Wo ein Wille ist ist auch ein Van - Isabel Gummersbach - E-Book

Wo ein Wille ist ist auch ein Van E-Book

Isabel Gummersbach

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Beschreibung

Probleme mit der Wohnung, endende Arbeitsverträge, gescheiterte Pläne - für die einen klingt das nach einer ungewissen Zukunft, für Jan und Isa jedoch ist es der beste Zeitpunkt, um einen langersehnten Traum umzusetzen: Sie kehren dem deutschen Alltag den Rücken zu und fliegen für ein Jahr nach Neuseeland. Dort steuert ihr eigensinniger Van sie nicht nur durch die atemberaubenden Landschaften, sondern dank unzähliger Pannen auch in Situationen der Verzweiflung. Es beginnt eine Reise, die sich die beiden so nicht erträumt hatten, die ihnen jedoch Einblicke in das Leben der hilfsbereiten Kiwis, neue Freunde aus aller Welt und unvergessliche Erinnerungen schenkt, immer getreu dem Motto: It's all part of the adventure!

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In Gedenken an Graham und Paul.

Inhaltsverzeichnis

Prolog: Januar 2023

Am Anfang war der Traum: Dezember 2015

Aufbruch: Januar 2016

Auf der anderen Seite der Welt: Februar 2016

Freiheit: Februar 2016

Ein Toast auf das Abenteuer: Februar 2016

Frodos Nachbarn: Februar 2016

Vom Regenwald in die Traufe: Februar 2016

Begegnungen: Februar 2016

Ihre Route wird neu berechnet: Februar 2016

Oasen: Februar 2016

Wilde Höhlenexpedition: Februar 2016

Licht und Schatten: März 2016

Von Motorrädern und Maori–Stätten: März 2016

Gedankengänge: März 2016

Lektionen fürs Leben: März 2016

Viel Schokolade für die Nerven: März 2016

Forgotten World Highway: März 2016

Die Suche nach den Osterorks: März 2016

Auf dem Weg zum Schicksalsberg: März 2016

Opa Alan und der magische Cheesecake: März 2016

Friedhof der Kraftfahrzeuge: April 2016

Kiwi life: April 2016

¡Trabaja más rapido!: Mai 2016

Abwarten und Kiwis kochen: Mai 2016

Lokus mit Meerblick: Mai 2016

Eiszeit: Mai/Juni 2016

Revival–Tour: Juni 2016

Wahnsinn, Haka und Magie: Juni 2016

Darum ist Neuseeland so grün: Juni 2016

Reif für die Insel: Juni/Juli 2016

Tierisches Inselparadies: Juli 2016

Halbzeit: Juli 2016

Alter Schwede, ist das schön!: August 2016

Rain Sweeper and orange Dwarf: August 2016

Farewell, old friend: September 2016

Abschiedsreise in den Süden: Oktober 2016

Architektur: von Art–Déco bis Elbenkunst: Oktober 2016

Abenteuer 2.0 – Die Südinsel: Oktober 2016

Wilde Westküste: Oktober 2016

Der Herr der Klinge: Oktober 2016

Die Stadt der Königin: Oktober 2016

Plüschige Füße: Oktober 2016

Schifffahrt ins Paradies: November 2016

Der Ruf des Pinguins: November 2016

Dracheneier und allerlei Vögel: November 2016

100 Prozent Neuseeland: November 2016

Vom höchsten Berg zur größten Stadt: November 2016

Flipper & Friends: Dezember 2016

(K)Eine Chance: Dezember 2016

From South to Snow(field): Dezember 2016

Weihnachten bei den Snowfields: Dezember 2016

Farewell: Dezember 2016

Großstadtdschungel: Dezember 2016

Freudentränen: Dezember 2016

Epilog: April 2017

Prolog

Januar 2023

Ursprünglich war dieser Reisebericht ein Reiseblog, über den ich während unseres Work–and–Travel–Abenteuers im Jahr 2016 unsere Familien und Freunde daheim auf dem Laufenden hielt. Erst zurück in Deutschland fasste ich die Blogeinträge zu einem Buch zusammen.

Für all diejenigen, die uns auf dieser Reise begleiten möchten, einer Reise voll von atembereaubender Natur, ungeahnten Wendungen, multikultureller Begegnungen und unvergesslichen Erlebnissen, gewürzt mit einer ordentlichen Prise der feinsten Gefühlsmischung.

Bitte stellt Eure Sitze in eine gemütliche Position, klappt Eure Fußhocker aus und schaltet Eurer Gehirn auf Buch-Modus. Ich freue mich, Euch auf unserem Abenteuer kreuz und quer durch Neuseeland willkommen zu heißen.

Viel Spaß!

Die Namen der in diesem Buch beschriebenen Personen wurden geändert.

Die Erzählungen auf den folgenden Seiten entsprechen zu ungefähr 99,8 Prozent der Wahrheit.

Am Anfang war der Traum

Dezember 2015

Bald ist es soweit und der letzte Tag des Jahres bricht an. Während dann nachts Raketen lautstark in die Luft sausen und bunte Kunstwerke am Himmel aufleuchten lassen, verabschieden wir uns von einem ereignisreichen Jahr 2015, um ein noch spannenderes Jahr 2016 willkommen zu heißen.

2016 – das Jahr, in dem all die vielen Stunden der Planung und Organisation endlich zur wahrhaftigen Verwirklichung unseres Traumes werden. Ein Traum, der als fixe Idee begann: ein Jahr lang durch ein fremdes Land reisen. Sowohl Jan als auch ich hegten diesen Wunsch schon lange, doch gab es bislang immer einen Grund, weswegen der Traum eben nur ein Traum blieb – fehlendes Geld, fehlende Zeit, aber auch fehlender Mut. Doch plötzlich war der perfekte Zeitpunkt gekommen: wir hatten die finanziellen Mittel, wollten ohnehin aus unserer Wohnung raus, weg vom Schimmel und den nervigen Nachbarn. Ursprüngliche Zukunftspläne scheiterten an einer Absage, unsere befristeten Arbeitsverträge würden bald enden. Eine Situation, die im ersten Moment dunkel und ungewiss wirkte, stellte sich letztlich als Wink des Schicksals heraus: das war unsere Chance! Gemeinsam würden wir das Abenteuer «Work and Travel» wagen.

Das Reiseziel war schnell gefunden: Neuseeland. Das Land, in dem die «Der Herr der Ringe»–Trilogie gedreht worden war. Das Land, in dessen Natur ich mich über diese Filme verliebt hatte, das mich mit seinen abwechslungsreichen Landschaften in den Bann zog und das mich schon seit meinem Abitur lockte. Es war nicht schwer Jan von dieser Idee zu überzeugen.

Es folgte monatelange Planung: Wir recherchierten rund um das «Working Holiday Visum», traten Facebook–Gruppen bei, die sich mit den Themen «Work and Travel» und «Neuseeland» befassten, studierten die Reiseblogs anderer Abenteurer, erstellten Listen, beantragten unsere Visa, bangten einige Wochen und jubelten laut als die Bestätigung endlich ankam. Die Flüge wurden rausgesucht und gebucht, Equipment gekauft, mehr und mehr Punkte unserer To–Do–Liste abgehakt. Ach ja, arbeiten mussten wir bis zu den Weihnachtsferien auch noch. Schließlich zogen wir aus unserer Wohnung aus und stopften die Keller unserer Eltern mit unserem Hab und Gut voll – wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass sie uns in allem so sehr unterstützen.

Inzwischen ist viel Zeit verstrichen – der Countdown läuft: noch vier Wochen und vier Tage!

Aufbruch

Januar 2016

Es ist soweit: Unsere Reise hat begonnen! Der Abschied war so schwer und unrealistisch zugleich. Meine Eltern brachten uns zum Düsseldorfer Hauptbahnhof, wo wir – voll bepackt mit unseren schweren Rucksäcken – für ein paar Abschiedsfotos posierten. Je näher die Zeiger der Bahnhofsuhr an die Abfahrtszeit heranrückten, desto bedrückter wurde die Stimmung.

Der ICE fuhr ein. Umarmungen, Abschiedstränen. Die Türe öffneten sich und wir stiegen ein. Es fühlte sich nicht an, als würden wir sie für ein Jahr verlassen. Vielleicht für eine Woche oder zwei, aber doch nicht für ein ganzes Jahr? Zwölf Monate? Die Vorstellung, dass wir unsere Familien und Freunde so lang nicht sehen werden, kommt mir total unwirklich vor. Dass wir nun so lange so weit weg sein werden, auf der anderen Seite der Welt, ist für mein Hirn noch nicht greifbar.

Doch noch sind wir in Deutschland, genauer gesagt in Frankfurt. Die ICE–Fahrt von Düsseldorf verlief problemlos und wenig ereignisreich. Nun genießen wir die ruhigen Stunden im Hotel, in denen wir nicht großartig planen müssen oder darüber nachdenken, ob wir alles eingepackt haben. So langsam realisieren wir zumindest, dass es morgen wirklich losgeht. Morgen. In etwa sechzehn Stunden! Und doch gibt es nur wenige Momente, in denen wir denken: «Es geht los! Auf nach Neuseeland!». Vermutlich ist das eine Art Selbstschutz, damit unsere Herzen nicht pausenlos rasen und wir einen klaren Kopf behalten können.

Auf der anderen Seite der Welt

Februar 2016

Der Tag des Abflugs und somit der erste richtige Tag unserer Reise, begann mit unerwarteten Hürden, denn unser Hotel hatte, ohne dass wir es wussten, seine Pforten für immer geschlossen. Wir waren die allerletzten Gäste, die es je gehabt haben wird. Entsprechend groß war unsere Überraschung, als wir auschecken und bezahlen wollten, jedoch nur noch eine Barzahlung möglich war. Irgendwie hatte man, dummerweise, verschwitzt uns vorab auf diesen kleinen Umstand hinzuweisen.

Nachdem Jan zum nächsten Geldautomaten geflitzt war und wir die Hotelrechnung beglichen hatten, kutschierte uns ein sehr unseriös wirkender Taxifahrer in einem alten, stinkenden (und ausrangiert wirkenden) Wagen zum Flughafen. Der Fahrer war wirklich merkwürdig und still, drehte aber wort– und widerstandslos um, als ich bemerkte, dass ich das Ladekabel meines Handys im Hotelzimmer vergessen hatte. Der erste kleine Schock, ein mysteriöser Taxifahrer und ein Hotel, das eigentlich keines mehr ist – unser Abenteuer begann wahrlich früher als gedacht.

Immerhin kamen wir pünktlich am Frankfurter Flughafen an, brachten den Check–In sowie die Sicherheitsschleusen problemlos hinter uns und verbrachten die Wartezeit mit ein paar letzten Telefonaten von deutschem Boden aus. Die Erkenntnis, dass wir sehr, sehr lange weg sein würden, kratzte erneut an unserem Bewusstsein. Vorfreude mischte sich mit Wehmut, doch der Gong zum Boarding ließ uns nicht viel Zeit darüber nachzudenken.

Der Flug nach Hongkong verging im wahrsten Sinne «wie im Fluge». Es fühlte sich mehr an wie ein gemütlicher Fernsehabend mit Chips, Crackern und diversen Filmen. Die Stewardessen waren sehr nett und zuvorkommend, unsere Plätze gut und eigentlich wurde der Flug nur durch die Verdauungsprobleme eines vor uns sitzenden Mitreisenden getrübt.

Den neunstündigen Zwischenstopp verbrachten wir im Hongkonger Flughafen, da die Zeit für einen Stadtbesuch knapp gewesen wäre – allein die Fahrt in die Stadt hätte wohl etwa eine Stunde gedauert, hinzu kämen die Wartezeiten für den Check–out sowie den erneuten Check–In. Vielleicht hätte es für eine kleine Stadttour gereicht, aber wir wollten weiteren Stress lieber vermeiden. Allein der Gedanke den Anschlussflug zu verpassen, ließ mich in Schweiß ausbrechen.

Der Hongkonger Flughafen war ohnehin so groß wie das Zentrum einer Kleinstadt. Trotzdem bot er kaum andere Beschäftigungsmöglichkeiten, sodass wir hauptsächlich durch die Hallen latschten, von einem Geschäft ins nächste. Die Zeit verging daher so zäh wie alter Kaugummi. Die McDonalds– Filiale war unsere kulinarische Rettung, obwohl sogar diese bis zum Mittagsmenü nur gewöhnungs–bedürftige Gerichte im Angebot hatte, beispielsweise Minipfannkuchen mit rohem Ei. Zum Glück essen aber auch die Menschen in Hongkong gerne Burger und Pommes.

Flug Nummer Zwei begann zwar eigentlich recht gut mit den vordersten Sitzen einer Zweierreihe und somit ausreichend Beinfreiheit, allerdings flogen wir etwa zwei Stunden vor der Landung durch ein Gewitter. Einerseits ist es nicht uninteressant sich solch ein Naturschauspiel aus einer anderen Perspektive anzusehen, andererseits vertrugen sich die vielen Turbulenzen nicht gut mit dem im Anschluss servierten Frühstück – es blieb zwar alles drin, aber es wollte auch nichts Neues rein.

Passenderweise schaute ich gerade den Film «Der Marsianer», in dem es ebenfalls gerade stürmisch zuging, nur eben noch ein paar Kilometer weiter oben. Beruhigt unheimlich die Nerven, wenn während starker Turbulenzen in der Realität, ein Shuttle auf dem Mars zerrissen wird…

~*~

Neuseeland. Da war es plötzlich. Sattes Grün auf blauem Meer, Hügel und Berge. Kleine Inseln vor der Küste. Noch mehr grün. Kleine Häuschen, hier und da. Noch im Landeanflug verliebte ich mich in dieses Land. Ein Blick genügte. Ich stierte durch das kleine Flugzeugfenster nach unten und suchte nach Schafherden. Der zweite Blick – und ich war mir sicher, es wird schwer werden Neuseeland wieder zu verlassen. Doch was schreibe ich vom Verlassen, wo wir doch gerade erst angekommen sind?

Das Flugzeug landete um 07:35 Uhr Ortszeit. Wir enterten die Gangway mit breitem Grinsen auf den Gesichtern und hüpfenden Herzen. Wir sind da! Endlich da! Die Flure und Hallen des Flughafens frohlockten mit Landschaftsbildern und Kunstwerken der Maorikultur, den Ureinwohnern Neuseelands. Die Passkontrolle inklusive kurzer Befragung, was wir in Neuseeland machen wollen und welchen Beschäftigungen wir in Deutschland nachgegangen sind, überstanden wir problemlos. Wenn man mal davon absieht, dass ich Mühe hatte «Empfangskraft der Arbeitsvermittlung» auf Englisch zu erklären. Die Dame hinter der Plexiglasscheibe runzelte nach meinem «It’s like a clerk»–Englisch–Hickhack zwar verständnislos die Stirn, ließ uns aber gewähren. Unsere Rucksäcke konnten wir unversehrt entgegennehmen und auch die strenge Biosicherheitskontrolle passierten wir ohne Schwierigkeiten.

Dann traten wir hinaus, spürten das erste Mal die neuseeländische Sonne in unseren Gesichtern, atmeten das erste Mal neuseeländische Luft und begrüßten das Land, das wir in den nächsten zwölf Monaten erkunden werden: Neuseeland, here we are!

Mit dem Flughafenshuttle juckelten wir vom Süden Aucklands durch die vielen Stadtteile, die den Airport vom Stadtzentrum hinein trennen, im für uns ungewohnten Linksverkehr, bis ins Herz der Stadt. Die Fahrt wurde stets begleitet von einem bunten Fremdsprachen–Shake, einem Mischmasch der aufgeregt–fröhlichen Gespräche unserer Mitreisenden. Mein Gesicht klebte förmlich an der Fensterscheibe, während ich versuchte all diese Eindrücke Aucklands in mich aufzusaugen. Jan erging es nicht anders. Die Glücksgefühle, die wir empfanden, lassen sich nicht in Worten ausdrücken. Endlich in Neuseeland, endlich sind wir hier! Nach Monaten der Planung, nach Jahren des Träumens!

Unser Hostel befindet sich in Ponsonby, einem westlich des Stadtzentrums und auf einem Hügel gelegenen Stadtteil. Das Hostel ist ein umgebautes Einfamilienhaus, klein, sehr gemütlich und familiär. Wie im Bilderbuch lag bei unserer Ankunft die Hostel–Katze auf der Veranda. Nach einer freundlichen Begrüßung bezogen wir unser Doppelzimmer und schauten uns in der Herberge um: Eine kleine Küche mit mehreren Kochstellen, ein schöner Hinterhof mit Sitzplätzen und der Möglichkeit, die neuseeländische Sonne zu genießen. Ein perfekter Startpunkt für unser Abenteuer!

Mit Jetlag in den Knochen liefen wir gestern noch viel durch die Straßen und erkundeten die Umgebung. Die Häuser hier sind nahezu alle sehr schnuckelig, mit verzierten Holzfassaden, kleinen Veranden und Erkern. Unser Traumhaus haben wir auch bereits gefunden. Ganz in der Nähe von unserem Hostel gibt es eine kleine Bucht, in der man schwimmen kann. Wir haben bisher nur die Füße ins kühle Nass gehalten und den Ausblick genossen. Wir sind noch nicht lange in Neuseeland, aber schon so verliebt! Von der Bucht zurück zum Hostel sind wir dann ganz kiwilike, also typisch neuseeländisch, barfuß gelaufen. Der Asphalt war so heiß, dass es uns stellenweise die Fußsohlen verkohlt hat – wir müssen wohl noch ein bisschen abhärten.

Die erste Nacht haben wir komatös geschlafen, von gestern Abend 18 Uhr bis heute Morgen 6:45 Uhr. Den Jetlag haben wir somit direkt besiegt. Das erste Frühstück genossen wir in dem kleinen Garten im Hinterhof des Hostels. Während ich also auf neuseeländischen Haferflocken herumkaute, ließ ich meinen Blick über die anderen Backpacker schweifen, die an den anderen Tischen saßen oder in der Küche herumwuselten. Sie wirkten so heimisch, so vertraut mit dem Leben im Hostel, dem Leben in Neuseeland.

Ich hingegen fühle mich noch fremd und überwältig von … allem. Ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis wir hier ebenso selbstverständlich in Hostelküchen kochen und mit fremden Menschen reden werden. Wie lange wird es wohl dauern, bis wir uns auch so heimisch fühlen werden?

Ein Schritt zu diesem Gefühl waren viele, viele Schritte durch Auckland: Bei unserer zweiten Erkundungstour vergrößerten wir den Umkreis, checkten ab wo es Geldautomaten und den nächsten größeren Supermarkt gibt. Wir verließen den Stadtteil Ponsonby und liefen bis zum Stadtkern runter. Es rieselten so viele Eindrücke auf uns nieder, dass ich keine einzelnen mehr wiedergeben kann. Am beeindruckendsten empfanden wir den riesigen Park, den wir von einer Hauptstraße aus über eine kleine unscheinbare Treppe betraten. Gerade noch in einer Stadt, befanden wir uns plötzlich in einem Miniaturdschungel, liefen zwischen wildem Grün und an großen Rasenflächen entlang. Auf der anderen Seite spuckte uns der Park auf einem Gehweg wieder aus. Nach etwa zweieinhalb Stunden kehrten wir zum Hostel zurück.

Nun geht es an die organisatorischen Dinge: Sim–Karten kaufen, Konten erstellen, Steuernummern beantragen und natürlich einen fahr– und bewohnbaren Begleiter finden.

Freiheit

Februar 2016

Nachdem wir uns am Samstag vergeblich auf den verregneten Weg zum Automarkt gemacht, der so enttäuschend gewesen war, dass er den Namen «Automarkt» nicht einmal verdient hatte, fuhren wir am Sonntag mit Bus und Zug zum Ellerslie Racecourt Car Fair. Ein Automarkt, aber im wahrsten Sinne! Groß, übersichtlich gestaltet und in Preisklassen kategorisiert.

Trotzdem waren wir anfangs etwas überfordert. Wie sollten wir unter all diesen Wagen unseren Reisegefährten finden? Eine Last wurde uns zumindest anfangs genommen, denn für NZ$ 140 konnten wir den Wagen der Wahl vor dem Kauf von Mechanikern auf Herz und Nieren überprüfen lassen.

Also machten wir uns auf die Suche: Jan inspizierte die Autos, während ich mit den Verkäufern sprach und Informationen erfragte. Von Toyota über Honda, von umgebauten Kombis bis zu einem Wohnwagen schauten wir uns alles an. Wir sprachen über Preise, Reiseerfahrungen und Träume, manchmal erinnerten die Autos an Albträume, manchmal die Preisvorstellungen. Doch dann, nach gut zwei Stunden, sahen wir ihn: einen Van von Nissan, ausgebaut mit Küche, Bett, Stauraum. Perfekt! Auch der Preis passte in unser Budget und nachdem die Mechaniker nur Kleinigkeiten zu bemängeln hatten, sodass wir den Kaufpreis noch etwas drücken konnten, waren wir uns einig: Du gehörst zu uns! Da er von nun an unser Reisebegleiter sein würde, brauchte er noch einen Namen: Sid.

Bevor wir losfahren konnten, standen zuerst noch Amtsgänge an, u.a. das Ummelden, was in Neuseeland sehr einfach ist. Doch sonntags hat die Post, über die hier eine Ummeldung geregelt wird, geschlossen und Montag war ein Feiertag, sodass der eigentliche Kauf sowie die Schlüsselübergabe erst am Dienstag stattfanden. Anschließend mussten wir eine Mitgliedschaft beim neuseeländischen ADAC namens «AA» erwerben, Kilometer kaufen (eine Extragebühr bei Dieselfahrzeugen), eine Backpacker–Autoversicherung abschließen und Sid zur Werkstatt bringen. Während dort die bemängelten Kleinigkeiten ausgebessert wurden, gab uns Werkstattbesitzer Carl ein paar gute Tipps, wohin die erste Reise gehen könnte. Unser Plan bestand bis dato nämlich nur aus dem Ziel «raus aus Auckland».

Dienstag und den halben Mittwoch rannten wir wie die Irren durch die Stadt, von der Post zur AA und dann zur Werkstatt. Sightseeing gab es eher so nebenher. Mittwoch war auch der Tag, an dem wir aus unserem Hostel auscheckten und unsere Rucksäcke in unseren Van luden. Vorfreude und der Ruf der Freiheit lagen in der Luft! Endlich, endlich, endlich on the road!

Das Wetter war wieder einmal bombig, unsere Stimmung gut und fröhliche Melodien dudelten aus unserer kleinen Musikbox. Da Carl von Hot Water Beach geschwärmt hatte und sich dieser Ort nicht weit von Auckland entfernt befindet, wurde er spontan zu unserem ersten Ziel auserkoren. Ein kurzer Zwischenstopp beim Warehouse, wo man beinahe alles bekommt, bescherte uns neue Handtücher, eine Solardusche, Kissen und viele andere Sachen, um unseren Sid auszustatten.

Wir fuhren über die Autobahnen Neuseelands: die State Highways. Was lässt sich dazu sagen? Die Neuseeländer*innen fahren wie Rennfahrer, die Autobahnen sind vergleichsweise niedlich und ähneln außerhalb der großen Städte eher Landstraßen.

Je näher wir Hot Water Beach kamen, desto bergiger wurde es und desto langsamer wurden wir, denn wir wollten es nicht riskieren, mit Sid durch die engen Kurven zu rasen – noch dazu im ungewohnten Linksverkehr. Die Schlange der uns hinterher trottenden Neuseeländer*innen wurde stets kürzer, die Landschaft um uns herum stets einsamer. Anstelle von Menschen trifft man hier eher auf lustige Vögel und Säugetiere. Zum Beispiel auf Possums, die für mich aussehen wie eine Mischung aus Lemuren und Waschbären – ziemlich putzig also.

Wir fuhren und fuhren, machten wann immer wir wollten Pausen und schafften es, auch weil wir erst spät aus Auckland weggekommen waren, nicht vor Einbruch der Nacht nach Hot Water Beach.

Über Campermate, einer App, in der Nutzer unter anderem Campingplätze eintragen und finden können, suchte ich erfolgreich nach einem kostenlosen Platz auf unserem Weg. Großen Luxus brauchten wir eh nicht, einfach nur einen Ort, an dem wir legal stehen und im Van schlafen konnten. Als wir dort ankamen erinnerte uns der Platz stark an Gegenden aus der Zombieserie «The Walking Dead». Doch viel auffälliger war: er war proppenvoll. Irgendwie quetschten wir uns zwischen die Feuerstelle und einen anderen Wagen, den wir dabei einparken mussten. Anschließend krochen wir nach hinten in die Schlafkabine, schlüpften in unsere Schlafsäcke, kuschelten uns ein und atmeten tief durch: Unsere erste Nacht im Van lag vor uns!

Ein Toast auf das Abenteuer

Februar 2016

Am nächsten Morgen wurden wir nach circa fünf Stunden Schlaf geweckt, da die eingeparkten Franzosen losfahren wollten, doch bis zu diesem Moment hatten wir wirklich gut geschlafen. Jan krabbelte in die Front und fuhr von dem Platz auf die Einfahrtsstraße. Das Licht der aufgehenden Sonne machte den «Campingplatz» nur geringfügig schöner. Direkt nebenan war ein kleiner Schrottplatz nun gut zu sehen – ein wirklich atmosphärischer Anblick, wenn man sich gerade ein Frühstückstoast in den Mund schiebt.

Bei Tageslicht konnten wir während der Weiterfahrt die Aussicht erst richtig genießen. Am Abend zuvor bzw. in der Nacht war es natürlich zu dunkel gewesen, um die Berge, Bäume und Weiten überhaupt erkennen zu können. Doch nun erstreckte sich eine grüne, üppig bewaldete Landschaft vor uns. Neben Nadelbäumen standen Palmen, dazwischen füllten viele Büsche die grünen Reihen auf, sodass der Wald sehr dicht und unbegehbar wirkte. Und dann die Berge, überall. Kleine, große, aber alle wie im Bilderbuch. Dahinter schimmerte das blaue Meer. Wow! Wir sind hin und weg!

In Hot Water Beach angekommen, hing immer noch die frühe Morgensonne über dem Horizont. Meer, Strand, Möwen. Kaum eine Menschenseele. Für mich war es an der Zeit meine Spiegelreflexkamera herauszuholen! Es war so ein schönes Gefühl, endlich wieder Fotos machen zu können. Mit einer Kamera und einem Objektiv. Mit ISO–Werten, Blende und Verschlusszeit. Nicht mit dem Smartphone.

Einen Ort weiter schlugen wir unser Lager direkt am Meer auf. Nicht am Strand, aber direkt davor. Unser erstes Mittagessen als «freie» Backpacker. Sid verfügt wie erwähnt über eine eingebaute Küche, d.h. einer der Vorbesitzer war so fleißig gewesen einen Schrank mit kleinem Spülbecken, Pumpwasserhahn, Frischwasser– und Abwasser–container sowie Verstaumöglichkeiten in den Van einzubauen. Weiteren Verstauraum bietet unser «Keller», wie wir den Platz unter dem eingebauten Bett nennen.

Mittagessen am Strand, Fotos schießen und natürlich: ab ins kühle Nass! Klares, türkisfarbenes Wasser. Richtig kalt war es nicht und so planschten wir einige Zeit herum. Wir sind erst wenige Tage unterwegs, doch diese Flexibilität, die Freiheit tun zu können, was man will, ist schon jetzt eine wahnsinnige Bereicherung. Wir wollen ins Meer? Dann machen wir es. Wir wollen weiterfahren und das Land erkunden? Los geht’s!

Die anschließenden Abstecher zu Countdown und ins Warehouse nahmen einige Zeit in Anspruch, sodass es schon dunkel war, als wir auf dem Weg nach Matamata zu einer Raststelle fuhren, auf der man laut WikiCamps (einer ähnlichen App wie Campermate) kostenlos stehen und schlafen kann. Ob man es darf sei dahingestellt. Ein neuseeländischer Rastplatz hat allerdings mit den deutschen nicht viel gemein: es handelt sich um teilweise asphaltierte Plätze zwischen viel Grün und Bäumen, mit Tischen und Bänken. Außerdem huschten dort Possums herum. Kurzum: Wenn man sich gut versteckt hinstellt, interessiert es oftmals niemanden, ob man dort übernachtet oder nicht.

Bevor wir unser Nachtquartier erreichten, machten wir Pause an einer öffentlichen Toilette mit Dusche. Klingt komisch, ist aber so! Vernünftige Toiletten zu finden ist gar nicht so einfach und eine Dusche gibt es auf diesen kostenlosen Campingplätzen selbstverständlich auch nicht. Da muss man schon mal eine kalte Brause in der Nacht auf sich nehmen. Außerdem nutzte ich die Gelegenheit, mich im Fotografieren des Sternenhimmels zu üben, denn der ist hier der Wahnsinn! In diesen entlegenen Gebieten gibt es so gut wie keine Lichtverschmutzung, die vielen Sterne, die Milchstraße heben sich so klar von der Schwärze der Nacht ab, dass es sich anfühlt, als könne ich wirklich danach greifen. Ich liebe es!

Als alle wieder trocken und meine Kamera sicher verstaut war, ging es weiter: Berg auf, Berg ab, Linkskurve, Rechtskurve. Nicht nur Jan ging diese Tour auf die Nerven, auch Sid moserte herum. Er lief heiß und dann, gerade als wir auf dem Rastplatz ankamen, hörten wir es laut unter uns gluckern. Wir saßen auf der Geräuschquelle drauf und was sich dort befindet, ließ nichts Gutes erahnen: der Motor. Ein Blick unter den Wagen verriet uns: das Kühlwasser lief aus. Schöne Bescherung…

Statt schlafen zu gehen, riefen wir bei der AA an. Immerhin hatten wir, als hätten wir es geahnt, die AA Plus Mitgliedschaft gewählt. Es ist allerdings nicht so, dass da sofort jemand rangeht. Man muss erst einmal diverse Fragen beantworten, indem man die entsprechende Ziffer drückt. Nach gefühlten zehn Minuten kam ich mir vor wie bei Starbucks, nur dass ich keinen entkoffeinierten Karamell Frappuccino mit extra viel Sahne bestellen wollte, sondern Hilfe brauchte. Endlich meldete sich doch jemand am anderen Ende der Leitung. Nach einem ausführlichen Gespräch legte ich wieder auf. Ein Transporter sollte uns abholen und in die nächste Stadt bringen, immerhin standen wir mitten im Nirgendwo. Während wir auf den Abschleppdienst warteten, stießen wir mit Ginger–Bier an – auf das Abenteuer!

Letztlich brachte uns der zwanzig Minuten später eintreffende Abschleppwagen zur Werkstatt des Fahrers, wo wir im Van übernachten durften. Besser gesagt mussten, da es keine freie Unterkunft in der Nähe gab. Damit hatten wir kein Problem: Wer kann schon sagen, dass er vor einer Werkstatt in Kopu geschlafen hätte? Die Reparatur kostete, sofern wir es beurteilen konnten, nicht viel. Als der Mechaniker erklärte, dass der Kühler nicht geplatzt sei, was wir befürchtet hatten, sondern der Typ, der den Kühler eingebaut hatte, lediglich schlampig gearbeitet hatte, viel uns ein Felsen vom Herzen! Nichts Großes, nur ein Schlauch, der sich gelöst hatte.

Frodos Nachbarn

Februar 2016

Mit frischem Elan und einer ersten, spannenden Anekdote im Rucksack, fuhren wir von Kopu weiter nach Matamata, genauer gesagt in ein kleines Örtchen daneben. Campermate hatte einen günstigen Platz direkt neben Hobbiton ausgespuckt. Rings um uns herum erstreckten sich saftgrüne Hügel, auf denen weiße Schäfchen blökten, ebenso wollig aussehende Wolken hingen vereinzelt am Himmel, ohne eine Gefahr für die wärmende Sonne darzustellen.

Anfangs hatten wir die Wiese für uns alleine – ein absolutes Freiheitsgefühl! Unseren Van parkten wir neben einer großen Hecke, bauten das kleine Vorzelt auf, kochten, aßen, genossen die Ruhe und Weite. Mit der Zeit kamen immer mehr Camper an. Viele Deutsche, aber auch Franzosen und zwei Engländerinnen. Die Letzteren stellten ihren Wagen neben Sid, sodass wir schnell ins Gespräch kamen. Nach Fragen wie «Woher kommt ihr?» und «Wie lange seid ihr schon unterwegs?», folgten Erzählungen aus den Reisenähkästchen. Da die Zwei schon länger unterwegs waren, bekamen wir eine Menge Tipps: wo wir hinfahren sollten, was ihnen nicht so gut gefallen hatte und wie wir das ein oder andere organisieren könnten. Es ist spannend die Geschichten anderer Backpacker zu hören und so saßen wir vor unseren Vans, plauderten und aßen, während die Sonne hinter den grünen Hügeln verschwand. Mit ihr ging die Wärme, Mücken kamen. Sie schwirrten wie Miniaturgeier um unsere Campinglichter und witterten ihr Abendbrot, welches erst tief in der Nacht das unfreiwillige All–You–Can–Bite–Buffet beendete und schlafen ging.

Samstag. Frodo klingelte bei den Besitzern des Platzes und bat sie, uns nach Hobbiton hinüberzuschicken. Na gut, ganz so war es nicht, aber eine Tour durch Hobbiton hatten wir für den Nachmittag dennoch gebucht.

Viele der Anderen fuhren schon früh weg, auch die Engländerinnen, und schon bald hatten wir den Campingplatz wieder fast für uns alleine. Die Zeit bis 16 Uhr verbrachten wir ganz in Ruhe, frühstückten frische Eier, die ich bei den Eigentümern des Platzes gekauft hatte, und packten. Besonders genoss ich das Zähneputzen an dem kleinen, silbernen Waschbecken, das direkt an einem der hölzernen Weidezäune befestigt worden war. Denn dabei konnte ich auf die grünen Wiesen und die Schäfchen schauen, die direkt vor mir in wenigen Hundertmetern Entfernung grasten. Die perfekte Bild einer neuseeländischen Weide – ich war wirklich dort! Kein Fernseher, kein Poster, sondern die Wirklichkeit. Ich habe Zähneputzen selten so sehr genossen.

Gegen 16 Uhr machten wir uns schließlich auf den Weg ins Auenland. Durch die hügelige Landschaft, die sofort an die Heimat der Hobbits erinnerte, fuhren wir die wenigen Kilometer bis zum Drehort. Selbst der Parkplatz war gesäumt von Weiden und einer Schafherde, die sich teilweise in den Schatten eines mitten auf der Wiese stehenden Hobbiton– BReisebusses verzogen hatte, um Schutz vor der prallen Sommersonne zu suchen.

An der Kasse meldeten wir uns für unsere gebuchte Tour an und verbrachten die restliche Wartezeit mit einer kleinen Stärkung im Hobbiton–Café. Aufgrund der eher satten Preise und magerer Portemonnaies, beließen wir es allerdings bei einem Kaffee für Jan und einem Kakao für mich.

[Wer nichts weiter über die Dreharbeiten und Hintergründe der «Der Herr der Ringe» und «Der Hobbit» Filme wissen möchte, sollte diesen Teil überspringen.]

Mit einem Bus wurden wir vom Startpunkt auf das Privatgelände des Schäfers gebracht, dem die Ländereien und somit das Auenland gehören. Wie unser Tourguide erzählte, hatte der Regisseur Peter Jackson damals an die Tür des Schäfers geklopft und gefragt, ob er dessen Wiesen in das Auenland verwandeln dürfe. Heute unübersehbar, lautete die damalige Antwort:

«Yes, you can.»

Kaum hatten wir das Auenland betreten, fühlten wir uns, als wären wir ein Teil des Films. Als wären wir mitten im Film. Links, rechts, überall blickten wir auf kleine, kreisrunde Holztüren in den verschiedensten Farben, die in die Hügel eingelassen worden waren. Vor jeder Tür befand sich ein kleiner Vorgarten, bestückt mit Bänken, Blumen, Tontöpfchen, Werkzeugen oder Gemüse, als sei es gerade erst geerntet worden. Alles wirkte so, als würden hier tatsächlich Hobbits wohnen. Eine der kleinen Hobbit–Grundstücke durften wir sogar betreten, um Fotos zu machen.

Wir schritten über die Wege, über die schon Elijah Wood (Frodo), Ian McKellen (Gandalf) und Martin Freeman (Bilbo) gelaufen waren, vorbei an kleinen Gartenzäunen mit ebenso kleinen Törchen, kamen zu Bilbos Hobbit–Höhle und sahen ihn vor unserem geistigen Auge dort sitzen, mit der Pfeife im Mund. Weiter ging es die sich windenden Pfade entlang. Links ein Apfelbaum mit kleiner Leiter, als wäre der Besitzer nur kurz weggegangen, rechts ein liebevoll angelegter Gemüsegarten, in dem echtes Gemüse, z.B. verschiedene Kürbissorten, wachsen. Er wird von Gärtnern gepflegt, während zwei Frauen sich darum kümmern, die Wäscheleinen alle zwei Wochen mit frischer Wäsche zu bestücken. Nun flatterten auf einem Hügel Hosen, Hemden und Westen in Hobbit–Größe im Wind.

Hemi, unser maorischer Hobbiton–Führer, erzählte uns wo welche Filmszene gedreht und wie mit Perspektiven und Abständen getrickst wurde, um Frodo und seine Freunde so viel kleiner wirken zu lassen als den Zauberer Gandalf. Er erklärte, dass die Höhlen für die «Der Herr der Ringe»–Trilogie nur als Kulisse auf– und nach den Dreharbeiten wieder abgebaut worden waren. Erst als sie dann für die «Hobbit»–Filme erneut errichtet wurden, sollten sie bleiben, um uns Fans nach dem Dreh dieses tolle Erlebnis bieten zu können. Hemi gab kleine «Insider» über die Dreharbeiten preis und ließ unserer Gruppe stets ausreichend Zeit, um die Welt der Hobbits zu erkunden, vor den Filmkulissen zu posieren und Erinnerungsfotos zu schießen.

Wir überquerten die Festwiese, auf der ein riesiger, knorriger Baum thronte, den die Fans der beiden Trilogien sicherlich aus den Filmen kennen. Auch dieser ist echt. Ganz Auenland wurde so liebevoll bis ins kleinste Detail geplant und ausgeschmückt, dass das Dorf richtig bewohnt wirkte, lebendig und bunt. Am Ende der Tour stießen wir alle mit einem gratis Bier im Green Dragon, der Dorfkneipe, an und lauschten dem Maorigesang, den Hemi für uns anstimmte.

Hobbiton – für uns ein echtes Highlight!

Vom Regenwald in die Traufe

Februar 2016

Im Anschluss an die Hobbiton–Tour fuhren wir in Richtung Rotorua. Die Fahrt wurde kurz unterbrochen, da eine der Warnlampen unseres Vans blinkte und wir nach einem «Frappuccino»–Gespräch kurzen Besuch von einem AA– Mechaniker bekamen, welcher jedoch nach einem planlosen Blick in den Motorraum und dem Rat «Behaltet die Anzeige im Auge.» wieder verschwand. Aha – da wären wir ohne diesen fachmännischen Tipp nicht draufgekommen…

Bei Rotorua angekommen, schlugen wir außerhalb der Stadt an einem See unser Lager auf. Zwar störten abends die Mücken etwas, doch der Morgen war dafür unbezahlbar: Es ist durchaus etwas Besonderes aufzuwachen und in der frühen Stille auf einen blauen See zu schauen, auf dem sich die orangefarbenen Strahlen der Morgensonne spiegeln.

Nach dem Aufstehen verließen wir den See vor Rotorua und fuhren zu einem anderen See in Rotorua– überraschenderweise heißt er «Lake Rotorua». Auf einem kleinen Parkplatz direkt am Wasser machten wir es uns bequem: Klapptisch und – stühle raus, Kofferraum auf – das Frühstücksbuffet ist eröffnet! Wir genossen unseren Kaffee und eine Portion Haferflocken im warmen Sonnenschein. Anschließend fotografierte ich einheimische Vögelchen (Trauerschwäne und Pukekos) und fing mir einen Sonnenbrand ein.

Rotorua ist eine Touristenstadt. Dank der vielen Attraktionen, mit denen man hier förmlich beworfen wird, konnte sie unsere Herzen trotz ihrer Schönheit nicht für sich gewinnen. Außerdem sorgen der Geysir im Südosten Rotoruas und die vielen heißen Schwefelquellen dafür, dass die Stadt nach faulen Eiern riecht. Nichts für sensible Näschen! Dennoch sind wir zwei Nächte geblieben. Sie hatte den bedeutenden Vorteil, dass sie uns einen kostenlosen Campingplatz und ein Paradies für Mountainbiker bieten konnte. Wir sind zwar nicht Mountainbike gefahren, aber die, die es taten, haben geschwitzt, waren sandig und brauchten was? Duschen, genau! Für zwei neuseeländische Dollar ganze fünf Minuten warm duschen können – ein Traum!

Für diese heiße Dusche sind wir übrigens gut und gerne fünfzig Kilometer gefahren. Wir lernen hier die kleinen Dinge des Lebens wahrlich zu schätzen!

Nachdem wir Rotorua verlassen hatten, machten wir uns auf den Weg nach Tauranga, eine größere Stadt an der Ostküste Neuseelands. Wir erhofften uns dort einen schönen Strand, eventuell mit (wenigstens kalten) Duschen und einen angenehmen Platz zum Übernachten.

Auf dem Weg dorthin machten wir einen ungeplanten Halt bei den Okere Falls. Diese Wasserfälle liegen gut versteckt in einem kleinen Regenwald, durch den uns der Okere Falls Track führte. Es nieselte leicht, was den Regenwaldeffekt noch verstärkte. Verschiedene Aussichtspunkte luden zum Verweilen ein und wir trafen auf nur wenige andere Besucher. Von oben herab bestaunten wir den reißenden Fluss, der sich gleich an mehreren Stellen in die Tiefe stürzte. Grüne Palmen ragten vom Ufer über das Wasser, wurden teilweise von Wellen umspült.

Auf der rechten Seite des Flusses waren die Überreste von etwas zu sehen, das wir nicht identifizieren konnten. Ein Informationsschild erklärte, dass dort das erste von der neuseeländischen Regierung gebaute Kraftwerk gestanden hatte, die Okere Falls Power Station, die einst Rotorua mit Elektrizität versorgt hatte. Nun waren nur noch rostige Trümmer davon übrig, die uns einen Abschnitt über die Geschichte Neuseelands erzählten. Wir folgten dem Pfad glitschige Treppen hinab, durch höhlenartige Tunnel hindurch, bis wir uns auf einer Ebene mit dem Fluss befanden. Das Wasser schoss an uns vorbei und bot mir ein spannendes Motiv für meine Kamera. So sehr ich mich auch bemühte, die Atmosphäre hundertprozentig einzufangen, es gelang mir nicht.

Etwa zwei Stunden später waren wir zurück am Auto und setzten unsere Reise fort. Wie bereits geschrieben, hatten wir einige Hoffnung in Tauranga gesetzt. Leider mussten wir feststellen, dass die Realität ganz anders aussah, denn wir fanden weder einen bezahlbaren Campingplatz, noch gab es vernünftige Duschen am Strand. Insgesamt war unser erster Eindruck, dass Tauranga zwar eine vergleichsweise große Stadt war, uns Backpackern jedoch nicht viel bieten konnte.

Ein Problem war, dass der angeblich kostenlose Campingplatz lediglich ein Parkplatz genau neben der Polizeistation war. Laut der Bewertungen bei Campermate solle man in der Station fragen, ob man dort für die Nacht stehen dürfe. Allerdings war um die Uhrzeit kaum noch ein Licht an oder eine Polizistenseele zu sehen. Einfach in die Polizeiwache hineinzuschneien und zu fragen: «Hey, dürfen wir hier schlafen?» kam uns auch komisch vor. Wir fuhren hin und her, kreuz und quer durch Tauranga. Eine Brücke haben wir bestimmt zehnmal überquert. Hätte uns jemand beobachtet, hätte man uns sicherlich für plemplem gehalten. Aber was sollten wir machen? Es gab keinen legalen Ort, an dem wir stehen konnten, da blieb nur noch die unerwünschte Variante: irgendwo unauffällig hinstellen, schlafen und früh morgens wieder abhauen.

Auf der Suche nach diesem Ort durchkämmten wir die ganze Stadt. Letztlich stellten wir uns vor ein Hostel, neben einen anderen Van und ganz nach dem Motto «Wir sind Gäste des Hostels, hier steht nur unser Wagen». Vorhänge zu, Wecker stellen, schlafen.

Begegnungen

Februar 2016

Nach einem kurzen Frühstück vom McDonald’s Drive in – für Jan wässriger Kaffee, «Egg and Bacon Muffin» bestellt ohne Bacon, letztlich aber doch serviert mit Bacon, aber ohne Egg, und Pommes für mich und dem bisher günstigsten Auftanken unseres Sids, nahmen wir den Highway an der Ostküste entlang. Auch Whakatane («Wh» wird wie ein «f» gesprochen; also auf Deutsch «Fakatani») lockte uns mit einer neuen Möglichkeit zu duschen, mit einem Strand und mit potentiellen Campingplätzen.

Die Dusche war ein Träumchen: NZ$ 4 Eintritt in ein Schwimmbad, ohne zeitliche Begrenzung, unbegrenzte heiße Dusche, Spa–Bad und Zugang zu den normalen Schwimmbecken. So hatten wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klatsche geschlagen: Körperpflege, Wellness und Sport! Den Tag verbrachten wir mit einkaufen, herumgurken und überlegen, wo wir a) schlafen und b) Wäsche waschen können. Punkt a) war wiedermal schwierig. Der Campingplatz in Whakatane war uns zu teuer – als Backpacker mutiert man schnell zum Geizhals. Also entschlossen wir uns, in einem Nachbarort Wäsche im Waschsalon zu waschen und dann zum Highway zurückzufahren, an dem wir einen bezahlbaren Campingplatz mit Duschen gesehen hatten.

In Edgecumbe, einem Ort circa zwanzig Kilometer von Whakatane entfernt, suchten wir den Waschsalon auf. Dann kam plötzlich alles anders als gedacht: Weil es im Waschsalon Steckdosen gab, die für uns sowohl bedeutend, als auch Mangelware sind, fragte ich eine Einwohnerin, ob wir diese wohl für das Aufladen unserer Handys nutzen dürften. Aus dieser banalen Frage entstand ein Gespräch, was in Neuseeland nicht selten ist, denn hier sind die meisten Menschen recht aufgeschlossen. Wir unterhielten uns über unsere eher vagen Pläne für die kommende Nacht. Scheinbar war uns eine gewisse Erschöpfung und vielleicht auch Überforderung anzusehen, denn ohne lange zu überlegen, machte uns die Frau einen Vorschlag: ”You can stay at my house, with my family.»

Im ersten Moment waren wir total baff. Mit solch einer Einladung hatten wir absolut nicht gerechnet, mit dieser Offenheit, diesem Vertrauen, schließlich kannten wir sie gerade einmal zehn Minuten. Das ist Neuseeland und das ist, was wir erleben wollten! Die Menschen, die Lebensweisen, nicht den Touristenkram Rotoruas. Nachdem sie uns versichert hatte, dass wir nicht stören würden, sagten wir zu. Whina, so heißt sie, gab uns ihre Adresse und Telefonnummer, erklärte uns den Weg und fuhr dann, ihre trockene Wäsche im Kofferraum, schon einmal vor. Noch immer überwältigt von dieser positiven Überraschung, holten wir unsere Wäsche geradezu beschwingt aus einem der Trockner, legten sie so schnell es ging zusammen und suchten dann ebenfalls Whinas Adresse auf.

Unseren Sid durften wir in der Auffahrt parken, dann stellte sie uns ihre Familie vor: Ehemann John, die Kinder Jasmine und Theo, sowie die Hunde Leon und Roxy. Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählten wir von unseren bisherigen Erlebnissen und dem Leben im Van. Die Kinder stellten neugierig Fragen und machten nicht selten große Augen. Es tat gut, an einem Tisch in einem Haus zu sitzen, obwohl wir zugleich noch immer überwältigt von dieser Herzlichkeit und Gastfreundschaft waren – dabei war das nur der Anfang: Whina und ihre Familie gaben uns nicht nur einen Ort, an dem wir unseren Sid parken und schlafen konnten, sondern auch freien Zutritt in ihr Haus, egal ob sie selbst da waren oder nicht. Wir konnten das Badezimmer nutzen, im Wohnzimmer fernsehen, durften uns in der Küche bedienen, was wir in Maßen taten, wir wollten ihnen schließlich nicht die Haare vom Kopf essen, und bekamen den WLAN–Schlüssel.

«Bleibt hier solange ihr wollt, entspannt euch und plant eure nächsten Schritte!», sagte Whina immer. Sie hatte so Recht. Je länger wir bei dieser Familie verweilten, desto mehr wurde uns klar, dass wir bisher nur von einem Ort zum nächsten geeilt waren. Wir haben ein ganzes Jahr vor uns – trotzdem sind wir innerhalb von knapp zwei Wochen so viel umhergefahren ohne die Zeit wirklich zu genießen. Auch entspanntes Reisen will eben gelernt sein.

Wir blieben von Dienstag bis Freitag. Meistens schüttete es wie aus Eimern, sodass wir ohne schlechtes Gewissen «Zuhause» sitzen und planen oder fernsehgucken konnten. Außerdem lernten wir viel über die Maori–Kultur, denn wir waren Gäste einer echten Maori–Familie. Abends, nachdem wir gemeinsam gegessen hatten, saßen wir oft noch stundenlang zusammen und redeten. Whina erzählte uns von ihrer Familiengeschichte, davon, wie wichtig die Familie im Leben der Maoris ist und dass auch die Verstorbenen noch regelmäßig am Grab besucht werden. Dort werden den Kindern dann Erinnerungen zu ihren Vorfahren erzählt, damit sie wissen, wer ihre Großeltern waren, und um eine Verbindung zwischen den Generationen zu schaffen.

Wir erzählten von unserer Reise, unserem Leben in Deutschland und unseren Träumen. Die Kinder wollten unbedingt ein paar Wörter und Sätze auf Deutsch lernen, und kicherten amüsiert, wenn wir etwas in unserer Muttersprache sagten. John saß meistens schweigend, aber lächelnd daneben und lauschte unseren Gesprächen, während die Hunde es sich auf seinem Schoß bequem machten. Nach nur wenigen Tagen fühlte es sich so an, als würden wir diese Familie schon ewig kennen.

~ Aroha: Maori; Bedeutung: Liebe. ~

Am Freitag hatten wir dann endlich einen Plan: Von Whakatane aus wollten wir zurück in Richtung Rotorua, uns in der Nähe der Stadt «Vulcan Valley» anschauen, also eine Vulkanwanderung mitmachen, und dann zur Westküste nach Raglan weiterfahren, wo die Engländerinnen aus Matamata bereits auf uns warteten. Außerdem hatten wir die Kreditkarten unserer neuseeländischen Konten dorthin schicken lassen, die wir abholen wollten.

Als wir gegen Mittag das Haus von Whina und ihrer Familie verließen, hinterließen wir einen Dankesbrief und Rezepte typisch deutscher Gerichte, natürlich ins Englische übersetzt. Whina hatte uns ausdrücklich verboten Geschenke für sie zu kaufen, aber auf diese Weise konnten wir uns dennoch bedanken und ihnen ein bisschen deutsche Kultur schenken. Da John und Whina bei der Arbeit und die Kinder in der Schule waren, winkten wir den Hunden ein letztes Mal zu, die uns durch die Glasfenster hindurch nachsahen. Unsere Stimmung schwankte zwischen Wehmut, weil wir diese tolle Familie verließen, und Vorfreude darauf, Neuseeland weiter zu entdecken.

Sids Türen fielen zu – back on the road! Es war ein, trotz des Abschieds, gutes Gefühl wieder im Wagen zu sitzen und den brummenden Motor unter den Polstern zu spüren, während die Freiheit frohlockte. Frisch erholt und mit einem Plan im Hinterkopf machten wir uns auf den Weg. Über Stock und Stein, Berg auf, Berg ab. Vorbei an wechselnden Landschaften, vorbei an Wäldern mit Palmen und einem blauen Himmel über unserem Wagendach. Abgelenkt von der beeindruckenden Natur Neuseelands, warfen wir zu spät einen Blick auf das Thermometer: Sid war kurz vor einem Hitzekollaps! Nicht schon wieder! Sobald Jan konnte, fuhr er an den Straßenrand und brachte unseren brodelnden Van zum Stehen.

Gluckgluck, gluckgluck…

Auf die neuerliche Panne reagierten wir sehr unterschiedlich: Jan rastete ein bisschen aus, beschimpfte Sid und die neuseeländischen Mechaniker, und beruhigte sich nach ein paar Minuten wieder. Ich blieb seltsamerweise total ruhig, nahezu gleichmütig: «Ja, dann ist es halt so. Ich ruf die AA an.» Mehr konnte ich ohnehin nicht tun. Radikale Akzeptanz – das Stressmanagement meiner ehemaligen Arbeitsstelle hat eindeutig Spuren hinterlassen!

Während ich also einen entkoffeinierten Karamell Frappuccino mit extra viel Sahne bestellte, oder mir zumindest so vorkam, hielt ein neuseeländisches Ehepaar hinter uns an. Ursprünglich nur, um eine Biene aus ihrem Wagen zu lassen, doch als sie von unserer Panne erfuhren, meinten sie: «Wir fahren erst weiter, wenn wir wissen, dass ihr okay seid.» Der Mann half mir bei dem Gespräch mit der AA, indem er dem Mitarbeiter am Telefon erklärte, wo wir uns befanden. Denn davon hatte ich ehrlich gesagt keine Ahnung. «Irgendwo zwischen Whakatane und Rotorua» war anscheinend nicht genau genug. Als alles geklärt war, fuhren die Beiden weiter, jedoch nicht ohne uns ein paar Pfirsiche für die Wartezeit zu dazulassen. Die Neuseeländer*innen – ein grandioses Volk!