Wolfsadel - Stephan Lasser - E-Book

Wolfsadel E-Book

Stephan Lasser

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Beschreibung

In Norfesta herrschen Werwölfe über die Menschen. Eine Stadt hoch im Norden leidet unter Armut, Hunger und unter der Tyrannei eines Barons. Als die junge Claudile Alemont – ein Werwolf – als neue Herrscherin anreist, hat sie es schnell mit unzufriedenen Bürgern und einem rätselhaften Verbrechen zu tun. Wird es Claudile gelingen, die Herzen der Bürger für sich schlagen zu lassen?

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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WolfsAdel

Eine etwas andere Werwolfgeschichte

Stephan Lasser

Jede Ähnlichkeit mit Personen, die gelebt haben, jede Übereinstimmung der Namen, Orte kann bloß auf zufälligem Zusammentreffen beruhen, und der Verfasser lehnt dafür im Namen unveräußerlicher Rechte der Einbildungskraft die Verantwortung ab.

Copyright © 2024 Stephan Lasser

Alle Rechte vorbehalten.

 

WIDMUNG

 

 

Für Katrin K.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Prolog

1 - Die jüngste Fürstin

2 – Verfluchtes Blagrhiken

3 - Aller Anfang…

4 – Stadtprobleme

5 - Neue Besen

6 -Das uralte Spiel

7 – Erleichterung

8 – Schlechte Zeiten

9 - Ermittlungsarbeit

10 – Die Hexe von Buchsenstübl

11- Die Gelegenheit des Feindes

12 – Wahrheit

14 – Hier kommt die Braut…

15 – Damsel in Distress

16 – Blaqrhikens Prüfung

17 – Der menschgewordene Erfindungsgeist

18 – Schlachten

19 – Intrigen und Irrsinn

20 – Das bittere Ende

21 – Letzte Vorbereitungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

Norfesta.

Das Land glich nur an den nördlichen Grenzen einer bizarren gefrorenen Mondlandschaft. Schimmernde Berge aus Eis, die wie ein Gartenzaun das ewige Grün im Landesinneren von außen zu schützen schienen. Dichte Kiefernwälder, hier und dort einzelne Seenplatten und Flüsse die immer reichlich Forelle und Lachse aufwiesen. Von oben betrachtet wie eine grüne Decke, die es schon immer gegeben hatte und dunkle Geheimnisse verbarg. Der Mensch hatte es sich in kleineren Dörfern gemütlich gemacht – zu wenige, um bedeutsam zu sein. Und sie kannten die Gefahren, die in den Wäldern lauerten. Wölfe.

Und Werwölfe.

Es heißt, es gebe zwei Kategorien von Leuten auf der Welt. Wenn man den einen ein Glas zeigt, das genau halb voll ist, so sagen sie: Dieses Glas ist halb voll. Die anderen hingegen meinen, das Glas sei halb leer.

Allerdings ist die Welt voller Leute, deren Glas zersprungen oder erst gar nicht vorhanden ist. Meistens wurde ihr Glas achtlos umgestoßen von jenen, die gleich mehrere Gläser haben. Menschen in Norfesta gehörten zu den Glaslosen.

Während die Sonne sank, ließ das Mädchen Isa den Blick über die vereiste und felsige Landschaft schweifen, ein Spiegelbild ihrer Seele. Es war ein von Gott verfluchtes und dämonisches Land und Isa gehörte zu den Schutzlosen. Wie dutzende ihrer

Leidensgenossen betete sie um Erlösung, um Errettung, denn die Welt war grausam. Sie war jung, und immer hungrig, zitterte in der Kälte und verspürte wie alle Menschen Hoffnungslosigkeit vor der Gefahr.

Ihrem Herrn.

Er war ein Fürst, der sich die Kraft der Wölfe teilte, geschaffen aus Wut, Zorn und bestialischer Kraft. Seine gelben Augen zeigten kalte Verachtung gegenüber den Schwachen, sein stinkender Atem war durchsetzt von Alkohol und Blutdurst. Er würde niemals aufhören. Das hatte er nicht nötig. Fürst Mattes Lyren gehörte zu den Monstern, die das ganze Land beherrschten. Sie hatten ganze Tische voller Gläser und waren nicht bereit zu teilen. Isa versteckte sich und harrte der Dinge, die noch kommen mochten. Tage und Wochen vergingen, Menschen litten und Monster herrschten.

Und dann…

…war es vorbei.

Einfach so.

Mattes Lyren war verschwunden – doch kam wenig Freude auf. Denn wenn einer ging, kam schon der Nächste. Der nächste Werwolf.

Sie sind alle gleich, dachte sie bekümmert und tat Dinge, die die Glaslosen sonst taten. Arbeiten, irgendwie leben und überleben.

Alle sind gleich.

Sie wusste es nicht, aber in dem Fall irrte sie sich. Es kam kein Mann.

Etwas anderes…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 - Die jüngste Fürstin

Eine schwarze Kutsche rollte über eine Straße, gezogen von schwarzen Pferden, die den Weg auch ohne den Kutscher kannten. Das Wappen des Hauses Alemont – zwei Hermeline auf blutroten Grund – prangte als Zeichen für alle Bewohner Norfestas sichtbar auf den Wagentüren. Die älteste und wahrscheinlich bekannteste Familie von Werwölfen und bekanntermaßen ein Machtfaktor in der Region, baute ihre Beziehung zu den anderen Regionen aus. Im Innern saßen zwei Personen, so verschieden wie Tag und Nacht: ein Privatlehrer namens Francesco de Palma aus dem Süden und seine Schülerin und die einzige Tochter des Hauses Alemont.

Claudile Alemont wippte unruhig auf ihrem Sitz hin und her, während der Mann sie scharf ansah. Der wache, unruhige Blick, der energische Zug um ihren Mund und die kleinen, zielbewussten Bewegungen; das war alles ein Mädchen, das die Welt bereisen und von ihr lernen wollte.

Ein Werwolf.

„Sitz stehts aufrecht“, mahnte er und schlug zum wiederholten Male ein Buch auf, das den bedeutungsschweren Titel trug: Adelshäuser und ihre Sitten – rund um Norfesta und drüber hinaus. „Wiederhole, was wir heute durchgenommen haben.“ Claudile stöhnte leise und wischte ihre widerspenstigen weißen Locken vor dem Gesicht fort – ein Zeichen, das Francesco nur zu gut kannte. „Auch wenn es Eure Ladyschaft heute an Geduld mangelt.“

„Francesco“, murmelte sie leise quengelnd und ruckte hin und her. „Ich will raus aus diesem Käfig.“

„Das Buch der Etikette ist gewiss sehr anstrengend zu lernen“, sagte der Privatlehrer, und sein Blick fügte lautlos hinzu: Und was zum Teufel geht mich das an?

„Wir sind seit einer Woche auf der Straße“, begann sie nach einer Weile, als Francesco keine Anstalten machte, von sich aus das Gespräch zu eröffnen. „Ich will raus und neben dem Karren laufen. Ein bisschen jagen oder vielleicht schwimmen. Sind wir nicht eben an einem See vorbeigekommen? Lass mich raus!“ Ihre gelben, großen Augen blickten ihn an und aus den Augenwinkeln konnte der Mann sehen, wie sich ihr Nackenfell am Haaransatz sträubte – untrügliche Zeichen, die er auch gelernt hatte zu deuten.

„Was sollen eure Untergebenen denken, wenn Ihr wild und mit Grasflecken auf dem Kleid an eurem neuen Stammsitz ankommt? Die Fürstin von Blaqrhiken, die Herrscherin des Nordens, tollt mit Füchsen und Hasen herum!“ Er suchte einen Moment krampfhaft nach Worten. „Eure Mutter, die ehrwürdige und gewaltige Schattenprinzessin selbst, hatte wirklich das Gefühl, dass Ihr so weit seid. Zum Herrschen!“

Claudile machte eine wegwerfende Handbewegung und lächelte. „Du schuldest mir was, Francesco. Stell dir nur vor, meine Brüder hätten dich statt Meiner erwischt.“

Der Mann erinnerte sich gut an ihre Brüder, Zurric und Pjotr, die ihrem Vater Miquel Alemont an Wildheit und Kraft in nichts nachstanden und daran gewohnt waren, ihre Lehrer einfach aufzufressen, wenn ihnen danach war.

Er stöhnte leise und legte kurz das Buch beiseite. „Darf ich Euch daran erinnern, dass ich euch den Rücken deckte, als Ihr mal … ganz kurz… auf das Fest im Dorf gehen wolltet? Eure Mutter hätte mich fast gehäutet, während Ihr mit einigen Bäuerinnen über die neueste Sommermode geschwatzt habt. Ich konnte mich gerade noch im Schrank verstecken!“

„Sommermode“, wiederholte sie und lächelte schief. „Ich vermisse das bunte Treiben. Ich will raus! Kannst du das nicht verstehen?“ Ihre Finger zupften am engen schwarzen Brokatkleid, dass ihr jeden Bewegungspielraum nahm. „Ich bekomme keine Luft mehr...!“Sie hechelte leise. Das Tier in ihr windet sich, stellte er kühl fest. Trotzdem war er lieber mit ihr hier drin als mit ihrer Verwandtschaft. Ihre Mutter Cesarel, eine stolze und große Frau, hatte ihn in der Wut gegen das Bett geschleudert. Werwölfe hatten in der Regel wenig Geduld mit Menschen.

Das Königtum Norfesta erstarkte vor 890 Jahren, zerfiel aber unter einem blutigen Kampf um die Krone in kleinere Fürstentümer – einem losen Bund aus kleineren Reichen, die sich fast zweihundert Jahre lang nicht auf einen König einigen konnten. Wenngleich sich noch lange Zeit danach keine „norfestische Identität“ entwickelte, verband alle Menschen eine Abneigung gegen Andersartige – wie Zwerge, Hexen, Elfen und Werwölfe. Nicht überliefert, aber dennoch factum, war, dass Elfen, Zwerge und Hexen systematisch vertrieben wurden. Der letzte Elf starb in der Ersten Republik vor zwei Jahren an Altersschwäche. Seine Werke über die Pogrome zählten bis zu 36 Bänden und gehörten zu den meistgelesenen Werken der Republik. Francesco de Palma hatte sie als Kind lesen müssen. Damals eine anstrengende Pflichtlektüre, heute sein Garant für ein recht bequemes Leben als Privatlehrer am Hofe des Adels von Norfesta, dass in der Regel keine Gefangenen machte.

Seit 600 Jahren teilen sich die Menschen Norfestas mit den

Werwölfen die Wälder, die bis dato in Rudeln oder vereinzelt für Schrecken sorgten. Erst nach der Krönung des ersten Königs Grosny („Grosny, der Pfähler“) begann die Nacht der Blitze, in der Jägerkolonnen gezielt Jagd auf die Wölfe machte. Nach dem Tod des menschlichen Königs verlor das Königtum Norfesta an Macht und Einfluss und die Zeit des Khanats begann. Die Werwölfe unter der Führung des Khans der Blutklauen begannen die Silbermienen und die Depots der Armeen systematisch anzugreifen und zu schließen. Seit 5 Jahren war der ungekrönte Khan, Claudiles Vater, verstorben, doch die Fürsteh der Acht Regionen hielten noch immer das Reich stabil und gehorchten der Kaiserin – Claudiles Mutter. Momentan war das Königtum in einem Wandel: die Werwölfe waren bestrebt die Monarchie weiter auszubauen. Die neuen Herrscher waren offenbar sehr bestrebt, sich mit neuen Wappen zu schmücken und sich für Etikette und Manieren am Hofe zu interessieren. Und im Süden herrschte Krieg – Vampire der Neuen Allianz gegen die Werwölfe des Nordens.

Claudile kratzte sich mit den Hinterpfoten am Nacken. „Bitte nicht wieder!“ ermahnte er sie. „Wir haben bloß noch das eine Kleid. Wollt ihr nackt vor den Dörflern stehen?“

„Diese dumme Kutsche“, maulte sie und fuhr mit einem heftigen Nicken fort: „Habe ich etwa darum gebeten, Fürstin zu sein? Auch noch im Norden. Da ist nichts, Francesco.“

„Stopp“, ermahnte er erneut und hob dabei den Finger. „Was haben wir gestern gelernt?“

„Nein, nicht…“

„Doch. Es muss sein.“

„Ich kann es doch…“

„Eure Ladyschaft“, begann er streng. „Was macht Blaqrhiken aus?“

Claudile seufzte, starrte eine Sekunde an Francesco vorbei ins

Leere und zwang sich dann zur Ruhe. Aufrecht sitzend und beide Hände im Schoß, psalmierte sie: „Der Ort Blaqrhiken ist der nördlichste und entfernteste Ort in Norfesta. Jetzt, wo es für sein Sägewerk bekannt ist, sind es seine traumhaften Pasteten, für die Blaqrhiken so berühmt ist. Jeder köstliche Bissen ist wie eine warme Umarmung, aber das Besondere an dem Ort sind die Menschen, für die Nachbarschaft noch echte Werte besitzen. Diesen Geist verdanken die Stadt ihrem Wohltäter, Fürst Ferou Hronghard der Dritte, der nach seinem Tode den Bürgern sein Vermögen überließ.“

„Wie viele Einwohner?“

„Zweiunddreißig Familien. Das Sägewerk, drei Lager, vier Ärzte, Tischler, Blechschmiede, Bäcker und so weiter und so fort. Dazu noch das Forstamt, die Burg und ungefähr sechzehntausend Hektar Fichtenwald.“

„Wie heißt der Fürst?“

„Lyren. Mattes Lyren. Ihn soll ich als Erstes treffen.“

„Einer von euch, wie ich meine.“ Francesco hegte keinen Groll gegen Werwölfe. Er hatte sich damit abgefunden, seine Heimat nie wieder zu sehen und Herren zu dienen, die den Mond anheulten und wilde Jagden als angenehmen Zeitvertreib betrieben. In der Monarchie gab es bei den Menschen im Westen Könige und Fürsten, die ihre Untergebenen mit Pacht, Steuern und willkürlichen Zwangsversteigerungen das Leben unerträglich machten – gab man hier einem Werwolf die Gelegenheit zur Jagd, war er schon zufrieden. Fürst Glofort im Süden, beispielsweise, konnte mit Gold nichts anfangen und ließ sich von seinen Untergebenen in Hasen auszahlen. Doch über Lyren erzählte man sich etwas anderes: „Seine Lordschaft wird nicht erbaut sein, dass Ihr seinen Platz einnehmt. Er soll ungehobelt und brutal sein, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet.“

„Ist hiermit stattgegeben“, meinte Claudile und bewegte ihre

Hand frei nach der Etikette, wie es sich einer Dame am Hofe gebührte. „Mir scheint, dass es dem Lord an Manieren mangelt“, bemerkte sie spitz gekünstelt. „Welch Affront!“

Francesco konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ihr sollt es auch nicht übertreiben. Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon. Versteht ihr?“

Sie nickte knapp. „Wenn er sich weigert zu gehen, werde ich ihm seine Grenzen aufzeigen.“

An den Fenstern zog die Landschaft dahin. Das Rumpeln und Krachen der Räder mischte sich mit dem gelegentlichen Wiehern der Pferde. „Eine Lady muss lange Zeit still und duldsam sein können. Sie ist die Repräsentantin des Hauses, wenn der Herr nicht zuhause ist. Sie hütet die Kinder, übt sich in Geduld um dann ihrem Gemahl zu Diensten zu sein.“

Eine Bremse flog durchs Fenster, begutachtete die potenzielle Opfer und entschied sich für das Falsche. Behutsam landete sie auf ihren Nacken.

„Sie näht die Kleidung, stopft die Socken, wäscht die Wäsche und organsiert die gesellschaftlichen Pflichten, die da wären...?“ Francesco sah sie über das Buch kritisch an. Er konnte förmlich spüren, wie ihre innere Unruhe wuchs.

„Die Geburtstage merken, natürlich die örtlichen Gegebenheiten wie Feste…“ Claudile verscheuchte das Insekt kurz und bemühte sich um Kontrolle. „Die Lakaien müssen stehts an ihre Pflichten erinnert werden. Müßiggang ist der Zerfall eines jeden Haushalts. Bestrafungen fallen in das Amt des Gatten…“ Für einen Moment hielt sie inne, als wäre ihr ein neuer Gedanke gekommen. „Wen soll ich heiraten? Will ich das überhaupt!?“

„Einen stattlichen Werwolf, möchte ich meinen.“ Francesco lächelte belustigt, als er ihre großen Augen sah. „Die Alemonts sind eine hochgeachtete Familie und eine lohnende Partie, möchte ich anmerken. Euer Vater hat schließlich die Khane der Reiche verbunden. Euch zur Frau zu nehmen, bedeutet, dem Thron einen gewaltigen Schritt nahe zu sein. Eure Mutter und eure Brüder wählen den Richtigen aus…“ Das Insekt stach.

Claudile wand sich, fauchte wie wild und schlüpfte schnell aus dem Kleid, bevor es zu einer Katastrophe kommen konnte. Francesco kannte diesen Ausbruch zur Genüge, drückte sich, soweit es ging, in die hinterste Ecke und verschloss die Augen, während die Natur ihr Recht einforderte.

Unsichtbare Kräfte formten Fleisch und Muskeln neu, während Sehnen sich wie Drahtseile wie ein Mantel um die Verwandelte legte. Sie waren die Quelle ihrer Macht und auch der Grund für ihre Unverwundbarkeit. Manches Schwert hatte sich schon an Werwolfshaut etliche Scharten zugezogen. Horn wuchs rasend schnell über ihre Finger- und Fußnägel, formten sie neu, während sich Fell um das rote Haar herumbildete. Sekunden nur – dann sprang ein Blitz aus Muskeln und Kraft aus der Kutsche.

„Eure Ladyschaft“, sagte Francesco gedehnt und schlug das Buch zu, während draußen die Pferde wild vor Angst zu wiehern anfingen. Äste brachen, irgendwo gellte ein Tier panisch auf. Francesco konnte es ihm nicht verdenken.

Die Kutsche war zum Halten gekommen. Der ehemalige Soldat stieg aus und begutachtete die Landschaft um sich herum. Mehrmals streckte er sich, während es um ihn herum im Geäst hier und da knackte.

Der Kutscher drehte sich verärgert zur Seite. „Schon wieder, was? In dem Tempo kommen wir nie an.“

„Schon wieder, ja“, bemerkte Francesco lächelnd. „Geben wir Ihrer Ladyschaft etwas Zeit.“ Er schlug die Tür hinter sich zu und setzte sich auf den Kutschbock.

Der Kutscher reichte einen Flachmann. „Unter uns: ich hasse sie alle.“

„Nicht so laut.“

„Die Werwölfe sind unnatürlich“, begann er leise. „Einer von ihnen hat meinen Vetter gefressen.“

Erinnerungsbilder huschten an Francescos inneren Auge vorbei. Vor allem Mahlzeiten aus der Zeit, als er ihr noch nicht gesagt hatte: das gehört sich nicht.

„Deshalb kann ich sie nicht ausstehen“, meinte der Kutscher und gab mit den Zügeln das Zeichen weiter zufahren. „Es heißt zwar, einen Wolf könnte man zähmen, aber ich finde, ein Wolf bleibt ein Wolf. Man darf ihnen nicht trauen. Die Bosheit liegt in ihrer Natur, stimmt´s? Sie können praktisch jederzeit zu einem wilden Tier werden.“ Dem Kutscher fröstelte es. „Es heißt, im Süden leben Menschen und Vampire in einer Republik. Seid Ihr schon einem

Vampir begegnet? Können nicht so schlimm sein, finde ich.“ Anders als in Norfesta lebten in der Ersten Republik tief im Süden Vampire und Menschen zusammen – zumindest auf dem Papier. Es existierte nachweislich eine Aristokratische Republik, die von einem geschlossenen Kreis von Patrizierfamilien bestimmt wurde. Unter der Führung der Großen Gilden wurde seit zweihundert Jahren eine Erbmonarchie erfolgreich verhindert. Der letzte König war Brunoq Gediman III., der genau vor 213 Jahren in die Verbannung ging. In der Silent Ages, die fast 130 Jahre anhielt, hielt sich die Erste Republik aus den Machtkämpfen zwischen den Königen des Nordens und des Ostens heraus und baute ihr Machtzentrum weiter aus. Heute war sie eine reiche See- und Wirtschaftsmacht, die im Südosten mit der Grauen Schar und einem losen Piratenbund zu kämpfen hatte.

„Man sucht sich seine Herren nicht aus“, bemerkte Francesco und gab den Flachmann wieder zurück. „Ich stamme aus Lornti de la Vogh, das liegt südlich an der Hauptstadt. Dort bin ich mal einem Vampir begegnet.“

„Wie war es?“ Interessiert rückte der Kutscher näher.

„Sie sind… alt. Die meisten von ihnen. Die jungen bewegen sich wie Elfen…“ Er dachte an das eine Mal zurück, als seine Familie Besuch von einem sehr alten und mächtigen Vampir bekommen hatte. Jener Fürst, der über die Ländereien wachte und eines Abends an der Schwelle stand. Hochaufgerichtet, fein gekleidet und dünn. Aber von einer Aura umgeben, die Francesco bis heute nachdenklich stimmte: Seht meine Herrlichkeit! Ich schenke euch Leben oder Tod. Meine Berührungen sind wie kühles Wasser, meine Worte verwandeln jedes Bauernlied in eine Oper, ich bin dem Himmel und der Hölle näher als die Erdgebundenen! Er schluckte trocken. „Unser Meister verlangte jedes Jahr einen Blutzoll. Ich hatte eine Schwester, und…“ Er unterbrach sich und schaute den Kutscher von der Seite aus an. „Man kann Werwölfe nicht mit Vampiren vergleichen. Die Welt ist, wie sie ist.“

„Elfen kann ich auch nicht leiden.“

„Gibt auch nicht mehr viele von ihnen.“ Er griff in seinen alten Soldatenmantel und holte Pfeife und Tabaksbeutel hervor. Er begann, sie umständlich zu stopfen. „Aber etwas Gutes haben sie ja.“

„So? Und was?“

„Schaut euch um.“ Francesco entzündete seine Pfeife und schmauchte große Kringel, bevor er fortfuhr. „Norfesta hat keine Banditen mehr.“

Beide beobachteten, wie weit vor ihnen ein Grizzly aus dem Unterholz brach und kurz in ihre Richtung schaute, bis er sich beeilte fortzukommen.

„Die Kleine ist ja nett und so“, gurgelte der Kutscher, indem er sprach und gleichzeitig sich den letzten Rest seines Alkohols einverleibte. Er hustete kurz, dann fuhr er fort: „Claudile soll kein echter Werwolf sein, sagt man sich. Hat nur Flausen im Kopf. Sucht ständig die Nähe von Menschen. Ist vielleicht ein Seitensprung, so sagt man. Hatte wohl ein rothaariger Bauer ein Treffen mit der Königin…“

„An deiner Stelle wäre ich vorsichtig“, mahnte Francesco und sah ihn übertrieben scharf an. „Claudile ist scharfsinnig. Sie hat Feuer. Aber sie ist definitiv die Tochter vom Großen Khan der Wölfe. Glaub nicht alles, was die Leute reden.“ Die beiden älteren Brüder, Zurric und Pjotr, waren als Fürsten tätig. Ihre Mutter Cesarel war als „Schattenprinzessin“ die Anführerin des Rudels und als konservative Adelige und als Diplomatin ständig im Gespräch bei Hofe. Solche Reden – ob von Mensch oder Wolf – bedeutete mehr als nur Ungemach.

„Gleich behauptest du noch, das Ding hätte Gefühle“, ächzte der Kutscher schwer und bedeutete den Pferden anzuhalten, als eine völlig verdreckte, nackte Frau aus den Büschen trat und Anstalten machte einzusteigen.

Nein, dachte Francesco bedrückt, Claudile hat ein ganz anderes Problem.

 

 

 

 

2 – Verfluchtes Blagrhiken

Einige Meilen weit verlief die Straße breit und eben in östlicher Richtung durch das Weite Tal. Sie führte schnurgerade durch den Wald am Rande der Hochwasserebene des nördlichen Flussufers entlang, wo die Bäume hoch und ungehindert wuchsen. Den Reisenden bot sich ein freier Blick auf den Gebirgsfluss, und nicht selten konnten sie die Tiere des Waldes sehen, die zum Flussufer kamen, um zu trinken.

Die Wildheit eines Wolfes zu zähmen, bedeutet Geduld und Selbstdisziplin aufbringen zu müssen. Die menschliche Form halten können, bedeutete, Herr über das eigene Schicksal zu sein und galt bei den Aufgeklärten als höchste Form. Ein verwandelter Mensch verspürte immerzu dieses Jucken, dieses Zerren, den Trieb sich zu verwandeln. Es war, als hätte man eine schlecht verheilte Narbe auf dem Rücken, an der man nur schwer hinkam, um sich mal richtig zu kratzen. Doch all die Selbstbeherrschung nützte nichts, wenn der Vollmond zu sehen war. Dann war das Verlangen da und die Nacht verwandelte sich in Farben und Gerüche, die nur ein Wolf verstehen konnte.

Erschöpft aber sichtlich zufrieden hatte Claudile es sich in der Kutsche bequem gemacht, während um sie herum die Welt wieder ihre normale Fülle an Geräuschen und Gerüchen annahm.

Tiere flohen vor ihr, selbst die Gefährlichen. Einmal hatte sie eine Bärenfamilie aufgestöbert, die ihr Territorium verteidigen wollten. Nun, ihre Felle hingen zuhause am Kamin. Werwölfe diskutierten nicht.

Sie schlief langsam ein und träumte von der Jagd.

Je mehr sich die Straße dem östlichen Rand des Tales näherte, desto weiter entfernte sich sie sich vom Fluss, wurde immer schmaler, ging erst in einen Karrenweg über, dann in einen Feldweg und endete schließlich in einem Trampelpfad, der so überwuchert war, dass der Kutscher gelegentlich davon abkam. Zur Mittagszeit erreichten sie Blagrhiken, das in einem Hochtal unweit einer Weggabelung lag. Die meisten Hütten waren nichts anderes als Bretterbuden, manchmal erblickten sie auch kleine Zelte dazwischen, nur über Stöcke gespannte Planen. Im Gegensatz dazu überragte eine große Burg aus festem Gestein alle anderen Gebäude. Zwei aus Kragsteinen gesäumte Türme ragten, wie zum Gruß erhobene Arme, neben der heruntergelassenen Zugbrücke auf. Sonnenschein fing sich in den an den Fahnenstangen aufgezogenen Bannern und glitzerte auf der silbernen Oberfläche des Burggrabens. Als sie näherkamen, meinte Francesco, es müsste ihnen eine Schar von Rittern zur Begrüßung entgegenkommen.

Doch es kamen keine Ritter. Es gab keine Begrüßung. Je näher sie dem Dorf und der Burg kamen, umso mehr wich seine Freude und Erleichterung einem Gefühl des Unbehagens der unheilvollen Ahnung. Unter den Kiefern sangen keine Vögel. Kein Tier regte sich in den Feldern und Wäldern.

Ein ärmliches Dorf mit rauen Gestalten, die misstrauisch alles und jeden beäugten. An diesem Ort, der grau und wenig einladend schien, lächelte niemand und erklang keine Musik. Eine Gruppe von Männern saß an einem schwelenden Feuer und tranken mürrisch vor sich hin. Drei Waschfrauen grummelten leise, als sie die Kutsche ankommen sahen und tuschelten aufgeregt. Zwei Kinder sahen neugierig rüber und klaubten einige Steine vom Boden auf.

Francesco erinnerte sich gerade rechtzeitig an seine Pflichten und kletterte umständlich nach hinten, um nach ihr zu sehen. „Wir sind bald da. Jetzt wird sich angezogen!“

„Das Kleid ist… gerissen. Ich kann nichts dafür.“ Die Stimme klang fast weinerlich hinter zugezogenen Gardinen.

„Das muss doch anders gehen. Warte mal“, ächzte jemand im

Innern. „Das muss dorthin, und hier stecken wir etwas fest…“

„Das tut weh! Sieh nur, es fällt von alleine ab! Es sollte halten, aber das tut es nicht.“

„Das ist doch Mist!“

„Ich kann nichts dafür!“

Der Kutscher hielt den Wagen an und klopfte aufs Dach. „Ähm, wir sind da“, erklärte er überflüssigerweise. Als Mann von Welt ignorierte er die fragenden Blicke der Bürger und starrte unverwandt auf die schiefe Mauer der Burg.

Eine Weile passierte garnichts. Einige Neugierige versuchten einen Blick ins Innere zu erhaschen.

Dann ging endlich die Tür auf.

Die Menge holte erwartungsvoll Luft.

Claudile spazierte im Soldatenrock, Männerhose und einem blauen Hemd und die Haare lässig über die Schulter gelegt auf die Straße und sah sich um. Zum Glück vermied es Francesco auszusteigen. Es wäre nicht gut ausgegangen.

„Hallo, liebe Bürger“, sagte sie und reichte dem ersten Mann die

Hand. „Ich bin Claudile.“

Der Kutscher drehte den Kopf herum. „Ja, so geht es natürlich auch.“

Die Menge war im ersten Moment so verblüfft, dass niemand reagieren konnte. Alte wie Junge, Männer wie Frauen hatten sich eingefunden und blickten abwechselnd zur Kutsche und zur…Frau in Männerkleidern. Es waren verhärmte Gesichter, gealtert vom Last der Entbehrungen und der Arbeit, die ihr Leben bestimmte. Sie verstanden die Botschaft nicht, … wenn es eine war. Und der Zirkus kam äußerst selten in die Stadt.

Ein einsamer Wind stöhnte durch die Reihen. Jemand hüstelte leise.

„Das ist also Blagrhiken“, stellte Claudile fest und nickte zur Bestätigung.

„Wer seid ihr?“ wollte jemand wissen. Jemand holte einen Knüppel aus einem Eimer. Forken wurden gereicht. Die Blicke bekamen etwas Bedrohlicheres.

„Ich bin Claudile Alemont, eure Fürstin vom heutigen Tage.“ Sie wartete auf Reaktion, und als nichts kam, drehte sie sich um und sah zur Kutsche. „Francesco! Schau doch mal…“ Dabei wischte sie nervös ihre Haare fort und ihre bernsteinfarbenen Augen wurden zufällig sichtbar.

Die Menge stöhnte leise auf. Sofort rutschten wenige beiseite, machten Platz während Knüppel und Forken hastig versteckt wurden. Als sich Claudile umdrehte, hatte sich das Bild verändert: die erste Reihe kniete umständlich. Frauen verbeugten sich während Kinder große Augen bekamen. Ganz kleine Kinder fingen an zu weinen.

Sie lächelte und reichte dem ersten Mann wieder die Hand. Es handelte sich hierbei um einen Schmied des Dorfes; einen breitschultrigen Mann mit gerötetem Gesicht und Armen wie Schiffstaue. Als sich die Menge zurückzog, sah er sich in der ersten Reihe und riss sich selbst die Kappe vom Kopf. „Ich habe nichts getan“, murmelte er hastig.

„Was meinst du?“ fragte Claudile.

Er war groß und… nun, gewaltig. Wenn der Schmied durch die Straßen wankte, wirkte er wie ein kleiner Eisberg und konnte schnell und hart zupacken. Doch vor der kleinen Frau verlor er fast die Fassung. „Nichts“, erwiderte schließlich. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass allgemeines Leugnen besser war als Abstreiten.

„Freut mich“, sagte Claudile und ergriff seine Pranke noch bevor er sie wegziehen konnte. „Ich bin von nun an eure Fürstin. Ich wünsche euch allen einen angenehmen Tag. Ist das deine Schmiede?“

Sie deutete über seine Schulter auf das Gebäude, wo in einer Esse glühende Kohlen langsam erkalteten.

Falten bildeten sich auf seine Stirn, als er herauszufinden versuchte, in welche Richtung die Frage zielte. „Nein. Das gehört mir nicht.“

„Ach?“

„Sie gehört Euch, wollte ich sagen.“

„So?“

„Ich habe immer die Steuern bezahlt“, betonte er und war fast den Tränen nahe. Alle anderen wandten sich weiter und weiter von ihnen fort. In der Schmiede starrten eine Frau und ein Kind herüber. „Muss Papa jetzt sterben?“ fragte der Bube leise. Claudile war kurz verwirrt, lächelte aber und schien guter Dinge.

„Nun, da ich nichts vom Schmieden verstehe, überlasse ich dir den Rest. Möge dein Stahl stehts gerade und deine Esse heiß sein!“ Sie lachte leise. Niemand fiel mit ein. Claudile hüstelte verlegen. „Gute Leute, kann mir jemand sagen, wo ich den Stadtvogt treffen kann?“

„Bist du… seid Ihr wirklich die Fürstin?“ wollte der Schmied wissen. Er schien sich ein wenig zu entspannen. „Wir haben den Fürst seit Wochen nicht mehr gesehen. Er wohnt dort in der Burg. Seht ihr?“ Er wies auf das graue Gebäude mit der Mauer und den Türmen, an die sich Claudile fast anlehnen konnte. „Dieser Hurensohn… ich meine, dieser Kerl kommt nicht vor die Tür! Verzeiht, Mylady, ich bin es nicht gewohnt mit Euresgleichen zu reden.“

„Ja, das fällt auf.“ Claudile wandte sich um, zuckte mit den

Schultern und erkannte ein Schild in der Nähe, dass einen Hammer und einen Gartenzaun präsentierte. Das musste die Stadtwache sein.

Wenige Meter entfernt starrte eine junge Frau sie an. Isa hielt nicht den Kopf gesenkt, sondern malte mit den Zähnen, während sie das neue „Unglück“ ansah. Sie schwieg hierzu, legte den Kopf schief und bestaunte die Erscheinung, die… Männerhosen trug? Seltsam. Glaslose und Glasbesitzer.

Vor der Wache am LangenBrunnenPlatz hatte sich eine kleine

Menschenmenge eingefunden, als Hauptmann Gaver sich zum Mittagsschläfchen auf seinen Stuhl setzte. Bis dahin war es ein netter, sonniger Morgen gewesen. Er blieb sonnig, wurde aber weniger nett. „Das sind Fremde, weil sie nicht von hier sind“, stellte er ungerührt fest und stocherte mit seinem kleinen Finger in seine Nase. „Die sollten sehen, dass sie weiterkommen, nja. Das ist meine Meinung.“

Gaver war ein breiter Mann, nicht besonders muskulös und schwitzte stark beim Gehen, so dass er seinen Dienst am liebsten auf seinen Platz draußen an der Tür tat. Seine einzelnen Barthaare neben den Leberflecken zitterten, während er versuchte sich herumzudrehen, um über die Menschenmenge zu sehen. Neben ihm trat Korporal Axel mit zwei Bechern Wein aus der Tür und lehnte sich an die Tür. Wenn man Gaver und Axel nebeneinander patrouillieren sah, wirkten sie wie der Rosenkohl und die Rose. Axel war schlank, hatte zarte Hände und schien die meiste Zeit nur Beobachter zu sein, was Gaver sehr gefiel. Er stupste seinen Freund und Kollegen an und deutete mit dem popelverschmierten Finger nach vorne. „Da ist doch eine Kutsche vorgefahren mit einem komischen Kerl, der lange Haare trägt. Schneid sie ab, sage ich, nja! Das sind Störenfriede. Nicht so schlimm wie die Zwerge früher, aber wir sollten schon mal die Knüppel holen, sage ich.

Oder was meinst du, Korporal?“

Axel schirmte seine Augen vor der Sonne ab und blinzelte. „Da ist ein Wappen auf der Kutsche.“

„Kann nicht wichtig sein, sage ich! Vielleicht haben sie die

Kutsche nur gestohlen, nja. Können nicht wissen, was ihnen blüht. Nun, wir werden mal schauen, was es da zu schauen gibt.“ Gavers schweinsgleiche Augen verrenkten sich fast, während er angestrengt nachdachte. „Könnten Banditen sein, nja.“ Axel stöhnte genervt auf, stellte seinen Becher ab und nahm Haltung an. Die braven Bürger von Blagrhiken hatten sich schon lange darauf geeinigt, dass ihre Ortschaft eine Stadtwache brauchte. Und da niemand sonst die Arbeit machen wollte, erschien Gaver als die perfekte Person um das Tor zu bewachen.

Gaver war nicht etwa böse – er war einfach nur Gaver.

Axel salutierte knapp, als Claudile näherkam. „Entschuldigt bitte“, sagte Claudile und versuchte, ihre Nackenhaare daran zu hindern, sich aufzurichten. „Ich bin Fürstin Claudile Alemont und suche den Stadtvogt. Bitte zeigt mir den Weg.“

„Fürstin Alemont“, sagte Axel mit tiefer Stimme. Dabei vermied er es ihre Kleidung anzusehen. „Ihr wurdet schon vor zwei Tagen erwartet. Wir hoffen, Ihr hattet eine angenehme Reise.“

Claudile nickte höflich ihm zu, während sich Gaver umständlich aufzusetzen versuchte.

Als Werwolf nahm sie eine ganze Reihe von Gerüchen wahr: sie sah die Spur des Bäckers, wie er jeden Morgen zum Brunnen ging und erschnupperte den Geruch von Mehl, der noch zart in der Luft hing. Die Esse brodelte vor dunkler Energie und knisterndes Feuer versprühte ein dunkles Ambiente, während die feine Seifennote des Wachmanns vor ihr sich wie ein Blumenbouqette über allen legte. Naja, fast, denn die ungewaschenen Socken des dickeren Wachmanns sprachen eine ganz andere Sprache.

Claudile verzog das leicht das Gesicht und schnupperte erneut. Dort war noch etwas anderes…

„Ist der Fürst öfters hier gewesen?“ wollte sie wissen.

Beide Männer warfen sich erstaunte Blicke zu. „Können Sie sich ausweisen, nja?“ schnarrte Gaver wichtigtuerisch, während er umständlich sich die Hose hochzog.

Axel schüttelte nur den Kopf, trat vor und verbeugte sich leicht. „Sehr oft, sogar“, bestätigte er und führte sie kurz weg von seinem Kameraden. „Nehmt es ihm nicht übel, Eure Ladyschaft. Mit der Zeit werdet ihr verstehen, wie Gaver denkt. Er ist harmlos.“ Er deutete auf die Burg vor ihnen. „Es stimmt, was Ihr sagt. Der Herr kam gelegentlich zu einem Kartenspiel. Aber ich fürchte, dass der Hohe Herr nicht zugegen ist. Wir haben ihn seit Tagen nicht gesehen.“ Er rang sich ein Lächeln ab. „Es ist uns eine Freude, euch willkommen zu heißen. “

Claudile nickte zufrieden. „Danke. Wie ist Euer Name?“

„Axel, Maam. Zu Euren Diensten.“

„Angenehm.“

Er wies auf die Burgtore, die sich langsam der anrollenden Kutsche näherten. „Ihr seid ein Werwolf, oder?“ In seinem Blick lag eher Neugier als Furcht. Das empfand sie als beruhigend.

„Ganz recht.“

„Die Leute haben Angst. Vor euch. Wir haben… Erfahrungen

gemacht. Mehr sage ich nicht dazu. Wir sind dazu angehalten, euch durch die Stadt zu führen und euch alles zu zeigen. Aber bestimmt wollt Ihr euch vorher frisch machen.“

„Danke, Axel. Ich komme darauf zurück.“ Etwas verlegen strich sie sich über die Kleidung.

Er salutierte knapp und wandte sich ab.

Sie schnupperte nochmal, schloss die Augen und spielte mit den Dufttönen. Unter dem Seifengeruch verbarg sich etwas anderes.

Als es ihr einfiel, errötete sie leicht und ging fort.

Interessant.

Die Burg war in keinem guten Zustand. Claudile wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah moosbefallene Steine, roch fauliges Stroh und witterte Wasserschaden am Dach. Zum ersten Mal bedachte sie den Ort um sich mit Argwohn, als wäre ihr jetzt erst aufgefallen, dass Blagrhiken wirklich hoch im Norden lag. Mit einem Tuch bekleidet stieg Francesco aus. „Das ist also Euer neues Zuhause“, stellte er ungerührt fest. „Was denkt Ihr?“

„Der Ort stinkt vor Furcht. Alte Klamotten, alte Gewohnheiten und viel Hunger.“ Sie nickte ernst und starrte auf den Boden. Die frische Luft im Hof konnte nicht verbergen, dass der Ort krankte.

Er nickte knapp. Die Nase eines Werwolfes lag selten falsch. „Es gibt viel zu erledigen.“

„Meinst du… oh, ich verstehe.“

„Ja, genau. Ich werde mich mit dem Haushalter auseinandersetzen.“

Beide starrten zur großen Tür, die knarrend aufging.

„Der Hohe Herr ist nicht zugegen.“ Auf dem Hof eilte eine kleine Gestalt auf sie zu, die mit einer dicken Brille und einem Stock sich den Weg ebnete. Ein alter, sehr alter Mann mit Halbglatze und schlotterweißem Haar, dessen dünne Gelenke vor Arthritis quietschten. „Oh, Ihr seid es! Welche Freude, euch hier anzutreffen.“ Er blickte verwirrt zu Francesco, aber vermied es direkte Fragen zu stellen. „Ihr müsst Lady Claudile sein, die ehrwürdige Tochter des großen Khans, unserem Herrn und Meister.“ Er holte Luft. „Fürstin Claudile Salacia Aminata Urnie von Alemont. Ich heiße Fritz. Euer Haushalter.“

„Danke, Fritz“, sagte Claudile. „Du kennst dich gut aus.“ Claudile nahm den trockenen Grabesgeruch von Büchern wahr.

„Warum gehen wir nicht rein“, fragte Fritz leise und bedeutete ihm zu folgen. „Der Herr ist seit Tagen verschwunden. Ich befürchte das Schlimmste, Herrin. Jedoch wollen wir bei einem Plausch mit Gewürzkuchen, Fleischpastete und Wein von etwas anderem reden.“ Kurz darauf erreichten sie einen Saal, dessen Dunkelheit und Stille einen starken Kontrast zum Licht und Lärm auf dem Hof bildeten. Als sich ihre Augen an das Halbdunkle gewöhnt hatten, bemerkte sie Flaggen und alte Ölgemälde an den hohen Wänden. Es gab einige Fenster, aber die Spinnenweben und toten Fliegen davor ließen nur matte Gräue in den großen Raum hinein. „Die Burg wurde vor sechzig Jahren von Fürst Ferou Hronghard der Dritte, gebaut, der nach seinem Tode den Bürgern sein Vermögen überließ. Der Ort Blaqrhiken ist der nördlichste und entfernteste Ort in Norfesta. Er ist bekannt für sein Sägewerk und seine Pasteten.“ Er humpelte langsam zu einem Tisch und hob ein Tuch von einem Tablett. „Wir haben leider keine Köche, so dass ich vor zwei Tagen diese herrlichen Pasteten vom Bäcker holte. Sind leider kalt.“

„Jeder köstliche Bissen ist wie eine warme Umarmung, aber das Besondere an dem Ort sind die Menschen, für die Nachbarschaft noch echte Werte besitzen.“ Claudile zwinkerte Francesco zu, der ihr begütigend zunickte.

Fritz nickte beeindruckt. „Gut gesagt, Herrin. Ihr versteht es mit Worten umzugehen.“ Er blinzelte glücklich und zeigte auf mehrere Schriftrollen auf dem Tisch. „Wenn Ihr es wünscht, kann ich euch die Geschichte der Heraldik der Burg Blaqrhiken erzählen. Sie ist lang aber kurzweilig.“

„Ein anderes Mal“, bemerkte Francesco kühl. „Sagt, wo sind die Angestellten? Warum brennt kein Feuer im Kamin? Das Schloss ist in einem schlechten Zustand, Mann. Warum sieht es hier aus, als würde hier niemand leben?“

Fritz kam näher und besah sich den Sprecher aus nächster Nähe an. „Wer seid Ihr, dass ihr nackt und bloß mit mir sprecht? Hat Eure Herrin ein Herz für bemitleidenswerte Geschöpfe?“

„Er ist Francesco de Palma, mein Lehrer und Vertrauter“, half Claudile aus. „Ich wollte diese Frage auch stellen. Was ist hier passiert?“

„Wohl kein Geld mehr“, grunzte böse Francesco. „Der Narr hat alles ausgegeben.“

Fritz Gesicht verzog sich, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. „Nein, mein Herr. Wir haben Geld, aber… der Hohe Herr … war eigen. Die Kammern sind voll, aber es wurde nicht gehandelt. Keine Löhne gezahlt. Ich wünschte, er wäre hier. Nach dem schrecklichen Mordfall und dieser einen Sache“, stieß er mühsam hervor. Plötzlich hielt er inne. „Das ist alles so schrecklich. Das arme Mädchen.“

„Ich versteh kein Wort.“

Die Gestalt und die Dunkelheit wichen zurück. „Bitte, grollt mir nicht, Herrin. Ich bin nur der Haushalter. Als alle gingen, bliebe ich hier. Was sollte ich sonst tun? Ich bin Haushalter seit vielen Jahren und habe viele Kommen und Gehen sehen. Doch niemand war wie Fürst Lyren.“ Er wackelte zu einem Gemälde und deutete mit dem Stock auf eine bedrohlich wirkende Person, die mit straffen Muskeln und freiem Oberkörper mit einem Bären kämpfte. Schwarzes Haar bedeckte sein rundes Gesicht, das hart und teilnahmslos zusah wie der Bär unter ihm sein Leben aushauchte. Diese Art der Selbstdarstellung war unter Werwölfen üblich. Sie sollte ihre Dominanz bezeugen. „Das ist Mattes Lyren, Fürst von Blaqrhiken, der 745 ein ganzes Heer aus dem Süden mit seinen Pranken vertrieb. Der Schwarze Wind, wurde er genannt! Beachtet das Blut an seinen Stiefeln. Er watete vierzehn Wochen durch das Blut seiner Feinde und schützte die Grenzen. Er ist ein Held. Gewiss kennt Eure Ladyschaft die Geschichte. Kämpfte er doch mit Miquel Alemont Seite an Seite gegen die Neue Republik.

Dieser verflixte Süden! Ich spucke auf sie. Sie sollen verfaulen.“ Langsam hielt er inne, als wäre ihm ein neuer Gedanke gekommen. „Woher kommt Ihr, sagtet ihr?“

„Süden“, zischte Francesco.

Inzwischen hatten sich Claudiles Augen an das flackernde Licht gewöhnt. Bücher füllten den Raum. Sie standen nicht in Regalen aufgereiht, sondern bildeten hohe Stapel. Neben dem Kamin stand ein alter Sessel. Sie kam langsam näher und nahm den Geruch wahr: ein herber Geruch von Erde und Moschus, Kiefernharz und einer Spur Traurigkeit. Sie schnupperte erneut.

Nun, das war bedenklich.

„Hatte er Kummer“, fragte sie leise. Sie nahm ein zerfleddertes Buch hoch. Jemand hatte es in der Mitte durchgerissen. Das wäre nicht nötig gewesen, dachte Claudile. Und dann dachte sie, dass es auch nicht nötig gewesen wäre, die Burg verkommen zu lassen. Die Menschen schlecht zu behandeln. Menschen heilten zwar, im Gegensatz zu Büchern, aber sie vergaßen nicht.

„Das… ähm, es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, Herrin“, antwortete Fritz pflichtbewusst und wackelte zu einem weiteren Tablett, von dem er ein Tuch zog. „Probiert diesen besonders schönen Roten, aus unserem eigenen Anbau. Wir pflegen am Südhang eine besondere Rebe, die Wintertraube. Natürlich gehört das alles euch. Ich hole schnell einen Korkenzieher.“

„Ist es üblich, dass ein Fürst auch das Amt des Stadtvogts einnimmt“, wollte Claudile wissen.

„Es musste sein, schließlich sah sich der Stadtvogt außerstande sein Amt weiter zu bekleiden.“

„Warum?“

„Weil unser Herr ihn tötete.“

 

 

3 - Aller Anfang…

Die Sonne ging unter. Von hohem Südturm hatte man einen herrlichen Blick auf das Grün der Kieferwälder, die nur von den felsigen Schiefergebirgen im Norden und dem grauen Matsch unterhalb der Burg unterbrochen wurde. Das Sägewerk weit hinten am Fluss arbeitete scheinbar ohne Pause. Einzelne Lichter und das Geräusch von Menschen und harter Arbeit drangen bis zu ihr. Claudile Alemont saß betrübt auf einer Zinne und dachte nach.

Sie witterte zwei Rehe, wie sie vorsichtig durchs Unterholz liefen und den einzelnen Wolf, der knapp vierhundert Schritte ihre Fährte aufgenommen hatte. Fern der Stadttore unterhielten sich schnatternde Gänse in einem künstlich angelegten Teich, während Kühe und Schafe auf einer Weide zur Ruhe kamen. Eine Hasenfamilie huschte durch dichtes Blattwerk am Rande der Mauer. Das und noch viel mehr nahm Claudile war. Sie konnte nicht anders.

Francesco machte sich keine Mühe leise die Treppe nach oben zu gehen. Mit Pfeife und einem Tablett mit einem Glas Wein kam er oben an und blickte sie kritisch an. „Eure Ladyschaft“, begann er langsam, „ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass die Etikette am Hof geachtet werden muss. Ihr trag noch immer meine Uniform.“

„Ich weiß, dass du es gesagt hast“, maulte sie leise.

„Warum macht Ihr es mir so schwer?“

„Männerhosen tragen sich gut. Wen, bitte schön, soll ich hier beeindrucken!?“

Francesco stutzte kurz und reichte ihr den Becher. „Guter Punkt“, gab er zu und stöhnte behaglich, als er auf den Schindeln sich zurücklehnte. „Wie denkt Ihr darüber?“

„Dieser Ort ist grauenhaft. Über allem liegt Angst wie ein nasses Segeltuch. Sie fürchten sich. Der Ort macht mich krank.“

Francesco nickte ernst. Er kam aus der Gosse, zugegeben. Beim Militär hatte man ihm Selbstdisziplin, das Marschieren und den Umgang mit Waffen beigebracht. Seit seinem erzwungenen Dienst als Privatlehrer hatte er sich daran gewöhnt jeden Tag zu Baden. Daheim am Hofe des Werwolfskönigs hatte selbst er Diener gehabt, die ihm jeden Tag die Kleider zurechtgelegt hatten. Man kochte für ihn, man putzte ihm die Stiefel und Geld spielte keine Rolle. Aus offensichtlichen Gründen. Zu seinem Glück interessierten sich die Werwölfe seit langem für höfische Etikette. Das hatte ihm einen gehobenen Lebensstil eingebracht. Jetzt stand er wie Claudile sprichwörtlich im Matsch und musste für sich selbst sorgen. Denn Diener gab es hier nicht. Noch nicht, berichtigte er sich.

„Die Koffer sind ausgepackt und der Kutscher hat die Rückreise angetreten.“ Er beugte sich etwas vor. „Der Fürst hat die Leute terrorisiert. Über Jahre fürchteten sie seine Willkür. Er nahm sich alles, was er brauchte…“

„Könnte kaum schlimmer sein, wie?“Ihre gelben Augen stachen beeindruckend durch die aufkommende Düsternis des Abends. „Ich will das nicht. Ich will heim, Francesco.“

„Wenn Ihr geht, bekommen wir beide Ärger, vergesst das nicht. Die Königin hat uns aufgetragen, dieses Land zu halten. Es ist, wie es ist.“

„Mir gefällt das nicht“, entgegnete sie knapp und beobachtete die Rehe, wie sie vor dem Wolf Reißaus nahmen. Sie hatten seine Witterung aufgenommen. Anfänger, dachte sie säuerlich. „Heute auf dem Platz roch ich ihre Angst. Sie werden in ihren Häusern bleiben und sich verschanzen. Wie sollen sie mich lieben?“

Und da haben wir das Problem, dachte Francesco säuerlich. Kein Mensch kam auf die Idee, sich offen gegen die dominante Spezies zu stellen. Tat man es doch, waren die letzten Sekunden gezählt. Sie mussten keine Rücksicht nehmen. Selbst, wenn alle Burgen verfallen und alle Dörfer menschenleer waren, so konnten die Werwölfe weiter durch die Wälder streifen. Es änderte sich kaum etwas für sie. Und dann war da Claudile…

Claudile nahm die Leiden und Sorgen der Menschen persönlich. Sie wollte alles besser machen, für jeden. Aber wenn man ein Werwolf war, durfte man sich nicht mit dem Menschen auf eine Stufe stellen.

Jeder hing seinen Gedanken nach.

„Haben wir Gold?“ fragte sie nach einer Weile.

„Die Kammern sind voll, möchte ich meinen. Wir haben genau vierzehntausend und sechshundertdreiundreissig Norfesta-Münzen. Sowie eine ansehnliche Sammlung an Perlenketten, erlesenen Büchern und Ölgemälden. Entweder ist der Fürst ein Meister in Kalkulation gewesen, oder er hat sich nicht um die Rechnungen gekümmert. Sicherlich müssten einige Schulden beglichen werden. Sein Arbeitszimmer ist ohne System, aber da arbeite ich mich schon rein.“

„Wir werden die Leute bitten, wieder zurückzukommen.“

„Das wird nicht einfach.“

„Wir sollten ein Fest geben.“ Ihr Gesicht hellte sich etwas auf. „Ich will Musik und Tanz.“

„Eure Ladyschaft“, begann Francesco langsam aber hielt in einem neuen Gedanken inne. „Ich meine, Ihr seid jetzt Fürstin von diesem Ort. Wir werden gemeinsam dieses Problem lösen, aber bedenkt, dass Ihr eine höhergestellte Person seid! Von nun an delegiert Ihr. Ihr seid nicht wie die. Wie ich“, fügte er leise hinzu. „Ich fange morgen an, eine Fürstin zu sein.“ Sie stand auf – nicht wie ein Mensch, sondern fliesend wie ein Werwolf mit der Grazie einer Antilope. Einer Antilope mit Zähnen. „Jetzt will ich jagen.“ Francesco stöhnte leise. „Seid aber pünktlich wieder zuhause.

Und lasst Euch nicht von anderen Tieren provozieren.“

Claudile zog den Soldatenrock und die Stiefel aus und stand nun barfuß und nur mit Unterhemd und Hose bekleidet dar. Von weitem konnte man sie fast für einen jungen Mann halten, der seine Haare wild und lang wachsen ließ. Von sehr weit weg. Sie wandte sich kurz um und nickte ihrem Freund zu. Dann ließ sie sich nach hinten fallen.

Der Mann lächelte knapp, griff zum Becher und blieb noch ein bisschen auf den Schindeln liegen. „Bleibt mehr für mich.“

Wie ein Geschoß flog sie in die Tiefe, passierte das Ende der

Mauer und drehte sich im richtigen Moment, um sich kurz vor dem Aufprall abzurollen und sofort wieder wie ohne Blessuren stramm stehen zu können. Wie die meisten Werwölfe hatte sie das Maximum ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit längst erreicht und als Sprinterin und Jägerin sich den Respekt ihres Rudels verdient.

Das kurze Donnern ihres Sturzes verklang schnell. Sofort nahm sie den Wald wahr, seine Geheimnisse, seine zahllosen Fährten. Und ihre Beute.