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Wie soll man im Yoga-Boom den Überblick behalten? Anna Trökes gibt Orientierung in der Geschichte und den verschiedenen Richtungen des Yoga: Ruhe im Geist entsteht dann, wenn wir akzeptieren, dass etwas in uns aus dem Gleichgewicht geraten ist. »Nimm an, was ist, und erkenne, was du brauchst, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen« – ein Plädoyer für Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Stressbewältigung.
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Seitenzahl: 112
Anna Trökes
Reclam
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2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH nach einem Konzept von zero-media.net
Bildnachweis: siehe Anhang; Autorinnenfoto: Nela König, © bei der Autorin
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2024
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962299-6
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020679-9
www.reclam.de
Prolog: Yoga – sehr alt – sehr bewährt – sehr modern
Was ist Yoga? –Geschichte und Religion
Was ist Yoga? –Sichtweisen und Hintergründe
Yoga für jede und jeden?
Warum eine Yogapraxis Heilwirkungen entfalten kann
Yoga als Teil unseres modernen Lifestyles
Lektüretipps
Bildnachweis
Zur Autorin
Über dieses Buch
Leseprobe aus Buddhismus. 100 Seiten
Als ich 1972 als junge Frau begann, regelmäßig Yoga zu üben, galt Yoga zwar noch als etwas exotisch, war aber in Deutschland bereits gut etabliert. Yogakurse in großer Zahl und Vielfalt gab es vor allem an den Volkshochschulen und an den Sportinstituten der Hochschulen und Universitäten. Private Schulen waren eher noch die Ausnahme, ihre Anzahl nahm aber zu dieser Zeit merklich zu.
Zu Beginn der 1970er Jahre setzte dann weltweit die Fitnesswelle ein, angeführt von den Aerobic-Kursen Jane Fondas. Da die verschiedenen Fitnessmethoden bald begannen, sich mit den Methoden des Yoga zu verbinden (Yogaerobics, Yogilates, usw.), waren schnell viele der Meinung, dass sowohl Fitness als auch Yoga gleichermaßen Modeerscheinungen seien und dass beide Bewegungen sich – einer Welle gleich – im Laufe der Zeit auch wieder abschwächen würden.
Doch war das Gegenteil der Fall, denn die in unzähligen Fitnessclubs sowie privat angebotenen Yogakurse sind heute fester Bestandteil unserer Lebenswelt geworden. Yoga ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Er gilt nicht mehr als exotisch, sondern – wie Fitness – als Teil unseres Lifestyles. Entsprechend hat sich eine milliardenschwere Industrie entwickelt, die uns alle Formen von Yogaaccessoires, Yogakleidung, Onlinekursen, Yogaausbildungen, usw. anbietet.
Viele Yogakurse werden inzwischen von den Krankenkassen als Entspannungsmethode finanziell gefördert und als eine wichtige und wertvolle Ergänzung zu Fitness (mit Kardio- und Krafttraining) gesehen.
Aber geht es wirklich nur um Entspannung?
Wenn man Menschen fragt, warum sie einen Yogakurs gebucht haben, steht meist der Wunsch im Vordergrund zu lernen, wieder entspannen und abschalten zu können. Außerdem haben viele der Teilnehmenden die Hoffnung, dass ein Yogakurs ihnen eine ganzheitliche Übungspraxis anbietet, in der sie in ihrer Gesamtheit gesehen werden: mit ihrer körperlichen und ihrer geistigen und emotionalen Befindlichkeit und unter Einbeziehung des Atems.
Menschen entscheiden sich für einen Yogakurs, weil sie es schätzen, dass es Yoga schon so lange gibt und dass seine Konzepte und Methoden eine Ansammlung der Erfahrung unzähliger Generationen von Lehrenden und Übenden sind, die immer wieder den Bedürfnissen der Zeit angepasst wurden. Durch eine solche Anpassung an unseren westlichen Lebensstil wurde es möglich, dass das Jahrtausende alte Wissen darüber, was Menschen brauchen, um ausgeglichen und gesund zu werden und es auch zu bleiben, heute noch aktuell und für jeden Menschen anwendbar und umsetzbar ist.
In letzter Zeit flammt in Europa und Amerika eine heftige Debatte über kulturelle Aneignung auf, die auch vor Yoga nicht Halt macht. Dabei wird hinterfragt, ob wir »Westler« uns Yoga als ein Kulturgut der Inder unerlaubt angeeignet und ihn durch die jahrzehntelange Berührung mit unserer Kultur und unseren Bedürfnissen verfälscht hätten.
Wenn man so wie ich seit Jahrzehnten immer wieder in Indien unterwegs war, wird jedoch schnell deutlich, dass auch in Indien sich die Aneignung von Yoga grundsätzlich verändert hat. Yoga ist auch dort zu einer Massenbewegung geworden, und populäre Gurus füllen täglich riesige Stadien mit ihren Anhängern, etwa für gemeinsame Atemübungen. Yoga gehört für die wachsende Mittelschicht besonders in den Städten heute genauso wie für uns zum Lifestyle, und wird wie bei uns in Fitnessclubs und Wellnessspas angeboten. Ich werde darauf im Kapitel Yoga als Teil unseres modernen Lifestyles noch etwas näher eingehen, möchte hier jedoch schon deutlich machen, dass Yoga eine Kraft innewohnt, die es möglich machte, dass er uns seit gut 3500 Jahren überliefert wurde und uns noch immer in den tiefen Bedürfnissen unseres Menschseins anzusprechen vermag.
Schauen wir jetzt aber, was sich eigentlich hinter dem Begriff Yoga alles verbirgt und warum sein Wissen auch für den modernen Menschen so hilfreich und förderlich ist.
Der Begriff Yoga geht auf die indoeuropäische Wortwurzel des Verbs yuj zurück, das früher oft mit »anjochen« übersetzt wurde. In diesem Verb schwingt allerdings mit, dass es eines gewissen Zwangs oder Nachdrucks bedarf, ein Tier (oder Körper und Geist) in ein Joch zu spannen.
Heute geht man eher davon aus, dass in unserem Nervensystem der Zustand der Einheit grundsätzlich angelegt ist und es deswegen nur geeignete Impulse braucht, damit dieser Zustand sich wieder einstellt. Deswegen nutzt man für yuj heute eher die Übersetzung: etwas verbinden (ursprünglich zwei Pferde zu einem Gespann vor einem Streitwagen), etwas vereinigen und damit etwas zusammenbringen, das eigentlich eher auseinanderstrebt, sowie etwas miteinander in Beziehung setzen.
Der Begriff Yoga steht somit in vielen indischen Traditionen auch für das, was wir als ein Resultat dieser Aktivitäten ansehen können. Yoga meint dann: Zustände der Einheit, des Einsseins und des Sich-Verbindens mit etwas Unpersönlichem wie dem eigenen Wesenskern oder dem Göttlichen. Unabhängig davon, wie er übersetzt wird, steht der Begriff Yoga aber immer für einen Erkenntnisweg und zumeist auch für einen Übungsweg.
Es ist verständlich, dass sich im Laufe der Jahrtausende auf dem riesigen indischen Subkontinent ganz unterschiedliche Sichtweisen unter der Bezeichnung Yoga entwickeln konnten. Aus diesem Grund wird Yoga in der indischen Philosophie auch nur als eine von sechs möglichen Sichtweisen auf die Welt (Darshana) gesehen.
Der Begriff »Sichtweise« macht deutlich, dass es sich um etwas sehr Subjektives und Veränderliches handelt. Entsprechend finden wir auch Yogaströmungen, die eher religiös ausgerichtet sind, und andere, die man sogar als dezidiert atheistisch beschreiben kann.
Damit lässt sich bereits ein weit verbreitetes Missverständnis klären, dass nämlich Yoga grundsätzlich etwas mit Hinduismus zu tun hat und man dann, wenn man sich auf Yoga einlässt, irgendwann zum Hindu wird. Das ist aber schon aus einem Grunde gar nicht möglich, weil der Hinduismus niemals missioniert hat. Man kann nur als Hindu geboren werden, aber nicht zum Hinduismus konvertieren!
Stattdessen hat sich im Laufe der vielen Jahrzehnte gezeigt, dass der Yogaweg mit seinen Konzepten und Methoden grundsätzlich allen Menschen offensteht, unabhängig davon, ob sie sich einer Religion zugehörig fühlen oder nicht. Viele langjährig Yogaübende berichten sogar, dass sie durch ihre Yogapraxis wieder zu einer ursprünglichen, nicht konfessionell ausgerichteten Form von Religiosität zurückgefunden bzw. dass sie ihre eigenen religiösen und spirituellen Vorstellungen entwickelt hätten, durch die ihr Leben wieder mehr Sinn und Ausrichtung bekam.
Yoga wurde und wird in der indischen Tradition immer als ein offenes System verstanden. Wir können den Begriff Yoga deshalb als einen großen Strom sehen, in den viele Nebenflüsse einmünden, oder als ein weit gespanntes Dach, unter dem viele Sichtweisen und Methoden Platz finden. Auch wenn manche indischen Gurus einem weismachen wollen, dass es den ›klassischen‹ Yoga gibt, sagen uns doch moderne Forschungen der Indologie, der Religionswissenschaft und der Archäologie, dass dem nicht so ist. Ein solch festgefügtes, dogmatisches System hätte es vermutlich auch nie schaffen können, über so viele Jahrtausende hinweg mit all dem einhergehenden Wandel bedeutsam zu bleiben. Vielmehr ist es wohl gerade der Offenheit und Anpassungsfähigkeit der Konzepte und Methoden des Yoga zu verdanken, dass sie uns auch heute noch anzusprechen vermögen und uns oft in wirklich erstaunlicher Weise modern erscheinen.
Die Ursprünge des Yoga liegen bis heute im Dunkeln. Die ältesten Textzeugnisse, die Methoden beschreiben, die wir heute Yoga nennen würden, sind ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Es wird aber in der indologischen Forschung ganz allgemein davon ausgegangen, dass es in den Jahrhunderten davor schon eine weit verbreitete mündliche Überlieferung yogischer Konzepte, Sichtweisen und Methoden gab.
Besonders in den indischen Yogaschulen und Instituten, die Yogalehrausbildungen anbieten, hält sich jedoch hartnäckig das Gerücht, dass der Yoga schon vor ca. 5000 Jahren im Rahmen der Industal-Kultur entstanden sein soll, denn es wurden dort einige kleine Tontäfelchen gefunden, die einen Mann im Sitz mit gekreuzten Beinen zeigen, der als Yogahaltung interpretiert wird.
Aufgrund dieser Darstellung eines Mannes im Yogasitz aus der Induskultur wird angenommen, dass Yoga schon vor 5000 Jahren ausgeübt wurde.
Da bis heute aber nur knapp ein Viertel der Überreste in den Grabungsstätten der beiden großen Städte Harappa und Mohenjo Daro freigelegt werden konnten und die Schrift dieser frühen Hochkultur bisher noch nicht entziffert wurde, wissen wir nur wenig bis nichts über das religiöse und spirituelle Leben der Menschen dieser Zeit.
Die Behauptung, dass der Yoga uralt sei, kann sich vor allem deswegen halten, weil in Indien alles, was sehr alt ist, als besonders verehrungswürdig und wertvoll angesehen wird. So trifft man in dieser Kultur immer wieder auf einen sehr lockeren und unkonventionellen Umgang mit Zeitangaben (was indische Menschen aber in keiner Weise zu stören scheint).
Die frühesten Formen des Yoga waren, so nimmt man heute an, geprägt durch die Bevorzugung eines äußerst asketischen Lebensstils, in dem sich die Yogis ganz bewusst von allen weltlichen Belangen und Zielen lösten. Sie lebten in kleinen Gruppen in Waldeinsiedeleien oder zogen pilgernd kreuz und quer durch den riesigen indischen Subkontinent von einer heiligen Stätte zur nächsten.
Diese Lebensform begegnet einem bis heute in Gestalt der so genannten »heiligen Männer«, der Sadhus, die oft wenig bekleidet oder sogar nackt mit langen Haaren und mit Asche beschmiert in Gruppen durch Indien pilgern. Sie besuchen Kultstätten und heilige Plätze, in der Hoffnung, auf diese Weise Befreiung von der Welt und Erlösung von der Wiedergeburt zu erlangen. Wahrscheinlich hat jeder von uns schon mal ein Foto solch spektakulärer Gruppen Sadhus gesehen, wenn sie sich alle paar Jahre zu Tausenden zur Kumbha Mela am Ganges in Haridwar in Nordindien treffen.
Sadhu beim Kumbha Mela
Als einzelne Menschen die Erfahrung machten, dass eine konsequent gelebte Ausrichtung auf Askese eine große geistige Kraft ausdrückt, kamen sie auf die Idee, dass, wenn sie etwas Übermenschliches machen, wie zum Beispiel jahrelang nur auf einem Bein zu stehen und dabei einen Arm erhoben zu halten, ihre Willenskraft (Tapas) noch einmal extrem an Kraft gewinnen würde. Sie entwickelten die Vorstellung, dass sie dadurch die Macht bekämen, den Göttern, die in ihrem vedischen Himmel eher einen beschaulichen Lebensstil pflegten, ihren Willen aufzuzwingen. Von den vielfältigen Versuchen, einzelne Götter zu bestimmten Gunstbeweisen zu zwingen, zeugen zahlreiche Mythen. Deren Namen sind bis heute bekannt, denn einige dieser asketischen Yogis wurden zu Namensgebern von Yogahaltungen (z. B. Bhagiratta).
Die Yogis, die auch heute noch solche Askeseübungen zeigen, wollen natürlich nicht mehr den Göttern ihren Willen aufzwingen, sondern sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen. Interessant ist aber, dass sie mit ihrem bizarren Lebensstil sehr zu der noch immer gängigen Vorstellung beigetragen haben, dass Yoga zu üben letztlich bedeutet, lange in ungewöhnlichen Stellungen zu verweilen und sich zum Schlafen auf ein Nagelbrett zu legen. Und das, obwohl der Yoga alsbald ganz andere Wege einschlug.
Der Hang zur Askese, der sich in Indien bis in die Neuzeit gehalten hat, kennzeichnet eine der Wurzeln, auf denen die Methoden des Yoga jahrhundertelang gründeten. Eine andere Wurzel könnte, wie verschiedene Forscher vermuten, in den uralten schamanischen Traditionen des Himalayas liegen, die wie der Yoga immer auf Heilung und Transformation ausgerichtet waren.
Da uns aber wie gesagt keinerlei schriftliche Überlieferungen aus der Frühzeit vorliegen, lassen sich solche Vermutungen nicht beweisen. Die tatsächlichen Ursprünge des Yoga werden wohl weiterhin im Dunkeln bleiben müssen.
Im Laufe der vielen Jahrhunderte änderte sich die Sichtweise, mit der sich die Menschen in Beziehung mit dem Göttlichen stellten. Jede Sichtweise brachte ihre eigenen religiösen Konzepte hervor, in die der Yoga sich mehr oder weniger einzufügen vermochte. Dabei können wir in jeder neuen Sichtweise Spuren der vorhergehenden finden, wodurch sie immer komplexer wurden.
Es ist spannend, auf die Entfaltung und Veränderung dieser Sichtweisen vor allem unter dem Gesichtspunkt von Beziehungsstrukturen zu schauen, denn sie sind für uns Menschen immer viel aussagekräftiger und bedeutungsvoller als die reinen Fakten. Die Art und Weise, wie sich diese Beziehung entwickelt hat, zeigt auch gleichzeitig den Weg der Konzepte, mit denen wir bis heute im Yoga unterwegs sind und die uns immer wieder erfahren lassen, dass sie hilfreich, förderlich und unterstützend sind.
Nach der langen Zeit, in der der Yoga ausschließlich mündlich überliefert wurde, liegen uns ab der vedischen Zeit (ab ca. 1500 v. Chr.) schriftliche Zeugnisse in Sanskrit vor, die wir übersetzen und verstehen können.
»Veda« heißt Wissen. Es wurde in vier Texten zusammengefasst, nämlich dem Rig-Veda, dem Sama-Veda, dem Yayur-Veda und dem Atharva-Veda.
In diesen Texten ist das gesamte religiöse und weltliche Wissen der Zeit in Form von Hymnen an die Götter des vedischen Pantheons, in Liedern, Opferformeln und Ritualanweisungen zusammengefasst. Wir erfahren in diesen Texten viel über die Art und Weise, wie Menschen in dieser frühen Zeit versucht haben, sich mit dem Absoluten in Beziehung zu setzen.