Wo nur die Liebe Zählt - Linda Lael Miller - E-Book

Wo nur die Liebe Zählt E-Book

Linda Lael Miller

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Beschreibung

Männer, die zu ihrem Wort stehen, Frauen, die wissen was sie wollen, und eine Landschaft, in der das Glück Flügel bekommt - willkommen bei den Creeds! Kunst, Kultur und Big City Lights hat sich Tricia McCall immer ersehnt. Stattdessen findet sie sich plötzlich in dem gottverlassenen Ort Lonesome Bend wieder, wo sie einen Campingplatz managen muss! Sie zählt die Tage, Stunden und Minuten, bis sie hier die Zelte abbrechen kann - da läuft ihr Conner Creed über den Weg. Der reiche Rancher hat Charme, Charisma und mehr als genug Sex-Appeal. Aber dass Tricia sich magisch zu ihm hingezogen fühlt, liegt allein an Conners Blicken. Denn darin liest sie, dass auch er ein Leben lebt, das er so nicht wollte. Doch nie würde er deshalb seinen Traum verloren geben: den Traum von einem Leben zu zweit. Den Tricia ihm nicht erfüllen kann, wenn sie wieder geht ...

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Seitenzahl: 423

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Linda Lael Miller

Die Creeds:

Wo nur die Liebe zählt

Roman

Aus dem Amerikanischen von Tess Martin

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Creed’s Honor

Copyright © 2011 by Linda Lael Miller

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-577-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Liebe Leser und Leserinnen,

vor Ihnen liegt das zweite von drei Büchern über die Zwillinge Conner und Brody Creed und ihren Cousin Steven – Verwandte der Creeds aus Montana und der McKettricks. Steven ist inzwischen auf einer Ranch in Stone Creek, Arizona, sesshaft geworden, zusammen mit seinem adoptierten fünfjährigen Sohn und seiner Frau Melissa. In Lonesome Bend, Colorado, wo Steven und die Zwillinge wie Brüder aufgewachsen sind, erregt die hübsche Tricia McCall die Aufmerksamkeit von Conner Creed. Kann er ihrem Charme widerstehen? Oder darf der attraktive Rancher endlich auch auf ein glückliches Familienleben mit einer schönen Frau an seiner Seite hoffen?

Herzlich,

Linda Lael Miller

Für einige meiner liebsten Laels:

Mike und Sara und Courtney und Chandler

1. KAPITEL

Lonesome Bend, Colorado

N ormalerweise sah Tricia McCall keine Gespenster. Aber manchmal – vor allem, wenn sie einsam, müde oder beides war – glaubte sie aus dem Augenwinkel einen flüchtigen Blick auf ihren Hund Rusty zu erhaschen. Dann wünschte sie sich jedes Mal mit angehaltenem Atem das Unmögliche, und ihr Herz begann, vor Freude und Aufregung höher zu schlagen. Doch wenn sie sich umdrehte, egal wie schnell, war die Labrador-Setter-Mischung nirgendwo zu entdecken.

Natürlich nicht. Rusty war vor sechs Monaten im Schlaf gestorben, alt und zufrieden, mit grauer Schnauze. Immer wenn Tricia an ihn dachte, versetzte es ihr einen schmerzhaften Stich. Was oft der Fall war.

Rusty war fast ihr halbes Leben lang ihr bester Freund gewesen. Mit fünfzehn hatten sie und ihr Dad den rötlichbraunen Welpen unter einem Picknicktisch auf dem Campingplatz gefunden, halb verhungert, zitternd und voller Flöhe.

Sie und Joe McCall hatten Rusty so gut es ging gewaschen, gefüttert und anschließend sofort zu Doc Benchley gebracht, um ihn untersuchen und impfen zu lassen. Von diesem Tag an war Rusty ein Mitglied der Familie gewesen.

Ihre Gedanken wurden durch ein Miauen unterbrochen, das irgendwo von Tricias rechtem Fußknöchel heraufklang.

Im Bademantel und an den Füßen pinkfarbene flauschige Hausschuhe, die sie vor vielen Jahren von ihrer besten Freundin Diana zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, schaute Tricia runter auf Winston, einen schwarzen Kater mit einem weißen Fleck zwischen den Ohren. Er kam häufig zu Besuch, da er nur eine Treppe tiefer mit seinem Frauchen, Tricias Urgroßmutter Natty, zusammenlebte. Zwar waren die beiden Wohnungen durch eine Treppe miteinander verbunden, dennoch gelang es Winston immer wieder, sie zu erschrecken.

„Miau“, wiederholte der Kater, dieses Mal mit mehr Nachdruck, während er voller Ernst zu Tricia hinaufblickte. Was so viel bedeutete wie: Das nennt man Tierquälerei. Natty McCall wirkt vielleicht wie eine harmlose alte Frau, aber in Wahrheit lässt sie mich verhungern, das kannst du mir glauben. Und dagegen musst du unbedingt etwas unternehmen.

„Das klingt total glaubwürdig, so wie dein Atem nach Fisch riecht“, entgegnete Tricia laut. „Ich war schließlich letzten Freitag zu Hause, als die Einkäufe geliefert wurden, schon vergessen? Du müsstest nicht mal hungern, wenn wir bis zum Frühling eingeschneit wären.“

Winston ließ seinen Schwanz zucken, als wollte er sagen: Okay, es war einen Versuch wert. Er durchquerte die kleine Küche und sprang auf Tricias Tisch, wo er es sich direkt auf dem Papierstapel neben dem Drucker bequem machte. Aus halb geschlossenen, bernsteingelben Augen beobachtete er, wie Tricia sich eine Tasse Kaffee einschenkte und dann zu ihm hinüberschlenderte, um den PC einzuschalten. Vielleicht hatte Hunter ja eine E-Mail geschickt, das würde ihre Stimmung zumindest deutlich heben.

Sie war nicht direkt deprimiert, nein, sondern fühlte sich eher wie scheintot, wie in einer Zwischenwelt. Tricia trat auf der Stelle, lange schon. Und das nervte sie.

Der Monitor flackerte auf, und da war es, das Foto von ihr und Hunter, auf dem sie strahlend vor einer Skihütte in Idaho standen und wie – nun – wie ein Paar aussahen. Zwei glückliche und durchschnittlich attraktive Menschen, die zusammengehörten, perfekt ausgerüstet für einen Tag auf der Piste.

Mit einer Fingerspitze berührte sie Hunters gut aussehendes Gesicht. Die Pixel zerstreuten sich wie ein Miniuniversum, das sich nach einem winzigen, geräuschlosen Urknall ausdehnte. Sie stellte den Kaffeebecher auf den kleinen Platz, den Winston ihr zugestand, und sank auf einen Stuhl.

Einen Moment verharrte sie ganz still, die Tasse Kaffee neben sich, nach der sie sich schon verzehrte, seit sie morgens die Augen geöffnet hatte. Den Blick unentwegt auf die fröhliche, verschneite Szenerie auf ihrem Bildschirm gerichtet. Breites Grinsen. Strahlende Augen.

Vielleicht sollte sie ein anderes Foto als Bildschirmschoner nehmen. Oder wieder die Diashow von Rusty hochladen. Doch dafür saß der Schmerz noch viel zu tief.

Also ließ sie den Skiurlaub-Schnappschuss, wo er war. Während ihrer gemeinsamen Zeit in Seattle waren sie und Hunter glücklich miteinander gewesen, damals, vor eineinhalb Jahren, was ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Und sie hatten geglaubt, dass sie die Leidenschaft füreinander auch über solch eine Entfernung hinweg aufrechterhalten konnten. Leider war die Beziehung mehr oder weniger im Sand verlaufen.

Sobald sie die maroden Unternehmen losgeworden war, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte – den River’s Bend Campingplatz und das Bluebird Autokino am Rand der Stadt –, konnte sie endlich zu ihrem richtigen Leben in der Kunstszene von Seattle zurückkehren. Ihr Wunsch war es, eine kleine eigene Galerie am Pike Place Market oder am Pioneer Square zu eröffnen.

Winston streckte seinen Schwanz, der kurz über Tricias Hand streifte, rollte ihn wieder zusammen und wiederholte das Ganze dann. So behutsam aus ihren Gedanken gerissen, betrachtete sie den schwarzen Katzenschwanz, der an ihren Augen vorbeischwebte und sich mit Präzision direkt auf ihrem Kaffee niederließ.

Tricia schob den Stuhl zurück. Dabei kratzten die Stuhlbeine so laut über den abgenutzten Linoleumboden, dass sie zusammenzuckte. Dann fiel ihr wieder ein, dass Natty diese Woche gar nicht in der Stadt war, da sie ihre neunundachtzigjährige Schwester in Denver besuchte und sich deshalb auch nicht von dem Geräusch gestört fühlen konnte.

Grummelnd ging sie zu dem altmodischen Spülbecken unter dem schmalen Fenster mit Blick auf die Außentreppe, schüttete den Kaffee weg, spülte die Tasse aus und schenkte sich frischen ein.

Winston sprang von dem Papierstapel und landete mit einem lauten, dumpfen Geräusch auf dem Boden. Er war ein etwas rundlicher Geselle.

Tricia, an die Arbeitsplatte gelehnt, gönnte sich ein paar Schlucke von dem heißen, starken Kaffee. Auch ohne Nattys subtile Andeutungen wusste sie, dass sie zu viel Kaffee trank.

Winston hatte also mit Recht auf seinem Frühstück bestanden. Es war ihre Aufgabe, ihn zu füttern und das Katzenklo sauber zu machen, solange ihre Urgroßmutter weg war.

„Na komm“, sagte sie und lief mit der Tasse in der Hand zur Tür. Eine dunkle, enge Treppe führte in Nattys Teil des Hauses. „Nicht dass du mir noch vor Hunger aus den Latschen kippst.“

Du bist noch nicht mal dreißig, bemerkte eine Stimme in ihrem Kopf, und unterhältst dich mit Katzen. Es wird wirklich Zeit, dass du wieder richtig zu leben beginnst.

Seufzend knipste Tricia das Licht an und stieg die Treppe hinunter, sehr behutsam, denn Winston neigte dazu, sich zwischen ihren Füßen in den flauschigen Hausschuhen hindurchzuwinden. Doch auch ohne Winston stellten die Pantoffeln schon eine Stolperfalle dar, selbst auf flachem Boden.

In Nattys Wohnung roch es angenehm nach verbranntem Holz aus dem Ofen, Duftsträußchen und Lavendelpuder, das so viele alte Damen zu lieben schienen.

Lächelnd durchquerte Tricia das mit handgefertigten antiken Möbeln vollgestellte Wohnzimmer. Auf jeder freien Oberfläche lag mindestens ein Häkeldeckchen mit kompliziertem Muster, auf dem wiederum eine kleine Armee Bilderrahmen aufgestellt war. Mit einundneunzig war Natty noch immer sehr rüstig, sie hatte Freunde jeden erdenklichen Alters und engagierte sich sehr in der Gemeinde. Bis zum Vorjahr hatte sie noch immer den jährlichen Spendenbasar des Frauen-Hilfsvereins organisiert, eine sehr beliebte Veranstaltung, die jeweils am letzten Oktoberwochenende stattfand. Das eingenommene Geld kam den örtlichen Schulen zugute, damit sie Farben für den Kunstunterricht oder Musikinstrumente und Uniformen für die Blaskapelle kaufen konnten. Und obwohl Natty als Vorsitzende zurückgetreten war, besuchte sie nach wie vor alle Treffen des Vereins.

Nattys Küche war herrlich altmodisch, so wie der Rest des Hauses – zwar gab es einen Elektroherd, doch der alte Holzofen dominierte den langen, schmalen Raum noch immer. Natty benutzte ihn, wenn sie gerade mal wieder Lust hatte zu backen.

Ohne das übliche knisternde Feuer war es in der Küche ein wenig kühl. Tricia erschauerte, steuerte auf den Speiseschrank zu und stellte ihren Becher auf der Küchentheke ab. Dann nahm sie eine Dose normales Katzenfutter heraus – Sardinen bekam Winston nur sonntags –, öffnete den Deckel und füllte den Inhalt in eine der angeschlagenen, aber immer noch schönen Suppenschüsseln, die extra für diesen Zweck reserviert waren.

Sie beugte sich herab, um die Schüssel vor Winston hinzustellen. Durch die Bodenbretter drang frostige Luft, das konnte Tricia sogar durch die Sohlen ihrer albernen Hausschuhe spüren.

Während Winston sein Fressen hinunterschlang, ließ sie frisches Wasser in eine Schale laufen und platzierte sie ebenfalls vor ihm. Dann schaute sie aus dem Erkerfenster, die Arme gegen die Kälte um sich geschlungen, und erwartete fast, Schneeflocken zu sehen.

Ein Schneesturm war in diesem Teil Colorados nichts Ungewöhnliches, selbst Mitte Oktober nicht, darum konnte Tricia nur hoffen, dass das gute Wetter noch etwas anhielt. Die Saison war für den Campingplatz nicht besonders gut verlaufen, aber zum Spendenbasar würden wie immer Besucher aus der ganzen Umgebung anreisen. Viele von ihnen kamen mit Zelten oder Wohnwagen, um ein letztes Mal für dieses Jahr ein paar sonnige Urlaubstage am Flussufer zu verbringen. Mit dem wenigen, was Tricia für den Platz und Strom berechnete, und dem Geld aus den Verkaufsautomaten konnte sie ein paar Monate überleben.

Vielleicht kam ja doch noch irgendwann eine großzügige Seele vorbei und kaufte ihr die Grundstücke ab, die Joe ihr hinterlassen hatte. Bisher allerdings hatte sich noch niemand auf die Verkaufsschilder gemeldet.

Tricia seufzte, beobachtete Winston noch einen Moment beim Fressen, und lief dann wieder zur Treppe. Es war noch früh am Morgen, doch sie hatte auf dem Campingplatz jede Menge zu tun. Die Saisonarbeiter waren bereits abgereist, weshalb sie jetzt selbst an der Rezeption saß, ans Telefon ging, falls es einmal klingelte, und zwischendurch schnell verschwand, weil sie die Duschen und Toiletten putzen musste. Nach dem wichtigen Wochenende Ende des Monats wollte sie den Campingplatz für dieses Jahr schließen.

Während sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufging, verspürte sie einen Kloß im Hals. Die Tür ließ sie für Winston einen Spalt offen. In Ihrer Kindheit war sie gern im Sommer nach River’s Bend gekommen, damit sie ihrem Dad mit dem Campingplatz und dem Autokino „helfen“ konnte. Auch damals hatten sie immer bei Natty und ihren verschiedenen, gut genährten Katzen gewohnt, die alle nach von ihr bewunderten historischen Figuren benannt waren.

Einer hieß Abraham, der nächste General Washington. Daraufhin folgten der gefürchtete Kater Laurel Roosevelt und schließlich Winston, dessen Namensgeber der Zigarre rauchende Premierminister war, der England durch die dunkelsten Stunden des Zweiten Weltkriegs geführt hatte.

Als sie in ihrer eigenen, wärmeren Küche angelangt war, lächelte Tricia wieder. Doch gerade wollte sie sich an den Computer setzen, um endlich ihre E-Mails zu checken, da klopfte es unten an der Hintertür.

Winston jaulte erschrocken auf, kam wie eine schwarze, haarige Kugel durch den Türspalt geschossen und raste schnurstracks in Tricias Schlafzimmer, wo er sich vermutlich unter dem Himmelbett oder vielleicht auf dem höchsten Regal in ihrem Schrank versteckte.

Einmal war er vor Schreck sogar die Vorhänge in ihrem Wohnzimmer hinaufgeklettert, und sie und Natty hatten lange schmeichelnd auf ihn einreden müssen, bis er wieder heruntergeklettert war.

Wieder hämmerte es an der Tür, lauter diesmal.

„Ach, Himmelherrgott noch mal“, stieß Tricia brummend hervor, ein Ausruf, den sie von Natty übernommen hatte, knotete den Gürtel ihres Bademantels fester und ging erneut zur Treppe. Dabei murmelte sie einen weiteren Lieblingsspruch von Natty: „Immer langsam mit den jungen Pferden!“

Doch der ungeduldige Besucher klopfte schon wieder. Und zwar so nachdrücklich, dass die Fenster im Erdgeschoss des Hauses klirrten.

Daraufhin folgte eine kurze Stille.

Tricia war schon halb die Treppe hinuntergerannt, angetrieben von frühmorgendlicher Wut, da ertönte das Geräusch erneut, aber dieses Mal aus einer anderen Richtung. Nämlich von ihrer Tür, der Tür, die sich zur Außentreppe öffnete.

Ein Wort murmelnd, das sie definitiv nicht von ihrer Urgroßmutter aufgeschnappt hatte, wandte sie sich um und stampfte wieder die Treppe hinauf in ihre Wohnung.

Winston miaute, allerdings gedämpft.

„Ich komme schon!“, schrie sie, als sie eine ihr vage vertraut vorkommende männliche Gestalt durch das ovale Milchglas in ihrer Tür erspähte. Lonesome Bend war eine Stadt mit weniger als fünftausend Einwohnern, von denen die meisten schon immer hier lebten, genau wie ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Darum hatte Tricia es sich längst abgewöhnt, erst nachzuschauen, wer es war, bevor sie die Tür öffnete.

Conner Creed stand vor ihr, die Faust zu einem weiteren Klopfen erhoben, ein verlegenes Lächeln auf den Lippen. Sein blondes Haar war zwar etwas lang, aber trotzdem ordentlich gekämmt, er trug eine blaue Jeansjacke über einem weißen Hemd und dazu Jeans und Stiefel.

„Tut mir leid“, sagte er, bei Tricias Anblick.

„Weißt du, wie viel Uhr es ist?“, fragte Tricia.

Er ließ seinen Blick über ihre Haar wandern, das wahrscheinlich in alle Richtungen abstand, da sie es noch nicht gebürstet und zu dem üblichen schlichten, langen Zopf gebunden hatte, dann über den schäbigen Bademantel bis zu den komischen Hausschuhen. Dass er das schaffte, ohne dabei unverschämt zu wirken, fand Tricia irgendwie … nun, irgendwie eben, mehr nicht.

„Halb acht“, antwortete er, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte. „Ich wollte Miss Natty Feuerholz vorbeibringen, wie gewünscht, doch sie macht nicht auf. Deshalb habe ich mir Sorgen gemacht. Geht es ihr gut?“

„Sie ist in Denver“, erklärte Tricia steif.

Sein Lächeln haute sie fast um. „Tja, das erklärt dann wohl, warum sie nicht aufgemacht hat. Ich dachte schon, sie wäre hingefallen oder so was.“ Er schwieg einen Moment. „Hast du schon Kaffee gekocht?“

Zwar kannte sie Conner, wie so ziemlich jeden hier in der Stadt, sie kannte ihn aber nicht gut – sie verkehrten nicht in denselben Kreisen. Tricia war in Seattle aufgewachsen, von den goldenen Sommern mit ihrem Dad einmal abgesehen, während die Creeds in dieser Gegend Rinder züchteten, seit die Stadt existierte – also seit dem späten 18. Jahrhundert. Zu neunundneunzig Prozent überzeugt, dass dieser Mann kein Amokläufer oder Serienvergewaltiger war, trat sie errötend zurück und lächelte. „Ja, Kaffee ist fertig. Bedien dich.“

„Danke“, sagte er mit lang gezogenem Cowboyakzent und schlenderte gelassen an ihr vorbei wie ein Mann, der sich wohlfühlt, egal wo, ob auf einem buckelnden, halbwilden Pferd oder mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Er roch nach frischer Landluft und einer Mischung aus hölzernem Aftershave, Heu und irgendwas Minzigem – wahrscheinlich Zahnpasta oder Mundwasser.

Tricia schloss die Tür hinter ihm und beobachtete Conner dabei, wie er einen Schrank öffnete, dann einen anderen, einen Becher fand und sich Kaffee einschenkte.

Einerseits bestürzt, mit wild zerzaustem Haar und in diesem Bademantel ertappt worden zu sein, und zugleich erstaunt über seine Dreistigkeit, gelang es Tricia, nicht zu lächeln. Sie überlegte, was sie über Conner Creed wusste. Er lebte auf der Familienranch, hatte einen Zwillingsbruder namens Cody oder Brody oder so, war nie verheiratet gewesen und hatte es laut Natty auch nicht eilig, daran etwas zu ändern.

„Bestimmt wird meine Urgroßmutter sich freuen, dass du das Holz gebracht hast“, meinte sie schließlich, wobei sie sich um einen neutral freundlichen Ton bemühte, der aber leider einfach nur langweilig klang. „Natty liebt ihr Kaminfeuer, vor allem, wenn es wieder kälter wird.“

Conner musterte Tricia aus einer Entfernung, die ihr längst nicht weit genug vorkam, und zog eine Augenbraue hoch. Dann gönnte er sich einen zweiten großen Schluck aus dem Becher, bevor er fragte: „Wann kommt sie zurück? Miss Natty, meine ich?“

„Wahrscheinlich nächste Woche“, erwiderte Tricia, überrascht, dass sie so ein Gespräch führte. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass ein attraktiver, wenn auch ziemlich großspuriger Rancher versuchte, praktisch bei Tageseinbruch eine Tür einzuschlagen und dann in der Küche Kaffee zu schlürfen, als ob ihm das Haus gehörte. „Oder erst in zwei Wochen, wenn es ihr besonders gut gefällt.“

„Miss Natty hat gar nicht erwähnt, dass sie verreisen will“, stellte Conner nach einem weiteren Schluck Kaffee fest.

Die Bemerkung irritierte Tricia. Seit wann spielte sich Conner Creed als Beschützer ihrer Urgroßmutter auf? Auf einmal wollte sie nur noch, dass er verschwand, aus ihrer Küche und aus ihrem Haus. Allerdings schien er es mit dem Verschwinden genauso wenig eilig zu haben wie mit dem Heiraten.

Dabei verbrauchte er den gesamten Sauerstoff in diesem Raum.

Dachte er vielleicht, dass sie Natty gefesselt und geknebelt in einem Schrank versteckt hatte?

Sie deutete auf die Treppe. „Du kannst gern nachsehen, wenn du dich dann besser fühlst. Und, übrigens, du hast die Katze erschreckt.“

Wieder schenkte er ihr dieses Unschuldslächeln, bei dem seine Augen so strahlten, und Tricia stellte fest, dass die blaue Iris von einem grauen Ring umrahmt war. Und er hatte blendend weiße Zähne.

Halt, ermahnte sie sich stumm. Ihre Gedanken aber wirbelten weiterhin wild in ihrem Kopf durcheinander.

„Wenn du sagst, dass Miss Natty in Denver ist, um mit ihrer Schwester auf den Putz zu hauen, dann gehe ich davon aus, dass das stimmt.“

„Ach je, da bin ich aber erleichtert“, entgegnete Tricia trocken und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann, nach einer Pause: „Wenn das alles ist …“

„Tut mir leid, dass ich die Katze erschreckt habe“, meinte Conner leutselig, stellte den Becher in die Spüle und ging Richtung Tür. „Tatsächlich hat mich das Viech noch nie besonders leiden können. Hat wohl schnell kapiert, dass ich eher der Hunde- und Pferdetyp bin.“

Tricia öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder. Was sollte sie dazu auch sagen?

Conner legte eine Hand auf den Türknauf und blickte noch einmal über seine männliche, breite Schulter zu ihr zurück. Übermut blitzte in seinen Augen auf. „Wenn es dir nichts ausmacht, mich hinunterzulassen, fülle ich die Holzkisten auf. Für den Rest wird vermutlich Platz im Schuppen sein.“

Sie nickte und fühlte sich merkwürdig desorientiert, und zu allem Überfluss musste sie außerdem alles, was dieser Mann sagte, erst aus irgendeiner fremden Sprache in ihre übersetzen, bevor die Bedeutung seiner Worte in die graue Masse zwischen ihren Ohren drang.

„Dann treffen wir uns gleich an Nattys Hintertür“, meinte sie, doch Conner war bereits auf den Weg nach draußen.

Anschließend blieb sie wie angewurzelt stehen und lauschte dem dumpfen Klacken von Conners Stiefeln auf der Außentreppe.

Winston kam aus dem kurzen Flur gekrochen, der zum Schlafzimmer der Wohnung führte, schlich hinüber zu Tricia und begann freundlich zu schnurren, während er um ihre Beine strich.

Obwohl sie gern genug Zeit gehabt hätte, um sich was anzuziehen, ihre Frisur zu richten und etwas Make-up aufzulegen, ging Tricia wieder nach unten in Nattys Wohnung, durchquerte die Küche und öffnete die Hintertür.

Conner stand schon auf der Veranda und grinste sie an. Nachdem er sie noch einmal eindringlich von Kopf bis Fuß gemustert hatte, schüttelte er leicht den Kopf und rieb sich mit einer Hand den Nacken.

„Danke“, sagte er amüsiert. „Ab jetzt schaffe ich es allein.“

Er merkt, wie unwohl ich mich fühle und dass er mich in Verlegenheit bringt, und er genießt es auch noch.

„Ich komme in ein paar Minuten wieder, um hinter dir abzuschließen“, entgegnete sie, das Kinn stolz gereckt, damit Conner kapierte, dass er sie nicht nervös machte.

Gut, vielleicht ein bisschen, wenn sie ehrlich war. Doch nicht etwa, weil es zwischen ihnen knisterte, sondern weil sie es einfach nicht gewöhnt war, sich im Bademantel mit fremden Männern zu unterhalten, das war alles.

„Von mir aus gern“, erwiderte Conner, stellte den Kragen seiner Jacke gegen den Wind auf, drehte sich um und stieg die Treppe von Nattys Veranda hinab. Sein großer roter Truck mit lehmbespritzten Rädern und Türen parkte vor dem Holzschuppen.

Nur mit Mühe widerstand Tricia dem seltsamen und unangemessenen Wunsch, laut die Tür hinter ihm zuzuknallen. Stattdessen schloss sie sie sanft, machte auf dem Absatz kehrt und floh in ihre Wohnung.

In ihrem kleinen Schlafzimmer schlüpfte sie hastig in Jeans, einen blauen Kapuzenpullover und Turnschuhe. Schnell wusch sie sich im Badezimmer das Gesicht, putzte sich die Zähne und bändigte ihr Haar zu einem ordentlichen Zopf.

Dabei lauschte sie dem dumpfen Geräusch von Holzscheiten, die in die Kiste neben Nattys Kamin und Ofen geworfen wurden.

Beinahe wäre sie über Winston gestolpert, der sich direkt vor ihrer Schlafzimmertür im Flur rekelte.

„Das“, fluchte Tricia, während sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten, „ist wirklich ein toller Platz, um sich auszustrecken.“

„Miau“, bestätigte Winston zufrieden, rollte den Schwanz ein und schien nicht vorzuhaben, diesen Platz irgendwann in nächster Zeit zu räumen.

Tricia nahm sich einen Moment Zeit zur Besinnung – warum renne ich eigentlich durch die Gegend, als ob ein Feuer ausgebrochen ist? –, strich mit den Handflächen über ihre Jeans und holte einmal tief Luft.

Während sie einen Becher fettarmen Joghurt löffelte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, damit sie durch das Fenster über ihrer Küchenspüle spähen konnte, durch das sie einen guten Blick auf den Hinterhof hatte.

Sie hatte vollkommen vergessen, ihre E-Mails zu lesen.

Nachdem er Miss Nattys Holzvorrat aufgefüllt hatte, lud Conner eine ganze Ladung duftendes Kiefernholz von seinem Truck, um es ordentlich im Schuppen zu stapeln. Anschließend konnte er sich um den nächsten Punkt auf seiner Liste kümmern – ein Dutzend fünfzig-Pfund-Säcke mit der Spezialmischung aus Hafer und Alfalfa kaufen, mit der er seine Pferde fütterte. Vor der Rückfahrt wollte er dann noch bei Doc Benchley vorbeifahren, und das Impfserum für die im Frühling geborenen Kälber abholen. Doc war der einzige Tierarzt in der Stadt.

Anders als viele seine Kollegen hatte Hugh Benchley sich nicht spezialisiert. Er behandelte jedes Tier, preisgekrönte Hereford-Bullen genauso wie Yorkshire Terrier, die klein genug waren, um in eine Teetasse zu passen. Und er schien in absehbarer Zukunft nicht vorzuhaben, sich zur Ruhe zu setzen, obwohl er längst in einem Alter war, in dem andere ihre Zeit lieber beim Fischen oder in dem schicken neuen Casino am Stadtrand verbrachten.

„Wenn ich meine Praxis schließe, werde ich keine sechs Monate mehr leben“, hatte er mehr als einmal zu Conner gesagt.

Conner verstand ihn, da er selbst bei der Arbeit aufblühte – je körperlich anstrengender, desto besser. Auf diese Weise musste er nicht über Dinge nachdenken, die ganz und gar nicht nach seinen Wünschen verlaufen waren – wie beispielsweise seine Beziehung, falls man das überhaupt so nennen konnte, zu seinem Zwillingsbruder Brody.

Er klopfte sich den Staub von den Lederhandschuhen und marschierte auf seinen Truck zu. Irgendein Instinkt ließ ihn zum Fenster im zweiten Stock aufschauen, und ein ungewohnt prickelndes Gefühl machte sich in ihm breit, als er glaubte, Tricia McCall dort zu sehen.

Das hättest du wohl gern, dachte er und kletterte in sein Fahrzeug.

Er hatte Tricia schon oft gesehen, meistens aus einiger Entfernung, aber ein oder zwei Mal auch aus nächster Nähe.

Warum hatte er nie bemerkt, wie hübsch Nattys Urenkelin mit ihrem frischen Teint und den dunklen, ernsten Augen war? Sie hatte einen schönen schlanken Körper – das war ihm sofort aufgefallen, daran hatte auch dieser lächerliche Bademantel nichts ändern können. Allein mit ihr im selben Zimmer zu sein, hatte ihn an die Zeit erinnert, als er und Brody Kinder gewesen waren. Neun oder zehn Jahre alt und vollkommen furchtlos hatten sie sich damals gegenseitig angestachelt, den elektrischen Zaun, der die Weide von der Landstraße trennte, anzufassen.

Es hatte kurz zuvor noch geregnet, und sie standen beide in nassem Gras. Der Schlag hatte sie auf den Rücken geworfen, und nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren, hatten sie sich vor Lachen die Bäuche gehalten.

Da jede Erinnerung an Brody schmerzvoll war, auch eine gute, vermied Conner es normalerweise, an seinen Bruder zu denken. Er legte den Gang ein und fuhr von Miss Nattys Auffahrt, während seine Gedanken wieder zu Tricia wanderten.

Als Kind hatte Tricia oft die Sommerferien bei ihrem Dad in Lonesome Bend verbracht. Sie war schüchtern gewesen und hatte immer an Joes Rockzipfel geklebt, während er sich fröhlich um seine Angelegenheiten kümmerte. Schon damals war das heruntergekommene Autokino ein Verlustgeschäft gewesen, genauso wie der Campingplatz.

Wie all seine Freunde war Conner, wann immer es ging, bei River’s Bend schwimmen gegangen, allerdings konnte er sich nicht entsinnen, dass Tricia auch nur ein einziges Mal zumindest einen Zeh ins Wasser getaucht hatte. Sie saß ernst und im Schneidersitz auf dem Kai, immer in einem alten Badeanzug, ein Handtuch unter den Arm geklemmt, und beobachtete die anderen dabei, wie sie sich vollspritzten und herumtollten.

Damals hatten sie alle Tricia McCall für ein wenig seltsam gehalten– wahrscheinlich, weil ihre Eltern geschieden waren und in unterschiedlichen Staaten lebten, was damals etwas sehr Ungewöhnliches gewesen war, zumindest in Lonesome Bend.

Da sein älterer Cousin Steven jedoch auch immer zwischen der Ranch und seinem Zuhause in Boston hin- und herpendelte, hatte Conner früher weder Tricia noch die Situation besonders merkwürdig gefunden. Sie war eben einfach still und blieb lieber für sich. Ein bisschen neugierig hatte sie ihn gemacht, mehr aber auch nicht. Schließlich hatte sie die Stadt immer Ende August wieder verlassen, genau wie Steven, um irgendwann im nächsten Juni wiederzukommen.

Conner bog auf den Parkplatz des Futtergeschäfts und fuhr rückwärts an eine der Laderampen. Er stellte den Motor ab, stieg aus und sprang auf die Rampe, um beim Verladen der Säcke zu helfen, die bereits auf ihn warteten.

Und noch immer kreisten seine Gedanken um Tricia.

Auch als Teenager hatte Tricia ihren Dad jeden Sommer besucht und war weiterhin meistens für sich geblieben. Die beliebtesten Mädchen bezeichneten sie als Snob, als hochnäsiges Stadtkind, das sich für was Besseres hielt und etwas gegen Landeier hatte. Sie trug den Ring irgendeines Typen an einer Kette um den Hals, wie Conner sich erinnern konnte, und da er davon ausgegangen war, dass sie etwas Ernstes am Laufen hatte, war er ihr aus dem Weg gegangen.

Außerdem war er total verrückt nach Joleen Williams gewesen, dem platinblonden wilden Mädchen mit einem Körper, der wirklich keine Wünsche offen ließ.

Jemand stieß Conner den Ellbogen in die Seite, was ihn sofort wieder in die Gegenwart zurückholte. Malcolm, Joleens Halbbruder und Conners Klassenkamerad, grinste ihn an, während er sich mit zwei Säcken unter den Armen an ihm vorbeischlängelte. „Mach mal Platz, Creed“, zog Malcolm ihn auf. Sein rundes Gesicht war rot und verschwitzt vor Anstrengung und wegen seiner Vorliebe für Triple-Cheeseburger und mehr Bier als selbst Brody vertrug. „Manche Leute müssen hier arbeiten.“

Lachend schlug Conner seinem Freund auf die Schulter. Der Tag war extrem kalt, doch die Sonne strahlte am blauen Himmel, und die Zitterpappeln, die die Straßen und die Ausläufer des Gebirges von Lonesome Bend säumten, wechselten bereits die Farbe. Wo man auch hinsah, loderte es wie Feuer: knallrot und golden, hellgelb und orange und in einer Million Schattierungen dazwischen.

„Wie geht’s, Malcolm?“, fragte er, weil die Leute in einer Kleinstadt sich immer gegenseitig fragten, wie es ihnen ging, selbst wenn sie sich erst eine Stunde zuvor bei der Post oder beim Einkaufen über den Weg gelaufen waren. Und noch wichtiger: Sie interessierten sich tatsächlich für die Antwort.

„Mir ging’s gut, bis du aufgetaucht bist“, erklärte Malcolm, warf die Futtersäcke auf den Truck und ging wieder zurück, um die nächsten zu holen. „Was für extravagante Pferde haltet ihr eigentlich heutzutage auf eurer Ranch? Vollblüter vielleicht? Dieses Zeug kostet doppelt so viel wie normales Futter, und ich könnte schwören, dass es auch schwerer ist.“

Conner hievte lachend einen Sack in die Höhe. „Vielleicht solltest du dich hinsetzen und etwas ausruhen“, witzelte er. „Wäre doch dumm, wenn du ausgerechnet auf der Rampe einen Herzinfarkt bekommst.“

„Ein Herzinfarkt wäre überall dumm“, gab Malcolm zurück und belud den Truck weiter. „Himmel, ich bin dreiunddreißig.“

Ernüchtert von der Wendung, die die Unterhaltung genommen hatte, blieb Conner ihm die Antwort schuldig.

„Hast du das von Joleen gehört?“, fragte Malcolm, nachdem sie die letzten Säcke verstaut hatten.

Conner sprang von der Rampe und knallte die Heckklappe seines Trucks lauter zu als nötig. Seit Jahren schon war er über Malcolms Schwester hinweg, aber die bloße Erwähnung ihres Namens traf ihn immer noch wie ein gezielter Hieb in den Magen. „Was ist mit ihr?“ Er schaute zu Malcolm hoch, der in grelles Sonnenlicht getaucht auf der Laderampe stand wie ein übergewichtiger Erzengel.

„Sie kommt nach Lonesome Bend zurück“, antwortete Malcolm. Sein Ton klang merkwürdig. Beinahe vorsichtig.

„Nichts für ungut, Malcolm. Doch nichts könnte mich weniger interessieren.“

Malcolm schwieg für einen Moment. Dann fragte er schnell. „Soll ich das Futter wie immer auf deine Rechnung setzen?“

„Das wäre nett.“ Conner öffnete die Tür seines Trucks. „Danke, Malcolm.“

„Conner?“

Malcolm war etwas zur Seite getreten. Er sah ernst aus.

„Was ist?“, fragte Conner.

Schwer seufzend riss Malcolm sich die Mütze vom Kopf und trocknete sich mit einem Ärmel den Nacken. „Sie kommt mit Brody“, erklärte er und klang dabei so, als ob er Schmerzen hätte. „Ich denke … sie sind zusammen.“

Alles in Conner erstarrte. Als ob das ganze Universum um ihn herum zum Stillstand gekommen wäre. Endlich fand er seine Stimme wieder. „Ich schätze, das ist ihre Angelegenheit“, erwiderte er dann gleichgültig, „nicht meine.“

2. KAPITEL

D er Wind kräuselte die Oberfläche des Wassers. Dort, wo der Fluss sich in die Biegung schmiegte und von einem Steinstrand umarmt wurde wie ein Mädchen von ihrem Cowboy, war das Wasser ruhig. Weiter draußen aber war er ziemlich wild und hatte eine sehr starke Strömung. Etwa eine Meile flussabwärts gab es Stromschnellen, die direkt in die Wasserfälle mündeten.

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