Zadak. der magische Wanderfalke - Helga R. Müller - E-Book

Zadak. der magische Wanderfalke E-Book

Helga R. Müller

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Beschreibung

Ein Jugendroman, der die Fantasie von Jugendlichen ebenso anspricht, wie die von Erwachsenen. Benjamins Abenteuer in der Vergangenheit sind verbunden mit magischen Elementen. Von Antakya bis Antalya. Für den in der Schule gemobbten 13-jährigen Benjamin hält die Bildungsreise, die seine Eltern für den Sommer gebucht haben, eine unerwartete Überraschung bereit. Frustriert, gelangweilt und voller Angst, was er wohl nach den Ferien von seinem Sommerurlaub zu erzählen haben wird, begegnet er dem Wanderfalken Zadak. Dieser bietet dem Jungen spannende Abenteuer in der Vergangenheit, die er ihm mit seinen magischen Kräften vermitteln kann, wenn - ja wenn Benjamin dafür genügend Vertrauen und Mut aufbringt. Dann warten auf ihn ungewöhnliche Abenteuer und Aufgaben. Begegnungen mit Apostel Paulus, einem Schlangenmenschen oder sogar dem Hl. Nikolaus könnten möglich sein.

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Jeder kann zum Opfer werden. Mut ist Feuer, Mobbing ist Rauch.

https://www.myzitate.de/mobbing/

Inhalt

Der letzte Schultag

Begegnung mit Zadak

Abenteuer mit dem roten Krieger

Auf der Schlangenburg

Geschichtenerzähler Hamid auf der Insel Kız Kalesi

Begegnung mit Kaiser Barbarossa

Bei den tanzenden Derwischen

Nesrin, die Teppichknüpferin

Die versunkene Stadt Kekova

Nikolaus von Myra

Ausflug zu den ewigen Feuern

Bauarbeiten in Olympos

Der Götterberg Tahtalı

Verliebt in Aspendos

Abschied von Zadak

Ferienende

Anhang

Glossar

Türkische Buchstaben lesen - wie geht denn das?

Mobbing bei Kindern und Jugendlichen

Kapitel 1 Der letzte Schultag

Sommerhitze staute sich im Klassenzimmer der 7b und das Stillsitzen fiel den Kindern schwer. … Wie lange denn noch? Endlich schrillte die Schulglocke zur Pause. Herr Gärtner, ihr Biologielehrer, schob die Bilder verschiedener Greifvögel in seine Aktentasche, ging zur Tür und die Kids ihm nach. Unerwartet blieb er im Türrahmen stehen, streckte die Hand in die Höhe und hielt die Rasselbande zurück.

»In zwei Stunden ist das Schuljahr geschafft. Spannende Ferientage«, verabschiedete er sich mit erhobenem Daumen, bevor er in Richtung Lehrerzimmer eilte.

Kaum war der Lehrer außer Sicht, bekam Benjamin einen heftigen Stoß in den Rücken. Er schnappte nach Luft, doch bereits im Umdrehen blieb ihm jedes Wort im Hals stecken. Julian! Aus gerechnet der Wortführer der Klasse, stand hinter ihm, der darüber entschied, wer dazugehörte und wen man wie ihn zum Außen seiter abstempeln durfte. Benjamin wich ängstlich zur Seite aus. Da stieß Julian ihn erneut. Sein Opfer stolperte und knallte mit dem Ellenbogen gegen die Metallkante der Türzarge. Er schrie den Schmerz heraus, die Pausenbox entglitt seiner Hand und schlitterte durchs Klassenzimmer.

»Memme«, hänselte ihn der Quälgeist und auch der Rest der Klasse grinste. Julian tippte ihm den Zeigefinger an die Brust, ein sicheres Zeichen für … . Schon donnerte seine geballte Faust auf die Schulter von Benjamin. Der knickte unter der Wucht des Schlages ein, ging in die Knie, und das Gelächter der Meute trieb ihm nicht nur Tränen des Schmerzes in die Augen, sondern auch Schamröte ins Gesicht. Verlegen senkte er den Kopf und schwieg - hilflos.

»Feuermelder, Feuermelder«, spottete Julian. Der trat dem am Boden Knieenden auf die Finger, während einer seiner Fans die Handykamera lauernd auf die Quälerei gerichtet hielt. Benjamin presste die Zähne zusammen, dass es nur so knirschte. Er biss sich in die Lippe, schmeckte den metallenen Blutgeschmack, aber er verbiss sich jeden Laut. Lars, ein selbstbewusster Mitschüler, stellte sich zwischen Benjamin und seinen Peiniger. Erst jetzt ließ Julian von ihm ab, zeigte ihm den Stinkefinger und stiefelte achtlos davon.

Vorsichtig betastete Benjamin seine Finger. Nichts gebrochen. Er krabbelte unter die Tische, suchte nach seiner Pausenbox und trottete einsamer denn je auf den Schulhof. Die Klassengemeinschaft mied er großräumig und fragte sich verzweifelt: »Wann endlich kann ich dem Kraftprotz Paroli bieten? Und wie?» Wenn nur Julians Stimme hinter ihm erklang, fühlte er sich hilflos wie eine Ameise. Dabei hatte er die Nase gestrichen voll von diesen doofen Attacken. Er hatte es übersatt, ständig in seine Schusslinie zu geraten.

Aus sicherer Entfernung beobachtete Benjamin das Treiben der Schulkameraden. Alle behandelten ihn wie Luft. Was machte er nur falsch? Die Gruppe um Julian schrie lautstark durcheinander, sodass Gesprächsfetzen bis zu seinem Beobachtungsplatz drangen. Martina, die Tochter eines Architekten, prahlte mit Ferien in Thailand.

»Türkisblaues Wasser, feinste Sandstrände und badewannenwarmes Meer«, schwärmte sie, allerdings zuckte Lars völlig unbeeindruckt die Schultern.

»Mit einem stinkreichen Dad im Rücken ist das wohl nichts Besonderes«, konterte er und fauchte: »Mein Vater schiebt haufenweise Überstunden. Und trotzdem … Eine Urlaubsreise mit der Familie? Nada. Dafür besitzen meine Geschwister und ich eine Dauerkarte fürs Strandbad, da ist Ferienspaß angesagt.«

Martina höhnte schnippisch: »Das Wasser am Bodensee dürfte um einiges kälter sein.«

»Abkühlung statt Tropenbrühe«, hielt Lars dagegen: »Wenn Papa eine Tour nach Spanien kriegt, dann nimmt er mich auf dem Bock mit.«

»Wie abgefahren. Ich drück dir die Daumen«, wünschte ihm der Cliquenchef mit einem Schulterschlag.

»Und du, Julian?», fragte Lars.

»Unsere Reise beginnt … hmmmm mit einem Besuch im ’ Goldenen M’.« Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Vor jeder Urlaubsreise nach Italien konnte er, wie alle wussten, seiner Mutter den unvermeidlichen Big-Mac abschwatzen. Dabei trommelte er sich wie Tarzan auf den vorgewölbten Bauch. In diesem Augenblick entdeckte er den Einzelgänger auf dem Hügel und wies mit dem Kinn zu Benjamin.

»Was wird uns der eingebildete Streber nach den Ferien wohl auftischen, wenn die Brandner im Deutschunterricht die üblichen Ferienerlebnisse abfragt?«, krakeelte er verächtlich und das Gelächter schwang über den Schulhof.

Aylin, ein zierliches Mädchen mit dunklen Haaren, kohle braunen Augen sowie olivschimmernder Haut sah ebenfalls zu Benjamin hin. Plötzlich raste ihr Pulsschlag. Die Situation des Jungen erinnerte das Mädchen an eigene unvergessene Gefühle, da sie selbst noch vor Kurzem Julians Angriffen ausgesetzt gewesen war. Dank der Unterstützung ihres älteren Bruders ließ der Halbstarke sie inzwischen allerdings in Ruhe. Sie hatte sich aus ihrer Abseitsposition befreien können, indem sie dem Fettkloß zornig ans Schienbein getreten hatte, so wie Ahmet es ihr beigebracht hatte. Erschrocken von ihrer Gegenwehr war Julian ins Wanken geraten und sie hatte ihm die Hand ins Gesicht geklatscht. Zuerst rechts, dann links. Ihre Reaktion hatte das Großmaul völlig aus dem Konzept geworfen. Seine Mitstreiter hatten ihn ausgelacht und ihr anerkennend auf die Schulter geklopft. Das hatte ihr einen Platz in der Clique gesichert.

Die Pausenglocke rief die Schüler zurück in die Klassen zimmer. Aylins Mutter stammte von der türkischen Schwarzmeerküste, ihr Vater aus dem arabischen Syrien. Jetzt dachte sie an das am Vortag belauschte Gespräch, das Benjamin mit ihrer Deutsch lehrerin geführt hatte, denn er reiste in den Ferien ins Heimatland ihrer Mama. Seither beneidete sie ihn darum. Ach, wenn sie ihn nur fragen könnte, wohin genau seine Familien reise ging. Zudem schlug ihr Herz teilnahmsvoll für den Gemobbten, aber hätte Julian ein Gespräch zwischen ihnen beobachtet, wäre dies Grund genug für ihn, um ihr die Ohrfeige und den Fußtritt heimzuzahlen. Obwohl sie Benjamin um seine Reise beneidete, würde sie um nichts auf der Welt sein einsames Leben gegen ihr lebhaftes Familienleben eintauschen wollen, denn er war ein Schlüsselkind. Von einer Nachbarin hatte sie erfahren, dass keine Mutter nach Schulschluss auf Benjamin wartete und an den Wochenenden schleppten die Eltern den Ärmsten regelmäßig durch Museen oder auf langweilige Ausstellungen. Der blond gelockte Junge mit der hellen Haut gefiel ihr. Aber es fehlte ihm eindeutig an Mumm. Wie, wenn nicht mit Mut sollte er Julian je Kontra bieten? Sie traute sich einfach nicht, ihm zu helfen, hatte zuviel Angst davor, sich erneut gegen die Macht der Clique zu stellen. Irritiert schüttelte sie ihre Haare und wunderte sich, wo diese komischen Gedanken nur herkamen.

Verwirrt von ihren eigenartigen Gefühlen drehte Aylin dem Außenseiter den Rücken zu und eilte ihren Klassenkameraden hinterher.

Kapitel 2 Begegnung mit Zadak

Benjamins Ferienreise begann mit dem Anflug auf den türkischen Flughafen Hatay bei der Stadt Antakya, nur wenige Kilometer entfernt von der syrischen Grenze. Da seine Eltern statt Strandurlaub eine Bildungsreise gebucht hatten, stand bereits am nächsten Morgen die Sankt-Paulus-Höhle, die den Namen eines Apostels trug, auf dem Besuchsprogramm. Noch während der Besichtigung stürmte Benjamin stinksauer ins Freie, hämmerte mit den Fäusten auf Felsbrocken, bis seine Handkanten brannten.

»Wie ich euch hasse«, schrie er verzweifelt. »Steine, Steine, nichts als Steine. Es ist so zum Kotzen! Was soll ich auf dieser doofen Bildungsreise? Ich will ans Meer!« Er machte seiner Enttäuschung Luft, denn er ahnte, dass es die nächsten Tage genauso langweilig wie hier weitergehen könnte.

Zur selben Zeit zog ein Greifvogel über den wolkenlosen Himmel, bis der Schatten des Vogels Benjamin den Kopf heben ließ. Seine schlechte Laune verschwand, als er dessen Flugmanöver fasziniert verfolgte. Unter einer Baumkrone ließ Benjamin sich auf den Boden plumpsen und lehnte den Rücken an die Baumrinde, ohne den Vogel aus den Augen zu lassen. An seinem hellen Bauch unter den ausgebreiteten Flügeln erkannte er, dass ein Wanderfalke über ihm kreiste. Er wirkte majestätisch und es war kein Vergleich zu den starren Zeichnungen, die ihnen Herr Gärtner am letzten Unterrichtstag gezeigt hatte.

Jetzt stoppte der Falke seine Flugbewegungen und es sah so aus, als wollte er in der Luft anhalten. Dann jedoch beschleunigte er den Flügelschlag und änderte die Flugrichtung. Mit eng an den Körper gepresste Flügel stürzte er der Erde entgegen. Aufgeregt verfolgte Benjamin seinen Sturzflug, bis er gewaltig erschrak, weil der Greif mit ausgestreckten Krallen direkt auf ihn zusteuerte. Blitzartig warf er sich flach auf den Boden und nur einen Moment später streifte ihn eine federleichte Berührung, die wie ein kühler Lufthauch über ihn hinwegfegte. Benjamins Pulsschlag jagte ihm das Blut durch die Adern und sein Herz wummerte. Die Luft flirrte in der Hitze und es schien, als hielte die Natur den Atem an. Wie lange er auf dem Steinboden verharrt hatte, das wusste er nicht. Ebenso wenig, weshalb ihn der Greifvogel attackiert hatte?

Misstrauisch richtete Benjamin seinen Blick nach oben. Sein Puls hatte sich beruhigt. Er kniete sich hin und suchte den Angreifer am Himmel, doch der schien weg zu sein. Erleichtert wischte er sich mit dem Hemdärmel über die schweißnasse Stirn, stand auf und inspizierte die Umgebung. Erschrocken wich er zurück. Der aggressive Greifvogel hockte auf einem hölzernen Geländer in der Nähe, wo er sich das Gefieder säuberte. Ängstlich hielt der Junge Abstand, denn den scharfen Krallen wollte er keinesfalls zu nahe kommen. Aber er studierte das Federkleid des Falken. Von seinem hellen Brustkleid führte ein dunkelbrauner Streifen abwärts, ein Querstreifen grenzte die Kehle ab. Dottergelbe Füße blitzten zwischen gefederten Schenkeln hervor. Seine Krallen- und die Schnabelspitze glänzten kohlrabenschwarz. Der Wanderfalke beendete seine Reinigung und sah Benjamin an. Schutzsuchend presste dieser sich an den Baum, weil der Augenausdruck aus der tiefschwarzen Iris mit dunkelgelber Umrandung ihn bedrohlich anfunkelte. Prompt beschleunigte sich Benjamins Pulsschlag. Ohne es zu wollen, musste er ausgerechnet jetzt an Julian denken, an die Klassengemeinschaft und glaubte sogar, ihr verächtliches Johlen zu hören.

In einem Anflug von Tapferkeit drückte Benjamin den Rücken energisch durch. Finster entschlossen starrte er auf den Wanderfalken und entdeckte unter seinem dichten Federkleid am Hals etwas, das in der Sonne aufblitzte. Voller Neugier trat er aus dem Schutz des Baumes, machte zwei Schritte auf den Vogel zu, bis er den winzigen silbernen Gegenstand besser erkennen konnte. Fasziniert kämpfte er still mit sich, bis er das Kinn anhob und in das Haken nasengesicht des Greifvogels schaute. Er hielt dessen eindringlichem Blick stand. Ganz langsam begann sich seine Anspannung zu lösen, da stieß der Falke einen lauten, heiseren Schrei aus: »Eeek-eeeek-eeeeek.«

Benjamin zuckte zusammen und wich zurück. »Keine Angst, mein Freund. Man nennt mich Zadak. Ich bin ein Wanderfalke, das hast du prima erkannt.« Benjamin hörte die Worte, doch woher kamen sie?

»Wer spricht da?«, murmelte er deshalb irritiert.

Erneut krächzte es. »Ich bin kein gewöhnlicher Greifvogel. In mir steckt die geheimnisvolle Magie der Vergangenheit. Du hast mich gerufen. Was willst du von mir?« Verwirrt starrte der Junge auf den Vogel, rieb sich mit den Fäusten die Augen, doch außer dem Falken war weit und breit keiner zu sehen. Sicherheitshalber zwickte Benjamin sich in den Unterarm. Autsch. Also war er in der Hitze weder eingeschlafen, noch träumte er. Im Gegenteil, er fühlte sich hellwach.

»Benjamin, was willst du von mir?«, schnarrte sein Gegenüber. Endlich begriff der Junge, dass niemand anderes als der Vogel mit ihm sprach.

»Wo … her kennst du mei … mei … meinen Namen und weißt, wer ich b … b … bin? Ich habe dich nicht ge … gerufen, nur zu geschaut, wie ff… fantastisch du fliegen kannst«, stotterte er. Seine Gedanken aber purzelten ungeordnet durcheinander: Letzte Woche noch habe ich mich verzweifelt nach Mut und Stärke gesehnt, um es mit Julian aufnehmen zu können, denn jeder einzelne Schultag bestand aus Hänseleien und Angriffen. Woher wusste der Kraftprotz überhaupt, dass meine Mutter Archäologie studiert und warum beschimpft er mich deshalb? Dabei hatte ich so sehr gehofft, in den Ferien einmal Zeit mit Papa zu verbringen, um mit ihm zu sprechen. Er muss mich zum Judo anmelden, damit ich lerne, mich zu wehren?

Zadak las Benjamins Gedanken, er spürte die Seelennot des Jungen. Er roch seinen Angstschweiß ebenso wie die Enttäuschung, die in ihm rumorte. Vor allem aber erkannte er dessen Sehnsucht nach einem Ferienerlebnis, um damit auf die Mitschüler Eindruck machen zu können.

»Benjamin«, schnarrte der Greifvogel, »du musst es mir nicht sagen. Dank meiner Magie lese ich in dir sowieso wie in einem offenen Buch.« Schockiert sah der Junge ihn an und wagte sich dennoch ein zweites Mal in die Nähe des Gefiederten.

Mit einem lauten »eeek-eeeek-eeeeek« stellte Zadak seine Flügel auf, dem durchdringenden Schrei folgte auf der Stelle Benjamins Rückschritt. In dessen Ohren tönte das wiederholte »eeeeek« wie das boshafte Gelächter seiner Mitschüler. Dabei schüttelte der Greifvogel nur die Flügel aus, bevor er sie erneut an den Körper faltete.

»Du möchtest Abenteuer erleben, mein Freund, und erschrickst bei meinem Vogelschrei. Du träumst von Mut, vom Starksein und von kühnen Erlebnissen? Da musst du noch einiges lernen, aber jetzt komm zu mir. Ich tue dir doch nichts.«

»Zadak«, druckste Benjamin herum, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und sah verschämt auf den Boden. »Ich weiß, dass ich ein Angsthase bin. Das brauchst du mir nicht unter die Nase zu reiben. Aber ich wünsche mir nichts mehr, als so selbstbewusst wie Lars aus meiner Klasse zu sein. Den erschüttert keiner.« Entschlossen schob er das Kinn vor. »Ich will ein Abenteuer erleben, eines, das ich am Ende der Ferien stolz vortragen kann. Vor Neid sollen sie erblassen! Einmal nur möchte ich der Held sein, der sich vor nichts fürchtet.« Er stampfte auf den Boden und schluckte, verärgert über sich selbst den dicken Kloß hinab, der ihm im Hals saß. Entschieden ging er auf Zadak zu, und berührte mit zittrigen Fingerspitzen dessen Flügelfedern. Benjamin hob den Kopf und während er in die gelb umringten Augen des Falken sah, fragte er: »Kannst du mir denn helfen?«

»Eeek-eeeek. Bravo, das ist doch ein Anfang. Komm! Du brauchst einen Freund, willst du meiner sein?« Benjamin nickte energisch. Während seine Hände über das Federkleid strichen, löste sich seine Angst in Luft auf.

»Eeek-eeeek. Gut so. Die Höhlenkirche des Apostels Paulus ist ein spannender Ort. Leider hast du dich vorhin weder für die Geschichte der Apostel, noch für die alten Steine interessiert. Dabei könnten sie dir so vieles verraten«, schwatzte Zadak vergnügt. In Benjamins Gesicht breitete sich pure Enttäuschung aus.

»Wo siehst du ein Abenteuer in diesen langweiligen Stein brocken? Sag es mir! Wo?«

»Eeek-eeeek. Langsam, mein Freund. Erinnerst du dich an das Loch auf der Rückseite der Höhlenwand? Vorhin hat es deine Neu gier geweckt, oder?«

»Sicher. Deshalb bin ich ja so wütend rausgerannt. Vater hat mich den Gang nicht hinaufklettern lassen. Aber … woher weißt du das?« Er streckte den Rücken durch, eine Ahnung erfasste ihn und er forderte aufgeregt: »Zeig mir das Abenteuer. Wo ist es? Wenn deine Magie funktioniert, dann müsste ich das Fantastische daran auch sehen können.« Zadak hob die Flügel, löste die Krallen von der Holzstange und glitt auf den Boden hinab.

»Eeek-eeeek. Setz dich zu mir und sperr deine Ohren auf. Du wünschst dir ein unvergessliches, ein gewagtes Unternehmen?« Erwartungsvoll sah Benjamin ihn an. »Jedes Abenteuer erfordert Mut. Traust du dir das zu und vor allem, vertraust du mir?« Mit einem Kopfnicken stimmte Benjamin zu, denn die Aufregung hatte ihm die Stimme verschlagen. »Dann sei es so. In wenigen Minuten wirst du den Gang hinaufklettern und die Geschichte dieses alten Ortes selbst erleben.« Der Junge starrte ihn an. »Aber denk immer dran, Abenteuer in die Vergangenheit können gefährlich werden«, schärfte Zadak ihm ein. »Mut dafür schlummert längst in dir, du musst deine verborgene Tapferkeit nur herauslassen. Willst du dich beweisen?« Benjamins Wimpern zuckten nervös. Skeptisch sah er den Falken an.

»Aber – an Papa führt kein Weg vorbei. Jeder weitere Versuch ist zwecklos.« Zadaks trockenes »eeek-eeeek-eeeeek«, das seiner Befürchtung folgte, glich einem ausgelassenen Lachen.

»Falsch, Benjamin. Beim Ausflug in die Vergangenheit hält dich niemand zurück, denn nur du kannst dank meiner Magie durch die Zeit reisen. Du und nur du wirst die ersten Christen besuchen, die vor zweitausend Jahren hier gebetet haben. Vorhin hast du den Erklärungen eures Reiseleiters nicht zuhören wollen, oder?« Vergeblich wartete er auf eine Antwort. Der Junge wusste kaum, wie er Zadaks Vorschlag Glauben schenken sollte.

»Was ist? Willst du es jetzt riskieren oder sollen deine Ferien weiter nur eintönig dahinplätschern?«, drängte der Wanderfalke.

Kapitel 3 Abenteuer mit dem roten Krieger

Benjamin zögerte keine Minute länger, sondern traf seine Entscheidung blitzschnell. Er sprang auf, warf die Ängste von sich und rief: »Ich will! Natürlich will ich! Bitte, bitte nimm mich mit auf die Reise.«

»Eeek-eeeek-eeeeek. Eine sehr gute Wahl, mein Freund«, bestätigte Zadak.

»Ich möchte wissen, wie die Menschen früher gelebt haben. Wenn deine Magie mir diesen Zugang ermöglichen kann, dann werde ich so mutig sein wie nötig«, versprach er aufgeregt.

»Dann pass auf. Entferne die Bänder mit der Signalpfeife von meinem Hals und knote sie um dein Handgelenk. Du darfst die Pfeife auf keinen Fall verlieren! Mit einem Pfiff kannst du mich damit rufen, wenn du Hilfe brauchst oder zurück willst.« Benjamin kniete neben dem Greifvogel nieder, löste die Bänder und band sich die gezopften Schnüre an den Unterarm und zog den Knoten mit den Zähnen fest. Erwartungsvoll sah er Zadak an.

»Und jetzt?« Der Wanderfalke drehte ihm die Kehrseite zu.

»Eeeeek. Berühre nun dreimal die Steuerfedern auf meiner Rückseite. Führe deine Hand von rechts nach links und wünsche dich in die Vergangenheit des Ortes.« Zadak spürte das stürmisch klopfende Herz seines Schützlings, wie dieser mit den Fingern über seine Federn strich, die wie ein Schwanzfächer angeordnet waren. Einmal, zweimal, dreimal.

Ein kühler Lufthauch strich an Benjamin vorbei … Anstatt mit Bermudas und Shirt bekleidet steckte sein Körper in einem fleckigen knielangen Hemd mit Kapuze. Der Stoff kratzte auf seiner Haut und der eigene Schweißgeruch stieg ihm unangenehm in die Nase. Zadak beobachtete Benjamins Ankunft in der Vergangenheit und schwebte nach einem leisen »eeeeeeeeeek« an der Felswand über dem Hohlraum entlang. Schließlich landete er auf dem dicken Ast eines Baumes, um seinen Schützling im Auge zu behalten.

Benjamin steckte mitten in seinem gewünschten Abenteuer. Er hörte den Abschiedsschrei nicht mehr. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage, warum er unter dem Hemd nichts anhatte. Die Wangen rot gefärbt, starrte er verlegen auf den Boden. Er wunderte sich, wohin seine Sandalen und seine eigenen Kleidungsstücke verschwunden waren. Irritiert bewegte er die schuhlosen Zehen auf dem sonnenwarmen Mosaikboden und sah genauer hin. Dieses Muster erinnerte ihn an seinen abgekürzten Besuch in der Paulus-Kirche mit der Reisegruppe. Obwohl, der Raum wirkte völlig verändert, nicht vergleichbar mit dem Bild, das er kurze Zeit zuvor gesehen hatte.

Benjamin fasste für sich zusammen, was erst einmal auf der Hand lag. Seinen Namen – okay. Er kam aus Deutschland und machte mit seinen Eltern Urlaub in der Türkei. Während des Besuches einer Kirchenhöhle war er wütend ins Freie gelaufen, hatte dort den Wanderfalken Zadak getroffen, der ihm ein Abenteuer versprochen hatte. Einzelheiten in diesem Hohlraum kamen ihm vertraut vor und gleichzeitig schienen sie fremd. Mit der Hand griff er unter die Kapuze und kratzte sich, denn die ungewaschenen Haare juckten auf der Kopfhaut. Unbekannte Gestalten schoben sich dicht neben Benjamin. Er hielt sich die Nase zu, denn ihren Kleidern entwich der scharfe Geruch nach Schweiß und Schmutz. Alle sahen auf einen groß gewachsenen Mann, der vor einem behauenen Steinblock im Inneren stand. Sein strahlend weißes Hemd, das ihm wie bei den anderen bis auf die Füße reichte, fiel vollkommen aus dem Rahmen. Benjamin musterte die Person mit dem kurz geschorenen Stoppelhaar, dem sonnengegerbten Gesicht und dem angegrauten Spitzbart. Ein Holzkreuz baumelte vor seiner Brust. Er sah den Fremden an und grübelte: Den Mann kenne ich doch. Nur - woher? Als dieser beide Arme hob, rutschten die weit geschnittenen Ärmel seines Gewandes herab. Seine tiefe Stimme hallte durch den Felsenraum.

»Man nennt mich Paulus, Paulus von Tarsus. Bürger von Antiochia, ich überbringe den Segen des lange erwarteten Messias.« Er schwieg einen Moment, um seine Botschaft wirken zu lassen.

»Hört! Pontius Pilatus, der Statthalter in Jerusalem, hat Jesus von Nazareth den Messias, wie einen Verbrecher kreuzigen lassen. Er hat den Sohn Gottes verurteilt, ihn verspottet und ihm eine Dornenkrone aufsetzen lassen. Jesus aber hat das Kreuz eines Sünders für uns auf den Berg Golgatha hinaufgetragen und ist für uns Menschen gestorben.« Die Finger des Apostel Paulus umklammerten ein Holzkreuz, das vor seiner Brust hing.

»Drei Tage später haben seine Anhänger das Grab verlassen vorgefunden. Der Zimmermann aus Nazareth, der Sohn Gottes und der erwartete Messias, ist von den Toten zurückgekehrt. Jahrelang hat er als Handwerker neben uns und mit uns gelebt. Auch ich selbst habe seinen felsenfesten Glauben viel zu lange für Schwindel gehalten. Heute aber, bringe ich den Glauben an ihn, den Glauben an Jesus Christus zu Euch, Brüder und Schwestern aus Antiochia. Ich erteile Euch den Segen der Dreifaltigkeit – im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Die Menschen schlugen das Kreuzzeichen, so wie Paulus es ihnen zeigte.

Um Benjamin herum sanken die Menschen auf die Knie. Auch er kniete nieder und faltete wie die anderen die Hände zum Gebet. Die Eindringlichkeit in der Stimme des Predigers hatte ihn ergriffen. Obwohl die Zeremonie in einer fremden Sprache stattfand, verstand er jedes einzelne Wort. Paulus von Tarsus strahlte eine unbegreifliche Kraft aus, die jeden in diesem Raum in Bann zog. Benjamin begriff endlich, dass der Mann hinter dem Altar von Jesus Christus redete. Er überlegte: Ist das Paulus, der Apostel, den ich aus dem Religionsunterricht kenne?

Jetzt erinnerte er sich auch wieder an eine Erklärung des Reiseleiters. Vor wenigen Minuten hatten seine Auskünfte ihn die Bohne nicht interessiert, dennoch wiederholte nun seine innere Stimme: Im Jahr 37 n. Chr. predigten die Apostelbrüder Barnabas und Paulus in diesem Hohlraum unter dem knapp 300 Meter hohen Kreuzberg. Benjamin schob die Gedanken aus der Zukunft beiseite und er hörte stattdessen fasziniert den eindringlicher werdenden Worten des Apostels zu. Da unterbrach ein schriller, trillernder Ruf die Andacht, Unruhe machte sich breit.

»Krieger«, gellte es von draußen. »Rettet euch!« Die Menschen stießen und schoben sich in Richtung des Fluchtausgangs im Inneren der Höhle. Benjamin aber wollte erfahren, was außerhalb vor sich ging und schlängelte sich in die entgegengesetzte Richtung. Er hielt nach dem Rufenden Ausschau und entdeckte den Mann auf einer steilen Felsklippe, von der er mit lauten Schreien vor der Gefahr warnte. Überrascht sah Benjamin auf einen ausgetretenen Weg, der sich am Abhang entlang zur Stadt hin wand. Der Weg, den er vor kurzem mit der Reisegruppe heraufgekommen war, fehlte ebenso wie die mit Rosetten geschmückte Kirchenwand, welche die Kreuzritter Jahrhunderte später vor dem Hohlraum erbaut hatten.

In diesem Moment aber trieben Reiter in farbenfrohen Gewändern Pferde durch eine Schlucht zu ihnen hinauf. Um den Kopf Tücher gewickelt und in ihren Händen blitzten Säbelklingen. Die kriegerische Reiterschar jagte Benjamin einen gehörigen Schrecken ein. Schleunigst trat er den Rückweg an, schob sich an der Menschenansammlung vorbei, bis er das Steinloch am Höhlenende erreichte. Männerhände hoben ihn hoch und er glitt in den Fluchttunnel. Mit seinen nackten Zehen suchte er Halt auf steilen Tritten. Das bodenlange Kleidungsstück behinderte ihn. Er raffte es in der rückwärtigen Mitte, zog den Stoff nach vorn und klemmte ihn zwischen die Zähne. Mit freien Händen kletterte er durch den Tunnel bis ans Tageslicht hinauf.

Atemlos blieb Benjamin stehen, vor ihm teilte sich das Gebüsch, ein Kämpfer heraus und versperrte ihm den Weg. Entsetzt starrte der Junge auf den Säbel, und obwohl Angst ihn lähmte, beobachtete er ihn genau. Er trug eine verfilzte Wolljacke über dem weinroten Hemd, das mit Lederbändern geschnürt war. Seine gekrümmten Beine steckten in Pumphosen und die Füße versanken in zotteligen Fellstiefeln. Der messerscharfe Krummsäbel in der Faust machte Benjamin allerdings nervös. Der Hitze zum Trotz stellten sich die feinen Härchen an seinen Unterarmen auf.

Ich muss ihm entwischen. Ich muss aus der Gefahrenzone raus, pochte es warnend hinter seiner Schläfe und er erinnerte sich an Zadaks Warnung, dass jedes Abenteuer mit einem Risiko verbunden ist. Vor Angst stand er wie zur Salzsäule erstarrt. Der Krieger kam mit eiskaltem Blick auf ihn zu, hob die Waffe über den Kopf und ließ sie niedersausen. Auf der Stelle warf Benjamin sich zur Seite und der Säbel bohrte sich ins Erdreich. Solange sein Gegenüber noch am Säbelgriff zerrte, sprang er bereits auf und hastete davon. Der Kämpfer verfolgte ihn brüllend, doch Benjamin baute die Distanz zu ihm aus, bis er mit rasendem Puls und rasselndem Atem in ein Versteck zwischen Felsen huschen konnte. Sicherheitshalber legte er jetzt den Kopf in den Nacken und sah erleichtert den Wanderfalken über sich kreisen. Zadaks Anwesenheit beruhigte ihn.

»Eeeeeeek. Gut gemacht, mein Freund. Nun noch eine Mutprobe. Beweise dich, mein Freund. Du kannst das!«, forderte die Stimme von oben. Aufgewühlt, aber durch die Magie des Vogels gestärkt, spähte er vorsichtig um den Felsen und atmete auf. Der Säbelschwinger hatte die Suche nach ihm aufgegeben. Er sah gerade noch, wie er hinter einem Gebüsch in der Nähe des unterirdischen Ganges verschwand. Rasch sammelte Benjamin einige Wurfsteine auf und pirschte sich an das Versteck heran. Am Tunnelende tauchte der Kopf eines gleichaltrigen Mädchens auf, der Kämpfer stürmte erneut brüllend aus dem Gestrüpp, da schrie sie schrill in ihrer Angst.

Benjamin überkam in diesem lebenswichtigen Augenblick Gelassenheit und Ruhe. Kraftvoll wog er das flache Wurfgeschoss in der Hand und schleuderte es gegen den Kämpfer, noch bevor er das Mädchen verletzen konnte. Benjamins einsame Übungen beim ‘Steine-hüpfen-lassen’ am Bodenseeufer kamen ihm jetzt zugute, denn sein Geschoss traf den Angreifer zielsicher am Hals. Überrascht griff dieser an die getroffene Stelle und wirbelte fuchsteufelswild um die eigene Achse. Gleichzeitig zischte ein zweites Wurfgeschoss durch die Luft und traf den schweren Mann seitlich an der Stirn. Er schwankte, seine Augen sprühten vor Zorn, und doch blieb er taumelnd stehen.

Das Mädchen schickte ihrem Retter einen Dankeskuss, bevor sie auf einem Seitenweg entkam. Herausfordernd, tollkühn und kaum wiederzuerkennen wartete Benjamin auf die Reaktion des Getroffenen. Beflügelt von diesem ihm unbekannten Gefühl des Siegers behielt er den Gegenspieler im Blick und wog den dritten Stein in der Hand, denn der Aufprall des zweiten Geschosses schien den Angreifer nur benebelt zu haben.

Plötzlich änderte sich die Situation, der Krieger schüttelte die Benommenheit ab und reckte den Säbel gen Himmel. Unsicher im Schritt zuerst, aber dann wie eine Walze preschte er auf Benjamin los. Überrumpelt warf der Junge überstürzt den letzten Stein und verfehlte prompt das Ziel. Nun blieb ihm nur noch die Flucht. Mit einem sportlichen Lauf lockte er den Verfolger erneut weit vom Tunnel weg. Allerdings kam ihm das wütende Fauchen und Keuchen des Gegners stetig näher.

Benjamin sah in den Himmel hinauf. Zadak flog direkt über ihm. Er hob das Handgelenk, seine Lippen pressten sich auf die Silberpfeife, ein lautloser Pfiff, und der gefiederte Gefährte stürzte aus dem wolkenlosen Blau senkrecht herab. Mit gestreckten Fängen schlug er dem Mann mit dem Säbel eine blutige Wunde ins Gesicht, noch bevor die Waffe seinem Schützling eine Verletzung zufügen konnte.

Völlig außer Atem sah Benjamin an sich herunter. Als wäre nichts passiert, saß er unter dem Baum vor der Pauluskirche und trug seine normale Kleidung wieder. Der frische Duft von gewaschenen Haaren stieg ihm in die Nase, und obwohl sein Blut noch immer hektisch durch die Adern pumpte, durchströmte ihn das pure Glück. Er hatte die Feuerprobe bestanden. Langsam nur verklang die Anspannung, bis eine dunkelgraue Vogelfeder vom Himmel segelte und vor ihm liegenblieb. Selbstvergessen flocht er die Feder zur Erinnerung an das eben Erlebte in das Band und knotete es dann erneut fest um sein Handgelenk.

Zadak, Freund und Beschützer des Jungen, schraubte sich vom Ast in die Höhe. Ein kurzes »eeek-eeeek-eeeek« ertönte. Benjamin horchte auf. Mit glückstrahlenden Augen verfolgte er das Flugmanöver.

»Bis bald, tapferer Gefährte«, erklang Zadaks Stimme von oben. »Das hast du heute großartig gemacht. Pass auf dich auf und ruf mich, wenn du bereit für ein neues Abenteuer bist.«

Kapitel 4 Auf der Schlangenburg

Am folgenden Vormittag stellte Benjamin verwundert fest, dass die Besichtigung im Mosaikmuseum von Antakya ihn keineswegs langweilte. Überdimensionale Bildteppiche bedeckten im Museum Böden und Wände, zusammengesetzt aus winzigen, eingefärbten Steinchen. Ununterbrochen musste er an das zurückliegende Abenteuer denken. Weil Zadak seine Gedanken beschäftigte, hielt der Junge nach Vogelmotiven Ausschau.

Haben die Menschen früher Wanderfalken auf Mosaikbildern abgebildet? Wird mein neugewonnener Freund sein Versprechen einlösen, und was darf ich mir von ihm wünschen, was mit ihm erleben?

Bisher hatten ihn weder der Reiseverlauf interessiert, noch die Geschichte der Orte, die auf dem Programm standen. Um allerdings einen Wunsch zu äußern, musste er in Erfahrung bringen, wohin die Reise morgen ginge und was es zu sehen gäbe. Benjamin suchte seine Eltern. Er fand sie heftig diskutierend vor einer Vitrine mit alten Münzen. Sie schenkten ihm keinerlei Beachtung, sodass er bedrückt davon schlich. Sein suchender Blick fiel auf Stefan, einen der jüngeren Reiseteilnehmer. Er zupfte ihn am Ärmel. »Kannst du mir helfen, Stefan?«

»Was willst du?«, brummte der Erwachsene nur knapp. Benjamin zeigte auf sein Reisehandbuch, um es sich auszuleihen.

»Ich brauche mein Buch selbst. Frag deine Mutter!« Stefans abweisender Ton wirkte wie eine kalte Dusche auf Benjamin und er zog sich wie ein begossener Pudel zurück. Im selben Moment ertönte ein leises »eeeek-eeeek«, er wirbelte herum und murmelte aufgeregt: »Zadak, wo steckst du?« Fieberhaft suchte er den Ausstellungsraum ab, dennoch dauerte es eine Weile, bis er unterhalb der Gewölbedecke einen in Stein gelegten Falken ausmachen konnte. Kaum lag sein Blick auf dem Mosaik, veränderten die steinernen Flügel des Bildes für eine Sekunde ihre Position. Benjamin stutzte: Habe ich mir die winzige Bewegung nur eingebildet? Doch in Erinnerung an die seltsamen Fähigkeiten des Greifvogels fragte er fast lautlos.

»Bist du das dort oben?«

»Eeeeek«, bestätigte Zadak seine Anwesenheit und forderte den Jungen auf, sein Glück noch einmal zu versuchen. Augenblicklich spannte Benjamin den Körper, die hängenden Schultern verschwanden und die aufrechte Körperhaltung vervielfachte das Selbstbewusstsein. Innerlich gestärkt zupfte er Stefan erneut am Ärmel.

»Ich will dir nicht auf die Nerven gehen, Stefan, aber du interessierst dich für die alten Sachen. Kannst du mir bitte die Schaukästen und die Mosaikbilder erklären? Bei Mama klingt alles so langweilig«, schmeichelte er ihm. Gereizt drehte sich der Angesprochene um. Sein abweisender Blick schüchterte Benjamin erneut ein, der winzige Ansatz von Mut verflog und seine Schultern sanken abwärts. In diesem Moment des Rückzuges verzogen sich Stefans Mundwinkel. Benjamin sah ihn verwundert an, denn es sah aus, als würde ihn die eigene Reaktion in Erstaunen versetzen. Im nächsten Augenblick hallte sein helles Auflachen durch die Museumshalle.

»Du bist ein Quälgeist. Aber, na gut. Obwohl ich wirklich nicht weiß, warum ich das tue.« Benjamin strahlte ihn erleichtert an. Einen Ton bekam er vor Aufregung nicht heraus, und so nickte er nur. Der Junge suchte Zadak am Mosaikhimmel und sah, wie sich erneut ein Flügel bewegte. Das gab ihm die Gewissheit, dass der magische Falke ihm in schwierigen Situationen helfen konnte.

»Also, was möchtest du denn wissen?«, fragte Stefan und legte Benjamin die Hand auf die Schulter.