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Dieses Buch ist in einfacher Sprache geschrieben. Bei der Übersetzung in einfache Sprache folgen wir weitgehend der Norm DIN 8581-1. Das Buch eignet sich für Leserinnen und Leser, die eine eingeschränkte Lesefähigkeit haben (LRS), Deutsch als Zweitsprache lernen, mit komplexen Texten Schwierigkeiten haben oder einfach ein Buch in kompakter, lesefreundlicher Form genießen wollen. "Wo Gritlis Kinder hingekommen sind" ist der erste Teil der Erzählung von Johanna Spyri über die Kinder von Gritli. In diesem Buch konzentriert sich die Handlung auf das Leben der Kinder nach dem Tod ihrer Mutter Gritli. Dieses Buch ist eine berührende Erzählung über Verlust, Familie und die Kraft der Geschwisterliebe. Johanna Spyri vermittelt eine tiefgehende Botschaft über die Bedeutung von Resilienz und familiärer Unterstützung.
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Inhaltsverzeichnis
Im Landhaus am Rhein
Im Hause des Arztes
Im Dorf und in der Schule von Buchberg
Von weiteren Zuständen in Buchberg
Auf dem Eichenrain
Die Tante wird neuerdings in Anspruch genommen
Was der Oskar gründet und die Emmi anstiftet
Beim Sonnenuntergang
Eine letzte und eine erste Reise
Impressum
Die Junisonne scheint auf das schöne steinerne Haus. Rote Rosen blühen dort und klettern an den Wänden hoch. Sie verbreiten einen süßen, würzigen Duft. Der Wind bringt andere Düfte aus dem Blumengarten und trägt sie durch die offenen Fenster ins Haus. In der Mitte des Gartens gibt es ein großes Wasserbecken. Bunte Schmetterlinge fliegen umher und setzen sich auf die duftenden Blumen. Die Vögel singen in den Bäumen.
An einem der hohen Fenster sitzt ein blasses Mädchen und blickt in den leuchtenden Morgen. Es ist Nora. Sie sitzt dort, weil sie krank ist. Sie kann die Schönheit des Gartens nicht ganz genießen, denn das Fenster ist geschlossen. Sehnsüchtig sieht sie auf die Blumen und auf den Rhein. Dort sieht man hohe Bäume am Wasser und eine steinerne Bank im Schatten. Es ist ein schöner Ort, um den Wellen zuzusehen. Nora kennt diesen Platz gut.
"O Mama", fragt Nora, "kann ich bald in den Garten gehen und bis zur Bank am Rhein?"
Nora sitzt am Fenster und blickt sehnsüchtig in den Garten. Die Mutter hat es dorthin gebracht und sie schaut besorgt auf das blass aussehende Kind.
"Liebes Kind", antwortet die Mutter, "du wirst vormittags schnell müde. Lass uns bis zum Nachmittag warten, dann können wir vielleicht zum Rhein gehen."
"Ach ja", seufzt Nora und sieht wieder still auf die Blumen und Bäume draußen.
"Es ist so schön draußen. Können wir nicht jetzt schon gehen, Mama?", fragt Nora wieder. Seine Augen folgen den Wellen so sehnsüchtig, dass die Mutter nachgibt.
Plötzlich kommt Klarissa ins Zimmer. Sie sieht sehr ordentlich aus und leitet das ganze Haus. Klarissa ist eine Vertrauensperson im Haus, zu der jeder für Rat und Hilfe kommt. "Klarissa, sag, dass wir hinausgehen können", bittet Nora.
Klarissa fragt Frau Stanhope, ob sie es versuchen wollen, weil die Luft so angenehm ist.
Die Mutter stimmt zu und sie gehen mit dem kranken Mädchen die Treppe hinunter. Unten angekommen, gehen die beiden Frauen mit Nora durch den sonnigen Garten. Die Vögel zwitschern, die Rosen duften und viele bunte Schmetterlinge flattern herum.
Die Mutter fragt Nora, ob sie sich wohl fühlt. Nora antwortet, dass es sehr schön ist, aber sie möchte gerne zur steinernen Bank gehen und in die Wellen schauen. Sie gehen weiter, hinunter zu den alten Lindenbäumen. Die Bank ist fast versteckt unter den tiefhängenden Ästen, die im Wasser schimmern. Die Lindenbäume blühen und duften süß. Nora sitzt auf der Bank und schaut den Zweigen und den Wellen zu.
Sie sagt, dass sie auch gerne so herumhüpfen und fröhlich singen würde wie die Vögel, aber sie ist immer müde. Die Mutter tröstet sie und sagt, dass sie stärker werden wird. Sie erwähnt, dass der Arzt später kommen wird. Sie werden ihn fragen, was sie im Sommer machen können, damit Nora stärker wird. Aber jetzt müssen sie zurück ins Haus, weil Nora blass geworden ist. Die Mutter fragt besorgt, was los ist.
Nora sagt, dass sie nur müde ist. Sie gehen die Treppen hoch und Nora legt sich auf das Sofa. Dort liegt sie eine Weile still, um sich zu erholen.
Gegen Mittag kommt der Arzt. Er hört, dass Nora sehr schwach ist und sagt, dass sie in die Berge muss, um gesunde Luft zu atmen. Der Arzt will einen Freund in der Schweiz um Rat fragen, denn Nora darf nicht zu hoch in die Berge. Er wird wieder kommen, wenn er Antwort von seinem Freund hat.
Am Abend sitzt Nora wieder am Fenster. Sie schaut müde hinaus, während die Abendsonne den Rasen golden färbt und durch die Rosenblätter scheint. Klarissa arbeitet am Tisch und schaut manchmal von ihrer Arbeit auf und sieht Nora an.
Nora bittet Klarissa, ihr das alte Lied vom Paradies vorzusingen.
Klarissa legt ihre Arbeit beiseite. "Lass uns das Lied zusammen singen, wenn du stärker bist. Jetzt sage ich es dir", sagt sie und faltet ihre Hände. Dann beginnt sie: "Es gibt einen klaren Strom, der durch grüne Auen fließt. Dort leuchten weiße Lilien im blauen Duft. Rosen duften und glühen in der sonnigen Wiese und Vögel singen laut: Wir sind im Paradies! Sanfte Lüfte wehen auf den Blumenwegen. Die Menschen gehen wie im Traum und begegnen sich. Sie grüßen sich voll Staunen und Freude. Sie kommen aus dem dunklen Tal ins Land der ewigen Sonne. Glücklich wandern sie und kennen kein Leid mehr, nur Freude."
Nachdem Klarissa fertig ist, ist es eine Weile still. Nora scheint nachzudenken.
"Klarissa", sagt sie später, "das ist so schön und macht mir Lust zu gehen."
"Geh nur, du liebes Kind", antwortet Klarissa mit Tränen in den Augen. "Dann wanderst auch du fröhlich unter den leuchtenden Blumen und singst: "Wir kennen keine Tränen mehr, wir kennen nur Freude." Und wir folgen dir bald, zuerst ich und dann die Mama."
In diesem Moment kommt die Mutter herein. Sie sieht, wie müde und blass Nora ist. Sie will, dass sie sich ausruht. Das wird dann auch gemacht.
Später am Abend fragt die Mutter Klarissa, warum sie solche Gespräche mit Nora führt. Sie glaubt nicht, dass Nora so ernsthaft krank ist. Klarissa erklärt, dass Nora das alte Lied immer wieder hören will und sagt: "Wenn unser Kind weiterhin so schwach bleibt, was hat es dann von diesem Leben? Es kann nicht einmal einen kurzen Spaziergang im Garten genießen. Alles bereitet ihr Schmerz. Sollten wir ihr nicht ein friedliches Ende in einem Land ohne Schmerz wünschen?"
Die Mutter ist sehr aufgewühlt. Sie hofft, dass Nora neue Kräfte bekommen kann. Sie zieht sich zurück und Klarissa geht auch. Das Haus steht still und dunkel da. Niemand sieht den Kummer, der drinnen herrscht.
Frau Stanhope wohnt in ihrem Elternhaus am Rhein. Sie hat jung in England geheiratet und hat bald ihren Mann verloren. Nach seinem Tod ist sie mit ihren zwei Kindern, dem braunäugigen Philo und der blonden Nora, zurück in ihr Elternhaus gezogen. Das Haus ist leer gewesen, weil ihre Eltern gestorben sind und sie keine Geschwister hat. Klarissa ist ihre treue Pflegerin aus Kindertagen. Sie hat sie begleitet und unterstützt sie weiterhin.
Seit einigen Jahren leben sie bereits dort. Sie erleben Freude und Sorgen, da die Kinder sehr zart sind. Vor zwei Jahren ist ein tiefer Schatten über das Haus gefallen: Philo ist gestorben und liegt jetzt im Garten begraben. Nora ist nun elf Jahre alt.
Der Arzt bringt eine gute Nachricht. Ein Freund von ihm wohnt in einer gesunden Bergregion. Er sucht einen passenden Ort, wo Frau Stanhope und Nora den Sommer verbringen können. Sie können bald ihre Reise antreten und alles wird für ihren Empfang vorbereitet sein.
Kurz danach werden alle Reisevorbereitungen getroffen. Klarissa bleibt zu Haus und nur das junge Zimmermädchen reist mit. Acht Tage später sitzen Frau Stanhope und ihre Tochter im Wagen, bereit zur Abfahrt in die Schweiz. Während der Wagen die Straße entlangfährt, wischt Klarissa ihre Tränen ab. Sie geht zurück ins stille Haus, faltet die Hände und flüstert: "Die kennen keine Tränen mehr, die kennen nur Freude."
Die Abendsonne beleuchtet die jungen, hellgrünen Blätter der Gemüse in den Beeten neben dem Blumengarten. Die Hausfrau liebt ihren Garten, besonders die Kräuter und Gemüse, die sie selbst gesät und gepflegt hat. Sie freut sich dieses Jahr besonders über ihren Blumenkohl, der frisch und gesund wächst.
"Guten Abend, Frau Doktorin", ruft Heiri vom Weg, der durch eine Hecke von den Beeten getrennt ist. "Ihr Gemüse sieht immer am besten aus."
Frau Doktorin geht zur Hecke. Heiri ist ein alter Bekannter aus Schulzeiten. Er reicht ihr freundlich die Hand. Er besucht sie oft, um Rat und Trost zu suchen.
Sie grüßt ihn zurück und fragt interessiert: "Wie geht es dir, Heiri? Immer viel zu tun? Wie steht es um deine Familie?"
"Ja, zum Glück geht es gut", antwortet Heiri, während er seine Werkzeuge ablegt. "Arbeit ist immer da. Aber Arbeit ist nötig, denn die Familie wächst."
"Deine drei Jungen sehen gut aus. Ich habe sie gestern mit Elsli gesehen", fährt die Frau Doktorin fort.