter: www.dietmarbertram.de, und Wonge Bergmann unter: [email protected]
ULRICH FEY
WENN CLOWNS KINDER IM KRANKENHAUS BESUCHEN
Fachliche Begleitung:
Michael Jetter, Diplom-Psychologe, Idstein
Dr. med. Christian Walter, Kinderarzt,
Bad Homburg
Zeichnungen:
Dietmar Bertram
Fotos:
Wonge Bergmann
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Lektorat: Claudia Weingartner, Ickingen
Satz: ffj Büro für Typografie und Gestaltung, Frankfurt am Main
Umschlaggestaltung: Marion Ullrich, Frankfurt am Main
Umschlagbild: © REUTERS/Yves Herman
ISBN: 978-3-86321-387-9
eISBN EPUB: 978-3-86321-460-9
eISBN PDF: 978-3-86321-485-2
Alle Rechte vorbehalten
„Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“, sagteder Fuchs. „Es bedeutet: sich ‚vertraut machen‘.“
Antoine de Saint-Exupéry: Der Kleine Prinz
Don’t give up.
Peter Gabriel
VORWORT
EINBLICK
KAPITEL 1
ANNÄHERUNG
KAPITEL 2
BESONDERE KOMPETENZEN
KAPITEL 3
KARRIERE IM KRANKENHAUS
KAPITEL 4
DIE KLINIK – EIN KOMPLEXES GEBILDE
KAPITEL 5
INNENANSICHTEN EINER STATION
KAPITEL 6
KINDER UND JUGENDLICHE IN DER KLINIK
KAPITEL 7
SCHMERZ BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN
KAPITEL 8
HUMOR UND CLOWNS BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN
KAPITEL 9
HUMOR UND SEINE WIRKMECHANISMEN
KAPITEL 10
WIRKUNGSVOLLE VIELFALT
KAPITEL 11
VERWIRRENDE DOPPELROLLE – MENSCH, CLOWN, MENSCH …
KAPITEL 12
IMPROVISATION ALS PROGRAMM
KAPITEL 13
DIE KOMIK DES CLOWNS UND SEIN HANDWERKSZEUG
KAPITEL 14
IMMER SAUBER, NUR NICHT ZU BUNT
KAPITEL 15
GRENZERFAHRUNGEN
KAPITEL 16
VIEL WISSEN, WENIG WISSENSCHAFT
AUSBLICK
DANK
FACHBEGRIFFE
ENDNOTEN
LITERATURVERZEICHNIS
Stellen Sie sich vor, Sie werden auf einer Party jemandem vorgestellt als Humortrainer. Was werden die ersten Fragen sein? Kann man davon leben? Haben Sie was Richtiges gelernt? Oder: Jetzt mal im Ernst, was machen Sie wirklich? Ich träume davon, dass es in einer Generation gelingen wird, die Humorforschung in eine anerkannte Wissenschaft überführt zu haben, mit mehreren Lehrstühlen in Deutschland, als Inhalt in allen pflegerischen, medizinischen und therapeutischen Berufen, und mit Partys wo man sich eher schämt, wenn man Jurist, Verwaltungsdirektor oder Steuerberater ist.
Ulrich Fey hat viele ehrbare Berufe ausgeübt: Er war Lehrer, Redakteur bei der FAZ, dann wurde er Clown und besucht seit 1999 Kinder in Kliniken des Rhein-Main-Gebietes. In all diesen Berufen hat er sich Kompetenzen angeeignet, die er nun für dieses Buch bestens nutzt: Er kann recherchieren, schreiben und dies mit seiner Erfahrung als Klinikclown verbinden. Ein Glücksfall. So zeigt er hier vielen Menschen zum ersten Mal, wie viel Geschichte, wie viele Geschichten, wie viele handwerkliche und menschliche Qualitäten hinter dem scheinbar so naiven Clownsspiel stecken. Und damit weitet er den Blick und das Herz für die kostbare Arbeit der Clowns in Krankenhäusern.
Ulrich habe ich kennengelernt als Dozent auf einer HUMOR HILFT HEILEN-Akademie, wo er anderen Clowns vermittelt hat, was er unter Clownerie bei Kindern und alten Menschen versteht: Kontakt und Begegnung auf einer zutiefst mitfühlenden, in der Klinik bisweilen absurden Ebene. Davon ist viel in diesem Buch zu lesen. Ulrich leuchtet die Tiefen der besonderen Beziehung zwischen krankem Kind und Klinikclown aus: die Gefühle der Kinder im Krankenhaus, ihr Verhältnis zu Schmerz und Humor und deren Veränderung – je nach Alter. Warum können Fünfjährige es kaum abwarten, bis die Clowns auf die Station kommen und wie wird es auch für Pubertierende cool, Quatsch zu erleben? Erstmals werden hier auch die Innenwelten der Klinikclowns beschrieben, ihre Gefühle, ihre Grenzen. Denn oft, wenn man erzählt von der Arbeit mit zum Teil schwer kranken Kindern, kommt: „Boah, was die machen, das könnte ich nicht.“ Kann man auch nicht ohne fundierte künstlerische Ausbildung und hohes Maß an Menschlichkeit und Reflexion.
Ulrich ist ein Buch gelungen, das es bisher so nicht gab, das erlebte Praxis mit fundierter Theorie verknüpft, das Interessierten neue Einblicke und echte Argumentationshilfe bietet. Damit verfolgen wir ein gemeinsames Ziel: Gute Clowns können noch besser werden, und mehr Krankenhäuser sollen diese Ideen einsetzen und mitfinanzieren.
Da meine Wurzeln nicht im Fernsehen, sondern sowohl in der Medizin als auch in der Zauberei, dem Varieté und der Wortkomik liegen, war mir Lachen als eine Form der „Heilkunst“ immer sehr nahe. Ich hatte vor 25 Jahren ein Erlebnis: Im Rahmen einer Zaubershow in der Kinderpsychiatrie saß ein Kind mit „Mutismus“, das durch seelische Nöte über Wochen verstummt war – und plötzlich wieder anfing zu sprechen. Dabei wurde mir klar, wie wichtig die uralten Künste Musik, Theater und Zauberei sind, um die Magie von positiven Geschichten und Erlebnissen als Mittel der Selbstheilung zu wecken. Zuerst gründete ich in Berlin einen regionalen Verein mit, und vor zehn Jahren die bundesweit aktive Stiftung HUMOR HILFT HEILEN. Wir fördern Clowns, machen Workshops für Pflegekräfte und unterstützen Forschungsprojekte.
Einer der Pioniere der Humortherapie war der Österreicher Viktor Emil Frankl. Wegen seiner jüdischen Herkunft kam er ins KZ. Er verabredete dort mit anderen Häftlingen, sich jeden Tag einen Witz zu erzählen und sagte im Nachhinein, dass die gezielte Beschäftigung mit Humor zusammen mit der Gemeinschaft und dem Glauben an übergeordnete Werte ihn gerettet habe.
Aufgrund seiner Erfahrungen begründete er die „Logotherapie“, die Wert darauflegt, sich mit dem Sinn (gr. logos) im Leben und Leiden zu beschäftigen. Auf seinen Gedanken bauten weitere Revolutionäre der Psychotherapie auf wie Paul Watzlawick, dessen „Anleitung zum Unglücklichsein“ sich immer wieder zu lesen lohnt. Frankl ist in Deutschland viel zu wenig bekannt, dabei ist er für mich einer der bedeutendsten Psychologen und der Begründer von all dem, was heute unter „Resilienz“ verhandelt wird.
Der erste echte Klinikclown, wie Sie gleich bei Ulrich viel genauer lesen werden, war Michael Christensen vom New Yorker Big Apple Circus, der als „Dr. Stubs“ die ersten Clownsvisiten für Kinder startete. Eine seiner Mitarbeiterinnen, Laura Fernandez, brachte diese Idee vor knapp 25 Jahren nach Deutschland. Ulrich ist ein Urgestein dieser Bewegung.
Die Arbeit trägt viele Früchte und so ist Humor längst nicht mehr so schräg angesehen wie zu den Anfangszeiten. Auch für echte Ärzte wird der gerade akademisch. Gemeinsam mit HUMOR HILFT HEILEN und dem Deutschen Institut für Humor aus Leipzig werden Medizinstudenten für die besondere Arzt-Patienten-Kommunikation sensibilisiert. Seit 2017 ist an der Uniklinik Münster das Humortraining fest ins Curriculum für alle Studenten integriert. Ein dickes Brett bekommt kleine Löcher, durch die man ein Stück Himmel sehen kann.
Die Humorarbeit wird oft mit Clowns im Krankenhaus gleichgesetzt. Das war zwar historisch der Beginn, aber es ist nur ein Teil des Potenzials. Inzwischen gibt es neben den Klinikclowns viele Humortrainer, gut ausgebildete Humor-Therapeuten und Profis, was den helfenden Einsatz von Humor angeht. Auch da ist Ulrich aktiv.
„Pflegezeit ist Lebenszeit!“ Und das sollte für beide Seiten gelten, für Patienten und Pflegende. Aber wer hat noch Zeit? Wenn Zeit Geld ist, wird am grausamsten an Zuwendung gespart, denn das fällt erst einmal nicht so auf. Sich um kranke Menschen zu kümmern, war ursprünglich im christlichen Abendland ein Akt der Barmherzigkeit. Ein Patient ist kein Kunde, sondern ein leidender Mensch. Und die wichtigste Frage sollte auch nicht sein, wie mache ich mit dem Rendite, sondern: Wie kann ich dem helfen?
Clowns nenne ich gerne „die Joker der Zuwendung“. Weil sie außerhalb der Hierarchie, Dokumentation und Zeitzwänge stehen wie die Freiwilligen in der Sterbebegleitung. Deshalb glaube ich auch, dass es kein Zufall ist, wenn die Gegenbewegungen zur kommerzialisierten Medizin etwa zeitgleich vor 25 Jahren entstanden sind. Sowohl die Humor- als auch die Hospizarbeit wollen das Humane in der Humanmedizin stärken. Denn überraschenderweise wird auch auf Palliativstationen und in Hospizen viel gelacht. HUMOR HILFT HEILEN finanziert ein Forschungsprojekt auf der Palliativmedizin der Universitätsklinik Bonn und in Jena. Wer möchte schon am Ende seines Lebens den Humor verlieren?
Warum zahlt das alles nicht die Kasse? Gute Frage. Bevor etwas in die Regelleistung übernommen wird, braucht es gute Studien, die Nutzen und Wirksamkeit belegen. Aber wer soll die bezahlen? Meist wird nur geforscht, wenn es etwas zu verdienen gibt. Solange Lachen aber nicht in Pillenform zu pressen ist, sind Forschungsgelder schwer aufzutreiben. Deshalb braucht es Idealisten, die für wenig Geld professionelle Arbeit leisten – und es braucht externe Spender, die den Wert dieser Arbeit erkennen. Dieses Buch trägt dazu bei.
Ich hoffe, Sie können nun leichter erkennen, dass Humor mehr ist, als ein Lächeln oder eine rote Nase aufzusetzen. Viel mehr. Möge die Kraft der heiteren Gelassenheit immer mit Ihnen sein.
Eckart v. Hirschhausen
Arzt, Komiker und Gründer der Stiftung HUMOR HILFT HEILEN
Clowns und Kinder, das ist für viele eine passende Verbindung, etwas fürs Herz. Clowns und kranke Kinder, das passt noch besser, bewegt viele Menschen noch mehr. Einerseits. Andererseits: Einige erleben Clowns überdreht und albern, manche fürchten sich gar vor den Figuren mit Schminke und roter Nase im Gesicht. Doch Clowns lassen die wenigsten Menschen kalt, polarisieren häufig allein durch ihre Anwesenheit. Denn eines ist unstrittig besonders im Rahmen der klinischen Hygiene und Hierarchie: Clowns fallen auf.
Dieses Buch wirft auf diese auffälligen Figuren einen differenzierten Blick. Oft genug unterbleibt der, werden Clowns in der Klinik als Heilsbringer überhöht oder als lustige Störfaktoren diffamiert. Dabei sind sie weder das eine noch das andere. Klinik-Clowns können keine Blinddarmentzündung heilen und schon gar keine Leukämie oder Mukoviszidose. Dennoch wirken sie.
Die unmittelbar Beteiligten stehen im Mittelpunkt dieses Buches: Kinder und Clowns. Um die Interaktion zwischen beiden besser nachvollziehen zu können, muss man verstehen, wie Kinder und Clowns sich und ihre Situation im klinischen Rahmen erleben. Wie fühlen sich Kinder und Jugendliche bei ihrem erzwungenen Aufenthalt im Krankenhaus? Kleinkinder reagieren ganz anders als Pubertierende. Wie gehen Kinder und Jugendliche mit Schmerzen um? Was hilft, was schadet ihnen? Wie ausgeprägt ist in welchem Alter ihr Verständnis von Humor, ihre Offenheit für Clowns? Fünfjährige können sich über eine clowneske Aktion schieflachen, die bei Vierzehnjährigen nur Stirnrunzeln auslöst.
Diesen unterschiedlichen Kindern mit ihren unterschiedlichen Krankheitsbildern stehen die Clowns und damit deren Darsteller gegenüber. Auch die sind unterschiedlich – mal jung, mal alt, mal weiblich, mal männlich, mal entspannt, mal gestresst. Alle sind zudem mit unterschiedlichen Talenten, unterschiedlichem Können und Wissen ausgestattet. Um zu verstehen, wieso Clowns manchmal umwerfend komisch sind und manchmal eher nicht, wird in diesem Buch versucht, den Außenansichten eines Clowns ein paar Innenansichten hinzuzufügen. Was macht einen guten Klinik-Clown aus? Was sollte, müsste er für Kompetenzen haben? Als Künstler? Als Mensch? Wie wirken sich die offenen Arbeitsbedingungen im Krankenzimmer aus, wo Clowns fast alles dürfen, aber fast nichts müssen? Welche Grenzen erleben Clowns und ihre Darsteller?
Da wenig Literatur zu diesen Themen vorhanden ist, habe ich mich in benachbarten Fachrichtungen umgesehen, zudem viele Beispiele aus eigenen Erfahrungen herangezogen. Und ich habe versucht, dieses Erfahrungswissen mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien zu verbinden.
So wendet sich dieses Buch an Clowns, die in einer Kinderklinik arbeiten (oder das planen). Vielleicht verstehen sie dann besser, wieso ein vergleichbares Spiel in dem einen Zimmer gelingt, in dem anderen aber gar nicht. Vielleicht erkennen sie ihre inneren Grenzen (an). Vielleicht werden ihnen aber auch ihre Fähigkeiten bewusst, ihr clowneskes Handwerkszeug. Vielleicht wirkt sich das auf ihr künstlerisches Selbstbewusstsein aus, im besten Falle stärkend.
Dieses Buch wendet sich auch an Eltern, die den Wert von Clowns in der Kinderklinik dann vielleicht kundiger einschätzen können und sich entsprechend für oder gegen ein Krankenhaus entscheiden.
Dieses Buch wendet sich außerdem an alle Pflegekräfte und Ärztinnen, Therapeutinnen und Reinigungskräfte, die den Clowns mal begeistert, mal entgeistert gegenüberstehen. Es wird dargestellt wie auch sie ganz unmittelbar von den Clowns profitieren können. Im besten Fall sehen sich alle als Mitglieder eines Teams, das insbesondere eins im Blick hat: Die Kinder und ihre Gesundheit.
Das vielleicht fünfjährige Kind hatte gerade die Clown-Doktoren zu Besuch und schaut noch ganz beglückt. Auf dem Flur begegnet es einem Assistenzarzt. „Bist du auch Clown-Doktor?“, fragt es interessiert den jungen Mann. „Nein“, entgegnet der leicht entschuldigend, „ich bin nur ein normaler Doktor.“
Vielleicht sind hier kleine Ausflüge in die Geschichte aufschlussreich. Denn Clowns, so wie wir sie heute in Krankenhäusern erleben, sind nicht vom Himmel gefallen, sie haben uralte Wurzeln, die ihre Rolle, ihr Selbstverständnis bis heute prägen. Ähnliches gilt für die Struktur in den Kliniken, deren hierarchische Prägung. Auch die hat ihre Geschichte, auch die wirkt bis heute.
In diesem Buch werden viele Beispiele dargestellt, und immer wird vom Clown in der dritten Person gesprochen, obwohl ich viele dieser Szenen selbst so oder ähnlich erlebt habe. Denn ich schildere diese als Autor, nicht als Clown. Manche Beispiele haben mir Kolleginnen beschrieben, manche sind der Literatur entnommen. Immer sind die Namen aller Beteiligten verändert und frei erfunden.
Da Clowns in den Kliniken meist zu zweit arbeiten, schreibe ich meist in der Mehrzahl. Inhaltlich gilt alles Beschriebene natürlich ebenso für die Clowns, die alleine unterwegs sind. In Einzelfällen weise ich auf einen alternativen Umgang hin. Noch weniger erheblich ist die Frage, ob Clowns nun als Clown-Doktoren oder Klinik-Clowns kommen sollen. Die Entscheidung für das eine oder gegen das andere hat fast immer pragmatische Gründe. Und die Kinder unterscheiden allein, ob ihnen der Clownsbesuch gefallen hat.
Vorbeugend sollen die zwei FAQs, die Frequently Asked Questions, also meistgestellte Fragen, gleich zu Beginn geklärt werden. Die Antworten lauten: „Nein“ und „Ja“.
„Nein“ – die Clown-Doktoren sind keine verkleideten Ärzte, sondern als Ärzte verkleidete Clowns. Und „Ja“ – sie werden bezahlt (die meisten jedenfalls) und können davon leben. Je nach Ansprüchen unterschiedlich gut.
Die Zeichnungen stammen von Dietmar Bertram, der nicht nur ein prima Kollege bei den Clown-Doktoren ist, sondern auch ein großartiger Zeichner. Außerdem ist er Vater. Insofern stellt er die Idealbesetzung dar für die Aufgabe, dieses Buch mit Zeichnungen zu bereichern. Wonge Bergmann habe ich gebeten, die Fotos zu machen, weil ich ihn schätze für seinen besonderen Blick und für seine besondere Zurückhaltung bei der Arbeit.
Ich habe also versucht, ein Buch zu schreiben, das informiert, differenziert, das die Theorie mit der Praxis verschränkt, neue Bezüge herstellt, schön ist – und nicht zuletzt Spaß macht zu lesen. Ich hoffe, es ist gelungen.
Der Clown ist schon eine komische Figur. Wo er auftaucht, ist er sehr präsent – und dennoch schwer greifbar. Clownerie zählt zu den darstellenden Künsten, nur: Was stellt ein Clown dar? Bei nahezu allen anderen darstellenden Künsten weiß jeder auf Anhieb, was jemand dieser Profession kann. Ein Jongleur jongliert – wahlweise mit Bällen, Keulen, Kettensägen oder anderem, je mehr und ungewöhnlicher, desto besser. Akrobaten machen Handstände, Salti oder Flickflacks – am besten mit- und übereinander. Ein Zauberer lässt Dinge oder Menschen verschwinden, auftauchen oder sich verändern – und uns an unserem Verstand zweifeln. Ein Schauspieler hat zum Beispiel die Rolle des Hamlet auswendig gelernt und verkörpert den Prinzen von Dänemark nun auf der Bühne. Diese Liste ließe sich verlängern und deutet eine Schwierigkeit an bei den Künstlern der Gruppe Clowns: Welche besonderen Fertigkeiten sind ihnen zuzuordnen? (Gemeint sind natürlich nicht diejenigen Clowns, die jonglieren, zaubern oder ähnliches vollbringen.) Komische Klamotten tragen? Stolpern können? Lustig sein?
Alle anderen darstellenden Künstler verbindet zudem, dass sie gewisse Voraussetzungen mitbringen müssen, um in ihrem Metier erfolgreich zu sein: Wer zwei linke Hände hat, wird sich weder dem Jonglieren noch dem Zaubern widmen; für die Akrobatik sind Beweglichkeit, Kraft und Mut unerlässlich; ein Schauspieler muss sich in fremde Charaktere versetzen können – und eine Menge Text auswendig lernen. Womit eine weitere, elementare Gemeinsamkeit angedeutet ist: Trainingsfleiß.
Niemand, der sich als professioneller Jongleur anpreist, aber mit Mühe drei Bälle in der Luft halten kann, wird als Jongleur ernst genommen und Aufträge erhalten. Auch Akrobaten, die nicht mehr als ambitionierte Schulturner sind, oder Zauberer, die lediglich Kunststücke aus den Zauberkästen eins bis drei beherrschen, sich allesamt aber als professionell verkaufen, werden bald als wenig professionell erkannt. Bei Schauspielern, insbesondere im Fernsehen, sind die Konturen schon nicht mehr so klar. Bei Clowns aber sind die Kriterien noch diffuser. Zwar existieren handwerkliche Techniken, die für das improvisierte Clownsspiel hilfreich sind (dazu später mehr), aber eben nicht unerlässlich. So scheint es immer wieder zu genügen, möglichst schrille Kleidung zu tragen (am besten kombiniert mit absurd großen Schuhen) und in dieser Aufmachung, überzeugt von sich und seiner „Lustigkeit“, flache Späße und Spiele zu produzieren. Viel üben muss man dafür nicht.
Es gibt solche Clowns, die auf Festen, in Kliniken und Altenheimen auftreten – und Honorar dafür erhalten.
Nur kein Neid können Kritiker entgegnen: Wenn diese Clowns jemanden finden, der sie bezahlt? Gut. In der Tat geht es weniger um diese Art Clowns, als darum deutlich zu machen, welch diffuser Außensicht und welch fragilem Rollenverständnis professionelle Clowns ausgesetzt sind. Vielleicht nützt folgendes Beispiel:
Die Klinik-Clowns, zu deren Gruppe ich gehöre, hatten die Einladung, in der Pause eines großen Neujahrsvarietés um Spenden bitten zu dürfen. Wie alle anderen Künstler zogen auch wir uns in der gemeinsamen Garderobe um, schminkten uns dort, bereiteten uns für unseren Auftritt vor. Der war – zugegeben – nicht sonderlich anspruchsvoll, dennoch sind wir professionelle Clowns. Mehr als nur einmal saß ich dort in der Umkleide und es schoss mir – mit Blick auf die muskulösen Akrobaten aus Südamerika oder die filigranen Jongleure aus China – durch den Kopf: Eigentlich kann ich – nichts.
Das sagt einmal natürlich einiges über mich aus, wenngleich mir in meinen anderen Professionen nach zwanzig Berufsjahren dergleichen nie passiert. Zum anderen stimmt dieser Gedankenblitz in gewisser Weise sogar. Denn meine Akrobatik- oder Jonglierkünste sind im Vergleich zu denen dieser Athleten internationaler Klasse natürlich ein Witz. Dennoch kann ich natürlich nicht Nichts. Als Clown brauche ich andere Fähigkeiten und habe andere Fertigkeiten erlernt als Jongleure, Akrobaten, Schauspieler oder Zauberer. Doch wie erkläre ich die? „Mach doch mal was Lustiges“, war der ebenso hilf- wie erfolglose Versuch mancher Bekannter, mein damals neues Berufsfeld Clown zu begreifen.
Vielleicht hilft weiter, dass ein Clown vor allem das ist oder darstellt, was den Erfahrungen seiner Betrachter entspricht. Die einen lachen, wenn sie nur eine rote Nase sehen, andere fanden diese Typen schon immer irgendwie unheimlich. Der Clown lässt sich romantisieren in Form dieser weißgesichtigen Harlekine aus Porzellan (am besten mit Träne), reduzieren auf lustige Gesellen oder überhöhen als Zivilisationskritiker.
Auch in der Literatur findet sich ein heiteres Sammelsurium an Typisierungen: Der Clown ist ein Symbol, ein Archetypus1, ein existenzieller Spieler, bei dem es um Leben und Tod geht2. Er präsentiert einen großen Kulturkritiker, der sich auflehnt gegen simple Nützlichkeit und hingibt an das vermeintlich Zwecklose.3 Im Clown tritt das spielende, unverletzte Kind auf: „unbekümmert und naiv, weil ungebildet und unverbildet“.4 Clownerie stellt damit die bewusste, spielerische Rückführung der Erwachsenen in die frühe Kindheit dar5. Seine Heimat ist das Nichts, das Niemandsland6. Er ist ein Grenzgänger, spielt entlang der Grenzen und darüber hinweg – im konkreten wie übertragenen Sinne, er löst Grenzen gar auf7: Zwischen sich und den Zuschauern, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sogar zwischen Gut und Böse8.
Das alles stimmt irgendwie, doch verlören Clowns womöglich jede Spielfreude, hätten sie dies stets im Bewusstsein. Vielleicht nützt es sogar, nicht alles über Clowns zu wissen. Damit bleibt immer ein Rest von Magie, von Überraschung erhalten, der beim Sezieren eines Phänomens verloren geht. Dennoch: Ein Blick zurück fördert das Verständnis für diese facettenreiche Figuren von Narren, Clowns, Hanswursten und wie sie alle hießen. Denn so vielfältig die Auffassungen von Clowns heute sind, so zahlreich und unterschiedlich sind ihre Vorfahren. Allein ein Umstand eint alle narrenhaften, clownesken Charaktere: Sie gehören nirgendwo hin, zu keiner Gruppe, keiner Gesellschaft. Doch statt sich verloren zu fühlen und einsam, verleiht dieser Einzelstatus der Figur Kraft und Freiheit: Mit niemandem zwanghaft verbunden zu sein bedeutet auch, sich mit jedem verbinden zu können, der Unterstützung bedarf. Außerhalb der Gesellschaft zu stehen bedeutet auch, außerhalb von Zwängen zu sein, sich nicht Regeln und Normen unterwerfen zu müssen. Der Narr verliert nicht den Kontakt zu seiner Umgebung, schließlich ist das sein Spielfeld. „Er ist genug Teil dieser Welt, dass er wiederholt erscheinen kann – und zugleich fremd genug, dass er einfach verschwinden kann und vergessen wird, wenn das Spektakel vorüber ist.“9
Dabei beginnt die Geschichte der komischen Figuren nicht lustig. Sie ist vielmehr geprägt von Härte und Brutalität, Armut und Not, Hunger und Tod.
Die ersten Narren waren keine freiwilligen. Sie gaben sich aus Not der Lächerlichkeit preis. Denn alle irgendwie Behinderten, Verkrüppelten oder Kleinwüchsigen konnten wenig bis gar nicht arbeiten, waren ausgestoßen, dem Spott ausgesetzt, auf Almosen angewiesen. Da stellte es immerhin einen Ausweg dar, als Hofnarr ein Auskommen zu finden. Denn Könige und Adelige umgaben sich nicht nur wegen des komischen Kontrasts zur Normalität gerne mit Zwergen und Krüppeln. Sie nutzten den Gegensatz auch dazu, selbst schöner, großartiger, irgendwie mächtiger zu wirken10. Der erste überlieferte offizielle Spaßmacher dieser Art soll ein Zwerg am Hofe des ägyptischen Pharaos Pepi I. (ca. 2295 – 2250 v. Chr.) gewesen sein11. Zwerge zum Zwecke der Belustigung waren auch im frühen chinesischen Kaiserreich beliebt, ebenso im vorkolumbianischen Amerika. Auf römischen Märkten wurden Krüppel und Irre gar zum Verkauf angeboten, damit der Plebs, das gemeine Volk, ein bisschen Spaß haben konnte.12
Zu diesen frühen Unterhaltern aus Not zählten außerdem Blinde, Gelähmte, Amputierte, Kleinwüchsige, Buckelige, aber auch Kriminelle, Prostituierte und Quacksalber. Kurz: Vorrangig jene, die das damals vorherrschende Bild des Menschen durch eine physische oder psychische Deformation verletzten und einen „Modus vivendi“ fanden, indem sie ihr Anderssein zur Schau trugen.13
Vor vielen Jahren nahm ich an einem Buffonen-Kurs teil. Buffone (übersetzt: Hofnarr) hießen in Italien und Frankreich etwa vom 16. Jahrhundert an verkrüppelte oder verstümmelte Menschen, die ausgestoßen waren und versuchten, als Spaßmacher zu überleben. Eine nicht ausschließlich elende Situation, in die wir uns hineinversetzen sollten. Unser Kursleiter, ein Engländer, hatte dazu einen großen Eimer Tennisbälle mitgebracht. Die Aufgabe war nun folgende: Nacheinander sollte jeder einzeln hinter dem Vorhang versuchen, sich in die Gefühlswelt der Ausgestoßenen zu versetzen, um sich dann den Zuschauern zu zeigen. Diese sollten den „Buffonen“ nun mit Tennisbällen bewerfen. Und bei jedem Treffer war der Buffone-Darsteller geheißen, sich zu verbeugen und bedanken für die Ehre, beworfen worden zu sein. Es waren fast nur Männer im Kurs. Alle warfen und trafen wirklich gut. Und jeder Treffer tat wirklich weh. Keine ernsthafte Verletzung, aber realer Schmerz. Der Effekt war überraschend: Im Verlauf des Kurses habe ich mich beim Improvisieren so frei gefühlt wie nur selten. Mir konnte ja nichts passieren, ich war gefühlt ja schon ganz unten.
Parallel zu den Spaßmachern aus Not gab es (wenige) gewollt komische Darsteller. Im Römischen Reich fanden Kultorgien zu Ehren des Gottes Dionysos statt, in denen komische Figuren auftraten als „Macchus“ oder „Mimus albus“. Im frühmittelalterlichen Mysterienspiel wandelten sich diese dann in kirchliche Spielfiguren, die der Verkörperung der guten und bösen Seelen von Verstorbenen dienten. Es gab wilde Szenen in den Kirchen, Spott auf Kosten der kirchlichen und weltlichen Fürsten. Gegen Ende des 16. Jahrhundert war damit Schluss, der Karneval blieb als Rudiment. Die komischen Figuren der Kirchen mussten sich weltliche Bühnen suchen.14
Im Mittelalter wurden Jahrmärkte zur Heimat der frühen Narren, so sie keinen Zugang zu Hofe hatten.15 Diese Jahrmärkte waren damals wichtigster Tausch- und Treffpunkt für Menschen niederen Standes. Dort wurde alles Mögliche zum Verkauf angeboten – von Hühnern bis Tüchern, von Schmiedewaren bis zu seltenen Gewürzen. Es wurde gefeiert und getrunken, Musiker, Gaukler und Narren fanden dort ein Publikum. Zum Teil wurden sie von Händlern als Marketinggag engagiert, um Wundermittel gegen Bauchweh oder Haarausfall anzupreisen. Nie wurden diese frühen Clowns aber als Künstler angesehen, sondern immer als minderwertig, als Bettler, wenn auch als unterhaltsame.16
Aus diesen losen und eher zufälligen Auftritten entwickelte sich im Italien des 16. Jahrhunderts eine erste Form des Theaters auf der Straße, die Commedia dell’arte. Es gab eine mehr oder minder festgelegte Spielhandlung und ihre Figuren waren in einer klaren Hierarchie miteinander verbunden. Einer der bekanntesten Charaktere ist Arlecchino, der Harlekin – ein Vorläufer der modernen Clowns. Arlecchino darf auf der Bühne fast alles, legt sich auf grotesk-naive und doch erfolgreiche Art mit dem Adel an. Vorrangig am Essen interessiert – in Zeiten des damals allgegenwärtigen Hungers von zentraler Bedeutung – lebt er die Wünsche des einfachen Volkes aus.17 Im 19. Jahrhundert verlieren die Jahrmärkte dann an Bedeutung. Der Handel wird sesshaft, die Gaukler und Narren finden Arbeit in einem neuen Feld, dem Zirkus.18
Eine erste Form von Zirkus entstand im industrialisierten England Mitte des 18. Jahrhunderts. Dort entwickelte sich eine neue Reitkunst, die sich unabhängig von höfischem oder militärischem Hintergrund an ein breiteres Publikum wandte. Kunstreiter traten in einer Art Manege unter freiem Himmel auf. Um das Interesse an diesem „Zirkus“ wachzuhalten, wurden mit der Zeit die Nummern differenzierter. Es etablierte sich zudem ein komisches Element, das in den Pausen von den Umbauten ablenkte oder als eine Art Blitzableiter dem Publikum half, seine Spannung abzulachen – die ersten Zirkusclowns, die oft „Claude, der Bauer“ genannt wurden. Ausgehend vom französischen „colon“ für Bauer (lateinisch „colonus“) und dem Namen Claude, soll der Begriff „claune“ entstanden sein, der zum ersten Mal 1817 in einer Reiterparodie angekündigt wurde. Dieser „claune“ wurde dann im Englischen zum „clown“. Der Begriff Clown setzte sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts an als Bezeichnung für Komiker in der Manege auch in anderen Sprachen durch. Anderen Theorien zur Folge soll der Begriff durch verschiedene Stücke von Shakespeare geprägt worden sein, in denen tölpelhafte Bauern als Stereotype des Komischen dargestellt werden.19
Shakespeare war nicht der einzige, der seine Stücke der Welt der Narren öffnete. Die Tölpel und Toren, Fools und Jesters, Arlecchini und Pagliacci waren in der europäischen Kulturgeschichte immer wieder vertreten. So beschrieb Erasmus von Rotterdam 1511 in seinem Buch „Lob der Torheit“ das glückliche Leben der Toren und wie die Welt von ihnen profitieren könne.20 Shakespeare hingegen legte Wert auf die dunkle Seite der Narren21 und ließ in „Hamlet“ zwei Clowns in der Funktion von Totengräbern auftreten.22
Das Antagonistische, Gegensätzliche zählte immer zu den Grundzügen der Narren. Sie versteckten diese Pole menschlichen Verhaltens nicht, sondern legten sie bloß, spielten damit. Das machte die Narren nur interessanter. So verwundert es nicht, dass diese Pole im Zirkus der neueren Zeit ihre Verkörperung fanden: im Weißclown und im Rotclown, dem dummen August. Wann genau dieser „clowneske Dualismus“23 in der Manege umgesetzt wurde, bleibt unklar. Der Weißclown soll erstmals als Figur von dem englischen Clown Joseph Grimaldi um 1790 genutzt worden sein24. Die Geburt des Augusts lässt sich etwas genauer datieren: Um das Jahr 1865 herum in Berlin. Dort ließ der amerikanische Clown Tom Belling bei einem Auftritt im Zirkus Renz das Publikum warten. Das wurde unruhig und fing an zu rufen: „Aujust, Aujust“.25 Belling stolperte dann in die Manege und erntete ob seiner Tollpatschigkeit viele Lacher. Er soll betrunken gewesen sein. Doch die Figur und ihr typisches Verhaltensmuster waren geboren. Die später für ihn charakteristische rote Nase soll der US-amerikanische Clown Albert Fratellini um 1910 zuerst getragen haben. Wann die rote Nase als Maske entstand – sie wurde schon deutlich vor Fratellini verwendet – und warum sie rot ist, bleibt im Dunkeln.26
August, dieses wilde, ungezogene Kind konnte man natürlich nicht alleine in die Manege lassen – als Regulativ diente erst der Stallmeister oder der Zirkusdirektor, später der Weißclown. Während der die gesellschaftliche Norm, die Autorität verkörpert, lehnt sich August dagegen auf, ist der konstruktive Anarch.27 Der Weißclown, gekleidet in Samt und Seide, liebt es, bewundert zu werden. August hingegen weiß gar nicht, was das ist und trägt die unförmigen Klamotten auf, die er gefunden hat. Der Weißclown kennt das Leben, begreift es vom Ende her. In seinem Gesicht spiegelt sich gar die Blässe des Todes, er erscheint als Bote aus dem Totenreich, als Reisender zwischen den Zeiten.28 August hingegen kennt nur das Hier und Jetzt, für ihn ist alles neu, er weiß nichts, steht stets am Anfang. Nach dem Freud’schen Modell der menschlichen Psyche verkörpert der Weißclown das Über-Ich, während August für die Trieb- und Naturhaftigkeit steht – das Es.29
Für das Spiel der Clowns von heute, gleich ob im Zirkus, in Varietés oder Kliniken, bleibt das antagonistische Spiel dieser Statuspartner unerlässlich. Beide brauchen sich: Ohne August wäre der Weißclown schön, aber langweilig, ohne Weißclown hätten die Zuschauer Sorge, August würde seine frechen Späße auf ihre Kosten machen. Die elementaren Kräfte des Lebens sind so fein gebündelt – und gezähmt.
So brav und harmlos wie manch einer die Clowns gerne sieht und darstellt, waren sie also nie. So ekelhaft, gemein und brutal, wie sie in bestimmten Sonderformen zum Ausgang des 20. Jahrhunderts auftauchten, aber auch nicht. Diese sogenannten schwarzen oder Horrorclowns machen sich einen Spaß daraus, Menschen wirklich zu erschrecken. Manche der meist jungen Männer hinter der Gruselmaske nutzten gar ihre Tarnung, um reale Straftaten zu begehen. Ob nun Trunkenheit, Sadismus oder kriminelle Energie ihr Motiv darstellt, lässt sich hier nicht klären. Viel interessanter aber ist die Frage: Warum verstecken sie ihr Gesicht hinter einer Clownsmaske? „Wieso verschrecken sie nicht als Chirurgen verkleidet mit einem Skalpell in der Hand? Wieso nicht als Extrembergsteiger mit einem Eispickel?“30
Vielleicht liegt es an der mangelnden Fantasie dieser Sadisten, vielleicht aber auch an den Wurzeln der Clowns, dass sie ausgerechnet diese Figur gewählt haben. Denn die Narren der Geschichte waren vor allem durch eines vereint, durchs Anderssein. Das garantierte Aufmerksamkeit. Und dieses Unangepasste, ja Unberechenbare prägt die Figur des Clowns bis heute – was ihren Reiz ausmacht, aber auch Unruhe erzeugen kann. Auf dieser Basis lässt sich wirksam aufbauen. Nächster, wesentlicher Teil ist die Maske. Alle Gruselclowns sind hässlich, mit verzerrtem Lächeln und bis zur Unkenntlichkeit geschminkt. Das ruft Unbehagen und Angst hervor. Denn lässt sich die Mimik des Gegenübers nicht erkennen, fehlt etwas, das zwingende Voraussetzung für unmittelbaren Kontakt ist, nämlich die intuitive Einschätzung: Kann ich mich gefahrlos nähern oder soll ich Abstand halten? Wer schon einmal versucht hat, mit Menschen zu plaudern, die uns aus Sonnenbrillen mit verspiegelten Gläsern anschauen, weiß, wie irritierend allein dies schon sein kann.
Und zuletzt sind die Menschen geschockt, weil niemand derartig geschminkte und kostümierte Kunstfiguren abends in einem Parkhaus oder der Fußgängerzone erwartet. Sobald grell geschminkte Clowns ihre üblichen Bezugsrahmen verlassen, wirken sie nicht komisch, sondern befremdlich, beängstigend, schockierend. Das wäre ähnlich, wenn Kinder mit Masken von Totenschädeln nicht an Halloween, sondern an Heilig Abend klingeln würden.