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Im Jahre 1729 wurde für die Untertanen der Freiherren von Woellwarth und von Degenfeld in den ostwürttembergischen Dörfern Essingen, Lauterburg und Neubronn eine eigenständige Kirchenordnung erlassen. Damit nahmen die adeligen Ortsherren nicht nur ihre bischöflichen Rechte als lutherische Landesherren in Anspruch, sondern sie dokumentierten zugleich, dass sie den frühneuzeitlichen Forderungen einer >guten Policey< entsprachen. Die Kirchenordnung wird eingeleitet, ediert und kommentiert. Zwei kleinere Untersuchungen zur Einrichtung der Lauterburger Pfarrstelle im Jahre 1722 und den Lauterburger Kirchenstuhlverzeichnissen, die ab dem Jahre 1724 angelegt sind, ergänzen unser Bild vom landesherrlichen Kirchenregiment in einem Kleinstterritorium im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts.
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Grußwort
Vorwort
Einleitung in die Woellwarth-Degenfeldsche Kirchenordnung von 1729
Das Reichsrittergeschlecht von Woellwarth und seine Patronatsrechte
Besitzübernahme durch die Freiherren von Degenfeld im Jahre 1696
Die Kirchenordnung als Teil der woellwarthschen Konsolidierungsbemühungen im 18. Jahrhundert
Kirchenordnungen als Teil frühneuzeitlicher Rechtssammlungen
Die Quellen der Kirchenordnung von 1729
Probleme mit den „widrigen Religionsverwandten“
Die Signatare der Kirchenordnung
7.1 Ludwig Carl von Woellwarth (1682-1753, #193)
7.2 Philipp Gottfried von Woellwarth (1687-1764, #201)
7.3 Ernst Albrecht von Woellwarth (1689-1749, #202)
7.4 Ernst Maximilian Enßlen
7.5 Johann Georg Conz
7.6 Magister Johann Christoph Scholl (1693-1771)
7.7 Magister Gottfried Schülen (1692-1762)
Hinweise zur Transkription
Woellwarth-Degenfeldsche Kirchenordnung von 1729
Öffentliche Verkündigung vor dem Steinhaus
Kirchenordnung de a[nno] d[omini] 1729
Kapitel I - Von denen Kirchendienern
Kapitel II - Vom Gottesdienst
Kapitel III - Vom Catechismo oder Kinderlehr
Kapitel IV - Von der h[eiligen] Tauf u[nd] Gevatterschaft
Kapitel V - Von der Beicht u[nd] der beichtenden Exploration
Kapitel VI - Von dem heil[igen] Abendmahl
Kapitel VII - Von der Heiligung des Sabbaths
Kapitel VIII - Von übriger Disciplin- und Kirchen-Ceremonien
Kapitel IX - Von Kirchen-Büchern und Geräts
Kapitel X - Von Schulen, Schulmeister u[nd] Mößner
Kapitel XI - Von der Eheordnung
Kapitel XII - Von Hebammen u[nd] Weh-Müttern
Kapitel XIII - Von den Armen-Almoßen und Armen Kasten
Kapitel XIV - Von Begräbnißen
Kapitel XV - Von widrigen Religions-Verwandten
Kapitel XVI - Von der Kirchen-Censur
Kirchen- und Ehe-Ordnung
Die Errichtung der Pfarrei Lauterburg 1722
Der Bau des Lauterburger Pfarrhauses im Jahre 1721
Die Stiftung der Lauterburger Pfarrstelle im Jahre 1722
Die Lauterburger Kirchenstuhlverzeichnisse von 1724, 1733, 1905 und 1926
Was ist eine Kirchenstuhlordnung?
Die Lauterburger Kirchenstuhlverlosung von 1724
Streitigkeiten um Kirchenstühle
Lauterburger Kirchenstühle werden ab 1830 versteigert und verkauft
Haus- und Spitznamen in den Kirchenstuhlverzeichnissen
Register
Regionale evangelische Kirchenordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
Autorenverzeichnis
Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit (Hebräer 13,8)
Es ist mir eine Freude, für das Buch über die Kirchenordnung „unserer Baronen“ – wie die Lauterburger ihre frühere Dorfherrschaft nennen, ein Grußwort zu schreiben. Die Dinge ändern sich, die weltlichen und die kirchlichen. So habe ich meinen Pfarrdienst in der Kirchengemeinde Lauterburg soeben beendet. Die eigenständige Pfarrstelle erlischt in ihrem Jubiläumsjahr – nachdem sie 1722, vor 300 Jahren, durch Barbara Elisabeth von Woellwarth gestiftet worden war. So bedauerlich es ist, bleibt es doch unsere Aufgabe, Notwendiges zu erkennen und umzusetzen: als Pfarrpersonen, als Kirchenleitung und als Christinnen und Christen, die Verantwortung tragen oder sich einfach zu ihrer evangelischen Kirche und Gemeinde zählen.
Gebäude und Strukturen sind der Veränderung unterworfen. Nicht unsere Kirche mit dem schön restaurierten Kirchendach, nicht die eigenständige Lauterburger Pfarrstelle und auch nicht unsere Gemeindestrukturen haben die Verheißung, ewig zu sein. Nur Jesus Christus selbst. Halten wir uns an ihm fest, lassen wir uns halten von Christus in aller oft schmerzhaften Veränderlichkeit und Vorläufigkeit und Vergänglichkeit.
Lauterburg, 20.07.2022
Gisela Fleisch-Erhardt
(als erste und vorläufig letzte Pfarrerin
der Lauterburger Kirchengemeinde)
Die Woellwarth-Degenfeldsche Kirchenordnung von 1729: Vermutlich werden nicht einmal ausgewiesene Kenner der württembergischen Kirchengeschichte bisher etwas von dieser Ordnung gehört oder sie gar zur Kenntnis genommen haben. Das Kleinstterritorium der Freiherren von Woellwarth lag über Jahrhunderte am nordöstlichen Rand des Herzogtums Württemberg. Bis jetzt wurde es mit keiner ausgewiesenen kirchengeschichtliche Untersuchung gewürdigt. Und doch haben es die Ortsadeligen vor fast 300 Jahren für notwendig erachtet, für ihre Herrschaft, zu der zum Zeitpunkt der Abfassung rund 2.500 Menschen zählten, eine eigenständige Kirchenordnung zu erlassen. Sie übernahmen dafür nicht einfach eine Kirchenordnung etwa vom württembergischen Herzogtum, sondern man kürzte, ergänzte und überarbeitete Vorlagen und ließ den Text schreiben und öffentlich den Untertanen vorlesen.
Mit unserer vorliegenden Edition und Kommentierung der Kirchenordnung stellen wir somit einen Text vor, der abseits der traditionellen juristischen und theologischen Zentren in Württemberg entstand, wie dem württembergischen Hof, der Tübinger Universität, den großen Klöstern oder den Reichsstädten. Zugleich wird erkenntlich, wie auch in einem Kleinstterritorium versucht wurde, das eigene Regierungshandeln und das damit verbundene landesherrliche Kirchenregiment rechtlich abzusichern und zu legitimieren. Offen muss jedoch bleiben, warum man überhaupt eine eigene Kirchenordnung verfasst hat. Ob die Abfassung ein Solitär innerhalb der niederadeligen Herrschaften war oder ob es auch andere Orte gibt, an denen man eine solche Kodifizierung des Kirchenrechts vornahm? Hierfür besteht Forschungsbedarf in den Hausarchiven auch anderer reichsritterschaftlicher Familien des 17. und 18. Jahrhunderts, die dem lutherischen oder reformierten Bekenntnis anhingen.
Angeregt wurde unser Buch nicht zuletzt durch das 300-jährige Jubiläum der Lauterburger Pfarrstelle, das im Jahr 2022 gefeiert werden kann. Dafür haben wir noch einmal die Entstehungsbedingungen, die seinerzeit für die Einrichtung der Pfarrstelle sorgten, zusammengetragen. Zugleich kann mit dem ab 1724 angelegten Lauterburger Kirchenstuhlverzeichnis ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Dorfes vorgelegt werden.
Herzlich bedanken möchten wir uns bei den Unterstützern unserer Arbeit: Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauptstaatsarchivs in Stuttgart sowie im Staatsarchiv in Ludwigburg, speziell Frau Ute Bitz, beim Team des Sonderlesesaals in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart sowie bei den zahlreichen Gesprächspartnern, die uns nicht nur bei dieser Publikation immer wieder anregen, genau hinzuschauen. Ein besonderer Dank geht an Ulrike Birkhold, die unsere Übersetzungen der lateinischen Phrasen überprüfte sowie an unsere Frauen Beate Krannich und Ilse Bohn, die unermüdlich Korrektur lasen.
Essingen, im August 2022
Die Freiherren von Woellwarth gehören zu den südwestdeutschen Adelsgeschlechtern, die seit dem Spätmittelalter in ihrem Territorium reichsunmittelbar herrschten. Dies bedeutet, dass sie direkt dem Kaiser unterstellt waren und keinen weiteren Landesherren über sich hatten. Ihre Herrschaft erstreckte sich ab dem 15. Jahrhundert bis zur Eingliederung ihres Hoheitsgebietes im Zuge der napoleonischen Neuordnung Württembergs im Jahre 18061 über wenige Dörfer vor allem im heutigen Ostalbkreis.
Karte Essingen, Lauterburg, Hohenroden2
1401 erwarb Georg von Woellwarth († 1409, #10)3 das Gut Schneckenroden, später Hohenroden genannt4. Unter seinen Söhnen Georg der Ältere († 1434, #11) und Georg der Jüngere († 1442, #12) teilte sich die Familie in zwei Linien. Die ältere Linie hatte ihren Sitz in Laubach und Fachsenfeld. Hans Sigmund von Woellwarth (1546-1622, #38) führte 15915 in seiner Herrschaft die Reformation ein6. Dazu besetzte er gegen den Willen der Ellwanger Fürstpropstei, der eigentlich das Recht zustand, Gemeindepfarrer zu berufen (das sogenannte Patronatsrecht), in Leinroden und Fachsenfeld zwei neu eingerichtete Pfarrstellen mit lutherischen Pfarrern. In den beiden Orten sowie in dem von ihm erworbenen Rittergut Polsingen bei Oettingen ließ Hans Sigmund von Woellwarth Kirchen bauen, in denen das lutherische Bekenntnis mit der starken Betonung auf Christus („solus Christus“) durch überdimensionierte Kreuzesdarstellungen symbolhaft dargestellt wurde7. Die ältere Linie erlosch mit dem Tod von Karl Reinhard von Woellwarth-Laubach (1818-1870, #119) im Jahre 1870 im Mannesstamm.
Die jüngere Linie der Freiherren von Woellwarth konnte im 15. und 16. Jahrhundert am Nordrand des Albuchs zwischen den Reichsstädten Gmünd und Aalen, der Fürstpropstei Ellwangen und der württembergischen Herrschaft Heidenheim ein Kleinstterritorium ausbilden, dessen Mittelpunkt bis zu ihrer Zerstörung im Jahre 1732 die Lauterburg war; danach wurde die Marktgemeinde Essingen Mittelpunkt und Verwaltungssitz des autonomen Kleinstaates innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Neben der Essinger Ortsherrschaft hatten die Freiherren von Woellwarth seit 1538 auch das Patronatsrecht sowie das Recht am großen und am kleinen Zehnten für die Essinger Pfarrkirche inne8. Im Jahre 1607 ließ Georg Wolf von Woellwarth (1563-1612, #166) zusammen mit seiner Gemahlin Anna von Fleckenstein (1572-1633) im Zug des Neubaus der Schlossanlage Lauterburg eine eigenständige Kirche in Lauterburg errichten.
Georg Wolf von Woellwarth mit seiner Gemahlin Anna von Fleckenstein9
Ein Teil des Rittergutes Neubronn kam durch Erbschaft der Ehefrau von Georg Reinhard von Woellwarth (1590-1624, #171) in den Besitz der Familie, die restlichen Anteile des Dorfes wurden durch ihn und seine Brüder hinzugekauft. Um 1565 wurde in ihrer Herrschaft die Reformation eingeführt10. Die Familie hatte das Essinger Patronatsrecht bis zum Tod des letzten Patronatsherren Wilhelm Georg Konrad von Woellwarth (1866-1952, #260) im Jahre 1952 inne11. Seit dem 15. Jahrhundert wirkten die Freiherren von Woellwarth insbesondere als Ministeriale und Offiziere unter den württembergischen Herzögen und später auch im Königreich Württemberg.
Der erste Nachweis zu den Essinger Kirchensätzen und dem Kirchenpatronat findet sich in einer Urkunde aus dem Jahr 131312. Graf Ludwig IV. von Oettingen (um 1240-1313) überlässt am 22. August 1313 im Tausch über die dillingsche Klostergründung Neresheim seine bisher als Eigentum besessenen Güter in Essingen mit den beiden Kirchensätzen zu Essingen dem Kloster Ellwangen. Im Vorwort zur Urkunde heißt es sinngemäß: „Brief über den Tauschhandel zwischen Ludwig Graf von Oettingen und Abt Rudolf von Ellwangen, worin der Erstgenannte alle seine Güter mit allen Patronatsrechten zu Essingen an Abt Rudolf übergibt und dafür dessen Güter zu Elchingen mit den Patronatsrechten erhält.“ Das Pfarrstellenbesetzungsrecht beider Kirchen zu Essingen bleibt im Besitz des Reiches und wird weiterhin in dessen Namen von den Grafen zu Oettingen verwaltet13. Kaiser Karl IV. (1316-1378) schenkt 1361 beide Essinger Kirchensätze „ius patronatus“ und „ius praesentanti“ dem im Jahr 1267 gegründeten Zisterzienser-Frauenkloster Kirchheim am Ries, nachdem er gerade ein Jahr zuvor diese Kirchensätze dem Hause Württemberg abgenommen hatte. Neben der Pfarrkirche wird in der Urkunde auch „et sue filialis ibidem“ genannt, eine Kirchenfiliale mit dem Altar zur Lieben Frau in Essingen auf dem Berg beim Begräbnishof, die heutige Marienkirche14. Es heißt in dieser Urkunde weiter, dass das Recht zur Pfarrstellenbesetzung schon immer im Besitz des Reiches gewesen sei und in dessen Namen von den Grafen zu Oettingen verwaltet wurde15.
1376 bestätigt Kaiser Karl IV. die Schenkung, „nachdem ihm der Abt Albrecht von Ellwangen († 1404) bemerkt hat, dass der von ihm der äbtissin und dem convent des klosters zu Kirchheim am Riess gegebene kirchensatz und zehnt der kirche im dorfe Essingen damals als lehen dem kloster Ellwangen gehört habe, dass seine schenkung diesem an seinen rechten nicht nachtheilig sein solle“16. Im Jahr 1380 wurde durch Pileus, Kardinal von St. Praxedis in Rom, die Inkorporation (Einverleibung) der beiden Essinger Kirchen aus dem Jahre 1361 in das Kloster Kirchheim am Ries bestätigt17. 1538 verkaufte das Kloster Kirchheim am Ries den ganzen Zehnten nebst der beiden Kirchensätze sowie die Pfarrlehen in Essingen an Georg Heinrich von Woellwarth-Lauterburg († 1551, #142)18. Der Kaufpreis beträgt 8.000 Rheinische Gulden. Das Kloster Kirchheim wird zu dieser Zeit von Äbtissin Anna Gräfin zu Oettingen († 1572) geführt. Der Verkauf erfolgt mit Zustimmung des Konvents des Zisterzienserklosters und seines Schirmherrn Graf Ludwig XV. des Älteren von Oettingen (1486-1557)19. 1545, also wenige Jahre nach dem Verkauf, wird Anna von Woellwarth († 1553, #31), Tochter des Hans von Woellwarth († 1519, #23) aus der älteren Laubacher Linie, bis zu ihrem Tode 1553 die 21. Äbtissin des Klosters Kirchheim20. Über ihre Amtszeit wird in einer Kirchheimer katholischen Pfarrchronik Mitte des 19. Jahrhunderts berichtet: „Diese aufgeregte Zeit erforderte Energie und umsichtige Leitung, um das Kloster vor Verfall zu bewahren. Übrigens stand der traditionell klösterliche Geist dahier auf so fester Basis, dass er nie wankte und die Äbtissin auf die treue Mitwirkung ihres Konvents rechnen durfte. Ein tüchtiger Pfleger leitete 1548 die Vermögensverhältnisse des Klosters und ging mit dem Beispiel der Glaubenstreue voran. Es war dies Christoph von Diemantstein († 1575)21, zu Trochtelfingen gesessen, Mitglied des Kantons Kocher der Reichsritterschaft und pfalz-neuburgscher Landvogt zu Höchstädt.“22
Im Jahre 1696 verlor die Linie Woellwarth-Lauterburg ein Drittel ihrer Essinger Besitzungen. Der Grund hierfür war ein langwieriger Lehensstreit mit Ellwangen, den Rittmeister Alexander Maximilian von Woellwarth (1662-1718, #194) führte. In dessen Verlauf duellierte er sich 1691 mit einem fürstlich-ellwangischen Landkapitän und Kammerrat, der dabei getötet wurde23. Im nachfolgenden jahrelangen Rechtsstreit mit Ellwangen wird Alexander Maximilian von Woellwarth in Haft genommen. Die Untersuchung des Falles erfolgte von 1694 bis 1698 durch eine kaiserliche Kommission. 1698 wird Alexander Maximilian von Woellwarth aus dem inzwischen nach Nördlingen verlegten Hausarrest entlassen, muss jedoch mit all seinen Gütern haften.
Infolge der Schuldenlast durch den langwierigen Prozess bis zur Freisprechung wegen Notwehr verkaufte Alexander Maximilian von Woellwarth am 13. Dezember 1696 seinen Anteil von einem Drittel des Dorfes Essingen samt der Oberburg für 41.000 Gulden an den Kurpfälzer Diplomaten, Kammerherrn und Wirklichen Geheimen Rat Maximilian von Degenfeld (1645-1697) und dessen zweiter Ehefrau Margaretha Helena von Canstein (1665-1746)24. Durch den Kauf erhält Maximilian von Degenfeld auch die entsprechenden Anteile an den Hoheitsrechten, der Hochgerichtsbarkeit, am Kirchen- und Schulpatronat, ein Sechstel des großen und kleinen Zehnten zu Essingen sowie den vierten Teil des Blutbanns zu Essingen und des Zolls auf dem Hemling. Die mitverkauften Untertanen werden bereits wenige Tage später am 19. Dezember vom woellwarthschen Amtsbezirk getrennt, in einem separaten Register nach dem Alphabet unter der Berufsangabe aufgelistet, auf die künftige degenfeldsche Herrschaft eingeschworen und dem Vogtamt Staufeneck zugeteilt25. Der dortige Beamte kam zweimal jährlich nach Essingen, um die wichtigen Gerichtsfälle abzuhandeln, während die geringen Fälle durch den im degenfeldschen Schloss26 wohnenden degenfeldschen Amtsschultheißen entschieden wurden. Die freiherrlichen Reichsritter Degenfeld sind seit dem 13. Jahrhundert mit Lehensrechten nachgewiesen. Die Familie spaltete sich im späten 16. Jahrhundert in die Linien Degenfeld-Neuhaus und Degenfeld-Eybach. Die Linie Eybach heißt seit dem frühen 18. Jahrhundert Degenfeld-Schonburg. 1716 wurde Christoph Martin II. von Degenfeld-Schonburg (1689-1762) von Kaiser Karl VI. (1685-1740) in den Reichsgrafenstand erhoben.
Alexander Maximilian von Woellwarth zog sich in das seiner Frau Barbara Elisabeth († 1729, #189) gehörende Neubronn zurück.
1648 ist der Dreißigjährige Krieg zu Ende, in dem Württemberg eine der vom Krieg stark betroffenen Regionen war. Ab 1628 stand das Land mehr oder weniger dauerhaft unter der Kontrolle fremder Truppen. Das Herzogtum Württemberg erlitt zwischen 1634 und 1655 einen Bevölkerungsrückgang von über 50 Prozent, wobei die Zahlen in einzelnen Regionen schwanken. Selbst dies spiegelt jedoch nicht das Ausmaß der Katastrophe wider, die 1634/1635 in Gestalt der bei Nördlingen siegreichen Habsburger Heere über das Land hereinbrach und es fast vollständig verwüstete27.
Matthäus Merian „Schlacht bei Nördlingen“ aus dem Theatrum Europaeum 1670
Nach der Schlacht bei Nördlingen, bei der das württembergische Heer auf der Seite der unterlegenen Schweden gekämpft hatte, kam es zu Plünderungen und Brandschatzungen, in der Folgezeit wurde das Land zusätzlich durch Armut, Hunger und die Pestepidemie im Jahr 1637 erheblich entvölkert28.
Auch das woellwarthsche Herrschaftsgebiet wurde schwer dezimiert. Im Jahre 1634 hatte Lauterburg 500, Bartholomä 400 Einwohner. In den ersten zehn Monaten des Jahres kamen allein durch die Pest in Lauterburg und in Bartholomä je 60 Menschen ums Leben. Die Bevölkerung in Lauterburg wurde damit in zehn Monaten um 1/8, die in Bartholomä um 1/6 dezimiert. Das Massensterben ging aber in beiden Orten noch weiter. Neben der Pest war die Ruhr, man nannte sie die „Durchschlechten“, vor allem für die hohe Säuglingssterblichkeit verantwortlich, kaum zehn Prozent der neugeborenen Kinder überlebten das erste Geburtsjahr.
Das älteste Lauterburger Kirchenbuch ging während einer Einquartierung der kaiserlich-hatzfeldschen Reiter im Jahre 1643 verloren. Die Reiter hatten es vermutlich mitgenommen und verbrannt. Schulmeister Andreas Leßlen († 05.08.1678) rekonstruierte im Jahr 1676 dieses Kirchenbuch. Wie Leßlen auf dem Titelblatt selbst angibt, ist es aus alten Kalendern zusammengestellt und enthält deshalb zunächst nur solche Aufschriebe, die ihm aus irgendeinem Grunde wichtig für Lauterburg waren. Leßlen notierte dabei: „Uns hat gemelter Herr Pfarrer in währender Zeit auf beiden Pfarreien Bartholomä und Lauterburg Ehen insgesamt 195, Kinder getauft 728, Leichenpredigten gehalten 202.“29
Als lutherische Reichsritter nahmen Wolf Karl († 1637, #172) und Friedrich von Woellwarth († vor 1644, #175) 1622 als Offiziere des protestantischen Heeres von Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach (1573-1638) im Dreißigjährigen Krieg an der Schlacht bei Wimpfen teil, in welcher das protestantische Heer von der Katholischen Liga unter ihrem Feldherrn Tilly (1559-1632) geschlagen wurde. Die Folge für den Kampf auf der „falschen“ Seite war, dass 1637 ihre Güter von Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) beschlagnahmt wurden und unter kaiserliche Zwangsverwaltung zugunsten des Deutschen Ordens kamen. Gleichzeitig wurde auch Kaspar Heinrich von Woellwarth-Laubach (#55), dem Fachsenfeld gehörte, aus dem gleichen Grunde wie seine Vettern enteignet. In Essingen erschien eine kaiserliche Kommission, um den beschlagnahmten Besitz aufzunehmen. Die Kommission schätzte den Besitz Essingen, Hohenroden, Killingen, Neubronn und Bönnigheim sowie Fachsenfeld auf insgesamt 45.560 Gulden und schloss zusammenfassend ihren Bericht: „Dieweilen, dass wir Unterschriebene oben spezifizierte Güter beritten und nach Notdurft besichtigt, so haben wir nicht anders befunden, als dass die Schlösser Neubronn, Fachsenfeld, Essingen, die Oberburg und Hohenroden ruiniert, sollten dieselben aber wieder bewohnt werden, würd dies ein namhaftes kosten. So seien auch die Flecken und Höf verbrannt und unbewohnt, sonderlich Fachsenfeld, darin gar kein Mensch mehr ist. Die Felder liegen öde, wüst und unbebaut, also dass man bei so geschaffenen Zeiten wenig Einkommen davon haben kann. Deswegen wir solche Güter anderer gestalt zu estimieren nicht gewußt. Auf dess Grund haben wir unser Pettschaft öffentlich hiefür gedruckt. So geschehen zu Schwäbisch Gmünd den 24. Dezembris 1638. Martin Kuenherr, Kaiserlicher Offenbarer Notarius.“
Der nachfolgende Rechtsstreit war für die Freiherren von Woellwarth überaus teuer, deshalb mussten sie „aus angedrungener Not“ den Marktflecken Bartholomä, der seit 1531 zu ihrer Herrschaft gehörte, mit allen Rechten und Zubehör samt niederer und hoher Obrigkeit und Patronatsrecht an den Altbürgermeister der Reichsstadt Ulm, Hans Jakob Schad, für 5.500 Gulden verkaufen30.
Als nach dem Westfälischen Frieden 1648 die Beschlagnahmung ihrer Güter aufgehoben wurde, versuchten die Woellwarths umgehend durch Aufnahme von Neubürgern ihre verödeten Ortschaften wieder aufzufüllen und Handel und Wandel neu zu beleben. 1659 sind zehn verlassene Hofstätten in Essingen nachgewiesen, darunter die Höfe von Hans Bentz, Georg Wagenblast, Georg Holtz, Hans Meyer, Georg Barth, Caspar König, Oswald Stegmayer und Hermann Mundus (Mundis)31. In einer Aufstellung von Sebastian von Woellwarth († 1662, #174), Herr zu Neubronn, Heubach und Essingen aus dem Jahr 1662 sind ebenfalls 14 seiner Höfe öde und leerstehend, unter anderem die Höfe von Hans Barth, Hans Benz, Hans Bulling und Jerg Fritz32.
Der Wiederaufbau der Landwirtschaft ging nur langsam voran und es erfolgte, wie im benachbarten Herzogtum Württemberg, nur ein mühsamer und schrittweiser Wirtschaftsaufschwung. Nachdem die benachbarten Reichsstädte Aalen, Gmünd und Bopfingen keine Einwände erhoben, erwirkten die Freiherren von Woellwarth 1685 bei Kaiser Leopold I. (1658-1705) ein neues Marktrecht für Essingen33. Am 18. März 1686 wird ein woellwarthscher Familienvertrag über die Organisation des Jahrmarktes und die Berechnung von speziellen Akzisen (Verbrauchssteuern) erstellt34. Um das Jahr 1690 wird von Woellwarth-Lauterburg eine einfache Rittersteuer erhoben. Essingen zahlt 12 Gulden 29 1/3 Kreuzer, Lauterburg 3 Gulden 7 1/3 Kreuzer und die Untertanen von Junker Sebastian von Woellwarth (1657-1706, #186) 1 Gulden 53 1/3 Kreuzer. Für eine zusätzliche doppelte Rittersteuer zahlt Essingen 24 Gulden 58 2/3 Kreuzer, Lauterburg 6 Gulden 14 2/3 Kreuzer und die Untertanen von Junker Sebastian zahlen 3 Gulden 46 2/3 Kreuzer35.
Auch die sozialen Strukturen gerieten durch den langen Krieg in Unordnung: Hunger, Krankheit oder die zunehmenden Steuerlasten veränderten oftmals das menschliche Verhalten und führte gar zu Mord und Totschlag. Im Kirchenbuch zu Essingen ist unter dem Datum vom 11.03.1699 beispielsweise folgender Sterbefall eingetragen: „Hannß Jerg Holtz, Bauer auf dem Oberkolbenhof. Ist im Schlaf auf seinem Bette früh morgens zwischen 2 und 3 Uhr von seinem eigenen Weibe mit einem Kornsackbindel erwürget worden. 27 Jahre, 1 Woche, etliche Tage“36. Die Ehefrau Maria Elisabetha, geborene Ammon wurde wegen diesem Eifersuchtsmord zum Tode verurteilt und am 16.06.1699 auf dem Richtplatz zu Essingen mit dem Schwert hingerichtet. Es war die letzte Hinrichtung auf dem Essinger Richtplatz. Im Kirchenbuch ist zu der Hinrichtung folgendes eingetragen: „Maria Elisabetha Holtzin, Jerg Ammons, Schultheiß und Wirths ehel. Tochter zu Neubronn, ist mit dem Schwert gerichtet und darauf in der Stille ohne Ceremonia an einem besonderen Orth auf hiesigem Friedhof begraben worden. Musste dieses Todes sterben, weil sie ihren Mann, Hanns Jerg Holtz, angehenden Bauers auf dem Oberkolbenhof, da sie kaum fünf Wochen beisammen gewesen, des Nachts im Beth erwürget“37.
Ab 1720 unternahmen die Freiherren von Woellwarth deutliche Bemühungen, um die eigene Herrschaft zu konsolidieren und die soziale Ordnung auf ihrem Territorium wieder herzustellen. Hierzu zählte auch die Einrichtung einer eigenen Pfarrstelle in Lauterburg mit dem 1721 erbauten Pfarrhaus und der 1722 erfolgten erstmaligen Besetzung der Lauterburger Pfarrstelle38. 1724 wurde erstmals in Lauterburg eine Kirchenstuhlordnung erlassen39. Am 17.03.1729 legte Ludwig Carl von Woellwarth (1682-1753, #193) als Chef des Hauses gemeinsam mit seinen Vettern Philipp Gottfried (1687-1764, #201), Ernst Albrecht (1689-1749, #202) sowie Sebastian (1700-1754, #205) einen Fideikommiss fest40, der bis zur Weimarer Reichsverfassung 1919 Bestand hatte und als Erbvertrag Rechte und Pflichten der Familienmitglieder untereinander festschrieb41. Am 07.04. und 29.11.1729 wurde die Kirchenordnung durch Unterschrift und anschließendes öffentliches Verlesen vor dem Essinger Steinhaus, dem woellwarthschen Rentamt, promulgiert. Im Jahre 1733 erneuerte man die bereits 1644 abgefasste Eheordnung42.
Bereits 1732 bekamen diese Konsolidierungsbemühungen mit dem Brand des Lauterburger Schlosses einen deutlichen Dämpfer. Mit der Herausnahme von Neubronn aus dem Fideikommiss durch Friderike Caroline von Woellwarth (1721-1796, #210) verlor die ohnehin schon sehr kleine Grundherrschaft noch mehr an Gebiet43. Um 1800 lebten in Lauterburg etwa 420 Personen, in Essingen mit allen Außenhöfen zirka 1.790 Personen. Neubronn hatte rund 300 Einwohner44, sodass die napoleonische Inkorporierung in das neu gegründete Königreich Neuwürttemberg im Jahre 1806 eine wohl längst überfällige Notwendigkeit darstellte. Mit der Abdankung des letzten württembergischen Königs Wilhelm II. (1848-1921) am 30.11.1918 und der württembergischen Neufassung der Pfarrstellenbesetzungsrechte vom 24.06. 1920 endeten die Patronats- und Pfarrstellenbesetzungsrechte. Die bisherigen Inhaber durften ihre Rechte noch auf Lebenszeit ausüben. 1952 endete in Essingen das Patronatsrecht mit dem Tod des letzten Patronatsherrn Konrad von Woellwarth (1866-1952, #260).