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Ein Klassiker des legendären »Börsenaltmeisters« André Kostolany ist nun wieder erhältlich! In seinem wohl umfassendsten Werk setzt sich der Börsenprofi mit den wichtigsten Fragen des Geldanlegens auseinander. Er erklärt dem Leser auf seine unnachahmliche Art die Grundbegriffe des Börsenwesens, gibt tiefe Einblicke in die Geheimnisse der internationalen Finanzgeschäfte, schildert die kuriose Geschichte der Börsencrashs – er selbst hat über 15 solcher Krisen live miterlebt und mehr als einmal sein gesamtes Vermögen verloren – und gibt unersetzliche Ratschläge, um an der Börse erfolgreich zu sein. Verschiedenartigste Möglichkeiten der Geldanlage werden einer genauen Analyse unterzogen und auch zu den Entwicklungschancen unterschiedlichster Märkte weltweit äußert André Kostolany kenntnisreich seine Meinung. Ein Grundlagenwerk für Einsteiger und Fortgeschrittene, das in keiner ernsthaften Finanz-Bibliothek fehlen sollte.
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Seitenzahl: 446
ANDRÉ KOSTOLANY
Kostolanys Wunderland
ANDRÉ KOSTOLANY
Kostolanys Wunderland
VON GELD UND BÖRSE
Wie du an der Börse erfolgreich bist
FBV
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Für Fragen und Anregungen
1. Auflage der Neuausgabe 2023
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Archiv Gestenberg (Abb. Seite 31, 119, 271, 351)
AKG (Abb. Seite 73, 159, 219, 231, 311)
ISBN Print 978-3-95972-678-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-303-7
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Inhalt
Vorwort
Mein Börsenbrevier
Die Börse, mein Leben
Über Regen und Sonnenschein
Die Börse: Lebenselixier der Großen der Welt
Die kapriziöse Logik der Börse
Der Einfluss von Zinssatz und Regierungsentscheidungen
Inflation und Börse
Der Einfluss von Steuer- und Geldpolitik
Phasen zyklischer Bewegung an der Börse
Der Weg zum Erfolg: antizyklisches Handeln
»Wer das Kleine sehr ehrt, ist das Große nicht wert«
Der Spekulant: Stratege auf lange Sicht
Experten und Wunderrabbiner
Wie wertvoll sind Informationen aus »erster« Hand?
Die Charts: Fieberkurve einer Aktie
»Mist herein, Mist heraus«: über die Börsencomputer
Boom und Krach: Ein unzertrennliches Gespann
Geschichte der Börse ... auch meine Geschichte
Amerika wird bezahlen ... Die Katastrophe von 1557
Die Tulpenkatastrophe im 17. Jahrhundert
Die erste moderne Börse: Amsterdam
Londons Börse: Nervenzentrum eines unermesslichen Reiches
Der Bernie Cornfeld des 18. Jahrhunderts: John Law
Auf dem Weg zur ersten industriellen Revolution
Schwarzer Freitag 1869: Börsenkatastrophe in New York
Rückblick ins 19. Jahrhundert: die Gründerzeit
Vom Saulus zum Paulus
Die unruhigen 20er-Jahre der westlichen Welt
Der Baissier im Glück
Lachen, wenn andere weinen?
»Ein Börsianer und ein Musikus dazu«
»Geld ist vergänglich – Kunst ist ewig«
Börse und Leidenschaft
Liebe im Vorübergehen
Boulevardkomödie und ihr Corner
Die »Helden« der Börse
Im Wunderland von Geld und Börse
Präludium zum Heute: Pariser Börsenabenteuer 1939/40
Der Börsenpatriotismus der Pariser
Gewitterwolken über dem Wunderland
Die Währung: Spiegelbild unserer Tugenden und Laster
Spekulationen zum Schutz des Vermögens
Wenn aus Banken wieder Kaffeehäuser werden ...
Wer schützt wen vor wem?
Oasenländer – Schlaraffenländer
Über die »Seh«-Händler: Mein Gott, wie viel Mühe!
Der Weg zum Minikapitalisten: Beteiligung am Investment-Trust
Lacht der Fondsmanager, dann weinen die Kunden
Börsenschwindel mit Mischkonzernen
Offshore-Fonds, made for Germany
Wie das Publikum betrogen wird
Abschreibungsgesellschaften – made in Germany
Warum schweigt der Bundeskanzler?
Quousque tandem, Catilina ...
Komplizenschaft aus Ahnungslosigkeit
Die freie Welt: Spielkasino oder Devisenprofis
Gefahr für die freie Marktwirtschaft
»David« Kostolany gegen »Goliath« Dresdner Bank
»Mama Marx würde die Amerikaner bewundern.«
»Dies war nur der erste Streich ...«
Vergesst mir Amerika nicht!
Wird das Wunderland überleben?
»Mein« Reich, in dem – wie ich hoffe – die Sonne nie untergeht
Die Börse als Passion
Diese böse Börse ...
Über Börsenbesucher und Tagesspekulanten
Zaungäste der Börse
Juwel meines Herzens: die Börse von Paris
Außereuropäische Börsen
Barbara Silbiger: die Pythia von Ungarn
Mein kleiner Kreis der letzten Mohikaner
Die Börse: ein Reich, in dem – wie ich hoffe – die Sonne nie untergehen wird
Anhang
Immer Angst haben, nie erschrecken: André Kostolanys kleiner Börsenkatechismus
Abbildungsverzeichnis
Vorbemerkung
Die vorliegende Ausgabe von André Kostolanys Wunderland von Geld und Börse folgt der Erstveröffentlichung von 1982.
Der FinanzBuch Verlag hat sich entschlossen, den Text der Erstausgabe nicht durch Modernisierungen zu verändern, ist sich aber bewusst, dass einige Bemerkungen und Bezugnahmen Kostolanys sehr zeitbezogen und nur im historischen Kontext zu verstehen sind.
Vorwort
Von Aristoteles über Marx bis zu Johannes Paul II. haben die Denker dieser Welt eine Frage immer wieder leidenschaftlich erörtert: Ist der Besitz von und der Drang nach Geld moralisch gerechtfertigt oder nicht? Ein objektives Urteil ist unmöglich; es hängt von der philosophischen Einstellung eines jeden Einzelnen ab.
Eines ist sicher: Das Vermögen, Geld zu verdienen, und der Drang nach mehr Geld mögen zwar nicht immer moralisch einwandfrei sein, für den wirtschaftlichen Fortschritt aber sind beide unentbehrlich. Die Erfahrung der vergangenen 60 Jahre hat es ausreichend bewiesen.
Allerdings ist das Vergnügen, »Geld zu verdienen«, mit dem Vergnügen, »Geld zu besitzen«, nicht identisch. Die Motivationen sind ganz verschieden.
Dass der Mensch Geld besitzen will, ist natürlich. Es verhilft zur Unabhängigkeit und Bequemlichkeit, zu kleinen Freuden und oft zu Gesundheit.
Für die Mehrheit der Menschen freilich ist das Geldverdienen, da sie keines besitzen, ein Muss des Alltags. Für andere ist es ein Vergnügen, nicht des Geldes wegen, sondern weil es im authentischen Sinne des Wortes »verdient« ist. (Nur die deutsche Sprache bezeichnet das Geldeinkommen als »Verdienst«. Die Franzosen »gewinnen«, die Engländer »ernten«, die Amerikaner »machen« und die armen Ungarn »suchen« es.) Das Verdienen wird sogar zu einem Genuss, wenn man das Gefühl für eine Tätigkeit erhält, die einem auch Spaß macht.
Der Börsenspekulant erlebt gar einen wahrhaftigen Rausch, wenn er Gewinne mit Ideen einstreicht, die sich gegen die Meinung aller anderen als richtig erwiesen haben. Die Genugtuung, recht bekommen zu haben, ist für ihn eine noch größere Freude als das Geld selber. Viele sehen ein Vergnügen darin, flott Geld auszugeben, und stehen so ständig unter dem Zwang, immer mehr zu verdienen.
Der Roulettespieler hingegen genießt das Gewinnen. Aber schon sein zweitgrößter Genuss ist das Verlieren, denn sein Vergnügen ist der Nervenkitzel, nicht das Geld. Darum finden sich unter den Millionären auch die leidenschaftlichsten Glücksspieler, egal, mit welchen Summen sie ihr Glück testen.
Ihr Vergnügen ist die Herausforderung des Schicksals. Ich kenne einen, der Geld wie Heu hat, jedoch nie seine Fahrkarte in der Straßenbahn entwertet. Nicht die gesparte Mark, sondern das Risiko, ob er das Schwarzfahren ohne Buße überstehen wird, reizt ihn.
Komischerweise sind die Spieler, wenn ihnen das Glück zulächelt, die größten Protze und Lügner. Mit dem Gewinn geben sie an, die Verluste verschweigen sie. Und nach jedem geglückten Coup schauen sie triumphierend um sich, als wären sie die größten Genies.
Intellektuelle und Künstler finden neben den praktischen Vorteilen Vergnügen am Geldverdienen, weil es die offizielle Bestätigung ihres Erfolges ist. Es gibt Maler, Schriftsteller, Musiker, die reich zur Welt kamen. Ihr größter Genuss ist es dennoch, für ihre Bilder, Bücher oder Kompositionen hohe Beträge zu kassieren. Einer meiner alten Freunde kaufte über Strohmänner Bilder seiner Frau, damit sie Freude daran hatte, mit ihrer Kunst Geld verdienen zu können. Und selbst die reichste, schöne Frau wird mit Vergnügen für Modellfotos Honorare nehmen, sind sie doch der beste Beweis, dass sie tatsächlich schön und begehrenswert ist.
Zweifellos ist die Tatsache, honoriert zu werden, die größere Freude als das Geldverdienen. Ich selber machte diese Erfahrung. Als ich vor Jahren ein Buch veröffentlichte, das sich sehr gut verkaufte, waren mein Vergnügen nicht die zehn Prozent Autorenhonorar, sondern der zehnfache Betrag, den die Leser bereit waren, für meine Gedanken zu opfern. Schließlich hatte ich meine Ratschläge seit Jahren in den verschiedensten Kaffeehäusern der Welt gratis an Interessenten verschwendet. Hoffentlich wird mir dieses Buch eine ähnliche Freude bereiten.
Natürlich gibt es auch Menschen, die auf moralischen Erfolg und auf Anerkennung verzichten, die nur darin Vergnügen finden, ihr Geld, egal aus welchem Grunde und mit welchen Mitteln, zu vermehren. Für diese Art von Verdienern ist »das Geld wie das Meerwasser für den Durstigen. Je mehr er von der salzigen Flüssigkeit trinkt, desto durstiger wird er«, wie schon Schopenhauer sagte, und zum Schluss wird er sogar Millionär.
Die Definition des Wortes Millionär ist jedoch sehr delikat, denn alles ist relativ. Er ist ein »schwerer Millionär«, sagten einst die Wiener, »er hat mindestens 100 000 Gulden«. Das war zu dieser Zeit nicht einmal paradox, denn das Wort Millionär bedeutete nicht unbedingt, dass der Genannte tatsächlich eine Million besaß. »Millionär« stand - und steht wohl immer noch - für den reichen Mann, dem der geziemende Respekt gebührt, so wie er auch »ein Rothschild« oder »ein Krösus« heißt.
Ein Millionär in New York bedeutet nicht dasselbe wie der Begriff »Millionär« im heutigen Budapest. Dort gibt es auch Millionäre, aber nicht in Dollar, sondern in Forint.
Schließlich stellt sich die Frage: Besitzt der Betreffende ein Kapital von einer Million oder eine Rente, die der Rendite eines bedeutenden Kapitals entspricht? Wer im 19. Jahrhundert in Frankreich oder in England einen Mann als Millionär bezeichnen wollte, sagte nicht, welches Kapital, sondern wie viel Rente er besaß. Und wenn ein Mann schon über eine Rente oder über Kapital verfügt, stellt sich wiederum die Frage, wie groß seine Verpflichtungen, Lasten und Ansprüche sind.
Deshalb meine Definition: Ein Millionär ist derjenige, der dank seines Kapitals oder seiner Rente von niemandem abhängt, um seine Ansprüche zu befriedigen. Der nicht arbeiten und sich weder vor Chef noch Kunden beugen muss und jedem, der ihm nicht passt, Goethes Götz zitieren kann. Das bedeutet den größten Luxus im Leben. Der Mann, der so souverän leben kann, ist der wirkliche Millionär.
Ich bin nun sicher, dass die meisten meiner Leser mit dieser eigenartigen Definition des Millionärs nicht einverstanden sind. Klar, ich war ja auch nicht immer dieser Ansicht; erst in hohem Alter und nach vielen Jahrzehnten Lebenserfahrung bin ich zu diesem Schluss gekommen.
Die Millionärskandidaten sind ungeduldig. Sie wollen auf das große Geld nicht jahrelang warten. Nur solange wir jung sind, sagen sie sich, können wir von den Millionen profitieren, nicht erst, wenn wir an den Rollstuhl gefesselt sind. Nicht Unabhängigkeit ist das große Ziel; sie fühlen, wie es Goethe sagt: »Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste Gut.« Nicht nur den materiellen Luxus wollen sie genießen, sondern auch die Radioaktivität des Geldes spüren, nämlich die Servilität der anderen.
Für manchen bedeuten die Millionen auch Macht und Statussymbol. Es bringt ihnen Freunde, Heuchler, Komplimente, zieht Schmarotzer an und den Neid der Feinde. Ihr Wunsch ist: lieber tausend Neider als einen einzigen Bedaurer. Den Neid zu provozieren - das gehört auch zu den großen Genüssen des Millionärs.
Die Erfahrungen der vergangenen 30 Jahre bestätigen, dass man ein Millionär in kurzer Zeit nur durch drei Möglichkeiten werden kann:
durch Spekulation (mit Immobilien, Wertpapieren, Waren oder allen anderen Vehikeln, mit denen sich spekulieren lässt),durch eine reiche Heirat,durch eine glückliche Idee in Handel oder Industrie.Bei der Immobilienspekulation war natürlich die permanente Inflation der große Coup und auch der Wiederaufbau eines zerstörten Landes. Die leichten Kredite haben den Erfolg gebracht. Aber solche Gelegenheiten wiederholen sich nicht alle Tage.
Durch riskante Spekulationen mit Schiffen ist Onassis zu einem der am meisten bewunderten Millionäre geworden. Seine Spekulationen waren jedoch auf astronomisch hohen Krediten so waghalsig aufgebaut, dass er oft am Rande des Ruins stand, wenn die Frachtraten auf Talfahrt gingen. Im letzten Moment rettete ihn dann oft irgendwo ein kleiner Krieg, der die Frachtraten in die Höhe trieb. (Ich bin sogar der Überzeugung, dass Onassis und mehrere seiner schlitzohrigen Kollegen mithilfe von Schmiergeldern von Banken auch höhere Kredite erhalten haben, als der Substanzwert ihrer Schiffe war.)
Die Liste der neuen und spektakulären Erfolge ist lang; nicht nur waren die Ideen richtig und glücklich, sondern die große Sehnsucht nach Geld war der Motor. Das Geld geht zu dem, der es mit unbegrenzter Leidenschaft begehrt. Er muss vom Geld hypnotisiert sein wie die Schlange von ihrem Beschwörer. Glück braucht er natürlich auch dazu. Nur das viele Studieren und Lernen von Betriebswirtschaft und ähnlichen Pseudo-Wissenschaften ist überflüssig.
Wer wäre ein besseres Beispiel als »der reiche Grün«, wie man auch ohne Studien Millionär werden kann:
Als armer Mann bewarb er sich auf eine Anzeige hin um eine Stellung als Tempeldiener in Wien. Doch musste auch ein Tempeldiener zu jener Zeit schreiben und lesen können. Da Grün jedoch Analphabet war, bekam er den Posten nicht. In seinem Kummer nutzte er das kleine Trostgeld, das er für seine Reise bekommen hatte, um nach Amerika auszuwandern. In Chicago machte er Geschäfte. Mit den ersten kleinen Ersparnissen schuf er dann ein Unternehmen, das mit der Zeit immer größer und größer wurde. Ein Mischkonzern kaufte ihm sein großes Unternehmen ab, und bei der Vertragsunterschrift kam die große Überraschung: Grün konnte nicht unterschreiben. »Mein Gott«, sagte der Anwalt des Käufers, »was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie lesen und schreiben könnten!« - »Sehr einfach, Tempeldiener.«
Für diejenigen aber, die schreiben und lesen können, soll dieses Buch ein Reiseführer in das Land der Spekulation, in das Wunderland von Geld und Börse sein.
Wer dieses Wunderland betritt und sich darin bewegt, nur um des Geldes wegen, wer nur das Materielle darin vergötzt, dem versuche ich in meinem Buch - und sei es zum Teil auch nur mit kurz dahingeworfenen Aperçus - den Blick in eine andere Welt zu öffnen.
Die Börse ist nach meinen Erfahrungen ein Geschenk, das ich mir selbst gemacht habe, ein Stück meiner eigenen Freiheit. Und zu meinem eigenen Erleben dieser Freiheit gehören die Musik, die Literatur und vor allem die Freude am Menschen, an dem bescheidenen genauso wie an dem großen.
Und deshalb ist das folgende Bekenntnis durchaus selbstbewusst und stolz gemeint:
Finanzminister sein: kann ich nicht.
Bankier sein: will ich nicht.
Spekulant und Börsianer: Das bin ich!
Spekulieren? Die Frage wird mir oft gestellt. - Eventuell, das hängt von der Person ab.
Wer viel Geld hat, kann spekulieren; wer wenig hat, darf nicht spekulieren; wer gar keines hat, muss spekulieren.
Schnell und leicht kann man heutzutage ja fast nur noch durch Spekulationen reich werden. Und wenn man schon spekuliert, wie also soll man spekulieren? Wo, wann und womit?
Meine »hundertjährige« Erfahrung begrenzt sich auf die Börse. Ich wiederhole: hundertjährige. Ich sage es zwar aus Spaß, meine es aber durchaus ernst. Ich habe 55 Jahre persönliche Erfahrungen zu Gunsten und zu Lasten meiner eigenen Brieftasche gesammelt, und dazu kommt noch die 50-jährige Lebens- und Börsenerfahrung jener Kollegen, die, als ich noch zwanzig war, schon 70 Lenze zählten ...
Wie wäre es, wenn ich von der Börse, dieser verwünschten Welt, erzählen würde? La bourse, la borsa, la bolsa, die Börse, de Beurs ... Von Paris bis Mailand und Buenos Aires, von Frankfurt bis Petersburg ist dieses Wort weiblich, das ist zweifellos mehr als ein bloßer Zufall! Und was ist eigentlich die Börse? Diese »böse« Börse, die für die einen das Vermögen, für die anderen den Ruin bedeutet?
Für viele ist sie Monte Carlo ohne Musik, ein Casino, wo man sich während eines Abends eine runde Summe erspielen kann, in einer anregenden, nervenkitzelnden Atmosphäre. Für mich ist dies das Nervenzentrum, ja sogar der Motor des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich zwischen beiden, und sie ist etwas komplizierter, als man glauben möchte.
Ich spekulierte schon in allen Werten, Währungen und Produkten, Kassa und Termin, in der Wall Street, in Paris, Frankfurt, Zürich, Tokio, London, Buenos Aires, Johannesburg oder Shanghai. Ich spekulierte in Aktien, Staatsanleihen, inklusive denen der kommunistischen Länder, in Wandelanleihen, Währungen - ob sie nun stabil oder floating waren -, in dem Leder meiner Schuhsohlen, in Sojabohnen und allen Getreidesorten, in Wolle und Baumwolle, in dem Gummi meiner Autoreifen, in Eiern und Frühstücksspeck, in Kaffee und Kakao, den ich so liebe, in Whisky, in der Seide meiner Fliege, in allen Metallen, ob sie nun edel oder unedel waren.
Ich möchte nur hinzufügen, dass ich kein Preistreiber war, da ich nicht nur darauf spekuliert habe, dass die Preise steigen, sondern ebenso darauf, dass sie fallen würden. Kurz gesagt: Ich spekulierte in allem, je nachdem, wie sich der Wind drehte oder die Wirtschaft und die politische Lage es verlangten, in Hochkonjunktur und Depression, Inflation und Deflation, Auf- und Abwertungen, und - ich habe sie alle überlebt. Man muss das Gras wachsen hören, um jede Situation haarscharf beurteilen zu können.
Ein Schüler in einem meiner Börsenseminare stellte mir mal die Frage, ob ich meinem Sohn raten würde, Spekulant zu werden. »Gewiss nicht«, war meine Antwort. »Wenn ich einen Sohn hätte, sollte er Musiker werden. Ein zweiter Maler, ein dritter Journalist oder Schriftsteller. Aber der vierte«, setzte ich hinzu, »müsste unbedingt Spekulant werden, um die drei anderen zu ernähren.«
»Homo speculator« - was ist der Spekulant doch für ein merkwürdiger Mensch. Nicht jeder ist ein Spekulant, der beruflich mit der Börse zu tun hat.
Es gibt in der Welt einhundert- bis zweihunderttausend Börsenmakler, Anlageberater, Portfoliomanager, es gibt auf den Börsenparketts Kommis mit lauten Stimmen, und Millionen rund um die Welt, die das Börsenwetten zum Beruf erhoben haben und die zwischen Zahlen hin- und herflitzen, kaufen, verkaufen, kaufen, verkaufen ...
Dann gibt es auch Financiers, die Transaktionen über Abermillionen durchführen. Aber die Begriffe »Financier« und »Spekulant« sind nicht zu verwechseln.
Der Financier steckt ständig bis über beide Ohren in den von ihm initiierten Geschäften, er sichert sich Mehrheiten, plant Fusionen, baut Trusts auf, lanciert neue Industrien und führt vor lauter Aktivität ein sehr unruhiges Leben. Wenn er Unternehmen gründet, wendet er sich an die Börse, um sich das notwendige Kapital zu verschaffen. Auch die Kontrolle über jene Gesellschaften, über die er herrschen will, erhält er durch die Börse. In einem vertikalen Trust vereinigt er einander ergänzende Betriebe oder kombiniert raffinierte Mischgesellschaften. Sein Ziel bleibt immer eine bestimmte Transaktion, aber seine Käufe oder Verkäufe verursachen große Bewegungen, die sich auf die ganze Börse auswirken.
Der Spekulant bleibt passiver Zuschauer dieser Bewegungen, die er nicht verursacht, von denen er jedoch zu profitieren versucht. Welch fürstlicher Beruf! Und er denkt wie Horaz: »Glücklich jener, der weit von den Geschäften lebt.« Ohne Kontakt mit dem Publikum, ohne sich bei »niedriger« Arbeit die Finger schmutzig zu machen, weitab von Handelswaren und staubigen Lagerhallen, von tagtäglichen Auseinandersetzungen mit Kaufleuten und Geschäftemachern überlegt der Spekulant in völliger Versunkenheit; eingehüllt in den Rauch seiner Zigarre, sitzt er bequem in seinem Schaukelstuhl und denkt nach, fern von der Welt und ihrem Lärm. Sein Handwerkszeug hat er in greifbarer Nähe, es ist denkbar wenig: ein Telefon, ein Radio und ein paar Zeitungen. Aber auch dabei hat er sein Geheimnis: Er versteht zwischen den Zeilen zu lesen.
Er hat keine Angestellten und keinen Chef, er braucht nicht hierhin und dorthin freundlich zu grüßen, braucht keine nervösen Kunden zu ertragen wie der Bankier oder der Makler. Er muss niemandem etwas aufreden, er ist ein Edelmann, der über sich und seine Zeit frei verfügen kann. Und es ist nicht verwunderlich, dass viele Leute neidisch sind. Dennoch lebt er gefährlich und muss sich daran gewöhnen, wie ein Krokodil mit offenen Augen zu schlafen.
Sein Geist kommt niemals richtig zur Ruhe. Wie ein Orgelspieler zieht er mehrere Register zugleich, bedient verschiedene Klaviaturen und Pedale: Aktien, Anleihen, Währungen, Edelmetalle, Rohstoffe usw., aber seine Operationen ergänzen sich zuweilen. Die einen schützen vor den Risiken bei den anderen. Es gibt unzählige Varianten dieser Art. Und man findet fast nie zwei völlig identische Fälle.
Da seine Transaktionen ein zusammenhängendes Ganzes bilden, wird es für einen Laien gefährlich sein, dem Vollblutspekulanten bei einem dieser Engagements zu folgen. Es lässt sich nämlich nicht so einfach feststellen, zu welchem Zweck es unternommen wurde und in welchem Maße es eine andere Transaktion ergänzt. Was unverständlich oder regellos erscheint, ist in Wirklichkeit vollendet aufgebaut, nach einem System organisiert.
Bevor man die Börsenspekulation wirklich begreift und vielleicht ein klein wenig meistern kann, muss man viel Lehrgeld bezahlt haben. Ich möchte sagen, dass bei Spekulationen gewonnenes Geld Schmerzensgeld ist. Zuerst kommen die Schmerzen, dann das Geld.
Verblüffend sind oft die Ursachen, die erschütternde Ereignisse in der Welt der Finanzen auslösen. Oft haben sie damit direkt überhaupt keine Verbindung, wie zum Beispiel Liebesromanzen, politischer Ehrgeiz, persönliche Eitelkeit.
Böse Zungen behaupten, dass der Teufel die Börse erschaffen habe, um den Menschen zu zeigen, dass auch er, Gott ähnlich, aus dem Nichts etwas schaffen könne. Falsch! Nicht der Teufel hat die Börse erfunden. Sie ist spontan entstanden, unter einem Baum, an der Straßenecke oder in einem Caféhaus, um anschließend in ein Palais einzuziehen. Der Teufel hat dennoch mitgemischt: Er hat aus dem »Homo sapiens« den »homo ludens« gemacht, der die Börse oft in einen Spielsaal verwandelt.
Aber dieser Spielsaal spielt eine große Rolle in unserem kapitalistischen System. Denn seine Grundlage ist die Aktiengesellschaft, und die Börsenspekulationen sind sein Motor. Ohne Spekulationen wären die großen revolutionären Industrien (Eisenbahn, Automobil, Öl, Elektronik, Computer und Dutzende andere) nie zustande gekommen. Nur die Hoffnung auf einen spekulativen Kursgewinn und nicht auf einen Zinsertrag kann die zur Expansion nötigen Gelder den großen und kleinen Sparern aus der Tasche kitzeln. Diese Spargelder werden dann mittels der Börse durch die verschiedensten Investitionsmöglichkeiten in der Wirtschaft verteilt. Mit einem Wort, die Börse ist ein Instrument, Investitionen einzufrieren und jederzeit wieder aufzutauen, wenn der Anleger sein Kapital wieder benötigt. Und so erfüllt die Börsenspekulation (wenigstens im kapitalistischen Wirtschaftssystem) eine wesentliche Funktion. Auch wenn er es wegen des Spekulationsgewinnes tut, so stellt der Börsenspieler dennoch sein Kapital der Wirtschaft zur Verfügung.
Die Millionen Spieler und Parasiten an den Wertpapierbörsen haben also ihre Berechtigung. Und wenn sie nicht existieren würden, so müsste man sie erfinden. Je mehr Parasiten, desto größer und liquider der Markt, und desto besser werden Erschütterungen, sowohl bei Hausse- als auch bei Baissebewegungen, abgefangen und gedämpft. Bei jedem Kursrückgang von einer Fraktion melden sich neue Käufer, und dadurch schützen sie den Markt vor einem brutalen Rückgang. Bei jeder Kurssteigerung von einer Fraktion melden sich neue Verkäufer und wirken dadurch auch bei Haussebewegungen bremsend.
Ein Markt mit großem Umsatz verzeichnet sanftere Bewegungen als einer mit kleinem Umsatz, wie ein Automobilmotor mit sechzehn Zylindern viel sanfter läuft als mit vier. Die Schocks werden aufgefangen.
Die Spekulation hat es immer gegeben. Ihre Geschichte ist so alt wie die der Menschheit und bewegt sich parallel zu ihr. Spekulanten gab es schon, bevor die Börse das Licht der Welt erblickte. Wenn ich in einem Satz die Geschichte der Spekulation zusammenfassen wollte, müsste ich sagen: der »Homo ludens« wurde geboren, er hat gespielt, gewonnen oder verloren, und er wird nie sterben.
Darum bin ich auch der Überzeugung, dass nach jeder Börsendepression, in der die Menschen ein wahrer Ekel vor Aktien und der Börse befällt, wieder Zeiten folgen, wo alle Wunden der Vergangenheit vergessen sind und die Menschen sich wieder von der Börse anlocken lassen wie die Motten vom Licht. Und wenn sie es nicht aus eigenem Antrieb tun sollten, dann sorgt schon die hoch entwickelte Börsenindustrie dafür, und an erster Stelle der Köder Geld.
Ich könnte den »Homo ludens« und den Spezialfall der Börsianer mit einem Alkoholiker vergleichen, der nach einem schweren Rausch am nächsten Tag in seinem Katzenjammer beschließt, nie wieder ein Glas in die Hand zu nehmen. Aber am späten Nachmittag trinkt er doch wieder einen Cocktail und dann noch einen und noch einen, und um Mitternacht ist er wieder genauso betrunken wie am Abend zuvor.
Die Spekulation ist eine gefährliche Seefahrt zwischen Vermögen und Pleite. Man braucht ein seetüchtiges Boot und einen geschickten Steuermann. Was verstehe ich unter einem seetüchtigen Boot? - Geld und Geduld sowie Nerven. Und wer ist der geschickte Steuermann? - Derjenige, der die Erfahrung hat und souverän denkt. Balzac schrieb in seinem Traktat über das »Elegante Leben«, es gebe drei Arten von Menschen: Menschen, die arbeiten, Menschen, die denken, und Menschen, die nichts tun. Der richtige Spekulant ist derjenige, der denkt. Viele glauben allerdings, es sei jener, der nicht arbeitet.
Und was braucht er außerdem, um Erfolg zu haben? Die vier G des preußischen Generalfeldmarschalls von Moltke, die auch zur erfolgreichen Kriegsführung unerlässlich sind: Gedanken, Geld, Geduld - und natürlich auch Glück.
Der Beruf eines Börsenspekulanten ähnelt in vielem dem eines Journalisten. Beide leben von Nachrichten, indem sie die Erzeugnisse verfolgen, analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Der Journalist beschreibt und kommentiert sie, und der Börsianer liest sie - er liest aber auch zwischen den Zeilen und handelt danach. Nur: Der Journalist darf sich immer wieder irren und wird dennoch ein Journalist bleiben. Wenn der Börsianer sich aber zu oft irrt, bleibt er nicht länger Börsianer ... Ich habe die größte Hochachtung vor Journalisten, ich finde ihren Beruf so faszinierend, dass ich ihn in meinen alten Jahren selbst ergriffen habe. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass das Risiko eines Journalisten dem Risiko eines Börsianers nicht gleichkommt, da das Schicksal des Letzteren eher mit dem eines Seiltänzers zu vergleichen ist.
Eines aber haben beide Berufe gemeinsam: Sie wissen zwar nur »parvum omnibus ex toto nihil«, verlangen aber Scharfblick, eine gute Allgemeinbildung, Lebenserfahrung und die unumgängliche Leidenschaft für den Beruf.
Zum Spekulanten oder Journalisten wird man geboren, ebenso wie man als Philosoph - und sei es auch als Philosoph in der Westentasche - geboren wird. In jedem Augenblick geschieht etwas Neues auf der Welt: Kriegsnachrichten aus dem Nahen Osten, Feindschaften und Freundschaften zwischen arabischen Staaten, Rauschgift- oder Rassenprobleme in Amerika, Weiterentwicklung der Massenmedien, Wahlen in Japan, Streiks in Polen, Revolution in der Frauenmode, die Entwicklung der Fischerei in Island, Forschungen über Lungenkrebs und so weiter. Die Summe all dieser Ereignisse ist das Weltgeschehen, die Weltgeschichte.
Mein kleines Leben hat sich in unmittelbarer Nähe dieser Weltgeschichte abgespielt, eben weil ich von der Börse gelebt habe. Alle großen und kleinen Ereignisse haben sich auf die Börse ausgewirkt, und die Börse auf meine Brieftasche. Paradoxerweise blieben mir allerdings meine ersten Verbindungen mit der Börse eigentlich in schlechter und schmerzhafter Erinnerung.
Marienbad, Sommer 1914. Damals weilte unsere Familie zur Kur in diesem idyllischen Badeort inmitten des Böhmerwaldes. Wir wussten es noch nicht, aber es war die Abendröte der k. u. k. Monarchie, und jeder lebte in der sorglosen Beschwingtheit, die großen Katastrophen voranzugehen pflegt.
In diese Friedensatmosphäre fielen wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Revolverschüsse von Sarajewo. Plötzlich begann es nach Pulver zu riechen.
Von Panik ergriffen, stoben die Kurgäste in alle Länder der Monarchie unter dem Doppeladler auseinander. Meine Eltern beschlossen zu bleiben, um die Kur zu beenden. Auf der Kurpromenade diskutierte man unter den Klängen der Militärkapelle mit Freunden über die neuesten Nachrichten aus Paris, Berlin und Sankt Petersburg.
Trotz der ernsten Lage hatte die Börse nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt. Man stürzte sich auf die Gazetten aus Wien und Budapest, um die neuesten Börsenkurse zu verfolgen. Ein wahres Spekulationsfieber setzte ein. Auf dieser Welle wurden einige reich (diejenigen, die in Waren spekulierten), andere hingegen, die sich groß in Wertpapieren engagiert hatten, gingen zugrunde.
An den Warenbörsen stürzte man sich auf die Produkte, die im Kriegsfalle nicht mehr eingeführt werden konnten. Man spekulierte in Kakao, Vanille, Pfeffer, aber auch in Raffia, einer Hanffaser, die dazu dient, die Weinreben festzubinden.
Mein Bruder Emmerich, damals ein junger Angestellter in einer Großbank, wurde ebenfalls von diesem Fieber erfasst und spekulierte mit einigen Freunden in Raffia. Zunächst schien auch alles gut zu gehen. Doch als Feldmarschall Hindenburg die Russen bei Tannenberg in Ostpreußen schlug, kam es in allen Warenkursen zu einem starken Rückschlag, da man glaubte, der Krieg würde in kürzester Zeit zu Ende sein. Emmerich verlor sein ganzes Geld und war außerdem schon seit Langem bei der Bank verschuldet. Als er in dieser dramatischen Situation von Selbstmord zu sprechen begann, musste mein Vater seine Schuld begleichen, um die drohende Tragödie abzuwenden. Seither wurde das Wort »Raffia« in unserer Familie nicht mehr erwähnt.
Kaum war diese unglückliche Spekulation liquidiert, da nahmen die Ereignisse an der Front und an der Börse abermals eine Wende. Die Franzosen hatten die Marineschlacht gewonnen, und man rechnete nunmehr mit einem langen Krieg. Die Raffiafaser begann wieder zu klettern, aber leider für uns zu spät. So habe ich schon früh gelernt, dass an der Börse die Dinge zuerst immer anders kommen, als man denkt, und erst später so eintreffen, wie man es gehofft hatte. Wenn man an der Börse trotzdem Gewinne macht, so ist dies ein »Schmerzensgeld«; zuerst kommen, wie gesagt, die Schmerzen, dann das Geld.
Die Welt von Marienbad mit ihrer Promenadenmusik und den internationalen Kurgästen ist längst versunken, wie auch die Börse von Budapest. Mein Bruder und meine Eltern sind längst tot. Gemessen an den ungeheuren Spekulationen von heutzutage erscheint die damalige Raffiaspekulation mikroskopisch klein. Die Summe, die mein Bruder verlor und die beinahe eine Tragödie ausgelöst hatte, war nicht höher als heute die Zeche eines lustigen Abends eines Wall-Street-Bonzen. Aber die Geschichte bleibt mir als wehmütige Erinnerung.
Eine andere Begebenheit war weniger dramatisch, aber genauso lehrreich.
Es geschah im Budapest meiner Kindheit, und ich war gerade in dem Alter, in dem man mit Murmeln spielt. Im täglichen Leben des damaligen Ungarn erstrahlte die Getreidebörse in einem ganz besonderen Glanz: Das Land war Großproduzent von Brotgetreide, Mais und Hafer. Es war der lebhafteste Markt von ganz Europa. Man machte hier gewaltige Umsätze, Telegramme aus Übersee, Verkaufsund Kauforders ergossen sich über die Stadt und gaben ihr einen ungewöhnlichen Auftrieb. Die Riesengeschäfte boten auch Gelegenheit zu Spekulationen kleineren Umfangs, an denen sich jedermann beteiligen konnte, und das war etwas, was der fröhlichen Mentalität des Ungarn sehr lag.
Das Getreide war also »in aller Munde« und genauso alles, was seinen Kurs beeinflussen konnte. Das Hauptelement bei diesem Spiel war das Wetter, die Farbe des Himmels, die zu starke Sonne, die die Ernte gefährdete, oder der Regen, der sie verbessern würde.
Der Kurs stieg oder fiel wie der Wetterfrosch auf den Sprossen seiner Leiter, je nach den Wetterberichten. Auf den in der Stadt so zahlreichen Caféhaus-Terrassen an den Straßenecken hielt man, besonders in jenem überaus trockenen Sommer, eifrig nach Wolken Ausschau. Denn wenn kein Regen fiel, war die Haferernte in Gefahr. Sogar die hohen Militärs machten sich Sorgen, weil damals dem Hafer die Rolle zukam, die das Benzin in einer modernen Armee spielt. Zu den meteorologischen Kümmernissen des Augenblicks gesellte sich eine neue Sorge: das Fußballspiel, das die ungarische Elf gegen die österreichische Nationalmannschaft austragen sollte.
Es ging um die sportliche Ehre, die jedermann als ein schwerwiegendes persönliches Anliegen betrachtete. Dem so lang erwarteten sportlichen Ereignis gelang es sogar, die lähmende Schwüle dieses heißen Sommers zu überwinden.
Ich war doppelt erregt. Es war mein erstes wirkliches Fußballspiel, und darüber hinaus sollte ich zu diesem neuen Vergnügen von meinem Lieblingsonkel mitgenommen werden.
Am Morgen des Wettspiels sprang ich Hals über Kopf aus dem Bett, um den Himmel zu begutachten. Aber ach, der Horizont war ganz bezogen, eine Menge grauer Wolken kam herauf, getrieben von einem regenbringenden Wind, die Luft war schwer, man hörte schon fast den Donner grollen. Ich wurde von Unruhe ergriffen, ebenso wie mein Vetter, der auch zum Sportfest mitkommen sollte.
Den ganzen Vormittag über verschlimmerte sich die Lage immer mehr, und im selben Maß wuchs unsere Enttäuschung. Dennoch trafen wir zur festgesetzten Stunde bei unserem Onkel ein und waren überzeugt, dass er ebenso betrübt sein würde wie wir. Welche Überraschung! Seine Augen strahlten, er lächelte glücklich und zufrieden und rieb sich die Hände, als sei ihm gerade ein guter Coup gelungen. Gewöhnlich war er nie hässlich zu Kindern, nicht einmal im Scherz. »Meine lieben Jungen, welch ein schöner Tag, seht nur, es regnet in Strömen, das Fußballspiel ist abgesagt.«
Meinem Vetter und mir verschlug es die Sprache. Kein Fußballspiel! Und er wagte es, von einem schönen Tag zu sprechen. So viel Gemeinheit war uns unverständlich. Und mit noch größerer Grausamkeit fuhr er fort: »Das ist wirklich fabelhaft, dieser Regen ist prächtig!« Es war nicht zu glauben. Dann rief er: »Ihr versteht aber auch gar nichts. Der Regen ist ein Glück! Morgen wird der Hafer an der Börse fallen. Ich habe seit Wochen darauf gewartet.«
Der Onkel hatte recht, am nächsten Tag gab es einen Kurssturz in Hafer, die Ernte war gerettet. Diejenigen, die auf Baisse spekuliert hatten, konnten den erwarteten Gewinn einstreichen, und die Militärs waren beruhigt - alles auf Kosten unseres Fußballspiels. Dieses ins Wasser gefallene Vergnügen hatte die Börse auf dem Gewissen, aber damals schwor ich mir, zu gegebener Zeit Rache dafür zu nehmen.
Ich nahm das Spiel auf. Bei den Zickzackkursen der Baumwolle zitterte ich, während ich den Himmel über New Orleans beobachtete. Vor der Getreideernte erforschte ich den Wind im Mittelwesten, ehe ich in Chicago kaufte oder verkaufte.
Einige Jahrzehnte nach meiner Erfahrung mit dem Hafer begriff ich dann auf einmal, warum die Warenbörse in Paris von Zeit zu Zeit blauzumachen schien. Ich beobachtete eines Tages, wie diese sehr würdigen Herren, Bevollmächtigte großer Zuckerfabriken, in einem fort hin und her liefen. Sie gingen in aller Eile hinaus, betrachteten mit sorgenvoller Miene den Himmel, dann begaben sie sich schleunigst wieder in das graue Gebäude. Fakt ist, dass der Regen die Rüben wachsen lässt, aus denen man Zucker macht. Klärte sich der Himmel auf, dann stieg der Zucker; ein paar Regentropfen, und die Kurse fielen.
Paris war schon lange vor dem Ersten Weltkrieg - und niemand weiß, warum - das Schlachtfeld des Zuckers, die bedeutendste Zielscheibe der internationalen Spekulation an der Warenbörse. Ein leidenschaftliches Spiel vollzog sich hier unter dem Taktstock großer Inspiratoren, denen die schönen Tage der »belle epoque« zu verdanken waren. Das ging so weit, dass die Regierung in dem Augenblick eingreifen musste, als einer der Könige des Marktes, der Direktor der ägyptischen Zuckerfabriken, Crosnier, Bankrott machte. In der auf den Börsenkrach folgenden Nacht fiel der Zucker von 33 auf 16 Francs, was alle Transaktionen bei diesem überaus wichtigen Nahrungsmittel über den Haufen warf und eine Neuordnung der Verhältnisse erforderlich machte.
Es ist immer die gleiche Melodie - Regen oder Sonnenschein! Das bedeutet eine Hausse von fünf Prozent beim Zucker, beim Getreide, bei allen Rohstoffen, die Wettereinflüssen unterliegen.
Die Natur schreitet manchmal in noch brutalerer Weise ein und macht aus einem simplen Vorgang ein Drama. Ich denke dabei nicht an außergewöhnliche Ereignisse wie Erdbeben oder Überschwemmungen, sondern an atmosphärische Einflüsse, die sich in gewissen Gebieten der Erde fast tagtäglich bemerkbar machen und manchmal die Quelle wahrer finanzieller Katastrophen sind.
Einige Schweizer Banken erinnern sich noch heute an einen donnernden Finanzkrach in den 50er-Jahren, als eine Finanzierungsgesellschaft ihre Zahlungen einstellen musste, nur weil das Barometer gefallen war.
Folgendes hatte sich ereignet: Eine Gruppe, die zu den ganz großen Rohstoffhändlern gehörte, hatte bei einem vielfach verwendbaren landwirtschaftlichen Erzeugnis, Kopra, auf Baisse spekuliert. Kopra, das getrocknete Kernfleisch der Kokosnuss, gibt jenen flockigen Schaum, der die gute Qualität gewisser Seifenmarken garantiert; außerdem ist Kopra der Hauptbestandteil der Margarine. Diese Gesellschaft hatte an den holländischen Trust »Unilever«, ihren größten Kunden, eine enorme Menge Kopra verkauft. Sie erwartete, als der Koreakrieg beendet war, eine allgemeine Baisse für sämtliche Rohstoffe, und insbesondere für diejenigen aus dem pazifischen Raum. Sie wollte also die Kopraernte der Erzeugerländer vor dem für die Lieferung festgesetzten Datum billig aufkaufen, das heißt zu einem Einkaufspreis, der ihr eine bedeutende Gewinnspanne sicherte. Das ist das klassische Schema der Baisse-Spekulation.
Nun geschah es aber eines Tages, dass der Taifun »Isabella« die Philippinen heimsuchte, das Haupterzeugerland, und dass alle schönen Kalkulationen innerhalb weniger Stunden von den Fluten fortgespült wurden, die fast die gesamte Kopraernte vernichtet hatten. Unsere Schweizer Gesellschaft hatte die größten Schwierigkeiten, die versprochene Ware zu beschaffen, die sie nicht kaufen konnten, weil es praktisch keine mehr gab. Der Mangel an Kopra ließ natürlich den Preis emporschnellen. Wer einen Lagervorrat besaß, diktierte nach Gutdünken den Preis, und die Gesellschaft musste sich fügen. Die Transaktion schloss mit Verlusten ab, die zehn Millionen Schweizer Franken überschritten und für einen Augenblick die Banken, welche die Bürgschaft gegenüber dem Käufer übernommen hatten, in Schwierigkeiten hätten bringen können.
Kleine Ursachen, große Wirkungen - all das, im Grunde genommen, weil man das Fell des Bären verkaufen wollte, ehe man ihn erlegt hatte.
Börsensaal in Konstantinopel - Zeit vor dem 1. Weltkrieg
Dieses Sprichwort bringt mich darauf, dass ich eine Redensart erklären sollte, die sich über die Bereiche der angelsächsischen Börsen hinaus, wo sie ursprünglich entstanden ist, eingebürgert hat. Man nennt denjenigen »bearish« oder einfach »bear«, Bär, der mit der Baisse rechnet und sich auf die Baisse verlässt. Er verkauft heute zu einem bestimmten Preis eine Ware - (oder ein Wertpapier) -, die er noch gar nicht besitzt und die er sich erst später besorgen wird. Seinen eigenen Kauf stellt er zurück, weil er glaubt, dass der Preis, den er morgen zahlen muss, niedriger sein wird als der heutige. Wenn das Sprichwort von dem Mann, der das Fell des Bären verkaufte, bevor er ihn erlegt hatte, dabei dem Buchstaben nach gewissermaßen verzerrt ist, bleibt der Sinn doch derselbe: der »bearish«-Börsianer verkauft wie der Jäger das, was er noch nicht geschossen hat.
Dem Bären gegenüber erhebt sich »bull«, der Stier: Das ist derjenige, der voranstürmt wie das seine Kraft kennende Tier, das alles, was sich ihm in den Weg stellt, mit seinen Hörnern himmelwärts schleudert. In den Wandelgängen der Wall Street genügt es, wenn zu der Stunde, die der Erforschung der Stimmungen dient, ehe der Vorhang sich hebt, jemand sagt: »Heute bin ich ›bull‹, mein Lieber«, um zu verstehen, dass der Gesprächspartner in einem Haussestrom zu schwimmen gedenkt.
Diese Ausdrücke sind nicht nur in London und New York gang und gäbe, sondern an allen Börsen der Welt, wo kein Mensch es verstehen würde, wenn man von einer »stierischen« Lage spräche, wo aber jedermann weiß, dass eine »bullish« Tendenz ein beruhigendes Vorzeichen ist.
An allen Börsen der Welt bieten sich die bulls und die bears herausfordernd die Stirn und bekämpfen sich mit häufig recht wilden Methoden. Der Kampf verzehnfacht ihre Kräfte, der Stier sucht den Bären zu Boden zu schlagen, der seinerseits auf den Augenblick wartet, um jenen mit seinen starken Tatzen noch sicherer zu erwürgen. Der Ausgang des Kampfes hängt nicht allein von der Ausdauer der beiden Gegner ab, auch nicht nur von ihrer Stärke. Ganz andere Kräfte, auf die wir später noch zu sprechen kommen, nämlich strategischer, taktischer und sogar weltpolitischer Art, schalten sich vor der Stunde des Sieges noch ein.
Im Zeichen der Spekulation und unter dem Wappenschild der Börse stehen sich also die feindlichen Brüder gegenüber, der Stier und der Bär, und jeder von beiden versucht, den Sieg zu erringen.
Was ist eigentlich Börsenwissen? Der französische Staatsmann und Schriftsteller Edouard Herriot sagte von der Kultur, sie sei das, was übrig bleibe, wenn man schon alles vergessen habe. Ähnlich geht es mit der Börse. Der Börsianer ist keine Enzyklopädie, die Jahresbilanzen, Dividenden, Kurse, Geschäftsberichte, Statistiken speichert. Das alles wird viel sicherer in einer Bibliothek oder in einem Computer aufbewahrt. Das echte Börsenwissen ist das, was übrig bleibt, wenn man alle Details vergessen hat. Man soll nicht alles wissen, sondern alles verstehen und im passenden Augenblick die Zusammenhänge richtig deuten und entsprechend handeln. Man muss alle Ereignisse wie ein Radargerät auffangen, die Zusammenhänge richtig interpretieren und: selbstständig denken!
Wenn ich den Ausdruck »Spekulant« verwende, so meine ich ihn im noblen Sinne des Wortes. Der berühmte amerikanische Financier, Staatsmann und persönliche Finanzberater von vier amerikanischen Präsidenten, Bernard Banult, bezeichnete einmal vor einem Untersuchungsausschuss des amerikanischen Kongresses seinen Beruf als den eines »Spekulanten«.
Zur Familie der Spekulanten gehörten viele berühmte Persönlichkeiten der Geschichte. Den ersten Spekulanten findet man schon in der Bibel. Es war Joseph von Ägypten, der sich halsbrecherischen Spekulationen hingab. Der ebenso begabte wie einsichtige Finanzberater des Pharao zog aus dessen Traum von den sieben fetten und sieben mageren Jahren die richtigen Konsequenzen. Während der fetten Jahre speicherte er große Getreidevorräte, um sie dann während der folgenden mageren Jahre bei hohen Preisen wieder auf den Markt zu bringen. Allerdings weiß man bis heute nicht, ob er schon vor viertausend Jahren der geniale Vater der Planwirtschaft wurde, der Überschüsse einlagerte, um das spätere Erntedefizit zu decken, oder ob er nur schlicht und einfach - »honi soit qui mal y pense« - der erste Spekulant der Geschichte war, der die Wäre aufkaufte, um sie später teuer zu verkaufen.
Im alten Athen spekulierte man mit Münzen. (Diese Art von Spekulation ist heute wieder in Mode, nur nennt man diese Spekulanten jetzt »Numismaten«. Sogar im Ostblock treffen sie sich einmal wöchentlich offiziell, um ihre Münzen zu veräußern oder zu kaufen.) Die Geldleute wurden Trapezoi genannt, das heißt Trapezkünstler, weil sie hinter einem kleinen trapezförmigen Tischchen saßen und darauf ihre Geldstücke zur Schau stellten. Genau wie heute. Man könnte in diesem Namen auch ein Symbol sehen. Sind nicht die Akrobaten des Geldwesens wahrhafte Trapezkünstler? Die gewagten Geschäfte eines dieser antiken Finanzakrobaten hatten eine Reihe von finanziellen Katastrophen und Preisstürzen ausgelöst. Sein Name Phormion ist zwar nicht unsterblich geworden, aber er gab dem größten Redner des Altertums, dem Rechtsanwalt Demosthenes, den Anlass, die erste leidenschaftliche Verteidigungsrede für die Spekulation zu halten - sicherlich ohne die berühmten Kieselsteine im Mund.
Auch im alten Rom, dem Finanzzentrum des Mittelmeerraums, blühte die Spekulation. Man spekulierte groß in Getreide und Waren. Die leidenschaftliche Politik Catos, der die Zerstörung Karthagos betrieb, bereitete den Spekulanten seiner Zeit viel Kummer. Karthago war die Kornkammer der damaligen Welt, und als die Soldaten des Generals Scipio in die zerstörte Stadt einzogen, plünderten sie die Lagerhäuser und Silos. Rom fielen Tausende von Tonnen Getreide zu, zusätzlich zu seiner eigenen Ernte. Die Preise kamen zunächst ins Gleiten und stürzten schließlich senkrecht in die Tiefe. Viele Spekulanten verloren dabei ihr Vermögen. Man sprach schon von Zahlungsschwierigkeiten einiger Stammgäste des Forum Romanum. (Ein Vergleich mit den Jahren 1981/82 liegt auf der Hand. Die amerikanische Hochzinspolitik verursachte einen Riesenkrach in allen Rohstoffen, und Hunderte von Firmen wären zahlungsunfähig geworden, hätten die Regierung und andere Mammutunternehmen sie nicht unterstützt.) Auf dem Forum versammelten sich die reichen Bürger in der Nähe des Janustempels, um ihre Geschäftstransaktionen zu besprechen. Und hier holte sich Dr. Cicero, der prominenteste Anwalt seiner Zeit, die Tipps für seine verschiedenen Spekulationen in Grundstücken, Münzen und Waren.
Nach einigen Finanzabenteuern ist es ihm gelungen, ein ansehnliches Vermögen zusammenzubringen. Durch seinen Ruhm und seine Persönlichkeit hat er der Spekulation in Rom Auftrieb verliehen. Er sagte schon damals, das Geld sei der Nerv der Republik, und war überzeugt davon, dass die Spekulation der Motor der Vermögensbildung sei. Und er handelte auch danach. Täglich traf er auf dem Forum Roms Hochfinanz und durchreisende Kaufleute. Er spekulierte mit Grundstücken sowie Bauprojekten und mit Beteiligungen an Steuerpächtern, eine damals sehr beliebte Investition. Als Senator kam er leicht an Insider-Informationen über die römische Stadtplanung, was ihm bei seinen Spekulationen so hilfreich war.
Auch Sir Isaac Newton, der unsterbliche Entdecker der Gravitationsgesetze, hat sich in der Börsenspekulation versucht. Allerdings mit Misserfolg, sodass es schließlich sogar verboten war, das Wort Börse vor ihm auszusprechen.
Voltaire plauderte mit seiner Freundin stundenlang über Wertpapiere und Geld. Er spekulierte auch in Getreide und Grundstücken. Berühmt wurde er dann als spekulativer Devisenschieber: Während des Erbfolgekrieges wurde in Sachsen eine Bank gegründet, die den Krieg mit Notenemissionen finanzieren sollte. Nach dem Krieg verloren diese Noten 40 Prozent ihres Wertes. Friedrich der Große forderte aber eine hundertprozentige Einlösung in Silbertalern aller in preußischem Besitz befindlichen Noten. Voltaire ließ diese Noten in Dresden aufkaufen, sie in Koffern (schon damals!) nach Preußen schmuggeln und von dort aus durch Strohmänner von Dresden Silbertaler fordern.
Beaumarchais, Casanova, Balzac waren leidenschaftliche Börsenspieler. Balzac brauchte sehr viel Geld für seinen Lebensstil. Darum schrieb er Romane, Kurzgeschichten, Essais, kurzum, alles, was Geld brachte. Und so wurde er auch Spekulant und war häufiger Gast bei Baron Rothschild, um Tipps zu erlauschen. Der Philosoph Spinoza und der Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo waren neben ihren wissenschaftlichen Tätigkeiten begeisterte Spekulanten.
Und wie könnte ich Lord Keynes, den größten Nationalökonomen des 20. Jahrhunderts, in dieser Reihe übergehen, unter dessen Porträt die britische Regierung folgenden Text setzen ließ: »John Maynard Lord Keynes, dem es gelungen ist, sich ohne Arbeit ein Vermögen zu schaffen«.
Vielleicht verdanken wir die schönsten Bilder Paul Gauguins seiner Pleite an der Börse. Nach seiner unglücklichen Karriere als Makler und Spekulant an der Pariser Börse musste er, mit Schulden beladen, nach Tahiti fliehen.
Ich habe mit börsenbesessenen Berühmtheiten auch persönliche Erfahrungen gemacht. Obwohl ich Börsianer war, schlug ich Ende der 20er-Jahre mein Quartier in dem Pariser Künstlerviertel Montparnasse auf. Im dichten Tabakqualm des Café Dome traf ich oft den großen japanischen Maler Foujila. Trotz der zwei Blondinen, die ihn begleiteten, versäumte er es nie, als Erstes zu fragen: »Nun, mein lieber Kosto, was gibt’s Neues an der Börse?« Und in einer anderen Ecke unterbrach Ernest Hemingway seine literarischen Debatten, um die letzten Nachrichten aus der Wall Street zu hören.
Und erst Fritz Kreisler, der große Komponist und Geiger! Ich habe ihn, sein Werk und sein Spiel so tief bewundert. Oft habe ich mich persönlich mit ihm unterhalten, und gerne hätte ich ihn über Musik und Musiker reden gehört. Er aber bedrängte mich um meine Weisheit, denn sein größtes Problem war immer wieder, ob man im Markt bleiben oder alles abstoßen sollte. Er dachte sicherlich, dass ich ein besseres Ohr für die Dissonanzen an der Börse hätte als er. Allerdings hatte er mir gegenüber einen enormen Vorteil. Er konnte seine Börsenverluste vom Vormittag abends mit der Geige wieder »erspielen«.
Bis heute ist mir ein langes Ferngespräch mit meinem guten Freund Emmerich Kalman in Erinnerung. Er war nicht nur einer der Größten der Wiener Operette, sondern interessierte sich auch leidenschaftlich für Börsentransaktionen. Bei diesem Ferngespräch zwischen Paris und Wien Anfang der 50er-Jahre stellte er mir, seinem Finanzberater, die Frage, ob es vom Anlagestandpunkt aus richtig wäre, Aktien für 100 000 Dollar zu verkaufen (nach der Kaufkraft von heute wäre es eine halbe Million Dollar), um bei Cartier im Gelegenheitskauf einen Diamanten für seine Frau Vera zu erstehen. Nolens volens musste ich ja sagen, denn eine Stunde zuvor hatte mich Vera ebenfalls aus Paris angerufen und mich gebeten (mit der Begründung, dass alle ihre Freundinnen schon einen besonders schönen Diamanten besäßen, nur sie nicht), ihrem Mann zu dieser Anlage zu raten. (Ihr Argument war ja nicht ganz falsch.) Einige Tage später schmückte der Ring die zarten Finger der schönen Vera Kalman.
Vernunftgemäß wäre es vielleicht besser gewesen, IBM oder XEROX zu behalten. Aber man kann sich natürlich die Frage stellen, ob das Vergnügen, einen so seltenen Ring zu besitzen, ihn zu tragen und den vor Neid zerspringenden Freundinnen zu zeigen, nicht mehr bedeutet als ein Börsengewinn. Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass es für einen Mann viel ungefährlicher ist, wenn sich seine Frau oder Freundin in Juwelen, Pelze etc. verliebt als in ein Bankkonto. Denn Juwelen und Pelze haben Grenzen, ein Bankkonto jedoch nie.
Nach dem Krieg hatte ich das große Glück, in der Schweiz meinem Idol im Reich der Musik, Richard Strauss, zu begegnen und sein Freund zu werden. Oft saßen wir im Verenahof in Baden bei Zürich beim Essen beisammen, und ich lauschte begierig, ein Wort des Meisters über Musik zu vernehmen. Aber vergebens. Man sprach nur über Geld, und seine Frau Pauline wollte alles über die Börse wissen.
Das Phänomen Börse reizt nun einmal die Menschen. Folgende Geschichte scheint mir typisch. Mein guter Freund Janos H. aus Budapest war oft mein Gast an der französischen Riviera. Er war ein Mann von großer Kultur und besonders in der französischen Literatur bewandert. Ich wollte ihm eine besondere Freude machen und lud meinen Freund und Nachbarn, den französischen Schriftsteller und Goncourtpreisträger M. C., ein. Letzterer war zudem Kunstkritiker und Professor der französischen Literatur in Amerika. Ich wollte eigentlich vor dem Franzosen mit meinem ungarischen Freund protzen, wollte ihm zeigen, dass man selbst im kommunistischen Ungarn über die jüngste französische Literaturentwicklung wohl informiert ist. Mein Freund Janos bereitete sich tagelang auf den literarischen Gedankenaustausch vor. Leider kam es nicht zu dem geplanten belletristischen Gespräch, da mein Ehrengast mich mit Fragen über Elektronik und Ölwert, Goldpreise und Geldmarkt bombardierte. Mein armer Freund Janos konnte kein Wort anbringen. Traurig saß er bei Tisch. Das geplante literarische Mittagessen war ein Fiasko geworden.
Ich habe mich mit meinem Nimbus abgefunden. Deshalb warne ich auch alle gastfreundlichen Damen davor, mich einzuladen, wenn sie Künstler, Schriftsteller oder andere Schöngeister empfangen. Schon meine Anwesenheit verpestet die Atmosphäre ... Also Achtung! Das wird auch jedem anderen passieren, der den Ruf eines Börsenprofis hat.
Die Börse ist logisch, hat jedoch eine spezielle Logik, die mit jener des Normalverbrauchers nur wenig zu tun hat.
Sie ist kapriziös wie eine schöne Frau oder das Wetter. Sie versteht es, mit tausend Zauberkünsten zu schillern, um ihre Beute anzulocken, und in dem Augenblick, wo man es am wenigsten erwartet, zeigt sie einem die kalte Schulter. Mein Vorschlag: Man sollte die Launen kühl übergehen und vor allem keine logische Erklärung dafür suchen.
Um sie zu erfassen, muss man den Mechanismus der Aufwärts- und Abwärtsbewegungen verstehen, wie sie entstehen, wie sie sich entwickeln und wie sie zu einem Ende kommen. Der Börsenlogik gemäß ist es also kein Postulat, dass Aktien, die gut sind, steigen, und jene, die schlecht sind, fallen müssen, ebenso dass die Börsenkurse bei schlechter Wirtschaftslage fallen und bei einer guten steigen »müssen«. Über lange Jahre gesehen werden natürlich Aktien von kleinen Unternehmen, die groß geworden sind, parallel dazu steigen (wie es zahlreiche amerikanische Wachstumswerte getan haben), und Wertpapiere solcher Unternehmen, die allmählich verfallen, werden in die Tiefe sinken. Manchmal verfallen sogar ganze Branchen durch neue technische Entwicklungen.
Doch sind dies langfristige Bewegungen. Um diese vorauszusehen, muss man kein guter Börsianer sein, sondern Futurologe, Techniker oder sogar ein kleiner Prophet. Denn selbst bei perfekter Branchenkenntnis kann man nicht voraussehen, woher ein ganzer Sektor oder ein Unternehmen Konkurrenz bekommt. So könnte zum Beispiel durch eine neue technologische Erfindung in Amerika in einer Branche eine Hochkonjunktur entstehen, diese jedoch durch eine japanische, wesentlich billigere Produktion schnell abgebrochen werden. Um also auf lange Jahre hin erfolgreich zu sein, muss man Visionen haben. Ich hatte in den vergangenen Jahrzehnten manche Freunde, die im technologischen Bereich solche »Vorhersehungen« hatten (zum Beispiel in Bezug auf IBM, XEROX) und damit dann auch reich geworden sind. Ich hatte selber hie und da derartige erfolgreiche Visionen (mit deutschen Auslandsanleihen nach dem Krieg oder einigen Elektronik-Werten). Aber diese langfristigen Entwicklungen haben mit den zyklischen Bewegungen der Börse eigentlich nichts zu tun.
Dagegen gibt es kurzfristige Spieler, die von einem Tag auf den anderen, von einer Woche zur anderen einen Kursschnitt machen wollen. Für sie wird meine Analyse nur wenig Wert haben, da die Zickzackbewegungen auf kurze Sicht völlig unberechenbar und unerfassbar sind. Wie schon gesagt, benimmt sich die Börse wie ein Alkoholiker. Im Rausch reagiert er völlig überraschend, oft weint er auf gute Nachrichten und lacht bei schlechten. Ganz abgesehen davon, dass die meisten Börsianer nicht einmal beurteilen können, welche Nachrichten gut und welche schlecht sind.
So bleibt als interessantes Kampffeld lediglich die Spekulation in mittelfristigen zyklischen Bewegungen übrig, bei denen man zumindest die Einflussfaktoren sachlich analysieren und greifbare Argumente (richtige oder falsche) sowie Vorstellungen haben kann.
In der Börsenlogik gibt es nur ein Postulat: Angebot und Nachfrage. Lebhaft erinnere ich mich noch heute an meinen allerersten Tag an einer Börse (dies geschah in Paris à la BOURSE). Ein alter Herr (wahrscheinlich in meinem heutigen Alter) kam auf mich zu: »Junger Mann, ich habe Sie hier noch nicht gesehen. Wer sind Sie?« - »Jawohl«, antwortete ich, »ich bin heute zum ersten Mal an der Börse und bin Volontär bei der Firma X.« - »Da Ihr Chef mein Freund ist, werde ich Sie jetzt etwas überaus Wichtiges lehren. Sehen Sie sich um, hier hängt alles von einer einzigen Sache ab, ob es mehr Dumme als Papiere gibt oder mehr Papiere als Dumme.« (Mein Bekannter hatte wahrscheinlich schlechte Erfahrungen hinter sich, da er alle Aktienkäufer als »Dumme« bezeichnete.) Diese Lehre habe ich nie vergessen: Alles hängt von Angebot und Nachfrage ab. Und meine ganze Börsentheorie ist darauf aufgebaut, natürlich untermauert durch meine langjährigen persönlichen Erfahrungen.
Die Worte meines Bekannten würde ich folgendermaßen interpretieren: Die Tendenz hängt davon ab, ob es für die Verkäufer wichtiger und dringender ist, ihre Papiere loszuwerden, als für die Käufer, mit ihrem Geld Werte zu erwerben. Wenn die Wertpapierbesitzer unter einem psychologischen oder materiellen Druck gezwungen sind, ihre Papiere zu veräußern, die Geldbesitzer dagegen zwar kaufen wollen, jedoch nicht unter Kaufzwang stehen, fallen die Kurse. Die Analyse der Tendenz besteht also darin, die verschiedenen Einflussfaktoren zu beurteilen, die Angebot und Nachfrage in der Zukunft bestimmen werden.
Wie kommt überhaupt ein Börsenkurs zustande? Nehmen wir ein Molekül der Börsentransaktion unter die Lupe. Eine Aktie X steht auf 100. Ein potenzieller Käufer sagt sich, »Sie steht auf 100« - oder er denkt, sie ist 100 wert -, »ich möchte sie also zu 90 kaufen, deshalb biete ich 80«. Auf der anderen Seite überlegt der Veräußerungswillige, »Sie steht auf 100, ich möchte sie also für 110 verkaufen, deshalb verlange ich 120.« Die Aktie steht somit 80 Geld und 120 Brief. Wenn nun lediglich ein einziges Molekül an der Börse wäre, könnte keine Transaktion zustande kommen. Doch besteht die Börse aus unzähligen Molekülen. Ein anderer wird zum Beispiel 85 bieten, dagegen werden 115 verlangt. Ein Weiterer ist bereit, für die Aktie 90 zu zahlen, und auf der anderen Seite ist ein Verkäufer willig, sie für 110 abzustoßen. Vorläufig halten Käufer und Verkäufer auf ihren Nachfrage- und Angebotspreisen fest, denn keiner ist zum Kaufen bzw. Verkaufen gezwungen. Jetzt kommt aber einer, der unter Druck steht (entweder unter psychologischem - weil er Angst hat oder weil er pessimistisch ist - oder unter materiellem Druck, weil er zum Beispiel Geld braucht) und verkaufen muss, ich betone »muss«. »Er muss dies eben leiden«, er muss sich mit jenem Preis begnügen, den der höchstbietende Käufer bereit ist zu zahlen, was in unserem Fall 90 ist. Die Transaktion ist abgeschlossen, der Kurs steht demnach bei 90 gegen 100.