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Ein Söldner und ein Reporter ohne Grenzen verbindet eine außerordentliche Freundschaft, der zu einem ungewöhnlichen Arbeitsverhältnis führt: Arvid Cedric Ludwig, ehemaliger Stabsoffizier, Deeskalationsexperte, Sportbegeisterte und Linguist, wird als "freier Mitarbeiter" beauftragt einer Kollegin in Montana, USA zu unterstützen. Doch die Rettung des entführten Sohnes eines Journalisten wird für ihn schon bald zur ultimativen Belastungsprobe…
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Seitenzahl: 264
Veröffentlichungsjahr: 2024
Unser Mann beim RSF
Country Road
Stephan Lasser
Jede Ähnlichkeit mit Personen, die gelebt haben, jede Übereinstimmung der Namen, Orte kann bloß auf zufälligem Zusammentreffen beruhen, und der Verfasser lehnt dafür im Namen unveräußerlicher Rechte der Einbildungskraft die Verantwortung ab.
Copyright © 2024 Stephan Lasser
Alle Rechte vorbehalten.
WIDMUNG
Für Katrin K.
Als Autor einer Geheimagenten-Reihe kam ich zu einer Webseite der RSF (Reporters sans frontières) – Reporter ohne Grenzen, eine international tätige Nichtregierungsorganisation. Sie setzt sich weltweit für die Pressefreiheit und gegen Zensur ein. Unter Berufung auf Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung) engagiert sich die Organisation unter anderem für aus politischen Gründen inhaftierte Journalisten. Trotz vieler Bemühungen starben allein 2020 bis heute Menschen wie Hisham al-Hashimi und Wiktorija Roschtschyna, der zuletzt als ukrainischer Journalist in russischer Gefangenschaft starb. Nicht enthalten sind Journalisten, die auf Grund fehlender Motivlage als nicht in Ausübung ihres Berufes getötet gelten, sowie getötete Medienmitarbeiter (Fahrer, Beleuchter, Übersetzer usw.). Zu meinem Schrecken ist die Liste sehr lang. Warum also nicht eine Geschichte erfinden, in der Journalisten jemanden zu ihrem Schutz haben? Das war die Grundidee. Bei Interesse sehen Sie mal auf der Internetseite der RSF nach.
Viel Vergnügen.
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
„Bei Windsurf-Pros sieht alles immer so spielend einfach aus. In diversen Videos fliegen die Sunnyboys stets perfekt und fehlerfrei übers Wasser. Dass aber auch selbst die Superstars des Sports immer mal wieder einen Abgang par Excellence machen, beweist dieser witzige Clip.“
(Extremsport-Ausgabe März, 2014, youtube)
Galdhöppigen, Norwegen:
Oberhalb des Bergmassivs löste sich eine Eisplatte und rutschte nach unten. Ehemals stabile Eisfelder hatten sich wie Adern jahrhundertelang in den Sedimenten gebildet und wurden durch das Schmelzwasser mehr und mehr ausgehöhlt, bis alles zusammenbrach. Der Prozess hatte schon im Frühling begonnen und durch den nahenden Winter – fast ein halbes Jahr später – den Ablauf beschleunigt. Die Kälte der Nordwinde festigte nicht den Grund, sondern beschwerte die obere Fläche mit zunehmenden Neuschnee, was zum Einsturz der Sedimente führte. Während immer neuere Schichten kollabierten, setzte eine Kettenreaktion ein, die nicht mehr aufzuhalten war. Die letzten stabilen Strukturen wurden just gegen Mittag von den herunterstürzenden Massen zermalmt und der ganze Südhang geriet in Aufruhr. Zum Südwesten hin fiel die Bergwand in mehreren Terrassen zwar senkrecht in die Tiefe, was die Wucht der Lawine erheblich abmildern würde aber bei den Massen gab es kein Halten mehr: der Berg würde reagieren und würde das Schrecklichste aller Ungeheuer losschicken.
Der Mann auf dem Bord hätte eine … Erscheinung sein können. Eine orange und gelbe Figur in Snowboardjacke und Kapuze; ein gehülltes Meisterstück sportiver Kleidung. Flink und eins mit den Elementen raste die Gestalt auf der ersten Welle und lenkte das Board unter seinen Füßen über unsteten Grund, der sich sekündlich veränderte. Eine Drehung zu viel, und er würde abtauchen in einen tödlichen Wirbel aus Eis und Geröll. Der sichere Tod.
Eine Lawine war das schlimmste aller Ungeheuer. Es versetzte auch den abgeklärtesten Verstand in Panik, denn sie brachte Tod und Zerstörung und ließ sich nicht aufhalten. Der entstehende Sog des Bruchs zermalmte Steine wie auch Bäume und die Wellen rasten ringförmig nach allen Seiten los. Die gesamte Geröllmasse geriet in Schwingung und konnte bis an die vierhundert Stundenkilometer erreichen. Die erste Welle transportierte eine Million Tonnen Schnee und eine entsprechende Menge Energie. Kurz vor der eintausend-Meter-Obergrenze wurde der Boden flacher, was die Masse abbremste aber nicht verlangsamte. Die Schneemassen türmten sich auf, da der Boden flacher wurde und die Welle erreichte eine Höhe von zwanzig Metern. Der Mann balancierte seinen Körper auf dem Board, während sein Verstand berauscht und fasziniert die verschiedenen Eindrücke verarbeitete: donnerndes Crescendo um ihn herum, der sichere Tod unter und hinter ihm, während sich sein grinsendes Gesicht schneeweiß vor Anstrengung färbte. Vor ihm wurden massive Kiefern wie Streichhölzer mitsamt Wurzeln umgeknickt und plattgedrückt; aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Blockhütte, die solide aus festem Stein erbaut worden war - doch es war nicht nur weicher Schnee, der mit der Gewalt von Riesen auf die Mauern eindrosch: Bäume und Steine trommelten ein Stakkato, Baumstämme rasten durch die Fenster, zerstörten das Mobiliar, als wären sie aus Pappe und begruben alles unter sich mit Schnee. Zum Glück hatte die Bergwacht schon vor einer Woche die Gefahr erkannt und den gesamten Galdhöppigen evakuiert: Menschen konnten erschlagen oder aufgespießt werden, von dem Sog mitgerissen und Gefahr laufen gegen die Wände geschleudert oder zermalmt zu werden. Wer sich unter Tonnen von Schnee und mit heiler Haut wiederfand, lief Gefahr zu ersticken oder zu erfrieren. Während die Natur ihr Recht auf Zerstörung einforderte, raste der einzige Mensch auf der heranrollenden Kuppe wie ein buntgecheckter Herold ins Tal und spielte mit seinem Leben. Arvid Ludwig breitete die Arme aus, als das Gefährt immer mehr an Fahrt aufnahm.
Der Lenker muss über ein extrem gutes Reaktionsvermögen, ein hervorragendes „Bahngefühl“ und eine ausgeprägte Feinmotorik verfügen. Schon kleinste Lenkbewegungen an der falschen Stelle können im schlimmsten Falle einen Überschlag verursachen! hörte er seinen Schneesportlehrer im Geiste zitieren, während sich alles nach unten neigte und stürzte. Sein anfänglich ungläubiges Staunen ging in einen erstickten Schrei über. Ihm hüpften die Eingeweide bis zum Hals. Er versuchte zu erkennen, wohin er raste, doch das Board unter seinen Füßen kannte nur eine Richtung, die von der Lawine vorgegeben wurde. Euphorisch grinsend balancierte er auf der Welle des Todes, während Kiefern und Felsen an ihm vorbei donnerten. Hinunter sauste er über Felsbrocken, hüpfte über Schneekämme, schoss durch eisglatte Tunnel und hochaufragende Felsspalten. Schneewehen bremsten die Fahrt der Lawine ein wenig, bevor er durchstieß und wie ein Kreisel auf der anderen Seite hervorkam. Er wagte nicht nach hinten zu schauen. Das konnte niemand verlangen. Hätte er es getan, hätte er einen ganzen Berg auf sich zu stürzen sehen und jede kleinste Abweichung hätte den Verlust der Balance und den sicheren Tod bedeutet.
Pfeilgerade schoss das Arvid mit seinem Board durch den Wald, passierte Bäume, Sträucher und gefährlich aussehende umgestürzte Bäume, die ihn ohne Probleme aufgespießt hätten, hätte er mit seinem Gewicht nicht dagegen gelenkt. Die Augen weit aufgerissen, sah er, dass das Gefährt nach rechts schwenkte, in die Öffnung eines eisbedeckten Tunnels: eine glatte, grünliche Rutschbahn, die schräg durch den Wald und wieder zurückführte und auf diese Weise den Hang mehrere Male kreuzte, bis sie in immer sanfteren Kurven in der Talsenke endete. Die Kraft der Lawine verebbte langsam, er sank tiefer und tiefer bis statt Schnee Gras und Steine das Board straucheln ließ. Wie durch ein Wunder wurde er sicher zum letzten Hügel über den Berg getragen, als er schließlich doch die Kontrolle verlor und wild überschlagend in eine Schneewehe landete, während der Ausläufer der Lawine mit Schnee und scharfen Geröll über ihn hinwegdonnerte.
Hier, auf dem letzten Stück seiner schwindelerregenden Fahrt, kam Arvid langsam zur Ruhe und duckte sich zu einer Kugel zusammen, während das katastrophale Ereignis wie ein Betrogener mit letzter Kraft an ihm rüttelte, um sich sein Recht einzufordern.
Mit angehaltenem Atem, zitternden Knien und zahlreichen blauen Flecken wartete Charlie – noch immer grinsend – in Sicherheit und lauschte auf die vorbeiziehende Kraft, die mehr und mehr an Kraft verlor.
Eine Decke aus Eis und Dunkelheit legte sich über ihm. Der Lärm ließ endlich nach. Arvid grub sich frei, stemmte sich gegen kiloschwere Hindernisse und stieg unsicher auf, schnupperte und machte ein paar taumelnde Schritte, bevor er zusammenbrach. Der Berg, die Bäume, der Fluss, alles kippte und schwankte und kam nur langsam zu Ruhe. Zum Berg starrte er benommen zu einer ehemals weißen Fläche, die nun wie eine hässliche Narbe zum Tal führte und deutlich machte, welche Kraft gerade entfesselt worden war. Mühsam versuchte er die Welt anzuhalten, während sich alles drehte. Sein Board war gesplittert, feuchtkalte Stellen suggerierten ihm, dass sein Anzug undicht war … aber er hatte es geschafft! Er setzte sich unsanft in den Matsch, während sein Verstand wieder zur Ruhe kam. Schweratmend ließ er sich auf den Rücken fallen, reckte beide Arme zum Himmel und juchzte vergnügt, während das Adrenalin langsam abflaute.
Aber für einen langen Moment fühlte sich Arvid Ludwig lebendig wie selten zuvor.
Berlin, Potsdam – drei Wochen später:
Die Besucher waren zahlreich zum Geburtstag gekommen, brachten Geschenke und ließen die Kinder im Garten spielen wo eine Hüpfburg und ein Clown auf sie warteten. Die Sonne schien, es war nicht zu heiß für den Sommer, der bislang nur trocken gewesen war. Das Catering überraschte mit einfallsreichen Speisen, die Band spielte auf und sorglose Stimmung machte sich schnell breit. David Kaplan hatte viele Freunde und eine große Familie. Er selbst war bislang nur dreimal aus seinem Büro erschienen um einigen wichtigen Gästen die Hand zu schütteln – seine Stimmung war getrübt; Probleme beruflicher Natur verdarben den Sinn des heutigen Tages.
Davon war drei Etagen tiefer nichts zu bemerken: Jugendliche sahen sich gegenseitig über die Schulter, als eine der Töchter auf ihrem Smartphone auf youtube das Neueste zeigte: drei Drohnen filmten den spektakulären Stunt auf dem Galdhöppigen (BEST STUNT OF STUNTART) mit über 56 Millionen Aufrufe. Der Koordinator selbst grinste in die Kamera, reckte den Daumen hoch und gab einen Jubelschrei von sich. Klopfte den Schnee von seiner Kleidung und lachte. Zwei Mädchen grinsten und beantworteten geduldig alle Fragen: „DER ist mit euch verwandt!?“
„Logo, er ist heute auch hier.“
„Laber nicht!“
„Er ist mein Onkel. Wollt ihr ihn treffen?“ schlug die Jüngere vor und beeilte sich sofort aus dem Partykeller rauszugehen, um unter den Gästen im Garten zu suchen. Nur eine Minute später kam Constance mit einem breitschultrigen blonden Mann herein, großgewachsen und drahtig. Seine dunkle, gesunde HautForbe rührte von vielen Aktivitäten -einige Narben an den Armen und Beinen zeugten von Grenzerfahrungen, die dem jungen Mann eine gewisse Erfahrung bescheinigten. Kurze Shorts und ein schwarzes Sporthemd. Trotz seiner Bekanntheit lächelte er ungezwungen und stellte sich höflich vor. Welches Bord er dabei benutzt hatte. Wie er auf den Berg gekommen war und wie oft er das schon getan hatte. Geduldig beantwortete der Erwachsene alle Fragen und stellte sein Bier ab, als einer der Jungs auf seinen Arm zeigte. „Ist das ein Tattoo?“
„Das ist das Ehrenkreuz der Bundeswehr“ beantwortete er die Frage. „Ich war Stabsoffizier. Taktische und operative Führungs- und Einsatzgrundsätze des Heeres, der Luftwaffe und der Marine. Wollt ihr mal was Cooles sehen?“ Er zog sein Hemd hoch.
„Denkst du nicht, dass deine Tattoos meine Töchter beeinflussen?“ Die Frau hatte aus einer Ahnung heraus die Kinder aufgesucht; gute Mütter bewiesen seit Urzeiten eine Art Radar, wenn Gefährdung in der Luft lag. „Bruder?“
„Entschuldige.“ Arvid grinste unbeholfen und ließ das Hemd dort, wo es war.
„Was hat euch euer Onkel noch erzählt?“
„Wellenreiten – wir wollen auch nach Bali!“
„Wellenreiten!?“
Arvid rückte etwas fort und lachte leise. „Das ist nichts…“
„Und Paragliding!“ bestätigten Constance und warf den anderen verschwörerische Blicke zu. „Mein Onkel war mal Söldner. John Wick, und so.“
Klar waren die anderen beeindruckt. Die Gesichtsfarbe ihres Onkels wurde eine Nuance röter.
Das Radar schlug aus. „Den Film habt ihr nicht gesehen, okay? Haben sie doch nicht, oder? Constance? Warum nimmst du das auf?“
Arvid bedeutete ihr das Smartphone auszumachen. „Das war Top Secret, was ich erzählt habe.“
„Messerkampf und die Sache mit dem Skorpion im Whiskey-Glas. Das glauben meine Freunde nie. Hashtag OMG.“
„Sie übertreiben. Die Jugend“, grinste er seine Schwester an und glaubte sich zu erinnern, dass viele Meter weiter bestimmt jemand anderes ihm die Hand schütteln wollte, „was will man machen!?“
Jaqueline zog ihn zu sich heran und bedeutete den Kindern keinen Unsinn zu machen – auch eine Gabe der Mütter, derlei Bitten mit minimalen Gesten oder einem besonderen Blick zu unterstreichen. Wie so oft wurde die Nachricht verstanden. Arvid verstand es auch und begleitete sie nach draußen. Jaqueline fuhr sich durch flachsblonde Haar und stemmte die Hände in die Hüfte. „Wieso kannst du nicht einfach von deiner Steuererklärung erzählen? Es fällt mir eh schon schwer sie richtig zu erziehen. Wieso machst du sowas?“
Arvid ahnte, dass Witze und Coolness ihn hier nicht retten würden – taten sie bei der eigenen Familie übrigens nie. „Ich brauche das Geld. Tattoos sind teuer. Surfbretter auch.“ Entschuldigend zuckte er mit den Schultern.
„Das war leichtsinnig. Reist um die ganze Welt und riskierst dein Leben. Schönes Vorbild, und verdreh nicht die Augen! Kannst du mal kommen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt sie die Treppe hoch, hoch ins Erdgeschoss wo die Gäste sich am Lachs und an den Schnittchen gütlich taten. Es waren Freunde und Verwandte, aber auch Geschäftspartner zugegen, wie Arvid sehen konnte. Statt den Erwachsenen zu den Erwachsenen zu schicken und den schädlichen Einfluss auf die Kinder zu mildern, führte sie ihn dennoch zur nächsten Treppe. „Ganz toll, Onkel Arvid“, bemerkte sie lakonisch über die Schulter. „Davids neues Buch ist gerade erschienen.“
„Ach ja? Vielleicht sollte ich es lesen.“
„Sicher. Wenn du dich für Geopolitik interessierst, dann definitiv. Vielleicht signiert er dir deins.“ Antwortete sie knapp und kam oben an, wo die Feierlichkeit aufhörte. Hier gab es nur ein Schlafzimmer, das Büro, die Kinderzimmer und das Bad. Sie deutete zur nächsten Tür. „David geht es nicht so gut. Schau mal nach ihm.“
„Was ist passiert?
„Er braucht jetzt einen Freund.“ Sie sah ihn auffordernd an. Jahrelange Übung in der Familie hatten ihm gezeigt, dass eine gewisse Dringlichkeit angebracht war. „Geh mal rein.“
Das tat er auch.
David Kaplan war ein breiter Mann mit ergrautem Haar und Bauchansatz, ein gewissenhafter Ehemann und Vater. Und Liebhaber italienischer Speisen. An seinem Arbeitstisch saß er gebeugt und ernst; dunkle Jeans, Krawatte und weißes Hemd. Die beiden Freunde hätten unterschiedlicher nicht sein können. An der Wand zur Rechten sah Arvid eine Reihe von Fotos einer glücklichen Familie, die zusammen angelte, einen Berg bestieg oder sich zusammen ein Mahl teilte. David sah über seine Brille zur Tür und hörte kurz auf die Tastatur zu bedienen. „Du bist auch hier?“ Es klang unfreundlich, aber Arvid kannte seine Arbeit, den Druck auf seinen Schultern und nahm es ihm nicht übel. „Hast du genug meine Kinder verwirrt?“
„Du kriegst wohl alles mit, was? Auch die Gäste in deinem Wohnzimmer? Ich habe Jens Zweisam vom Berliner Blatt gesehen. Was ist los? Sogar Till Schweiger…“ Er zeigte über seine Schulter, doch davon wollte David nichts wissen. „Was ist los?“
„Beruf.“
Arvid kam um den Arbeitstisch herum und sah auf dem Bildschirm: ein großes Bild von einem freien Journalisten aus Bagdad. Hisham al-Hashimi. Die Überschrift wies auf einen unnatürlichen Tod hin: am Abend des 6. Juli 2020 wurde er vor seinem Wohnhaus im Stadtteil Zayouna von mindestens einem Attentäter erschossen. „Kanntest du ihn?
„Ich habe jetzt keine Energie für Smalltalk, Arvid. Da draußen ist die reale Welt. Kennst du nicht.“
„Da komme ich gerade her. Für Geld zeige ich dir manche Orte. Orte, die du noch nie gesehen hast…schon gut.“ Arvid änderte die Taktik und setzte sich ihm gegenüber. „Rede mit mir.“
„Ein ernstes Gesicht? Bei dir?“ David sah auf, schien zu überlegen. Dann stand er auf. „Lass uns mal rausgehen.“
Der Vorort von Berlin-Potsdam war idyllisch, fast malerisch. Vorgärten wurden gewässert. Kinder radelten auf verschlungenen Routen durch die Gegend, immer gekonnt den Leuten ausweichend, die in seifigen Auffahrten ihre Autos wuschen. Der Himmel war von einem seltenen Blau, da der seichte Wind, der vom Osten herüberkam, den Smog aus der Großstadt weit weg blies. Das Haus an der Kirchmühlenstraße wirkte frisch gestrichen, penibel in Schuss gehalten – nur der gramgebeugte Mann, der gerade aus der Tür kam und sich als Erstes eine Zigarette anzündete, stört etwas das Bild. Arvid folgte ihm. „Seit wir gemeinsam im Internat waren, habe ich deinen Weg verfolgt. Master in Linguistik, Sieben Jahre als Offizier und Ehrenmedaille. Ich kenne dich gut, Arvid. Du spielst doch nur den unbeschwerten Sunnyboy.“
„Oh, bin ich jetzt das Thema?“
„Nein, entschuldige. Oder doch?“ Er ging voran, überquerte die Straße und steuerte auf den einzigen Kiosk zu, an dem man im Schatten billigen Kaffee oder Eis genießen konnte. „Du weißt auch, was ich mache, oder? Natürlich weißt du das. Warum gönnen wir uns nicht was?“
Arvid schwieg und folgte ihm. David tauschte einen Fünfer gegen zwei Kaffee in Pappbecher.
„Reporter ohne Grenzen. Ich verfolge deinen Block. Hisham war nicht der Erste, wie?“
„2020 war ich auch in Bagdad.“ Er trank von seinem heißen Gebräu und steckte sich wieder eine von den ungesunden Glimmstängeln an. „Wir kämpfen einen ungleichen Kampf. Es ist frustrierend. Geburtstage sind das Schwerste. Khamal und vier andere waren eingeladen. Einer sitzt im Irak fest, zwei sind verschollen und Khamal… ist gestern gestorben.“
Arvid verstand. Die Liste, während der Berufsausübung getöteter Journalisten war lang, tauchten hier und da gelegentlich in den Medien auf und waren gleich wieder vergessen - wie es schien. Weltweit schien man ihren Einsatz zu honorieren, aber sobald sie als Gefahr eingestuft wurden, begannen politische Einflussnahme auf Medien, Aufnahme in Schwarze Listen, persönlicher Druck, Entführung, körperliche Gewalt und Folter bis hin zu gezieltem Mord. Diktaturen, extreme Gruppierungen und auch Mafiastrukturen mochten für gewöhnlich niemanden, der ihre dreckige Wäsche in der Öffentlichkeit hochhielt. Dass das einem Journalisten naheging, der zufällig für Reporter ohne Grenzen arbeitete, war daher verständlich.
Arvid spürte tiefen Schmerz.
Plötzlich richteten sich die feinen Härchen auf seinem Nacken auf. Er kannte das Gefühl, wie damals, als er heimliche Blicke aus zerschossenen Häusern hatte spüren können, die ihn und seine Einheit misstrauisch verfolgt hatten. Wenn man ihn beobachtete, aber aus…Gründen. Er senkte etwas den Kopf, sah auf seinem Kaffee und schielte aus den Augenwinkeln. In Sekunden hatte er die Quelle ausgemacht.
Der BMW war vom russischen Konsulat, ein viel zu protziges Modell das sich zwischen den Hondas und Fiats, die für gewöhnlich in dieser Gegend gefahren wurde, einfach zu auffallend war. Die Beifahrerseite stand ein Stück nach unten offen und jemand blickte in ihre Richtung. Der Fahrer zündet sich eine Zigarette an. „Ist dir der Wagen auch aufgefallen?
„Seit zwei Tagen“, bekräftigte David und begann zu flüstern. „Hat mit einer Recherche zu tun, die ich aber habe fallen lasse. Mit den Russen würde ich mich nicht anlegen.“
„Schlauer Junge.“
„Aber du.“
Arvid konnte nicht verhindern, dass seine Augenbrauen verdutzt einen Satz nach oben machten. „Ach ja?“
„Sicher.“
„Ich dachte schon, du meidest mich. Jaqueline hatte mich eingeladen -nicht du.“
„Söldner sind bei der RSF nicht gerade willkommen. Du kennst die Gründe“, bemerkte er spitz aber zwinkerte ihm zu. „Aber du warst immer mein Freund. Und jetzt brauche ich dich.“
„Erzähl.“
„Die ukrainische freiberufliche Journalistin Viktoria Roschtschyna ist am 19. September in russischer Gefangenschaft gestorben. Das geht aus einem Schreiben des russischen Verteidigungsministeriums hervor, das ihre Familie am 10. Oktober erhalten hat. Vor zwei Wochen verschwand Diana Bondarenko, die Nichte unserer RSF-Geschäftsführerin. Wir sind in ständiger Sorge, versteht sich. Hier ist ein Foto.“ Er zeigte auf eine Fotografie, die er aus seinem Portemonnaie holte, und Arvid warf einen Blick drauf. Jung, mager. Dennoch gutaussehend. „Und du denkst an mich? Wie nett.“
„Letztes Jahr ist Malik Arif, ein guter Freund von mir, gestorben. Ein halbes Jahr Prügel und Siechtum, garniert mit Folter bis zur Erschöpfung. Man fand seine Leiche in einem Flussbett in Kandahar“ resümierte David als würde er von einem Blatt ablesen. Lange Jahre Berufserfahrung hatten sein Vokabular gefärbt. „Ich weiß, was du bist, Arvid. Und ich weiß auch, dass du gewisse Dinge nicht mehr tust.“
Arvid wusste, was er meinte. Sieben Jahre als Offizier, zwei Einsätze in Afghanistan, und ein Kontakt zu einer Söldnergruppe. Nach ein, zwei einschneidenden Erlebnissen hatte sich Arvid abgewandt – sehr zur Freude und Entspannung seiner Familie.
„Darum biete ich dir zwei Millionen Euro.“ Arvid schreckte auf als er das hörte. „Das Geld haben wir gesammelt via Petition.“
Er pfiff anerkennend. „Warum, David?“
„Unsere Geschäftsführerin ist eine gute Freundin von mir, Arvid. Sie hat erst letztes Jahr ihren Mann verloren und davor ihren Sohn. Beide Krebs, aber der Verlust ihrer Nichte würde sie zerbrechen lassen.“
Arvid verstand langsam und blickte zum BMW, wo der Fahrer die zweite Zigarette rauchte. „Hm.“
„Butyrka-Gefängnis, Untersuchungshaftanstalt Nummer 2. Zelle 412. Kannst du mir helfen?“
„Also, gehen wir nicht mehr in die Disco?“
„Hast du mir gerade zugehört?!“ David beugte sich wütend vor. „Die wollen die RSF hart treffen. Uns brechen, und du weißt, warum. Das totalitäre System sieht sich nicht gerne mit Daten und Fakten konfrontiert. Solange wir nicht den Diktatoren die Füße küssen und das schreiben, was sie wollen, sind wir nichts als Geschmeiß für sie. Du könntest jetzt mal etwas Gutes tun, Arvid. Und nicht nur in der Welt rumjokkeln! Du bist doch keine Siebzehn mehr!“
Das traf, aber entsprach auch der Wahrheit. Arvid genoss zu sehr sein Leben als begeisterter Sportler und Influencer. Und dem Partyleben, nicht zu vergessen. Wer schon mal in einer russischen Disco Metall Punk gehört, oder auf Gran Canaria die Beach Party- Szene miterlebt hatte, hatte was zu erzählen. Drei Jahre. Drei volle Jahre, die von der Gunst der Follower, den Likes und dem „sorglosen“ Leben handelten, waren kaum einen Eintrag in einem Lebenslauf wert. Er hatte seinen Spaß gehabt – jetzt brauchte ihn ein Freund. Arvid sah verstohlen zum BMW herüber. „Willst du auch einen? Kaffee, meine ich.“
„Arvid!“
„Lass mal stecken. Ich zahle schon. Warte hier auf mich…“
„Was machst du?“
„Nur zur Bank. Ich muss mir Geld holen.“
David starrte ihm nach, als hätte Arvid nichts von alldem verstanden und sah noch zu, wie Arvid sich auf sein Motorrad schwang und abbrauste. Verstehen konnte er es nicht und so stapfte er wütend davon, zurück zu seinem Geburtstag und zu Leuten, die zu seinen Ehren gekommen waren. Enttäuscht steckte er sein Portemonnaie wieder ein – erst viel später sollte ihm auffallen, dass er das Bild nicht mehr hatte…
Und der BMW verschwunden war.
Vier Tage später in Berlin:
Das Rosenberg-Haus in der Dillmannstraße war ein weißgekachelter Glasbau mit sieben Etagen, in denen verschiedene Firmen ihre Büros hatten. Ganz oben saß David Kaplan in seinem Büro und telefonierte mit seinem Kontakt in Beirut, als ein weiterer Anruf ihn ereilte. Als er sah, wer es war, spürte er die Vorboten eines Magengeschwürs. Er beendete sein Gespräch, steckte sich eine Zigarette an, schmauchte sie zur Hälfte und nahm schließlich den Anruf an. Die Temperatur im Zimmer war gerade um einige Grad gesunken.
„Warum hast du nicht gewartet!? Ich wollte noch einen Kaffee…“
David verschluckte sich fast am Rauch. „Du hast ja Nerven!Du blödes Arschloch haust einfach ab“, schnauzte er und zerdrückte wütend die Zigarette in seiner Faust. „Schöner Freund bist du!“ Die Enttäuschung war nicht gespielt. David hatte die letzten Tage gereizt reagiert, wenn auch nur einer aus seiner Familie den Namen genannt hatte. Sehr zu seinem Erstaunen schien sogar Arvid am anderen Ende noch beste Laune zu haben. „Da will dich jemand sprechen.“
„Wie? Was mein-.“ David schaute auf, als die Tür aufging und zwei Personen hereinkamen. Das wohl seltsamste Gespann, das bei der RSF je zu Besuch gekommen war: Die Frau war mager, hatte einen zerrissenen Pullover an und trug eine Schirmmütze schief über den Kopf damit man ihr Veilchen nicht sehen konnte. Grauhäutig und gebeugt, trotz ihres jungen Alters. Sie schien ebenso verdutzt wie er.
Arvid kam hintendrein, hielt sein Smartphone hoch und grinste überlegen. Und dafür hasste ihn David: seine Späße und seine zu lockere Art, die ihm schon immer auf die Nerven gegangen war… aber dann verstand er schnell, was hier passiert war. Was passiert sein musste. Was Arvid für ihn getan hatte. Auch er hatte Blutergüsse, Striemen am Hals und wirkte ebenso wie die Frau wie ein Stuntdouble aus einer Castaway- Produktion. Benommen stand David auf und reichte ihr die Hand. „Miss Bondarenko, I presume?“
„Da.“
David schluckte trocken und sah seinen Freund – den besten aller Freunde – fast schon traurig an. „Ich… äh…ich… ich schulde dir…“
„Einen Kaffee, genau“, sagte Arvid gutgelaunt und ergriff seine Hand. „Und wir sollten über mein Gehalt sprechen.“
„Gehalt?“
„Als Berater für euch. Ich denke, ich kann euch weiter nützlich sein.“
New York – ein Jahr später:
Nach Coney Island ist Brighton Beach die zweite Stelle, an der Brooklyn ungeschützt dem kalten Meer gegenüberliegt. Die Boulevards enden einfach vor Holzstegen. Parallel zum Ufer windet sich eine lange Prachtstraße. Dort, um die Stützpfeiler der über ihm verlaufenden Eisenbahnschienen, spielt der Verkehr regelmäßig Autoscooter. Auf wackeligen Beinen hält sich auf einer kleineren Rampe zwischen dem Gehsteig und dem Holzsteg ein verlotterter Imbisstand, der nicht modisch genug ist, um als Treff in Frage zu kommen. Es ist kaum mehr als ein Schuppen. Im eisigen Winterwind, der vom Osten über den Fluss wehte, sieht es so aus, als schwanke es hin und her. Sommer wie Winter, Jahr für Jahr, bereitet der Eigentümer Fleischpasteten, koschere Hotdogs und erbärmlichen, aber brühheißen Kaffee zu. Es war Sommer in New York, und gegen 11 Uhr an einem Sonntag blieben die Geschäfte geschlossen und der Verkehr kam fast vollständig zur Ruhe.
Arvid Ludwig stieg aus dem Taxi aus, nahm seinen Koffer und steuerte auf eine der letzten Münztelefone der Stadt zu. Ein Mann mit Sandalen, Sonnenbrille, Koffer und einem Hawaiihemd – ein Tourist wie schon hunderte vor ihm, kaum einen zweiten Blick wert. Die Bewohner waren es gewohnt. Arvid steckte ein paar Münzen in den Schlitz und wählte. Wartete. „Hallo, Schwarzmaler. Wo ist meine Limousine?“
„Schön, von dir zu hören, Arvid“, sagte David am anderen Ende. „Wie waren die Schrimps im Flugzeug?“
„Schleimig und grün. Ich glaube, ich hätte nicht alle essen sollen.“
„Tja, wer blöd ist und so. Du kennst ja den Spruch. Willkommen in den USA. Rangliste der Pressefreiheit: Platz 55 von 180. “
Arvid lächelte ungezwungen, behielt aber seine Umgebung im Auge. „Wie ist das Leben in dem schönsten Land der Welt? Yes, we can?“
„Ich musste die Beerdigung eines guten Freundes planen. Allmählich wird es leider zu einer Routine.“ Im Hintergrund hupte ein Auto.„Ruf auf die 3 an. Wir sprechen gleich.“
Arvid legt auf, holt sein Smartphone heraus und wählte eine bestimmte Nummer. David -3
„Sag mir, was ich nicht weiß.“
„Tja, das ist ja das Problem. Nimm ein Taxi und fahr zur 49.th. Steig um und nimm die Bahn zur Station Number four. Das sind nur drei Stationen. Dann gehst zu zum Parkhaus. E-Nord. Dort steht ein Honda.“ Ohne zu antworten, legte Arvid auf und steuerte zum Imbiss, wo er sich ein Wasser kaufte. Mit Gepäck und Wasser schlenderte er weiter, nahm den vorgeschriebenen Weg und kam nach einer halben Stunde am Treffpunkt an. Es war kühl im Parkhaus und es dauerte, bis Arvid den richtigen Honda fand – es war der Einzige, in dem geduldig zwei Menschen saßen, im Schatten zwischen zwei Bullis stehend und kaum auffallend. Er kam heran, klopfte an die Scheibe und wuchtete seinen Koffer hinten rein. Als er drinsaß, reichte er David die Hand. „Nochmal: „Hallo, Schwarzmaler. Wo ist meine Limousine?“
„Wird nie kommen. Nur wer arbeitet, bekommt auch Geld und Ehre.“
„Aua, das war fies!“ Beide grinsten sich an. Arvid sah zum Fahrer und erkannte, dass die Afroamerikanerin ihn abwartend ansah, mit einer gewissen Kühle in den Augen, die schon fast an Reserviertheit heranreichte. Er winkte ihr im Rückspiegel zu.
„Arvid, das ist Donna Gray. Sie arbeitet für mich. Sobald etwas geschieht, was ihr nicht passt, fährt sie los und du gehst auf Tauchstation. Dann reden wir später.“ David selbst schien zu glauben, dass jeder entweder ein Spion oder ein NSA-Agent war. Sein Kopf bewegte sich wachsam hin und her.
„Mann, du machst ja ein Geheimnis draus! Wie damals in Kandahar.“
„In Kandahar waren wir im Vorteil“, entgegnete David sachlich. „Da wussten wir, dass wir allein gegen dutzende Gruppierungen stehen. Das ist die USA: in dem Land, das einst als Vorbild für eine freie Presse galt, bestehen nach wie vor große strukturelle Hindernisse für die Pressefreiheit. Mit Gesetzen wird vor allem auf lokaler Ebene der Zugang zu Informationen erschwert.“ Er war seit drei Wochen am Big Apple, hatte Kontakte geknüpft und sich schließlich entschieden Arvid dazuzuholen. Es musste ernst sein. In mehreren Fällen griffen örtliche Strafverfolgungsbehörden in die Pressefreiheit ein. Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten hatten zudem ein beunruhigendes Ausmaß angenommen. „Der U.S. Press Freedom Tracker dokumentiert, wie Journalisten angegriffen, verhaftet, mit Munition oder Tränengas zur Kontrolle von Menschenmengen getroffen oder deren Ausrüstung während der Berichterstattung beschädigt wurde. Ich sehe diesen Fall als ein Beispiel dafür, wie das System funktioniert.“
„Gut, ich lausche. Die Kurzfassung, bitte.“
„Ein Nachrichtenteam des Nachrichtensenders CBS Channel 11, das über die Proteste in Dallas berichtete, musste sich zerstreuen, als ein Polizist einen aktivierten Kanister mit Tränengas auf zwei Journalisten warf, als diese am 29. Mai 2020 live auf Sendung gehen wollten. Die Proteste, die am 26. Mai in Minnesota begannen, haben sich im ganzen Land ausgebreitet, ausgelöst durch ein Video, das einen Polizisten zeigt, der bei einer Festnahme am Vortag auf dem Hals des Schwarzen George Floyd kniet. Floyd wurde später in einem Krankenhaus für tot erklärt.“
Arvid nickte verstehend und trank aus seiner Flasche. „Ich glaube, ich habe davon gehört.“
„Wer nicht! Das ging durch alle Medien. Michael Forb war damals unser Mann vor Ort, der die Sache verfolgte. Um ihn geht es.“
„Forb? Wer ist das?“
„Ein BusinessDen-Reporter, der für die lokale Wirtschaftsnachrichtenseite über Gerichte und Wirtschaftskriminalität berichtete. Er wurde bereits zehnmal verhaftet und wieder freigelassen. In der Nähe des Montana Art Museum wurde er am letzten Freitag erschossen.“ David bedeutete zu schweigen und beobachtete einen Mann, der staksend die Auffahrt hochkam, innehielt und sich für eins der Autos zu interessieren schien. Schließlich wankte er weiter, achtete nicht auf den Honda und verschwand im Treppenhaus.
„Montana? Wie ist das passiert?“
„Für 14 Uhr wurde eine "Patriot Rally" der DFF im Park neben dem State Capitol organisiert“, erklärte David ausschweifend. „Für 13:30 Uhr war ein Gegenprotest "BLM-Antifa Soup Drive" am Civic Center geplant, um die Kundgebung zu übertönen. Forb war anwesend und wollte berichten, als der Heckenschütze ihn genau in die Brust traf. Vom Täter keine Spur. Bei ihm waren zwei Sicherheitsmänner – man kann wirklich nicht sagen, dass Forb mit der Gefahr spielte.“
Arvid stellte die Flasche ab. „Heckenschütze? Das ist neu.“
„Keine Erkenntnisse und keine Stellungnahme. In den letzten Monaten war es die Praxis von 9NEWS, private Sicherheitsdienste über eine externe Firma zu beauftragen, unsere Mitarbeiter bei der Berichterstattung über die Proteste zu begleiten“, erklärte Donna Gray und ihre melodisch klingende Stimme deutete an, dass sie ihre Emotionen ähnlich wie David im Griff hatte – beide Journalisten mit Berufserfahrung eben, die sich rein an Fakten hielten und nicht emotional wurden. „Pinkerton, die private Sicherheitsfirma, ist dafür verantwortlich, dass ihre Wachen oder diejenigen, mit denen sie Verträge abschließt, entsprechend lizenziert sind.“
David schaute zurück. „9News schließt keine direkten Verträge mit einzelnen Sicherheitskräften ab."
„Ich liebe es, wenn du mich mit allen Infos vertraut machst. Wie war das Wetter an dem Tag? Wie spielten die Socks in der Vorrunde, oder willst du mir vielleicht noch sagen, warum wir beide hier sind?“
„Weil sein Sohn verschwunden ist.“
Arvid stutzte. „Okay, ich beiße an. Worum geht es wirklich?“
„Forb warf dem US-Senator Bob Delahaye unter anderem Bestechlichkeit und Betrug vor. Er sah es als erwiesen an, dass der Senator seinen politischen Einfluss im Sinne der Regierung Kolumbien nutzte und im Gegenzug Schmiergeld und Luxusartikel annahm. Es geht um Millionen in bar. Außerdem war von Goldbarren und einem Luxusauto die Rede.“
„Wow, dann sollten wir beide auch in die Politik“, schlug Arvid vor.
David biss nicht an. „Wenn Forb Recht hätte, dann ist Delahaye der achte amtierende Senator in der Geschichte der USA, der wegen einer Straftat verurteilt wird.“
„Lass mich raten: er plädiert auf unschuldig.“
„Natürlich tut er das. Es kam nicht zu einer Anklage. Forb ist tot, sein Sohn ist entführt und gleich drei unserer Kollegen bekamen vor vier Tagen eine deutliche Nachricht.“ Er holte sein Smartphone hervor und spielte einen Clip ab: auf einer dreckigen Matratze hockte ein Junge verängstigt, der eine Zeitung hochhielt und seinen Namen nannte. Länger als fünf Sekunden ging es nicht, aber der Junge brachte folgende Nachricht hervor: „Mein Name ist Stan Forb. Lasst uns in Ruhe -sonst seid ihr dran.“