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Georgia fährt eine Abkürzung – und steckt im Schnee fest. Direkt vorm Anwesen ihres Ex'! Fünf aufwühlende, romantische, einzigartige Tage lang sind sie und Sebastian von der Außenwelt abgeschnitten. Dann droht ein Abschied für immer, weil ein altes Geheimnis ihre Liebe überschattet …
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Seitenzahl: 174
© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe by MIRA Taschenbuch in der Verlagsgruppe Harper Collins Deutschland GmbH, Hamburg © 2013 by Caroline Anderson Originaltitel: »Snowed in with the Billionaire« Erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. / SARL Übersetzung: Elke Schuller-Wannagat Covergestaltung von Birgit Tonn / Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH Coverabbildung von oatawa / Getty Images ISBN E-Book 9783745753738
Cover
Impressum
Inhalt
Zauber einer weißen Winternacht
Titel
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
EPILOG
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Contents
„Was ist denn da los?“
Georgia sah bei dem scheußlichen Wetter nichts weiter als eine Reihe aufleuchtender Rücklichter. Behutsam tippte sie aufs Bremspedal, froh darüber, dass sie genug Abstand zum Auto vor ihr gelassen hatte.
Ihr Wagen kam schlitternd zum Stehen, sofort schaltete sie die Warnblinkanlage an. Warum sie hatte halten müssen, konnte sie wegen des dichten Schneetreibens nicht ausmachen. Obwohl es noch nicht Abend war, konnte man die Hand kaum vor Augen erkennen.
Im Radio hatte es Warnungen vor dem Schnee gegeben, aber keine Informationen zur Straßenlage oder zu Staus. Immer wieder wurde der Song „Driving Home for Christmas“ von Chris Rea gespielt, während die Scheibenwischer den Schnee nur mit immer größerer Mühe bewältigten.
Nun war der Verkehr also komplett zum Stillstand gekommen. Bisher hatte Georgia ihre langsam steigende Panik im Zaum halten können und sich eingeredet, alles wäre in Ordnung. Da war wieder einmal ihr verrückter, hemmungsloser Optimismus am Werk gewesen. Würde sie es denn niemals lernen?
Ganz vorne, vor der langen Reihe von Rücklichtern entdeckte sie nun den aufblitzenden Schein eines Blaulichts. Von hinten kamen weitere Einsatzfahrzeuge und fuhren an der Autoschlange vorbei. Seit einiger Zeit war kein Wagen aus der Gegenrichtung vorbeigekommen. Demnach musste da etwas Schlimmes passiert sein.
Sie konnte aber nicht hier sitzen und warten, bis die Fahrbahn geräumt war! Das Wetter wurde immer schlechter, und sie wollte nicht hier stranden, wo sie doch beinah zu Hause angekommen war. Nur noch zehn Kilometer, und sie wäre am Ziel.
Georgia biss sich auf die Lippe. Es gab eine Ausweichroute, eine schmale Landstraße, die sie nur allzu gut kannte. Einen Weg, den sie früher oft als Abkürzung benutzt hatte, aber heute gemieden hatte. Und das nicht nur wegen des Schneefalls …
„Was ist, Mummy?“, erklang es auf dem Sitz hinter ihr.
Sie blickte ihren Sohn im Rückspiegel an. „Da hat jemand eine Panne“, erklärte sie. Dass es sich auch um einen Unfall handeln konnte, wollte sie Josh nicht sagen. Er war ja erst zwei, und sie wollte ihn nicht ängstigen.
Sie fasste einen Entschluss. „Aber das macht nichts. Wir fahren auf einem anderen Weg zu Granny und Grandpa und sind gleich bei ihnen.“
„Will Granny jetzt!“ Josh verzog das Gesicht. „Hab Hunger.“
Ihr wurde schwer ums Herz. „Mir geht’s genauso, Josh. Aber es dauert nicht mehr lang. Versprochen.“
Behutsam wendete sie das leicht schlitternde Auto und fuhr den Weg zurück, den sie gekommen waren. Die Straßenverhältnisse wurden immer katastrophaler. Mit wild klopfendem Herzen bog sie schließlich in die schmale Landstraße ein, deren Ränder im Schneegestöber kaum auszumachen waren.
Wenn ich doch bloß früher losgefahren wäre, dachte Georgia und checkte ihr Handy. Kein Empfang! Na toll. Da durfte sie auf keinen Fall stecken bleiben. Meter um Meter kämpfte sie sich vorsichtig weiter.
Der Wind blies heulend den Schnee vom angrenzenden Feld auf die schmale Fahrbahn. Die würde bald blockiert sein, wenn das so weiterging. Georgia gab etwas mehr Gas.
Links ragte plötzlich eine hohe geschwungene Mauer auf, an der Schnee klebte wie Zuckerguss auf einer Torte. Fast geschafft, dachte Georgia erleichtert. Die Mauer lief neben dem Weg her und würde ihr einen Anhaltspunkt über dessen Verlauf geben, bis er in die – hoffentlich geräumte – Hauptstraße mündete.
Nach ungefähr zweihundert Metern tauchte aus dem Schneegestöber ein eindrucksvolles altes Tor mit gemauerten Pfeilern auf, gekrönt von zwei steinernen Greifen. Die schmiedeeisernen schnörkeligen Torflügel ließen sich nicht völlig schließen. Stets halb geöffnet luden sie ein zur Erkundung einer versteckten Welt.
So war es jedenfalls früher gewesen. Georgia hielt an. Jetzt waren die Flügel fest geschlossen. Sie hingen gerade in den Angeln und waren frisch gestrichen. Ganz anders als damals, als sie und ihr abenteuerlustiger Bruder von dem schiefen, halb offenen Tor verlockt worden waren, das Gelände dahinter zu erkunden. Nicht einmal die Furcht einflößenden Greife mit den Löwenkörpern und den Adlerflügeln hatten sie abhalten können. Drinnen hatten sie dann einen geheimen Abenteuerspielplatz entdeckt, der ihre kühnsten Vorstellungen übertraf: einen mehrere Hektar großen verwilderten Park mit ungezählten Verstecken zwischen uralten Bäumen und Sträuchern.
Inmitten dieser Wildnis hatten die Geschwister damals das schönste Haus entdeckt, das sie jemals gesehen hatten. Es hatte einen Vorbau mit Säulen und eine große Eingangstür mit einem wunderschönen halbkreisförmigen Fenster darüber. Im unteren Stockwerk gab es rechts und links jeweils zwei hohe Schiebefenster mit Sprossen, im oberen Stockwerk fünf. Die perfekte Symmetrie und die ansprechenden Proportionen hatten Georgia unbewusst schon als Kind begeistert.
Die Fassade war im Sommer von einer blühenden Glyzinie überwuchert, deren süßer Duft fast berauschend wirkte. Mit wild klopfenden Herzen waren sie und Jack durch ein Kellerfenster in das seit Jahren leer stehende Haus eingedrungen. Auf Zehenspitzen gingen sie durch die ehemals großartigen Räume und jagten sich gegenseitig Angst ein mit Geistergeschichten über die Menschen, die hier gelebt haben mochten und hier gestorben waren. Georgia hatte sich sofort bis über beide Ohren in das Haus verliebt.
Jahre später hatte sie Sebastian mitgenommen, der eigentlich ein Kumpel von Jack war. Es war ihr erstes Date gewesen, besser gesagt, das erste Mal, dass sie mit Sebastian allein war.
Er war von dem alten Haus genauso fasziniert wie sie. Sie erkundeten alle Winkel genau und malten sich aus, wie es sich hier in seinen Glanzzeiten gelebt hatte. Wie es wäre, jetzt hier zu leben …
Sie hatten sich sogar die Möbel vorgestellt: einen Esstisch, so groß, dass man die Person am anderen Ende gerade eben noch sehen konnte, einen kostbaren Flügel im Musikzimmer und im größten der Schlafzimmer ein riesiges Himmelbett.
In Georgias ganz geheimer Fantasie bot das Bett genug Platz für sie beide – und für ihre große Kinderschar, die in diesem Bett gezeugt werden würde.
Dann hatte Sebastian sie geküsst.
Sie hatten auf typische Teenagerart herumgealbert und Verstecken gespielt. Dann fand Sebastian sie im Wandschrank des großen Schlafzimmers – und küsste sie.
In dem Moment hatte Georgia sich von ganzem Herzen in Sebastian verliebt. Danach dauerte es noch beinah zwei Jahre, bevor sich ihre Beziehung weiter vertiefte und Fantasie und Wirklichkeit zu verschmelzen begannen.
Er ging an die Uni, und sie sahen sich nur noch in den Ferien. Doch da verbrachten sie jeden wachen Moment miteinander, und ihre Küsse wurden drängender, zielstrebiger, erwachsener.
Am Wochenende nach ihrem achtzehnten Geburtstag hatte Sebastian sie noch einmal zu dem eindrucksvollen verlassenen Haus gebracht. Er sagte ihr nicht warum, nur dass es eine Überraschung sei. Er führte sie zum großen Schlafzimmer und öffnete die Tür.
Georgia war wie verzaubert. Im Kamin standen brennende Kerzen, auf dem mottenzerfressenen Teppich davor war eine dicke Decke ausgebreitet, bestreut mit Glyzinienblüten, deren Duft den Raum erfüllte. Sebastian hatte ein Picknick vorbereitet, mit Lachs- und Kaviarbrötchen, in Schokolade getunkten Erdbeeren und mit rosa Champagner, den sie aus Pappbechern tranken, die mit roten Herzen verziert waren.
Dann hatte Sebastian sie geliebt, ganz langsam und zärtlich. Bestimmt war es ihm schwergefallen, sich so zu beherrschen, ihr so viel Zeit zu geben. Bisher hatten sie den letzten Schritt immer aufgeschoben. Georgia hätte ihm schon einige Male bereitwillig ihre Jungfräulichkeit geschenkt, doch Sebastian hatte sich stets zurückgehalten. An diesem Tag nicht. Endlich liebten sie sich.
Sebastian sagte ihr, er würde sie immer lieben.
Und Georgia hatte ihm geglaubt, denn sie liebte ihn auch. Sie würden zusammenbleiben, heiraten, Kinder bekommen und gemeinsam alt werden im Kreis ihrer Familie. Egal wo, egal wie reich oder arm, Hauptsache, sie hatten einander.
Zwei Jahre später hatte Sebastian sich völlig gewandelt, getrieben von Ehrgeiz und etwas anderem, was sie nicht verstand. Sie kannte ihn nicht wieder. Alles ging in die Brüche. Und ihr Traum wurde zu einem Albtraum.
Georgia verließ Sebastian, obwohl es ihr das Herz brach. Sie war am Boden zerstört.
Neun Jahre lang hatte sie das alte Haus gemieden. Kurz vor Joshs Geburt hatte sie dann bei einer Party gehört, Sebastian habe das Anwesen gekauft und würde es vor dem völligen Verfall retten.
Das hatte sie überrascht. Georgia hatte gedacht, er hätte allem den Rücken gekehrt. So wie sie. Dass es nicht so war, verwirrte, faszinierte und erschreckte sie gleichzeitig. Dass Sebastian nun so nah bei ihren Eltern wohnte …
Wenige Tage später war Josh geboren worden, und nur einige Wochen danach war David gestorben. Georgias Welt war zu Bruch gegangen, und sie hatte nur ein Ziel gehabt: ihrem Sohn zuliebe durchzuhalten, so schwer es auch war.
Und bis heute hatte sie die schmale Landstraße gemieden …
War Sebastian jetzt da, hinter diesen abweisenden, frisch gerichteten Torflügeln? War er allein? Oder teilte er das Haus mit jemand? Und ihr gemeinsamer Traum?
Rasch verdrängte Georgia den unwillkommenen Gedanken. Der Traum war ohnehin ausgeträumt. Sie war auf dem Lebensweg weitergeschritten. Es war ihr ja nichts anderes übrig geblieben. Sie war alleinstehende Mutter und hatte keine Zeit mehr für Träumereien.
Der kleine Josh war das Wichtigste in ihrem Leben. Und nun musste sie weiterfahren.
Doch ihr Auto schien andere Pläne zu haben. Es schlitterte wild, als sie versuchte loszufahren. Der heftige Wind wirbelte weiterhin Schnee durch die Gegend, die Sicht war bei diesem Blizzard nahezu gleich null. Vorsichtig gab sie Gas, der Wagen fuhr weiter – und landete nach wenigen Metern mit dem rechten Vorderrad in einer Schneewehe.
Bei dem Versuch, sich daraus zu befreien, musste Georgia feststellen, dass die Räder einfach durchdrehten. Ich drehe auch gleich durch, dachte sie panisch und schlug frustriert aufs Lenkrad. Am liebsten hätte sie laut gekreischt vor Verzweiflung und Wut.
„Mummy?“, erklang es ängstlich von hinten.
„Alles gut, Josh. Wir stecken nur ein bisschen fest. Ich muss mal nachsehen. Es dauert nicht lang.“
Ihre Tür ließ sich nicht öffnen. Sie kurbelte das Fenster herunter und sah, dass sie seitlich im hohen Schnee steckte. Es war unmöglich, auf dieser Seite auszusteigen. Rasch machte sie das Fenster wieder zu.
„Huh, das bläst ganz schön da draußen“, versuchte sie zu scherzen.
„Mag das nicht“, jammerte Josh mit zitternden Lippen.
Ich auch nicht, stimmte sie ihrem kleinen Sohn im Stillen zu. „Ach, es ist gar nicht so schlimm. Ich steige jetzt aus und schaue nach, warum wir feststecken.“
Sie warf ihm eine Kusshand zu und stieg auf der Beifahrerseite aus. Der eisige Wind blies ihr die Haare ins Gesicht, die Kälte drang ihr durch die Kleidung bis in die Knochen. Trotzdem kämpfte Georgia sich ums Auto herum und checkte die Situation. Ihr wurde immer schwerer ums Herz. Der Wagen saß zwischen Schneemassen eingeklemmt. Sie konnte ihn unmöglich mit bloßen Händen befreien. Und es kam immer noch mehr Schnee daher. Wenn der Auspuff unter den Massen verschwunden war, würde der Motor ausgehen. Schon bald würde die Heizung ausgehen, und sie würden erfrieren.
Es gab nur eine Hoffnung: das Haus hinter dem großen Tor. Easton Court, der Wohnsitz von Sebastian Corder.
Das Haus des Mannes, den sie von ganzem Herzen geliebt und trotzdem verlassen hatte. Weil er einem Ziel nachgejagt hatte, das ihr unverständlich blieb. Und weil er das auf Kosten der Beziehung getan hatte.
Er hatte erwartet, dass sie alles stehen und liegen ließ und eine Lebensart annahm, die ihr zuwider war. Dass sie ihre Karriere und ihre Familie aufgab! Als sie ihn gebeten hatte, sich das alles noch einmal zu überlegen, hatte er sich geweigert. Also war sie gegangen – und hatte ihr Herz bei ihm zurückgelassen.
Nun hing ihr Leben und das ihres Sohns womöglich von Sebastian Corder ab. Er war der letzte Mensch auf der Welt, den sie um Hilfe bitten wollte, aber was blieb ihr anderes übrig? Hoffentlich ist er zu Hause.
Mit wild klopfendem Herzen ging sie zum Torpfosten und wischte mit eiskalten Fingern den Schnee von der Gegensprechanlage.
„Bitte, sei da, Sebastian“, flüsterte Georgia. „Bitte hilf mir.“
Dann drückte sie auf den Knopf und wartete beklommen.
Das scharfe, unablässige Summen störte seine Konzentration. Sebastian drückte „Speichern“ auf dem Computer und ging in die Diele. Wahrscheinlich wurden die letzten Bestellungen geliefert. Ein Hoch auf das Online-Shopping! Er blickte aus dem Fenster und zuckte leicht zusammen. Seit wann schneite es so heftig?
Beim Blick auf die Gegensprechanlage mit Kamera runzelte er die Stirn. Im ersten Moment sah er nichts als Schneegestöber, dann verschwommen eine Frauengestalt, die die Hand hob und den Schnee von der Anlage wischte. Das Bild wurde klar.
Es war Georgia.
Georgia? Nein, das kann nicht sein, dachte er und atmete tief durch. Er bildete sich das nur ein, weil er hier in diesem Haus ständig an sie denken musste.
„Kann ich helfen?“, fragte er brüsk.
Die Frau strich sich die Haare aus dem Gesicht, und jetzt gab es keinen Zweifel: Das war Georgia! Sie lächelte zögernd und zugleich erleichtert, als sie seine Stimme hörte.
„Oh, Sebastian! Dem Himmel sei Dank, dass du da bist. Ach ja, hier ist Georgia Pullman. Früher Becket. Tut mir leid, dass ich störe, aber kannst du mir helfen? Mein Auto steckt vor deinem Tor in einer Schneewehe fest, ich habe keine Schaufel dabei, und mein Handy funktioniert nicht.“
Ihm war zumute, als würde seine ganze Welt plötzlich kopfstehen. Er atmete nochmals tief durch, und plötzlich war alles wieder im Lot, der gesunde Menschenverstand übernahm das Kommando. Mehr oder weniger.
„Warte bei deinem Wagen. Ich komme mit meinem zum Tor. Vielleicht kann ich dich aus dem Schnee ziehen.“
„Danke, Sebastian! Du bist ein Schatz.“
Seufzend schüttelte er den Kopf. Was machte Georgia bei diesem Wetter vor seinem Tor? Sie wollte ihn doch sicher nicht besuchen! Das hatte sie in den vergangenen neun Jahren nicht getan, und jetzt gab es auch keinen Grund dafür. Außer sie war neugierig auf das Haus, aber das bezweifelte er. Dafür war nicht das richtige Wetter. Und wohl kaum der richtige Zeitpunkt. Weshalb auch sollte es sie kümmern? Er war ihr nicht so wichtig gewesen, dass sie bei ihm geblieben wäre!
Am Ende hatte sie ihn gehasst, und das konnte er ihr nicht verübeln. Sebastian hatte sich selbst ja auch gehasst. Ihr hatte er jedoch angekreidet, dass sie nicht an ihn geglaubt hatte und bei ihm geblieben war, als er sie am meisten brauchte.
Nein, Georgia kam nicht ihn besuchen! Sie war auf dem Weg zu ihren Eltern, hatte die Abkürzung genommen und war stecken geblieben. Reiner Zufall. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sie auszugraben. Ihr Gesicht zu sehen. Mit ihr zu reden, ihre Stimme zu hören.
Da würden ganze Ladungen von Erinnerungen wach werden, die er lieber vergessen hätte. Es wurde bald dunkel. Wenn er sich mit seiner Rettung nicht beeilte, würde er Georgia am Hals haben.
Rasch nahm er alles Nötige und warf es in den Geländewagen. Den hatte er sich für genau solche Notfälle angeschafft. Allerdings hätte er nie erwartet, einmal ausgerechnet Georgia aus der Patsche helfen zu müssen.
Als er ans Tor kam und es mit der Fernbedienung öffnete, war von seiner ehemaligen Liebsten nichts zu sehen. Nur Fußspuren im tiefen Schnee.
Der Schneesturm war viel schlimmer als erwartet. Harte kleine Schneekörner wurden vom scharfen Wind zu hohen Wechten aufgetürmt, die den Weg unpassierbar machten. Wo steckte Georgia bloß?
Da sah er Rücklichter schwach durch das Gestöber leuchten und stapfte hin. Kein Wunder, dass sie stecken geblieben war, wenn sie bei den Bedingungen mit einem so lächerlich kleinen Wagen unterwegs war. Mit dem würde sie heute auf keinen Fall mehr weiterkommen. Was bedeutete, dass er sie tatsächlich am Hals hatte.
Zorn durchflutete Sebastian. Doch das war ihm lieber, als sich in sentimentalen Erinnerungen zu suhlen, wie er es noch letzte Nacht in dem verdammten Himmelbett getan hatte.
Sebastian klappte den Kragen hoch und ging zum Auto. Er öffnete die Beifahrertür und beugte sich herab. Warme Luft und Weihnachtsschlager kamen ihm entgegen, und ein zarter Duft, an den er sich nach all den Jahren noch genau und schmerzlich erinnerte.
Georgia kniete auf dem Sitz und blickte nach hinten. Dann wandte sie sich um und lächelte zaghaft.
„Oh, hallo, Sebastian. Du warst aber schnell. Es tut mir echt leid, dass …“
„Keine Sorge“, erwiderte er kurz angebunden und verbat sich, ihr Gesicht genau zu betrachten. „Und jetzt lass uns dich hier rausholen.“
„Siehst du, Josh? Ich habe dir doch gesagt, dass er uns hilft“, meinte sie betont munter.
Josh? Sie hatte also einen Josh dabei, der sie aus dem Schnee hätte ausgraben können?
„Josh?“, wiederholte Sebastian kalt.
Sie lächelte ihn an. „Mein Sohn.“
Er neigte sich weiter ins Auto. Auf dem Rücksitz entdeckte er einen kleinen Jungen, der die gleichen großen Augen hatte wie Georgia. Plötzlich wurde Sebastian ganz anders.
„Das ist Sebastian, der uns aus dem Schnee holen wird“, erklärte Georgia dem Jungen.
Ach ja? Ja, natürlich würde er das tun. Er konnte dem flehenden Blick des Jungen nicht widerstehen. Der arme Kleine! Es war ja nicht seine Schuld, dass sie im Schnee feststeckten.
„Hallo, Josh“, grüßte Sebastian sanft.
Und dann blickte er endlich zu Georgia.
Sie hatte sich überhaupt nicht verändert: Die weit auseinanderstehenden grünen Augen blickten immer noch so vertrauensvoll. Ihre Lippen waren noch immer weich und schön geschwungen, die Wangenknochen ausgeprägt. So wie damals, als ihr Anblick ihn bezaubert hatte. Auch ihre wilden glänzenden Locken waren noch so dunkel wie früher, nur zwischen den Brauen stand eine kleine Sorgenfalte. Das Auto war erfüllt von Georgias dezentem Parfüm.
Das gab Sebastian den Rest. Seine sorgfältig errichteten Schutzwälle zerbröckelten. Rasch zog er den Kopf aus dem Wagen und richtete sich tief atmend auf. Die eisig frische Luft half. Wenn er nun noch seine Verteidigungsmauern wieder errichten konnte …
„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sie sich nochmals.
„Keine Ursache. Wir müssen euch hier rausholen und ins Haus schaffen.“
„Ich muss aber zu meinen Eltern!“, protestierte sie.
Er seufzte schwer. „Sieh dich doch mal um, Georgia. Bei dem Wetter kommst du nirgends mehr hin, schon gar nicht im Dunkeln.“
„Es ist noch nicht dunkel!“
„Aber bald, und wir haben dein Auto noch nicht aus der Schneewehe gezogen. Also, setz dich ans Steuer, und halt den Motor in Gang. Wenn du den leichten Ruck vom Abschleppseil spürst, löst du die Bremsen und gibst vorsichtig Gas. Und schau, dass der Wagen nicht in den Graben gerät, okay?“
Georgia öffnete die Lippen und schloss sie gleich wieder. Wenn sie erst einmal befreit war, blieb Zeit genug, um mit Sebastian zu diskutieren.
Die Aktion dauerte nur wenige Augenblicke, dann stand sie mit ihrem Wagen vor dem Tor. Sie zog die Handbremse an und lockerte den Griff ums Steuer. Dann stieg sie aus und ging zu Sebastian.
„Vielen Dank für deine Hilfe“, begann sie.
„Nicht nötig. Du hast die Straße blockiert, und die wollte ich frei machen, damit der Schneepflug durchkommt.“
„Ach so.“ Sie verbiss sich einen schnippischen Kommentar. „Trotzdem bin ich dir echt dankbar. Jetzt mache ich mich besser auf den Heimweg und …“
„Georgia, das hatten wir doch eben schon besprochen.“ Er seufzte genervt. „Du kannst nirgendwo mehr hin. Dein Auto schafft es bei den Verhältnissen nicht. Auch mein Geländewagen würde es jetzt nicht mehr schaffen. Warum hast du überhaupt diesen Weg genommen bei dem Wetter?“
„Ich musste. Ich will doch zu meinen Eltern. Der Schnee kam früher als angekündigt. Und dann war auf der Hauptstraße ein Unfall und ich … Weißt du was, Sebastian? Vergiss es.“ Ihr riss plötzlich die Geduld. „Tut mir echt leid, dass ich dich belästigt habe. Es wird nicht wieder vorkommen. Geh du zurück in deinen Elfenbeinturm, und lass mich allein. Ich bin schon so gut wie weg.“
Sie versuchte, ins Auto einzusteigen, aber er hielt sie mit eisernem Griff am Handgelenk fest.
„Georgia, werde endlich erwachsen! Ich würde dich ja gern hierlassen, liebend gern sogar, aber ich kann doch dich und den Kleinen nicht erfrieren lassen, nur wegen deiner sturen, dickköpfigen Dummheit.“
Ihre Augen funkelten, während sie versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. „Stur? Dickköpfig? Das musst ausgerechnet du sagen! Du bist doch Meister darin. Und wir werden nicht sterben. Du dramatisierst nur. So schlimm ist die Lage nicht.“
Nun riss auch ihm die Geduld. „Willst du das wirklich herausfinden? Dann bitte! Aber deinen Sohn lasse ich nicht im Auto.“
„Rühr ihn nicht an!“
„Wieso nicht? Wie alt ist er eigentlich?“
Der kämpferische Blick verschwand aus ihren Augen, nun sah sie mütterlich besorgt aus. „Josh ist zwei.“
Sebastian schloss ganz kurz die Augen. Er war damals auch zwei Jahre alt gewesen …
„So, und nun zum Weiteren: Ich schleppe dich jetzt noch durch das Tor und …“