Der letzte Ork - Stephan Lasser - E-Book

Der letzte Ork E-Book

Stephan Lasser

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Beschreibung

Es ist Jahre her seit die Freien Völker den schändlichen Dämonenkönig besiegt haben, doch sein letzter Triumph lebt in der Gestalt des armen Jungen Tom weiter, der in einen Ork verwandelt wurde: groß, stark aber mit dem Gemüt eines verletzlichen Kindes will Tom nur bei seiner blinden Mutter leben und am liebsten nichts von der Welt mitbekommen. Als Sklavenjäger ihn in die Zivilisation verschleppen, lernt Tom schnell, wie hart die Welt sein kann… und welche fantastischen Abenteuer sie bereithalten kann!

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Stephan Lasser

Der letzte Ork

1. Der Anfang

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Karte

Vorwort

Obwohl es keine Artefakte gibt, die seine wahre Existenz bestätigen, und die Hieroglyphen, die seine Geschichte erzählen, erst Jahrhunderte später datieren, ist der Vielfach Verfluchter, Thulsa der Dämonenmeister für die Kinder von Aquilonia eine wahre Gestalt. Was der Schwarze Mann für unsere Welt ist, ist Thulsa für Aquilonia. Er verkörpert das Böse, mit dem Eltern ihren unartigen Kindern – oft zur Schlafenszeit – drohen.

Thulsa war der durch einen Zeitfrevel des Leyrindal von Fasor zurückgekehrte Tharsonius von Bethana. Zuerst noch körperlos, gelang es ihm sich mit Hilfe einer Glaubensgesellschaft vollständig zu inkarnieren. Ab diesem Zeitpunkt setzte er in ganz Aquilonia Ereignisse in Gang, die schlussendlich in den Thulsa-Krieg und seine endgültige Vernichtung führten. Dabei trat er auch unter diversen Tarnidentitäten auf, unter anderem als der Selemit Dromkat oder der Abenteurer Buschwitt Santos oder übernahm gar die Identitäten anderer Personen. So viele Legenden, so viele Geschichten.

Der nachfolgende Ausschnitt stammt aus dem sechsten Kapitel von Sorsha Florenz; einer bekannten Archäologin, die in nur vier Jahren das umfassende Werk „Abenteuer von Aquilonia – Mythos und Geheimnis“ vollendete, das noch heute an der Akademien gelesen wird. Sorsha gilt als führende Expertin ihrer Zeit auf den Gebieten der Archäologie. Es heißt, dass der unheilige Magus an der Spitze von fünftausend Orks marschierte – keine Menschen. Diese Soldaten waren Dämonen, Monster, Krieger, die Thulsa nur zu einem Zweck auf seiner Burg im Hohen Norden erschaffen hatte: Krieger von hünenhafter Gestalt, deren Skelett nur mit Muskeln bedeckt waren. Ihre Augen waren glühende Kohlen in den haarigen schrecklichen Gesichtern, die denen von Trollen und Schweinen glichen. Sie bellten und knurrten und jaulten vor hämischer Freude, wenn ihre Keulen und Äxte Körper aufschlitzten, Köpfe rollen ließen, Körperteile zerschmetterten und überall Blut floss. Eine unselige Armee, erschaffen zu einem einzigen Zweck: um einen Angriff auf Greifenwald anzuführen; eine der größten Städte von Aquilonia, die von zweitausend Tempelgardisten verteidigt wurde. Der Dämonenmeister war kein General, der seine Männer von einem weit entfernt liegenden Lager aus anführte, er war ein kühner Magier, der mit seinem Stab schwingend und Befehle brüllend an der Spitze seiner Truppe die Senke durchquerte, um dem Feind gegenüberzutreten. Dabei blitzte ein fast wahnsinniger Ausdruck in seinen Augen, und seine lange Mähne schwang im Gleichklang mit seinem Zauberstab um seinen Kopf. Thulsa besaß zahlreiche legendäre Artefakte wie den Dämonenring, die fliegende Schwarzen Sense und den Sphärenschlüssel, der aus der Zeit stammen soll, als die Zitadelle der Kraft zerstört wurde. Sein Zauberstab, aus der Blutulme Seelenstamm gefertigt, trug den Namen Zarathros. Seit seiner Wiederkehr war er ferner im Besitz der Porträts der Mächtigen gewesen. Ein begabter Kriegsmagus also, der mit Flüchen und Blitzen den Feind niedermähte wie Gras, und sein Tun trieb seine Soldaten immer wieder zu größeren Bluttaten an.

Die Tempelgardisten von Greifenfels waren glaubensfeste und äußerst engagierte Anhänger, die streng an der Akademie zu den besten Kämpfern von Aquilonia gehörten. Die Tempelgarde diente hauptsächlich dem Schutz des Reiches, der Stadt des Glaubens und des Justizpalastes und sie kannten den Schrecken des Thulsa gut genug, um zu wissen, dass er nicht weniger als die Welt in Brand stecken wollte. Die Tempelgardisten rückten jedoch unaufhaltsam nach, bekamen Hilfe aus anderen Ländern – sogar von den Zwergen und dem Freien Volk der Elfen – was ihre Zahl fast verzehnfachte. Bald war jene Orkarmee vom Staub der Senke, den sie selbst so unvorsichtig aufgewühlt hatte, verschluckt, denn immer tiefer trieben die Verteidiger Greifenwalds die geschlagene Armee in das Niemandsland. Der andauernde Krieg zerrte an Ressourcen, an Leben und an Kraft, aber was war es für ein Bild, als die Menschen zusammen mit anderen Völkern frühere Zwistigkeiten vergaßen und sich gemeinsam auf den verhassten Feind stürzten! Der kümmerliche Rest einer Armee, die sich für unbesiegbar hielt, flüchtete in den Hohen Norden zu seiner Burg Boroghral, kaum, dass die Helden und Tempelgardisten seiner habhaft werden konnten. Und an dieser Stelle weiß die Bibliothekarin Rat, denn sie bedient sich unbestätigten Berichten, dass der Dämonenkönig eine zweite Armee erschaffen wollte. Eine von Sorshas Quellen lebt noch heute unter einem anderen Namen; ein Augenzeuge gar, der selbst aus den unheiligen Schmieden des Thulsa stammt: TomTom, der letzte Ork, und das ist seine Geschichte…

Erstes Kapitel - Boroghral

Weißer Nebel füllten die Schluchten und Täler des Gebirges hoch im Norden. Die Gipfel der großen Gebirge erhoben sich trotzig aus dem Dunst und reckten sich der Abendsonne entgegen. Der Platz der Burg war klug gewählt worden: ein Tunnel führte in das Reich, das die Nordelfen bewohnt hatten, bevor sie von Gebirgstrollen ausgelöscht worden waren. Es war ein stilles, riesiges Netzwerk von Eishöhlen, in denen findige Hände interessante Schriften über Okkultes finden und in denen der eine oder andere Schatz wartete. Zwielicht drang durch die hoch gelegenen Felsöffnungen, und die Atmosphäre war vom gedämpften Strahlen eines Winterabends erfüllt. Keine Tagesreise entfernt lag der mächtige Vulkan, aus dem dunkle Druiden ihre Macht sammelten, um ihrem Herrn und Meister noch besser zu dienen. Boroghral besaß mit seinen schwarzen Granit eine gigantische Mauer, die jeder Armee trotzen konnte. Dort lag es, abweisend und von Rauch umwoben. Die Speere der Orks ragten aus seinen Zinnen hervor. Auf der Brustwehr und in Thulsas Turm verbreiteten eiserne Feuerschalen ein flackerndes Licht, das auch das Banner mit seiner von einem Blitz durchbohrten Lebenskurve beleuchtete. Boroghral war Trutzburg und Heimstatt des größten Magus von Aquilonia, ein bleifarbener Brocken aus Bosheit und Niedertracht, schrecklich gar anzusehen. Uneinnehmbar – bis heute.

Reiter aus dem Osten bedrängten Thulsa und seine letzten Mannen hart. Sie ritten leicht und ohne Rüstung und konnten ungehindert Gebrauch von ihren Bogen machen. Sechs von ihnen waren den zehn Offizieren durch das Tal und das Schluchtenlabyrinth dicht auf den Fersen, während die Adler der Elfen den Reitern zu Hilfe kamen, indem sie durch ihre bloße Anwesenheit am Himmel den nachrückenden Helden als Orientierung dienten, und es sich auch nicht nehmen ließen hin und wieder herabzustürzen, um einen unglücklichen Ork von seinem Pferd zu ziehen. Einer der Verfolgten fiel unter einem Pfeilschuss, noch bevor sie den Weg durch die Schlucht hinter sich gebracht hatten, ein zweiter auf den Hängen des Kristallhöhlengebirges. Als sie auf das schwarze Schiefer- und Lavagestein des Boroghral-Tales zu preschten, lebten nur noch Thulsa und zwei seiner Männer, deren Pferde aber zu erlahmen begannen. Thulsa ließ sie hinter sich zurück. Er brüllte den Torwächtern den Befehl zu, die Zugbrücke herunterzulassen, trieb seinem Pferd die Sporen in die ohnehin schon blutigen Flanken und schlug erbarmungslos mit der Peitsche auf seine Kruppe ein. An der Grenze seiner Leidensfähigkeit angelangt, raste das Tier das letzte Wegstück und donnerte über den Graben, während der Dämonenkönig den Wächtern zuschrie, die Brücke hinter ihm hochzuziehen. Darauf wuchteten sie eine Eisenholzwinde herum, und die dunkle Brücke, von der Schleimfäden herunterbaumelten, hob sich langsam in die Höhe.

Der Burggraben von Boroghral stank abscheulich, giftige Vulkangase stiegen daraus auf, und es wimmelte von den Überbleibsel von Thulsas düsterer Zauberei. Die Luft war erfüllt von einem beizenden Gestank nach Schwefel, Verwesung und Exkrementen. Nichts konnte in diesem Sud leben. Gelegentlich machten sich gelangweilte Wachen einen Spaß daraus, lebende Geschöpfe hineinzuwerfen, um die Schreie zu hören, wenn sich ihr Fleisch auflöste. Verzweifelt rief der erste der Offiziere seinem Herrn zu, zu warten, die Zugbrücke unten zu lassen, doch er flog, über die steif in den Boden gestemmten Beines, kopfüber unter dem Rand der hochschwebenden Brücke, in den Burggraben. Er verschwand lautlos, und der Abschaum schloss sich über ihm. Der letzte Reiter blieben nur wenige Sekunden übrig, doch er hatte keine Freude daran. Er sprang am Rand des Grabens aus dem Sattel und versuchte, mit einem verzweifelten Sprung, die Zugbrücke zu erreichen. Er bekam sie mit einer Hand zu fassen, aber während die Brücke sich langsam hob, mühte er sich, mit der anderen Hand Halt zu finden, doch seine erschöpften Kräfte reichten nicht mehr; er zappelte hilflos, als der Winkel der Brücke immer steiler wurde, eine Hand in dem schmierigen Belag abzurutschen begann und er schließlich abstürzte.

Die Zugbrücke schloss sich mit lauten Knarren.

Die Orks wichen zur Seite und machten ihrem Meister Platz, der mit wehenden Gewändern und ohne ein Wort von seinem Pferd stieg und sich so bald zu seinem Turm aufmachte. Sein Gesicht wirkte durch seine kappenähnliche hohe goldene Krone, auf der eine Schlange eingeprägt war, länglich, und der eckige Ziegenbart sah an seinem Kinn wie ein schwarzer Fleck aus. Thulsa fuhr die kauernden Diener wütend an: „Rüstet zum Kampf! Besetzt die Katapulte, sofort!“ Dann, ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er an ihnen vorbei, wobei seine Sandalen auf dem glatten Boden wie dumpfe Trommelschläge hallten. Oben auf seinem Balkon angekommen starrte er zum Tal, wo sich mehr und mehr Reiter aus Greifenwald sammelten. Wie konnte es so weit kommen? Alle Berge im Westen gehörten ihm. Im Norden unterstand der rauchende Vulkan seiner Herrschaft und selbst die Frostrolle gehorchten ihm widerspruchslos. Im Osten lagen die Dörfer der Menschen, die ihren Tribut lieferten. Nur der Süden entzog sich seiner Gewalt.

Nur der Süden. Und Greifenwald.

Thulsa runzelte finster die Stirn und vergrub die Hände in den Ärmeln. Da lag es vor ihm, jenes sanfte Land und erstreckte sich dreihundert Meilen weit unter einer spöttischen Nebeldecke. Sie hatten sich zusammengetan und ihn besiegt. Welch Affront!

„Poff!“ In einem unvermittelten Zornesausbruch schleuderte Thulsa dem Süden seinen Arm entgegen. Fünf Blitze fuhren dicht über die Köpfe seiner Wachen hinweg und hinterließen fünf rauchende Krater in der grauen Bergwand. Wildgewordene Pferde bäumten sich auf und selbst die Orks duckten sich weg. Bluthunde knurrten und drehten sich nervös im Kreis. Soldaten fluchten und schlugen mit den Peitschen um sich, um ihren Schrecken zu verbergen.

Thulsas Krieg gegen die Freien Völker hatte nicht nur seine gesamte Armee gekostet, sondern auch dazu geführt, dass sich die Menschen mit den Elfen und Zwergen gegen ihn verbündeten. Als wäre das nicht schon schlimm genug, hatten sie dabei auf die Hilfe von sogenannten Helden gebaut, wie den Drachenreiter Allan, den Magus Bolwind und den Zwergenbrüdern Koschwitz und Leidl. Wie sehr er diese Helden hasste!

Und jetzt…

…jetzt begnügten sich die Sieger aus der Schlacht nicht nur damit ihren Sieg zu feiern, sondern kamen heran um ihn, dem größten Magus, endgültig zu vernichten.

Vor den Toren von Boroghral, in sicherer Entfernung der Katapulte, versammelten sich Elfen, Menschen und Zwerge – es wurden immer mehr! Dort das Wappen der Espenwaise und der Wüstenwahrerin, dicht an dicht die Zelte aufschlagend, obwohl sich beide Häuser seit Generationen nicht leiden konnten. Thulsa verstand die Botschaft deutlich, doch besser wurde es dadurch auch nicht. Dort die Kamele der mächtigen Mudschahedin, die Wüstenkrieger, die noch mit dem Dämonenkönig die eine oder andere Sache zu regeln hatten. Dort die Zwerge: Zwiebahms, Moxe und der Stamm der Eisendreher. Die Tempelgardisten, natürlich.

Gerüstet waren sie in schwarze, mit goldenen Raben bestickte Tuchrüstungen, mit einem Lederhelm in Form eines Rabenkopfes und mit Lederschilden, die einem aufrecht sitzenden Boronsraben gleichen. Bewaffnet waren sie mit prunkvollen Schnittern mit Elfenbeinverzierungen. Seit Ausbruch des Thulsa-Krieges hatte sich die Zahl der Tempelgardisten fast verzehnfacht. Es hieße, es dienen mittlerweile vier Regimenter. Fundamentalisten, dachte Thulsa säuerlich und spuckte aus. Diese verblendeten Narren hassten Magie und würden mit Freuden in den Tod gehen, um mich zur Strecke zu bringen. Das können sie haben!

Und irgendwo, irgendwo in dieser Armada verbargen sich die Magier und Hexen, dessen Dasein eine Nadel des Entsetzens war, die sich Thulsa ins Herz bohrte.

Mit wehenden Gewändern schritt er zurück in seine Zauberkammer. Böse starrte er die Nachtreiher an, die zusammengeduckt auf ihre Befehle warteten. Er streifte mit finsteren Blick die Trolle und Lakaien, die sich unter Verbeugungen entfernten und sich mit sinnlosen Aufgaben beschäftigten. Er sah wütend zu den sechs Druidenpriestern hinüber, die sich an den grauen Bärten zupften, sich verlegen die gichtigen Hände rieben und beschwichtigende Wort vor sich hin murmelten. Er starrte durch die Mauerspalten des Turms erbost in alle Richtungen, hinaus auf die kahlen, schroffen Felsen.

„Warum?“ rief er und schleuderte die Hände weit von sich. Zehn Feuerkugeln prallten gegen die Mauern. Die Druiden duckten sich. Ein Pfeil schoss durch eine Fensterspalte geradewegs auf den Mond zu, als wolle er ihn vom Himmel holen. Ein Blitz trennte einen der zusammengedrängten stehenden Dienstboten das Bein ab. Die anderen schleppten ihn hastig die Treppe hinunter, damit ihr Herr nicht durch sein Geschrei gestört oder durch das hervorquellende Blut abgelenkt wurde. Putztrolle scheuerten murrend hinter ihnen her. „Warum!?“

Die Druiden starrten sich an. Sie wussten sehr wohl, was ihr Herr und Meister wissen wollte. Sie wussten viele Antworten: Sie hätten Thulsa in Erinnerung rufen können, dass er zwar mächtig aber auch nur ein Geschöpf von vielen war, und daher ein Opfer von Ungewissheiten. Sie hätten ihm sagen können, dass selbst Thulsas Zauberkraft nicht stärker war als der Wille der Götter. Und dass er es sich verscherzt hatte, mit jenen, die in den Tempelanlagen angebetet wurden. Von dem Moment an, als er jene Anlagen geplündert und angezündet hatte. Sowas rächt sich. Oder sie hätten darauf hinweisen können, dass seine Grausamkeit und Habgier längst zu einer bösen Kraft geworden war und das jahrelange Intrigieren und Brandschatzen nicht toleriert wurde. Das alles wäre wahr gewesen.

Thulsa war kein Freund von Wahrheitsliebenden. Jene Narren wurden in Stücke gerissen. Bluthunde fraßen ihre Leber, murrende Trolle putzten ihre schleimigen Überreste weg.

„Die Orks“, brachte jemand hervor und zeigte dabei auf seinen Druidenkollegen, „waren wohl den Mindestanforderungen nicht gewachsen, Herr. Ihr habt um eine Armee gebeten. Wären sie siegreich gewesen, wärt ihr jetzt nicht hier! Mein Bruder hatte die Aufgabe, die Orks zu erschaffen. Stümperhaft ging er wohl vor.“ Bedeutungsschwer zeigte er auf den Mann neben sich.

Der Druide in der Mitte fühlte sich angesprochen und wurde bleich vor Schreck. „Moment mal, das…“

Thulsa reagierte sofort und tötete den Druiden auf der Stelle. Noch bevor sein Kopf die Stufen der nächsten Treppe herunterkollerte, hatten die letzten Druiden in stiller Übereinkunft beschlossen, wie die Sache ausgehen sollte. Der Nächste nickte zustimmend. „Mit aller Hochachtung, Eure Heiligkeit, noch nie wurde ein großes Werk in kurze Zeit vollbracht. Mir kamen sie auch eher schmächtig vor.“

„Sehr richtig, Großartiger Thulsa.“ Der Vierte verneigte sich tief. „Die Schmieden sind noch bereit. Wir könnten noch mehr Orks erschaffen. Viel mehr. Sollen diese sogenannten Freien Völker draußen uns belagern“, er deutete Richtung Süden, „die sich der erleuchteten Herrschaft Eurer Hoheit entzieht. Und diesmal werden wir die Orks noch schrecklicher, noch gewaltiger machen.“ Er straffte sich, und seine ausgestreckten Hände verbreiteten Zuversicht.

„Ich schätze“, begann der Nächste leise, „wenn wir sie kräftiger und robuster machen, könnten dreihundert Orks der nächsten Geburt spielend mit ihnen fertig werden. Pfeile, die von ihren Körpern abprallen. Unempfänglich gegen Magie, natürlich. Wahre Titanen, die nur euch dienen.“

„Natürlich, wahre Titanen.“

„Natürlich.“

Thulsa starrte die Druiden hasserfüllt an. Der Augenblick der höchsten Gefahr war vorüber. Sie würden nicht von Feuerblitzen in Stücke gerissen. Sie würden nicht von körperlosen Fängen zerfetzt. Ihre Knochen würden nicht von unsichtbaren Kiefern zermalmt werden. Sie waren wieder einmal mit dem Leben davongekommen. Für den Augenblick jedenfalls.

„Wir brauchen nur mehr Zeit, Gebieter“, fuhr der Nächste salbungsvoll fort. „Drei Wochen, um genau zu sein. Die Brutkammer ist noch leer, das menschliche Material muss vorbereitet werden. Haltet sie hin! Wir bitten euch. Sprecht einen Zauber.“

„Einen Zauber. Ja!“

„Ja, den Zauber.“

Thulsa atmete tief durch und dachte nach. Dann lachte er auf. Sein Lachen war so entsetzlich anzuhören wie das Kreischen eines wildgewordenen Vogels. Einmal entfesselt erfüllte es den Raum, toste und zerrte an den Wänden. Die Nachtreiher hockten auf ihren Stangen und blickten starr auf die Bodenfliesen, und sie wünschten sich weit fort, dahin, wo gespenstische Fische das kühle Marschland den Fluss Bran durcheilten. Aschfahl entblößte der Magus seine gelben Zähne. „Der Feind steht bereits vor meiner Tür! Die Zeit ist unser wahrer Feind. Du!“ Er zeigte auf den nächsten Druiden. „Du sollst mir diese Armee erschaffen. Die anderen bleiben bei mir! Beschwört das Ritual herauf!“

Sie verneigten sich unterwürfig. Gegen den Uhrzeigersinn fielen sie in einen schlurfenden Tanz um einen gewaltigen Steintiegel in der Mitte des Raums und stießen Knochen und Fleischreste mit den Füßen beiseite. Fest in seinen Umhängen gehüllt, wie in einem Kokon, sah Thulsa ihnen zu. Einstimmig intonierten sie ihren Gesang der Verlangsamung der Zeit und fügten die Bestandteile hinzu, die für den Zauber, die der Dämonenkönig verlangt hatte, erforderlich waren.

Zeit. Sie brauchten mehr Zeit.

Der Druide mit seinem unseligen Auftrag machte sich auf und entschwand in die Kammern. Diese Kammern waren finstere Verliese – dunkel, feucht und kalt. Dämmriger Lichtschein fiel durch die Schächte vom weit darübergelegenen Hof herunter, und mit ihm drangen der Lärm rohen Soldatentums und die Geräusche der Bluthunde in die Verliese. Wenige kleine Kerzen flackerten in Wandhaltern. Zwei Trolle hockten in einem Winkel und zupften an ihrer zerfetzten Haut.

Ich sollte fliehen! dachte der alte Weise betrübt und stieg schnell die Stufen hinab. Aber wohin? Das Tal war vom Feind eingeschlossen worden, und in die zugigen Eishöhlen traute er sich nicht. Er war nur ein Druide des Dritten Ranges, kannte zwar Flüche und Beschwörungen aber nicht die Art, wie er lebend aus dieser Sache wieder herauskam. Sollte der Feind die Burg erobern, war es um ihn und seinen Brüdern geschehen. Sollte er Thulsa verärgern, würde es ihm aber auch nicht besser ergehen.

Einen Ork aus den frisch zubereiteten Leichen von Menschen oder gar Elfen zuzubereiten, verlangte ein hohes Maß an Konzentration, viele besondere Zugaben wie seltene Pilze und Opfergaben an die Dunklen Prinzen des Nichts, aber vor allem … Zeit. Zeit, die er nicht hatte.

Der Druide stieg die letzten Stufen zum Kerkereingang hinunter und blickte weder nach rechts noch nach links zu den bedauernswerten Geschöpfen in ihren Käfigen. Einige von ihnen jammerten, streckten die Arme durch die Gitterstäbe und bettelten um Wasser, etwas zu essen oder auch nur ein wenig Aufmerksamkeit. Andere hatten sich aus dem Verlies, aus ihrem Körper zurückgezogen. Sie wiegten sich auf ihrem Strohlager, lächelten, murmelten und sangen leise vor sich hin. Wieder andere standen trotzig und mit hasserfüllten Blick da.

Der Druide beachtete keinen. Ebenso wie sein Dunkler Meister war auch sein Herz verkümmert und hart. Nur kurz verlangsamte sich sein Schritt, als er einen Knaben bemerkte, der apathisch einsam und verlassen in seinem Dreck lag und ziellos an die Decke starrte. Ein ausgemergelter Körper, schlimme Druckstellen vom Liegen auf kalten Stein und einen deformierten, haarlosen Kopf. Ein unliebsames Ding, schlussfolgerte der Druide, der wahrscheinlich von seinem Dorf kaum vermisst wurde und sonst niemanden hatte.

Ihm kam eine Idee. „Du da“ schnarrte er herrisch und ließ sich von den Trollen die Käfigtüren aufschließen. „Du kommst auf der Stelle heraus! Heh! Ich rede mit dir!“

Einer der Trolle schlurfte an ihm vorbei, stieß unsanft die Käfigtür auf und packte den Jungen am Arm, um ihn grob hinter sich herzuziehen. „Wasssss sssolllen wirrr mit ihhhm macchen, Herrrr!“ fragte das Ungetüm gurgelnd, doch darauf wusste der Druide noch keinen Rat. Tatsächlich hatte er nichts weiter als eine fixe Idee– auch wenn er sich das nicht zugestehen wollte – und ließ ihn einfach in die nächste Kammer bringen.

Er betrat die Gebärkammer, die Dunkle Schmiede, in der die Wände feucht und die Tiegel mit Leichenteilen stehts gefüllt waren. An der Seite führten konzentrische Pfade in zahlreiche enge Tunnels. In die Gänge hinein und aus ihnen heraus krochen Trolle, die Säcke mit Leichenteilen schleppten. Fackellicht warf unheimliche, tanzende Schatten auf die Wände, hinter den fernsten Schienen in der großen Grube stürzte senkrecht ein Wasserstrom die Höhlenwand herab und füllte eine riesige Zisterne, die in einem glitzernd-dunklen Teich überfloss. Der Ort war eine Galerie des Todes. Ritualstatuen und grauenhafte Ikone bedeckten die Wände und starrten wie die Augen des Bösen herab. Das Gestein selbst schien missgestaltet zu sein. Kleine Risse durchzogen den Boden. Roter Dampf quoll heraus. Der Druide bellte ein paar Befehle und sofort stürmten seine Lakaien los, um alles vorzubereiten. Grob wurde der Junge nach vorne gestoßen. „Wie ist dein Name, Junge?“ fragte der Druide barsch und kam drohend näher. „Nun?“

Der Junge schluckte krampfhaft. Das rechte Auge lag irgendwie falsch und starrte den Alten verkehrt an. Und dann tat er etwas, was den Druiden wirklich überraschte. Er lachte.

Für einige der Gefangenen, die es hörten, klang das Lachen wie das Klirren des Kristallglases, das die Elfenschmiede im fernen Süden jenseits des Tals früher einmal gefertigt hatten, aber für die meisten war es wie das Plätschern von Wasser – Wasser, das frei in einer grünen Welt dahinfloss. Es ließ alle anderen Geräusche verstummen. Das Gemurmel der Menschen erstarb. Selbst die Trolle hielten mit ihrem kehligen Geschnatter inne und richteten verwundert die Ohren auf den ungewohnten Laut.

Der Druide hingegen wurde weiß vor Zorn. „Dein Name!“

Der Junge verstummte augenblicklich, schien zu überlegen und antwortete schwach. „Tom…Tom.“

„Tom.“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Tom…Tom. TomTom.“

„Tom…und Tom? Also zweimal? Was ist das für ein Unfug?“

„TomTom.“

TomTom, also.

„Ein dummer Name für einen dummen Jungen! Sei es drum! Jetzt halte still, während ich dich anmale!“ Er griff zu einer übelriechenden Paste, tunkte einen Pinsel hinein und begann seine Arbeit. Runenzeichen, so alt wie die Welt, webten ein Band zwischen Körper und dem unheiligen Steintopf, unter dem ein Feuer knisterte. In dem Topf schwamm eine übelriechende Masse herum, teils gegorenes Blut mit allerlei in Stücke gehackten Teilen, teils schwärende Suppe aus übelriechenden Sumpfkräutern und Dingen, die nichts in einer Suppe zu suchen hatten.

Die Arbeit war beendet.

Einer der Lakaien meldete sich zu Wort: „Herr, der Junge lebt noch! Er wird so nicht zu einem…“

„Schweig! Entferne dich!“ TomTom wurde wieder herumgedreht. Nackt und bloß stand er da und lächelte dümmlich, während die Pinselstriche den letzten Bann schufen. Auf einen Wink des Druiden leuchteten die Kerzen rund um den Bottich auf. „Wir wagen etwas Neues!“

Draußen vor den Toren versammelte sich die Scharr der Angreifer.

„So weit draußen im Nirgendwo“, fluchte Balangir, Thane über die Nordmannen, Herrscher über den Stamm der Silberbärte und seinen zwölf Clans. Der große Mann galt mit seinen fünfundfünfzig Jahren als erfahrener Herrscher und guter Kämpfer. Er maß etwa zwei Meter, hatte starke Arme und ein Kreuz wie ein Bär. Sein Bart wehte im Nordwind, während der furchtlose König unruhig mit seiner Breitaxt hantierte. Er hatte das Treiben vor den Hängen des Berges beobachtet, wo nun eine dicke Staubwolke aufstieg. „Es kommen noch mehr“, alarmierte er die übrigen Helden. „Es müssen alle Zwergenstämme und Heere von Aquilonia sein. Wir sollten jetzt angreifen!“

„Wartet mal!“ Legilus, der Elfische Herold, betrachtete die Banner der aus dem Osten anrückende Streitmacht. Alles in seiner Haltung verriet den Menschen, dass der Elf von edlem Geblüt war und fern jeder Erschöpfung oder Trauer. Die unbewegte Miene verbarg gut den Verlust vieler guter Freunde und den Wunsch nach Rache an Thulsa. „Das sind die Farben von Hohenzoll?“, wunderte er sich laut. „Ich dachte, ihre Armee sei besiegt worden“ Er erkannte immer mehr Flaggen in dem eindrucksvollen Heer. „Das sind Streiter aller Königreiche!“

Selbst Gildenmeister, Geldverleiher und hochrangige Adelige waren zugegen. Jene edelgekleideten Männer und Frauen hatten sich einen Platz vor Ort gesichert, denn natürlich ging es um viel Geld. War der Usurpator tot, konnten die Geschäfte besser und ertragreicher weitergehen. Sie sahen besorgt zu der wachsenden Masse herüber, teils erfreut, dass sich so viele sich ihnen anschlossen, teils besorgt da auch jedes neu dazugekommene Heer sein Mitsprachrecht ausüben wollte. „Wir verlieren mehr Zeit!“ raunten einige. „Was das alles kostet! Aber dafür ist uns der Sieg gewiss.“

Rodarias, Zwergengeneral und Erster Standardenführer, grinste keck: „Die Flachnasen und die Spitzohren wollen es sich nicht nehmen lassen, auch ein Stück von Thulsa zu bekommen. Und sehe ich dort Wagen mit Nahrung? Dann können wir fein schmausen!“ Der Herrscher über den Stamm der Sechsten galt mit seinen zweihundertachtzig Jahren unter den Zwergen als junger Krieger. Er maß etwas mehr als fünf Fuß, hatte starke Arme und einen rötlichen, langen Bart, der bis zu den Knöcheln reichte.

„Lasst uns endlich anfangen“, knurrte der Nordmann herüber. „Es drängt mich, das Blut der Orks spritzen zu lassen. Irgendwo wartet Thulsa darauf, von uns vernichtet zu werden.“

„Warum? Ich bin fünf Stunden geritten! Seht Ihr dort unten?“ Martigan, Sultan über Sabeth, deutete auf ein Kontigent von Zauberern und Hexen. Der Wüstenprinz war hager von stolzer Statur und den Elfen nicht unähnlich: Ehrenhaft und siegreich. „Die Vetteln und Mummen sind sogar bei uns. Diese alten Kräuterweiber hassen Thulsa fast so sehr wie ich. Sehr schön.“

Vor ihnen tauchte eine junge und eine gebeugte Gestalt auf. Rualta, die Kreidehexe war angekommen und wurde von ihrem Lehrling gestützt.

Die Gesandtschaft wandte sich um. „Lady Rualta. Und Sorsha, natürlich.“

Rualta wirkte ziemlich aufgeregt. Ärmlich gekleidet, gebeugt von Jahren im Sumpf und fern aller Jugend war die älteste Frau von Aquilonia vielleicht nicht die Schönste, jedoch die Weiseste und Verschlagendste. Für eine Hexe gaggelte sie gefährlich und bediente sich uralter Kräfte, die keinen Unterschied zwischen Gut oder Böse machten. Ihre Augen waren tief in dunkle Höhlen gesunken, ihr Mund zuckte in einer Grimasse des Wahnsinns. „Schnell! Schnell! Jetzt oder nie! Wir müssen eilen!“

Begütigend legte Sorsah, die Rabenhexe, ihre Hand auf ihren Arm, den sie widerwillig zuließ. Die Jüngere war eine junge Frau von gerade mal sechszehn Lenzen. Da Sorsha im Beisein ihrer Meisterin eh nie zu Wort kam, übte sie sich im Schweigen.

Die übrigen Männer und Frauen waren geübt im Umgang mit Rualta. Trotz ihrer Unterschiede wechselten sie vielsagende Blicke, gehorchten aber lieber. Die Kreidehexe konnte unangenehm werden.

Die Clanbanner der Zweiten und Vierten Zwergenarmee wehten neben denen der Menschen. Die Streitmacht wuchs gewaltig an, aber der Thane war dennoch nicht zufrieden. „Ich weiß, was ihr denkt. Für dieses Vorhaben benötigen wir mehr als eine gute Ausrüstung. Wir werden auch viel Glück brauchen.“

„Mehr noch!“ warf Rualta, die Kreidehexe mit ihrer meckernden Ziegenstimme ein. „Wir werden Zauberkraft brauchen. Wir müssen all unsere Kräfte zusammennehmen, unseren ganzen Glauben und unsere Konzentration. Wir müssen jetzt handeln!“

Martigan warf Vekfe Kukkus, der elfischen Bogenschützin, einen vielsagenden Blick zu. „Es wird schon dunkel. Sicher können wir uns ein wenig ausruhen. Morgen früh…“

„Nein! Wir haben keine Zeit!“ Die Kreidehexe hüpfte nervös und steifbeinig auf der Stelle. „Glaubt ihr denn, Thulsa würde nicht in diesem Augenblick bereits seine Vorbereitungen treffen? Seht ihr nicht, wie sie den Altar reinigen? Seht ihr nicht seine Druiden, die herbeieilen, um das Ritual zu begehen? Seht doch! Wie sie die Schalen polieren! Ihre Gesänge einleiten! O nein, er wird nicht bis zum Morgen warten! Der Vielfach Verfluchte wird jetzt handeln!“

Elfen, Zwerge und Menschen sahen betroffen auf. Wie um ihre Worte zu bekräftigen, flammten die Fensterschlitze in Thulsas Turm plötzlich wie gierige Lefzen auf. Blitze schossen über die Balustrade in die fernen Berge hinaus und rollten als Feuerkugeln die Hänge hinab.

„Aber warum…?“

„Eine neue Armee“, kreischte die Hexe auf und deutete mit ihrem knochigen Arm zum Turm. „Neue Orks! Besser, tödlicher und schrecklicher! Es eilt, Ihr Herren und Ladys von den Freien Landen! Jetzt! Jetzt!“

Verloren in den fernen Labyrinthen seines Rituals, die Arme in den Abend gehoben, stand der Druide in seiner Kammer. Der Windstoß erfasste ihn und riss an seinen Ärmeln und dem Saum seines Gewandes. „Entzündet die Schwarze Kerze! Bringt das Opfer dar!“

Der Junge starrte empor und fror bitterlich. Er verstand nicht, was um ihn herum passierte. Trolle wie Lakaien arbeiteten so schnell sie nur konnten. Neue Tränke wurden gebraut, heilige Pasten zubereitet, doch es würde eng werden. Noch niemand hatte es je versucht, was sie hier gerade taten. Ein Henker, der an seinen Armen Armbänder aus Menschenhaar trug, grinste irr und führte Ziegen zum Opferaltar, während der Druide den Blutzoll mit einem gesegneten Messer entrichtete. Es hatte Jahre gedauert und unzählige Verhandlungen mit der Dunklen Ebene gebraucht, um einen Weg zu finden, aus Nichts einen strammen, harten Ork zu erschaffen. Was sie jetzt taten… war schlimmer, aber zumindest war die Dunkle Macht mit ihnen. Das musste sie einfach.

Der Druide gab ein Zeichen. Die Wachen packten den Jungen und ließen einen eisernen Kragen um TomToms Hals zuschnappen, zerrten ihn zu einer Statue und ketteten ihn an. Sein Rücken war an der Vorderseite der Statue gepresst, die Ketten spannten sich um den Hals und den Handgelenken um die Statue zu deren Rückseite. Er konnte das Blut riechen, das um ihn vergossen wurde. Er bekam Angst und weinte. Diese fiebrige Luft, dieser wahnsinnige Priester – hier war alles möglich.

Der Druide kam mit einem Menschenschädel näher. „Du wirst nicht leiden“, versicherte er. „Sobald du das Blut des Herrn des Nichts getrunken hast, wirst du mehr sein als nur ein dummer Junge. Viel mehr!“

Der Junge war deswegen kaum beruhigt. Er sah, wie der Druide den Totenschädel mit Blut füllte. Es war ein lachender Schädel, noch mit zerfetzter Haut bedeckt, die Nase halb weggefault, die ledrige Zunge hing schief heraus. Der Druide packte TomTom am Gesicht, drückte seinen Kopf nach hinten an die Brust der Statue und zwang ihn, den Mund zu öffnen. Warmes Blut rann über sein Gesicht und seinen Mund, eher er sich die Lippen leckte.

„Das Einlegen von Körpern und das Gären der Zutaten erfordert Zeit“, erklärte der Alte langsam und bedächtig, während die Runen auf TomToms Körper langsam zu glimmen anfingen. „Du spendest deine Seele nicht, sondern gehst lebendig in das Ritual. Das wird nur etwas zwicken. Das was danach kommt, … ist nichts anderes als süßer, süßer Schmerz…“

Der Junge spürte, wie ein kalter Laut in seiner Brust aufquoll. Der Druide begann leiernd zu singen.

Das Blut war eingegossen. Der Druide presste TomToms Mund zusammen. Er würgte, spuckte, erstickte fast, hielt den Atem an und… schluckte endlich.

„Bald wird Thulsa sehen, dass ich noch mehr kann! Der Orc regiis! Glanzvoll und herrlich anzusehen! Und ich werde belohnt.“

Rodarias nahm sein Horn und blies laut hinein; die Zwerge der übrigen Stämme antworteten ihn mit Hörnerklang und Jubelrufen. „Für unser Volk, im Namen der Freiheit!“ rief er und stürmte voran. Eine Kolonne mit breiten Schildern marschierte los, das der Boden zu zittern anfing.

Legilus, der Elfische Herold, nahm eine Pfeife und trällerte glockenklare Töne – sofort stoben in perfekter Symmetrie dutzende von elfischen Bogenschützen voran und gesellten sich zu den Zwergen an den Seiten. So waren sie geschützt und konnten gut jedes Ziel ausmachen. Ihre Pfeile würden den Tod bringen.

Balangir, Thane über die Nordmannen, griff zu Axt und Schild. „Ich brauche kein Signal“, grummelte er und erhob sich zu seiner ganzen Größe. Aufmerksame Männer und Frauen erblickten ihren Thane und jubelten. „Ich bin das Signal!“

„Haben wir denn eine Wahl?“ fragten die Adeligen der Menschen und sahen zur Kreidehexe, die unentwegt im Kreis lief und vor sich brabbelte. Plötzlich zeigte sie zur Burg und redete, als würde sie mit ihren Schuhen sprechen: „Die Burg! Seht doch, ihr Narren! Er ist hier! Er hat keine Zeit! Also nimmt er sie sich! Sehr schlau! Schlau, o ja!“

De Adeligen wandten ihren Blick zur Burg. Ihre sonst so selbstsichere Miene veränderte sich und nahm einen Ausdruck immenser Furcht an.

Denn auf den Zinnen erschien eine Gestalt.

Der Dämonenkönig krempelte die Ärmel hoch…

Der Druide spürte, dass der Zeitzauber zu wirken begann. Mit einem Blick aus dem einzigen Fenster sah er einen Vogel langsam, viel zu langsam davonfliegen. Ein einzelnes Blatt fiel sanft zu Boden. Das bedeutet ich habe noch Zeit, frohlockte der Alte und wandte sich wieder der Beschwörung zu. Die Fackeln flackerten unruhig, die Kerzen glommen düster und der Junge weinte. Gut, das Letzte war ohne Belang. „Weiter, ihr Narren“, dröhnte er siegesgewiss und begann mit dem Zauber der Veränderung. Dann kann ich mir Zeit lassen.

Viel Zeit.

Der Dämonenkönig starrte aus faustgroßen leuchtenden Sterne voller Bosheit und Hass rot glühend auf seine Widersacher. Vor seinen Augen setzte der unheimliche Zauber ein: die Bewegungen der vielen Krieger vor dem Tor wurden langsamer, schwerfälliger. Schließlich bewegten sich alle, als wollten sie betont langsam vorankommen. Was natürlich nicht der Fall war.

Thulsa lachte dröhnend auf, sprang zur Seite und wich einem Blitz aus, den er aus den Augenwinkeln mitbekommen hatte. Mit der Zeit auf seiner Seite musste er vor ihren Augen so schnell sein wie ein fallender Stern. Der wirbelnde Magus flog zielstrebig zur rechten Flanke und landete wenig später vor den Elben und Zwergen. „So eine mutige, große Gemeinschaft“, höhnte er laut und wusste sogleich, dass sie ihn weder klar sehen noch hören konnten. „Euch mangelt es an etwas, was ihr nicht habt!“ Bringen wir es zu einer Entscheidung. Thulsa sprach einen Zauber gegen einen gigantischen Elfenkämpfer, der von schwarzen Blitzen getroffen in die Zwerge stürzte und sich nicht mehr regte. Wütend führte er seinen Angriff fort, formte einen Feuerball und warf ihn quer durch die Horden.

Die Ausweichbewegungen des Heeres erfolgte zu spät, und selbst hastig gewirkte Magie konnte dem Zauber nicht mehr aufhalten. Die Schutzsymbole flirrten in der Luft und wurden von Thulsas Attacken gnadenlos vernichtet.

Ein so einfacher Zauber, frohlockte der Vielfach Verfluchte innerlich. Schonungslos setzte er seine Attacken fort, ließ das gesamte Tal aufflammen und schickte den Tod aus. Niemand würde entkommen können. Niemand…

So glaubte er.

Etwas traf ihn wie eine Faust und schmetterte seinen ohnehin schon ermüdeten Körper gegen einen Baumstamm, der von der Wucht bedrohlich knackte. Die Kraft versetzte ihn in Erstaunen, ließ ihn taumeln und ihn zurückweichen. Sein Feuerball zerbarst, noch bevor er die erste Reihe erreicht hatte. Kein tausendfacher Tod.

Vor seinen Augen geschah das Unmögliche: Bolzen und Pfeile pfiffen neben ihm durch die Luft, prallten von den Steinumfassungen der Schießscharten ab und bohrten sich in das harte Holz der Wurfmaschine. Etwas hatte die Zugketten der Brücke getroffen, rauschend und krachend stürzte es hinunter und gab den Weg frei. Während vor Thulsas Augen die Sterne tanzten, konnte er sehen, wie die Krieger auf den Rücken ihrer Pferde voranpreschten.

Die Kreidehexe Rualta war es. Mit ausgestreckten Armen und wie zu Klauen gespreizten Fingern kroch sie näher. „Deine Tage sind gezählt, Thulsa. Der Zauber verliert nun an Wirkung. Dachtest du, die mächtigen Zauberer aller Länder könntest du so hereinlegen?“

„So!“ zischte Thulsa und rappelte sich langsam wieder auf. Sehr zu seinem Verdruss hatte sich ein starker Gegner eingefunden. „Du hast an Kraft gewonnen. Ich verstehe langsam. Du hast einfach auch einen Zeitzauber gesprochen, wie?“