Wortschätzchen - Linde Richter - E-Book

Wortschätzchen E-Book

Linde Richter

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Beschreibung

Kunterbunte Erzählungen mit einer guten Portion Augenzwinkern. Ein Mix aus Abenteuern, Krimis, Mystik und Romanzen. Kurzgeschichten, die in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft spielen: Kindheitserinnerungen aus dem amerikanisch besetzten Deutschland, vergnügliche Reisen rund um den Globus, Unfassbares von anderen Planeten und Alltägliches, auf die Spitze getrieben. Eben kunterbunt, wie versprochen. Eine Kostprobe? Vergessen Sie einfach alles, was Sie bislang von Wolke Nummer 7 gehört haben. Alles nur Lüge. Ich sitze dort oben unfreiwillig und weiß ganz genau, was da ab geht. Ich habe Hausarrest, und alle Bengelchen sitzen mit mir auf diesem blöden Niemandsland. Eigentlich sind wir Engelchen, aber weil wir eine Dummheit gemacht haben, nennt man uns Bengelchen. Und haben Hausarrest, auf besagter Wolke. Dieser ganze Unsinn, von wegen Schweben auf Wolke Nummer 7. Alles nur Quatsch. Jeder Schritt ist eine Qual. Man sackt in dieses watteweiche Gewaber ein und muss höllisch aufpassen, dass man nicht mit einem Fuß steckenbleibt. Oder, schlimmer noch, einfach durchsackt. Wir haben ja auch menschliche Bedürfnisse, und wenn unsereiner die Hosen runterlässt, gibt es ein Problem. Da flutscht das einfach nur so durch, bodenlos in die Tiefe ...

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Prolog

Manchmal bin ich abends einfach zu müde, um den Faden eines Romans oder eines Krimis wieder aufnehmen zu können. Dann greife ich gerne zu einem Buch mit Kurzgeschichten.

Das geht offenbar vielen so. Ich wurde gefragt, warum ich meine Schreibplänkeleien nicht als Büchlein zusammenfasse?

Überall hatte ich meine Ideen auf Zetteln, als Sprachnachrichten oder Notizen festgehalten, und als ich sie durchzählte, ergab sich eine beachtliche Anzahl. Manche Gedanken waren nur Ansätze, andere schon zu fertigen Erzählungen gereift.

Hier ist das Ergebnis: ein Mix aus Abenteuern, Krimis, Mystik und Romanzen. Kunterbunte Erzählungen mit einer guten Portion Augenzwinkern.

Entspannung ist erlaubt. Und wenn’s beim Einschlafen hilft, warum nicht?

Viel Vergnügen beim Lesen wünscht Ihnen,

Ihre Autorin

TEXTÜBERSICHT

Der Goldjunge aus L.A.

Der vergessene See

Baden gehen

Lost in London

1001 Gutenachtgeschichten

Der Duft der weiten Welt

Casino Royal

Hermanns Siegeszug

Der Mond ist aufgegangen

Sileo auf Terra 2021

Petri Heil

Storchensalat

Verzählt

Ein Wiener Geschichtchen

Engelstaub

Meine Kinderwelt

Fisch an Fusel

Knochenjob

Gefühle

Mongibello

Die Zeugin

In vino veritas

Do ju want to spiel wiz mi?

Schotterwege

Eine neue Sprache

Schüleraustausch 1

Schüleraustausch 2

Kein Netz

Himmelsfinger

Luftpost von 1953 bis 1955

E-Mail von 2019 bis 2021

Die Nummer 25

Frankfurt im Juli

Vergleichsweise

Prominent

Das erste graue Haar

Zum Streicheln schön

Il venait d’avoir 18 ans

Smørrebrød und Bemme

Einmal Schneiden, bitte

Die Macht der Worte

Die nasse Champagne

Junggesellinnenabschied

Geschüttelt, nicht gerührt

Auf ewig jung

Weinlese

Killerwahl und Hirscharsch

Seehofer

Ausflug in die Vergangenheit

Mäandern auf der Loire

1. Der Goldjunge aus L.A.

Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Ich bin 34 cm groß und wiege 3,9 Kilogramm. Mein Herz ist aus Gold und das Drumherum auch. 24karätiges Edelmetall überzieht meinen knuffigen Body. Eigentlich heiße ich Academy Award of Merit, aber unter diesem Namen kennt mich kein Mensch.

Ich bin Oscar, einfach nur Oscar. Wie ich zu diesem Namen gekommen bin? Darüber streiten sich viele. Allen voran diese Vorstandstippse aus der Akademie, eine gewisse Margaret Herrick. Die hat doch glatt behauptet, dass ich wie ihr Onkel Oscar aussehen würde. Aber auch die großartige Bette Davis stellte Besitzansprüche an meinen Namen. Angeblich habe ich sie an ihren ersten Mann Oscar Nelson jr. erinnert. Und so ein Schreiberling von einer bekannten Filmzeitschrift hat ebenfalls behauptet, dass er mein Namensgeber sei. Also wirklich, was die sich so alles ausdenken!

Ich habe viele Leute glücklich gemacht: Schauspieler*innen, Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen, Komponist*innen, etc.*innen. Hoffentlich habe ich das mit der Genderschreibe richtig gemacht. Ich bin Jahrgang 1929, da gewöhnt man sich nur schwer an diese neue geschlechtergerechte Sprache. Ich habe die *Schreibweise gewählt, weil ich mich mit Sternen auskenne, jedenfalls mit jenen am Ruhmeshimmel.

Und ich habe schon viel erlebt: Ich bin schon geklaut worden, auch abgelehnt worden, und man hat mich sogar für politische Zwecke benutzt. Und 2017 gab’s eine Panne mit dem falschen Film. Peinlich!

Gerne erinnere ich mich an die fulminanten Galas, an die großartigen Theateraufführungen, und auch an das neidzerfressene Publikum. Vor meinen Augen rollt sich eine endlose Liste von Nominierten und Gewinnern ab.

Ach, jetzt habe ich doch glatt das * vergessen. Einfach vergessen, so wie viele Sterne am Prominentenhimmel inzwischen vergessen sind.

2. Der vergessene See

Der dicke blaue Fleck, mitten auf der französischen Landkarte, führte mich in die Champagne. Ein unaufgeregter Landstrich und im Juni geradezu menschenleer. Der Lac-du-Der Chantecoq ist Frankreichs größter künstlicher Binnensee. Er entstand 1973, als mehrere kleine Seen, drei Dörfer, und etliche Bauernhöfe geflutet wurden. Es entstand ein Naturparadies für Wildvögel aller Art, und im Herbst und im Frühjahr machen dort hunderttausend Graukraniche Zwischenstation.

Es war erst Anfang Juni, aber die Sonne brannte schon mächtig heiß vom Himmel. Ich wollte schwimmen gehen. Noch waren wenig Badewillige am See, und ich fand eine kleine versteckte Bucht, die eigentlich für Angler reserviert war. Die dicht bewachsene Uferböschung wurde alle zwanzig Meter von Holzstegen unterbrochen, die teils intakt, teils marode waren. Einige waren so verfallen, dass sich dort, wo die kaputten Holzteile weggeschwemmt waren, kleine Sandstrände angesiedelt hatten. Meist stand dort hohes Schilf, und die Schlingpflanzen machten das Schwimmen unmöglich. Aber der winzige, verborgene Einschnitt, wo der angeschwemmte Sand flach und weit ins Wasser reichte, war ideal zum Baden.

Ich schmiss mich der Länge nach auf meine Bambusmatte. Die Wassertropfen perlten glitzernd auf meiner Haut. Ein Rascheln in meinem Rücken ließ mich abrupt innehalten. Ein Spanner? Gut möglich, denn ich hatte mir den nassen Badeanzug vom Körper gestreift und saß völlig nackt in der wärmenden Sonne.

Vorsichtig drehte ich den Kopf zu dem hinter mir liegenden Wald. Nur ein einsamer Pfad trennte mich von den dichten Bäumen. Es war wieder still. Ich musste mich getäuscht haben.

Mein Blick wanderte über das tiefe Blaugrün des Wassers in das helle Blau des Himmels. Ein entspanntes Glücksgefühl überkam mich.

Da, diesmal ein Knacken. Zwei hellgrüne Augen starrten mich an. Ich starrte zurück. Die beige-grau getigerte Katze hatte einen dicken, dunkel geringelten Schwanz, und das Muster setzte sich über das Rückgrat fort. Eine Wildkatze. Noch bevor ich Wildkatze zu Ende gedacht hatte, war sie auch schon wieder weg. Mein geankerter Atem kam zögerlich zurück. Noch nie hatte ich eine Wildkatze gesehen. Okay, Tiger, Leoparden und Konsorten gehören auch für mich zum allgemeinen Zooprogramm. Aber so eine Wildkatze in freier Natur, das war schon was Besonderes.

Ich streckte mich in den warmen Sand und hing meinen Gedanken nach. Mein nackter Körper war mir völlig egal. Aber Wildkatzen als Spanner, das hatte was.

3. Baden gehn

Die Sonne brannte vom Himmel. Wir mieteten ein Motorboot für sechs Personen, das mit einem schwachen Außenbordmotor leise und gemütlich vor sich hin tuckerte.

Sechs Personen deshalb, weil wir, außer Angie, recht gut im Futter sind. Also mein Ehemann und ich, und auch unser Freund Werner, gehören nicht zu den Dünnen.

Werner hat die Gestalt eines gemütlichen Braunbären und ist ebenso flink. Mit einem eleganten Kopfsprung schoss er an der tiefsten Stelle des Sees in die glasklaren Fluten und kraulte mit einem hohen Juchzen davon. Angie schaute ihm stirnrunzelnd hinterher.

»Ich habe uns eine Flasche Wein und lecker belegte Brötchen eingepackt.« Meine Worte schienen Angie irgendwie nicht zu interessieren.

Ich genoss das Licht, die Sonne, das smaragdgrüne Wasser und ließ die Hand langsam durch das kühle Nass gleiten. Irgendwo in der Ferne waren ein paar Segelboote zu sehen.

Werner kam kraulend und schnaubend zurück und hielt sich an dem glatten Fiberglasrand des Bootes fest. »Wo ist die Leiter, Angie?«

Angie schaute ihren tropfnassen Ehemann an und meinte: »Es gibt keine Leiter.«

Erst nach und nach begriff ich, was das zu bedeuten hatte. Da hing unser fast zwei Zentner gewichtige Freund an der Reling und glitschte, durch das Schwimmen noch ein paar gefühlte Kilo schwerer, wie ein Aal von der Bordwand ab.

Keine Außenleiter weit und breit.

Das Gestänge des fest installierten Sonnendachs bestand nur aus dünnen Aluteilen und war damit auch nicht sehr hilfreich.

Als wir Frauen uns auf die eine Seite des Bootes parkten, zog und zerrte mein Ehemann auf der anderen Seite an seinem Freund. Werner glitt immer wieder auf halber Höhe mit einem fetten Klatschen ins Wasser zurück. Langsam ging den Männern die Puste aus. Nach zwei weiteren Anläufen hatten sie es endlich geschafft.

Werner hing schwer keuchend und völlig verdreht zwischen dem inzwischen leicht verbogenen Gestänge und rang nach Luft. Mein mir angetrauter Ehemann ebenfalls.

Wir Frauen bedankten uns heimlich beim lieben Gott.

Angie schaute ihren Mann liebevoll an: »Ich hätte dir den Rettungsring runter geworfen und dich an Land gezogen, wenn das nicht geklappt hätte.«

Wie sie uns später gestand, hatte sie nach dem Kopfsprung ihres Mannes mit verzweifelten Blicken das Boot nach einer Leiter abgesucht und sich bis zu seiner Rückkehr heftige Gedanken gemacht. Sie waren beide erfahrene Bootsführer, mit richtigen Motorbootführerscheinen, aber eben auch nur Menschen. Sie hatten beide einen Moment lang nicht an die Leiter gedacht. Und wir hatten sowieso von null und nix eine Ahnung.

Wir dümpelten mitten auf dem einsamen See und genossen die Wärme und die Stille.

Unser Freund Werner war erstaunlich schweigsam.

Plötzlich kamen von Werner die ersten Worte: »Hunger, ich habe einen Riesenhunger.«

Na endlich, er wurde wieder normal. Ich packte die mitgebrachten Brötchen, den Wein, eine selbstgebackene Tarte Tatin und eine Kanne Kaffee aus dem Picknickkorb. Wir ließen es uns schmecken.

Wasser und Abenteuer machen richtig Hunger.

4. Lost in London

Sie zog das ratternde Boardcase hinter sich her und betrat die weitläufige Empfangshalle des 5-Sterne Hotels. Tiefe Sessel gruppierten sich zu gemütlichen Sitzecken und das warme Licht der Kronleuchter spiegelte sich in den geschliffenen Marmorböden. In hohen Bodenvasen blühten üppige Blumenarrangements. Sie kam gerne hierher.

Das Hyatt Regency ist eine luxuriöse Hotelkette, die von wichtigen Geschäftsleuten aus aller Welt besucht wird. Auch ihre Firma ließ sich nicht lumpen und buchte sie in der englischen Metropole meist in „The Churchill London“ mit Blick auf den Hyde Park.

Man kannte sie. Gut geschultes Personal wickelte diskret und schnell die Formalitäten ab.

In ihrem Zimmer schleuderte sie die hochhackigen Schuhe von den Füßen und befreite sich von ihrer durchgeschwitzten Reisegarderobe. Sie trat vor das bodentiefe Fenster und sah über den von hellen Lichtern angestrahlten Portman Square weit über die grüne Lunge Londons. Der Verkehrslärm drang dumpf durch die Mehrfachverglasung.

Sie war müde, hundemüde, und morgen früh sollten bereits um 9.00 Uhr die komplizierten, zweisprachigen Verhandlungen beginnen. Ihr Rückflug war am gleichen Tag für 18.15 Uhr gebucht.

Schnell eine heiße Dusche, danach vom Zimmerservice noch ein kleiner Imbiss, und ab ins Bett. Mit dem Notebook auf den Knien nochmals die Unterlagen durchgehen, dann schlafen. Das war der Plan.

Sie stand vor dem kleinen, silbergrauen Koffer auf der Gepäckbank, noch immer in Gedanken mit der morgigen Besprechung beschäftigt. Die Schlösser klickten. Entgeistert starrte sie auf die vor ihr liegende bunte Urlaubsgarderobe. Mit spitzen Fingern hob sie das geblümte Sommerfähnchen an den Spaghettiträgern hoch. Gefühlte Größe 36. Daneben ein blassblauer Jogginganzug und ein paar blaue Turnschuhe.

Ein unfeines, zweisilbiges Wort floh von ihren Lippen.

Irgendwo in der Millionenstadt London betrachtete gerade ein braungebranntes, zierliches Persönchen ihr dunkelblaues, maßgeschneidertes Konferenzkostüm, Größe 48.

Sie erinnerte sich: Sie war spät dran, und über ihrem Sitz war die Ablage mit dem Handgepäck anderer Passagiere vollgestopft. Ärgerlich verstaute sie den kleinen Koffer ein paar Sitze weiter in einer freien Gepäckablage. Nach der Landung ging sie als Schlusslicht aus der Business Class von Bord, und der Flugbegleiter übergab ihr das letzte Gepäckstück.

Es sah aus wie ihr Koffer.

Sie atmete tief durch, griff zum Telefon und ließ sich mit Lufthansa Lost and Found verbinden.

Wo war ihr Koffer?

5. 1001 Gutenachtgeschichten

Tausendmal berührt

Tausendmal ist nix passiert.

Tausend und eine Nacht

Und es hat Zoom gemacht.

(Auszug aus dem Liedtext „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“, mit freundlicher Genehmigung von Edition Musikant Musikverlag GmbH, Songtext: Diether Dehm)

Die Sonne hatte den ganzen Tag gnadenlos vom Himmel gebrannt. Auch in der Dunkelheit war die Hitze noch immer unerträglich. Die Nacht umhüllte sie wie schwerer, schwarzer Samt. Die Sterne leuchteten durch das weitoffene Schlafzimmerfenster, ihr milder Schein schimmerte auf nackte Haut. Sehr viel nackte Haut.

Sein Blick fiel auf sie, und er stöhnte laut auf. Sie war unersättlich und ließ einfach nicht locker. Sie stürzte sich wieder und wieder auf ihn, war wie von Sinnen. Und kam - immer wieder.

Der Schweiß strömte ihm aus allen Poren, und sein Atem floh keuchend aus seiner Kehle. Gleich, gleich würde es passieren, musste es passieren. Sein Körper bäumte sich auf. Er schlug zu, hart und erbarmungslos.

Endlich hatte er sie erwischt. Triumphierend betrachtete er sie. Dann zerrieb er die Schnake genüsslich zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie würde ihn nicht mehr quälen.

6. Der Duft der weiten Welt

Aufgeregt knetete er die kurzen Finger in seinen abgearbeiteten, rauen Händen. Heute sollte sie endlich kommen. Den Vorschuss hatte er der Agentur bereits vor zehn Tagen überwiesen und das zerknitterte Foto, das er sich seit Wochen täglich angesehen hatte, steckte wohl verwahrt in seiner rechten Jackentasche.

Der Zug fuhr schnaufend in den kleinen Bezirksbahnhof ein. Schnell holte er das Foto raus und schaute es sich nochmals an. Klein, zierlich und langes, glattes, schwarzes Haar. So sollte sie aussehen, seine Zukünftige. Nun ja, das waren Äußerlichkeiten, die auf viele Asiatinnen zutrafen, aber das wusste Bauer Ollerbeck nicht. Er wusste nur, dass jetzt der angekündigte Zug einfuhr, mit dem sie eintreffen sollte.

Er war sehr aufgeregt. Ob er sie wohl erkennen würde? Egal, so viele Asiatinnen verirrten sich schließlich nicht auf dem kleinen Bahnhof in der Uckermark.

Und da war sie. Klein und zierlich, mit langem, glattem, schwarzem Haar. Genau wie auf dem Foto. Sie zog ein kleines Gepäckstück hinter sich her. Die Agentur hatte vorgeschlagen, dass sie probeweise für eine Woche mit ihm auf seinem Bauernhof leben sollte. Um ihn und seine Arbeit kennenzulernen. Und seine Mutter, die bei ihm lebte.

Die Agentur hatte von Anfang an klare Vereinbarungen getroffen: Die eine Hälfte der Vermittlungsgebühr war sofort zu zahlen, bei Zuneigung war die andere Hälfte fällig. Bei Nichtgefallen war die Anzahlung futsch.

Ollerbeck fuchtelte mit dem Blumenstrauß herum und machte winkende Bewegungen. Die kleine Chinesin Chen Lu kam mit einem schüchternen Lächeln in ihrem breiten Pfannkuchengesicht langsam auf ihn zu. Kurz vor ihm stoppte sie ganz plötzlich ab und schaute ihn entgeistert an. Dann wich sie zurück.

Ollerbeck bekam Panik. Was hatte er getan? Was hatte er falsch gemacht?

Zugegeben, er war nicht schön, aber er war auch nicht hässlich. Ein bisschen zu groß vielleicht für so eine kleine Asiatin und auch ein wenig grobschlächtig. Aber er hatte ein freundliches Gesicht, und auch sonst war alles an ihm dran.

Chen Lu rümpfte die Nase und lispelte in fast perfektem Deutsch: »Fählt del Bauel laus zum Jauchen, wild el nachts ein Deo blauchen.«

7. Casino Royal

Die spanische Casinokette hatte ganz neu gebaut. Spielsäle, Bars, Restaurants. In den Sälen Einarmige Banditen, Roulette, Blackjack und mehr. Eben das volle Programm.

Jeden Monat gab es zwei bis drei kulturelle Themenabende, die gerne besucht wurden. Mal waren es Tänzerinnen aus dem Orient, mal kulinarische Spezialitäten aus Übersee, mal eine Tombola mit Gewinnen. Sogar ein paar bekannte, inzwischen etwas in Vergessenheit geratene Show-Bizz-Größen traten spektakulär ihre letzten Tourneen an.

Ich kannte mich aus, ich war schon mal da gewesen. Wir durchquerten die Eingangshalle mit der integrierten Bar. Dort bestellten wir uns bunte Cocktails, mit und ohne Alkohol. Und beobachteten den Besucherstrom.

Zwei Drinks später passierten wir die Besucherkontrolle.

Wer zum ersten Mal die Spielhallen betritt, wird von dem hohen, sehr lauten Lärmpegel, dem flirrenden, gleißenden Licht und den mächtigen, bunten Spielautomaten fast erschlagen. Gleich am Eingang standen zwei Monstren, vier Meter hoch, die ohrenbetäubende Geräusche von sich gaben. Das hatte nichts mehr mit den Einarmigen Banditen zu tun, wie man sie von den alten, amerikanischen Filmklassikern kennt. Vollbusige, dürftig bekleidete Damen animierten in plakativen Farben und schrille, aufreizende Computerstimmen heizten zusätzlich zum Spielen ein. Die funkelnde Kolorierung war mit ätzendem Gehupe, ratterndem Geklingel und brüllender Musik untermalt. Die elektronischen Geräte überboten sich in einem fauchenden Lärmpegel. Hörschäden gratis.

Unser Freund Werner hatte sich fein gemacht und trug heute zum ersten Mal seinen neuen, maßgeschneiderten Anzug aus Hong Kong. Ich beäugte misstrauisch das glänzende Synthetikgewand unseres Freundes, das bei jeder Bewegung knisterte und gefühlte Funkenflüge verbreitete.

Ich flüchtete in den hinteren Teil zu Baccarat, Roulette und Blackjack. Da war es ruhiger. Ich setzte meinen 20 Euro-Chip irgendwo hin und verlor meinen gesamten Einsatz. Mehr als zwanzig Euro wollte ich nicht verspielen. Rien n’a va plus. Ich hatte fertig.

Angie und Werner konnten sich von den flirrenden und lärmenden Einarmigen Banditen, oder wie immer diese Monstren inzwischen heißen, nicht trennen. Sie amüsierten sich köstlich. Erst, um an den schrillen Maschinen ein paar Mal zu gewinnen, um dann alles wieder zu verlieren.

Werner hatte einen Spielautomaten entdeckt, den er noch nicht kannte. »Angie, den muss ich unbedingt ausprobieren. Hol mir bitte noch Spielgeld.«

Sie wechselte Euro in Chips.

Ich besuchte inzwischen die Räumlichkeiten für Damen. Als ich wieder zurückkam, setzte ich mich auf einen der wenigen Stühle und beobachtete entspannt das bunte Treiben.

Nach einer Weile ging ich zu den beiden an den Spielautomaten. Werner hatte gespielt, gewonnen, und auch alles wieder verloren. Er hatte einen unglücklichen Ausdruck im Gesicht. Ich versuchte ihn zu trösten: »Nimm‘s nicht so tragisch, Werner. Man muss auch mal verlieren können.«

Angie schaute mich mit einem seltsamen Blick an: »Ich glaube, du verstehst hier was miss.«

Wie, was gab’s hier misszuverstehen? Werner hatte eine beträchtliche Summe verloren. Angie auch. Aber das hätten sie sich vorher überlegen müssen. Mit dieser Konstellation musste man rechnen, das ist schließlich das Geschäftsprinzip dieser Spielcasinos. Ich verstand ehrlich gesagt nicht ganz, warum er sich das so zu Herzen nahm.

Ich versuchte es nochmal: »Es ist doch nur Geld. Und irgendwie habt ihr doch auch euren Spaß gehabt, oder?«

Werner ächzte: »Sogar großen Spaß, aber eben ist Schluss.«

Er versuchte aus dem Sessel herauszukommen. Vergeblich. Unser Freund Werner ist ein Genussmensch, und das sieht man auch. Er ist ziemlich groß, aber auch ziemlich rund.

Jetzt klemmte er fest. Diese brandneuen Hosen waren aus einem unbekannten Synthetikstoff aus dem Fernen Osten, der wie ein Zwei-Komponenten-Kleber zwischen Werner und dem Sessel saugte und klebte.

Er kam aus dem Plastiksessel nicht mehr raus. Jedes Mal, wenn er versuchte, sich aus dem Teil zu quälen, gab es ein fettes, schmatzendes Geräusch. Er pappte an dem Kunststoff fest, und bei jedem Versuch sich zu erheben, gab es oberpeinliche Töne.

Die Leute fingen bereits an zu gucken. Dicke Schweißperlen standen auf Werners Gesicht.

»Soll ich den Geschäftsführer holen?« Ich wusste keinen anderen Rat.

»Untersteh‘ dich.«

Angie hatte schließlich die rettende Idee: »Du zupfst jetzt Schicht für Schicht deine Klamotten nach oben. Und wenn das alles nicht hilft, öffnest du den Hosenlatz. Da muss Luft ran. Wäre doch gelacht, wenn wir dich da nicht rausbekämen.«

Werner bemühte sich - bis zum bitteren Ende.

8. Hermanns Siegeszug

Kennen Sie Hermann? Nein? Ich kannte ihn bis vor kurzem auch noch nicht. Genau genommen kannte ich ihn bis zu meiner letzten Geburtstagsfeier nicht. Aber ausgerechnet an meinem Ehrentag hatte ihn die laute Leonore mitgebracht.

Hermann schlug ein wie eine Bombe. Die anwesenden Damen waren hin und weg und himmelten ihn ausnahmslos an. Ehrlich gesagt, ich auch. Aber dass Hermann mir ausgerechnet an meinem Geburtstag die Show stehlen würde, das fand ich dann doch nicht so prickelnd.