Wissenschaft aus Mitgefühl - Carolin Ruckert - E-Book

Wissenschaft aus Mitgefühl E-Book

Carolin Ruckert

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Beschreibung

Seit Beginn meines Studiums habe ich mich mit dem Thema Tierversuch auseinandergesetzt. Ich wollte nicht wegschauen, sondern verstehen, was richtig und was falsch ist. Dabei habe ich gemerkt, dass dies gar nicht so einfach ist. Im Laufe der Jahre habe ich Gelegenheiten genutzt, um in das Innere von Versuchslaboren zu schauen, die Menschen dort kennen zu lernen und die Systeme von Forschung und Industrie zu beleuchten. Aus Verantwortung vor dem uns begegnenden Leben schauen wir hin, um zu erkennen, was es zu tun gibt!

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Inhalt

Vorwort

Was mich zu diesem Buch bewegte

In Resonanz mit Tieren

Der Weg in die Wissenschaft

Wonach strebt Wissenschaft?

Tierversuche – der erste Kontakt

Geschichte der Tierversuche

Über die umstrittene Unabdingbarkeit von Tierversuchen

Dankbarkeit und Wissenschaft

Zoonosenforschung sollte es sein?

Erkenntnisse durch Corona

Zusammenhänge von Forschung, Politik und Wirtschaft

Infektionsforschung und das große Ganze

Was will ich und was will ich wirklich?

Von verrückten und von mitfühlenden Wissenschaftlern

Lasst uns meditieren und berührt sein

Und was ist mit den Versuchstieren?

Nachwort

Dank

Vorwort

Wissenschaft und Mitgefühl sind kein Widerspruch, sie sind unabdingbar miteinander verknüpft, wenn wirklich gute Wissenschaft entstehen soll. Mitgefühl in der Wissenschaft bedeutet aber noch viel mehr. Die biographische Reise, auf die ich den Leser mitnehme, beleuchtet vor allem die Tierversuche. Nichts hat mich während meiner beruflichen Laufbahn mehr umhergetrieben als dieses Thema. Denn jeder Tierversuch ist mit Leid verbunden, das ist Fakt. dies ist die Definition eines Tierversuchs! Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn als Ärztin und Tierärztin viele Tierversuchslabore von innen gesehen und war bei zahlreichen Experimenten an Tieren dabei. Was ich aus meinem Weg des Sehens und Lernens erfahren habe ist, dass es der Wissenschaft an Mitgefühl mangelt. Ich gehe mittlerweile soweit, zu behaupten, dass ein Umdenken in der Wissenschaft notwendig ist. Nicht nur Versuchstiere brauchen dieses Mitgefühl, gerade Wissenschaftler brauchen dies mehr denn je! Zeit-, Kosten-, Konkurrenzdruck sowie die Vorgabe, möglichst schnell und mit hohem impact factor zu publizieren dominieren den Geist der Wissenschaft. Profitorientiertes Denken hat in einem Gebiet Einzug gefunden, welches in seinem Kern und Ursprung einen anderen Charakter hat. Wissenschaft ist eigentlich frei im Geist und Denken, denn jeder Wissenschaftler hat einen Spielraum, innerhalb dessen er seine Forschungsaufgaben selbstständig und kreativ wählen kann. Doch leider lassen sich viele unreflektiert vom Fluss der wirtschaftlich abhängigen Forschung mitreißen. Einige frei denkende Forscher gibt es, die unabhängig von ihrem Umfeld und den Gegebenheiten immer einen Weg finden, innovativ zu sein und mit ihrer Forschung etwas zu bewegen und Mitgefühl in die Welt zu bringen. Dies gilt es zu bewahren, zu fördern und an nachfolgende Generationen weiter zu tragen!

Jeder Forscher trägt Verantwortung über die möglichen Konsequenzen seiner Ergebnisse sowie über das während der Forschung produzierte Leid. Viele Wissenschaftler konstatieren, dass aufgrund der Forschungsfreiheit Tierversuche legitim sind. Dem ist entgegen zu setzten, dass wie erwähnt, Forscher oft nicht wirklich frei handeln. Zudem hört die Freiheit des einzelnen da auf, wo sie einen anderen verletzt. Dies gab es in der wissenschaftlichen Geschichte zu genüge, so dass man daraus lernen sollte. Forschung kann und darf sich ihrer Verantwortung nicht entziehen. Wenn man durch Wissenschaft neues Wissen schafft, dann trägt man auch die Verantwortung hierfür. Man kann nicht etwas produzieren und dann sagen "Schaut, wie ihr damit zurecht kommt! Ich habe das nur erschaffen." Diese Vorstellung herrscht tatsächlich vielerorts.

Wissenschaft kann viel bewegen. Sie sollte daher ihr Potential für gute Zwecke noch mehr ausbauen. Dazu gehört auch, dass die Förderer dies mehr unterstützen sollten. Alternativmethoden für Tierversuche werden vielerorts gefördert. Diese Förderung beträgt jedoch nur einen Bruchteil dessen, was an Geldern für Tierversuche ausgegeben wird. Hier fehlt es an vielen Seiten an Engagement und der Bereitschaft zum Umdenken. Vielmehr ist die Tierversuchsforschung eine eigene Industrie geworden. Dies ist sicherlich auch ein treibender Grund, warum in die Förderung von Tierversuchen viel mehr Forschungsgelder fließen. Was könnte man alles bewirken, wie viele tierversuchsfreie Methoden (weiter)entwickeln, wenn die Gelder in andere Richtungen umgeleitet würden! Es fehlt somit an Verantwortung und Mitgefühl an vielen Fronten!

Tierversuchsgegnern wird vorgeworfen, zu emotional zu reagieren. Demgegenüber erscheint die Wissenschaft besonnen und objektiv. Dies wird immer wieder betont. Ich habe allerdings erlebt, dass Wissenschaftler, werden Sie bezüglich der Tierversuche kritisiert, nicht minder emotional reagieren. Ich frage mich, welchen Weg kann man noch gehen? Wir können Gefühle nicht aus der Wissenschaft ausklammern. Viele von uns haben nur nie gelernt, achtsam mit ihnen umzugehen. Gefühle und Wissenschaft sind für mich heute kein Widerspruch mehr. Vielmehr sehe ich einen Bedarf, mehr Mitgefühl in die Wissenschaft einzubringen, für die Wissenschaftler selbst, für ihre Forschung, für den Zweck für den sie forschen und nicht zuletzt für die Versuchstiere. Ich möchte eine Wissenschaft unterstützen, die im Ansatz in diese Richtung geht. Dieses Buch und die Einnahmen aus dem Verkauf unterstützen die Erforschung, Entwicklung und Etablierung von Alternativ- und Ersatzmethoden zu Tierversuchen.

Was mich zu diesem Buch bewegte

Vor einiger Zeit lass ich die Cambridge Declaration on Consciousness, doch verwirrte mich das Geschriebene zunehmend. Es handelte sich um einen Artikel, in dem sich Wissenschaftler dafür einsetzen, Tieren ein zum Teil ebenbürtiges Bewusstsein wie Menschen zuzusprechen. Das schien zunächst positiv. Doch ich verspürte gleichzeitig Entrüstung. Woher wissen wir wirklich, wie bewusst ein Tier ist? Ist vielleicht manch Tier bewusster als manch Mensch?

Ich nahm wahr, dass in dem Artikel versucht wurde, alles Vermutete wissenschaftlich beweisen zu wollen. Aber wofür eigentlich? Wenn es um die Frage nach Bewusstsein geht, kann der denkende Geist da überhaupt hilfreich sein? Das Leben besteht aus mehr. Ist nicht Bewusstsein in jeder Pflanze, die wir mit allen Sinnen wahrnehmen? Wie spüren wir Verbindung und das Einssein mit dem uns umgebenden Leben? Wenn wir das Sein durch den Körper empfinden und dadurch das Leben an sich erkennen, welche Bedeutung hat dann unser Verstand? Wäre es nicht angemessen, wenn man demütig anerkannte, dass wir nicht beurteilen können, wie bewusst ein anderes Wesen ist? Es lässt sich erahnen und bleibt dennoch ein subjektives Empfinden, denn keiner gleicht exakt dem anderen. Vielleicht kann man auch nur so viel Bewusstsein im anderen spüren, wie man es selbst ist? Warum bewerten wir überhaupt, wer aufgrund welcher Leistungen besser ist und dadurch mehr Rechte haben darf? Wie kommen wir zu solch hierarchischem Denken? Ist der Mensch wirklich das Maß des höchsten Bewusstseins? Und ist ein solches Wissen überhaupt notwendig, wenn es darum geht, Leben mit Respekt zu behandeln? Was will man denn da messen? Wissenschaft, lass uns doch einfach sein! Mach das, wofür du da bist in einem Maße, dass es nützt, aber wenn es um Bewusstsein und auch um Mitgefühl mit anderem Leben geht, akzeptiere, es nicht in Schemata stecken zu können! Warum den Zauber entweihen?

Warum nicht demütig fühlen und hinnehmen, dass wir vielleicht nicht die Krone der Schöpfung sind, sondern ein Teil des Lebens? Ist das nicht schon wunderbar genug? Und mal ehrlich, manche Tiere sind in vielen Sinnen dem Menschen überlegen. Macht sie das jetzt zu besseren non-human animals? Vielleicht wird durch solche Forschungsversuche einigen Wissenschaftlern aber klar, so, wie es mir im Laufe der Jahre erging, dass man mit Wissenschaft nicht die Lösung für alles findet. Ich habe versucht, Gefühle und Liebe in die Wissenschaft hereinzubringen. Ich habe dort nach Mitgefühl gesucht, um Veränderungen herbeizuführen, hatte so noble Vorstellungen und Absichten. Bis ich schier daran verzweifelte und erkannte, dass dieser Weg eine Sackgasse war. Und das war gut so. Wenn man das Sein nur in der Pause zwischen den Gedanken wahrnimmt und durch den Körper spürt, wie will man das in wissenschaftlicher Sprache ausdrücken? Das ist etwas für Kunst und Poesie. Wissenschaft stößt da an ihre Grenzen, zumindest die Naturwissenschaft. Wobei, früher hieß es mal „the art of science“. Das macht mich neugierig. Wäre eine Weiterentwicklung der Wissenschaft möglich? Dafür bräuchte es bewusste Forscher und nicht welche, die nur darüber reden. Eine Meditationsstunde vor dem Labor, das wäre doch mal was! Mehr Mitgefühl für andere, aber auch für uns selbst, das würde vieles verändern.

Nach diesem innigen Sinnieren über die Aussagen zum Bewusstsein und über das nicht nur in der Forschung herrschende hierarchische Denken packte ich meine Tasche für den nächsten Wochenenddienst. Als Ärztin im Infektionslabor hatte die Coronapandemie uns fest in ihrem Bann. Oder war es nur das, was wir daraus machten? Während ich ins Auto stieg, die Musik laut drehte und der Bass mich wieder zu mir selbst brachte, wurde klar, dass ich dieses eine Buch endlich zu Ende bringen wollte. Vor einigen Jahren hatte ich zu schreiben begonnen, wollte über Tierversuche berichten und eine Forschung ohne Tierleid unterstützen. Plötzlich verstand ich, dass meine Argumentationen ohne den persönlichen Hintergrund nur eine Hülle waren. Im Inneren spürte ich, was mich als Mensch bewegte, und das musste raus. Zuvor hatte ich versucht, in der Sprache der Wissenschaft Mitgefühl einzufordern. Doch es gibt Dinge, die können nicht sachlich paraphrasiert werden. Wo Leid erzeugt wird, obwohl es vermeidbar wäre, müssen wir hinschauen und es anpacken! Ansonsten machen wir uns mitschuldig. Wer sind wir, wenn wir unsere Macht gegen wehrlose Lebewesen ausnutzen? Was sind wir als Menschen, wenn unser Sinn des Lebens nicht im Mitgefühl und im Sich-Einsetzen für ebendieses besteht? Ich verstand erst die Bedeutung meiner eigenen Bestürzung sowie die Sehnsucht, den Weg des Mitgefühls zu gehen, als ich mich traute, meine eigene Geschichte einzubeziehen. Ich ging den Weg einer Wissenschaftlerin. Was war die Motivation, und warum fand sich dort nicht das, wonach ich suchte? Welche Bedeutung hatten die Tiere? Und was war mit diesem einen Gefühl, das mich im Nachhinein unmissverständlich navigierte?

Doch eines wurde mir klar: Die wahre Kunst bestand nicht im Kämpfen gegen vermeintliches Unrecht. Die bedrohlichen Dämonen, die wir im Außen bekriegen, sind oft eigentlich die im Inneren. Dies ehrlich zu betrachten, erfordert Mut und Mitgefühl. Es ist ein Weg, zu verstehen, wann wir, obgleich wir noble Absichten haben, trotzdem Leid erzeugen, und wann es wirklich nötig ist, einzugreifen, um Leben zu schützen und Harmonie herbeizuführen. Die Resonanz mit dem Leben zu erfahren – dies ist mein persönlicher Weg. Nun aber nehme ich den Leser mit in die Welt der Wissenschaft und in meine persönliche Reise. Wer dieses Buch liest, wird eingeladen, die eigene Resonanz zu spüren. So erfahren wir, was zu tun oder zu unterlassen ist. Dabei richte ich mich an diejenigen, die über den eigenen Horizont hinaus das Leben als etwas unfassbar Wundervolles betrachten. Ich spreche die an, die sich mutig, fühlend und liebend diesem hingeben.

In Resonanz mit Tieren

Es gibt eine Sprache, die findet jenseits von Worten statt. Was kommt vor dem Satz, vor dem Denken? Und wie kommunizieren wir, wenn nicht allein durch Worte oder Körpersprache? Spüre ich mich selbst und das Gegenüber? In einem Achtsamkeitskurs wurde einmal behauptet, Menschen seien nur zwei Prozent des Tages bewusst. Durch Meditation könne man sich des eigenen Handelns und der Gedanken etwas mehr gewahr werden. Wenn wir unsere Umwelt überwiegend subjektiv empfinden, sind vergangene Begebenheiten im Nachhinein nicht mehr objektiv beurteilbar. Erwischen wir aber einen dieser bewussten Momente, in denen wir nicht Gedanken anhaften, erhaschen wir einen Hauch der Wirklichkeit. Auch auf der kommunikativen Ebene findet so ein authentischerer Austausch statt. Die Verständigung zwischen Menschen wird klarer. Hierfür braucht es dann nicht einmal Worte. Die Japaner haben für diese Art der Wahrnehmung den Begriff ishin denshin erschaffen. Dies bedeutet „eine bestimmte Form der zwischenmenschlichen Begegnung, die von gegenseitigem Verständnis ohne wortreiche Erläuterungen geprägt ist“1. Aber wie gelangen wir wieder an die Wurzeln unseres Selbst und an diese reine Form der Kommunikation? Manchmal lehren uns Tiere dies.

Als ich im Alter eines Kindergartenkindes war, gab es Geschichten über Menschen, die mit Tieren besondere Beziehungen hatten. Es hieß, sie verstünden ihre Sprache. Dies faszinierte mich, denn ich spürte eine Verbindung zur Natur und zu ihren Bewohnern. Wann immer ich mit meiner Großmutter in den nahe gelegenen Stadtpark ging, nahmen wir Futter für die Vögel und Eichhörnchen mit und ich machte mich ans Üben. Ich wollte, dass die scheuen Tiere mir vertrauten, und so stand ich regungslos da, mit flachem Atem und in Gedanken so still wie möglich. Eine kleine Meisterleistung für ein Kind, mag man meinen, doch ich glaube, diese Fähigkeit besitzen wir alle. Irgendwann saßen die Meisen auf der Hand und pickten die Körnchen heraus. Am bewegendsten aber waren die Begegnungen mit den Eichhörnchen. Ich lockte sie auf eine Parkbank und setzte mich still wartend daneben, die Hand dicht neben dem Futter platziert. Ich schaute den Tieren in die Augen und sie blickten zurück. Dabei blieb mein Geist ruhig. Irgendwann ließen sie es zu, dass ich mit dem Finger das seitliche Brustfell streichelte. Dann zog ich die Hand zurück und das Hörnchen hüpfte davon. Ich wollte einen Kontakt herstellen, es aber nicht bedrängen. Wenn ich dies im Nachhinein betrachte, war es nichts anderes, als was der naturverbundene Autor Tamarack Song „einen Coup zu landen“ nennt. Hiermit meint er, ein Tier aus reiner Freude oder aber zum reinen, aber dennoch respektvollen Schabernack zu berühren. Song sagt: „Ich glaube, es gibt etwas beim Coup, das tief in der menschlichen Psyche verankert ist. Den Großteil unserer Existenz als Spezies waren wir Jäger*innen und Sammler*innen und mussten zweifellos aus der Jagd emotionale Befriedigung ziehen, um sie fortzuführen. Dieses Hochgefühl, wenn wir Beute anpirschen und überlisten (was im Wesentlichen einen Coup ausmacht), hat sich in unserer DNS eingeprägt und manifestiert sich nun in unterschiedlichen Formen, angefangen bei einem guten Rätsel bis zu diversem Schabernack. [...]. Wissentlicher Coup: Eine Kreatur weiß, dass sich ihr jemand nähert und sie berührt.“2

Doch die Berührung eines Tieres ist mehr als wiedererweckter Jagdinstinkt. Sie ist etwas, das über diese noch in uns vorhandenen Eigenschaften hinausreicht. Es ist ein Erkennen des Lebens im Gegenüber. Dies erkennt Song an: „Die Natur ist bekannt für ihre Schönheit und ihre Geheimnisse sowie als Ort des Trostes und der Inspiration. Aber können wir erkennen, dass wir selbst Natur sind? Wir stammen von der Natur und müssen zur Natur wieder zurückkehren, wenn wir sterben. Doch etwas hat sich zwischen diesen beiden Ereignissen zugetragen: Wir haben die Natur verlassen und sind oftmals einem Leben nachgejagt, das zu ihr im Gegensatz steht. [...]. Hier werden wir verstehen, dass das Verständnis dessen, was Tiere sagen, nichts mit Magie oder Hellsehen zu tun hat. Wir werden feststellen, dass ein Tier zu berühren genauso möglich – und vielleicht genauso fantastisch – ist, wie die Hand auszustrecken und unsere Geliebten zu berühren.“3 Erwähne ich heutzutage den Begriff Kommunikation mit Tieren, meine ich im Grunde nichts anderes als das von Song Beschriebene. Wir treten in Resonanz mit einem Lebewesen und erspüren den gegenseitigen Austausch von Gefühlen. Um dies wahrzunehmen, braucht es das Zurückkommen zum eigenen Selbst. Song beschreibt dies als Einswerden mit der Natur, was dem modernen Menschen häufig schwerfällt: „Für die Menschen des Westens ist der Zugang zu den Geheimnissen der Natur mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaft weitgehend verloren gegangen. Alles wird gemessen und untersucht, um auf seinen Nutzen überprüft zu werden. Die Idee von Schöpfung oder gar von einer alles durchdringenden Weltseele ist völlig in den Hintergrund getreten.“4

Die Begegnungen mit Eichhörnchen und Meisen waren erste Versuche, den Geheimnissen der Natur nahezukommen. Auch in der weiteren Kindheit übte sie eine große Faszination auf mich aus. Tiere erhielten eine tiefere Bedeutung, und eine Sehnsucht nach dieser Verbindung war erwacht.

Was mir im Rückblick auf die ersten Begegnungen mit Tieren auffiel, war, dass ich als Kind bereits eine Ahnung von der Besonderheit gegenseitiger Berührung hatte. Zum einen tragen wir alle das Bedürfnis nach Verbindung und auch nach körperlichem Kontakt in uns, zumindest ist das bei einer so sozialen Kreatur wie dem Menschen ausgeprägt. Doch wird dies nur zufriedenstellend möglich, wenn beide Individuen davon profitieren. Dann entsteht eine Art Resonanzgefühl, was für uns so bereichernd und beglückend ist. Berührung kann auch mehr sein als körperlicher Kontakt. Dies beschreibt Song treffend: „Darüber hinaus nehme ich davon Abstand, Tiere zu berühren, aus Respekt vor ihnen, da ich weder mein Ego aufblasen noch mir einen Sport aus meiner Beziehung zu ihnen machen möchte. Das Berühren würde mich in meinem rationalen Verstand zurückhalten, was meine Fähigkeit beeinträchtigen würde, in das einzutreten, was meine indigenen Ältesten die Stille nennen.“5 So gesehen ist bewusster Kontakt immer etwas Freiwilliges, dem beide Partner zustimmen und der so lange dauert, wie es der Einzelne zulässt. Wir gehen eine intensive und intime Beziehung mit den Tieren ein, wenn wir sie anfassen. Wahre Berührung findet jedoch in der Stille statt, indem Resonanz und Mitgefühl entstehen.

1http://www.budopedia.de/wiki/Ishin_denshin.

2 Tamarack Song: Werde eins mit der Natur (2019).

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Ebd.

Der Weg in die Wissenschaft

Das Ende der Schulzeit bahnte sich an, und eine Entscheidung für die berufliche Laufbahn sollte gefällt werden. So neigte sich ein Lebensabschnitt dem Ende zu, während kurz zuvor ein neues Lebensgefühl eingesetzt hatte. Das letzte Abiturjahr fernab der Schule prägte eine Zeit durchtanzter Salsa-Nächte und gemeinsamer Kochabende unserer deutsch-spanisch-mexikanischen Clique. Zudem hatte ich das Ballett für mich entdeckt. Tanz war ein Teil meines Lebens geworden und bis in die frühen Morgenstunden dem Pflichtprogramm der Schule vorrangig. Nebenher ging ich eher pragmatisch das Abitur an, um irgendwie den nötigen Notendurchschnitt zu schaffen, um dann endlich das gewünschte Tiermedizinstudium zu beginnen.

Nach bestandener Abiturprüfung jobbte ich eine Weile und machte ein Praktikum in einer Landtierarztpraxis. Die Rinder hatten es mir angetan. Doch leider, schnell zu verunsichern und schüchtern, wie ich war, warf mich das Praktikum zweifelnd aus der Wunschlaufbahn. Seit der Kastration unserer Katze, bei der ich unbedingt dabei sein wollte, war klar, dass ich Tierärztin sein wollte. Der Wissensdurst über Tiere war unstillbar. Doch dann begegnete ich resignierten Veterinären, die missmutig über ihren Job sprachen und Arbeitslosigkeit aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage der Praxen, der Tierarztschwemme und des zunehmenden Anteils kleiner Stadtpraxen vorhersagten. Außerdem gehe die Landwirtschaft eh finanziell den Bach hinunter, kleinere Höfe würden nach und nach ihre Existenz verlieren. Zudem bekam ich mit, dass häufig dem Tier gar nicht geholfen werden konnte, weil da immer der Besitzer dazwischen stand. Und manchmal war dieser sogar der Verursacher des Leides. Derart verunsichert und nicht wirklich standhaft im Leben verankert, entschied ich mich zunächst für etwas Vernünftiges. Doch glücklicherweise hatte meine innere Stimme bisher immer das letzte Wort. Ich mag zwar den ein oder anderen Umweg gegangen sein, doch die Dissonanz in mir spürend und dann doch von der Sehnsucht geleitet, gelangte ich schließlich zu einem Doppelstudium der Human- und Tiermedizin. Sinn machte es keinen und bis zum Schluss war unklar, ob dieses Unterfangen überhaupt klappen würde. So unangenehm mir das ständige Fragen andere war, was ich denn damit machen wollte und ob das denn überhaupt ginge, so sehr spürte ich, dass diesen Weg zu gehen, die richtige Entscheidung war. Dem Herzen folgen, ohne zu wissen, was das Ziel ist und wie weit man kommt, im Nachhinein war es das Beste, was ich je machen konnte. Und Tierarzt werden zu können, dies war das beruflich schönste Geschenk meines Lebens. Auch wenn ich heute nicht auf die klassische Art als Tierarzt wirke, so folge ich meiner inneren Resonanz und übe mich darin, mit Herz und Verstand das umzusetzen, wonach ich mich sehne.